9
Sebastianus war immer noch in Tomis und kümmerte sich um die Wintervorräte, und Thorion war sowieso dort. Ich entschloß mich also, in die Stadt zu reiten und mit beiden persönlich zu sprechen. Ich sagte Valerius, daß ich mir auf unbestimmte Zeit frei nähme, jedoch hoffte, innerhalb einer Woche zurück zu sein. Dann regelte ich die Arbeit im Hospital und beauftragte Arbetio und Edico, sich um alles zu kümmern. Sie waren sehr froh, als ich ihnen von meinem Vorhaben erzählte. Dann bestieg ich mein Pferd und ritt davon. Ich hatte eine Ersatztunika und meine Arzttasche bei mir, und ich nahm zwanzig Solidi und ein wenig von meinem gotischen Schmuck mit, falls ich jemanden bestechen müßte. Ich ließ Raedagunda genügend Kupfergeld zum Einkaufen da. Für den Notfall konnte sie auch alles auf Kredit kaufen.
Zwei Tage später, am späten Nachmittag, erreichte ich Tomis und begab mich auf direktem Wege zur Präfektur. Die Sklaven ließen mich im Vorzimmer warten, doch nach ein paar Minuten flog die Tür auf, und Thorion stürmte in den Raum. Sein Umhang mit dem Purpurstreifen war völlig verrutscht, und seine Haare standen ihm wie ein Reisigbesen zu Berge.
»Charition!« rief er und umarmte mich. »Gott sei Dank, daß du gekommen bist! Wie hast du das nur so schnell geschafft? Ich habe doch erst heute morgen nach dir geschickt!«
Ich starrte ihn begriffsstutzig an, aber er lachte nur, zerrte mich aus dem Raum und schob mich in ein Zimmer, in dem Melissa in den Wehen lag. Natürlich hätte ich, wenn ich erst auf seine Botschaft hin gekommen wäre, noch gar nicht da sein können, selbst wenn ich die kaiserliche Post benutzt hätte. Melissa brachte etwa zwei Stunden nach meiner Ankunft einen gesunden Sohn zur Welt. Ihr stand bereits eine sehr tüchtige Hebamme zur Seite, und die Geburt verlief völlig ohne Komplikationen. Ich brauchte nichts anderes zu tun, als einige Reinigungslösungen zu mischen und ihr hinterher eine beruhigende Arznei einzuflößen. Dennoch war ich sehr froh, bei der Geburt meines Neffen helfen zu können. Er war ein süßes Baby mit dunklen Locken; sobald er das Licht dieser Welt erblickt hatte, schrie es hingebungsvoll, und schon eine Stunde später saugte es genüßlich an der Mutterbrust.
Als Melissa nach der Geburt fürs erste versorgt war und bequem gebettet ein wenig ausruhte, lief Maia los, um Thorion zu holen. Er hatte in seinem Zimmer gewartet und kam eilig angerannt. Als er sah, wie Melissa das Baby wiegte, strahlte er über das ganze Gesicht; er zitterte beinahe vor Freude, als er den winzigen Kopf seines Sohnes streichelte. Er küßte Melissa, küßte Maia, küßte die Hebamme, küßte mich, küßte erneut Melissa und küßte das Baby. Man hätte denken können, daß noch nie zuvor jemand einen Sohn bekommen hatte. Als die Hebamme ihn schließlich dazu überredete, das Zimmer zu verlassen und seiner Konkubine ein wenig Ruhe zu gönnen, zog er Maia und mich mit sich fort, um wieder und wieder unsere Meinung über die Gesundheit, Kraft und offensichtliche Intelligenz seines Sohnes einzuholen.
