15

Der arianische Bischof Lucius traf Mitte Juni in der Stadt ein, beträchtlich früher als erwartet. Er hatte sich sofort aus Antiochia auf den Weg gemacht und brachte den kaiserlichen Schatzmeister Magnus mit sowie einige Briefe, die ihm die Befehlsgewalt über die Stadtwache verliehen – und er versicherte sich, genau wie Athanasios vorausgesagt hatte, der Truppen, bevor er sich endgültig in die Stadt wagte. Der ägyptische Heerführer befand sich zusammen mit Truppen aus den meisten der fünf ägyptischen Provinzen in Alexandria. Sobald Lucius von Bord seines Schiffes gegangen war, wurde der Hafen geschlossen, und jedes auslaufende Schiff benötigte einen Passierschein des Präfekten. Auch die Stadttore wurden geschlossen und streng bewacht; die Truppen marschierten von der Zitadelle in die Stadt hinunter und sicherten die Seeseite. Und dann streiften die Arianer durch die Stadt und hielten Ausschau nach Anhängern von Athanasios.

Sie ergriffen Erzbischof Petrus. Zwei Tage nach Athanasios’ Beerdigung hatte er – gewählt gemäß den Gesetzen der Kirche durch die Geistlichkeit und das Volk von Alexandria – den bischöflichen Thron von St. Markus bestiegen, doch seitdem war er fast ständig krank gewesen. Wahrscheinlich hatten ihm die lange Fastenzeit und das monatelange Warten voller Kummer und Angst mehr zugesetzt als irgendeine ernsthafte Erkrankung. Jedenfalls reagierte er auf das plötzliche Auftauchen der Arianer ziellos und unsicher; die Soldaten ergriffen ihn im bischöflichen Palast und schleppten ihn mit sich ins Gefängnis. Lucius bemächtigte sich des Thrones von St. Markus und geißelte die Kirche, über die er nun gebot.

Natürlich gab es Unruhen. So lange hatte ich davon gehört und nie welche erlebt; doch nun gab es jeden Tag Unruhen, die überall in der Stadt aufflackerten und von den Truppen immer auf der Stelle blutig niedergeschlagen wurden. An einem ruhigen heißen Tag zum Beispiel, wenn die Straßen mittags leer und kochend in der ägyptischen Sonne dalagen, kam von irgendwoher weit weg lautes Rufen. Der Lärm wuchs zu einem unbestimmten wimmernden Geheul an, einem unmenschlich klingenden Ton, der anschwoll und abebbte, näherkam oder in der Ferne verhallte. Menschen tauchten auf und rannten – dem Lärm entgegen oder fort von ihm, doch sie rannten wie wahnsinnig über die in der grellen Sonne blendenden Steine des Pflasters. Dann blieb ich, wenn irgend möglich, im Haus: in meinem eigenen Zimmer oder bei irgendwelchen Patienten. Die Truppen marschierten vorbei, die Harnische klirrten. Die Soldaten hielten ihre Schilder vor die Brust und schlugen auf jeden ein, den sie erblickten. Der Lärm verwandelte sich in lautes Geschrei, brach ab, verebbte in der stillen Mittagshitze. Dann ging ich hinaus und kümmerte mich um die Verwundeten. Am schlimmsten war es, als eine Menschenmenge versuchte, den Soldaten Petrus zu entreißen, der fortgeführt werden sollte. Damals hinterließen die Truppen 152 Tote in den Straßen und ich weiß nicht wie viele Verwundete, von denen ich viele behandelte. Ich vergaß alles, was ich über Krankheiten und komplizierte Arzneien wußte, und verbrachte den ganzen Tag damit, gebrochene Knochen zu schienen, Wundschocks und Quetschungen zu behandeln, Schwert und Messerwunden zu vernähen. Das Opium ging mir aus, und ich bekam kein neues mehr. Der Markt war die meiste Zeit über geschlossen. Ich verabreichte Nieswurz und lieh mir von Philon Arzneimittel; seine Patienten waren nicht in dem gleichen Maße betroffen. Dann begannen die Behörden, die Verhafteten zu verhören. Einige wurden hingerichtet, einige lediglich gefoltert und anschließend entlassen. Gerissene Muskeln und Sehnen, auf der Folterbank ausgerenkte Glieder, die Spuren von Peitschen, Ruten und Forken, verbrannte Haut, ausgerissene Zähne und ausgestochene Augen – alles mußte ich behandeln. Die Hospitäler waren geschlossen, die Mönche entweder verhaftet oder geflohen. Doch schließlich öffnete der Markt wieder, und ich konnte etwas Opium kaufen.

Theophilos bekamen sie nicht zu fassen. Der Dekan war während der ersten Verhaftungswelle in aller Stille untergetaucht und hatte sich in einem der vorbereiteten Verstecke eingerichtet. Von dort aus versuchte er, andere führende Anhänger von Athanasios aus der Stadt zu schmuggeln. Er ließ mich oft holen, um irgendwelche Patienten zu behandeln. Doch seine größte Sorge galt Erzbischof Petrus.

»Wenn sie ihn töten«, meinte er mir gegenüber, »haben wir keinen Erzbischof mehr, der nach den Gesetzen der Kirche geweiht ist, dann haben wir keine größeren Ansprüche mehr als die Anhänger des Lucius. Und unser Fall wird nur noch heikler, wenn wir das Westreich um Unterstützung bitten. Man wird uns schwerlich erlauben, eine Versammlung einzuberufen und einen anderen Erzbischof zu wählen. Wir müssen ihn da herausholen.« Doch Petrus wurde in der Zitadelle gefangengehalten, die auf Kap Lochias lag und von der übrigen Stadt durch eine Mauer getrennt war. Niemand hatte die Erlaubnis erhalten, ihn zu besuchen. Wir konnten nur hoffen, daß er noch am Leben war: Er bekleidete einen hohen Rang und konnte nicht ohne Gerichtsverfahren gefoltert oder hingerichtet werden. Und es gab nichts, dessentwegen er wirklich verurteilt werden könnte, deshalb war er wahrscheinlich noch nicht in Gefahr. Doch Theophilos’ Blick verdüsterte sich immer mehr. »Auch Bischof Paulus von Konstantinopel wurde ermordet«, sagte er. »Sie haben ihn sechs Tage lang ohne Essen oder Trinken in eine dunkle Zelle gesperrt; als sie nachsahen und ihn immer noch am Leben fanden, haben sie ihn erdrosselt. Aber ich glaube, Petrus würden sie nicht erdrosseln müssen. Sechs Tage würde er gar nicht überleben. Und wenn er stirbt, können sie sagen, er sei sowieso krank gewesen, und behaupten, sie seien schuldlos an seinem Tod.« Dann richtete Theophilos sich auf und sah mich mit einem schwachen Glänzen in den Augen nachdenklich an.

»Immerhin, vielleicht lassen sie ja seinen Arzt zu ihm. Nur um zu beweisen, daß es nicht ihre Schuld war, wenn er stirbt.«

»Sie würden mich durchsuchen«, wandte ich ein.

»Du müßtest ja überhaupt nichts bei dir haben«, erwiderte Theophilos und erwärmte sich immer mehr für den Plan.

»Jedenfalls nicht beim erstenmal. Es würde uns schon sehr helfen, wenn wir wissen, wo genau sie ihn festhalten.«

Ich sagte nichts. Petrus war mein Patient, und ich fühlte mich für ihn verantwortlich. Ich hatte den alten Mann gerne, und der Gedanke daran, daß er angekettet im Gefängnis lag und vielleicht dem Hungertod preisgegeben war, tat mir weh. Doch wenn man mich durchsuchte, würde man mich entlarven. Es wäre mein Verderben und würde der Kirche überhaupt nichts nützen, da ich unzweifelhaft sofort nach Ephesus gebracht würde.

