5

In der darauffolgenden Woche bekam ich zwei weitere Briefe von Thorion. Den ersten hatte er schon einige Zeit vorher geschrieben, ehe er ihn einem Schiff mitgeben konnte. Wegen des schlechten Wetters hatte er sich offensichtlich verspätet. Er war in einigen Passagen etwas unvorsichtig formuliert, aber die Anrede war wenigstens nicht so verräterisch; das hatte mich beim letzten Mal so erschreckt. »Was meinst du damit, wenn du schreibst, ich solle sagen, du seiest tot?« fragte er.

Ich wünschte, du würdest aus diesem gottverdammten Nest am Ende der Welt heimkehren, aber wenn du es nicht willst, kann ich nichts machen. Und ich werde mich nicht von dir abwenden. Aber komm endlich zur Vernunft, Charition, bitte! Du kannst nicht weitermachen wie bisher. Irgendwann wird es jemand herausfinden. Was ist denn an einem »richtigen« Leben so schlimm, und was meinst du mit »ersticken«? Ich verstehe dich ganz einfach nicht. Aber falls du deine Meinung ändern solltest: Mein Haus ist auch das deine.

Der andere Brief war im April geschrieben worden und klang weniger herzlich.

Ich habe gerade gehört, daß Vater tot ist. Er starb im Lauf des Winters an einer Brustfellentzündung; aber ich habe es jetzt erst erfahren. Bis ich reisen kann, um dort zu bleiben, verwaltet Johannes die Güter. Ich kann noch nicht heimkehren, es besteht auch keine Eile im Augenblick. Ich fühle mich elend; ich hätte früher heimkehren sollen. Er war sehr unglücklich die letzten Jahre: Du warst fort, und ich war in Konstantinopel. Und die Hälfte seiner Pferde hatte er verkaufen müssen. Ich sollte diesen Festinus umbringen, es ist alles seine Schuld. Vater war ein guter Mann; er konnte nichts dafür, daß er ein Feigling war. Ich wünschte, du wärest hier, Charition.

Ich erinnerte mich an meinen Traum. Aber hieß es nicht, sich an der Trauer vorbeizumogeln, wenn ich mir meinen Vater als schon gestorben vorstellte. Ich versuchte es mit einer anderen Erinnerung und sah ihn auf dem Boden kriechen und Festinus anflehen, ihm seine Unschuld zu glauben. Aber es war genau, wie Thorion gesagt hatte, Vater konnte nichts dafür, daß er ein Feigling war: Es war ungerecht, ihn so in Erinnerung zu behalten. Wir waren uns niemals sehr nahe gewesen, aber er hatte sich stets herzlich und liebevoll gezeigt. Am Schluß erinnerte ich mich, wie es war, wenn er nach Hause kam, nachdem er ein öffentliches Fest ausgerichtet hatte: Wie er seinen goldenen Lorbeerkranz abnahm und in die Luft warf und dabei vor Vergnügen laut jauchzte, weil sein Wagen das Rennen gewonnen hatte; wie er mich und Thorion und Maia umarmte und alle Leute im Hause mit Geschenken überhäufte. Schließlich weinte ich ein wenig. Ich schnitt mir die Haare ab und hüllte mich zum Zeichen der Trauer in meinen schwarzen ägyptischen Umhang. Wenn die Leute mich nach dem Grund fragten, erzählte ich ihnen, ein alter Freund und Wohltäter sei gestorben. Aber ich ließ den Namen meines Vaters unerwähnt. In Alexandria war es erforderlich gewesen, immer eine Geschichte parat zu haben, um alles erklären zu können, aber jetzt war dies nicht mehr nötig, und es war besser, die Vergangenheit zu begraben. Ich hatte meinen Vater verlassen – aber auch wenn ich nicht fortgelaufen wäre, hätte ich nicht an seinem Krankenbett sein können. Ich wäre bei Festinus gewesen und hätte Gott weiß wie unter ihm gelitten, während er eine weit entfernt liegende Provinz verwaltet hätte. Was auch immer Sebastianus denken mochte, ich war schließlich nicht Äskulap. Selbst in meinem Traum hatte ich den Toten nicht wieder zum Leben erwecken können.

Es dauerte nur etwa einen Monat, bis ich Athanaric wiedersah. Ich befand mich in einem Lager zwei Tagesritte flußaufwärts und hielt meinen üblichen Vortrag über Adernpressen. Dieses Lager war ziemlich klein: ein Wachturm mit einem halben Dutzend Soldaten zu seiner Bewachung. Die Männer saßen draußen zu Füßen des Turms und gafften mich an, während ich zu ihnen sprach. Es war noch früh am Morgen, doch die Sonne brannte bereits heiß vom Himmel; im Schatten der Bäume wimmelte es von Moskitos, und die Zuhörer schenkten mir keine sonderliche Beachtung. Dann stieß einer der Soldaten plötzlich einen gellenden Schlachtruf aus, und Athanaric galoppierte auf uns zu. Er hatte seinen Umhang über die Schultern geworfen, und auf seinem Schwertgriff blinkte die Sonne. Unmittelbar vor uns brachte er sein Pferd zum Stehen und sprang herunter. »Da bist du ja!« sagte er zu mir. »Sind diese Männer alles Patienten, oder kannst du sie alleine lassen?«

»Deinen Namen bitte«, sagte der Befehlshaber des Wachturms in dienstlichem Ton, beschämt darüber, bei seiner mangelhaften Wachsamkeit ertappt worden zu sein.

