12

Als ich Philon eine Woche später wiedertraf, machte ich mir immer noch Sorgen. Er hatte mich zum Abendbrot eingeladen, und wir hatten vereinbart, uns nach der Tagesarbeit auf dem Somaplatz zu treffen, da die meisten meiner Patienten im Westen der Stadt wohnten und die meisten der seinen im Osten. Als ich ankam, fand ich Philon auf den im Windschatten liegenden Trümmern des alten Museums sitzend vor. Wir machten uns sogleich auf den Weg und gingen in Richtung auf die Via Canopica. Einige Kinder spielten in den Ruinen des alten Museums; eine Ziege, die zwischen den Steinen graste, meckerte, als ihre Besitzerin mit dem Melkeimer auftauchte; ein paar Dirnen lächelten uns aus dem Schatten neben einem Weinladen zu; bei der Kirche des Alexanders wurden gerade die Lampen entzündet: Sie schimmerten safrangelb und silbern in der Dämmerung. Dann erscholl ein lauter Ruf und das Getrappel vieler Füße, die zum Klang einer Trommel marschierten. Ein Trupp Soldaten stürmte die Straße herauf, ihre genagelten Stiefel dröhnten auf dem Pflaster. Die Menschen wichen beiseite und beobachteten die Männer aus den Augenwinkeln; die Kinder hörten auf zu spielen; die Frau preßte den Kopf ihrer Ziege an die Brust, damit sie Ruhe gäbe; die Lampenanzünder verschwanden in der Kirche; selbst die Dirnen beobachteten das Geschehen ohne ein Lächeln und mit verkrampftem Gesichtsausdruck. Der Trupp marschierte vorbei, bog nach links ab und zog in Richtung auf die Zitadelle davon.

»Was glaubst du, wieviel Ärger es geben wird?« fragte ich Philon, als die Soldaten verschwunden waren und wir uns erneut auf den Weg machten. Ich brauchte nichts hinzuzufügen; er wußte, daß ich meinte: »Wenn Athanasios stirbt.«

Er seufzte. »Du weißt mehr darüber als ich. Du steckst mittendrin. Was wird denn deiner Meinung nach passieren?«

Einen Augenblick lang erwiderte ich nichts. »Die Regierung wird ihren eigenen Bischof schicken. Diesen Burschen Lucius«, meinte ich schließlich. »Und die Kirche wird ihn nicht akzeptieren. Es wird Aufstände geben und Verhaftungen. Eigentlich wollte ich wohl fragen, ob es möglich sein wird, mich nach wie vor um meine Patienten zu kümmern, ohne deswegen Ärger zu bekommen.«

»Ich weiß es nicht.« Philon sah mich mitfühlend an. »Das hängt wahrscheinlich eher von den Behörden ab als von deinen Patienten. Ich kann mir vorstellen, daß dir nichts passiert, falls du dich aus den aktuellen Streitigkeiten heraushältst und nicht so laut herausposaunst, daß du Flüchtlinge behandelst. Was könntest du denn sonst tun?«

Ich erzählte ihm von Athanarics Angebot.

»Amtsarzt in Rom?« fragte er. »Das war aber großzügig. Er muß sehr beeindruckt gewesen sein von dem, was er über dich in Erfahrung gebracht hat. Schau nicht so überrascht – natürlich hat er auch mich befragt. Er wollte schließlich Informationen über dich, nicht wahr? Er fragte oben am Tempel nach, und er fragte mich bei mir zu Hause aus. Ich glaube nicht, daß er irgend etwas entdeckt hat. Und ich glaube nicht, daß er aufgrund der Antworten irgend etwas vermuten könnte… Du willst sein Angebot also annehmen?«

»Nein. Ich traue Athanaric nicht über den Weg. Er kann sagen, was er will: Versprechungen kosten nichts. Er hat mir auch nicht eigentlich einen Posten versprochen, nur eine Empfehlung. Und warum sollten sie in Rom auf ihn hören? Er ist weder Römer noch Arzt; seine Empfehlung wäre nicht viel wert. Wahrscheinlich haben sie bereits genug Ärzte. Außerdem gefällt mir der Gedanke gar nicht, meine Patienten gerade in dem Augenblick, in dem sie mich am dringendsten benötigen, im Stich zu lassen.«

Philon zog an seiner Unterlippe und nickte, wobei er mich mit dem eigenartig verkniffenen Lächeln bedachte, das er immer dann aufsetzte, wenn ich etwas sagte, was er aus eigener Erfahrung nur allzugut kannte. »Nun«, fuhr ich fort.

