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Natürlich hatte Festinus nichts weiter entdeckt, als daß Vater ein leidenschaftlicher Anhänger von Pferderennen war und das purpurfarbene Tuch genau zu dem Zweck verwenden wollte, den er angegeben hatte. Die gefolterten Sklaven, sogar Philoxenos, waren innerhalb von drei Tagen alle wieder auf den Beinen. Nur das mehrmals vergewaltigte Hausmädchen hatte nach wie vor Angstträume und wachte mehrmals des Nachts laut schreiend auf. Schließlich schickte Vater sie auf eines seiner Landgüter, wo sie im Haushalt helfen sollte. Er hoffte, die Ruhe auf dem Lande werde ihren Nerven gut tun. Er ließ Johannes frei und sprach davon, Philoxenos ebenfalls freizulassen, aber er tat es doch nicht. Philoxenos war einfach zuviel wert. Wegen Vaters Begeisterung für Pferderennen war Philoxenos einer der wichtigeren Sklaven in unserem Haushalt. Als Sohn des Reitknechts meines Großvaters war er in die Familie hineingeboren worden und kommandierte sämtliche Stallburschen und Gärtner herum. Wenn man das Kind eines reichen Vaters ist, denken die Leute manchmal, man braucht nur mit den Fingern zu schnippen und auf etwas zu zeigen, was die Sklaven tun sollen, und schon tun sie es. Aber Sklaven haben ebensoviel Anteil an der Führung eines Hauses wie ihre Eigentümer, und ein kluger Gebieter muß sie verständig behandeln. Vater hätte Philoxenos gerne freigelassen, doch er glaubte, dafür nicht reich genug zu sein. Er sagte immer, wir seien gar nicht so furchtbar reich, jedenfalls nicht nach den Maßstäben des Westreichs. Ihm gehörten kaum mehr als zweihundert Sklaven, und die meisten von ihnen lebten auf seinen Gütern und bearbeiteten das Land. Mehr als vierzig waren nie in unserem Stadthaus. Es hätte Vater eine Menge gekostet, einen so guten Stallmeister wie Philoxenos zu kaufen, falls es ihm überhaupt gelungen wäre, und er hätte sich zusätzlich verpflichtet gefühlt, Philoxenos zu einem guten Start im Geschäftsleben zu verhelfen. Philoxenos war ganz wild darauf, auf eigene Faust zu arbeiten: Er wollte gerne aufs Land ziehen und dort Pferde züchten und trainieren. Statt ihn freizulassen, schenkte Vater ihm schließlich eine Zuchtstute, um etwas zu diesem Gestüt beizusteuern. Ich glaube nicht, daß dies eine angemessene Entschädigung für die Folter war, die Philoxenos wegen der Eitelkeit seines Gebieters erlitten hatte, aber Philoxenos freute sich sehr darüber.
Vaters Wagenlenker, Daniel, war ebenfalls gefoltert worden, aber nicht allzu schlimm. Im nachhinein waren wir froh, daß es damals diese Aufregung wegen Zauberei in Ephesus gegeben hatte: Festinus’ Männer fanden in Daniels Haus keinerlei Beweise für Schwarze Magie. Ich war mir ziemlich sicher, daß Daniel seine Bücher und Schreibtafeln nur irgendwo anders gut versteckt hatte, doch er genoß die ungewohnte Rolle der mißhandelten Unschuld, und Vater mußte ihm einen Haufen Geld geben, um seine verletzten Gefühle zu besänftigen.
Wir waren noch einmal glimpflich davongekommen. Überall im Ostreich wurden Männer zum Tode verurteilt, nur weil sie von der Verschwörung gehört hatten, und nirgends waren es mehr als in Ephesus unter der Statthalterschaft von Festinus.
Der Philosoph Maximus, einst der vertrauteste Ratgeber von Kaiser Julian, wurde vor den Rennen in der Pferderennbahn enthauptet, weil er die Verse des Orakels über den Nachfolger von Valens kannte. Statt der Überraschungsprozession meines Vaters erlebten wir nun also die von Festinus veranstaltete Überraschungshinrichtung. Festinus ließ den armen Mann in die Mitte des weiten Rundes führen, dann erhob er sich auf seinem Ehrenplatz und hielt eine Ansprache über die Verruchtheit treuloser Männer. Maximus erhielt keine Chance, etwas zu entgegnen. Barhäuptig stand er in der heißen Sonne, trug lediglich eine braune Tunika und sah alt und elend aus. Die Stadt war stolz auf ihn gewesen, und alle waren entsetzt. Als Festinus seine Ansprache beendet hatte, warfen seine Leibwächter Maximus auf die Knie, und der Henker ließ sein Schwert herabsausen. Das Blut des Philosophen spritzte in weitem Umkreis über den Erdboden, und viele hielten dies für ein böses Omen.
Falls dem so war, dann erfüllte es sich nur allzu schnell. Den ganzen Sommer hindurch wurden Menschen angeklagt, vor Gericht gezerrt, gefoltert und aufgrund der fadenscheinigsten Beweise hingerichtet. Einem Kaufmann wurden wegen Unterschlagungen die Geschäftspapiere beschlagnahmt. Unter ihnen wurde ein Horoskop für einen Mann namens Valens entdeckt. Der Kaufmann sagte, dieser Valens sei sein Bruder, der vor mehreren Jahren gestorben sei. Er erbot sich, einen Beweis für diese Behauptung von dem Astrologen herbeizuschaffen, der das Horoskop gestellt hatte, und von Leuten, die seinen Bruder gekannt hatten. Doch es wurde ihm keinerlei Gelegenheit dazu gegeben, er wurde auf die Folterbank geschickt und dem Schwert des Henkers überantwortet. Es gab eine törichte alte Frau, die angeblich Fieberkranke mit einem Talisman heilen konnte (eine Methode, die, wie jeder Arzt weiß, wenig Erfolg verspricht): Sie wurde der Zauberei angeklagt und hingerichtet, nachdem sie mit Festinus’ Wissen einen seiner Sklaven behandelt hatte. Und dies waren nur ein paar Fälle von vielen.
Festinus wurde für seine Ergebenheit von unserem Erhabenen Gebieter, dem allerfrommsten Augustus, unserem Herrn Valens belohnt. Im Herbst wurde bekannt, daß seine Amtszeit für ein weiteres Jahr verlängert worden war. Außerdem wurden ihm einige kaiserliche Ländereien im Caystertal, die früher von einem seiner Opfer verwaltet worden waren, auf hundert Jahre zur Pacht überlassen. Solche Ländereien sind sehr beliebt, da keine Steuerlast auf ihnen liegt. Darüber hinaus war es hervorragendes Land: fruchtbar und eben.