»Was ist los?« fragte Theophilos ungeduldig. »Hast du Angst?«

»Ja«, sagte ich. »Ich bin nicht scharf darauf, gefoltert zu werden.«

»Wir würden dich hinterher aus der Stadt schaffen«, sagte er beruhigend. »Wir würden es nicht zulassen, daß sie dich einkerkern.«

Ich erwiderte nichts.

Theophilos schlug mit der flachen Hand auf sein Schreibpult, seine Augen funkelten ärgerlich. »Sieht so deine Treue zu deiner Kirche und deinem Erzbischof aus?« begehrte er zu wissen.

»Was spielt es denn für eine Rolle, ob du aus der Stadt fliehen mußt? Erzbischof Petrus kann von dir mit Fug und Recht erwarten, daß du ihm hilfst! Er ist dein geistlicher Vater, dein Freund, der dir, ich weiß nicht wie oft, Gastfreundschaft gewährt hat. Und er ist dein Patient, ich dachte, das zählt etwas in deinen Augen. Erachtest du deine Karriere für mehr wert als sein Leben?«

Ich stöhnte nur. Es war spät in der Nacht, und ich hatte den ganzen Tag lang Verwundete behandelt. Am Morgen waren zwei meiner Patienten an Blutvergiftung gestorben und diese Nacht würde wieder einer sterben. Ich fühlte mich schuldig und war beschämt, daß ich inmitten derartigen Leidens verschont geblieben war. Ich hatte an keinem Aufruhr teilgenommen, hatte nicht versucht, den Erzbischof zu befreien, hatte überhaupt nicht gekämpft; ich hatte mich in mein Zimmer eingeschlossen, bis es draußen wieder sicher war. Theophilos’ Worte verletzten mich.

»Was machen sie, wenn sie einen durchsuchen?« fragte ich ihn.

Wenn ein wichtiger Gefangener von seinem Arzt Besuch erhält, wird der Arzt nur sehr oberflächlich durchsucht. Ich hatte damit gerechnet, entkleidet zu werden, hatte gedacht, daß zumindest meine Kleider nach irgendwelchen geheimen Botschaften oder eingenähten Messern durchsucht werden würden, und heimlich hatte ich mir einen Penis gebastelt und am richtigen Platz befestigt, um jede tastende Hand zu täuschen. In Wirklichkeit beobachten die Gefängniswärter die Gefangenen die ganze Zeit über und verlassen sich darauf, auf diese Weise alles zu entdecken, was die Freunde des Gefangenen unter Umständen für ihn ins Gefängnis geschmuggelt haben.

Ich beantragte beim Präfekten eine Besuchserlaubnis für Petrus und erhielt einen Brief, der mich zu einem Besuch ermächtigte. Die Zitadelle war schwer bewacht; als ich mich am Tor zeigte, wurde mein Schreiben sorgfältig geprüft, bevor ich durchgelassen wurde. Dann mußte ich im Wachraum auf einen Begleitsoldaten warten. Ich war noch nie zuvor in der Zitadelle gewesen. Durch das Fenster des Wachraums sah ich auf die breiten Straßen, auf die Säulen aus Marmor und Vulkangestein vor den öffentlichen Gebäuden und auf die hochgewachsenen, grünen Dattelpalmen hinter den Mauern der Privatgärten. Es war hier sehr viel ruhiger als in der Stadt.

Schließlich erschien eine von Petrus’ Wachen, ein stämmiger Soldat, der einen schwarzen Umhang über seinem Harnisch aus Bronze und Leder trug, beäugte mich mißtrauisch und prüfte mein Erlaubnisschreiben. Dann nickte er und führte mich in die ruhige Straße hinaus. Es stellte sich heraus, daß der Erzbischof in einem der Wachtürme gefangengehalten wurde, die den Großen Hafen überblicken. Mein Begleitsoldat brachte mich dorthin und übergab mich einer anderen Wache, die meinen Brief noch einmal prüfte. Nachdem er sich das Siegel genau angesehen hatte, durchsuchte er meine Medizintasche und ließ mich dann hinauf, um Petrus zu besuchen.

Der Erzbischof wurde in einem ziemlich großen Raum festgehalten. Das Fenster war vergittert, sonst aber hätte es jeder beliebige Raum in einem Privathaus sein können, ein sauberes, weißes Zimmer mit einem in roten und weißen Ziegeln ausgelegten Fußboden, einem Bett, einer Ruhebank, einem Nachtgeschirr und einem Schreibpult, allerdings gab es keinerlei Bücher oder Papyri. Als ich hereinkam, lag Petrus auf dem Bett, und zwei weitere Wachsoldaten saßen auf einer Bank und würfelten. Die Hände des Erzbischofs waren zusammengekettet, und die Kette war an einem Stützbalken an der Wand befestigt. Aber es war eine ziemlich lange und nicht sehr grobe Kette mit einigermaßen geschmeidigen Gliedern. Ich hatte eine Menge Verletzungen behandelt, die von starren Ketten verursacht worden waren, und deshalb war ich sehr froh.

»Chariton!« rief Petrus aus, als ich hereinkam. Er richtete sich auf und sah mich strahlend an. »Sei gesegnet, mein lieber Bruder! Ich habe schon gedacht, ihr hättet mich völlig vergessen!«

»Sei gegrüßt, Heiligkeit«, erwiderte ich und küßte seine Hand.

»Niemand hat dich vergessen. Wie geht es dir?«

Es ging ihm nicht allzugut. Er hatte ein wenig Fieber und eine leichte Dysenterie und machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Ich untersuchte ihn gründlich und empfahl ihm klare Brühe gegen seine Dysenterie. Da die Wachsoldaten zuhörten, konnte ich ihm nicht viel erzählen, ich versicherte ihm jedoch, daß seine Freunde an ihn dächten und für ihn beteten.

»Und ich bete für sie«, antwortete er. »Ich habe einiges gehört, was passiert ist.« Er schwieg einen Augenblick und starrte seine Fesseln an, dann blickte er mit Tränen in den Augen auf. »Ich wünschte, Thanassi hätte mich nicht zum Nachfolger ernannt. Ich bin es nicht wert, auf dem erzbischöflichen Thron zu sitzen. All diese Menschen, die meinetwegen Marterqualen erleiden. Ich habe schon jetzt versagt.«

»Du warst krank«, erwiderte ich. »Es ist zu früh, um von Versagen zu reden. Und du weißt ganz genau, daß auch Athanasios gesagt hat, er sei unwürdig und hätte den Thron niemals besteigen sollen. Du bist also in guter Gesellschaft.«

Er schüttelte den Kopf. »Thanassi war anders. Er fürchtete sich davor, was die Macht ihm antun würde und was er mit ihr tun würde, doch er wußte stets, wie er sie erringen und benutzen mußte. Er versuchte, dem Thron zu entgehen – er ließ sich sogar nach Konstantinopel schicken, als Erzbischof Alexandros im Sterben lag – doch niemand zweifelte je daran, daß er zum Nachfolger bestimmt war. Ich dagegen! Ich kann nicht mal auf mich selbst aufpassen, gar nicht zu reden von Rat und Hilfe für andere, die sich in Not befinden. Der Thron hätte an Theophilos gehen sollen.«

