13

Die Goten hatten ihr Lager nicht weit von der Festung Salices aufgeschlagen, so daß wir nicht lange reiten mußten. Es war ein großes Lager – in dem sich achthundert Goten befanden. Zu ihrem Beutegut gehörten etwa hundert römische Gefangene. Der gotische Befehlshaber – er hieß Walimir – befahl mir, mich sofort an die Arbeit zu machen und die Verwundeten zu behandeln. Er war höflich und formulierte seinen Befehl wie eine Bitte, aber es handelte sich nichtsdestoweniger um einen Befehl. Es gab einen Haufen verwundeter Goten. Einige Wunden waren infiziert, vor allem, weil die Soldaten soviel von Adernpressen und von magischen Zaubermitteln hielten. Die römischen Gefangenen waren ebenfalls verwundet, außerdem hatten sie von Fesseln wundgeriebene Stellen.

Ich zog ein paar der Römer zur Mitarbeit heran, um Verbände und Reinigungslösungen herzurichten, aber ich brauchte bis zum Abend, um alle, die Hilfe nötig hatten, zu behandeln. Inzwischen war ich viel zu erschöpft, um einen Fluchtversuch zu machen. Walimir hatte mich nicht fesseln lassen, weil ich der Gastfreund des edlen Frithigern war, doch er befahl einigen seiner Reiter, mich zu bewachen. Ich bezweifle, daß ich weit gekommen wäre, selbst wenn ich bei Kräften gewesen wäre. Doch meine Wächter machten mir das Leben äußerst schwer. Es war umständlich genug gewesen, mein Geheimnis zu bewahren, solange ich mit den Römern über Land ritt und mich immerhin noch ein wenig zurückziehen konnte. Doch jetzt war ich keinen Augenblick mehr ungestört, und schon am Ende des ersten Tages war ich absolut ratlos. Ich konnte mich nicht waschen, und wenn ich eine Latrine benutzte, litt ich Folterqualen – die Goten waren äußerst neugierig und wollten unbedingt herausbekommen, was man so einem Eunuchen angetan hatte. Sie starrten mich unverwandt an, obwohl ich meine Tunika nicht hochhob.

Am nächsten Morgen brachen die Goten das Lager ab und machten sich auf den Weg zu Frithigern in seine Stadt aus Wagenburgen. Weiter östlich waren sie plündernd in das Landesinnere eingefallen; kleinere Trupps waren in den Norden vorgedrungen und von Sebastianus’ Soldaten abgeschnitten und aufgerieben worden. Der Tribun hatte recht gehabt: Der Überfall auf Salices war ein Rachefeldzug gewesen. Sie hatten außer Sichtweite gelagert und an der Versorgungsstraße des Lagers einen Hinterhalt gelegt, in der Hoffnung, ein paar Römer zu töten und sich dann wieder davonzumachen. Aber sie waren nicht unbedingt erpicht auf eine größere Schlacht gewesen, und jetzt wollten sie mit ihrer Beute möglichst schnell zu ihren Frauen und Familien zurückkehren. So marschierten wir in südwestliche Richtung, vorneweg ein Trupp Reiter, dann kamen die Fußsoldaten zusammen mit den Sklaven und den Wagen mit dem Beutegut, schließlich die Kühe und die restlichen Reiter, die langsam durch ein weißes, menschenleeres Land ritten.