Um seinen Zuwachs an Reichtum und Macht zu feiern, gab Festinus eine Gesellschaft, zu der er alle wichtigen Männer in Ephesus einlud, einschließlich Vater und Thorion. Jedermann hatte viel zu große Angst vor ihm, um die Einladung auszuschlagen. So legte Thorion seinen besten Umhang und seine schönste Tunika an, ließ Maia seine Haare bürsten und seinen Umhang glätten – sie sagte, er habe ihn mal wieder völlig zerknittert – und brach finsteren Blicks auf. Ich ging natürlich nicht mit. Ich war im späten Frühjahr sechzehn geworden, aber Mädchen gelten erst als erwachsen, wenn sie verheiratet sind, und gehen deshalb nicht auf Abendgesellschaften.
Wenn Thorion finstere Blicke um sich geworfen hatte, als er an jenem Nachmittag aufbrach, dann sah er wie vom Donner gerührt aus, als er in der Nacht nach Hause kam. Ich hörte, wie er und Vater mit ihrem Gefolge ankamen, und rannte in den ersten Innenhof, um sie zu begrüßen. Vater sah ganz einfach erschöpft aus und zog sich sofort in sein Zimmer zurück. Thorion kam mit in mein Zimmer hinauf und erzählte Maia und mir alles über den Verlauf des Abends.
»Er glaubt, er sei jetzt ein vornehmer Herr!« sagte Thorion bitter. »Ein Herr und Landbesitzer. Er sprach davon, sich in Ephesus niederzulassen, wenn seine Amtszeit zu Ende ist, und ein Bürger unserer Stadt zu werden!«
»Dabei ist er doch nur ein Bauer«, rief Maia aus. Sie saß auf ihrem Stuhl in der Nähe des Fensters und spann. Es war dunkel, und wir zündeten die Lampen an: Das kleine Zimmer machte einen behaglichen Eindruck. Die weißen Wände glänzten in dem Licht der Lampen wie Gold, Maias Götterbilder lächelten gütig von der Wand, ihre Spindel surrte sanft. Von draußen kam das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Bäume. Ich hatte mich gerade zum Schlafen zurechtgemacht, als Thorion heimkam, und saß nur mit meiner Tunika bekleidet und die Arme um die Knie geschlungen auf meinem Bett. Mein Umhang lag sorgfältig zusammengelegt auf der Kleidertruhe, da er am nächsten Morgen gereinigt werden sollte. (Er war weiß mit etwas grün und wies den unvermeidlichen purpurfarbenen Streifen auf. Warum müssen junge Mädchen unbedingt weiße Umhänge tragen? Es ist unmöglich, weiße Sachen sauber zu halten, und jetzt hatte ich auch noch einige Blutspritzer abbekommen, weil ich Philoxenos beim Kastrieren einiger junger Hengste zugesehen hatte.) Trotz des schlimmen Sommers hatte ich das Gefühl, daß zu Hause allmählich alles wieder seinen gewohnten Gang ging. Ich wollte nicht über Festinus nachdenken und äußerte mich deshalb nicht dazu – obwohl ich darauf hätte hinweisen können, daß es gerade uns nicht gut anstand, über einfache Bauern herzuziehen, die darauf aus sind, sich vornehme Häuser und Titel unter den Nagel zu reißen.
»Er ist ein ganz gemeiner Dieb!« sagte Thorion. »Er trug einen Umhang mit einem purpurfarbenen Streifen, der so breit ist wie meine Hand« – er streckte seine große Bauernhand aus und spreizte die Finger –, »und das Tischtuch hatte ebenfalls einen Purpurstreifen. Es kam mir irgendwie bekannt vor, und mitten während des ersten Ganges merkte ich auch warum: Es war unser Purpur, für den wir dreißig Solidi bezahlt haben und den Festinus beschlagnahmt und niemals zurückgegeben hat!«
»Dieser dreckige Räuber!« rief Maia erschrocken aus. »Hat er etwas dazu gesagt?«
»Nein. Ich glaube, er hatte ihn ganz vergessen, er war viel zu beschäftigt damit, sich dauernd selbst zu beglückwünschen.« Thorion hielt inne, um Atem zu schöpfen, dann fuhr er in einem auffallend ruhigen Tonfall fort: »Und er sprach über dich, Charition.«
»Über mich?« fragte ich, und jetzt war ich es, die erschrocken war. Thorion nickte und sah dabei finsterer aus als je zuvor. Maia gab einen mißbilligenden Ton von sich und sah mich unbehaglich an.
»Er fragte Vater: ›Wie geht es deiner hübschen Tochter?‹« berichtete Thorion. »Und als Vater meinte, es ginge dir ausgezeichnet, erzählte Festinus aller Welt, du seiest ein sehr hübsches und äußerst bescheidenes Mädchen. Und er erzählte, als Vater unter Verdacht stand – einfach so: ›als der vorzügliche Theodoros unter Verdacht stand‹ –, hättest du den Kopf nicht verloren und auf Beweise für Vaters Unschuld aufmerksam gemacht, an die alle anderen in ihrer Aufregung nicht gedacht hatten. Und er fragte Vater nach deinem Namen. Er sagte, er hätte ihn vergessen.«
»Der Name einer züchtigen Jungfrau geht ihn überhaupt nichts an!« rief Maia aufgebracht. »Für ihn reicht es völlig, sie als die Tochter des vorzüglichen Theodoros zu kennen! Du hast doch überhaupt nicht mit dem Statthalter gesprochen, als er hier war, Charis, oder?«
»Nur das, was du selbst mit angehört hast«, erwiderte ich.
»Und daran hat er sich erinnert. Ich wundere mich, daß Festinus sich überhaupt daran erinnert. Ich glaube, sogar Vater hat es vergessen.«
»Er erinnerte sich daran, daß du hübsch bist«, sagte Thorion. Er zog an seiner Unterlippe, eine schlechte Angewohnheit, die Maia haßte. »Ich hätte ihn verprügeln können! Dort einfach auf seiner Ruhebank zu liegen, darüber zu faseln, wie hübsch du bist und wie es war, als Vater unter Verdacht stand, und dabei mit anzüglichen Blicken nur so um sich zu werfen! Bei Gott und all seinen Heiligen! Und nächste Woche müssen wir ihn schon wiedersehen!«
Maia runzelte die Stirn. Sie sagte nicht einmal etwas über Thorions Ziehen an der Unterlippe. »Hat er euch erneut eingeladen?«
»Nein. Er machte Vater klar, daß er gerne einmal zu uns kommen würde, so daß Vater nicht umhin konnte, ihn einzuladen.«
»Thorion«, sagte Maia, und ich wußte, daß sie jetzt wirklich beunruhigt war: Sie gebrauchte Thorions Spitznamen nur, wenn sie außer sich war. »Dein edler Vater muß einen Haufen anderer Leute zu dieser Abendgesellschaft einladen. Männer, vornehme Junggesellen – vielleicht deinen Rechtslehrer? Auf alle Fälle keine Frauen.«
Thorion sah sie grimmig an. »Dann glaubst du also, es hat etwas damit auf sich, wie er über Charis gesprochen hat?«
Maia preßte ihre Lippen zusammen und drehte ihre Spindel.