»Athanaric, Sohn des Ermaneric von Sardica, Curiosus der Agentes in rebus.«

Dies hatte den üblichen Effekt; die Männer sprangen allesamt auf und murmelten einen respektvollen Gruß. »Hast du einen Patienten für mich?« erkundigte ich mich.

Er grinste. »Ja. Einen Privatpatienten, wenn du so willst. Die Frau eines reichen und mächtigen Mannes, die dich gut bezahlen wird, wenn du sie gesund machst.«

»Es ist nicht gestattet, Privatpatienten zu nehmen, die weiter als einen halben Tagesritt von Novidunum entfernt wohnen«, entgegnete ich unschlüssig. Warum kam Athanaric schnurstracks angeritten, um mich zu der Frau irgendeines mächtigen Mannes zu holen? Zu wessen Frau? Zu der eines Statthalters vielleicht?

»Gegen diese Patientin würde Sebastianus nichts haben«, tat er meinen Einwand ab. »Und sie befindet sich weniger als eine Tagesreise von Novidunum entfernt.«

Also nicht die Frau eines Statthalters. Der skythische Statthalter hatte seinen Sitz in Tomis, zwanzig Meilen küstenabwärts von Histria aus. Das war mehr als eine Tagesreise, falls man nicht die kaiserliche Post benutzte.

»Wo?« fragte ich immer noch unsicher.

»Auf der anderen Seite des Flusses.« Athanaric deutete mit der Hand auf die braunen Fluten der Donau und die Wälder auf der gegenüberliegenden Seite. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, und er sprach rasch weiter. »Am schnellsten geht es wahrscheinlich, wenn wir die Donau bei Novidunum überqueren. Aber wir müssen uns beeilen. Nimm dein eigenes Pferd von hier mit, aber laß es an der nächsten Poststation stehen; ich möchte morgen abend dort sein. Soviel ich weiß, ist die Frau schon eine ganze Woche lang krank. Hast du dein medizinisches Rüstzeug bei dir? Gut, dann nichts wie aufs Pferd.«

Ich kam eigentlich erst so recht wieder zu mir, als ich im Sattel saß und hinter Athanaric hergaloppierte. Aber ich hatte viel zuviel damit zu tun, einigermaßen Schritt mit ihm zu halten, um noch über etwas anderes nachzudenken.

Galopp, Galopp, Galopp; Pferdewechsel; Galopp, Galopp, Galopp. Und so erreichten wir am späten Nachmittag Novidunum, obwohl es bei normalem Tempo und mit einem einzigen Pferd einen Zweitagesritt für mich bedeutete. Ich fühlte mich bis in die Haarspitzen hinein durcheinandergerüttelt. Doch Athanaric ließ mir keine Zeit, mich auszuruhen; er zerrte mich auf der Stelle zum Fluß hinunter und in ein Schiff hinein und rief den Bootsmännern auf gotisch zu, sie sollten sich beeilen. Während der ersten Minuten der Überfahrt saß ich völlig benommen im Heck des Bootes. Dann gab ich mir einen Ruck und fragte:

»Wessen Frau?«

Athanaric zuckte zusammen, als habe er gerade an etwas ganz anderes gedacht. »Die Frau des Herrschers Frithigern«, antwortete er. »Sie heißt Amalberga. Ich erhielt einen Bericht, nach dem sie nach ziemlich schweren Wehen vor genau einer Woche einem Sohn das Leben geschenkt hat und seitdem krank ist – falls sie inzwischen nicht gestorben ist. Wenn du sie gesund machen kannst, wird Frithigern sich äußerst dankbar erweisen.«

»Ist er ein Vetter von dir?«

Er sah mich an und lächelte: »Mehr oder weniger. Amalberga ist meine Kusine. Sie ist eine bemerkenswerte Frau; ich hoffe, du kannst ihr helfen. Er ist einer der wichtigsten Führer bei den Terwingen, über ihm steht nur der König. Rom gegenüber ist er freundlich gesinnt – er hat den christlichen Glauben angenommen und bewundert das römische Rechtswesen. Ich würde uns seine freundliche Gesinnung gern erhalten. Und ich möchte einiges von ihm in Erfahrung bringen.«

»Dann ›inspizierst‹ du jetzt also die Militärposten im gotischen Dazien«, sagte ich ein wenig ungehalten. »Gibt es dort überhaupt welche?«