»Wie hast du es nur geschafft, so schnell herzukommen?« fragte er mich noch einmal. »Eigentlich«, erzählte ich ihm, »bin ich gekommen, um etwas ganz anderes mit dir zu besprechen, aber laß es uns bis morgen aufschieben. Am Geburtstag deines Sohnes wollen wir nur über angenehme Dinge sprechen!«
Thorion strahlte erneut. »Laß uns auf seine Gesundheit anstoßen!«
Thorion stieß so ausgiebig auf die Gesundheit seines Sohnes an, daß er am nächsten Morgen lange im Bett bleiben mußte und über seinen Kopf und seinen Magen stöhnte. Ich verabreichte ihm etwas heißen, stark verdünnten Honigwein mit Kardamom, untersuchte Melissa und das Baby (denen es beiden gut ging) und machte mich auf die Suche nach Sebastianus. Der Heerführer verhandelte gerade mit einigen Kaufleuten, aber er ließ mich sofort in sein Büro. Rasch beendete er das Gespräch, dann wandte er sich mir freundlich zu:
»Was führt dich her? Hat die Konkubine deines Freundes ihr heldenhaftes Kind etwa schon zur Welt gebracht?«
»Ach, du hast davon gehört?«
»Ich habe in der vorigen Woche mit dem höchst ehrenwerten Theodoros zu Abend gegessen. Er sprach kaum von etwas anderem. Beinahe ließ er den Wunsch in mir aufkommen, Daphne möge schwanger sein, als ich sah, wie sehr ihn die Vorstellung, Vater zu werden, freute. Soll ich ihm ein Taufgeschenk schicken?«
»Es wäre sicherlich hochwillkommen. Das Kind ist ein Junge; er wurde vergangene Nacht geboren, und sein Vater scheint der festen Überzeugung zu sein, daß Achilles bei weitem nicht so kühn und Adonis bei weitem nicht so schön war. Aber eigentlich bin ich hergekommen, um mit dir etwas anderes zu besprechen, vortrefflicher Sebastianus.«
Sebastianus lachte lauthals. »Leg nur los.«
Ich berichtete ihm von Gudrun und ihrem Schicksal, und das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. Als ich geendet hatte, saß er eine ganze Weile lang schweigend da und spielte mit seinem Griffel. »Und was sollte ich deiner Meinung nach wegen dieser Geschichte unternehmen?« fragte er schließlich.
»Gebiete ihr Einhalt.«
»Lupicinus Einhalt gebieten? Meinem vorgesetzten Heerführer? In Mösien habe ich keinerlei Befehlsgewalt.«
»Dann erstatte dem obersten Heerführer Bericht. Oder deinem Vater: Er ist doch so einflußreich.«
Sebastianus legte den Griffel aus der Hand und stand abrupt auf. »Ich habe schon etwas von diesen Vorkommnissen gehört«, sagte er. Er trat an das Fenster und sah auf den Hof hinaus.
»Athanaric kam vor knapp einem Monat hier durch und hat eine ganze Stunde lang deswegen auf mich eingeredet. Ich habe bereits an Lupicinus und an meinen Vater geschrieben und den Brief mit einem schnellen Kurier westwärts geschickt. Athanaric ist unterdessen nach Antiochia galoppiert, um die Angelegenheit mit dem obersten Palastbeamten zu erörtern. Vielleicht hat er inzwischen ja jemanden davon überzeugt, dieser Geschichte Einhalt zu gebieten.« Sebastianus klang jedoch nicht sehr zuversichtlich.
»Kannst du sonst nichts tun, vortrefflicher Sebastianus?« fragte ich ihn.
»Nein.« Sebastianus wandte sich vom Fenster ab. »Mein Vater hat bereits geantwortet. Er möchte sich nicht in den Befehlsbereich von Lupicinus einmischen, und er ist der Meinung, ich sollte es auch nicht. Er sagt, diese Geschichte sei keine militärische Angelegenheit und betreffe allein den Statthalter.«
»Ist sie nicht vielleicht doch eine militärische Angelegenheit? Glaubst du, daß Frithigern sich diese Behandlung noch lange gefallen lassen wird?«
Sebastianus verzog das Gesicht. »Mein Vater meint, falls die Goten Ärger machen, können wir immer noch gegen sie antreten und sie schlagen. Die Römer sind noch nie von den Barbaren besiegt worden.«
»Dann sollen die Terwingen also durch römische Waffen vernichtet werden! Im Verlauf der Kämpfe werden zweifellos Tausende von ihnen und Hunderte von unseren Leuten fallen. Und das alles nur, um die Habgier von ein paar korrupten Männern zu befriedigen? Glaubst du, daß es richtig ist, die Goten dazu zu zwingen, ihre Kinder gegen Hunde einzutauschen?«
»Natürlich nicht!« fuhr Sebastianus mich an. »Aber mir sind die Hände gebunden. Warum gehst du nicht und sagst deinem Freund Theodoros, er solle etwas unternehmen?«