»Ich war ja nicht dabei«, sagte sie nach einem Augenblick. »Aber die Leute werden sich das Maul darüber zerreißen: Es ist höchst ungehörig, sich auf einer Abendgesellschaft nach dem Namen eines jungen Mädchens zu erkundigen. Und ich glaube, es wäre besser, wenn Charis diesem Rohling aus dem Weg ginge. Wenn keine Frauen zur Abendgesellschaft gehören, dann läuft sie auch keine Gefahr, ihm zu begegnen.«
Falls Festinus dagegen alleine käme, würde er sicherlich erwarten, daß ich mit am Eßtisch meines Vaters säße.
»Meinst du denn wirklich, dies habe etwas zu bedeuten?« fragte ich. Ich fühlte mich unbehaglich bei dem Gedanken, daß Festinus über mich gesprochen hatte. »Ist er denn nicht verheiratet?«
»Verwitwet«, erwiderte Maia, die solche Dinge stets wußte.
»Und wenn er beabsichtigt, sich in Ephesus niederzulassen, dürfte er wieder eine Frau benötigen – nach Möglichkeit ein vornehmes junges Mädchen aus Ephesus. Und deshalb möchte ich nicht, daß du ihm überhaupt unter die Augen kommst.«
Ich fühlte, wie ich zitterte. »Aber ich bin doch viel zu jung, oder? Und Vater würde doch nie…«
Thorion sah mich niedergeschlagen an. »Pythions Tochter ist nur ein paar Monate älter als du, und sie wird in diesem Frühjahr heiraten. Und du weißt ja, Charition, du bist sehr hübsch. Ich könnte diesem Festinus die Zähne einschlagen!« fügte er wütend hinzu.
»Aber Vater würde doch nicht…«
»Vater würde Festinus nicht mißfallen wollen. Er hat Angst vor ihm. Maia hat recht: Du mußt diesem Rohling aus dem Wege gehen. Ich werde Vater bitten, einen Haufen anderer Männer einzuladen, dann kannst du in deinem Zimmer bleiben, und wenn Festinus dich erwähnt, dann werden wir ihm alle erzählen, wie jung und töricht du bist. Das sollte allen Hirngespinsten, denen er sich vielleicht hingibt, ein Ende bereiten.«
Doch Vater hatte bereits seinen Freund Pythion und dessen Ehefrau eingeladen, und er bestand darauf, weitere Gäste seien unnötig. »Er meinte, Festinus habe ausdrücklich um eine zwanglose Gesellschaft gebeten, auf der sie freimütig sprechen könnten«, erzählte mir Thorion am nächsten Tag. »Ich gestand ihm, daß ich mir wegen der Art und Weise, in der Festinus über dich gesprochen habe, Sorgen mache, doch er antwortete, das habe überhaupt nichts zu bedeuten, damit wolle der Statthalter nur sein väterliches Interesse an unserem Haus bezeugen. Vater glaubt, Festinus wolle jetzt, da wir Nachbarn sind, Frieden schließen und sich liebenswürdig zeigen. Ich erwiderte ihm, meiner Ansicht nach bestünde die beste nachbarschaftliche Beziehung gegenüber Festinus in einer hohen Steinmauer zwischen ihm und uns.«
Aber Vater war der Hausherr, nicht Thorion. Und bei einer gemischten Abendgesellschaft wurde von mir erwartet, anwesend zu sein.
An dem Tag der Abendgesellschaft fühlte ich mich elend und unbehaglich. Ich hatte Festinus seit dem Tag, an dem er seine Anschuldigungen gegen Vater vorbrachte, nur noch von weitem gesehen und hatte ganz einfach Angst vor ihm, um so mehr, als ich ihn nicht verstand. Ich war mir ziemlich sicher, daß er mit seinem Verhalten uns und anderen gegenüber einzig und allein den Kaiser beeindrucken wollte. Außerdem machte es ihm ganz einfach Spaß, seine Macht über Männer von Rang zu demonstrieren. Aber die Grausamkeit, mit der er Maia und Philoxenos und all die übrigen foltern und so viele andere töten ließ – diese Grausamkeit verstand ich nicht. Seine Beweggründe schienen unerklärlich, gegen die Vernunft, kaum mit menschlichem Maß zu messen. Ich konnte nicht wirklich glauben, daß er auch nur das geringste Interesse an mir hatte, nicht einmal in meiner Eigenschaft als ein vornehmes junges Mädchen aus Ephesus, das für eine Heirat in Frage kam. Aber eigentlich wußte er überhaupt nichts von mir: Er hatte ja nur die angemalte Puppe im Spiegel gesehen.
Ich hatte an jenem Tag einige Unterrichtsstunden, aber es war nur etwas von Euripides dran. Hippokrates hatten wir fürs erste beiseite gelegt. Ischyras mochte Euripides nicht besonders: Sein Stil war ihm nicht erhaben genug. Wir waren bei der Lektüre alle beide nicht so ganz bei der Sache, und schließlich gab er mir früher frei. Ich ging zu den Pferdeställen hinunter. Philoxenos erlaubte mir, mich um eine Stute zu kümmern, die einen entzündeten Huf hatte. Ich behandelte die Verletzung mit heißen Kompressen, wusch sie vorschriftsmäßig mit abgekochtem Wasser und einer reinigenden Lösung aus Essig und Zedernöl aus, und schon bald schien die Behandlung Wirkung zu zeigen. Dann mußte ich noch nach einem kranken Kaninchen sehen, doch ich konnte nicht feststellen, was ihm fehlte, außer daß es ihm schlechter zu gehen schien.
Am späten Nachmittag kam Maia und holte mich. Ich kniete gerade im Stroh und reinigte den Huf der Stute, meinen Umhang hatte ich über die Stalltür gehängt. Ich betupfte den Huf mit der Lösung und benutzte dazu einen Leinenstreifen, den ich um eines meiner kosmetischen Instrumente gewickelt hatte. Dann lehnte ich mich ein wenig auf meine Fersen zurück und prüfte die eitrige Masse auf dem Gewebe. Sie war hell und roch nicht allzu übel: ein gutes Zeichen. Ich drehte mich um und entdeckte Maia, die dastand und mich beobachtete. »Oh«, machte ich.
Maia warf ihre Arme nicht zum Himmel und brach auch nicht in spitze Entsetzensschreie aus, wie sie es für gewöhnlich tat.