Ich bemerkte, daß die Wachen bei diesen Worten aufmerkten, aber ich lächelte nur und sagte: »Seine Heiligkeit hat dich ernannt, und du wirst doch zugeben, daß er im allgemeinen recht gut wußte, was er tat. Nur Mut! Wir werden tun, was wir können, um deine Lage ein bißchen angenehmer zu gestalten.«

»Kannst du mir eine Kopie der Heiligen Schrift oder einige Evangelien zukommen lassen?« fragte er. »Ich habe hier nichts zu lesen, und es ist schwer, dem Glauben treu zu bleiben, wenn der Geist müßig ist.«

Ich versprach ihm, die Behörden darum zu bitten, und wurde aus dem Raum geleitet. Bevor ich die Zitadelle verließ, wurde ich in der Residenz des Präfekten in einen kleinen Raum geführt und von zwei Beamten lange Zeit verhört. Einer von ihnen war ein Notar, der sich von allem, was ich sagte, Notizen in Kurzschrift machte. Sie wollten etwas über Theophilos und einige der anderen Geistlichen in Erfahrung bringen. Ich tat so, als glaubte ich, sie seien aus der Stadt geflohen. Sie boten mir ein Bestechungsgeld an, das ich mit vielen Entschuldigungen und mit der Bemerkung ablehnte, ich sei bloß ein Arzt und niemand habe mir auch nur die geringsten Informationen anvertraut. Ich erzählte ihnen alles über Athanasios’ Krankheit und über den Gesundheitszustand von Petrus, und gab ihnen eine Fülle medizinischer Einzelheiten, die sie gar nicht wissen wollten. Dann erwähnte ich Petrus’ Bitte um Bücher, mißbilligte diese leicht und spielte, so gut ich konnte, den selbstgefälligen Arzt. Sie schickten jemanden zu dem Präfekten hinein, um ihn danach zu fragen, und er ließ mir ein Papyrus zukommen, das mich dazu ermächtigte, Petrus eine Sammlung der Evangelien zu bringen. Schließlich ließen mich meine Befrager gehen. Die Wache führte mich zum Tor der Zitadelle zurück; die schweren Türen wurden geöffnet, und ich befand mich wieder in der heißen, lärmenden, jedermann zugänglichen Stadt. Ich seufzte erleichtert auf und mußte mich erst einmal einen Augenblick lang setzen, um mich zu beruhigen. Erst jetzt, da die ganze Tortur vorüber war, konnte ich mir selbst eingestehen, welche Angst ich gehabt hatte.

Als ich sicher war, daß mich niemand verfolgte, ging ich zu Theophilos und erzählte ihm alles über das Gespräch. Er war sehr erfreut. »Ein Wachturm«, sagte er. »Wenn wir ihn da herausholen könnten, wäre es keine große Sache, ihn in ein Boot zu verfrachten und aus der Zitadelle zu schaffen. Wenn wir ihm auf irgendeine Weise Geld bringen und die Wachen bestechen können… ja, das hast du sehr gut gemacht, Chariton. Danke.«

»Möchtest du, daß ich die Stadt jetzt verlasse?« fragte ich ein wenig ängstlich.

»Nein, tu das nicht! Sie werden dich im Augenblick sicherlich beobachten und würden mißtrauisch, wenn du jetzt verschwindest. Geh einfach deinen üblichen Pflichten nach; ich werde dir eine Nachricht zukommen lassen, wenn ich eine Möglichkeit sehe, den Erzbischof herauszubekommen.«

»Was ist mit den Büchern?«

»Ach ja! Ich werde dir Petrus’ eigene Sammlung von Evangelien schicken lassen, und du kannst sie morgen in der Zitadelle abgeben. Oder vielleicht… kann ich deinen Passierschein einmal sehen?«

Ich händigte ihm das Stück Papyrus aus, und er las es sich durch, dann faltete er es zusammen und steckte es lächelnd in seine Geldbörse. »Dieser Brief ermächtigt den Überbringer, einige Evangelien in dem Haus, in dem Petrus gefangengehalten wird, abzugeben. Ich werde ihn einem der Freunde des Bischofs geben. Dann kann er jemanden schicken, der die Bücher heute abend abgibt.«

Er saß einen Augenblick still da und starrte auf einen der Siegelringe an seiner Hand; er drehte ihn vor und zurück, dann sah er mich wieder an und lächelte erneut. Es war ein seltsames Lächeln. »Wie kann ich dich erreichen, falls ich dich kurzfristig warnen muß?« fragte er.

Ich sagte ihm, ich würde eine Liste meiner Patienten zu Hause hinterlegen, und er nickte. Dann dankte er mir noch einmal, und ich ging.

Zwei Tage später kehrte ich spätabends nach Hause zurück. Es schien niemand da zu sein. Die Tür war unverschlossen. Ich ging hinein und rief nach den Nonnen, aber keine Menschenseele antwortete. Ich machte mich auf den Weg nach oben. Als ich im zweiten Stock angelangt war, öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer, und ein Soldat blickte auf mich herab. Ich blieb stehen, er rannte die Stufen herunter und packte mich am Umhang.

»Chariton von Ephesus?!« fragte er und kam mit seinem Gesicht ganz nahe an das meine heran. Das Weiße seiner Augen hatte eine gelbliche Färbung angenommen, und unter dem bronzenen Visier seines Harnischs hatte er eine gebrochene Nase.

»Ja«, sagte ich. »Was ist los?«

Er schnaubte verächtlich und zog mich ohne eine Antwort die Stufen hinauf. Mein Zimmer war durch meine eigenen Öllampen und eine zusätzliche Fackel hell erleuchtet. Zwei weitere Soldaten durchsuchten meine Sachen. Derjenige, der mich festhielt, schob mich durch die offene Tür, dann kam er nach und schloß die Tür hinter sich. »Hier ist er«, sagte er zu seinen Kameraden. »Immerhin ist er nicht abgehauen.«

»Ich habe Patienten besucht«, erzählte ich ihnen und versuchte, die Fassung zu bewahren. »Wer seid ihr, und was wollt ihr? Ich habe nichts Schlechtes getan.« Ich versuchte, selbstsicher zu klingen, aber ich hatte Angst. Ich glaubte nicht, daß man mich nur deshalb bestrafen könnte, weil ich der Arzt eines bestimmten Mannes gewesen war. Aber Bischof Lucius war zu allem fähig.

»Petrus von Alexandria«, sagte der Soldat, der mich gepackt hielt. »Wo ist er?«

Ich starrte ihn an. Theophilos hatte mir versichert, daß er mich aus der Stadt schaffen und nicht zulassen würde, daß sie mich erwischten. Es konnte ihm doch noch nicht gelungen sein, Petrus zu befreien? Er hätte es mir doch sicherlich erzählt, bevor er etwas dergleichen in Szene setzte? »Er ist… er ist im Gefängnis«, sagte ich. »In der Zitadelle. Dort habe ich ihn vorgestern noch besucht.«

Die Soldaten grinsten höhnisch. »Das wissen wir. Du warst der einzige von seiner Sippschaft, der ihn dort besucht hat. Wo ist er jetzt?«

»Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht.«

Einer der Soldaten packte mich und drehte mir die Arme auf den Rücken. Ein anderer schlug mir zweimal mitten ins Gesicht. Ich war wie betäubt und drauf und dran, in Ohnmacht zu fallen, doch der Schmerz in meinen Armen brachte mich wieder zu mir. »Heiliger Jesus Christus«, sagte ich.

