8

Einen Monat, nachdem ich Xanthos getötet hatte, beschloß ich, einen weiteren Sklaven zu kaufen.

Inzwischen hatte meine Arbeitsüberlastung etwas nachgelassen. Die Goten waren schon seit langem flußaufwärts gezogen, um die Donau an der Grenze nach Mösien zu überqueren, und unter unseren eigenen Truppen gab es immer noch keine Pestfälle. Ich hatte wenig zu tun und konnte über meinen eigenen Haushalt nachdenken. Raedagunda war jetzt hochschwanger, das Baby sollte in wenigen Monaten kommen, und sie konnte viele der Arbeiten, die sie normalerweise verrichtete, wie Wasserholen und Wäschewaschen, nicht mehr erledigen. Ich beschloß, ein Mädchen zu kaufen, das ihr zur Hand gehen konnte – vielleicht ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das Botengänge erledigen und nach der Geburt des Babys eine Hilfe für die Mutter sein konnte. Ich würde natürlich ein größeres Haus benötigen, sobald das Kind ein paar Monate alt war, aber ich war im Grunde genommen nur froh, das gegenwärtige loszuwerden. Ich konnte es nicht über mich bringen, das Badehaus zu betreten, und hielt es verschlossen wie eine Gruft.

Es kamen eine Menge Händler mit Schiffsladungen voller Sklaven den Fluß herunter. Ich vermutete, daß einige Goten in Mösien ihre Kinder verkauften, um etwas Geld für ihre Ansiedlung in die Hand zu bekommen. Ich finde es immer sehr traurig, wenn Eltern ein Kind verkaufen müssen, aber so etwas gibt es nun einmal und hat es immer gegeben, so wie es Krieg und Krankheiten gibt, und deshalb machte ich mir keine übermäßigen Gedanken. Eines strahlenden Morgens Anfang August machte ich mich von der hochgelegenen Festung auf den Weg zur Handelsstation bei den Hafenanlagen und sah mich dort ein wenig um. Ich entdeckte ein ziemlich großes Sklavenschiff, das am Ufer festgemacht hatte. Einen Augenblick später tauchte der Sklavenhändler auf, ein großer, blonder Mann mit einem roten Gesicht. Er lächelte auf eine Art, von der er wohl meinte, sie sei gewinnend. Doch seine Blicke glitten rasch und abschätzend über meine Gestalt und überschlugen, wieviel ich wohl wert sein mochte. Eunuchen sind äußerst wertvolle Sklaven. Doch ich gehörte immer noch der Armee an, und der Sklavenhändler würde kaum soweit gehen, mich von den Hafenanlagen Novidunums weg zu entführen. »Der vortreffliche Herr wünscht, einen Sklaven zu kaufen?« fragte er.

Ich nickte. »Ein Mädchen, wenn möglich etwa zwölf Jahre alt. Folgsam und kinderlieb.«

»Natürlich, natürlich! Davon habe ich eine Menge, obwohl ich sie eigentlich alle mit nach Histria hinunternehmen wollte. Dort verdiene ich mehr: Das wirst du dabei berücksichtigen müssen. Würde sich Euer Ehren die Mühe machen, an Bord zu kommen?«

Ich betrat das Schiff, und der Sklavenhändler führte mich unter das Schutzdach aus Stroh. Dort wimmelte es von Kindern, viel zu viele für die Größe des Schiffes. Sie waren zwischen vier und fünfzehn und saßen auf dem Boden, die älteren zu Dreiergruppen zusammengebunden, die kleinen ohne Fesseln. Es stank fürchterlich. Die Kinder hatten keine Umhänge, und viele der Knaben trugen nicht einmal eine Tunika, sondern lediglich ihre zerlumpten gotischen Hosen: Man konnte ihre Rippen einzeln zählen. Sie sahen ungesund aus, so als hätten sie lange Zeit Hunger gelitten und ein entbehrungsreiches Leben geführt. Ich erinnerte mich an die Lager am anderen Flußufer. Aber die Kinder dort hatten doch einen eindeutig gesünderen Eindruck gemacht als diese hier. Dabei kamen diese Kinder aus Mösien, wo die Zustände eigentlich besser sein sollten. Als der Sklavenhändler mit mir zusammen den überfüllten Raum betrat, blickten uns die Kinder hoffnungsvoll an; ein oder zwei lächelten ängstlich. Es war sehr heiß unter dem Schutzdach. Fliegen summten, das Schiff schaukelte leicht auf dem Fluß, aber die Kinder machten einen schrecklich abgestumpften Eindruck. Ein kleines Kind spielte mit einer Strohpuppe, und ein älteres Mädchen wiegte einen vierjährigen Jungen auf seinem Schoß, doch die übrigen saßen regungslos da, warteten und hofften vielleicht darauf, der Alptraum möge ein Ende haben, und ihre Eltern kämen, um sie nach Hause zu holen.