»Schade, daß du heute abend nicht so erscheinen kannst«, meinte sie statt dessen. »Das würde Festinus von dir heilen: Du siehst aus wie ein Stallbursche! Aber ich kann die Tochter meines Gebieters leider nicht so zu einer Gesellschaft gehen lassen. Komm mit!«
»Laß mich nur schnell noch diesen Huf verbinden«, bat ich inständig, und Maia lächelte tatsächlich und nickte ihr Einverständnis. Ich verband den Huf, klopfte der Stute beruhigend auf den Rücken und ging ins Haus zurück. Ein Bad nehmen, Locken brennen, parfümieren, Gesicht schminken, anziehen – was für eine Zeitverschwendung ist doch das Leben einer jungen Dame! Zum Schluß konnte ich wieder einmal »die anmutigste Dame von Ephesus« im Spiegel bewundern, und sie schien mir törichter und mir selbst unähnlicher als je zuvor. Diesmal wenigstens schien auch Maia nicht allzu zufrieden mit mir zu sein.
Weil es eine kleine, ungezwungene Gesellschaft war, wurde das Essen nicht im großen Kuppelsaal, sondern im Wagenlenkerzimmer gegeben. An den Wänden wurden Lampenständer angebracht, in denen ein süß riechendes, mit duftender Myrrhe versetztes Öl brannte. Auf dem Fußboden und auf dem Tisch aus Zitronenbaumholz waren Rosen verstreut. Der Schein der Lampen tauchte die prächtigen Wandteppiche und das silberne Eßgeschirr in ein sanftes Licht. Es verlieh den Wandbildern eine zusätzliche Tiefe, und es hatte fast den Anschein, als bewege sich der Streitwagen auf dem Mosaikfußboden. Der gesamte Raum zeugte von Reichtum und Kultur, und als die Sklaven Festinus hereinführten, sah er sich anerkennend um. Vier Ruhebänke standen rund um den Tisch herum: eine für Vater, eine für Pythion und seine Frau, eine für Thorion und mich und eine für Festinus. Vater hatte als Gastgeber Anspruch auf den höchsten Platz, Festinus lagerte zu seiner Rechten und Pythion zu seiner Linken; Thorion und ich teilten uns die Ruhebank am unteren Ende.
Festinus hatte Vater ein Geschenk mitgebracht, ein reich verziertes korinthisches Kelchglas mit der Abbildung eines Streitwagens. Vater drückte sein Entzücken darüber aus, und wir lehnten uns alle auf unseren Plätzen zurück. Festinus sah mich immer wieder an, doch ich schlug meine Augen bescheiden zu Boden, und Thorion sorgte dafür, daß er den Platz gegenüber vom Statthalter einnahm, so daß Festinus im Grunde genommen nicht viel mehr als meine Haare zu sehen bekam. Die Sklaven brachten die ersten Gerichte herein: gekochte Eier, in Wein und Fischsoße eingelegten Lauch, süßsaure Erbsensuppe. Und sie füllten die Trinkgefäße aus grünem Glas mit honigsüßem Weißwein, der frisch aus dem Keller gebracht worden war.
»Ausgezeichnet«, sagte Festinus und hob seine Hand in einer Geste der Bewunderung. »Das mag ich so an Asien: Die Menschen hier verstehen zu leben. In Rom stopfen sie sich den Magen entweder mit völlig zerkochten Leckerbissen voll und trinken viel zuviel, so daß sie krank davon werden, oder sie leben wie die Bauern von Brot und Wasser. Keine Mäßigung und kein Geschmack.« In diesem Tonfall schwadronierte er während des gesamten ersten Ganges, pries Ephesus und alles, was damit zusammenhing, so daß Vater und Pythion allmählich ihre Nervosität ablegten und ihre gewohnte freundliche Selbstgefälligkeit wiedererlangten. Nur Thorion blickte auch jetzt noch mißtrauisch um sich. Ich heftete den Blick nach wie vor zu Boden.
Während des zweiten Ganges (gegrillte, mit Asant gewürzte Seebarbe, Hühnchen auf parthische Art und Schweinebauch in Gurkenkraut) wandte sich das Gespräch der Literatur zu. Als Ehrengast rief Festinus nach den Sklaven, damit sie den Wein für den Hauptgang servierten. Vater hatte eine Amphore vorzüglichen Chianweines öffnen lassen. Festinus wies die Sklaven an, ihn so zu mischen, daß er nur ein Drittel Wasser enthielt. Das war stärker, als wir ihn für gewöhnlich tranken, und schon bald lachte Vater lauthals und zitierte Homer.
»Du bist ja tatsächlich ein Gelehrter, vorzüglicher und höchst gebildeter Theodoros«, sagte Festinus zu ihm. »Was ist mit deinen vortrefflichen Kindern? Ich bin sicher, daß ein kluger Mann seine Kinder nicht unwissend aufwachsen läßt, und ich bewundere stets, wenn die Jugend eine gute Erziehung genießt. Wie schon die Dichter sagen, ist sie eine dem Gold weit überlegene Zierde.«
»O gewiß«, erwiderte Vater. »Ich habe großen Wert auf die Erziehung meiner Kinder gelegt und einen äußerst klugen Hauslehrer für sie engagiert. Es handelt sich um Ischyras von Amida: Er kann das reinste Attisch schreiben und ist in allen Klassikern belesen. Außerdem glaube ich, daß meine Kinder nicht gerade faul sind. Mein Sohn Theodoros studiert jetzt die Rechte und Latein, so daß er Aussicht hat, bei Hof eine gute Stellung zu bekommen.«
»Eine kluge Entscheidung, junger Mann«, meinte Festinus beifällig. Thorion brummelte etwas vor sich hin und starrte in seinen Weinbecher. »Und deine Tochter?« fuhr Festinus fort.
»Manche Leute sagen, es sei unnötig, Frauen etwas beizubringen, aber ich war immer der Meinung, daß eine belesene Frau eine Zierde ihres Hauses ist.«
»Oh, Ischyras hat Charis die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wie ihrem Bruder Theodoros«, sagte Vater. »So halten wir es hier im Ostreich. Ich würde niemals eine Tochter ohne Kenntnisse von Homer aufwachsen lassen.«
»Großartig! Vielleicht könnte sie uns die Freude machen und uns etwas rezitieren? Viele der bedeutenden römischen Edelleute lassen während ihrer Festessen stets ein paar Verse rezitieren. Eine ausgezeichnete Sitte, finde ich.«
»Wir kennen diese Sitte bei uns ebenfalls«, sagte Vater und der Wein ließ seine Wangen erglühen. »Charis! Meine Liebe, steh auf und rezitier uns etwas!«
Widerwillig stand ich auf. Ich hatte nicht viel Wein getrunken, denn die Sklaven hatten mein Glas nicht so wie diejenigen der Männer dauernd nachgefüllt. Alle starrten mich an. Pythions Frau lächelte mir aufmunternd zu. Festinus entblößte seine Zähne, und für einen Augenblick vergaß ich all meine Lektionen, mein Kopf war völlig leer. Natürlich hatte ich einige Passagen auswendig gelernt: Jeder muß Stücke von Homer und aus den Tragödien auswendig lernen. Aber alles, was mir jetzt einfiel, war: »Sing, Göttin des Zorns«, was schon eine Vierjährige aufsagen kann – dies und ein paar Sätze von Hippokrates über die Behandlung von Wunden. Dann fiel mir plötzlich die Tragödie von Euripides ein, die wir heute morgen gelesen hatten, und ich zitierte eine Stelle daraus. Es war der Schlußchor aus den Troerinnen, in dem die Frauen ihren Tod und die Zerstörung ihrer Stadt beklagen, bevor die Griechen sie in die Sklaverei fortschleppen:
Eine Rauchfahne verliert sich in der Luft, Ist schon vergangen: Es gibt kein Troja mehr. Gehen wir also mit müden Beinen; Unten im Hafen warten die griechischen Schiffe.
