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Ich blieb eine Woche lang im bischöflichen Palast und fühlte mich die ganze Zeit über ein wenig verloren, hin und her gerissen zwischen der draußen auf der Straße singenden Menschenmenge und den Kirchenbeamten, die mich um Rat fragten; zwischen seiner Heiligkeit, dem ich etwas über die Lage in der Stadt erzählen sollte, und den kaiserlichen Beamten, die mich zur Seite zogen und mir Bestechungsgelder dafür anboten, daß ich ihnen verriet, was die Kirchenbeamten gesagt hatten. Ich gewöhnte mich daran, vor den Eingang des Palastes zu treten und jedem, der es hören wollte, Informationen über den Gesundheitszustand seiner Heiligkeit zu geben. Ich eignete mir ein paar Schliche an, die Beamten abzulenken, doch ich spürte, daß ich dabei nicht sehr sicher wirkte. Außerdem war Athanasios ein schwieriger Patient, der dauernd versuchte, zuviel zu tun, und der übellaunig wurde, wenn sein Körper ihn im Stich ließ. Zudem konnte ich mich kaum einmal zurückziehen – der Palast war offensichtlich hoffnungslos übervölkert, und niemand hatte ein Zimmer für sich allein. Ich hielt mich dauernd in der Nähe meines Patienten auf, und es gab keinen Ort, wo ich mich in Ruhe waschen konnte. Ich machte mir Sorgen darüber, daß meine Regel beginnen könne. Bei Philon gab es keine Probleme, diese Beschwerlichkeit zu verheimlichen: Daß ein Arzt in einer Ecke ein paar blutbefleckte Tücher einweicht, verursachte dort keinerlei Aufsehen. Doch ich hatte mich geweigert, Athanasios zur Ader zu lassen, und alles, was ich unternahm, erregte endlose besorgte Diskussionen, so daß ich die Blutflecken niemals hätte verheimlichen können.
Der Erzbischof war ein kräftiger Mann, und er hatte sich dazu entschlossen, noch ein wenig länger am Leben zu bleiben – zumindest bis er die Angelegenheiten der Kirche geregelt haben würde. Er erholte sich langsam, aber sicher, und nach Ablauf einer Woche war sogar ich der Ansicht, es bestehe keine Gefahr mehr für einen Rückfall. Trotzdem empfahl ich ihm, er solle die Stadt für ein paar Wochen verlassen und sich auf das Land zurückziehen, wo ihm mehr Ruhe gegönnt sein würde. Er seufzte und schüttelte den Kopf: nein.
»Ich würde gerne nach Nitria gehen«, räumte er ein. »Dort würde ich freudigen Herzens sterben, in einem Kloster. In der Wüste ist es so still; das einzige, was sich bewegt, ist das Licht. Dort kann man denken und beten. Hier in der Stadt reden die Leute ununterbrochen, sie schmieden Komplotte und Gegenkomplotte. Aber ich muß abwarten, wie Theophilos zurechtkommt.«
»Er ist sehr tüchtig«, sagte ich zu ihm. Theophilos war in der Tat tüchtiger als der alte Petrus, der nicht mehr als einen Gedanken gleichzeitig fassen konnte.
»Oh, ich weiß, daß er tüchtig ist«, erwiderte Athanasios traurig. »Aber ich muß herausfinden, wie ehrgeizig er ist.«
So blieb der Erzbischof also in der Stadt, und ich kehrte zu Philon zurück. Ich ging nach wie vor jeden Tag zum Palast, um nach meinem berühmten Patienten zu sehen und ihn zu untersuchen, aber ich hatte doch die Hoffnung, daß die Dinge sich jetzt ein wenig normalisieren würden. Aber natürlich hatte sich meine Lage inzwischen grundlegend geändert. Ich war – völlig überraschend – der Arzt, der den Erzbischof von Alexandria geheilt hatte, und ich war in Mode. Ich hatte den Palast noch gar nicht verlassen, da wurde ich bereits zu anderen Fällen gerufen, zu kranken Mönchen und Nonnen, Priestern und Dekanen und zu ein paar wichtigen Laien. Kaum war der Erzbischof wieder auf den Beinen, da wurde ich von zahllosen Patienten belagert: allesamt Christen und einige von sehr vornehmem Stand. Meine Kommilitonen stellten mir so viele Fragen, daß ich aufhörte, in die Taverne zu gehen, um ihnen nicht dauernd Rede und Antwort stehen zu müssen. Ich ging auch nicht mehr zu den Vorlesungen. Dafür hatte ich zuviel zu tun.