»Es war nur… er hat mich eben nervös gemacht.« Philon lächelte. »Wer könnte dich deswegen tadeln? Was würde passieren, falls… falls die Behörden es herausfänden?«

Ich zuckte die Achseln. »Ich nehme an, sie würden mich einfach mit Schimpf und Schande nach Hause schicken. Und wenn ich erst einmal zu Hause wäre…« Ich zögerte und sah mich nach den geschlossenen Fensterläden und den wenigen Menschen um, die die breite Straße hinuntereilten. Niemand war in der Nähe, doch ich fuhr im Flüsterton fort: »Ich würde dort den Rest meines Lebens herumsitzen und Däumchen drehen. Ich müßte mir keine Gedanken wegen einer Ehe machen. Falls mich überhaupt noch jemand heiraten wollte, würde er von niederem Rang sein, der das Geld so nötig brauchte, daß es die Schande wettmachte. Aber selbst so jemand würde von mir verlangen, daß ich mich schicklich benehme. Ich würde niemals mehr ich selbst sein können.«

Einen Augenblick lang gingen wir schweigend nebeneinander her. Philon hatte die Augen niedergeschlagen. »Nun«, meinte er schließlich, »ich hoffe, du kannst dich aus allem heraushalten.« Wir näherten uns der Straße, in der sein Haus stand. An der Ecke blieb er stehen und sah mich an.

»Oh, ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen. Theogenes kommt auch – ja, schon wieder! Und mein neuer Assistent ist inzwischen ebenfalls da: Du wirst ihn beim Abendbrot kennenlernen.«

Ich hatte schon vor ein paar Wochen von diesem neuen Assistenten, den Philon da ins Auge gefaßt hatte, gehört und versucht, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber ich konnte nicht anders, ich war eifersüchtig auf ihn. Trotzdem brachte ich ein Lächeln zustande. »Natürlich, du brauchst schließlich jemanden, der dir bei deinen vielen Patienten hilft. Ich habe nie verstanden, warum du vor mir keinen Assistenten hattest.«

Er grinste. »Wirklich nicht? Ich will es dir erklären. Ich verdiene nicht viel Geld. Die meisten Assistenten sehen Geld als etwas sehr Nützliches an. Und selbst diejenigen, die nicht viel danach fragen, möchten gern bei jemandem in die Lehre gehen, der einen Namen hat, und sie glauben, daß jeder, der einen Namen hat, auch viel Geld verdient oder doch zumindest ein paar reiche oder vornehme Patienten hat.«

»Ich weiß«, erwiderte ich lächelnd. »Aber du bist ein genauso guter Arzt wie Adamantios – ein besserer sogar. Du hättest ebensogut Vorlesungen im Tempel halten und dir ein paar reiche und vornehme Patienten suchen können.«

Er kratzte seinen Bart. »Das stimmt wahrscheinlich. Aber als ich aus Tiberias fortlief, schloß ich einen Handel mit Gott. Du läßt mich Arzt werden, sagte ich zu ihm, und ich behandle jeden, der in Not ist und mache mir keine Gedanken darüber, ob er mich auch bezahlen kann oder nicht. Ich will die Heilkunst in deine Dienste stellen und sie nicht dazu benutzen, Ruhm oder Reichtum für mich selbst zu ergattern. Deshalb hatte ich nie Zeit für reiche und wichtige Patienten – und es kam auch niemals jemand angerannt und hat mich durch die ganze Stadt zu einem Patienten geschleppt, den ich gegen meinen Willen behandeln sollte. Nun ja, vielleicht werde ich schließlich doch noch berühmt.« Er grinste mich an. »Als der Arzt, der Chariton von Ephesus die Heilkunst lehrte.«

»Du machst dich lustig über mich.«

»Keineswegs! Was glaubst du wohl, warum Kritias zu mir und nicht zu Adamantios gekommen ist? Weil er davon gehört hat, daß ich dein Lehrer gewesen bin. Und er ist ein hart arbeitender, freundlicher junger Mann und wird sicherlich einen guten Arzt abgeben, obwohl er nicht so intelligent ist wie du. Armer Bursche, er kann es schon nicht mehr hören, daß man dauernd von dir spricht. Komm mit, ich will euch miteinander bekannt machen!«

Er ging jetzt, da wir in die Nähe seines Hauses kamen, schneller. Sein Blick hellte sich wieder auf, und ich ging in seinem Schlepptau und wünschte, ich wäre es wert, einen solchen Lehrmeister gehabt zu haben.

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