21

In jener Nacht hielten mich die Qualen der Begierde jedenfalls nicht wach: Ich war ganz einfach zu erschöpft. Als ich aufwachte, empfand ich noch mehr Glück, aber auch mehr Muskelkater als am Morgen zuvor. Wir hatten ein äußerst vergnügtes Frühstück und machten uns auf den Weg. Athanaric sah so aus, als hätte er nicht ganz so gut geschlafen wie ich, aber auch er war glänzender Laune und fing beinahe sofort an, von unserer Hochzeit zu sprechen.

»Wir werden damit warten müssen, bis wir alle notwendigen Vereinbarungen mit deinem Bruder getroffen haben«, meinte er.

»Wirklich?« fragte ich und hielt nicht viel von dieser Vorstellung. Eigentlich fühlte ich mich bei dem Gedanken, Athanaric zu lieben, glücklicher als bei dem Gedanken, ihn zu heiraten. Aber er würde wohl darauf bestehen, daß bis zu unserer Hochzeit alles ehrbar und schicklich zuging. Wenn eine Leidenschaft ihre Erfüllung findet, ist das eine Sache, eine ganz andere aber ist es, eine Hochzeit mit all den finanziellen Abmachungen und gesetzlichen Regelungen zu arrangieren.

»Es muß alles offiziell und ehrbar sein«, erklärte Athanaric mit Nachdruck. »Nachdem alles so unkonventionell angefangen hat, brauchen wir soviel offizielle Bestätigung wie irgend möglich.«

»Verdammte Ehrbarkeit.«

»›Rumoresque senum severiorum, omnes unius aestimemus assis! Da mi basia mille!‹«

»Zur Hölle mit der Ehrbarkeit, und lieber tausend Küsse für dich? Nur allzugern. Von wem ist das?«

»Von Sebastianus’ Lieblingsdichter. Von Catullus.«

»Vielleicht sollte ich doch noch lateinische Dichter lesen.«

»Ach, am Ende verlor sie die Ehrbarkeit, und er verlor sie. Wir brauchen den offiziellen Status. Ich möchte nicht, daß ihn hinterher jemand in Frage stellt, auch nicht mein eigener Vater, falls er sich dazu entschließt, wie ein Trottel zu reagieren. Außerdem wirst du deine gesamte Mitgift brauchen, wenn du ein Hospital gründen willst.«

Das leuchtete mir ein. Ich würde über meine Mitgift verfügen können, und die Anregung, damit ein Hospital zu gründen, stammte dann von ihm. Ich lachte und versuchte, mir ein eigenes Hospital vorzustellen.

»Wir werden eine durch und durch ehrbare Hochzeit feiern, mit dem Segen der Kirche. Und auf den heidnischen Brauch, die Braut wie eine Gefangene fortzukarren, können wir verzichten. Wir werden sehr feierlich zum Altar schreiten und im Namen der heiligen Dreifaltigkeit und der göttlichen Heilkunst und des Sankt Hippokrates geloben, einander ewig zu lieben. Und dann werde auch ich den Eid des Hippokrates schwören.«

»Warum denn das?«

»Damit du mir nichts mehr voraushast. Wie lautet er doch?

›Ich werde meine Kunst dazu benutzen, zu heilen und niemandem zu schaden, ich werde keusch sein…‹«

»Nun übertreibst du aber!«

»Keine Angst. Dann werden wir nach Hause gehen. Ich nehme irgendwo eine Dauerstellung mit einem festen Standort an, und du bekommt dein Hospital. Wir werden ein großes Haus haben und werden es alle beide jeden Morgen verlassen, um unserer Arbeit nachzugehen.«

»Und meine Maia wird unsere Haushälterin sein«, spann ich den Faden weiter und fing an, mich darauf zu freuen. »Deine Maia? Hast du irgendwo noch ein altes Kindermädchen?« Ich erzählte ihm von Maia und wie sehr sie sich immer gewünscht hatte, für meine Kinder die Großmutter zu spielen.

Athanaric lachte. »Wir werden Kinder haben!« rief er begeistert aus. »Die Jungen können in den Staatsdienst treten, und die Mädchen können von ihrer Mutter die Heilkunst erlernen.«

»Und was ist, wenn die Jungen die Heilkunst erlernen wollen?«

»Ich glaube, ich würde es erlauben.«

»Und was ist, wenn die Mädchen in den Staatsdienst treten wollen?«

»Ich werde ihnen sagen, sie sollen sich die Haare abschneiden und sich als Eunuchen verkleiden.«

Ich lachte. »Und wo wollen wir uns niederlassen, um eine solche Familie aufzuziehen?«

»Armenien? Alexandria? Ephesus? Rom? Wir haben das ganze Kaiserreich zur Auswahl. Es wartet nur auf uns.« Er schwang seinen Arm einmal herum, nach Osten und Süden und Westen, als wolle er das wüste und ausgestorbene thrazische Land fortwischen und mir die große, strahlende, glitzernde Welt zu Füßen legen. Übermütig lachte ich erneut, und Athanaric und Arbetio lachten ebenfalls. Die Welt gehört uns, dachte ich. Die ganze Welt gehört uns.

