11
Zwei Tage später wachte ich auf und fühlte mich unwohl und fiebrig. Es war ein feuchter, frostiger Tag Ende Dezember, und morgens war mir sonst oft kalt. Aber diesmal hatte ich das Bettzeug heruntergeworfen und lag schwitzend da.
Ich mußte unbedingt Patientenbesuche machen, fünf Leute, denen es sehr schlecht ging, und ich mußte auch zu einem Dutzend Genesender. Aber als ich aufstand, merkte ich, daß mir die Gelenke weh taten und mein Magen rumorte. Ich war offensichtlich nicht in der Lage, den ganzen Tag lang zu arbeiten. Darüber hinaus wäre es unverantwortlich von mir gewesen, meine Besuche zu machen und die Patienten der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen. In ihrem geschwächten Zustand könnte dies schlimme Folgen haben. Ich gab Agata, einer der Nonnen, ein paar Drachmen, und bat sie, bei den Patienten vorbeizugehen und auszurichten, ich sei krank. Ich gab ihr für jeden einzelnen ein paar Behandlungsanweisungen mit und bereitete einige Heilkräuter zu. Außerdem nannte ich die Namen einiger anderer Ärzte, falls der eine oder andere eine persönliche Betreuung benötigte. Dann ging ich wieder zu Bett. Amundora kam herauf und brachte mir etwas frisches Kümmelbrot und heißen Wein mit Honig - beides Leckerbissen, die sie extra für mich gekauft haben mußte, da sie selbst niemals etwas dergleichen aß oder trank. Aber ich fühlte mich inzwischen sehr elend und konnte nicht einmal den Geruch dieser Dinge ertragen. Ich dankte ihr, sagte ihr jedoch, alles, was ich brauchte, sei Ruhe. Sie blieb zögernd auf der Türschwelle stehen. »He, du siehst wirklich krank aus! Nun schön, ich bin den ganzen Tag über zu Hause; ruf einfach, wenn du etwas brauchst.«
Ich nickte. Als sie draußen war, erbrach ich mich in das Nachtgeschirr.
Ich war noch nie in meinem Leben schwerkrank gewesen. Natürlich hatte ich diese oder jene Erkältung gehabt und ein paarmal Andertagsfieber, aber nicht so etwas wie jetzt. Ich fühlte mich wie aus dem Wasser gezogen, und bis zum späten Nachmittag war ich total erschöpft. Es war eigentlich das gleiche Fieber wie bei Athanaric, obwohl man unmöglich sagen konnte, ob ich mich bei ihm oder bei einem meiner anderen Patienten angesteckt hatte. Nachdem ich mich erbrochen hatte, machte ich mir einen Schwamm mit etwas Opium und Honigwasser zurecht und saugte daran, in der Hoffnung, ein wenig schlafen zu können und die Krämpfe zu lindern. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß es viel half. Ich konnte auch sonst nichts bei mir behalten, obwohl ich gegen das Fieber gefleckten Schierling versuchte und gegen die Übelkeit Nardensalbe und Aloe.
Am späten Nachmittag kam Amundora noch einmal herauf und stimmte ein großes Wehgeschrei an. Sie trug den überlaufenden Nachttopf hinaus und wischte den Fußboden, dann wollte sie auch mich waschen. »Laß mich bitte allein«, wehrte ich sie ab.
»Es geht mir sicher bald wieder besser. Ich kenne dieses Fieber: Es kommt ganz plötzlich, geht aber ebenso schnell wieder.«
Sie verließ mich nur widerwillig, dann kam sie mit frischem Wasser zurück. Ich bat sie, den Schwamm hineinzutauchen. Mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck reichte sie ihn mir. Reines Wasser ist bei akuter Krankheit gar nicht gesund, dachte ich bei mir selbst. Man sollte zumindest Honigwasser nehmen oder eventuell eine Mischung von Honigwasser und Salzlauge und außerdem etwas Opium.
Aber es bedeutete eine viel zu große Anstrengung, Amundora dies alles zu erklären. Ich nahm den Schwamm mit reinem Wasser, steckte ihn mir in den trockenen Mund und zitterte. Das unglückliche und besorgte Gesicht der Nonne schien in weite Ferne zu entschwinden. Ich wünschte mir, Maia wäre bei mir gewesen.