»Hör mit dem Beten auf«, sagte der Soldat und versetzte mir einen Stoß in den Magen. Ich krümmte mich vor Schmerzen; der andere ließ mich los, und ich fiel auf den Fußboden. Der Soldat versetzte mir zwei Fußtritte, einen in die Rippen und einen zwischen die Schenkel; wenn ich wirklich ein Mann gewesen wäre, wäre ich ohnmächtig geworden, aber auch so tat es höllisch weh. Ich schrie auf, und der Soldat hinter mir ergriff mich und zerrte mich wieder hoch, wobei er mir die Arme verdrehte.

»Ich bin ein Mann von vornehmer Abkunft«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. »Das könnt ihr nicht tun.« Ich zitterte fürchterlich und fühlte, wie mir etwas das Kinn herunterrann: Wahrscheinlich bluteten meine Lippen.

»Du? Eunuchen sind Sklaven.«

»Ich bin frei geboren und stamme aus guter Familie!«

»Du bist ein dreckiger, arschleckender Sklave des Athanasios!« antwortete einer der Soldaten. Aber sie schlugen mich nicht mehr. Es ist ungesetzlich, Männer von edler Geburt zu foltern, und die »gute Familie« eines Opfers konnte einen Soldaten ruinieren.

»Sobald er im Kerker ist, werden wir überprüfen, wer er ist«, sagte der Chef der Soldaten zu den anderen. »Fesselt ihn.«

Sie fesselten mir die Hände mit einem langen Lederriemen auf dem Rücken zusammen, wobei sie das eine Ende herabhängen ließen, um mich daran festzuhalten. Dann stießen sie mich in die andere Ecke des Zimmers, um mich aus dem Weg zu haben, und fuhren damit fort, meine Sachen zu durchsuchen. »Bei Kybele!« rief einer der Soldaten aus. »Was für ein Haufen Bücher!«

Der Hauptmann zog die Abhandlung des Athanasios über die Menschwerdung des Wortes heraus und schnaubte verächtlich; einer der anderen hielt den Galen in die Höhe. Das Buch öffnete sich auf der Seite, auf der die Abbildungen des Herzens und der Lungen zu sehen waren, und der Soldat glotzte sie mit offenem Mund an. »Ist das Magie?« fragte er seinen Vorgesetzten nervös.

»Das ist ein medizinischer Text über Anatomie«, warf ich eilig ein.

Der Soldat sah mich finster an und hielt das Buch an die Fackel, um zu sehen, ob es brennen würde.

»Nein!« schrie ich laut auf. »Bitte nicht! Es ist sehr wertvoll!«

Daraufhin betrachteten sie es nachdenklich und mit größerem Respekt. »Nimm es lieber als Beweis mit«, meinte der Hauptmann. »Die Briefe ebenfalls.«

So packten sie all meine Bücher und die paar Briefe auf dem Schreibpult in die Kleidertruhe. Sie nahmen mir auch meine Medizintasche weg und legten sie obendrauf. Sie suchten nach Geld, aber ich bewahrte nicht viel in meinem Zimmer auf: Ich hatte alle meine Wertsachen nach wie vor bei meinem Geldhändler. Sie nahmen das verstreut herumliegende Kleingeld und steckten es in ihre Taschen. Dann stießen sie mich die Treppe hinunter. Während zwei von ihnen die Truhe schleppten und dabei über das Gewicht der Bücher fluchten, hielten mich die anderen an dem Riemen fest, mit dem meine Handgelenke gefesselt waren. Sie zerrten mich die Treppe hinunter und durch das leere Haus, die Straßen entlang und in das Gefängnis der Zitadelle.

Der Arzt eines Erzbischofs hat kein Anrecht auf eine Einzelzelle; ich wurde in das normale Gefängnis geworfen, in dem sich schon etwa zwanzig andere Männer und Frauen befanden. Meine Wächter führten mich bei Fackellicht hinein, dann standen sie einen Augenblick lang unschlüssig da und suchten etwas, woran sie mich festbinden konnten. Das Gefängnis war dunkel, die Wände waren aus unbehauenen Steinen; auf dem Fußboden lag eine dünne Schicht schmutzigen Strohs voller Flöhe. Erschrockene Augen blickten verwirrt in das Licht der Fackeln. Ein paar vor Schmutz starrende Körper richteten sich mühsam auf, duckten sich vorsichtig lauernd wieder zusammen und beobachteten uns, während andere Gefangene völlig erschöpft in einer Ecke lagen und schliefen. Man hörte das Klirren von Ketten, ein leises Stöhnen. Der ganze Raum stank. Es gab lediglich einen Graben entlang der Mauer, der als Latrine diente; er war übersät mit Fliegen. So spät in der Nacht konnten die Gefängniswärter keine Ketten mehr für mich suchen. Sie fanden einen freien Ring, der in die Mauer eingelassen war, stießen einen der Schläfer mit dem Fuß zur Seite, zerrten mich dorthin und befestigten den Lederriemen daran. Ein Wärter versetzte mir einen Fußtritt gegen die Beine, so daß ich in das Stroh fiel. »Man wird dich morgen verhören«, sagte er, »und auf die Folterbank spannen, falls du wirklich ein Sklave bist. Wegen der Ketten können wir uns dann immer noch Gedanken machen.« Er und seine Kameraden marschierten mit den Fackeln hinaus und ließen den Kerker im Dunkel.

Ich hatte keine Zeit, lange dort zu liegen und mich zu fragen, was eigentlich geschehen war. Sobald die Wachen gegangen waren, fingen die anderen Gefangenen an, Fragen zu stellen: Wer war ich? War ich ebenfalls um des Glaubens willen eingesperrt worden? Stimmte es, daß Erzbischof Petrus entkommen war? Dann begann eine der Gefangenen aufgeregt zu rufen. Erschrocken erkannte ich selbst durch meine Erstarrung hindurch ihre Stimme: die Nonne Amundora. »Er hat unseren Herrn gerettet, Erzbischof Petrus!« berichtete sie den anderen.

Sie erzählte ihnen alles über mich: Ich sei ein fremder Eunuch, der nach einer göttlichen Offenbarung des Erzbischofs Athanasios zum nizäischen Glauben bekehrt worden sei. Ich sei dem Pfad der wahren Religion und des Asketentums gefolgt, habe die Armen umsonst behandelt und den Heiligen der Kirche gedient. Ich hätte Erzbischof Petrus besucht und ihm bei seiner Flucht geholfen. Sie selbst war schon im Verlaufe des Tages verhaftet worden, kurz nachdem die Behörden sich angeschickt hatten, nach mir zu suchen. Und jetzt saß sie durch meine Schuld in diesem schmutzigen Kerker, ohne zu wissen, wo ihre Schwestern waren. Aber daran dachte sie nicht. Sie plapperte vor sich hin und ließ eine fromme, leidenschaftliche Rede voller Bewunderung für mich vom Stapel. Sämtliche Gefangenen priesen nun meine Kühnheit und sprachen mir und auch sich gegenseitig als Märtyrer Mut zu. Ich fühlte mich aufgrund der Schläge und auch vor Angst schrecklich elend. Falls die Behörden Amundoras Geschichte Glauben schenkten, folterten sie mich vielleicht sogar, selbst wenn sie entdeckten, daß ich eine Frau war.

Einem Gefangenen gelang es, den Lederriemen an meinen Handgelenken so weit zu lockern, bis das Blut mit einem brennenden Schmerz in meine Hände zurückfloß. Als die anderen Gefangenen zur Ruhe gekommen waren und außer dem gelegentlichen Stöhnen oder dem Klirren einer Kette Stille im Raum herrschte, saß ich erschöpft, aber hellwach in dem schmutzigen Stroh. Ich dachte daran, die Wachen zu rufen und ihnen zu erzählen, daß ich nicht Chariton war, ein nizäischer Arzt, sondern Charis, die Tochter des Theodoros von Ephesus, deren Vater sie belohnen würde, wenn sie mich nach Hause schickten.