Am späten Nachmittag jenes Tages erreichten wir Novidunum.

Ich war völlig erschöpft, und der Himmel verdunkelte sich, da ein Sturm heraufzog. Das Land um uns herum lag ruhig und verlassen da: flache, grüne und gelbe Weiden, brachliegende Felder und verwaiste Häuser, der Gesang der Zikaden in der heißen, schwülen Luft. Aber im Nordosten zogen bereits schwarze Gewitterwolken am Horizont auf. Endlich zügelte Arbetio sein Pferd und deutete nach vorn. In der Ferne ragten die Mauern Novidunums auf, türmten sich schroff über dem flachen Land empor und hoben sich gegen den dunkler werdenden Himmel ab. Trotz meiner Erschöpfung stieß ich einen Jubelruf aus, und wir trieben unsere müden Pferde zu einem raschen Trab an.

»Mit ein wenig Glück«, meinte Arbetio, »werden wir in dem Augenblick zu Hause sein, da der Sturm losbricht.«

Seit dem frühen Nachmittag waren wir auf der Hauptstraße in Richtung Norden geritten. Das Land um uns herum lag eben und offen da, so daß wir keinen Hinterhalt befürchten mußten. Jetzt sahen wir zum erstenmal, seit wir Carragines verlassen hatten, auf den Feldern grasende Kühe und Pferde, bewohnt aussehende Häuser: Falls die Goten hier angriffen, konnten ihre Bewohner in der Festung Schutz suchen.

Als wir nahe genug heran waren, um auf den steil aufragenden Mauern einzelne Gestalten ausmachen zu können, lenkte Athanaric sein Pferd von der Straße weg zu einem Apfelbaum in einem Obstgarten. Er schnitt ein paar grüne Zweige ab und händigte sie jedem von uns aus. »Auf diese Weise verstehen sie in der Festung, daß wir in friedlicher Absicht kommen«, sagte er. »Wir wollen schließlich nicht von unseren eigenen Leuten getötet werden.« So ritt ich also, meinen grünen Zweig zum Zeichen des Friedens in die Höhe haltend, wieder in die Festung ein, die ich anderthalb Jahre zuvor so sorglos verlassen hatte. Die Wachen standen mit erhobenen Schildern und wurfbereiten Lanzen auf ihrem Wachturm, und einer von ihnen forderte uns mit lauter Stimme auf, das Losungswort zu nennen.

»Wir kennen es nicht«, erwiderte Athanaric mit vernehmlicher Stimme und hob seine Hände zum Zeichen dafür, daß wir in friedlicher Absicht kamen. »Wir sind vor den Goten aus Carragines geflohen. Ich bin Athanaricus von Sardica, Curiosus der Agentes in rebus.« Er hielt sein Beglaubigungssiegel an der Kette in die Höhe. »Dies ist Arbetio, der Chefarzt dieser Festung. Und dies ist die Dame Charis, Tochter des Theodoros von Ephesus.«

Sie hatten allesamt zu uns heruntergesehen und Arbetio erkannt. Doch sobald Athanaric meinen Namen nannte, wandten sie ihre Aufmerksamkeit mir zu. Rufe ertönten, dann übermütiger Jubel. Jemand rannte herbei, um das Tor zu öffnen; die großen, eisenbeschlagenen Flügel schwangen auf, und wir ritten in die Festung ein. Ein Windstoß zerrte an den Torflügeln, als die Wachen sie hinter uns schlossen, und die ersten Regentropfen klatschten dick und schwer an den sicheren Schutz der Mauern. Und ein langes Lebewohl dir, Thrazien, dachte ich im stillen. Von hier aus werde ich mit dem Schiff den Fluß hinunter segeln und dann hinaus auf das Schwarze Meer, wo es keine Barbaren gibt.

Die Soldaten der Festung umringten uns. Jetzt konnte ich sehen, daß sie fast alle Rekonvaleszenten waren: Sie humpelten oder waren von Krankheilen ausgemergelt, einige hatten einen Arm in der Schlinge, andere liefen mit bandagiertem Brustkorb, Kopf oder Oberschenkel herum. Aber sie lachten und riefen uns fröhliche Willkommensgrüße zu. »Charis von Ephesus!« ertönte es. »Von den Goten geschnappt!«

»Und das hier für Frithigern!« schrie einer und machte eine obszöne Geste; sein Nachbar knuffte ihn in die Seite: »Denk daran, daß sie eine Edelfrau ist.« Mehrere ergriffen die Zügel meines Pferdes, und ich glitt schnell von ihm herunter und zog meine Röcke glatt. Ich brauchte den Anblick meiner geschundenen Beine ja nicht unbedingt der gesamten Festung zu bieten. Die Männer umringten mich, lachten, und ich fühlte mich ein wenig schwindelig; die Knie zitterten mir vor Müdigkeit. Ich klammerte mich an den Sattel meines Pferdes und lächelte etwas matt zurück. Athanaric lenkte sein Pferd in die mich umringende Menge.