»Hier habe ich jemanden, der dir vielleicht gefällt«, sagte der Sklavenhändler und deutete auf das Mädchen mit dem vierjährigen Knaben. Sie war ein mageres, blasses, verwahrlostes Kind mit schmutzigen, weißblonden Haaren und ängstlich blickenden Augen. »Wie du sehen kannst, ist sie kinderlieb, äußerst hilfsbereit und folgsam. Sie ist dreizehn und kostet dich sechs Solidi.« Und auf gotisch sagte er zu dem Mädchen: »Los, Göre, setz dich gerade hin! Der Herr möchte dich kaufen!« Ich hatte inzwischen genug von der Sprache gelernt, um eine ganze Menge zu verstehen, auch wenn ich nur wenig selber sprach. Das Mädchen richtete sich auf und warf mir einen erschrockenen Blick zu. Der kleine Junge sah sie verängstigt an und begann zu weinen.

»Ist das dein Bruder?« fragte ich sie. Sie starrte mich ausdruckslos an, und ich wiederholte meine Frage auf gotisch. Ihre Augen weiteten sich und sie schüttelte den Kopf. Doch sie umklammerte den Jungen, und er hing wie eine Klette an ihr und schluchzte erbärmlich.

»Er fühlt sich nur zu ihr hingezogen«, meinte der Sklavenhändler. »Du brauchst keine Angst zu haben, eine Familie auseinanderzureißen.«

»Ich gebe dir fünf Solidi für alle beide«, sagte ich. Ich hatte nicht den geringsten Bedarf für einen vierjährigen Jungen, und ich hatte auch keinen Platz für ihn, doch ich entschloß mich ganz impulsiv, alle beide zu kaufen. Sie hatten ihre Familien verloren und sich in ihrer Versklavung aneinandergeklammert, deshalb wollte ich sie nicht trennen.

»Acht«, erwiderte der Sklavenhändler. »Er ist ein gesunder Knabe und außerdem sehr hübsch – sieh dir diese blonden Locken an! Er wird zu einem schönen, starken Mann heranwachsen; du wirst ihm alles beibringen können, was du willst.« Er packte das Kind und hielt es hoch, so daß ich sehen konnte, wie gesund es war. Der kleine Junge schrie erschrocken und stieß mit seinen dünnen Beinchen verzweifelt in der Luft herum. Der Sklavenhalter gab ihm dem Mädchen zurück, wo er sich erneut wie eine Klette festklammerte.

»Ich habe bereits einen männlichen Sklaven«, sagte ich, fest entschlossen, diesem Aasgeier keine einzige Kupferdrachme mehr als unbedingt nötig zu zahlen. »Ich kaufe ihn aus reiner Nächstenliebe. Keiner von beiden spricht auch nur ein Wort griechisch, außerdem haben sie, glaube ich, alle beide Würmer. Fünf.«

Wir handelten noch ein wenig, dann ließ mir der Sklavenhändler tatsächlich beide für fünf Solidi. Wir bekräftigten den Handel mit einem Händedruck. Der Sklavenhändler ließ dem Mädchen die Fesseln abnehmen, und seine Wächter zerrten die beiden Kinder vom Schiff und setzten sie auf dem Pier ab. Ich zahlte das Geld, fünf kleine goldene Münzen, mit dem Gesicht unseres Erhabenen Gebieters, des Augustus Valens, auf der Vorderseite. Das Mädchen stand da und sah mich an und umklammerte noch immer den kleinen Jungen mit vor Angst und Verwirrung weit aufgerissenen Augen. Der Sklavenhändler fragte mich, ob mir jemand helfen sollte, die beiden nach Hause zu bringen, doch ich entgegnete ihm, ich würde das schon allein schaffen.

»Ich habe euch von diesem Mann gekauft«, erklärte ich meinen neuen Sklaven in meinem unbeholfenen Gotisch. »Ich habe eine Sklavin, sie hat bald Baby, sie braucht… braucht… Hilfe. Ihr kommt mit mir nach Hause.«

»Hast du Alaric auch gekauft?« fragte das Mädchen ängstlich.