»Du solltest besser deine Prüfung ablegen«, sagte Philon eines Nachts zu mir, als ich lange nach Mitternacht nach Hause kam und mir der Kopf vor lauter Patientengeschichten, kirchlichen Problemen und persönlichen Sorgen brummte. »Die Ärzte im Tempel sind sehr verärgert. Sie glauben, daß du sie geringschätzt, weil du dich der Prüfung nicht unterziehen willst, um nicht anerkennen zu müssen, daß sie deine Lehrer waren. Sogar Adamantios ist heute auf mich losgegangen, als ich in der Bibliothek war, um meine Rezeptur zu überprüfen. Er glaubt, du seiest inzwischen eine Art religiöser Fanatiker.«
»Oh, bei der großen Artemis!« entgegnete ich. Philon sah mich etwas verwundert an, doch dann lachte er. Es war ein sehr törichter Fluch für einen christlichen Arzt, aber ein in Ephesus sehr verbreiteter. »Wird der Sturm sich nicht bald gelegt haben?« fragte ich ihn mit einem flehentlichen Unterton in der Stimme. »Ich bin einfach nicht alt genug für all dies; ich weiß gar nicht, was ich da tue.«
»Du wirst deine Patienten weiterhin genauso gut versorgen wie jeder andere Arzt dieser Stadt«, antwortete er. »Und der Sturm wird noch lange anhalten.«
Als ich nach Hause gekommen war, hatte er noch im Vorderraum gesessen. Die übrigen Familienmitglieder schliefen bereits.
Es war eine heiße Herbstnacht; die Straße stank nach Hafen. Nur eine einzige Öllampe war entzündet, diejenige, die in der Ecke über Philons Schreibpult hing. Ich setzte mich an den Eßtisch und starrte auf das abgenutzte Holz. Als ich nach Alexandria gekommen war, hatte ich niemals daran gedacht, wirklich eine medizinische Karriere machen zu können. Natürlich hatte ich beabsichtigt, eines Tages nach Ephesus zurückzukehren. Es hätte mir genügt, einfach die Heilkunst zu studieren und auszuüben. Aber Philon hatte recht. Dieser Sturm würde sich nicht so bald legen. Ich war, wenn auch inoffiziell, der Privatarzt des mächtigsten Mannes der Stadt. Ich wußte immer noch nicht, wie ich Athanasios einschätzen sollte. Sicher, ich bewunderte ihn, und ich fing an, eine Art gereizter Zuneigung für einen derart störrischen Patienten zu empfinden. Im Grunde genommen wünschte ich, er hätte mein Geheimnis nicht entdeckt und Theophilos hätte sich nicht an mich erinnert. Ich arbeitete gern mit Philon und fühlte mich wohl in seinem Haus; ich mochte seine Großzügigkeit gegenüber seinen Patienten. Außerdem mochte ich eine Reihe unserer Patienten; die Juden in Alexandria waren freundlicher und weniger reizbar als ihre ägyptischen Nachbarn. Ich fand, daß man leichter mit ihnen zurechtkommen konnte als mit Athanasios’ Mönchen.
Aber ich wurde unerbittlich von Philons Praxis fortgezerrt und zum Erzbischof hingezogen. Und daß ich gezerrt wurde, gefiel mir nicht. Wenn ich darüber nachdachte, dann war ich wahrscheinlich ebensogut oder vielleicht sogar besser als manche der Ärzte im Tempel – Philon war ein guter Lehrherr gewesen. Aber ich empfand mich immer noch als unwissend und hilflos, und wenn ich über die Kirche nachdachte, dann wurde es nur noch schlimmer. Athanasios hatte sein ganzes Leben lang die Kaiser herausgefordert, und der gegenwärtige, unsichere Friede in der Stadt würde nicht länger währen als sein Leben. Ich hatte Angst.