»Deswegen bin ich ja nach Tomis gekommen. Aber kannst du nicht ebenfalls etwas tun? Vielleicht dem Kaiser über Lupicinus berichten?«
Sebastianus gab einen tiefen Seufzer von sich. »Chariton, ich achte dich mehr als die meisten Menschen, und ich bin mir sicher, daß du von der lautersten hippokratischen Menschenfreundlichkeit geleitet wirst, aber ich kann mich nicht in den Befehlsbereich eines anderen Heerführers einmischen. Und ich kann meinen Vorgesetzten nicht beim Kaiser anschwärzen. Das ist gegen die Ehre der römischen Waffen.«
»Oh, diese verdammte Ehre der römischen Waffen! Kannst du nicht wenigstens mit Lupicinus selbst sprechen? Mach ihm klar, daß der Kaiser alles andere als erfreut sein wird, falls Frithigern und sein Volk rebellieren und abgeschlachtet werden müssen. Die Ansiedlung der Goten in Thrazien hat den Hofbeamten doch durchaus gefallen. Sie werden nicht gerade entzückt darüber sein, wenn sie schiefläuft.«
»Lupicinus verdient genug bei diesem Handel, um halb Italien kaufen zu können. Glaubst du wirklich, er würde auf mich hören?«
»Er achtet dich, nicht wahr?« fragte ich und beharrte auf meinem Standpunkt. »Vielleicht würde er auf dich hören, wenn du ihm klar machst, daß er aufpassen und sich den Rücken freihalten muß?«
»Vielleicht.« Sebastianus seufzte erneut und sah mich nachdenklich an. »Vielleicht. Also schön, ich werde ihn in Marcianopolis aufsuchen. Ich möchte keinen Ärger mit den Goten auf dieser Seite des Flusses. Du kannst mitkommen.«
»Ich?«
»Der Heerführer Mösiens möchte deine Bekanntschaft machen. Oder besser gesagt, er möchte, daß seine Ärzte deine Bekanntschaft machen. Maximus mag habgierig und gewissenlos sein, aber er macht sich Sorgen, diese verdammten Goten könnten die Pest bekommen und seine Soldaten damit anstekken. Ihm ist aufgefallen, daß wir hier dank deiner Maßnahmen keinerlei Ärger haben, und er möchte, daß du seinen Ärzten verrätst, wie du das gemacht hast. Also: Du kannst mitkommen und diese Geschichte selbst mit ihm erörtern. Warte mal … Übermorgen können wir los«, Sebastianus wandte sich plötzlich wieder seinen Papieren auf dem Schreibpult zu, prüfte Bestellungen für Verpflegung, Bestellungen für Pferde und Berechtigungsscheine für die Benutzung der Post.
»Ich habe Valerius gesagt, daß ich für etwa eine Woche fort sein werde«, sagte ich und dachte an all die Arbeit, die in Novidunum auf mich wartete. Ich dachte auch an Raedagundas Baby, an Melissa.
»Nun, du kannst ihm schreiben und ihm mitteilen, daß es jetzt eben länger dauern wird.« Er sah von seinen Papieren auf und grinste. »Du hast damit angefangen, nicht ich. Warum gehst du nicht zu deinem Freund Theodoros und bearbeitest ihn ebenfalls?«
»Wenn das so weitergeht, dann befinde ich mich bald selbst auf dem Weg nach Antiochia«, antwortete ich und wünschte, ich hätte eine zweite Tunika und einen zweiten Umhang mitgenommen. »Aber zu Theodoros werde ich bestimmt gehen. Ich danke dir.«
Sebastianus lachte. »Ich danke dir. Ich bin genauso froh, in dieser Sache endlich etwas zu unternehmen. Athanaric ist wütend davon geritten, weil ich nicht mehr tun wollte. Ich muß ihn unbedingt besänftigen.«
Ich ging wieder in die Präfektur zurück. Thorion war inzwischen aufgestanden, saß in seinem Büro und widmete sich seinen täglichen Pflichten. Eine ganze Schar örtlicher Richter und Vorsteher irgendwelcher Dekurien wartete mit Bittschriften (und Bestechungsgeldern) auf ihn. Er strahlte, als er mich erblickte.
»Hast du Melissa gesehen?« fragte er als erstes. »Wie geht es ihr? Ich habe sie gleich nach dem Aufstehen aufgesucht; ich hatte den Eindruck, sie sieht großartig aus. Das war ein verdammt gutes Mittel gegen den Kater, das du mir gegeben hast.«
Ich erwiderte, Melissa ginge es gut, doch sie müsse sich unbedingt ausruhen, sich häufig waschen und eine Menge Flüssigkeit zu sich nehmen – verdünnten Wein und vielleicht etwas Milch. Die ersten ein bis zwei Wochen nach einer Kindsgeburt seien eine kritische Zeit. Thorion nickte und machte den Eindruck, als wisse er genauestens Bescheid.