Er lachte. »Nein. Ich werde einzig und allein von familiären Empfindungen getrieben, um meiner edlen Blutsverwandten in ihrer Not zu helfen. Aber es wird Frithigern nichts schaden, sich ein bißchen mit mir zu unterhalten. Überall im Land, donauauf, donauab, wimmeln die Menschen aufgeregt durcheinander wie die Ameisen, deren Haufen überschwemmt worden sind. Man sagt, eine neue Menschenrasse sei plötzlich aufgetaucht und fege wie ein Schneesturm aus den hohen Bergen herab und töte alles, was sich ihr in den Weg stelle. Der König hat die Bergpässe im Nordosten befestigen lassen. Seine Herrlichkeit, der oberste Palastbeamte seiner Erhabenen Majestät, möchte gerne wissen, was vor sich geht. Und so erscheine ich bei Frithigern zusammen mit einem geschickten griechischen Arzt, der sich seiner Frau annehmen soll, und hoffe, daß Frithigern dies zu schätzen weiß und sich ein wenig mitteilsam zeigt. Befriedigt dies die Skrupel Euer Gnaden?«

»Nicht unbedingt. Aber ich werde die Patientin behandeln, wenn niemand bei ihnen etwas dagegen einzuwenden hat.«

»Warum sollte jemand etwas dagegen einwenden? Du bist ein mächtiger Zauberer, dessen Ruhm bereits bis zu ihnen gedrungen ist. Sie werden begeistert sein.«

»Oh, bei Artemis der Großen!«

Athanaric hörte auf zu lächeln und sah mich ziemlich finster an. »Halb Novidunum glaubt, daß du ein Zauberer bist. Einige finden es gut, andere haben Angst. An deiner Stelle würde ich mich vorsehen, Chariton. Angeblich sollst du einen Mann aufgeschnitten haben.«

Ich biß mir auf die Lippen. »Wer hat dir das erzählt?«

»Einer deiner Kollegen im Hospital. Ein älterer Mann, dunkelhaarig, ihm fehlt ein halbes Ohr. Auf der Suche nach dir bin ich zuerst nach Novidunum geritten, und er war eifrig darauf bedacht, mir alles über deine zauberischen Praktiken zu erzählen.«

»Das ist Xanthos«, sagte ich erleichtert. »Er haßt mich, weil ich ihn von seinem Posten verdrängt habe. Das wissen alle; keiner wird ihn ernst nehmen.«

»Chariton, deine eigene Dienerschaft glaubt, daß du ein Zauberer bist! Ich weiß nicht, ob es stimmt, daß du einen toten Mann aufgeschnitten hast, oder nicht. Ich weiß, daß man in Alexandria Leichname seziert. Aber du bist hier nicht in Alexandria, und die Leute an der Front haben kein Verständnis für derartige Dinge.«

Ich erwiderte nichts. Ich hatte tatsächlich einen Patienten, der an Wundstarrkrampf gestorben war, seziert. Diese Krankheit ist an der Front ziemlich häufig, und ich dachte, ich könne ihren Ablauf vielleicht besser verstehen, wenn ich ihre Auswirkungen auf den Körper kannte. Ich hatte es des Nachts in einem leeren Raum getan und den Leichnam danach wieder zusammengenäht. Anschließend hatte ich ihn angezogen und am nächsten Tag begraben lassen. Ich hätte nicht gedacht, daß jemand etwas gemerkt hatte. Xanthos mußte hinter mir herspioniert haben. Athanaric hatte wahrscheinlich recht: Es war besser, solche Untersuchungen den Gelehrten am Tempel zu überlassen.

Athanaric beobachtete mich immer noch aufmerksam. »Es wäre wirklich ein Jammer, dich von der Folterbank in Ägypten heruntergezerrt zu haben«, meinte er, »nur damit du in Thrazien auf ihr zu Tode kommst.« Ich seufzte und nickte. Das Boot stieß an das gegenüberliegende Ufer, und wir kletterten heraus. Ich stolperte beinahe; meine Beine waren immer noch etwas wackelig vom vielen Reiten. Doch Athanaric rannte natürlich sofort die Uferböschung hinauf und rief nach Pferden. Ich klammerte mich an meine Medizintasche und sah mich um. Mit einem Schauder wurde mir bewußt, daß ich mich außerhalb des römischen Imperiums befand.

Es sah nicht viel anders aus als in Novidunum – die gleiche Art Häuser aus Stein und Holz, die gleichen gotischen Männer in Hosen standen herum. Dieser Handelsposten hatte lediglich weniger feste Mauern, eben weil es lediglich ein Handelsposten und keine Festungsanlage war. Die Barbaren bauten keine Wälle gegen die Römer. Ich hatte niemals zuvor darüber nachgedacht, und es schien merkwürdig: Sie hatten sicher Grund genug, die Römer zu fürchten. Doch wenn sie Wälle errichteten, würden die Römer bloß bei ihnen einfallen und sie bestrafen. Die Römer wollten kein barbarisches Land mehr, die Barbaren jedoch wollten römisches.

Athanaric kam mit zwei Pferden zurück, die er irgendeinem gotischen Handelsmann oder vielleicht auch einem Offizier abgehandelt hatte. Wir waren aufgestiegen und ritten in das Land der Terwingen, bevor ich Zeit gehabt hatte, so richtig darüber nachzudenken. Es fing gerade an, dunkel zu werden.

Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang (Galopp, Galopp, Galopp) machte Athanaric in einem kleinen Städtchen halt und ging zu dem größten der dort stehenden Häuser. Wir wurden von den Sklaven hineingeführt, es gab ein aufgeregtes Palaver auf gotisch, doch dann wurden wir von dem Besitzer des Hauses, der Athanaric zu kennen schien, gastfreundlich aufgenommen. Das Bett war voller Flöhe, ich war jedoch viel zu müde, um mich darüber aufzuregen.

Am nächsten Tag kamen wir nicht mehr so schnell voran, da wir unsere Pferde nicht wechseln konnten. Doch selbst so erreichten wir Frithigerns Wohnsitz lange vor Einbruch der Dunkelheit. Die Stadt war etwa so groß wie Novidunum und lag zwischen Äckern und Weiden. Mitten in der Stadt, die aus den üblichen strohgedeckten Stein und Holzhäusern bestand, erhob sich eine große römische Villa mit einem Ziegeldach und korinthischen Säulen. Sie machte einen ziemlich verwahrlosten Eindruck; das Dach des einen Flügels war in sich zusammengesackt und mit Stroh abgedeckt. Das gotische Dazien war früher in den lange vergangenen Tagen der großen Kaiser einmal eine römische Provinz gewesen. Vielleicht war diese Villa ein Überbleibsel jener Besetzung.

Von dem Augenblick an, da wir in die Stadt einritten, waren wir von einer großen Menschenmenge umgeben, doch Athanaric schenkte den Leuten keine Beachtung. Er ritt geradewegs auf die Villa zu, brachte sein Pferd zum Stehen und hielt eine kleine Ansprache auf gotisch. Ich bekam seinen Namen mit und auch meinen eigenen, doch sonst kaum etwas. Einige Leute kamen aus der Villa heraus, dann gingen sie wieder hinein. Athanaric saß auf seinem Pferd und wartete.

»Etwas habe ich dir noch nicht erzählt«, sagte er plötzlich und wandte sich in seinem Sattel zu mir um. »Die edle Dame Amalberga hat sicherlich einige Krankenpfleger, die sie umsorgen, und das sind bestimmt Frauen. Sei ihnen gegenüber nicht allzu abweisend. Es gibt hier keine Ärzte, und die Säuglingspflege wird von Frauen, von Hebammen und Geburtshelferinnen wahrgenommen. Einige der weisen Frauen sind von vornehmer Geburt und allgemein geachtet. Geh nicht von der Voraussetzung aus, daß sie Sklaven sind.«

Ich war überrascht. Bevor ich etwas antworten konnte, öffneten sich die Türen der Villa von neuem, und ein Mann trat heraus, gefolgt von einer Schar bewaffneter Begleiter. Er war hochgewachsen und schlank, sehr blond, mit einem fast weißen Bart; seine kräftige Nase war sonnenverbrannt, und seine Augen waren von einem sehr hellen Blau, wie aus Glas. Er war in einen prächtigen Umhang mit dementsprechendem Purpursaum gehüllt und trug eine goldene Kette um den Hals. Der Gegenwert der Juwelen auf seinem Schwertknauf hätte eine ganze Familie auf Lebenszeit ernähren können.

Athanaric sprang von seinem Pferd herunter. »Vortrefflicher Frithigern!« rief er und trat auf den anderen zu. Die beiden Männer umarmten sich. Frithigern war hocherfreut, uns zu sehen. Als ich ihm vorgestellt wurde, schüttelte er mir die Hand und dankte mir in fehlerfreiem Griechisch für mein Kommen. Seine liebe Frau, sagte er, sei in der Tat krank; ihre Pflegerinnen hätten anfangs gedacht, sie werde sich erholen, doch inzwischen seien sie sich nicht mehr so sicher. Er hätte von mir gehört und sei äußerst dankbar (hier drehte er sich zu Athanaric um), daß sein edler Vetter bereit gewesen sei, mich herzubringen. Ob ich irgendwelche Erfrischungen brauchte, bevor ich der Patientin einen Besuch abstattete oder ob ich sie gleich sehen wolle? Seine Blicke ruhten einen Augenblick lang mit einem schwer zu deutenden Ausdruck auf mir.

»Ich würde es vorziehen, die edle Dame sofort zu sehen«, antwortete ich. Frithigern lächelte; offensichtlich hatte ich das Richtige gesagt. Er machte eine Handbewegung in Richtung auf seine Begleiter und bellte ihnen einen Befehl auf gotisch zu. Sie geleiteten mich fort. Als ich ging, nahm Athanaric Frithigerns Arm und begann ihm Fragen zu stellen.

Die Dame Amalberga befand sich in einem der größeren Räume im rückwärtigen Teil der Villa. Meine Begleiter blieben vor der Tür stehen und klopften. Wir hörten Frauenstimmen, die sich in schrillem Tonfall auf gotisch miteinander stritten. Einer meiner Begleiter klopfte noch einmal; eine Frauenstimme rief etwas, dann fuhr sie mit ihren Streittiraden fort.