»Tretet zurück!« rief er. »Die Dame braucht ein wenig Ruhe. Laßt sie durch, damit sie in ihr Haus gehen kann – aus dem Wege, ihr da!«

Ein wenig unsicher wichen sie zur Seite und liefen ziellos herum, dann rief jemand: »Antreten! Formiert euch!« Und im Nu stellten sie sich auf und nahmen Haltung an. Der Tribun Valerius eilte durch die Reihen. Seine Blicke überflogen die Menge, glitten über mich hinweg und blieben auf Athanaric haften. »Edler Athanaric!« rief er ungeduldig. »Hast du irgendwelche Nachrichten? Hat man den Kaiser gefunden? Sind unsere Leute gerettet? Ist Heerführer Sebastianus noch am Leben?«

Athanaric blickte verständnislos auf ihn. »Ich bin in einer privaten Mission hier. Was soll das heißen, ob man den Kaiser gefunden hat?«

Valerius blieb stehen und sah ihn bestürzt an. Ein Windstoß zerrte an seinem scharlachroten Umhang, ließ die Helmbüsche der Soldaten aufflattern und ein paar weitere Regentropfen prasselten herunter. »Hast du denn nichts gehört?« fragte er.

»Gehört, was?« fragte Athanaric zurück; dann drängender:

»Was ist passiert?«

»Die Barbaren haben einen großen Sieg bei Hadrianopolis errungen«, erzählte Valerius schwerfällig, und die Hoffnung schwand aus seinen Augen. »Der Kaiser wird vermißt, wahrscheinlich ist er tot. Und der größte Teil der Armee ebenfalls. Der Rest wird in Hadrianopolis von den Goten belagert. Ich hatte gehofft, du bringst bessere Nachrichten.«

Athanaric stieß einen Schrei tiefen Schmerzes und erschrockener Betroffenheit aus. Meine zerschundenen Beine weigerten sich, mich länger zu tragen, und knickten unter mir weg. Ich setzte mich auf den nackten Boden und fühlte mich krank und schwach. Athanaric sprang von seinem Pferd; die Ordnung der Soldaten geriet durcheinander, und sie umringten ihn, aber er scheuchte sie zur Seite und kniete neben mir nieder.

»Es geht mir gut«, beruhigte ich ihn. »Es sind nur die Beine, von dem vielen Reiten.«

Valerius tauchte vor uns auf und starrte erstaunt auf mich herunter.

»Chariton!« rief er aus. »Wie um alles auf der Welt…«

»Athanaric und Arbetio haben mich aus den Händen der Goten befreit«, berichtete ich.

»Arbetio? Er wurde vermißt; ich dachte schon, er sei desertiert.«

»Nein. Er war nur damit beschäftigt, eine römische Frau aus den Händen der Barbaren zu retten. Er hat all meine Dankbarkeit verdient, und ich bin sicher, auch diejenige meines Bruders, des Statthalters Theodoros, sowie die meines Freundes, des Heerführers Sebastianus. Ich hoffe, daß du, edler Valerius, seine einwöchige unerlaubte Entfernung gütigst übersehen wirst. Ich bin sehr müde. Mit deiner Erlaubnis werde ich mich in mein Haus zurückziehen und ein wenig ruhen.«

Valerius sah mich mit offenem Mund an, dann trat er einen Schritt zurück und nickte hilflos.

Athanaric half mir auf die Beine, und ich humpelte davon, wobei ich mich auf ihn stützte. Arbetio ließ seinen Patienten stehen und folgte uns. Irgend jemand, dachte ich bei mir, wird sich schon um die Pferde kümmern. Plötzlich gab es einen heftigen Blitzschlag, und es fing an zu regnen.

Bis wir bei meinem Haus waren, hatte sich die Nachricht von unserer Ankunft bereits durch die ganze Festung verbreitet und die Hälfte ihrer Einwohner folgte uns ungeachtet des inzwischen heftig niederströmenden Regens. Ich war froh, das Haus zu erreichen. Es war das neue Haus, das ich kurz vor meiner Gefangennahme gekauft hatte, und mein gesamter Hausstand wartete vor der Tür auf uns: meine Sklaven, Raedagunda und Sueridus, Gudrun, die das Baby auf dem Arm hielt (inzwischen war es bereits ein recht großes Baby), und Alaric (auch er war ganz schön gewachsen). Dazu eine kleine, rundliche, blonde Frau, die die Schlüssel an ihrem Gürtel trug. Ich war ihr nur ein paarmal begegnet, aber ich wußte, es war Arbetios Frau. Sie umarmte ihren Mann, ließ uns alle herein und schloß die Tür hinter uns. Ich setzte mich auf die Bank neben der Tür und lehnte mich an die Wand. Das Wasser rann mir die Haare herunter ins Gesicht und in die Augen, deshalb schloß ich sie. In der Dunkelheit hinter den geschlossenen Lidern sah ich das Land rund um Hadrianopolis, sah die Drachen und Adler der untergehenden Standarten und den blutbefleckten, kaiserlichen Purpur. Ich öffnete die Augen. Arbetios Frau stand vor mir und machte einen besorgten Eindruck.