Als ich etwa die Hälfte aufgesagt hatte, merkte ich, daß es nicht sehr taktvoll war, etwas dieser Art zu zitieren. Alle sahen mich etwas merkwürdig an, und Vater machte erneut einen besorgten Eindruck. Obwohl es niemand zugeben würde, brachte doch jedermann das Plündern von Städten irgendwie mit Festinus in Verbindung. Und es lag zumindest in der Luft, daß Festinus beabsichtigte, mich fortzuschleppen. Nun, jetzt war es zu spät, damit aufzuhören.
Ich kam zum Ende und setzte mich. »Das war ja ganz entzückend, Liebling«, sagte Pythions Frau. Sie war wirklich sehr nett.
»Wir haben es gerade heute morgen gelesen«, sagte ich, um die strengen Blicke etwas zu beschwichtigen. Ich blickte starr auf den Fußboden.
Thorion stieß mich an. Ich sah ihn an und bemerkte, daß er grinste. »Du hast keinen Zweifel daran gelassen, was du von ihm hältst«, flüsterte er mir zu. »Gott und seine Heiligen, sieh ihn dir an, wie er versucht, das Thema zu wechseln!«
Festinus wechselte tatsächlich das Thema und kam auf das Theater zu sprechen, und während der folgenden Fisch und Fleischgänge wurde nur noch darüber gesprochen. Dann machte Vater den Vorschlag, sich zu erheben und vor den Süßspeisen und Früchten ein wenig in den Gärten zu lustwandeln, und alle stimmten zu. Nach all dem Wein wollte jeder die Latrinen benutzen.
Ich benutzte die Latrine auf der Frauenseite des Hauses, dann setzte ich mich in den ersten Innenhof neben den Brunnen, um auf Thorion zu warten. Plötzlich betrat Festinus den Hof. Er war allein. Da er mich sofort entdeckte, hatte es keinen Zweck, sich verstecken zu wollen. Ich faltete meine Hände, legte sie in den Schoß und saß ganz still da.
»Edle Charis«, sagte Festinus und trat auf mich zu. Einen Augenblick lang stand er ganz still und sah auf mich herunter. Ich blickte auf den Fußboden. Er stöhnte und setzte sich neben mich, so nah, daß ich die Hitze seines Körpers spüren und seinen weinschweren Atem riechen konnte. »Was hast du damit sagen wollen, als du diesen Abschnitt aus Euripides zitiert hast?«
Ich versuchte, ein wenig von ihm wegzurücken. »Nichts, erlauchter Festinus«, erwiderte ich. Ich war der Meinung (und ich dachte da genau wie Maia), es sei sehr ungehörig für einen Mann, so ganz allein mit der unverheirateten Tochter seines Gastgebers zu sprechen. »Ich habe die Tragödie heute morgen mit meinem Hauslehrer Ischyras gelesen, und es war alles, woran ich mich im Augenblick erinnern konnte.«
Er lachte, rückte näher an mich heran und legte eine seiner Hände schwer auf meine Schulter. »Ist das alles?« fragte er. »Du magst mich nicht, nicht wahr?«
Ich sah ihn nicht an. Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte ich herausgeschrien: »Du hast meine Amme und einige meiner Freunde foltern lassen!« Aber er war schließlich immer noch Statthalter. Und wenn er wirklich so grausam war, ließ er sie vielleicht alle noch einmal foltern. »Erlauchter Festinus, ich bin ein junges Mädchen und viel zu jung, um mir eine Meinung erlauben zu können. Außerdem kenne ich Eure Erhabenheit doch gar nicht.«
Er lachte und legte mir den Arm um die Schultern. Ich saß ganz still da, preßte meine Hände zusammen, so wie Vater es getan hatte, um sie daran zu hindern, zu zittern. »Ich bin kein Erhabener«, sagte er. »Noch nicht, jedenfalls.« Er faßte mich mit seiner anderen Hand am Kinn und drückte meinen Kopf herum, so daß ich ihn ansehen mußte. Das Licht der Lampen in dem Wagenlenkerzimmer schien in den Hof hinaus und erhellte sein Gesicht. Die Grillen zirpten, und der Brunnen machte ein sanft gurgelndes Geräusch. Sein Gesicht, dachte ich, ohne wirkliches Interesse, wies eine Menge dieser geplatzten Äderchen auf, die Ursache von zu vielem Trinken sind. Sie verliehen seinem Gesicht einen groben Ausdruck, der sich im Lauf der Jahre ohne Zweifel noch verstärken würde. Er sollte nicht soviel trinken und mehr Brot essen. »Vielleicht werde ich irgendwann ein Erhabener sein«, meinte er und leckte seine fleischigen Lippen. »Ich stehe in der Gunst des Kaisers. Er weiß, daß ich ihm eifrig diene. Noch vor fünfzehn Jahren war ich niemand besonderes. Jetzt bin ich ein Spectabilis, Statthalter von Asien im Rang eines Prokonsuls, Freund unseres Erhabenen Gebieters. Du haßt mich, weil mein Vater Sklaven versteigert hat, oder?«
»Nein«, sagte ich. »Das wußte ich gar nicht.«
Die Hand, die meine Schultern umfaßt hatte, schob sich unter die Tunika. Ich keuchte, und er preßte seinen Mund auf den meinen. Ich bekam keine Luft mehr. Er betastete meine Brüste, knetete sie brutal. Ich konnte nicht schreien, seine Zunge war plötzlich in meinem Mund. Ich versuchte, zuzubeißen, doch er schob seine Finger zwischen meine Kiefer und zwang mich so, meinen Mund offen zu halten. Ich stieß ihm meinen Ellenbogen zwischen die Rippen und trat nach ihm, aber er drehte nur seinen Kopf weg und lachte. In seinem Gesicht waren Schweißperlen zu sehen. Seine Hände blieben dort, wo sie waren. »Das soll dir eine Lehre sein, nicht zu lügen«, sagte er. »Du haßt mich tatsächlich; ich spüre so etwas. Du bist wirklich sehr schön mit diesen großen, dunklen Augen. ›Vitas inuleo me similis, Charis‹ – du gleichst wirklich einem Hirschkalb.« Wieder lachte er. »Ja, ich glaube, ich werde mit deinem Vater über dich sprechen. Wie dein kleines Herz schlägt!«
Alles, was ich sagen konnte war: »Du tust mir weh, laß mich gehen!« Er nahm seine Hand aus meiner Tunika. Ich sprang auf und versuchte, nicht zu weinen. Ich war völlig verstört. Niemand hatte mich jemals zuvor berührt, und ich hatte mir niemals gewünscht, daß es jemand versuchte, nicht einmal im Traum. All das gehörte zu der anderen Charis, der lieblichen jungen Dame im Spiegel. »Ich will nichts mit dir zu tun haben«, sagte ich zu Festinus. Meine Stimme klang überraschend beherrscht: Es war nicht die Stimme der jungen Dame, es war meine. Aber seine Hände hatten auch nicht das Bild im Spiegel berührt; sie hatten mir weh getan. »Es hat nichts damit zu tun, wer dein Vater war. Ich hasse Grausamkeit, und du liebst sie. Du solltest mit dem Vater einer anderen sprechen.«
Er entblößte seine Zähne und lachte, und ich lief hinaus und ging in mein Zimmer. Dort saß Maia und nähte. Sie blickte überrascht auf, als ich hereinkam. »Das Abendessen ist doch noch gar nicht vorbei, oder?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich und brach in Tränen aus.