Angst auch vor Entdeckung, das mußte ich mir eingestehen. Wenn es schon einen Skandal gegeben hatte, als ich aus Ephesus fortrannte, würde der Skandal noch viel größer sein, falls man jetzt mein Geheimnis entdeckte. Und falls ich wirklich berühmt werden sollte, könnte einmal jemand zu Ischyras sagen; »Dein junger Vetter hat sich in Alexandria aber sehr gut gemacht«, und er würde fragen: »Was für ein Vetter denn?« Und der Betreffende würde antworten: »Wieso, der Eunuch Chariton natürlich« – und dann würden die Leute gar nicht mehr anders können, als zwei und zwei zusammenzuzählen.
Auf der anderen Seite hatte ich vorläufig nicht die Absicht, nach Ephesus zurückzukehren. Es war jedoch ganz offensichtlich nicht möglich, sich der allgemeinen Aufmerksamkeit zu entziehen und noch länger einfach so als Philons Assistent weiterzumachen. Ich mußte Athanasios meine Visiten abstatten und konnte die neuen Patienten nicht abweisen. Eine Karriere aus eigener Kraft war unvermeidlich.
»Nun schön«, meinte ich niedergeschlagen, »dann werde ich mich der Prüfung also unterziehen.«
Es war wirklich nicht gerade eine Feuerprobe. Anläßlich dieser feierlichen Gelegenheit kaufte ich mir einen neuen Umhang und eine neue Tunika; die alten, die Thorion mir auf dem Markt in Ephesus gebraucht gekauft hatte, waren inzwischen ganz fleckig und schäbig. Theophila webte mir einen Saum für den Umhang; er hatte ein rotgrünes Muster aus Vögeln und Bäumen, und als sie ihn mir an den Umhang genäht und ich mir die Haare hatte schneiden lassen, stimmten alle darin überein, ich sähe aus wie ein richtiger Mann von vornehmer Geburt.
Die ganze Familie kam mit zum Tempel, um bei der Prüfung dabeizusein. Sie wurde in einem der Nebengebäude abgehalten, und zwar in einem der größeren Nebengebäude, da ein Haufen Leute zuschauen wollte: die meisten meiner Kommilitonen und viele frühere Patienten. Philons jüdische Patienten und die große Schar der Mönche und Kirchenbeamten beäugten einander mit gegenseitigem Mißtrauen. An einem Tisch in der Mitte des Raumes saßen sechs Angehörige der Prüfungskommission des Museums in ihren besten Gewändern – vier Ärzte und zwei weitere Gelehrte – und trugen eine offizielle Miene zur Schau. Aber unter der nach außen gekehrten Strenge konnte ich ein gewisses Wohlwollen wahrnehmen, und schon fühlte ich mich weniger nervös. Die meisten der sechs Sachverständigen freuten sich mit mir über meinen Ruhm. Sie sahen es gar nicht gerne, wenn Ärzte, die woanders und nach anderen Methoden ausgebildet worden waren, wichtige Patienten für sich gewinnen konnten. Und daß ich nun in meinem neuen Umhang vor ihnen stand, voller Respekt und bereit, ihre Fragen zu beantworten, bedeutete eine Bestätigung für das Museum. Der Arzt des Bischofs war kein ägyptischer Asket, kein frommer Mönch aus der Wüste, sondern ein Anhänger des Hippokrates, der am Tempel ausgebildet worden war. Die neue Religion mußte doch manche Felder noch den alten Wissenschaften überlassen.
Ich nahm meinen Platz gegenüber dem Prüfungsausschuß ein, und nach dem üblichen Scharren und Rascheln der Zuhörerschaft und dem Hüsteln der Kommission begann die Prüfung.