Ich versuchte zu lächeln. »Sei gegrüßt, Irene. Es ist schön, zu Hause zu sein.«

Sie verbeugte sich. »Ja, vortreffliche Charis. Geht es der erlauchten Dame gut?«

»Ich bin sehr müde. Du hast die Zimmer nach meiner Gefangennahme sicherlich umgeräumt; kannst du mir bitte sagen, welches ich benutzen kann? Ich muß ein wenig ruhen.«

Ich raffte mich auf und stand tropfnaß auf dem mit Steinfliesen ausgelegten Küchenfußboden. Athanaric stand da und beobachtete mich, er war sehr blaß. »Liebster«, sagte ich, »bitte sei mein Gast heute nacht. Geh noch nicht ins Präsidium.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich muß die Neuigkeiten hören. Und ich sollte im Präsidium schlafen; es würde sich nicht schicken, hierzubleiben.«

Ich seufzte und blickte auf den Fußboden. »Dann komm wenigstens zum Abendessen.«

»Das will ich tun.« Er zog sich das eine Ende seines Umhangs über den Kopf und trat wieder in den Regen hinaus. Ich blickte hinter ihm her, biß mir auf die Zunge, dann torkelte ich ins Bett.

Ich schlief ein, während der Donner über den Dächern widerhallte. Als ich aufwachte, hörte ich nur noch den Regen, der stetig und prasselnd auf das Dach schlug. Es war inzwischen ziemlich dunkel, und ich lag da, ohne mich zu rühren, und starrte in die Finsternis. Bevor ich auf das Bett gesunken war, hatte ich meinen nassen Umhang und die Tunika abgestreift: Das Bettzeug fühlte sich weich an auf meiner Haut. Der Kaiser wurde vermißt, wahrscheinlich war er tot. Der Erhabene Gebieter, unser edler Valens, der Augustus und Herr der Welt, tot, gefallen im Kampf gegen die Goten. Ich hatte viele seiner Diener und Günstlinge gehaßt, ich hatte seine Politik gehaßt, und ich hatte manchmal geglaubt, ihn ebenfalls zu hassen. Aber als ich von seinem Tod hörte, fühlte ich nur Schmerz. Der Mensch spielte keine Rolle. Er war der Kaiser, er hatte den geheiligten Purpur getragen, hatte die Welt, in der ich lebte, beherrscht, und sein Tod ließ den Staat ziel und kopflos zurück. Er war nicht der erste Kaiser, der im Kampf gegen die Barbaren fiel, selbst im Verlaufe meines Lebens, aber er war der erste, an den ich mich erinnerte. Julian war mitten während seines Feldzuges gegen die Perser getötet worden. Ich war damals noch ein kleines Mädchen. Aber er hatte keine von den barbarischen Horden überrannte römische Diözese hinterlassen und keine dahingeschlachtete oder in alle Winde zersprengte Armee. Natürlich blieb immer noch der westliche Augustus, der Erhabene Gratianus, der jetzt mit seinen gallischen Legionen auf dem Weg zum Kriegsschauplatz war; und es gab noch weitere Truppen im Ostreich – an der persischen Front, in Ägypten und Palästina. Es war unwahrscheinlich, daß die Barbaren außer Thrazien noch weitere Gebiete erobern würden. Obwohl sie durchaus weiteres Land verheeren konnten. Konstantinopel, die strahlende Königin des Bosporus, die reichste Stadt des Ostreichs, lag im äußersten Südosten der Diözese. Ob die Barbaren es einnehmen konnten, war ungewiß, aber sie würden es sicherlich versuchen.

Der Krieg würde weitergehen, wahrscheinlich für viele Jahre. Und er würde sich nicht auf Thrazien beschränken; andere Provinzen würden ebenfalls unter ihm leiden. Wir konnten ihn nicht einfach hinter uns lassen.

Ich seufzte erneut, richtete mich auf und rief nach Raedagunda. Einen Augenblick später kam sie mit einer Lampe herein.

»Ja, Herr?« fragte sie und lächelte unsicher. Dann noch unsicherer und nicht mehr lächelnd: »Herrin?«

Ich mußte lächeln. »Vergiß die Anrede«, sagte ich. »Wie lange habe ich geschlafen?«

»Nur ein paar Stunden.«

»Ist der ehrenwerte Athanaric schon vom Präsidium zurück?«

»Nein, noch nicht. Ich habe gehört, wie du ihn zum Abendessen eingeladen hast, und ich habe etwas vorbereitet. Aber er ist noch nicht gekommen. Ich habe auch etwas Wasser für ein Bad heißgemacht.«

»Gott segne dich«, sagte ich aufrichtig angetan. Ich hielt die Bettdecke an mein Kinn und sah mich um. »Wo sind meine Gewänder?«

Sie stellte die Lampe ab und ging zur Kleiderkiste in der Ecke.

»Ich habe das nasse Zeug zum Waschen mitgenommen«, sagte sie entschuldigend. »Aber hier sind ein paar trockene Sachen.« Sie holte zwei lange Tunikas heraus, die von Irene selbst stammen mußten: Rund um das untere Ende war eine Borte angenäht worden, um die Tunika zwei Handbreit zu verlängern.