Wir traten ein.

Der Raum war prachtvoll, aber sehr schmutzig. Über dem mit Mosaiken ausgelegten Fußboden lagen Binsen, der brokatene Überwurf des Bettes war blutbefleckt, und eine Schale mit Erbrochenem stand in der Ecke, daneben ein voller Nachttopf. Beide Gefäße waren von Fliegen umschwirrt. In der anderen Ecke stand ein Kinderbettchen, in dem ein Säugling lag und schlief. Die beiden Frauen, die sich miteinander stritten, standen mitten im Zimmer. Sie waren beide in mittlerem Alter. Die eine war klein und dunkelhaarig und trug eine einfache graue Robe aus Wolle; die andere war groß und blond, hatte einen schönen blauen Umhang um und trug viele Juwelen. Amalberga lag bewegungslos in dem großen Bett, sie war zwar wach, aber sehr erschöpft. Sie war eine schöne Frau, sehr blond, mit einem vornehmen Gesicht und etwa ein oder zwei Jahre jünger als ich. Sie war außerordentlich blaß; ihre Augen glänzten fiebrig. Ihre weißen Arme waren mit dick geschwollenen Blutegeln bedeckt.

Die kleine dunkelhaarige Frau keifte meine Begleitsoldaten an. Diese schrien zurück und deuteten auf mich. Ich verbeugte mich andeutungsweise vor der Dame. »Ich bin Chariton aus Ephesus«, sagte ich langsam auf Latein, »ein Arzt aus dem Feldlager Novidunum. Der höchst vortreffliche Athanaric hat mich hergebracht, um die edle Dame Amalberga zu behandeln.«

Es entstand ein ziemliches Durcheinander. Die kleine dunkelhaarige Frau schrie die Männer an, und diese murmelten etwas in ihrer barbarischen Sprache. Die blonde, juwelengeschmückte Frau starrte mich an, dann wurde sie rot und fragte mich auf Latein, ich möge ihr verzeihen, aber ob ich wirklich ein Eunuch wäre? (Bei den Goten sind Eunuchen unbekannt.) Als ich es bejahte, sagte sie, es sei sehr unschicklich, wenn ein Mann die Dame Amalberga anfasse. Die kleine dunkelhaarige Frau kreischte erneut, dann begann sie zu lachen. Später erfuhr ich, daß sie den Gedanken, ich sei ein Eunuch, lächerlich fand und vom ersten Augenblick an davon überzeugt war, ich sei eine Frau.

Plötzlich mischte sich Amalberga selbst ein. »Wenn du mir helfen kannst«, sagte sie mit fester, klarer Stimme und in gutem Griechisch, »dann bin ich dir sehr dankbar.«

»Ich werde mein Bestes tun«, entgegnete ich und trat an ihr Bett, um sie zu untersuchen. Die kleine Frau machte Anstalten, mich daran zu hindern, aber Amalberga wies sie mit ein paar scharfen Worten zurecht, und sie begnügte sich damit, die Begleitsoldaten aus dem Zimmer zu drängen. Ich fuhr mit meiner Untersuchung fort.

Zu meiner großen Erleichterung war Amalberga nicht sehr krank. Sie war fiebrig und litt Schmerzen, es war jedoch nichts, wovon sie sich nicht hätte erholen können. Aber sie hatte eine Menge Blut verloren, und die weise Frau, es war die mit den Juwelen, hatte darauf bestanden, »die Römer nachzuahmen« und sie zur Ader zu lassen, was sie noch weiter geschwächt hatte. Die dunkelhaarige Frau, eine Hebamme, war vernünftig genug, diese Prozedur abzulehnen. Dies war auch der Grund für ihren Streit gewesen.

Ich nahm der Kranken alle Blutegel ab und erklärte der weisen Frau währenddessen so taktvoll wie möglich, die Römer, die die Leute öfters schröpften, seien unwissende Quacksalber. Dann gab ich der edlen Frau etwas Honigwasser mit Opium – nur eine kleine Dosis auf einem Schwamm, da sie sich übergeben hatte. Ich veranlaßte die beiden Frauen, die Patientin aufzurichten und sie mit abgekochtem Wasser und einer Reinigungslösung zu waschen. (Sie weigerten sich, mich dies tun zu lassen; kein Mann, nicht einmal ein Eunuch, durfte die Frau des Herrschers an den intimen Stellen berühren!) Ich verabreichte ihr ein paar heiße Kompressen, um die Schmerzen zu lindern, und wies die Sklaven an, das Zimmer zu säubern. Inzwischen hatte das Opium seine Wirkung erzielt, deshalb gab ich Amalberga den Rest der Dosis in etwas Sauerhonig. Aufgrund der früheren Dosis, der Kompressen und des sauberen Bettzeugs, das ich ihr hatte geben lassen, damit sie sich wohler fühlte, gelang es ihr, das Opium bei sich zu behalten, und ein paar Minuten später war sie eingeschlafen. Sie war sehr müde gewesen, da die Schmerzen sie jedoch am Schlafen gehindert hatten, hatte sie sich seit ihrer Niederkunft vor einer Woche nicht richtig ausruhen können.