Die Fragen waren – genau wie Philon gesagt hatte – so formuliert, daß die Antworten eindeutig und zur Zufriedenheit aller ausfallen mußten. Sie bezogen sich sowieso nur auf die gängigen medizinischen Schriftsteller und Kräuterbücher. Beschreibe den Aufbau des Herzens. Wie würdest du eine Schulterverrenkung behandeln? Wie bereitest du das Zeitlosengewächs zu, und wofür braucht man es? Nur einer der Prüfer wollte Ärger machen. Er war einer der beiden Gelehrten des Ausschusses, ein Philosoph, Astrologe und überzeugter Heide, und er wollte unbedingt demonstrieren, daß christliche Ärzte den alten heidnischen unterlegen waren. Er war als letzter an der Reihe, mich zu befragen. Nachdem er mich mit einem heimtückischen Lächeln bedacht hatte, fragte er: »Welche Wirkung haben die Sterne auf die Gesundheit?«
Einen Augenblick lang war ich verwirrt und wußte keine Antwort. Ich merkte, daß Adamantios die Stirn runzelte.
»Hippokrates schreibt, daß die Sonnenwende, das Aufsteigen des Sirius, des Arkturus und der Plejaden am Himmel kritische Zeiten für die Gesundheit sind«, sagte ich schließlich. »Doch abgesehen davon können sich die medizinischen Autoren nicht einig darüber werden, welche Sterne einen guten Einfluß ausüben und welche nicht.«
»Genauso hätte auch Hippokrates geantwortet!« rief einer meiner Kommilitonen, und alle übrigen lachten schallend los. Adamantios lächelte. Der Philosoph fand das jedoch gar nicht komisch. Er warf mir einen finsteren Blick zu und zitierte Aratus und die anderen astrologischen Schriftsteller. Adamantios gebot ihm Einhalt. »Das sind keine medizinischen Schriftsteller, vorzüglicher Theon. Ihre Autorität in bezug auf medizinische Fragen muß als nicht gesichert angesehen werden, und du kannst nicht erwarten, daß der höchst geschätzte Chariton sie gelesen hat!«
Theon gab sich zufrieden, bedachte mich allerdings mit dem selbstgefälligen Blick eines Mannes, der seinen Stich gemacht hat. »Meine Tochter ist – obwohl sie eine Frau ist – auf diesem Gebiet ebenso belesen wie in den Werken Plotins«, verkündete er.
»Ich sehe nicht ein, warum wir das nicht auch von diesem christlichen Arzt erwarten sollten.«
»Vortrefflicher Herr«, sagte ich, »ich zolle der Bildung deiner Tochter Beifall und wünsche ihr viel Erfolg bei ihren philosophischen Bemühungen, aber ich bezweifle, daß sie Krateuas gelesen hat, und deshalb sehe ich nicht ein, warum ich Aratus und Plotin gelesen haben sollte.«
Daraufhin klatschten einige der übrigen Anhänger des Hippokrates Beifall. Adamantios lächelte erneut, dann hüstelte er und wechselte mit seinen Kollegen im Ausschuß einen schnellen Blick. Sie nickten und ich wurde als Arzt der medizinischen Fakultät des Museums von Alexandria bestätigt. Mir wurde überdies bescheinigt, auf allen medizinischen Gebieten wohl bewandert zu sein. Dann wurde ich – da ich mich vorher dazu bereit erklärt hatte – dazu aufgefordert, den Eid des Hippokrates zu schwören. Nicht jeder Arzt ist dazu bereit; die Bestimmungen sind sehr streng. Aber ich hatte ihn seit Jahren zu meiner Richtschnur gemacht und hätte seine Bestimmungen auch dann befolgt, wenn mich nicht ein ganzer Raum voller Zeugen für alle Zukunft daran gebunden hätte. Theon grinste hämisch, als ich statt bei Apollo und Äskulap im Namen »der heiligen und ehrwürdigen Dreifaltigkeit« schwor. Doch sonst war es der gleiche Eid. Seit sieben Jahrhunderten hatten Ärzte ihn geschworen. Jetzt versprach auch ich, meinen Lehrmeister in der Heilkunst genau wie meinen eigenen Vater in Ehren zu halten; den Kranken zu helfen und niemandem Schaden zuzufügen; keine Arzneimittel zu verabreichen, die Tod oder Abtreibung verursachen; in meinem privaten und beruflichen Leben tugendhaft und fromm zu sein; niemals eine Operation durchzuführen, um aus einem Mann einen Eunuchen zu machen (bei diesem Schwur ging ein Raunen durch die Zuhörerschaft); meine Stellung nicht dazu zu benutzen, sexuelle Vorteile zu erlangen (erneutes Raunen); Dinge geheimzuhalten, von denen ich wußte, daß sie nicht ausgeplaudert werden sollten. »Wenn ich diesen Eid halte und ihn nicht verletze, möge ich in meinem Leben und in meinem Beruf Erfolg haben«, schloß ich. »Wenn ich mich dagegen versündige und eidbrüchig werde, möge mein Schicksal anders verlaufen.«