Selbst bei unserem langsamen Tempo brauchten wir nur anderthalb Tage, um die Wagenburg zu erreichen – ich hatte mir nicht klargemacht, daß sie so nahe lag. Aus der Entfernung sah sie wie eine wirkliche Stadt mit hölzernen Wällen aus. Erst beim Näherkommen konnte man sehen, daß die Wälle aus einer endlosen Kette zusammengerückter und aneinandergebundener Wagen bestanden, an die man hölzerne Schanzpfähle befestigt hatte. Als wir näherkamen, ritten einige der Goten voraus, schrien und brüllten und schwenkten ein paar von den geplünderten Gegenständen. Andere Goten strömten aus der Stadt heraus und schrien ihrerseits. Kinder stapften durch den Schnee und rannten neben den Soldaten her, riefen ihnen Fragen zu, bewarfen die Gefangenen mit Schneebällen und beschimpften und verhöhnten sie. Einige rannten voraus, um einen Vater oder einen Bruder, einen Onkel oder einen Vetter zu begrüßen. Die Marschkolonne machte halt, lange bevor wir die Tore erreichten. Ich kauerte auf meinem Pferd und fühlte mich erbärmlich. Die Leute starrten mich an und zeigten mit den Fingern auf mich, obwohl niemand etwas nach mir warf.

Im Inneren der Stadt befanden sich weitere Wagen, die in unregelmäßigen, konzentrischen Kreisen angeordnet waren. Überall liefen Tiere und Menschen herum. Der Rauch von Kochfeuern mischte sich mit dem Gestank von Latrinen; Küken kratzten auf Dunghaufen, auf denen auch Kinder spielten; Frauen breiteten ihre Wäsche aus und hängten sie neben provisorischen Brunnen über Dornenhecken oder über Pferdetröge zum Trocknen auf. Ich fragte mich, wie viele Goten wohl inzwischen in Thrazien sein mochten. Es hatte den Anschein, als sei diese Wagenburg bei weitem größer als alle römischen Städte der Diözese.

Im Zentrum des Lagers stand ein Haus. Es war ein römisches Haus, eine große und prächtige Villa, mit einer Vorderseite aus Säulen, einem Ziegeldach und einem Badehaus. Als wir dort angekommen waren, stieg Walimir vom Pferd und bedeutete mir, das gleiche zu tun. Vor dem Haus standen in Bärenfelle gehüllte Wachen mit erbeuteten römischen Waffen. Zwei von ihnen traten auf uns zu und fragten Walimir, was er wolle.

»Wir haben einen Ausfall gemacht und sind gerade zurückgekommen«, verkündete dieser. »Ich habe eine Menge Beutegut und einen Haufen Gefangene gemacht; bei Salices habe ich viele Römer getötet und den berühmten Arzt und Zauberer Chariton gefangengenommen. Ich bringe ihn König Frithigern.«

Die Wachen sahen Walimir respektvoll an, mir warfen sie neugierige Blicke zu. Wir wurden in die Halle der Villa eingelassen, und einer der Wachsoldaten ging, um uns Frithigern zu melden. Er kam zurück und beglückwünschte Walimir im Namen Frithigerns, bat ihn jedoch, einen Augenblick zu warten, da der König noch einige Geschäfte zu erledigen habe. Wir warteten. Nach etwa einer halben Stunde betrat noch jemand den Warteraum, ein hochgewachsener Gote in einem hermelinbesetzten Umhang, und plötzlich erkannte ich in ihm meinen früheren Assistenten Edico.

»Chariton, mein lieber Meister!« rief er aus, sah mich strahlend an und trat auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Ich bin überaus glücklich, dich heil und gesund zu sehen, und dann auch noch hier, bei meinem eigenen Volk!«

Ich zog meine Hand zurück. Sicherlich, ich freute mich, Edico wiederzusehen – es war schön, überhaupt ein vertrautes Gesicht zu erblicken. Und es war wunderbar, endlich wieder einmal jemanden griechisch sprechen zu hören – aber ich ärgerte mich.

»Ich bin nicht freiwillig hier«, erwiderte ich ungehalten.