Die beiden Frauen waren hocherfreut, als sie jetzt so friedlich schlummerte, und lobten mich in den höchsten Tönen. Sie erfuhren, daß ich noch nichts gegessen hatte, und veranlaßten die Sklaven, mir etwas zu bringen. Dann fragte mich die weise Frau über das Opium und meine anderen Heilmittel aus. Wir packten gerade alles aus und unterhielten uns über Heilkräuter, als Frithigern und Athanaric an die Tür klopften. Ich saß mit einem Stück Brot in der einen und einer getrockneten Zaunrübe in der anderen Hand da, aber ich legte beides hin und sprang auf. Die Frauen taten das gleiche. Sie öffneten die Tür, flüsterten aufgeregt etwas auf gotisch und machten dabei Zeichen, leise zu sein.

Frithigern kam schweigend herein, stand da und starrte seine Frau an, die so friedlich dalag und schlief, die blonden Haare über das Kissen gebreitet. Er trat an das Bett, nahm eine ihrer Hände und küßte sie. Dann streichelte er ihre Haare, ging hinüber zu dem Kinderbettchen und sah nach dem Baby. Endlich sah er mich an. Wortlos nahm er die goldene Kette von seinem Hals und reichte sie mir. Er sah seine Frau noch einen Augenblick lang an, dann ging er wieder, ohne noch etwas zu sagen.

»Er liebt die Dame Amalberga sehr«, erzählte mir Athanaric, als wir drei Tage später heimritten. »Du hast dir nicht nur dieses goldene Geschmeide verdient, sondern auch eine lebenslange Freundschaft. Ich will doch hoffen, daß sie sich weiterhin gut erholt?«

»Mach dir deswegen keine Gedanken«, antwortete ich. Alles, was Amalberga wirklich gefehlt hatte, war absolute Ruhe und eine vernünftige Ernährung mit viel Flüssigkeit. Ich hatte es Frithigern gegenüber nicht so deutlich ausgesprochen, aber der wirkliche Grund für ihre Krankheit waren ihre Pflegerinnen gewesen. Als ich mich verabschiedete, saß Amalberga bereits aufrecht in ihrem Bett und wollte ihr Baby nähren. Auch sie hatte gefragt, ob es stimme, daß ich ein Eunuch sei. Als ich ihre Frage bejahte, erzählte sie mir, daß die Hebamme geglaubt hatte, ich sei in Wirklichkeit eine Frau. »Nein«, sagte ich, »bei den Römern können Frauen nicht Medizin studieren.« Bei diesen Worten runzelte sie die Stirn und sah mich überrascht an, dann lächelte sie. »Dann gibt es also tatsächlich etwas, worin wir euch überlegen sind.« Ich lachte und meinte, das könnte wohl so sein. »Nun gut, Chariton«, sagte sie, »ich danke dir für deinen Beistand für eine Fremde wie mich. Bitte nimm dies als Zeichen meiner Dankbarkeit.« Sie überreichte mir einen mit Perlen besetzten Ring. Ich erzählte ihr, ihr Gatte sei mir gegenüber bereits äußerst großzügig gewesen. »Dann laß mich ebenfalls großzügig sein«, bat sie lächelnd. »Ich möchte nicht von ihm übertroffen werden!« Ich erklärte ihr, ich sei durch ihre Genesung bereits reichlich belohnt, doch ich nahm den Ring an.

»Du brauchst dir ihretwegen keine Sorgen zu machen«, sagte ich jetzt zu Athanaric. »Und diese weise Frau Areagni ist einigermaßen vernünftig, zumindest solange sie nicht versucht, Xanthos zu imitieren. Ich glaube nicht, daß sie noch einmal Blutegel ansetzt. Es ist ein Jammer, daß sie nicht lesen kann; ich würde ihr gerne mein Exemplar des Hippokrates leihen.« Athanaric lachte stillvergnügt in sich hinein. »Ich dachte, dich beleidige schon allein der Gedanke daran, Frauen könnten die Kunst des Heilens ausüben.«

»Warum sollte ich so denken?« fragte ich, bevor mir klar wurde, daß ich mich auf ein gefährliches Terrain begab. »Es gibt massenhaft Hebammen in römischen Landen, und viele von ihnen sind sehr vernünftige und fähige Frauen«, fügte ich hastig hinzu. »Im großen und ganzen richten sie weniger Schaden an als solche Quacksalber wie Xanthos. Mit einer richtigen, auf Hippokrates fußenden Ausbildung könnten sie ebenso geschickt sein wie jeder beliebige Arzt.«

»Mit anderen Worten, der große Hippokrates ist so allmächtig, daß er selbst aus einer Frau einen Arzt machen könnte?«

»Wenn du es so ausdrücken willst«, antwortete ich, »meinetwegen.«

»Götzendiener!« sagte Athanaric mit freundlichem Spott.