»Du bist zu krank, um dich selbst zu behandeln«, meinte Amundora. »Ich werde einen anderen Arzt holen.«
»Nein!« rief ich und riß mich mit letzter Kraft zusammen.
»Es ist schon gut. Niemand kann irgend etwas tun, was ich nicht auch schon tue. Ich muß mich nur ein wenig ausruhen. Laß mich alleine!«
Ich ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken. Ich hörte, wie sich die Schritte in Richtung auf die Tür entfernten, dann hörte ich einen Augenblick lang nichts mehr, endlich, wie die Schritte die Treppe hinunter leiser wurden. Ich fing an zu weinen, unfähig, mir irgendwie zu helfen. Es war sehr heiß und dunkel im Zimmer, und ich sehnte mich nach Maia. Mir wurde erneut übel, aber ich benötigte das Nachtgeschirr nicht: Mein Magen zog sich zusammen, doch er gab nichts mehr her. Er bestand aus nichts als Blähungen und Schmerzen. Die Krämpfe hielten lange, lange Zeit an.
Es wurde dunkler. Jemand kam herein und redete mit lauter Stimme auf mich ein, schüttelte mich. Undeutlich murmelnd schluchzte ich, sie sollten sich allesamt fortscheren, konnte mich jedoch nicht daran erinnern, wann sie gingen.
Das nächste, was ich bemerkte, war, daß jemand eine Öllampe entzündet hatte und sie über mich hielt und auf mich herabsah. »Maia?« fragte ich. Ich versuchte mich aufzurichten, doch die Bewegung verursachte mir erneut Übelkeit. Der Besucher trat näher, legte mir eine Hand auf die Stirn und fühlte mir den Puls. Es war Philon.
»Wann hat das angefangen?« fragte Philon und sah sich um.
»Heute morgen«, erwiderte Amundora. »Ich hatte den Eindruck, daß er sehr krank ist, aber er wollte nicht, daß ich nach jemandem schicke. Als ich dann nach den Abendgebeten hier hinaufging, lag er wie betäubt da und hörte mich nicht, und so erinnerte ich mich daran, daß du gütiger Herr sein Lehrmeister warst. Und so bin ich gleich zu dir gelaufen.«
Philon untersuchte meine Augen. »Es ist ein äußerst gefährliches Fieber«, meinte er. »Vergangenen Monat habe ich zwei oder drei Fälle davon gehabt. Die Patienten sind alle gestorben. Er hätte dich früher losschicken sollen, aber ich bin froh, daß du mich wenigstens jetzt geholt hast.
Komm, Chariton, du bist jetzt sowieso wach, laß mich einen Blick auf dich werfen.«
»Nein«, sagte ich. »Geh weg. Laß mich allein.«
»Kannst du bitte eine Kohlenpfanne holen?« bat Philon die Nonne. »Das Zimmer hier ist sehr kalt, und ich muß etwas Wasser abkochen.«
»Sofort!« sagte Amundora und huschte aus dem Zimmer. Philon wandte sich mir erneut zu.
»Laß mich allein!« bettelte ich.
»Mach dich nicht lächerlich«, antwortete Philon. Er begann, meine Tunika aufzumachen. Sie stank sicherlich so, daß sie jedem den Magen umdrehen mußte. Dann hielt er plötzlich inne. »Was ist denn das?« fragte er.
Ich fing an zu weinen. Philon starrte mich an. Sein Gesicht schien eine Ewigkeit dort über mir zu verweilen: dieser gleichmäßig geschnittene Bart und die vertrauten braunen Augen, die jetzt vor lauter Erstaunen weit aufgerissen waren. Die Pupillen schienen in der Dunkelheit zu verschwimmen, und das Gesicht flimmerte wie eine Spiegelung im Wasser, es fing an zu zittern und sich in all der Hitze und Schwärze aufzulösen und mich allein zu lassen.
Als ich das nächste mal erwachte, war die schreckliche Übelkeit verschwunden, und ich war furchtbar durstig. Ich versuchte, mich aufzurichten. Eine Hand stützte mir den Kopf, und jemand führte einen Becher an meine Lippen. Er enthielt eine Mischung aus Honigwasser und Salz, die nach Narde und nach etwas Bitterem roch – wahrscheinlich gefleckter Schierling, dachte ich. Ich nahm ein paar Schlucke, dann blickte ich auf, um zu sehen, wer mir das Getränk einflößte. Philon.