»Das war sehr nett von Irene«, sagte ich gerührt. Ich war erschienen, um sie aus ihrem Haus zu drängen, nachdem ich das Leben ihres Mannes riskiert hatte, und sie hatte sich gleich daran gemacht, einige Gewänder für mich herzurichten. »Wo ist sie?«

»Sie und der Herr – das heißt, sie und Arbetio sind wieder ins alte Haus gezogen, da dies deins ist und du jetzt wieder zu Hause bist.«

»Ach so? Dann werde ich sie ebenfalls zum Abendbrot einladen.« Athanaric wollte sicherlich, daß das Abendbrot ehrbar verliefe. »Schicke Sueridus hinüber, um sie einzuladen – und danke Irene für die Tunikas.«

Raedagunda zögerte, ehe sie hinausging. Dann drehte sie sich noch einmal zu mir um und sagte: »Willkommen zu Hause, Herr!«

Ich lächelte etwas matt. »Danke dir, Raedagunda. Aber du sollst wissen, daß ich nicht bleiben werde.«

Sie nickte und konnte vor lauter Anspannung nicht reden. Der Grund für ihr Unbehagen lag auf der Hand: Es war klar, daß ich nicht länger Armeearzt sein würde; deshalb würde ich fortgehen, und meine Sklaven würden verkauft werden.

»Ich beabsichtige, alle, die bei mir im Haus leben, freizulassen, wenn ich gehe«, beruhigte ich sie. »Du und die anderen, ihr solltet darüber nachdenken, was ihr mit eurer Freiheit anfangen wollt. Ich werde versuchen, euch dabei behilflich zu sein.«

Raedagunda sah mich an und strahlte. Dann kniete sie nieder und küßte mir die Hand. »Oh, ich danke dir, Herr!«

›»Herrin‹«, korrigierte ich sie lächelnd. »Also, denk darüber nach und bereite mir das Bad zu; ich bin drei Tage lang scharf geritten, und mir tun alle Glieder weh.«

Als ich durch die Küche ins Bad ging, nur mit einem Umhang bekleidet, den ich mit einer Hand über der Brust zusammenhielt, standen alle meine Sklaven herum, lachten und unterhielten sich eifrig miteinander. Sie eilten unverzüglich herbei, um mir die Hand zu küssen, selbst der kleine Alaric. »Und du willst uns wirklich alle freilassen?« fragte Sueridus und glühte vor Erregung. Ich nickte, und er fuhr fort, ohne zu zögern: »Edle und großzügige Gebieterin! Könnte ich mir etwas Geld von dir leihen? Valentinus aus den Reitställen möchte ein Gestüt gründen, und wenn ich zwanzig Solidi hätte, könnte ich ein paar Zuchtstuten kaufen. Dann könnte ich für ihn arbeiten, für guten Lohn, und ich könnte die Fohlen dieser Stuten verkaufen und viel Geld damit verdienen; ich bin sicher, daß wir dir das Geld innerhalb von zehn Jahren zurückzahlen können!«

Ich lachte. »Sehr schön. Zwanzig Solidi für dich und deine Zuchtstuten. Und Raedagunda, ich werde dir zehn Solidi geben, damit du dich in einem Haus einrichten kannst. Gudrun, weißt du schon, was du mit deiner Freiheit anfangen willst?«

Sie errötete. Sie hatte sich in meiner Abwesenheit verändert, war gewachsen und war längst nicht mehr so mager. Mir wurde plötzlich bewußt, daß sie genauso alt war wie ich, als ich Festinus heiraten sollte. »Wenn es dir nichts ausmacht, Herr – ich meine Herrin –, würde ich gerne hier in Novidunum bleiben, bis Frieden herrscht. Die Herrin Irene hat gesagt, sie wolle mir ein Entgelt als Dienerin zahlen, wenn ich bei ihr bleibe. Das Entgelt ist nicht so wichtig. Doch ich würde gerne Hebamme werden, falls Arbetio es mir beibringen möchte.«

Einen Augenblick lang konnte ich es nicht glauben, dann lächelte ich. »Natürlich. Ich werde morgen mit Arbetio sprechen. Und ich werde dir ebenfalls zehn Solidi schenken, damit du sie als Mitgift oder für deine Ausbildung verwenden kannst.«

»Damals hast du nicht so viel für mich bezahlt!« sagte Gudrun und in ihren Augen schimmerten Tränen.

»Aber für eine Frau, die Medizin studieren möchte, würde ich mehr zahlen. Doch jetzt laßt mich mein Bad nehmen.«

Als Athanaric kam, war ich wieder in meinem Zimmer und sah meine Bücher durch. Ich hatte sie ebenso vermißt, wie man gute Freunde vermißt – meine zerlesenen Texte des Hippokrates; die feinen alexandrinischen Ausgaben der Schriften von Herophilos und Erasistratos, bei denen die Ecken der Papyrusseiten vom vielen Gebrauch ganz mürbe waren; und meinen schönen Pergamentkodex von Galen. Edico hatte immer noch meinen Dioskurides. Zum Teufel mit ihm, aber ich hoffte, eine andere Kopie kaufen zu können; es ist ein Standardwerk.