»Nun, es ist gut, daß du mit der weisen Frau ausgekommen bist; sie werden eher geneigt sein, dich noch einmal zu rufen, wenn Areagni dich ebenfalls mag.«

»Dann mußt du also noch weiterspionieren?«

Athanaric fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. »Ich habe nicht spioniert. Ich habe mich mit dem höchst edlen Frithigern beraten. Ich benötige keinen Vorwand, wenn ich wiederkommen will, um mich noch einmal zu beraten.« Er ließ seine Hand sinken und sah mich einen Augenblick lang prüfend an, dann lächelte er. »Wenn ich dir erzähle, worüber wir beratschlagt haben, fällt es dann unter deine Schweigepflicht?«

»Natürlich«, erwiderte ich, überrascht darüber, daß er mir überhaupt etwas erzählen wollte.

»Es gibt da ein neues Volk, Menschen, die aus dem Nordosten, von jenseits des Landes der Alanen, gekommen sind. Sie bauen keine Häuser, und sie gehen niemals hinter einem Pflug her, aber sie leben genau wie die Alanen in Pferdewagen und verbringen die meiste Zeit ihres Lebens auf dem Rücken ihrer Pferde. Sie leben ohne Gesetz oder Religion, sind unzuverlässig gegenüber ihren Verbündeten, doch sie brennen vor Verlangen nach Gold und dem Hab und Gut ihrer Nachbarn. Und sie sind äußerst wilde Krieger. Man nennt sie die Hunnen. Und es gibt Tausende und Abertausende von ihnen. Die gotischen Greuthungen sind schon von ihnen besiegt worden, und König Athanaric hat die Terwingen gegen sie geführt – und verloren. Sie haben den nördlichen Teil des gotischen Dazien verwüstet, und viele Menschen sind durch sie umgekommen. Es heißt, es habe keinen Zweck, sich ihnen entgegenzustellen, und die einzig angemessene Reaktion sei die Flucht. Doch dann erhebt sich die Frage, wohin sollen die Menschen hier denn fliehen? Sie sind zwischen dem Fluß und den Hunnen eingepfercht, im Westen leben die Sarmaten, und östlich von ihnen liegt das Schwarze Meer. König Athanaric hat seine Grenzen befestigt, doch selbst er spricht ganz offen davon, in Sarmatien einzufallen und das Land in Besitz zu nehmen, falls die Verteidigungsanstrengungen erfolglos bleiben. Doch Frithigern hat eine andere Idee.« Athanaric lächelte, seine Hände rissen so lange an seinem Zügel, bis sein Pferd nervös zu tänzeln begann. Diese Idee erregte ihn offensichtlich. »Frithigern möchte die Terwingen nach Thrazien führen.«

Ich hielt den Atem an. »Er will einen Einfall wagen? Und das hat er dir erzählt?«

Athanaric schüttelte den Kopf und lachte. »Frithigern gegen Rom kämpfen? Er betet Rom geradezu an! Das mußt du doch gemerkt haben. Nein, er möchte seine Erhabene Majestät darum bitten, die Terwingen als verbündeten Staat in das Imperium aufzunehmen und ihnen etwas von den thrazischen Gebieten zu überlassen, die im Augenblick brachliegen. Dann könnte der Kaiser das Land mit einer Steuer belegen und gotische Rekruten für seine Armee einziehen.« Athanaric grinste mich an.

»Frithigern hat mich gefragt, ob ich glaube, daß dem Kaiser dieser Plan zusagen werde. Ich habe ihm nicht geradeheraus eingeräumt, daß ich mir der begeisterten Zustimmung des Kaisers sicher sei; ich habe nur zugesagt, die Angelegenheit dem obersten Palastbeamten des Kaisers vorzutragen und ihm die Antwort sobald wie möglich zu überbringen. Aber ich weiß zuversichtlich, daß der Kaiser ganz begeistert von dem Plan sein wird.«

»Und was ist mit König Athanaric?« fragte ich. »Wäre er denn damit einverstanden, ein Vasall Roms zu werden?«

»Niemals! Bis in alle Ewigkeit nicht.« Athanaric lachte und tat seinen Onkel mit einer Handbewegung ab. »Es ist Frithigerns Idee. Und Frithigern ist äußerst erpicht darauf, sie geheimzuhalten. Er möchte den größeren Teil seines Volkes über die Donau führen und König des Vasallenstaates werden. Du hättest wohl nicht gedacht, daß er so mächtig ist, nicht wahr? Wenn man ihn nach seinem Haus beurteilt, macht er eher den Eindruck eines gewöhnlichen Landedelmannes. Nun, er kann innerhalb von ein paar Tagen tausend Krieger um sich scharen. Wahrscheinlich wird er den Fluß bereits nächstes Jahr um diese Zeit überqueren.«

Eine Zeitlang schwiegen wir alle beide. Als Athanaric weiterritt, lachte er leise vor sich hin, und seine Augen leuchteten. Ich dachte über die Goten nach. Sie würden also den Fluß überqueren, die brachliegenden Landstriche Thraziens besiedeln und dem Kaiser Steuern zahlen! Der Gedanke daran verursachte mir ein unbestimmtes Unbehagen. Es konnte nicht zwei Mächte im Staat geben: Wenn der Kaiser die eine war, wo blieb da ein gotischer König?