»Ja. Wenn du willst, ist er dein Bruder. Jetzt komm.« Ich deutete den Hügel hinauf. Das Mädchen blickte unglücklich nach oben, sah sich nach dem Sklavenschiff um, dann machte es sich auf den Weg hügelaufwärts. Nach den ersten paar Schritten setzte es den Jungen ab. Er nahm die Hand des Mädchens und ging neben ihm her.

Als wir zu Hause ankamen, fanden wir Sueridus und Raedagunda in der Küche vor. »Dies ist mein Haus«, erklärte ich dem Mädchen in meinem schlechten Gotisch. »Dies ist Sueridus, das ist Raedagunda. Du bist…?«

»Gudrun.« Sie sah sich in der Küche um, dann wanderte ihr Blick von Raedagunda zu mir. »Bitte, bist du ein Mann oder eine Frau?«

Sueridus lachte.

»Sie ist eine Frau, die als Mann verkleidet ist«, sagte der kleine Alaric zutraulich – die ersten Worte, die ich ihn sagen hörte.

Sueridus und Raedagunda lachten über die Einfalt des Kindes. Raedagunda sprang auf und trat zu dem kleinen Jungen; sie hockte sich vor ihn hin. »Er ist keine Frau, er ist ein kluger Heiler und ein mächtiger Zauberer! Du hast großes Glück, daß er dich gekauft hat. Möchtest du ein Stück Sesamkuchen?«

Ich half Raedagunda, die beiden zu waschen, während Sueridus ein paar saubere Kleider für sie besorgte. Schon bald saßen die Kinder am Tisch, sahen manierlich aus und verzehrten sauber gewaschen und zufrieden ihren Sesamkuchen.

»In das Lager des edlen Frithigern kam auch einmal ein Heiler«, meldete sich Gudrun zu Wort. »War das auch ein Zauberer?«

»Das war vielleicht ich«, sagte ich zu Gudrun. Dann fragte ich sie: »Warum haben eure Eltern euch verkauft?« Ich war sehr neugierig auf ihre Geschichte. Es stimmte zwar, daß Händler schon seit jeher gotische Sklaven verkauft hatten. Aber ein Schiff wie dieses, bis zum Schanzdeck mit Kindern vollgestopft, die sehr billig verkauft wurden, für kaum mehr, als man für ihre Kleidung aufbringen muß – das ist unnormal. Und es war nicht das einzige Schiff auf der Donau. Ich hatte den Eindruck, mehr als sonst gesehen zu haben: Sie waren nach Histria und den Häfen am Schwarzen Meer unterwegs, aber ich hatte bis jetzt noch nicht viel darüber nachgedacht.

»Wir brauchten etwas zu essen, Herr«, antwortete das Mädchen und schluckte ihren Kuchen hinunter. »Wir hatten nichts. Meine Mutter sagte, die Römer würden mich wenigstens nicht verhungern lassen. Die Römer gaben ihnen einen Hund für mich, so daß Mutter den Hund essen konnte.«

»Barmherziger Christ«, sagte ich und warf dem Mädchen einen prüfenden Blick zu, um mich zu vergewissern, ob es scherzte oder nicht. Ein menschliches Wesen im Austausch gegen einen Hund?

Raedagunda starrte das Mädchen ebenfalls mit großen Augen an. »Meine Eltern haben mich für einen jungen Ochsen und eine Goldmünze verkauft«, erzählte sie.

»Das war, bevor die Leute den Fluß überquerten«, meinte Gudrun zutraulich.

»Fang noch einmal von vorne an«, forderte ich sie auf. »Du bist aus dem Norden, nicht wahr? Ihr seid vor den Hunnen geflohen?«