Das Lächeln verschwand sofort. »Ja, man hat mir berichtet, daß du gefangengenommen worden bist. Aber mach dir keine Sorgen, dir wird kein Leid geschehen. Du hast viele Freunde hier, darunter auch König Frithigern. Wir werden dich in jeder Beziehung als unseren Gast behandeln.«

»Ein Gast ist frei, zu gehen, wohin immer es ihm gefällt«, wandte ich ein. »Darf ich annehmen, daß dies auch für mich gilt? Wenn das so ist, mache ich mich sofort auf den Weg.«

Er schüttelte schnell den Kopf. »Es tut mir leid, wir sind in einer Notlage. Wie haben kaum Ärzte, und viele Menschen sind krank. Ich habe versucht, die Leute dazu zu bewegen, Brunnen für ihr Trinkwasser zu benutzen, ich habe versucht, all die Dinge zu tun, die du mir beigebracht hast, aber wir leiden immer noch an vielen Krankheiten. Die Menschen sind durch die teuflischen Römer, die uns am Fluß festgehalten haben, böse geschwächt. Und die Verwundeten leiden fürchterlich, da wir nicht genügend Heilmittel haben, um sie ordentlich zu behandeln. Das Opium ist mir ausgegangen, und seit Wochen durchkämmen einige Burschen in meinem Auftrag die Nachbarschaft nach Alraunwurzeln.«

»Das Opium ist dir ausgegangen? Das tut mir aber leid! Aber ich fürchte, ich habe auch nicht mehr viel: Ein Dieb hat die Hälfte unserer Vorräte in Novidunum gestohlen.«

Edico war immerhin so gnädig, zu erröten. »Wir benötigten es dringend«, meinte er ganz ernsthaft. »Ich weiß, daß du Mitleid mit uns hast, Chariton; du hast versucht, diesem Lupicinus sein Handwerk zu legen. Aber du hattest keine Ahnung, wie sehr wir litten. Ich war außer mir vor Freude, als die Soldaten mir erzählten, sie hätten dich gefangengenommen. Du wirst so viele Menschenleben retten können.«

»Ich bin aber gar nicht außer mir vor Freude! Bei den Römern kann ich ebensogut Menschenleben retten, außerdem wäre ich sehr viel lieber bei meinen eigenen Leuten. Edico, ich habe dir die Heilkunst beigebracht, und als du den Eid abgelegt hast, hast du geschworen, mich als deinen Lehrvater anzusehen. Setz dich für mich ein, versuche, den König dazu zu überreden, mich nach Hause zu schicken. Hör zu: Wenn es dich ärgert, daß ich deine Feinde heile, dann will ich schwören, aus Thrazien zu verschwinden und nach Alexandria oder vielleicht auch nach Konstantinopel zu gehen. Aber ich gehöre nicht hierher. Das weißt du.«

Edico stand da, sein Gesicht über dem Hermelinumhang war feuerrot. »Es tut mir leid«, meinte er schließlich. »Wir sind knapp an Ärzten, und ich brauche Hilfe.«

»Zum Teufel mit dir«, erwiderte ich bloß. Ich konnte nicht auf seine Hilfe hoffen. Hinter uns öffnete sich eine Tür, die Wachen nahmen Haltung an, und ein gotischer Edelmann machte uns ein Zeichen, zum König zu kommen.

Walimir ging als erster hinein, seine Untergebenen folgten ihm, dann kam ich zusammen mit einem Wachsoldaten; Edico schlich hinter mir her und machte einen äußerst unglücklichen Eindruck. Es war ein großer und prächtiger Raum; der Fußboden war mit einem Tierkreismosaik ausgelegt, vor den Glasfenstern hingen grüne, mit Goldbrokat bestickte Vorhänge, und die grüngelbe Täfelung der Wände war mit Wandteppichen behangen. In der einen Ecke des Raumes hatten die Goten eine Art Podium errichtet, das mit weiteren Brokatvorhängen verkleidet war und auf dem mehrere vergoldete Ruhebänke standen. Auf der mittleren saß Frithigern. Er trug einen purpurfarbenen Umhang – Gott allein weiß, wo er so etwas herbekommen hatte – und ein goldenes Stirnband. Ein weiterer Anführer, der ähnlich gekleidet war, saß auf der äußersten Kante der Ruhebank neben ihm. Ich vermutete, daß es ein anderer gotischer Heerführer war, vielleicht Alavivus oder einer der greuthungischen Edelleute.