Ich las gerade im Galen, als ich Athanaric an die Haustür klopfen hörte. Sofort hörte ich auf, mir Gedanken über die Funktion der Gallenblase zu machen, und wünschte, ich besäße einen Spiegel. Ich hatte mir die schönere der beiden Tunikas und meinen besten Umhang angezogen, da ich für Athanaric törichterweise schön sein wollte. Die Haare hatte ich in einem Bad aus Zedernöl und Rosmarin gewaschen und anschließend mit einem perlenbesetzten Goldband, das meiner Mutter gehört hatte, hochgebunden. Dieses besonders schöne Stück paßte gut zu den Ohrringen mit dem Perlengehänge, die Amalberga mir geschenkt hatte. Da klopfte Raedagunda schon an die Tür meines Schlafzimmers und kündigte den »höchst ehrenwerten Athanaric« an; ich dankte ihr und ging hinaus.

Das Haus hatte ein sehr hübsches Eßzimmer, klein, aber sehr behaglich, mit roten Vorhängen und einem rot-weiß gemusterten Fußboden aus Fliesen. Tagsüber bekam es genug Licht durch ein großes, auf den Garten gehendes Fenster, und für den Abend war an der gegenüberliegenden Wand ein Ständer mit mehreren Lampen angebracht worden. Athanaric stand mit dem Rücken zu den Lampen, und sah aus dem Fenster in den Regen hinaus. Als ich eintrat, drehte er sich um.

»Oh!« machte er. »Du hast also ein anderes Gewand auftreiben können. Ich habe mich schon gefragt, was du anziehen würdest.«

Soviel also zu meiner Schönheit. »Arbetios Frau hat zwei von ihren eigenen Tunikas für mich geändert. Sie und ihr Mann sind sicher bald hier; ich habe sie ebenfalls eingeladen.«

Gudrun, die gerade den Weinkrug unter dem Lampenhalter abstellte, schüttelte den Kopf. »Nein, edle Frau, der Herr läßt ausrichten, er möchte heute abend lieber mit seiner Frau zu Hause bleiben. Er lädt euch ein, morgen abend mit ihnen zusammen zu essen.«

»Oh«, machte ich nun meinerseits und sah Athanaric an. Schweigend betete ich darum, Arbetio und Irene möchten immer soviel Freude und Glück haben, wie sie für ihr Zartgefühl, ihre Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Großmut verdienten. Jetzt hatte ich einen Abend ganz allein mit Athanaric, die Möglichkeit, ausführlich mit ihm zu sprechen, und dazu die ehrbare Entschuldigung, daß eingeladene Gäste nicht erschienen waren.

Athanaric lächelte schwach. Er sah müde aus und war offensichtlich direkt von einem Gespräch mit Valerius zu mir gekommen, ohne sich die Zeit für ein Bad zu nehmen oder frische Sachen anzuziehen. »Mit dem ›Herrn‹ meinst du Arbetio?« fragte er Gudrun.

Sie errötete. »Ich bitte um Entschuldigung, meine Gebieterin«, sagte sie demütig.

»Macht nichts«, antwortete ich ihr. »Haben wir noch etwas mit Honig gesüßten Weißwein? Athanaric, setz dich bitte und versuche, dich zu entspannen.«

Athanaric machte es sich auf einer der beiden Ruhebänke des Eßzimmers bequem, ich lehnte mich auf der anderen zurück. Zwischen uns stand der Tisch. Gudrun brachte Weißwein und weißes Kümmelbrot. »Also«, sagte ich, »wie schlimm sind die Nachrichten?«

Einen Augenblick lang sah er mich ausdruckslos an. »Schlimm genug«, erwiderte er endlich. »Angeblich sind Zweidrittel der Armee ausgelöscht, der Kaiser ist höchstwahrscheinlich tot, und viele der wichtigsten Befehlshaber sind gefallen: der Vater von Sebastianus, Trajanus, Valerianus, Aequitius, der oberste Palastbeamte, Barzimeres und Dutzende von Tribunen. Es ist die schlimmste Niederlage in der Geschichte des Kaiserreichs. Und es sieht so aus, als habe Frithigern bis zum letzten Augenblick um einen ehrenvollen Frieden nachgesucht. Er hat mehrfach angeboten, mit seinen Verbündeten zu brechen und gegen sie zu kämpfen, falls der Kaiser ihm einen Vasallenstaat in Thrazien garantiere. Es hat noch niemals einen derart dummen, verhängnisvollen und sinnlosen Krieg gegeben.«

»Was ist mit unserem Sebastianus?« fragte ich nach einer Pause.

»Niemand weiß etwas Bestimmtes. Sein Name wurde nicht unter den Toten erwähnt. Aber vermutlich hat er an der Seite seines Vaters gekämpft. Vielleicht hat man ihn nur noch nicht gefunden.«

Ich saß da, rang die Hände und versuchte zu verstehen, was diese Niederlage bedeute. Mir war natürlich die ganze Zeit über bewußt gewesen, daß die Römer nicht unbesiegbar waren, aber mit einem derart grausigen Blutbad hatte niemand gerechnet.