Sie nickte. »Die Hunnen kamen und brannten unser Haus nieder«, erzählte sie leise, dann sah sie mich mit einem eigenartigen Blick an. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Sie brachten meinen Vater um. Bevor die Hunnen kamen, versteckte sich meine Mutter mit mir und meinem kleinen Bruder im Wald. Die Hunnen suchten uns eine Weile, doch dann ritten sie weiter. Wir gingen in Richtung Süden. Wir hatten gehört, der edle Frithigern habe mit dem römischen König vereinbart, daß wir den Fluß überqueren dürften und uns dort Land suchen könnten, wo keine Hunnen sind. Wir gingen lange Zeit nach Süden. Mutter verkaufte ihre Armreifen und besorgte uns etwas zu essen, und ich pflückte Beeren. Dann kamen wir an den Fluß, und es wurde besser. Mutter fand einen anderen Vater für uns – seine Frau war von den Hunnen verschleppt worden. Der edle Frithigern gab uns etwas Weizen, um Brot daraus zu backen. Ich pflückte Eicheln und Schilfrohr und Mädesüß. Und ich versuchte, Fische zu fangen; mein Bruder und ich fingen einen Haufen Frösche – wir hatten jede Menge zu essen. Dann verkündete der edle Frithigern, wir könnten den Fluß überqueren. Er ließ Wagen bringen, auf denen die kleinen Kinder, die Kranken und all unsere Habe verstaut wurde. Zusammen mit vielen anderen Leuten marschierten wir viele Tage am Ufer entlang, bis wir zu dem Platz kamen, wo die Schiffe lagen. Wir waren sehr glücklich, als wir da waren. Wir bestiegen ein kleines Boot und gelangten damit über den Fluß ins römische Land. Aber als wir dort waren, gab es nichts zu essen. Mein neuer Vater wollte sich auf die Suche nach etwas Eßbarem machen, aber die Römer hinderten ihn daran. Sie hatten sehr viele Soldaten dort versammelt und erlaubten niemandem, weiterzuziehen; sie sagten, wir müßten darauf warten, daß uns Land zugeteilt würde. Wir warteten, aber wir hatten nichts zu essen. Ich konnte nicht einmal Frösche oder Beeren finden; die Leute, die den Fluß vor uns überquert hatten, hatten schon alles aufgegessen. Die Römer hatten haufenweise Lebensmittel, aber sie wollten Geld dafür, eine Menge Geld. Mutter verkaufte ihren Umhang und ihre Ohrringe. Mein neuer Vater hatte ein Panzerhemd, das er verkaufte – sein Schwert hatten ihm die Römer fortgenommen, als wir über den Fluß setzten. Ein wenig später wollte ich wieder zurück, auf das andere Flußufer. Aber auch das ließen die Römer nicht zu. Mutter verkaufte meine Halskette und meinen Umhang und alle unsere Schuhe. Dann sagte sie, wir würden allesamt Hungers sterben, falls sie uns nicht an die Römer verkaufen könnte. Die würden uns bestimmt etwas zu essen geben. Deshalb verkaufte sie zuerst mich, aber alles, was die Römer für mich gaben, war ein Hund. Als sie protestierte, lachten sie sie aus. Sie übergaben mich dem Mann, von dem du mich gekauft hast, Herr, und der legte mich in Ketten und brachte mich auf das Schiff. Ich sagte ihm, er brauche mich nicht anzuketten. Aber er tat es trotzdem. Als ich versuchte, mich loszumachen, schlug er mich. Alaric befand sich bereits auf dem Schiff, als ich dort ankam. Er lag auf dem Boden und weinte. Ich hatte ihn schon vorher im Lager gesehen und versuchte, ihn zu trösten. Er ähnelte meinem kleinen Bruder. Danke, daß du uns beide gekauft hast.«

Ich sagte nichts. Ich empfand meine fünf Solidi plötzlich als Blutgeld, das mich schuldhaft an die Menschen kettete, die Hunde im Austausch für menschliche Lebewesen geboten hatten. Menschen in allergrößter Not haben ihre Kinder schon seit eh und je verkauft, doch meistens wird diese Not von gewissenlosen Leuten künstlich erzeugt, nur damit sie billig zu Sklaven kommen. Das Land hätte bereits aufgeteilt werden müssen, bevor die Goten überhaupt die Donau überquerten. Ich war sicher, daß Athanaric bestimmte Landstriche Thraziens erwähnt hatte, die für die Ansiedlung der Terwingen vorgesehen waren. Ich versuchte, mir die Lager am Donauufer in Mösien vorzustellen: Sie waren vermutlich schlimmer als diejenigen, die ich im Frühjahr gesehen hatte. Menschen, die in einigen wenigen Wagen und behelfsmäßigen Unterkünften aus Zweigen und Blattwerk mit ein paar Fellen darüber zusammengepfercht waren. Menschen, die sich von Wurzeln und Eicheln ernährten und von dem wenigen, was sie sich sonst noch zu erpresserischen Bedingungen von den wohlversorgten römischen Soldaten kaufen konnten. Menschen, die zuhauf und ohne daß man etwas dagegen tun konnte, an Krankheiten starben – an Ruhr, Typhus, Wassersucht. Menschen ohne richtiges Trinkwasser, ohne genügend Platz; Kinder, die vor Hunger schrien; die Toten wurden zwischen den Lebenden begraben oder auch in den Fluß geworfen. Und die Römer nahmen ihnen ihren Schmuck, ihre Kettenhemden und ihre Kleidung weg – und ihre Kinder.