»Trink aus«, befahl er. Ich tat es, und er stellte den Becher wieder hin. »Wie fühlst du dich jetzt?« fragte er.
»Sehr viel besser«, erwiderte ich. Meine Stimme klang mir selbst fremd: nichts als ein schwaches Flüstern. Ich hatte es schon bei anderen gehört und daraus auf den schwachen Zustand des Genesenden geschlossen. Es war eigenartig, dieses Flüstern nun bei mir selbst wiederzuerkennen. »Müde. Du… hast du…«
»Ob ich herausgefunden habe, daß du eine Frau bist? Das war wohl schwerlich zu vermeiden, nicht wahr? Ich habe mich noch nie in meinem Leben derart als Narr gefühlt. Mein eigener Assistent, der mehr als zwei Jahre lang in meinem eigenen Haus gewohnt hat, und ich habe ihm geglaubt, daß er ein Eunuch ist, obwohl es doch ganz klar auf der Hand hätte liegen müssen, daß er nichts dergleichen ist. Daß sie nichts dergleichen ist. Bleib liegen! Das ist ein scheußliches Fieber, was du da hast. Du mußt erst wieder zu Kräften kommen.«
Ich lag ganz still da. »Es tut mir leid«, sagte ich und versuchte, nicht zu weinen. »Hast du… wem hast du es erzählt?«
Er schnaubte verächtlich und tätschelte mir beruhigend den Arm. »Niemandem. Die Nonnen hier wissen nichts davon, und selbst Deborah gegenüber habe ich nicht die geringste Andeutung gemacht. Es fällt unter meinen Eid. Ist es das, was der Erzbischof entdeckt hat?«
Ich nickte.
»Ein alter Mann, ein Bischof, und er hat es sofort bemerkt! Und ich als ausgebildeter Arzt konnte es innerhalb von zwei Jahren nicht entdecken!«
»Ich glaube, jeder der es überhaupt bemerkt, wird es sofort bemerken«, meinte ich. Ich hatte darüber nachgedacht. »Wenn man sich erst einmal an den Gedanken, wer ich bin, gewöhnt hat, fällt es einem um so schwerer, mich als jemand ganz anderen zu sehen.«
Philon seufzte. »Ich habe mich noch nie in meinem Leben derart als Narr gefühlt«, wiederholte er. »Dann bist du wohl die Tochter des Theodoros von Ephesus, oder?«
»Ja.«
»Und ich habe gedacht… nun, jetzt ist’s ja egal.«
»Ich weiß, was du ursprünglich gedacht hast. Ich habe gelauscht, als du eines Abends mit Deborah darüber gesprochen hast. Es tut mir so leid, Philon.«
»Warum hast du das getan?«
»Ich wollte die Heilkunst erlernen. Ich wäre wahrscheinlich nicht fortgerannt, wenn Vater mich nicht mit Festinus hätte verheiraten wollen. Aber als ich dann floh, mußte ich ganz einfach nach Alexandria kommen. Kannst du das verstehen?
Ich weiß, es war unschicklich und unehrlich, aber solange ich denken kann, wollte ich hier studieren.«
Philon lächelte ein eigenartiges Lächeln. »Im Grunde genommen kann ich es verstehen.« Er seufzte, dann fühlte er mir den Puls. »Du wirst wieder gesund werden«, sagte er zu mir. »Diese Krankheit ist ganz schrecklich, aber ich glaube, du bist bald wieder gesund.«
»Einer meiner Patienten, der dieselbe Krankheit hatte, ist auch wieder gesund geworden«, erzählte ich ihm.