»Wollen die Terwingen denn als Römer leben?« fragte ich Athanaric. »Ich weiß, daß sie Rom bewundern, aber es ist leichter, es aus der Entfernung zu bewundern, als direkt unter den Flügeln des Adlers zu hocken.«

»Natürlich wollen sie als Römer leben!« rief Athanaric irritiert. Jetzt erst wurde mir bewußt, daß ihn die Aussicht auf die in Thrazien siedelnden Goten begeisterte. Natürlich: Es war genau das gleiche, was sein Vater getan hatte und wozu er selbst erzogen worden war. Vielleicht dachte er, er werde eine Heimat haben, wenn der ganze Stamm herüberkäme.

»Du siehst sie von der anderen Seite der Donau aus und denkst ›edle Barbaren‹, nicht wahr?« sagte er. »Dabei ist nichts Edles an der Art und Weise, in der sie leben. Sie befinden sich fast ununterbrochen im Krieg – die Terwingen mit den Greuthungen, die Goten mit den Sarmaten und alle miteinander. Sie leben durch das Schwert, und sie werden von dem jeweils Stärksten beherrscht. Sebastianus nennt Lupicinus ungebildet, weil dieser noch nie etwas von Homer gelesen hat; Frithigern kann überhaupt nicht lesen, nicht einmal seinen eigenen Namen. Was wäre von deinem Hippokrates übriggeblieben ohne Bücher, he? Er wäre in Vergessenheit geraten, und du würdest wie Xanthos praktizieren, so wie du es von deinem Vater gelernt hättest. Du schaust auf Rom, und du erblickst eine Macht, die deine Freunde in Alexandria umgebracht hat; sie schauen auf Rom und erblicken eine Macht, die die Welt durch Gesetze, inneren Frieden und Gelehrsamkeit beherrscht. Von Armenien bis Britannien, von Afrika bis zum Rhein: eine Regierung, zwei gemeinsame Sprachen und tausend Jahre Kultur. Sieh uns an: einen griechischen Eunuchen aus Amida oder Ephesus und den Sohn eines gotischen Fürsten und einer illyrischen Edelfrau, wir unterscheiden uns in bezug auf unsere Muttersprache, auf unsere Sitten und Gebräuche, auf unseren Glauben – und doch sind wir beide Römer. Das zählt mehr als alles, was uns trennt; das sichert den Frieden. Warum sollten die Terwingen nicht Rom bewundern und unter seiner Herrschaft glücklich werden?«

Ich vermochte ihm keine Antwort zu geben. Ich beobachtete sein Gesicht und lauschte seiner Stimme, und plötzlich schienen die Worte nicht viel zu bedeuten. In seinen Augen war ein wunderbares Leuchten, und er sprach in diesem raschen, abgehackten Griechisch und jagte seine Worte mit der gleichen stürmischen Großartigkeit, mit der er seine Pferde ritt. Ich fühlte einen Kloß im Hals.

»Was ist los?« fragte Athanaric, und seine Begeisterung schlug in überraschte Besorgnis um.

»Nichts«, entgegnete ich. »Ich hoffe, du hast recht. Wann sind wir an der Donau? Ich bin kein Hunne; ich bin es nicht gewohnt, auf Pferderücken zu leben.«

Er lachte, und ich konzentrierte mich auf das Reiten. Es stimmte natürlich keineswegs, daß nichts los war. Ich hätte meine Symptome, eins nach dem anderen benennen können, allerdings hätte ich mich dazu auf eine andere Autorität als die des Hippokrates berufen müssen:

Nicht könnt’ ich mehr reden, Gelähmt war die Zunge, Heiß überlief’s mir die Haut, Der Blick ward mir dunkel, Die Ohren sausten, Schweiß brach aus, Es ergriff mich Zittern, Grüner bin ich als Gras, Fast glaub’ ich zu sterben.

O heiliger Jesus Christus, dachte ich, warum mußte mir das gerade jetzt passieren? Warum mußte es mir überhaupt passieren? Ich hätte es nicht geschehen lassen dürfen. Es kann nichts daraus werden, und ich vertraue ja Athanaric noch nicht einmal richtig. Niemals würde ich ihm zuliebe die Medizin aufgeben, selbst, wenn es ihn auch erwischen sollte. Aber wie konnte es ihn erwischen, da er mich die ganze Zeit nur als Chariton gekannt hatte? O Jesus Christus, wann hatte all dies angefangen? Denn ich wußte, daß da irgend etwas seit einiger Zeit in mir auf der Lauer gelegen hatte, doch erst als mein ganzer Körper seine Kraft spürte, gab ich vor mir selber von einem Augenblick zum andern zu, daß ich verliebt war.

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