Aber ich schämte mich, fortzulaufen. Ich war nicht jenes junge Mädchen von edler Geburt. Ich war es niemals wirklich gewesen. Der Gedanke, in das Haus meines Vaters zurückzukehren, glich dem Gedanken, lebendig verbrannt zu werden, oder vielmehr dem, wie ein Säugling in Kissen erstickt zu werden. Mein Leben war die Heilkunst. Je länger ich sie studierte, desto mehr liebte ich sie. Nichts konnte faszinierender oder aufregender sein als die verzwickten Geheimnisse des menschlichen Körpers, nichts wundervoller als die Gewißheit, ein Leben gerettet zu haben. Nein, ich wollte meine Verstellung als Eunuch so lange wie irgend möglich aufrechterhalten, bis sie mir tatsächlich die Kleider vom Leibe rissen, um mich auf die Folterbank zu spannen. Aber vielleicht kam es ja gar nicht dazu. Vielleicht konnte ich die Behörden davon überzeugen, daß ich von Petrus’ Verschwinden auch nicht mehr wußte als sie selbst.

Als das graue Licht der Morgendämmerung durch die schmalen Schlitze in der gegenüberliegenden Wand sickerte, erwachte ich. Meine Prellungen taten höllisch weh, ich hatte entsetzlichen Durst, und meine neu erworbene Sammlung von Flohstichen juckte. Jetzt, da es hell war, sah ich, daß mehrere meiner Mitgefangenen bereits befragt worden waren: Ihre Körper waren von der Peitsche gezeichnet, ihre Glieder von der Folter verrenkt. Sie erwachten, bemerkten meine entsetzten Blicke und erzählten mir stolz, die Folterer hätten etwas über den Verbleib der Kirchenführer wissen wollen und außerdem verlangt, daß sie verschiedene Verbrechen gestehen, um sie hinrichten zu können. Keiner von ihnen hatte sich dazu bereit gefunden.

Etwa eine Stunde nach Tagesanbruch vernahm man ein Klicken von Metall und zwei Wachsoldaten kamen herein. Sie stellten einige Becher mit Wasser für die Gefangenen hin, dann suchten sie sich mehrere zum Verhör heraus, lösten ihre Ketten von der Wand und schleiften sie wortlos hinaus. Die übrigen Gefangenen begannen für die Opfer zu beten. Die Wachsoldaten bedachten sie mit Flüchen und versetzten einem oder zweien Fußtritte, dann gingen sie hinaus und verriegelten die Tür.

Ich konnte nicht einmal das Wasser in dem Becher erreichen, den die Wachsoldaten in meiner Nähe abgestellt hatten. Der Lederriemen war zu kurz. Ich überlegte, ob es irgendeine Möglichkeit gab, den Folteropfern zu helfen, doch mir fiel nichts ein. Es war sinnlos, den Leidenden zu raten, ihre Wunden sauberzuhalten und sich auszuruhen: Das war in diesem feuchten und schmutzigen Gefängnis unmöglich. Deshalb saß ich einfach da und wartete darauf, daß die Soldaten mich holten und malte mir die Behandlungen aus, die ich anwenden würde, wenn ich mich frei bewegen könnte und meine Arzttasche bei mir hätte. Ich hatte Angst, über meine eigene Lage nachzudenken. Schließlich jedoch fielen mir keine Behandlungen mehr ein, und ich mußte den Tatsachen ins Auge sehen. Was sollte ich den Beamten sagen? Auf Theophilos’ Hilfe konnte ich nicht mehr hoffen. Ich mußte meine Rolle eines fähigen, aber etwas beschränkten Arztes, der von medizinischen Einzelheiten besessen ist und dem von den Kirchenbehörden keinerlei anderes Wissen anvertraut worden war, weiterspielen. Doch ob der Präfekt mir glauben würde, ohne mich vorher foltern zu lassen? Was hatte ihm Athanaric wohl über mich erzählt?

Ich erinnerte mich an all die Folteropfer, die ich gesehen hatte, und fühlte mich so elend vor Angst, daß ich fast alles übrige vergaß. Ich versuchte erneut zu beten, um Stärke zu bitten, und konnte es doch nicht. Ich durfte nicht in Panik geraten, dachte ich, es ist alles vorbei, wenn ich in Panik gerate. Verzweifelt begann ich, mir einige der Maximen des Hippokrates ins Gedächtnis zu rufen: Trotz meiner verzweifelten Lage fielen sie mir ohne weiteres ein. »Das Leben ist kurz und die Heilkunst lang.« Ich geriet nicht in Panik.

Gegen Mittag brachten die Gefängnisaufseher die Gefangenen zurück, zerrten diejenigen, die nicht gehen konnten, hinter sich her und ketteten sie wieder an. Dann blickten sie sich um, erspähten mich, schnitten den Lederriemen von der Wand und zerrten mich hinaus. Meine Beine waren eingeschlafen, und ich taumelte. Die übrigen Gefangenen begannen laut für mich zu beten, doch die Gefängniswärter schrien, sie sollten aufhören oder es werde heute kein Essen geben. Aber sie hörten nicht auf.

»Halsstarrige ägyptische Schweine«, sagte einer der Wächter und versetzte mir einen Fußtritt, um seinen Empfindungen Erleichterung zu verschaffen.

Ich wurde aus dem Gefängnis geschleppt und durch die still daliegenden Straßen der Zitadelle zur Präfektur geführt. Es war ein schönes Gebäude, mit marmornen Säulen an der Vorderseite und von Gärten rings umgeben. Meine Wächter führten mich durch das mit Fliesen ausgelegte Atrium mit seinen Mosaiken der vier Jahreszeiten, durch einen Hof voller Pfirsichbäume und schließlich in eine Amtsstube. Es war ein großer Raum, der Fußboden war mit wunderschönen Mosaiken von Delphinen ausgelegt, die Wände waren mit Szenen städtischen Lebens bemalt und mit Wandteppichen behängt. Nach all den Aufständen und den Soldaten und dem Gefängnis kam mir diese ganze Pracht beinahe wie ein Traum vor. Der Präfekt Palladios lehnte sich auf einer Ruhebank aus Zedernholz zurück und leerte gerade einen Becher Wein. Er war frisch gebadet und trug einen grünen Umhang mit einem Purpurstreifen. Er war ein Mann mittleren Alters, ein Illyrier. Ich war ihm ein paarmal im bischöflichen Palast begegnet, wo er anfangs Athanasios und dann Petrus einen Besuch abgestattet hatte. Auf der neben ihm stehenden Ruhebank saß ein anderer Mann, ein magerer, nervös aussehender Mensch mit einem Kropf, lockigen braunen Haaren und großen, ruhelosen Händen. Sein Umhang hatte ebenfalls einen purpurnen Saum. An seinem Finger trug er einen goldenen Siegelring mit dem Löwen des Apostels Markus. Athanasios hatte ihn getragen, später Petrus. Dann war dies also Lucius.