Walimir beugte das Knie vor dem König. »Sei gegrüßt, Frithigern, König der Goten!« rief er aus. Der andere Anführer sah bei dieser Anrede verstimmt aus, sagte jedoch nichts. Frithigern erhob sich von seiner Ruhebank und kam herunter, um Walimir die Hand zu schütteln.

»Sei gegrüßt, Walimir! Gut gemacht! Die ganze Stadt hallt von den Neuigkeiten deiner Siege wieder.« Walimir sah erfreut aus. »Ich hoffe, das Beutegut ist nach deinen Wünschen sowie nach den Gebräuchen unseres Volkes verteilt worden? Gut. Gut auch, daß du Chariton gefangengenommen hast. Der edle Edico hat sich schon seit Monaten gewünscht, ihn hier zu sehen.«

»So daß es mir überlassen bleibt, meine Anwesenheit hier zu beklagen«, warf ich ein. »Oder muß ich mich jetzt als Sklaven betrachten und den Mund halten, während andere über mich verfügen?«

»Du bist unser Gast«, erwiderte Frithigern auf griechisch und streckte mir die Hand entgegen.

Nach einem Augenblick des Zögerns ergriff ich sie. »Edler Frithigern«, sagte ich, »ich weiß, daß dein Volk großes Unrecht erlitten hat. Ich habe versucht, dem Einhalt zu gebieten…«

»Ich habe davon gehört, und ich danke dir.«

»… aber ich kann dir nicht dienen, wenn ich mich gegen mein eigenes Volk stellen muß. Bitte laß mich gehen. Ich habe dir in der Vergangenheit geholfen, vortrefflicher Frithigern, und du schuldest mir etwas Besseres als die Gefangenschaft.«

Frithigern schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Ich verlange von dir ja nicht, gegen dein eigenes Volk zu kämpfen. Ich hoffe aber, daß du dich als Arzt nicht weigern wirst, die Kranken zu behandeln. Und wir haben sehr viele Kranke und Verwundete – sie sind krank, weil die Leute den Römern vertraut haben und auch, weil sie mir vertraut haben; und sie sind verwundet, weil sie für mich gekämpft haben. Ich kann dich nicht gehen lassen.«

»Dann behandelst du mich also als Sklaven, gleichgültig, was für schöne Worte du über Gastfreundschaft verlierst.«

»Wenn du es vorziehst, dieses Wort zu gebrauchen, dann sei es dir unbenommen; ich werde dich meinen Gast nennen. Du bist willkommen in meinem Haus. Hast du schon etwas gegessen? Wenn nicht, dann leistest du mir vielleicht Gesellschaft zum Abendessen? Ach, Chariton, als Grieche wirst du wohl zuerst baden wollen. Meine persönlichen Sklaven werden dich bedienen.«

»Dank dir, nein«, entgegnete ich ihm. Ich fragte mich, wie lange ich wohl bei den Goten bleiben und ihre Verwundeten behandeln müßte. Ich fragte mich, ob mich die Römer für einen Verräter halten würden, wenn sie die Barbaren schließlich besiegten. Wahrscheinlich nicht; Sebastianus wußte, daß ich nicht freiwillig mitgegangen war.

»Nun, dann willst du dir vielleicht etwas anderes anziehen?« fragte Frithigern und warf mir aus seinen blassen Augen einen schwer zu deutenden Blick zu. »Du bist weit geritten, und es schmerzt mich, einen Gast zu beherbergen, der von der Reise derart erschöpft ist.«

Ich seufzte. »Wenn ich ein Zimmer für mich haben könnte, würde ich mich gerne für einen Augenblick zurückziehen und mich ein wenig ausruhen.«

»Meine Sklaven werden sich um dich kümmern.«

»Wenn du nichts dagegen hast, vortrefflicher Frithigern, würde ich es vorziehen, allein zu sein.«

Die gläsern wirkenden Augen fixierten mich, der Blick wurde intensiver und war von einem Stirnrunzeln begleitet.