»Aha, dann hast du solche Fieberfälle in deiner Praxis auch erlebt? Ich glaube, bisher hat keiner meiner Patienten dieses Fieber überlebt. Du mußt deinen Patienten sehr gut umsorgt haben.«
»Er war ein kräftiger junger Mann.«
»Und du bist eine kräftige junge Frau. Ich werde mich niemals daran gewöhnen. Ich hätte dich niemals aufgenommen, wenn ich es gewußt hätte. Reg dich nicht auf: Inzwischen könnte ich dir genausowenig raten, der Medizin den Rücken zu kehren, wie mir selbst. Weißt du, daß ich ebenfalls darum kämpfen mußte, studieren zu dürfen? Meine Eltern waren sehr fromm, und ich war dazu erzogen worden, die Thora zu studieren. Als ich in Alexandria fertig war, schickten sie mich nach Tiberias, um am Hof des Patriarchen zu studieren. Dort verbrachte ich ein Jahr und kämpfte mich durch die Gesetze des Moses, und dann wachte ich eines Morgens auf, und mir wurde klar, daß ich bereits zwanzig war und mich für diese ganzen mosaischen Gesetze nicht interessierte: Ich wollte die Heilkunst praktizieren. Damals war ich schon verheiratet, und wir hatten das Baby – und ich hatte noch nicht einmal ein einziges Kapitel von Hippokrates gelesen. Und ich rannte aus Tiberias fort und ging wieder nach Alexandria. Mein Vater war wütend. Er weigerte sich, mich zu unterstützen, falls ich nicht nach Tiberias zurückkehrte. So also verließ ich mein Zuhause. Mein Schwiegervater verlangte von Deborah, sich von mir scheiden zu lassen und einen anderen zu heiraten, doch sie wollte bei mir bleiben, der Herr segne sie. Damals lehrte ein jüdischer Arzt am Museum, ein Mann namens Themistion. Adamantios war ebenfalls sein Schüler. Ich ging zu ihm und bat ihn, mich die Heilkunst zu lehren. Er wollte nicht – ich kannte nur die Thora, und er war wie Adamantios: ein gebildeter Mann und ein Platoniker. Er meinte, es sei besser, wenn ich meinem Vater gehorchte. Zum Schluß bot ich ihm an, sein Diener zu sein und jede Arbeit für ihn zu übernehmen, wenn er mich nur die Heilkunst lehrte. Er sah, wie verzweifelt ich war, und willigte ein. Und ich willigte ein, dich zu nehmen, weil ich die gleiche Leidenschaft in dir erkennen konnte. Wenn ich gewußt hätte, daß du eine Frau bist, hätte ich das bezweifelt. Ich hätte dir geraten, zu deiner Familie zurückzukehren. Aber das wäre falsch gewesen, denn wir ähneln uns. Beim heiligen Namen, mein Mädchen, weine nicht! Möchtest du noch etwas klare Brühe?«
Wie Philon richtig vorausgesagt hatte, erholte ich mich rasch. Am nächsten Tag war ich wieder auf den Beinen, wenn auch etwas zittrig, aber Philon befahl mir energisch, mich nicht anzustrengen, und so blieb ich zu Hause und las die Abhandlung des Dioskurides über Arzneimittel. Einer der Sklaven des Erzbischofs kam aus dem Palast, um sich zu erkundigen, wie es mir ginge, und kehrte beruhigt zurück. (Ich erfuhr später, daß Athanasios ursprünglich selbst hatte kommen wollen, Theophilos es ihm aber ausgeredet hatte.)
Am nächsten Morgen klopfte es erneut, und hereinstolziert kam Athanaric. »Sei gegrüßt, Euer Gnaden«, sagte er – eine Anspielung auf meinen Namen, die viel besser war, als er ahnte, da Charis und nicht Chariton »Gnade« heißt. »Ich dachte, ich schaue einmal nach und sehe, wie du dich von dem kleinen Geschenk, das ich dir verpaßt habe, erholst. Die Geschichte tut mir leid.«
»Ich habe auch noch andere Patienten außer dir«, widersprach ich ihm. »Ich hätte mir das Fieber überall aufgabeln können. Möchte Eure Vortrefflichkeit sich setzen? Es tut mir leid, daß ich für Besucher nicht recht vorbereitet bin.«
»Mach dir keine Umstände«, erwiderte er und setzte sich an das Schreibpult. »Gütiger Gott, hast du eine Menge Bücher!«
Das hatte ich damals tatsächlich. Was Bücher anbetrifft, so ist Alexandria eine großartige Stadt. Papyrus ist billig in Ägypten, und Schreiber können ein Vermögen damit verdienen, wenn sie Werke kopieren und sie der Bibliothek verkaufen. Zu meinen beiden Büchern von Hippokrates und Galen hatte ich die Werke von Herophilos und Erasistratos, Dioskurides und Celsus, Krateuas, Nikandros und Oribasios – von all den medizinischen Größen – hinzugekauft. Mein Bücherschrank war voll, und mein Schreibpult quoll über.
»Ich sehe, daß du in bezug auf deine Geldausgaben tatsächlich einen gewissenhaften Bericht abgeliefert hast«, fuhr er fort.