Hinter diesen beiden saß der Notar, der nach meinem Besuch bei Petrus alles protokolliert hatte. Er hatte seine Schreibtafel vor sich liegen und hielt seinen Griffel in der Hand; er blickte auf und nickte den Soldaten zu. Sie salutierten. »Der Eunuch Chariton von Ephesus«, verkündeten sie, und alle Anwesenden richteten ihre Blicke auf mich. Ich muß wie ein Verbrecher ausgesehen haben. Ich trug den alten schwarzen Umhang, der einst Theophilos gehört hatte und auf den sich das Blut oder das Erbrochene mehrerer Patienten ergossen hatte, und meine besudelte blaue Tunika, die im Gefängnis völlig verdreckt war. Außerdem war ich über und über mit getrocknetem Blut und Kot bedeckt. Ich wußte, daß ich stank; der Präfekt verzog seine Nase vor Ekel. Ich konnte mein eines Auge nicht richtig öffnen; es war von den Schlägen der vergangenen Nacht angeschwollen. Ich stand zwischen meinen beiden Wächtern, meine Hände waren mir auf dem Rücken gefesselt. Ich blickte auf den Fußboden.

»Hm, ja«, sagte der Präfekt. »Also, Eunuch, hast du eine Ahnung vom Verbleib des falschen Bischofs Petrus von Alexandria?«

»Er war im Gefängnis, hier in der Zitadelle«, erwiderte ich.

»Ich habe ihn hier vor drei Tagen besucht. Ich wollte ihn in den nächsten Tagen noch einmal besuchen.«

»Wo wolltest du ihm denn deinen Besuch abstatten?« warf Lucius ärgerlich ein.

»Im Gefängnis der Zitadelle«, antwortete ich ruhig. »Wenn er jetzt nicht mehr da ist, dann weiß ich nichts davon.«

»Ketzer und Lügner!« rief Lucius aus und setzte sich aufrecht hin, eine plötzliche Röte überzog seine mageren Wangen. »Du hast dafür gesorgt, daß er Geld erhalten hat, das in einem Buch versteckt war! Du hast ihm diese Bücher geschickt, damit er seine Wärter bestechen und schließlich entkommen konnte!«

»Was?« fragte ich und starrte ihn an.

Der Notar hüstelte und sah auf seine Notizen. »Der Gefangene erbat für den falschen Bischof einige Evangelien; der vortreffliche Palladios gab dieser frommen Bitte nach und schrieb eine Bestätigung aus, in der dem Gefangenen die Bücher gewährt wurden.«

»Ja, ich habe um einige Bücher für Erzbischof Petrus gebeten, aber…«

»Er gesteht es!« rief Lucius triumphierend aus.

»… aber Petrus hatte mich selbst darum gebeten; ich dachte, er wollte ganz einfach etwas zu lesen. Ich weiß nichts weiter davon. Ich habe sie ihm nicht gebracht, ich habe seine Bitte nur an seine Freunde weitergegeben.«

»Welche Freunde?« fragte der Präfekt geduldig.

Ich zögerte, dann nannte ich die Namen einer Reihe reicher Laien, die die Kirche unterstützt hatten, von den Gerichten jedoch nicht belästigt worden waren.

Der Präfekt schüttelte den Kopf. »Wo befindet sich der Dekan Theophilos?« fragte er.

»Ich weiß es nicht. Ich dachte, er sei aus der Stadt geflohen.«

»Junger Mann«, sagte der Präfekt feierlich und stellte seinen Weinbecher ab, »das führt zu nichts. Wir haben von deiner Forderung gehört, aufgrund deiner vornehmen Geburt von der Folter befreit zu werden, doch die Stellung eines jeden Eunuchen ist höchst fragwürdig. Irgendwann einmal mußt du ein Sklave gewesen sein. Ich werde nicht zögern, dich auf die Streckbank zu spannen, falls du dich weigerst, mit uns zusammenzuarbeiten und uns alles zu erzählen, was du weißt.«

»Ich weiß überhaupt nichts«, erwiderte ich und fror plötzlich.

»Ich bin nur ein Arzt.«

»Und ein fanatischer Anhänger des Athanasios!« rief Lucius heftig. »Laßt ihn auspeitschen, dann werden wir sehen, ob er immer noch schweigt! Es bringt nichts, mit diesen Leuten vernünftig reden zu wollen!«

Plötzlich schwang die Tür auf und hereinspaziert kam der Agent Athanaric, gefolgt von einem nervösen Schreiber.

»Vortrefflicher«, sagte er und nickte dem Präfekten zu. »Heiligkeit«, ein Nicken in Richtung von Lucius. Und: »Ich grüße dich, Chariton!« zu mir. Wir sahen uns einen Augenblick lang an, dann wandte sich Athanaric wieder dem Präfekten zu. »Vortrefflicher, ich hoffe, du wirst mir verzeihen, wenn ich mich einmische, aber ich habe ein Interesse an diesem Gefangenen. Darf ich mich dazusetzen?«

Der Präfekt nickte, und Athanaric ließ sich auf der nächstgelegenen Ruhebank nieder, wobei er sich auf das äußerste Ende setzte, um genügend Bewegungsfreiheit für sein Schwert zu haben.

»Ich wußte gar nicht, daß du in Alexandria bist«, sagte ich. Es sollte sich nicht wie eine Anklage anhören, aber es klang doch so.

»Oh, ich habe dem vortrefflichen Präfekten eine Botschaft überbracht«, meinte Athanaric leichthin. »Bist du in diese Fluchtgeschichte verwickelt?«

»Ich war der Arzt von Erzbischof Petrus«, sagte ich, froh darüber, meinen Standpunkt genau darlegen zu können.

»Während er im Gefängnis saß, bin ich zu ihm gegangen, um ihn zu untersuchen. Aber ich hatte nichts damit zu tun, Geld zu ihm hineinzuschmuggeln. Ich habe ihm lediglich etwas klare Brühe verordnet und seine Bitte nach einigen Evangelien weitergegeben.«

»Nun, da siehst du es ja!« sagte Athanaric an den Präfekten gewandt. »Gibt es irgendwelche Beweise dafür, daß er diese Bücher selbst hineingeschmuggelt hat?«

Sämtliche Anwesenden sahen Athanaric ziemlich verwundert an. Am meisten verwundert aber war ich. Ich dachte, er sei gekommen, um gegen mich auszusagen, um dem Präfekten davon zu berichten, daß ich seine Bestechungsversuche zurückgewiesen hatte. Statt dessen schien er sich dazu entschlossen zu haben, mich zu verteidigen. Der Präfekt Palladios machte plötzlich einen etwas weniger selbstsicheren Eindruck.

»Er ist einer dieser verdammten Fanatiker«, warf Lucius ein.

»Er würde alles tun, um die Partei der Ketzer zu unterstützen.«

Athanaric schnaubte verächtlich. »Er ist ein Fanatiker, ganz recht. Seine Wahrheit wurde dem Propheten Hippokrates offenbart, dem eingeborenen Sohn des Gottes der Heilung, dessen Wort sein Gesetz ist – ausgenommen vielleicht, was die Dosierung von Nieswurz anbetrifft, über die Chariton seine eigenen ketzerischen Ansichten hegt. Ich bitte euch, ihr habt sein Zimmer durchsucht. Habt ihr irgendwelche Evangelien, Psalter, theologischen Abhandlungen gefunden?«

Der Notar überprüfte seine Liste. »Bischof Athanasios’ Über die Menschwerdung des Wortes. Alles andere…« Mit einem raschen Blick überflog er den Zettel. »Alles andere sind medizinische Texte. 62 an der Zahl.«

»Nicht einmal eine Epistel?« fragte Athanaric.