Athanaric seufzte und rieb sich den Nacken, als täte ihm sein Kopf weh. »Der Augustus des Westreichs, Gratianus, weiß bereits von der Katastrophe. Er ist dabei, Briefe an die syrischen Truppen, an die Heerführer des Ostens und Ägyptens zu schicken, um weitere Soldaten um sich zu sammeln. Und er ist drauf und dran, einen neuen Heerführer zu ernennen, der wahrscheinlich sein Amtsgenosse und der Augustus des Ostreichs werden wird – Sebastianus’ Freund, Theodosius der Jüngere. Er ist etwa in Gratianus’ Alter, und sie scheinen Freunde zu sein, ungeachtet dessen, was Theodosius’ Vater zugestoßen ist. Es wäre wahrscheinlich keine schlechte Wahl. Theodosius ist ein äußerst tüchtiger und energischer General und hat sich ausgezeichnet gegen die Sarmaten geschlagen, als er der Heerführer der mösischen Provinz Dazien war. Ihm ist durchaus zuzutrauen, die Flut der Barbaren daran zu hindern, den Staat gänzlich zu verwüsten.«

Ich mußte an das verhängnisvolle Orakel denken und ein Schauer lief mir über den Rücken. »So wird es also doch ein ›THEOD…‹ sein, der dem Valens nachfolgt.«

Athanaric hörte auf, seinen Nacken zu massieren, und lächelte bitter. »Es sieht so aus. Und ich habe gehört, daß die Ebene südlich von Hadrianopolis die Mimas-Ebene genannt wird, nach einem alten Helden, der einst dort begraben wurde. Die Geister sprechen bisweilen die Wahrheit, auch wenn sie uns damit nicht unbedingt helfen wollen. Charis, das ist unser Ende. Ich glaube nicht, daß sich das Kaiserreich von diesem Schlag jemals vollständig erholen wird.«

»Du bist müde«, entgegnete ich. »Es ist Nacht, und es regnet, und dein Umhang ist naß. Das Kaiserreich ist eine großartige Sache, und es braucht mehr als eine Niederlage, sogar mehr als eine wie die von Hadrianopolis, um es zu zerstören. Trink deinen Wein, mein Liebster, und ruh dich aus. Morgen wirst du dich besser fühlen. Der Feind versteht immer noch nicht viel von der Belagerungskunst.« Dies war eines der Lieblingsthemen von Frithigern gewesen: Er riet seinen Freunden immer davon ab, »das Leben an steinernen Wällen fortzuwerfen«.

»Das stimmt«, meinte Athanaric, aber er machte deswegen keineswegs einen hoffnungsvolleren Eindruck. »Die Goten belagern jetzt Hadrianopolis. Das wird einige von ihnen das Leben kosten. Vielleicht zögert es die Katastrophe ja hinaus. Aber es wird sie nicht aufhalten.«

Wir verfielen beide in ein langes Schweigen. Gudrun brachte den ersten Gang: Lauch in Weinsoße.

»Du bist müde heute abend«, wiederholte ich. »Morgen früh wird es dir bessergehen.«

Er trank einen Schluck Wein und sah mich dabei an. »Wenn ich hier mit dir zusammensitze, kann ich das zur Not noch glauben. Aber das Kaiserreich ist einfach zu groß. Ich kenne mehr davon als die meisten. Im Westen bin ich bis Mediolanum gekommen, im Osten bis Amida und im Süden bis nach Ägypten. Überall gibt es Ärger: die Barbaren im Norden, die Perser im Osten, die Sarazenen und Afrikaner im Süden. Wir haben ganz einfach nicht die Kraft, sie abzuwehren. Allzu viele Landstriche sind verwüstet. Und dann die Streitereien der Kirche mit dem Staat. Beamte und Statthalter füllen sich die eigenen Taschen, meistens zum Schaden der Allgemeinheit. Die Männer, die weit genug weg sind von der Front, verachten die sie beschützenden Soldaten. Das Kaiserreich löst sich bereits auf. Es wird nicht so schnell zusammenbrechen – vielleicht währt es sogar länger als unser beiden Leben –, aber es wird zusammenbrechen, und wir werden sehen, wie es dahingeht.«

Ich war zutiefst betroffen. »Athanasios hat einmal zu mir gesagt, die Welt ist ein dunkler Ort, und nichts in ihr ist ewig, nicht einmal das Kaiserreich. Aber er sagte auch, wir könnten den Stempel Gottes auf der Welt nie ganz auslöschen. Und das menschliche Leben sei durchwirkt von Ewigkeit.«

»Wann hat er das gesagt?«

»In Carragines. Als ich krank war. Vielleicht war es nur ein Traum. Aber wie auch immer, ich habe gehört, wie er es gesagt hat, und ich glaube, es stimmt. Selbst wenn das Kaiserreich jetzt zerfällt, überdauert vielleicht doch etwas, was das Beste an ihm war. Vielleicht geht es auch noch nicht zu Ende. Die Patienten, deren Zustand am verzweifeltsten erscheint, erholen sich bisweilen und leben noch viele Jahre lang.«

»Aber du glaubst, daß das Kaiserreich alt ist und wahrscheinlich bald stirbt.«

Ich sah auf meinen Weinbecher, dann blickte ich wieder zu Athanaric auf.