»Wer waren die Römer, die so etwas taten?« fragte ich schließlich. »Hast du irgendwelche Namen gehört?«

Gudrun nickte und sah mich mit großen Augen an. »Die Befehlshaber der Soldaten hießen Lupicinus und Maximus. Und dann gab es noch einen Führer mit Namen Festinus. Er hatte keine Soldaten, sollte aber eigentlich etwas zu essen schicken – das sagte jedenfalls mein neuer Vater.«

Festinus! Ja, Thorion hatte erzählt, daß er der neue Statthalter von Mösien war. Er wäre zu solchen Dingen fähig. Und ich erinnerte mich daran, was Sebastianus von der Habgier seines ihm vorgesetzten Heerführers erzählt hatte. Von Maximus, dem Heerführer Mösiens, wußte ich nichts, aber er mußte von ähnlichem Schlag sein, sonst wäre Lupicinus nicht in der Lage gewesen, den Menschen solches Leid zuzufügen.

Ich war entsetzt über den Bericht des Mädchens. Ja, mehr noch, er verursachte mir sogar Angst. Ich glaubte nicht, daß sich Frithigern diese Behandlung noch lange gefallen lassen würde. Wahrscheinlich schmiedete er bereits Pläne, um sein Volk zum Widerstand aufzurufen. Als sie den Fluß überquerten, hatten sie ihre Waffen abliefern müssen, aber vermutlich hatten sich nicht alle daran gehalten. Sie würden zwar schwächer sein, als die ihnen gegenüberstehenden römischen Truppen, doch sie waren nach wie vor gefährlich. Oder waren sie vielleicht sogar stärker? Wie viele von ihnen hatten die Donau überquert? Ich wußte von Athanaric, daß es Tausende von Terwingen gab.

Jemand mußte dem ein Ende bereiten. Die Behörden in Mösien handelten offensichtlich in heimlichem Einverständnis miteinander, aber Sebastianus und Thorion müßten in der Lage sein, etwas dagegen zu unternehmen. Und Athanaric? Keinen Augenblick lang glaubte ich, er könne an diesem korrupten Plan beteiligt sein, aber zumindest würde er bereits davon wissen. Ich hatte ihn seit der Gerichtsverhandlung nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hatte er herausgefunden, wie den Goten von den römischen Befehlshabern mitgespielt wurde, und war schnurstracks an den Hof in Antiochia geritten, um dort Bericht zu erstatten. Vielleicht waren bereits Befehle vom Hof unterwegs, um den schändlichen Praktiken von Festinus und Lupicinus ein Ende zu bereiten.

Aber Korruption ist Bestandteil des römischen Lebens, und es konnte schwierig sein, jemanden am Hof dazu zu bewegen, Notiz von ihr zu nehmen. Und ich wußte ja, daß Festinus mächtige Freunde besaß. Es würde schwer sein, diese Machenschaften zu beenden. Im Grunde genommen konnte ich genausogut wie jeder andere etwas dagegen unternehmen. Ich war ein Freund des Heerführers und die Schwester des Statthalters von Skythien. Ich würde mit allen beiden sprechen müssen.

»Gudrun«, begann ich, dann hielt ich – durch die Unkenntnis ihrer Sprache in meinem Schwung gehemmt – inne. »Du bleibst jetzt hier«, fuhr ich fort. »Ich gebe dich später deinen Eltern zurück, wenn – Raedagunda, sag ihr, daß ich nicht von diesem Handel Menschen gegen Hunde profitieren will und daß ich sie und Alaric ihren Eltern zurückgeben werde, sobald die Terwingen sich auf ihrem eigenen Grund und Boden angesiedelt haben werden. Und sag ihr, daß nicht alle Römer so sind wie Lupicinus und Festinus und daß ich ihre Geschichte dem Heerführer und auch dem Statthalter erzählen werde, um sie zu bitten, ihrem Volk Nahrungsmittel zu schicken.«

Raedagunda starrte mich einen Augenblick lang an, dann schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln und übersetzte. Gudrun starrte mich ebenfalls an, dann leuchtete Hoffnung in ihrem Gesicht auf. Sie fiel auf die Knie und küßte mir die Hände. »Du willst mich nach Hause lassen?« fragte sie mich. »Du willst Nahrungsmittel den Fluß hinaufschicken?« Alaric sah zu ihr, dann rannte er zu mir und umklammerte meine Knie, genau wie er es bei ihr gesehen hatte.

»Alles, was ich tun kann, werde ich tun«, versprach ich ihnen. Ich hoffte nur, daß ich auch wirklich etwas erreichen konnte.

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