»Maia hilft Melissa mit dem Baby, so daß sie nicht aufzustehen braucht«, erzählte er mir. »Aber ich bin froh, daß du ebenfalls hier bist. Wie lange kannst du bleiben?«
»Ich mache mich übermorgen nach Marcianopolis auf den Weg.«
»Was? Du hast doch gesagt, die nächsten ein bis zwei Wochen würden kritisch…«
»Du hast eine sehr tüchtige Hebamme hier in Tomis, es gibt keinen Grund, irgendwelche bestimmten Gefahren für Melissa zu vermuten. Außerdem werde ich ein paar Vorkehrungen treffen, um mit Problemen fertig zu werden, die normalerweise auftreten. Ich muß unbedingt nach Marcianopolis, Thorion. Sebastianus möchte, daß ich mit einigen Ärzten in Mösien Möglichkeiten erörtere, die Ausbreitung der Pest zu verhindern.«
»Ach, zur Hölle mit Sebastianus! Er scheint zu denken, du gehörst ihm!«
»Nun, er ist mein Vorgesetzter. Ich komme gerade von ihm. Er läßt dir Glückwünsche zur Geburt deines Sohnes ausrichten.« Thorion war verstimmt. »Eine Frau sollte keinen Heerführer als Vorgesetzten haben. Weshalb warst du bei ihm? Wegen der Pest?«
»Nein. Wegen der Goten.«
»Dann war dieser Bursche Athanaric also auch bei dir? Er kam vor einem Monat hier vorbei und wollte, daß ich die Hälfte unserer hiesigen Getreidevorräte flußaufwärts zu den Barbaren nach Mösien schicke. Ich habe ihm gesagt, daß der Statthalter von Mösien für die Ernährung der Goten verantwortlich sei. Außerdem würde ich mich eher selbst aufhängen, als Festinus zu helfen. Er hat mich verwünscht.«
Ich war allmählich richtig stolz auf Athanaric. »Du solltest das Getreide schicken«, sagte ich und berichtete ihm von Gudruns Schicksal. Der Abscheu darüber war ihm regelrecht anzumerken, doch er zuckte lediglich die Achseln.
»Ich habe einiges darüber gehört«, gab er zu. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe derartige Berichte gesammelt und zusammen mit einem Kommentar an den Hof geschickt. Vielleicht wird dort jemand auf mich hören. Vielleicht auch nicht. Jeder weiß, daß ich Festinus hasse, deshalb gibt man dort nicht viel auf meine Meinung über ihn. Das habe ich auch Athanaric gesagt, als er hier war.«
»Könntest du nicht trotzdem ein paar Lebensmittel schicken? Diese Leute verhungern.«
»Gütiger Gott! Wie könnte ich? Unsere Vorräte in den Kornspeichern sind knapp genug; damit können wir gerade den Winter überstehen, und Sebastianus wird sich für seine Soldaten noch etwas davon abzweigen, falls er die versprochene Schiffsladung aus Alexandria nicht bekommt. Und warum sollte ich Festinus aus der Klemme helfen? Laß ihn doch Ärger bekommen. Je mehr Ärger er bekommt, desto besser!«
»Thorion«, sagte ich eindringlich, »diese Menschen, die dort verhungern, sind keine Römer. Römer wissen, wie sie mit der Bestechlichkeit von Beamten umgehen müssen, sie akzeptieren so etwas, sie versuchen dann eben, andere Beamte zu bestechen, um das Gewünschte zu bekommen. Die Goten verstehen nichts von diesen Dingen. Sie haben immer gedacht, daß Römische Reich sei vollkommen, und kaiserliche Beamte seien gerecht und weise. Das werden sie jetzt nicht mehr denken. Sie werden nicht versuchen, jemanden zu bestechen, um Festinus beim Kaiser anzuschwärzen. Sie werden kämpfen; Menschen werden getötet werden. Sebastianus ist der Meinung, falls es zum Kampf kommt, würde es das Ende der Terwingen und dieser ganzen Geschichte bedeuten, aber… aber es gibt eine Menge Goten, und wenn die Unruhen in der Nähe der Donau ausbrechen, überqueren vielleicht auch noch andere gotische Stämme den Fluß, diejenigen, die der Kaiser nicht dazu aufgefordert hat. Und hinter ihnen stehen die Alanen und die Hunnen bereit. Oh, ich weiß, daß am Ende immer das Kaiserreich siegt, aber bis zu diesem Ende könnte es noch ein langer Weg sein. Wenn es wegen dieser Geschichte wirklichen Ärger gibt, wird er nicht auf Mösien begrenzt sein: Du wirst dich vor den Mauern von Tomis einer ganzen gotischen Armee gegenübersehen.«
Thorion starrte mich an und machte den Eindruck, als fühle er sich nicht wohl in seiner Haut.