Als Thorion eine halbe Stunde später kam, saßen Maia und ich auf ihrem Bett, und Maia wiegte mich immer noch in ihren Armen und summte leise dazu, als sei ich ein kleines Kind. Ich hatte zu weinen aufgehört, kämpfte jedoch mit einem Schluckauf.
Thorion blieb einen Augenblick lang mit finsterer Miene auf der Türschwelle stehen. Maia bedeutete ihm mit einem Nicken, hereinzukommen. Er tat es und schlug die Tür hinter sich zu.
»Bei der Göttin Artemis!« rief er aus. »Warum bist du denn fortgerannt? Warum bist du nicht schnurstracks zu Vater gegangen und hast ihm gesagt, daß du mit diesem brutalen Kerl nichts zu tun haben willst?«
»Thorion!« sagte Maia. »Du läßt sie jetzt in Frieden! Und wenn du schon fluchen mußt, dann fluche nicht bei diesen heidnischen Göttern!« Ich schneuzte mich. »Ich mußte ganz einfach fort von ihm«, erzählte ich Thorion. »Es war niemand sonst dort, und er…« Ich konnte den Satz nicht beenden: Das Erlebnis war zu quälend, zu schändlich, und meine Gefühle waren immer noch in Aufruhr.
Thorion schien plötzlich die Tränen wahrzunehmen und sah bestürzt aus. »Was hat er getan? Wenn er… ich werde ihn töten!«
»Nein, nein, das war es nicht«, sagte ich und erlangte allmählich meine Selbstbeherrschung zurück. »Er schob seine Hand unter meine Tunika und küßte mich, das ist alles.«
Thorion war wie vom Donner gerührt. »Du hast einen blauen Fleck im Gesicht.«
»Er mußte mich daran hindern, ihn zu beißen.«
Aus irgendeinem Grunde sah er plötzlich erleichtert aus.
»Möge er elendiglich zugrunde gehen und zur Hölle fahren«, rief er aus. Dann trat er näher und setzte sich neben mich. Er legte mir den Arm um die Schultern und drückte mich an sich.
»Aber es wäre gut gewesen, wenn du sofort gekommen wärst und alles erzählt hättest. Festinus faselte Vater etwas davon vor, er habe dir gegenüber ›seine Bewunderung für deine Schönheit zum Ausdruck gebracht – das sind seine genauen Worte – und du wärst plötzlich von übergroßer Schüchternheit und mädchenhafter Bescheidenheit erfüllt gewesen und fortgerannt. Und deshalb brachte er Vater gegenüber die gleiche Bewunderung zum Ausdruck und wiederholte, er habe die Absicht, sich in Ephesus niederzulassen. Er behauptete, seit er dich mit eigenen Augen gesehen habe und wisse, daß du sowohl bescheiden, gut erzogen, edel geboren als auch schön bist, verspüre er den Wunsch, dich zu heiraten, falls Vater damit einverstanden sei.«
Ich sagte nichts. Ich hatte mir schon etwas derartiges gedacht.
»Was hat dein Vater geantwortet?« fragte Maia leise.
»Dies sei eine viel zu wichtige Angelegenheit, als daß man sie auf einer Abendgesellschaft erörtern könne, und sie sollten sich bald wiedersehen, um ausführlich darüber zu sprechen. Dann äußerte ich, Charis sei noch zu jung, um jemanden zu heiraten, und sie sei bereits halb und halb einem anderen versprochen – nun ja, ich mußte ja irgend etwas sagen. Aber dieser brutale Kerl lachte mich einfach aus. Vater verbat mir, mich da einzumischen – er hatte Angst, was ich wohl noch alles sagen mochte –, und befahl mir zu gehen. Aber wenn du hereingekommen wärest, Charition, und gesagt hättest, der Statthalter habe dich in deinem eigenen Hause beleidigt, hätte er ein ›Nein‹ als Antwort akzeptieren müssen.«
»Glaubst du wirklich?« fragte ich bitter. »Vielleicht wäre er genötigt gewesen, mit einer geringeren Mitgift vorlieb zu nehmen, aber er kann von Vater nehmen, was er will, und das weiß er genau. Vater hat immer noch Angst vor ihm.«
»Hättest du ihm nicht etwas sagen können?« wollte Thorion wissen.
»Ich habe ihm gesagt, daß ich nichts mit ihm zu tun haben will. Aber das schien ihm nur zu gefallen. Thorion, er will, daß ich ihn hasse. Er will… mich demütigen. Er will über Ephesus und seine herrschende Gesellschaftsschicht triumphieren.«
»Er genießt es, anderen Schmerzen zuzufügen«, sagte Maia ruhig. »Ja.« Ihr Arm legte sich fester um meine Taille. »Was meinst du, wen können wir vorschieben und behaupten, sie sei ihm versprochen?« fragte sie Thorion.
Er zuckte hilflos die Achseln. »Ich dachte vielleicht an Palladios, den Sohn des Dimitrios. Oder an meinen Freund Kyrillos, er hält große Stücke auf dich, Charition. Ich glaube, er wäre bereit, dich zu entführen, falls alles andere fehlschlägt.«
»Schön«, sagte ich. »Das könnte klappen. Festinus glaubt uns vielleicht nicht, wenn wir plötzlich behaupten, ich sei schon die ganze Zeit über einem anderen versprochen, aber er wird, kaum etwas dagegen unternehmen können. Und ich werde ihn nicht heiraten, unter keinen Umständen. Jetzt müssen wir nur noch Vater davon überzeugen, uns zu helfen.« Wir warteten so lange, bis die Abendgesellschaft zu Ende war und die Gäste nach Hause gingen. Von meinem Zimmer aus konnte man die Leute im ersten Innenhof sprechen hören, und als Vater sich verabschiedete, lauschten wir. »Bis morgen!« sagte Festinus laut mit seiner inzwischen vertrauten näselnden Stimme. Vaters Antwort konnten wir nicht verstehen.