»Bitte entschuldige mich, weiser Chariton, aber das ist kein guter Vorschlag. Es wäre besser, wenn die Sklaven einen Blick auf dich werfen und ihren Freunden berichten könnten, daß du wirklich ein Mann bist. Es würde die Phantasie der Leute beruhigen. Die Leute erzählen sich, daß du ein Teufel bist – es tut mir leid, viele Menschen hier sind äußerst töricht und abergläubisch und tun den ganzen Tag lang nichts anderes als zu klatschen. Außerdem glauben meine Frau und ihre Gefährtinnen, daß du in Wirklichkeit eine Frau bist. Bei uns Goten gibt es keine Eunuchen. Erlaube den Sklaven, dir aufzuwarten, so wie sie es mit jeder Person von Rang tun, dann werden sich die dummen Gerüchte von selbst erledigen.«

»Ich mag es nicht, wenn man mich anstarrt«, erwiderte ich auf gut Glück und versuchte, mir eine glaubwürdige Begründung für meine Schamhaftigkeit auszudenken. »Bitte, du hast mich zum Sklaven gemacht; laß mir wenigstens meine Würde.«

Frithigern starrte mich an und runzelte die Stirn. Hinter mir meldete sich Edico. »Wie kann die Würde eines vornehm geborenen Mannes denn leiden, wenn ihm Sklaven aufwarten?« fragte er. »Du bist wirklich zu empfindlich, vortrefflicher Chariton.«

»Jetzt, da du mir dienst, möchte ich, daß die Leute eindeutig wissen, wer du bist«, sagte Frithigern. »Meine Gemahlin behauptet, daß du eine Frau bist. Sie sagt, daß du dich verkleidest, weil es die Römer nicht erlauben, daß Frauen Medizin studieren. Wie kannst du mir ordentlich dienen, wenn die Leute derartige Dinge über dich verbreiten? Du mußt dich meiner Entscheidung in dieser Angelegenheit fügen.«

Edico lachte belustigt auf. »Frauen erzählen eine Menge. Wenn du nicht willst, daß die Leute einen derartigen Unsinn glauben, dann vergiß diese verrückte Bescheidenheit.«

Zur Hölle mit Amalberga. Sie hatte zu schnell zuviel herausgefunden, und sie hatte mich noch nicht einmal gefragt, ob sie recht habe. Sie hatte Verdacht geschöpft, hatte ein Motiv für meine Verkleidung entdeckt und ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen. Ich überlegte, was ich noch vorbringen könnte, aber meine Zunge war wie gelähmt. Ich spürte, wie ich rot wurde. Frithigern beobachtete mich unentwegt.

»Ich bin es gewohnt, allein zu sein«, sagte ich, als das Schweigen unerträglich wurde. »Ich empfinde diese Neugier als ungehörig.«

Frithigern fegte meinen Einwand beiseite. »Du bringst mich beinahe dazu, zu glauben, daß der Verdacht meiner Gemahlin begründet ist.«

»Erhabene Majestät, ich würde mir deswegen keine Gedanken machen«, meinte Edico. »Ich habe fast zwei Jahre lang mit Chariton zusammengearbeitet. Ich weiß, daß diese Gerüchte unbegründet sind.«

»Wirklich?« fragte Frithigern und blickte von mir zu Edico. Dann blieb sein Blick erneut an mir hängen. »Schwöre es.«

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wich dem Blick des Königs aus und sah auf das in den Fußboden eingelegte Mosaik: Der Stier brüllte die himmlischen Zwillinge an. Es gab keinen Ausweg mehr. Nachdem die Frage einmal gestellt worden war, gab es nur eine Antwort. Mein ganzes Täuschungsmanöver hatte davon abgehangen, daß diese Frage niemals von jemandem gestellt wurde. Wenn ich einmal so direkt gefragt worden war, war es zwecklos, zu lügen.