Er beobachtete mich gespannt. »Der Tod ist etwas Trauriges«, erwiderte ich. »Selbst der Tod eines Tieres. Wir aber sprechen über das große Kaiserreich. Und doch dauert es vielleicht fort; selbst wenn dies nicht der Fall ist, es müssen schließlich alle Dinge auf Erden sterben, und wir müssen uns darein ergeben und das Beste aus dem Leben machen, solange es uns gehört.«

Gudrun kam herein und nahm den fast unberührten ersten Gang fort und brachte den zweiten: Wildschwein in Pfeffersoße.

»Was wollen wir jetzt tun?« fragte ich, als wir zu essen begannen.

Er zuckte die Achseln. »Genau das, was du sagst, nehme ich an. Wir gehen nach Bithynien. Wir treffen in aller Eile die Vorbereitungen für unsere Hochzeit, und wir entscheiden, wo wir leben wollen. Trotzdem werde ich dich erst einmal verlassen müssen; ich werde allerhand zu tun haben. In einem Notfall wie diesem kann ich meine Pflichten nicht vernachlässigen. Der Hof wird Kuriere benötigen, und wir dürfen den Kontakt mit dem Westreich nicht lockern. Du kannst solange im Haus deines Bruders warten und damit anfangen, dein Hospital zu gründen.«

Ich verstand, aber ich war nicht einverstanden. Das heißt, ich war nicht damit einverstanden, solange unverheiratet im Haus meines Bruders zu leben. »Athanaric«, sagte ich ernst, »geh heute nacht nicht ins Präsidium zurück.«

Er sah mich an, seine Augen waren im Schein der Lampe von einer wunderbaren Tiefe, seine Lippen waren leicht geöffnet. Er wußte, was ich meinte. »Wir brauchen die offizielle Bestätigung«, erwiderte er unsicher.

»Ich brauche dich«, erwiderte ich. »Ich will niemand anderen heiraten, und ich will mich von niemand anderem fragen lassen, ob ich eine Jungfrau und frei für ihn bin. Das Ehegesetz ist nicht so streng; wir sind verheiratet, sobald wir zusammenleben.«

»Zusammenleben? Im Augenblick leben wir alle beide nirgends. Wir sind wie Eisvögel, die vor dem Sturm über das Wasser gleiten. Das ist keine Grundlage, auf der du einen Ehevertrag abschließen kannst.« Aber er beobachtete mich weiterhin; gespannt, hungrig.

»Dann schließ den Vertrag ab, sobald wir in Bithynien sind. Ich verspreche dir, daß Thorion keinen Ärger machen wird – zumindest nicht, nachdem ich mit ihm gesprochen habe. Aber wir müssen einmal Zusammensein, bevor du irgendwo anders hingehst.«

Plötzlich stand er auf und kam um den Tisch herum, um sich neben mich auf die Ruhebank zu setzen. »Du hast recht«, sagte er und küßte mich.

Und wir beendeten unsere Mahlzeit, aber nur weil ich darauf bestand und meinte, wir hätten es beide unbedingt nötig, etwas zu essen. Dann rief ich meine Sklaven zusammen und sagte ihnen, Athanaric sei mein Gemahl und bliebe über Nacht. Sie strahlten und gratulierten uns – sie waren sowieso halb betrunken, da sie ihre bevorstehende Freiheit feierten, und waren weit davon entfernt, über irgend etwas überrascht zu sein, was ihre unberechenbare Gebieterin zu tun beliebte.

Dann gingen wir zu Bett. Liebe ist das Süßeste, was es gibt, wie die Dichter sagen: süß genug, um Honig daneben bitter schmecken zu lassen; süß genug, um das Bild von sterbenden Römern auf dem Schlachtfeld und von einem blutgetränkten kaiserlichen Purpur auszulöschen. Ich hatte stets die Weisheit des Körpers gepriesen, aber jetzt spürte ich, daß ich sie nie verstanden und ihr Geheimnis nie richtig gewürdigt hatte. Ihr Geheimnis, das aus einem einfachen Akt auf rätselhafte Weise ein Spiegelbild der Ewigkeit machen kann.

Und dann lagen wir schließlich ganz ruhig in den Armen des anderen und lauschten auf den Regen, der auf das Dach prasselte. »Was sagtest du, sind wir?« fragte ich Athanaric nach einem langen Augenblick vollkommener Zufriedenheit. »Eisvögel?«

»Ja. Sie legen ihre Eier zur Zeit der Wintersonnenwende auf die Meeresoberfläche. Rings um sie herum herrscht der Sturm, doch sie brüten in Frieden.«

»Ja.« Ich küßte ihn.

»Aber ich liebe das Kaiserreich«, sagte er, und der Unterton blanken Schmerzes kehrte in seine Stimme zurück.

»Ich weiß. Du liebst es so sehr wie ich die Medizin. Und es ist noch nicht am Ende, mein Liebster; es wird nicht so leicht dahinsinken. Doch laß die Stürme bis morgen: Heute nacht findet die Sonnenwende statt, und es herrscht der Friede des Winters.«

Er küßte mich erneut. Draußen schlug der Regen gegen das Dach, und über den Fluß hinweg hörte man entferntes Donnern.

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