Adamantios erhob sich, kam um den Tisch herum und schüttelte mir die Hand. »Ich bin sicher, daß du Erfolg haben wirst«, sagte er und lächelte, dann trat er auf Philon zu und unterhielt sich mit ihm. Es war vorbei. Die übrigen Prüfer kamen und gratulierten mir. Sie freuten sich so, als hätten sie mich niemals abgewiesen, als ich damals an ihrer Tür geklopft hatte. Danach kamen meine Kommilitonen und schüttelten mir die Hand, schlugen mir auf die Schulter, gratulierten mir und luden mich zum Wein ein. Ich bot ihnen meinerseits Wein an, und so wanderten wir alle miteinander lärmend den Hügel hinunter zur Taverne, wo ich eine beträchtliche Summe für Wein ausgab. Als die Gesellschaft ein wenig rüpelhaft zu werden begann, schlüpfte ich mit Theogenes zusammen hinaus, und wir gingen zu Philon und seiner Familie. Rüpelhafte Gesellschaften mochte ich nicht. Man behauptet immer: »Im Wein liegt die Wahrheit«, doch die Wahrheit sollten die Leute ja gerade nicht entdecken. Deborah und die Sklaven hatten eine Abendgesellschaft im Familienkreis vorbereitet, um die bestandene Prüfung zu feiern. Das war für mich sowieso eine viel größere Freude, als mich zu betrinken und anschließend in den Brunnen des Tempels geworfen zu werden, was die übliche Art war, das Ende der Studentenzeit zu feiern.
»Was wirst du jetzt tun, Chariton?« fragte Theophila mich schüchtern, als die Gesellschaft sich ihrem Ende näherte. Ihre Wangen glühten von dem genossenen Wein: Sie hatte mehr getrunken, als sie gewohnt war. Obwohl ich versucht hatte, mich zurückzuhalten, galt dies auch für mich. Ich hatte den Eindruck, Philons Eßzimmer leuchte von selbst, strahle von dem Licht der Lampen und all dem Glück, das ich in ihm empfunden hatte.
Ich sah Philon an. Er gab mir den Blick zurück und stellte mir dann die gleiche Frage wie seine Tochter. O Gott, dachte ich, wenn er doch nur mein wirklicher Vater und nicht bloß mein Lehrvater der Heilkunst wäre. Ich würde mich ihm so gerne anvertrauen, ihm die Wahrheit sagen und ihn dann fragen, ob er mich immer noch als Partner wolle.
Aber auch er würde seine eigene Tochter nicht Medizin studieren lassen.
Es war zwar richtig, daß Theophila sich nicht so recht für die Heilkunst interessierte. Doch selbst wenn sie einmal eine medizinische Frage stellte, wehrte Philon sie stets freundlich ab. Die Heilkunst, sagte er, sei kein interessantes Thema für hübsche Mädchen.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Es sieht so aus, als werde ich in erster Linie unter Christen praktizieren. All deine zahlenden Patienten sind Juden. Falls ich versuchen sollte, es mit beiden Seiten zu halten, würden mir wahrscheinlich sowohl die einen als auch die anderen mißtrauen.«
Philon seufzte, dann nickte er. »Sie mißtrauen dir bereits. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Chariton. Ich weiß, daß du jetzt deinen eigenen Weg gehen wirst.«
»Anders wäre es mir lieber gewesen«, sagte ich. »Ich war sehr glücklich hier.«
»Schau nicht so traurig! Ich hoffe, wir werden uns nach wie vor öfter sehen.« Er hob seinen Weinbecher. »Auf deinen Erfolg und ein langes Leben!«
Die anderen erhoben ebenfalls ihre Becher und wünschten mir Erfolg.