»Bücher. Ganz gewiß nicht Kleidung oder Wohnung oder Luxusartikel. Würde es nicht trotzdem ganz natürlich sein, eine größere Wohnung zu haben, und vielleicht auch einen Sklaven, um alles in Ordnung zu halten?«
Ich betrachtete ihn aufmerksam. Ein erneuter Versuch, mich zu bestechen? »Ich mag die Scherereien nicht, die all das mit sich bringt«, entgegnete ich. »So wie es jetzt ist, habe ich die Freiheit, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mich interessieren.«
»Die Freiheit des vollkommenen Philosophen. Und wer bin ich, dies in Frage zu stellen? Chariton, hast du dich jemals gefragt, wohin dich dein Erzbischof führt?«
»Natürlich, oft.« Aber ich wollte nicht mit Athanaric darüber diskutieren. »Seine Heiligkeit Bischof Athanasios ist mein Patient«, erwiderte ich. »Es ist meine Aufgabe, mich um seine Gesundheit zu kümmern. Wie er seine eigene Aufgabe anpackt, geht mich nichts an.«
»Auch nicht, wenn du dabei drauf gehen könntest? Er hat sich dem Kaiser entgegengestellt. Er hat sich inzwischen bereits vier Kaisern entgegengestellt. Einem nach dem anderen. Seine Erhabene Majestät duldet ihn im Augenblick um des lieben Friedens in der Stadt willen, aber du solltest eigentlich wissen, was passiert, sobald er stirbt.«
»Vortrefflicher Athanaric, ich würde lieber nicht darüber sprechen.«
»Ich glaube aber, es wäre besser für dich. Wenn Athanasios stirbt, wird es zu einem großen Blutvergießen kommen. Und falls du in die Sache verwickelt bist, wird dir dein Status als Arzt nicht viel helfen. Du würdest ebenso schnell wie jeder Fanatiker aus der nitrischen Wüste in den Kerker geworfen werden.«
Ich seufzte. Also keine Bestechung mehr. Drohungen. »Ich werde keines Menschen Blut vergießen, außer vielleicht bei einem chirurgischen Eingriff. Selbst der fanatischste Arianer wird mich kaum in den Kerker werfen, nur weil ich meine Patienten gewissenhaft behandle.«
»Und was geschieht, wenn deine Patienten Flüchtlinge oder Verbrecher sind? Du solltest dich besser aus all dem heraushalten. Hör zu, ich kann dir eine Empfehlung für den Posten eines Amtsarztes in irgendeiner anderen Stadt geben. Unser frommer Augustus, der Erlauchte Valentinian, hat eine ganze Anzahl von Ärzten in Rom eingesetzt, in jedem Stadtteil einen. Sie behandeln die Armen kostenlos, und der Staat zahlt ihnen ein gutes Gehalt. Sie würden sich freuen, dich nach Rom zu bekommen, und du würdest dort eine Menge bewirken können. Du könntest nach Herzenslust das gemeine Volk behandeln und eine bessere Belohnung dafür erwarten, als ins Gefängnis geworfen zu werden. Und falls du Rom nicht magst, dann gibt es auch noch andere Städte. Ich sähe es gar nicht gerne, einen so guten Arzt in Schwierigkeiten zu wissen.«
»Bist du fertig?«
Er sah mich verärgert an. »Nun schön, dann hörst du eben nicht auf die Stimme der Vernunft!«
Er war fertig! Ich hatte eine persönliche Drohung erwartet, etwa in der Art: »Wenn du die Stadt nicht verläßt und deinen Patienten aufgibst, werde ich dich den Behörden melden müssen.«
Aber vielleicht wollte er, daß ich so etwas vermutete. »Ich danke Eurer Fürsorglichkeit für diesen Ratschlag«, sagte ich.
»Im Augenblick bin ich hier unter all meinen Freunden ganz zufrieden. Ich will deinen Eifer nicht bremsen. Du hast sicher eine Menge Arbeit, die deine Aufmerksamkeit erfordert.«
»Oh, zur Hölle mit deinen Freunden!« rief er aus. »Ich wollte dir nur helfen. Dann leb also wohl, Chariton, und viel Glück!« Und damit ging er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Ich saß auf meinem Bett und fragte mich, ob ich nicht lieber auf ihn hätte hören sollen.