»Und denk daran, wie es sein könnte, wenn du dies verhinderst!« fuhr ich fort. »Ich weiß, daß du dich bemühst, ein guter Statthalter zu sein. Verhindere diesen Krieg, und du kannst ruhmbedeckt am Hof erscheinen und jedes Amt übernehmen, daß du dir wünschst!«
»Ja, aber diese Art von Ruhm kostet etwas«, meinte Thorion unglücklich. »Wenn ich einer ganzen Reihe von Leuten ihre Steuern erlasse, kann ich nicht nur Bestechungsgelder von ihnen nehmen, sie preisen mich alle miteinander auch noch dem Kaiser gegenüber und rühmen meine Gerechtigkeit und Mäßigkeit. Aber um so viel Getreide zu bekommen, daß ich auch noch etwas flußaufwärts schicken kann, müßte ich von den hiesigen Landbesitzern auch noch die letzte fällige Unze eintreiben, und das würde ihnen ganz und gar nicht schmecken. Statt mich mit Ruhm zu bedecken, werde ich also wohl sehr viel eher mit Beschwerden eingedeckt werden. Und wenn dann meine Amtszeit hier vorüber ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als am Hof zu warten, irgendwelche Prozesse zu übernehmen und mir in den Vorzimmern die Hacken abzulaufen, ohne eine Drachme zu verdienen. Bei Artemis der Großen! Sieh mich nicht so mißbilligend an. Du weißt doch ganz genau, wozu ich das Geld brauche: Festinus ist uns teuer zu stehen gekommen. Vater mußte in seinem letzten Lebensjahr eines unserer Landgüter mit dem gesamten Viehbestand und zwanzig Sklaven verkaufen. Ich hatte gehofft, das alles mit den Einkünften aus dieser Statthalterschaft zurückkaufen zu können.«
»Wieviel bringen die Landgüter pro Jahr ein, Thorion?«
»Im letzten Jahr belief sich der Ertrag auf den Gegenwert von 314 Pfund in Gold«, erwiderte Thorion prompt. »22 600 Solidi. Das sind vierzig Pfund in Gold weniger als vor fünf Jahren. Was glaubst du wohl, was man von mir erwartet, wenn ich das Amt eines Konsuls in Konstantinopel anstrebe? Allein die Kampfspiele kosten mehr, sogar außerhalb der Saison.«
»Geben wir denn 22 600 Solidi im Jahr aus?«
Thorion war verlegen. »Das nicht… Aber meine hiesige Stellung kostet Geld, außerdem muß ich das Haus in Konstantinopel, unser Haus in Ephesus und die ganzen Landgüter in Ordnung halten. Und dieser verdammte Hafen in Ephesus muß immer wieder neu ausgebaggert werden, und die Leute wollen jedesmal, daß ich meinen Beitrag dazu leiste. Sie haben mir deswegen sogar nach Tomis geschrieben. Und unser Verwalter Johannes sagt… ach, zur Hölle mit dir Charition! Nun gut, ich werde deinen verdammten Goten etwas Getreide schicken! Aber paß auf, wahrscheinlich gelingt es Festinus, sich das Verdienst dafür zuzuschreiben!« Ich gab Thorion einen Kuß. »Du machst dich um deine Statthalterschaft verdient und bist deinem Sohn ein würdiger Vater.«
»Nun, ja. Ich wünschte, dieser verdammte Sebastianus würde dich nicht mit nach Marcianopolis schleppen. Was nützt es mir, eine Ärztin als Schwester zu haben, wenn sie gerade dann fort muß, wenn man sie braucht? Ja, ja, ich werde die Anweisungen ausschreiben, und du kannst sie mit nach Marcianopolis nehmen. Aber du wirst dort jemanden davon überzeugen müssen, die Getreideschiffe auch in Empfang zu nehmen. Herrgott, ich werde wohl an diesen Schweinehund deswegen schreiben müssen. Ich hoffe nur, du hast recht, und irgendein Verdienst an dieser Geschichte wird mir zugeschrieben. Es ist gar nicht so leicht, tugendhaft zu sein und auch noch dafür bestraft zu werden.«