»Die Gerüchte stimmen«, flüsterte ich. »Ich bin eine Frau.« Edico starrte mich an, als zweifle er an meinem Verstand.

Walimir starrte mich an, alle starrten mich an. Ich verschränkte meine Hände auf dem Rücken und preßte sie zusammen, um sie am Zittern zu hindern.

»Ich höre nie genug auf meine Frau«, meinte Frithigern nachdenklich. »Für gewöhnlich hat sie recht.«

Ich sah ihn an. »Niemand hat jemals meine Fähigkeiten als Arzt in Frage gestellt.«

»Auch ich stelle sie nicht in Frage«, erwiderte Frithigern.

»Für deine Fähigkeiten spielt es keine Rolle, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Und nur deine Fähigkeiten sind gefragt. Ich kann dich nur nicht außerhalb des Lagers einsetzen. Auf einem Beutezug könnte ich dir nicht genügend Schutz gewähren, und es würde eine große Schande für mich bedeuten, wenn du in meinen Diensten Beleidigungen erfahren müßtest. Ich werde dafür sorgen, daß du als Edelfrau behandelt wirst.«

Ich fühlte mich genauso wie in meinem Traum, als mein Vater sich in Festinus verwandelt hatte. Wenn man mich als Edelfrau behandelte, wäre das Geheimnis für immer und ewig preisgegeben. Falls ich weiter praktizieren wollte, würde ich mein Leben lang unter den Goten bleiben müssen – oder ich könnte nach Hause gehen, um einsam und allein und mit Schande bedeckt in dem Haus meines Bruders zu sitzen. In beiden Fällen hätte ich keine Macht mehr über das, was mit mir geschah. Ich wäre nichts mehr als eine Leibeigene Frithigerns oder meines Bruders. Meine Selbstbeherrschung verließ mich, und verzweifelt flehte ich: »Nein! Ich bitte dich! Ich bin für immer erledigt, wenn diese Nachricht bekannt wird. Ich werde nie mehr zu den Römern zurück können, ich…«

Frithigern lächelte. Natürlich. Wenn ich nicht zu den Römern zurückgehen konnte, um so besser.

»Nein«, rief ich erneut und war wie betäubt. »Ich habe dir und deinem Hause Gutes getan. Vergelte es nicht mit Bösem.«

»Man wird dich als Gast und als Edelfrau behandeln. Ich werde dafür sorgen, daß du bei meiner Gemahlin untergebracht wirst.«

»Wenn ich als Edelfrau behandelt werden wollte, hätte ich auch im Haus meines Vaters in Ephesus bleiben können!«

Aber Frithigern schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht als Mann behandeln und bei den gemeinen Soldaten unterbringen. Du wirst bei meiner Gemahlin wohnen. Dann wissen die Leute, wer und was du bist. Meine Ehre wäre befleckt, falls dich jemand beleidigen sollte.«

»Aber du ruinierst mein Leben, siehst du das denn nicht ein?« schrie ich. »Gott im Himmel! Ich werde meinen Namen, meinen Beruf, alles verlieren. Ich werde nur noch als dein Diener existieren! Und wenn ich versuche, nach Hause zurückzukehren, werde ich gar nichts sein, niemand – nichts als ein Ärgernis. Meine Freunde und meine Familie werden sich meiner schämen … Nein, bitte, ich flehe dich an…« Ich war drauf und dran, zu weinen, und mußte innehalten. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Frithigern sah mich leidenschaftslos an.

»Ich werde dich jetzt zu meiner Gemahlin schicken«, sagte er mit großer Bestimmtheit. »Dort kannst du dich ausruhen.«

Und tränenüberströmt wurde ich aus dem Raum geführt.

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