Kaum waren die Gäste fort, gingen wir alle drei zu Vater. Er saß im Wagenlenkerzimmer, wo die Sklaven die Überreste des Essens abräumten. Er sah erschöpft und unglücklich aus.
»Vater«, sagte Thorion. »Wir müssen mit dir sprechen.«
»Oh, meine Lieben«, seufzte Vater, »jetzt nicht, bitte; es ist spät.«
»Doch, jetzt«, beharrte Thorion. »Wenn wir diese Heirat noch verhindern wollen, müssen wir sofort etwas unternehmen.«
Vater machte ein Geräusch, das wie eine Mischung aus einem wütenden Schnauben und ergebenem Seufzen klang. »Die Heirat verhindern? Wie kommst du darauf, daß wir sie überhaupt verhindern wollen?«
Als ich meinen Vater sah, wie er sich dort auf seiner Ruhebank zurücklehnte, wurde mir bewußt, daß ich nicht mehr von ihm wußte als seine Haussklaven. Er dagegen wußte überhaupt nichts von mir. Ich konnte mich eigentlich nur daran erinnern, wie er einmal in mein Zimmer kam, als ich noch ein kleines Kind war, um mit mir zu spielen. Aber seit ich damit begonnen hatte, ich selbst zu werden, waren wir uns immer fremder geworden. Ich hatte ihn manchmal zu den Mahlzeiten gesehen, er hatte mich von Zeit zu Zeit nach meinen Lektionen gefragt und mich dafür gelobt, dies oder jenes auswendig gelernt zu haben, aber wir hatten nie irgendein Thema angeschnitten, das mich interessierte. Für ihn und für Festinus war ich ganz einfach eine junge Dame, die Tochter des Hauses, ruhig, hübsch, gehorsam. Und leicht zu handhaben. Mir wurde allmählich sehr kalt.
»Du kannst doch nicht zulassen, daß dieser brutale Kerl Charis heiratet!« sagte Thorion.
»Psst!« Vater deutete auf die Sklaven, die beim Aufräumen innegehalten hatten und unauffällig an der Wand herumstanden.
»Nein! Festinus ist ein brutaler Kerl und ein Feind unseres Hauses. Und es ist mir egal, wer alles weiß, daß ich so denke!«
»Mein lieber Sohn!« sagte Vater. »Du solltest mit Hochachtung von derart mächtigen Männern sprechen! Es ist zwar richtig, daß der vortreffliche Statthalter von niedriger Geburt ist, aber das gilt für so viele Männer, die heutzutage die höchsten Ränge bekleiden. Das gilt schließlich auch für unseren eigenen Großvater. Der hochgeschätzte, vorzügliche Festinus hat aufgrund eigener Verdienste Reichtum und Macht erworben, und unser Erhabener Gebieter, der Augustus Valens, hält viel von ihm. Darüber hinaus ist er jetzt unser Nachbar. Ich sehe keinen Grund, warum unsere Häuser nicht durch eine Heirat miteinander verbunden werden sollten. Sicher, ich hatte vorher andere Pläne für meine Tochter – aber diese Heirat wird uns beiden zum Vorteil gereichen. Der Statthalter wird an Ansehen gewinnen, und wir werden von seinem Schutz und von seinem Einfluß profitieren.«
»Dann kann also ein Mann mit einem Trupp Soldaten hier einfach hereinmarschiert kommen«, sagte Thorion, »er kann dich mit dem Tode bedrohen, er kann deine Sklaven fortschleppen und sie foltern, er kann deine Tochter in deinem eigenen Haus beleidigen: das macht dir alles nichts aus! Du gibst ihm deine Tochter zur Ehe, einfach so, damit alles im Lot ist. Oh, ewiger Christus!«
»Er hat Charis nicht beleidigt«, bemerkte Vater gereizt.
»Doch, das hat er«, widersprach ich. Ich drehte mein Gesicht so, daß er den blauen Fleck sehen konnte.
Einen Augenblick lang machte Vater den Eindruck, als fühle er sich unwohl in seiner Haut, doch dann zuckte er die Achseln. »Nun, er ist ein leidenschaftlicher Mann. Er wird ruhiger werden mit der Zeit. Seit er zum erstenmal hier aufgetaucht ist, ist er bereits wesentlich ruhiger geworden. Und er war sehr beeindruckt von dir, mein Liebling. Er sprach von deinen Augen und zitierte irgendwelche lateinischen Dichter. Ich wußte gar nicht, daß die Römer Verse geschrieben haben.«
»Vater«, sagte ich. »Er ist mir nicht aus Leidenschaft zu nahe getreten. Er hat seine Freude daran, Leuten weh zu tun und sie zu demütigen. Er hat seine Freude daran, Macht zu spüren. Seit er in Ephesus ist, hat er nichts anderes getan. Ich werde ihn nicht heiraten.«
Vater sah noch unbehaglicher aus. Maia trat zu ihm und warf sich vor ihm auf den Boden, das Gesicht auf dem hell glänzenden Mosaik. Sie trug ihre Arbeitskleidung, eine schlichte, blaue Leinentunika und einen blauen Umhang, während Vater seinen weiß-goldenen, mit Brokat bestickten Umhang umhatte: Doch sie sahen nicht aus wie König und Bittstellerin. Dafür machte Vater einen zu unsicheren, zu beschämten Eindruck. Maia erhob sich auf ihre Knie und umklammerte mit ihren Händen die seinen.
»Bitte, Herr«, flehte sie ihn an. »Charition sagt die Wahrheit: Dieser Mann…« Sie hielt inne. Zu meinem Schrecken sah ich, daß sie weinte, um mich weinte, aus Angst vor dem, was Festinus mir antun würde. »Dieser Mann gehört zu jenen, die es genießen, Grausamkeiten zu verüben. Als… als ich dem Verhör unterzogen wurde, kam er selbst in die Folterkammer hinunter und nahm die Rute in die Hand. Er war es, der dies hier getan hat.« Sie berührte die Narbe auf ihrem Gesicht, die inzwischen zu einer feinen, weißen Linie geworden war. »Und er schlug mich… auch noch woanders hin. Es machte ihm Spaß, o Herr. Ich bitte dich, Herr, neben dem Allerhöchsten habe ich stets nur dir Ehrerbietung erwiesen, aber ich habe Charition geliebt wie mein eigen Fleisch und Blut. Du darfst sie nicht diesem Teufel geben, Herr. Nein, schicke einen Boten an den höchst edlen Dimitrios: Richte ihm aus, was geschehen ist und erbitte seine Hilfe, um eine Heirat zwischen Charis und seinem Sohn Palladios zu arrangieren. Wir behaupten einfach, es sei eine seit langem bestehende Vereinbarung. Selbst Festinus könnte nichts dagegen unternehmen.«
»Ich habe ihm bereits gesagt, daß Charis niemandem versprochen ist!« sagte Vater und machte jetzt wirklich einen sehr niedergeschlagenen Eindruck.