Der Notar schüttelte den Kopf und lächelte ein verkniffenes kleines Lächeln. »Vortrefflicher«, wandte er sich an den Präfekten, »ich bin geneigt, die Einschätzung des höchstgeschätzten Agenten bezüglich des Gefangenen zu teilen. Ich war bei seiner Befragung im Anschluß an seinen Besuch bei dem entwichenen Gefangenen dabei, und alles, worüber er sprach, war die Verdauung von Bischof Petrus. Und was seine persönliche Korrespondenz anbetrifft, so enthielt die Habe des Gefangenen nur dies hier! Und das ist alles andere als belastend.«

Der Notar hielt ein Stück Papyrus in die Höhe. Athanaric nahm es ihm ab. »Was ist das? Ein Brief?« Ich sah, daß es Thorions Brief war, sein letzter: Es war die Antwort auf meinen, in dem ich ihm über Athanasios’ Tod berichtet hatte, jedoch vor Lucius’ Ankunft in der Stadt. »›Theodoros, Sohn des Theodoros an Chariton aus Ephesus‹«, las Athanaric vor.

»›Viele Grüße‹ usw. usw…. Hier!«

Ich höre, daß Bischof Athanasios ein Patient von dir war und daß du ihn nicht im Stich lassen konntest. Bei Artemis! Jetzt ist er tot, und du tätest gut daran, dir ein paar weniger umstrittene Patienten zu suchen oder, noch besser, welche, die gar nicht umstritten sind. In Alexandria gibt es jetzt bestimmt einigen Ärger. Charition, ich möchte nicht, daß du darin verwickelt wirst. Es gibt doch wirklich kaum jemanden, der sich weniger für diese ganzen verdammten theologischen Streitfragen interessiert, warum schmeißt du nicht alles hin und kommst zu mir nach Konstantinopel? Maia würde außer sich vor Freude sein, dich wiederzusehen.

Athanaric ließ den Brief sinken und sah mich abschätzend an.

»Ein verständiger Mann, dein Freund. Warum hast du nicht auf ihn gehört?«

»Petrus war ebenfalls mein Patient«, sagte ich. »Und noch viele andere. Und die Hospitäler waren geschlossen. Es gab sonst niemanden, der sie behandelte.«

Athanaric händigte den Brief wieder dem Notar aus. »Dieser Mann hier«, sagte er und deutete auf mich, »ist ein sehr guter Arzt und nichts weiter. Als ich ihm lange vor Bischof Athanasios’ Tod Bestechungsgelder für Informationen anbot, wußte er nicht, wofür er sie ausgeben sollte. Ich habe die Angelegenheit überprüft und nichts herausfinden können, als daß er die Heilkunst praktiziert, Bücher über medizinische Fragen liest, zu Vorlesungen über Medizin geht und mit seinem alten Lehrer, der nicht einmal Christ ist, über medizinische Probleme redet. Nach allem, was ich weiß, verbringt er den Rest seiner Zeit damit, über Medizin nachzudenken und von Medizin zu träumen. Er gehört nicht zu deinen Fanatikern, Heiligkeit. Wenn einige von Erzbischof Petrus’ Freunden es für ihre Zwecke ausgenutzt haben, als er ihnen von der Bitte des alten Mannes berichtete, war dies nicht sein Fehler. Ich glaube nicht, daß er irgend etwas von dieser Sache wußte.«

»Er hat sich mitten in diesem Vipernnest der Ketzerei aufgehalten«, entgegnete Lucius eigensinnig. »Er kannte all die Männer, die wir schnappen wollen. Selbst wenn er nicht in das Komplott zur Befreiung des falschen Bischofs verwickelt war – ich glaube jedoch nach wie vor, daß er es war! –, muß er wissen, wo sich Theophilos und diese anderen Schlangen verstecken. Ich möchte mein Leben darauf verwetten, daß er die Hälfte der Flüchtlinge behandelt hat, die der gerechten Strafe entgehen wollten und diese Stadt verlassen haben, und ich wäre nicht überrascht, wenn er diesen falschen Bischof Petrus auch nach seiner Flucht noch gesehen und behandelt hat. Auf die Folter mit ihm!«

Palladios zögerte, dann nickte er widerwillig mit dem Kopf. Er wandte sich an mich. »Willst du sprechen, Eunuch, oder muß ich dem Vorschlag des allerfrömmsten Erzbischofs folgen?«

Wieder unterbrach ihn Athanaric. »Was auch immer er von diesem oder jenem Flüchtling wissen mag, er würde seinen hippokratischen Eid auf keinen Fall brechen«, meinte er. »Der ist für ihn wichtiger als ein kaiserlicher Erlaß. Ich glaube nicht, daß er dir etwas sagen würde, es sei denn, du foltertest ihn bis zum Äußersten. Und, vortrefflicher und barmherziger Palladios, ich bitte dich, das nicht zu tun. Mir zu Gefallen.«

»Warum verteidigst du diesen… diesen kastrierten Ketzer?« fragte Lucius ihn wütend.

»Weil er mir das Leben gerettet hat«, erwiderte Athanaric gelassen. »Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich an einem Fieber gestorben. Und da, wo wir herkommen, sind wir der Meinung, daß uns dies zu Schuldnern macht.«

»Blutschuld!« sagte Lucius. Er erhob sich und grinste Athanaric hämisch an. »Ein heidnischer Gedanke; ein barbarischer Gedanke; törichte und wertlose gotische Gefühlsduselei!«

Athanaric wurde rot. »Vielleicht. Aber ich ziehe sie deiner römischen Grausamkeit vor, allerchristlichster Erzbischof.« Er wandte sich wieder dem Präfekten zu. »Darüber hinaus, vortrefflicher Palladios, könnte dieser Chariton dem Staat von großem Nutzen sein, wenn du ihn am Leben läßt. Falls du ihn auf der Folter tötest, verrät er dir vielleicht ein paar wertlose Namen von Leuten, die wahrscheinlich längst auf und davon sind, bis du nach ihnen suchen läßt. Doch wenn er am Leben bleibt, könnte er ein Werkzeug sein, die Armeen ihrer geheiligten Majestäten zu stärken, und außerdem eine Möglichkeit für dich, deinen Amtsgenossen in Thrazien einen Gefallen zu erweisen.«

»Wieso?« fragte Palladios, und es war ihm förmlich anzusehen, wie er die Ohren spitzte. »Was soll das heißen?«

»Schicke ihn zur Arbeit in ein Militärhospital«, erwiderte Athanaric.

»Warst du einmal in einem Hospital an der Donaufront? Die Ärzte in derartigen Hospitälern sind unfähige Quacksalber. Ich wußte nicht, wie schlecht sie sind, bis ich einem wirklichen Anhänger des Hippokrates begegnete wie unserem Gefangenen hier. Sie bringen mehr Männer um, als sie gesund machen. Aber hippokratische Ärzte wollen eben nicht in Militärhospitälern irgendwo am Ende der Welt arbeiten. Sie verbringen ihre Zeit lieber damit, die gereizten Nerven irgendwelcher Damen zu besänftigen, oder sie behandeln vielleicht sogar den alexandrinischen Pöbel und überlassen unsere Soldaten den Schlächtern und Zauberern. Nun, ich kenne den Heerführer von Skythien; er wäre hocherfreut, einen guten alexandrinischen Arzt zu bekommen, einen Absolventen des Museums, der ihm sein Hospital auf Vordermann bringt. Wenn du einen Vertrag aufsetzen willst, vorzüglichster Palladios, und Chariton willigt ein, ihn zu unterschreiben, hättest du das Vergnügen, dir den Heerführer Sebastianus zum Schuldner zu machen, den Interessen des Staates zu dienen und deine Stadt von einem Anhänger der athanasischen Partei zu befreien, und das alles auf einmal.«

Palladios atmete hörbar aus, seufzte und sah mich nachdenklich an.