Thorion stöhnte auf.
»Nun ja, er hat mich gefragt«, protestierte Vater.
»Sag ihm, du hättest gelogen«, schlug Thorion vor. »Sag ihm, du hättest vorgehabt, die Ehe mit Palladios abzusagen, aber Dimitrios lehne es ab, darin einzuwilligen. Oder sag ihm, Charis habe sich heimlich mit jemandem verlobt – mit meinem Freund Kyrillos zum Beispiel. Sag ihm irgend etwas, Hauptsache, du kommst aus der Sache raus! Noch ist nichts abgemacht. Noch ist Zeit!«
»Ich werde nicht lügen.« Vater war jetzt verärgert. »Es gehört sich nicht für einen Edelmann.« Er sah auf Maia hinunter, die immer noch seine Knie umklammert hielt. »Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir sehr leid, zu hören, was du da sagst. Aber schließlich wird er es nicht wagen, seine eigene Frau zu mißhandeln, eine Frau von edler Herkunft. Er ist sehr reich und wird wahrscheinlich noch reicher werden. Er wird Charis einen eigenen Haushalt einrichten können. Sie wird ihn nicht allzu oft sehen müssen, falls sie ihn nicht mag. Und ich werde dich und ein paar andere Sklaven aus unserem Haus in ihre Mitgift einschließen, damit sie ihre Freunde um sich hat. Die Verbindung wird von Vorteil sein für unser Haus.«
Maia starrte ihn gequält an.
»Du opferst Charis, um einen persönlichen Vorteil daraus ziehen zu können!« schrie Thorion und wurde ganz weiß vor Ärger. »Du… Agamemnon du! Und das alles nur, um mehr Einfluß zu gewinnen und genug Geld für deine verdammten Pferderennen ausgeben zu können! Du hast kein Rückgrat…«
»Du sollst nicht so mit mir sprechen!« brüllte Vater. »Hast du denn keinen Respekt vor deinem eigenen Vater?«
»Wie könnte ich?«
»Barbar! Heide!« Vater riß Maias Hände von seinen Knien. Sie kam ins Straucheln und starrte ihn unglücklich an. »Steht nicht in der Heiligen Schrift…«
»Vater!« unterbrach ich ihn. Falls Thorion so weitermachte, würde er es Vater unmöglich machen, klein beizugeben. »Vater, ich werde Festinus nicht heiraten.«
Er hörte auf zu brüllen. »Was willst du damit sagen?«
»Genau das, was ich gesagt habe«, erwiderte ich und war von neuem überrascht, daß meine Stimme so ruhig blieb. »Ich werde niemals zustimmen. Du wirst mich fesseln und knebeln müssen, wenn du mich dazu zwingen willst.«
»Liebling!« sagte Vater. »Laß dich durch dieses ganze Geschwätz nicht erschrecken. Überlasse derartige Entscheidungen den Männern, die dafür die Verantwortung tragen. Ein junges Mädchen kann unmöglich beurteilen, was gut für es ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist mein Leben, das hier zur Debatte steht; ich glaube schon, beurteilen zu können, wodurch es ruiniert wird.«
»Liebling!« Vater sah immer noch eher verärgert als wirklich wütend aus. »Es ist doch nur natürlich, daß du Angst hast. Er ist ein furchteinflößender Mann, und alle Mädchen haben Angst, zu heiraten und, hm, und von ihren Familien getrennt zu werden.
Aber es geschieht doch nur zu deinem Besten. Du wirst die Herrin eines Hauses sein, über deine eigenen Sklaven gebieten und über dein eigenes Geld verfügen können, ganz nach Herzenslust. Einen Haufen hübscher Kleider und eine eigene Kutsche, wie? Und die Frau eines mächtigen Mannes hat großen Einfluß. Andere Frauen werden bei dir angelaufen kommen und werden dich bitten, ihren Männern zu helfen, und sie werden dir Geschenke machen. Du kannst gehen, wohin du willst – auf Abendgesellschaften, ins Theater. Laß dich doch nicht von Theodoros ins Boxhorn jagen.«
Er tat so, als sei ich ein etwas törichtes Kind. Aber ich hatte ihm ja auch nie klarmachen können, daß ich etwas anderes war. Ich hatte mich stets mit seinen Erwartungen und den Erwartungen der Welt darüber abgefunden, wie sich eine junge Dame zu benehmen habe. Ich hatte gedacht, wenn ich täte, was die anderen wollten, wären sie vielleicht eher geneigt, mich tun zu lassen, was ich wollte. Statt dessen waren sie jedoch zu dem Schluß gekommen, ich habe keine anderen Bedürfnisse als die ihren.
»Festinus ist grausam«, sagte ich, und meine Stimme klang immer noch ruhig, obwohl ich den Eindruck hatte, mein Herz ziehe sich innerlich zusammen. »Er hat meinen Freunden schwere Verletzungen zugefügt, und er wird auch mir nach Kräften weh tun. Ich wäre eine Närrin, falls ich sehenden Auges eine derartige Ehe einginge. Ich werde ihn nicht heiraten. Falls dir nichts anderes einfällt, was du ihm erzählen kannst, dann erzähl ihm dies.«
»Ich werde ihm überhaupt nichts dergleichen erzählen!« schrie Vater. »Wer ist eigentlich der Herr in diesem Haus, wie? Ich oder ein Haufen Sklaven und Kinder? Geht zu Bett, alle miteinander, und zwar sofort! Und ich möchte, daß ihr morgen vernünftigere Ansichten vertretet und sie mit mehr Respekt vorbringt.«
Thorion öffnete den Mund, aber Vater brüllte ihn an: »Ruhe! Ich bin es leid, mir von euch sagen zu lassen, wie ich mein Geld ausgeben und meine eigene Tochter verheiraten sollte! Wer zahlt denn dein Taschengeld, wie? Wer zahlt für deine Kleider und deine Hauslehrer und deine Trinkgelage? Benimm dich oder ich werde alles miteinander streichen!«
Da Thorion ganz den Eindruck machte, als wolle er gleich von neuem losbrüllen, ergriff ich seinen Arm. Wir konnten ganz offensichtlich nichts erreichen, zumindest nicht, solange Vater in seiner gegenwärtigen Verfassung war. Vielleicht täten wir wirklich besser daran, bis morgen zu warten, wenn er nicht mehr so müde und vom Wein benebelt sein würde. Vielleicht könnten wir morgen noch etwas erreichen. Aber das bezweifelte ich.
»Gute Nacht, Vater«, sagte ich und zog Thorion hinter mir her aus dem Zimmer. Maia folgte und bedeckte ihr Gesicht mit einem Zipfel ihres Umhanges, um ihren Kummer zu verbergen.