»Warum solltest du ihn laufen lassen?« begehrte Lucius zu wissen, der merkte, daß er drauf und dran war, das Spiel zu verlieren, und nur noch wütender wurde. »Er weiß bestimmt etwas über unsere Feinde. Laß ihn foltern, und dann warten wir ab, ob er spricht.«

»Laß ihn foltern, laß ihn auspeitschen, laß ihn töten!« rief Palladios gereizt und drehte sich zum Erzbischof um. »Das ist alles, was du sagen kannst. Ich schwöre bei allen Göttern, ihr Bischöfe seid blutdürstiger als irgendwelche barbarischen Menschenfresser! Wozu soll es denn gut sein, einen Arzt umzubringen? Der höchst edle Athanaric hat recht: Der Eunuch ist von größerem Nutzen, wenn er Soldaten in Thrazien zusammenflickt. Nun gut, Chariton aus Ephesus«, erneut wandte er sich mir zu und überließ es Lucius, vor Wut an seinen Nägeln zu kauen und ihn mit aufgebrachten Blicken zu traktieren. »Wärest du bereit, einen solchen Vertrag zu unterschreiben?«

Ich fühlte mich sehr wacklig in den Knien und mußte mehrmals schlucken, bevor ich antworten konnte. Ich hatte das ganze Ausmaß meiner Angst erst gespürt, als ich zu hoffen begann, ich könne noch einmal davonkommen. »Nichts lieber als das«, sagte ich schließlich.

Es war nicht ganz klar, wer für das Aufsetzen des Vertrages, der mich zu einem Armeearzt machte, zuständig war. Schließlich wurde der Notar in das Büro des ägyptischen Heerführers geschickt, der solche Dinge mit dem Steuereinnehmer zu erledigen pflegte. Ich mußte warten, bis der Vertrag kam; Athanaric blieb die ganze Zeit über bei mir, als traue er Lucius zu, mich in der Zwischenzeit foltern zu lassen.

Der Raum, in dem wir warteten, war eine kleine Kammer im rückwärtigen Teil der Präfektur. Er wies eine Bank an jeder Wand auf und ein Fenster, aus dem man die Gärten der Präfektur überblicken konnte. Die Wächter begleiteten mich dorthin, diesmal ohne brutale Härte. Als wir ankamen, schickte Athanaric sie wieder fort. Erstaunlicherweise stellten sie sein Recht dazu nicht in Frage; sie gingen ganz einfach. Ich setzte mich schwerfällig hin, mußte mich aber nach vorne lehnen, weil meine Hände immer noch gefesselt waren. Athanaric bemerkte es und grinste; er holte sein Messer heraus und schnitt den Lederriemen durch.

»Ich danke dir«, sagte ich und untersuchte meine Handgelenke, die ganz wundgerieben waren. Meine Hände zitterten. »Ich danke dir vielmals.« Er zuckte die Achseln; ich bekam die Geste gerade mit, als ich mich zurücklehnte und den Blick wieder hob. »Sind meine Schulden jetzt beglichen?« fragte er.

»Es hat zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Schulden gegeben«, versicherte ich ihm. »Ein Arzt weigert sich niemals, einen Kranken zu behandeln. Außerdem hättest du dich von diesem Fieber auch ohne meine Hilfe erholen können.«

»Hätte ich das? Soll ich zurückgehen und ihnen das erzählen?« Er lachte, als er die Angst in meinen Augen sah. »Es hat durchaus eine Schuld gegeben. Übrigens, ich mag Leute, die Bestechungsgelder zurückweisen. Das ist vielleicht unprofessionell, wenn man bedenkt, wie sehr ich auf Informationen angewiesen bin, aber ich kann nichts dafür. Und ich mag es nicht, wenn ehrliche Leute gefoltert werden, nur weil sie ihren Freunden die Treue halten. Vor allem mag ich es nicht, wenn sie von blutdürstigen Bischöfen gefoltert werden. Du dachtest, ich wäre gekommen, um ihnen zu helfen, nicht wahr?«

»Ich wußte, daß du ihnen in der Vergangenheit geholfen hast.«

»Meine Aufgabe besteht darin, dem Hof Informationen zuzutragen und vom Hof Verordnungen zu überbringen. Ich mache keine Politik, und ich lüge den erlauchten obersten Palastbeamten seiner Erhabenen Majestät nicht an. Deshalb muß ich aber nicht jede Handlungsweise gutheißen, die irgendein Diener seiner Erhabenen Majestät ausbrütet und in die Tat umsetzt.«

Ich sah ihn vor mir, wie er mit der Neuigkeit von Athanasios’ Tod davon geritten war. Wenn er nicht so schnell geritten wäre, wäre Lucius vielleicht noch nicht hier, und Petrus wäre niemals ins Gefängnis geworfen worden. Dennoch konnte ich mir vorstellen, daß er Grausamkeiten haßte. Und er hatte mein Leben gerettet, zumindest mein Leben als Arzt. Das wollte immerhin etwas heißen. »Wie sind Militärhospitäler?« fragte ich. »Muß ich für zwanzig Jahre unterschreiben?«

»O nein!« sagte er und beantwortete die zweite Frage zuerst. »Ärzte werden nicht angeworben und auch nicht dienstverpflichtet; die Anstellungsverträge sind unterschiedlich. Wir werden dich wahrscheinlich für etwa zehn Jahre einstellen, damit du Lucius nicht mehr über den Weg läufst. Die Hospitäler sind in ihrer Art ziemlich einheitlich, sie haben eine etwas strengere Dienstordnung als eure kirchlichen Hospitäler hier. Ich nehme an, man wird dich nach Novidunum schicken. Es ist eine große Festung an der Donau, und das dortige Hospital ist besonders schlecht. Unter den Soldaten heißt es, es sei besser, sich die Kehle durchzuschneiden und es damit gut sein zu lassen, als nach Novidunum ins Hospital zu kommen. Es wird dich in Trab halten.« Er hielt inne, dann fügte er hinzu:

»Wahrscheinlich werde ich dich dort von Zeit zu Zeit besuchen. Meine hiesige Aufgabe ist erfüllt, und ich habe eine Menge Verbindungen in Thrazien; sogar ein paar Verwandte. Normalerweise bin ich dort stationiert. Du siehst also, es liegt in meinem ureigensten Interesse, das Gesundheitswesen in jener Region zu verbessern.«

Ich lächelte über diese Bemerkung. »Ich werde tun, was ich kann.«

Einen Augenblick lang saßen wir schweigend da, dann fragte Athanaric: »Da wir beide Alexandria verlassen, könntest du mir jetzt vielleicht verraten: Worin bestand denn nun die göttliche Offenbarung des Erzbischofs Athanasios in bezug auf dich?«

»Es war etwas Persönliches«, sagte ich.

»Und das möchtest du mir nicht erzählen. Nun schön, dann muß ich eben das Schlechteste annehmen. Dein Gewissen war durch ein schreckliches Verbrechen belastet, und der Erzbischof ließ dich zur Buße Mönche behandeln. Jetzt muß ich nur noch erraten, was das für ein Verbrechen war. Hast du Hippokrates etwa ein Werk des Herophilos zugesprochen?« Er machte bei dieser Vorstellung einen so fröhlichen Eindruck, daß ich trotz allem lachen mußte. »Versuch nur, ein bißchen zu raten«, sagte ich. »Danke dir noch einmal.«

Загрузка...