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Novidunum ist eine der größeren Festungen an der unteren Donau. Es liegt am Anfang des Donaudeltas, etwa fünfzig Meilen von Histria und sechzig von Tomis, den beiden Hafenstädten am Schwarzen Meer, entfernt. Das ursprüngliche Feldlager ist auf einem Steilufer, das sich über das Flachland erhebt und von dem aus man viele Meilen im Umkreis überblicken kann, erbaut worden. Die Festungswälle, die ihre bedrohlichen Schatten auf die braunen Fluten des Flusses werfen, machen es den Barbaren unmöglich, römisches Land zu betreten. Aber im Grunde genommen ist Novidunum ebensosehr ein Handelsplatz wie eine Festung. Dabei besteht seine Hauptfunktion darin, Zollabgaben auf alle möglichen Handelswaren zu erheben. Eine Menge Schiffe überqueren den Fluß, transportieren Gold, Gewürze, Seide und Handarbeiten in das gotische Dazien und bringen auf der Rückfahrt Sklaven und ein wenig billigen Schmuck mit. Außerdem verfügt die Festung noch über ein Hospital, das für die gesamten Truppen in Skythien zuständig ist.

Ich kam zusammen mit einer gemischten Ladung aus Papieren und Wein in einem zweirädrigen Wagen aus Marcianopolis in Novidunum an. Es war meine erste Erfahrung mit der kaiserlichen Post, und sie war nicht gerade sehr beeindruckend, wenn ich daran denke, wie wir über die Straßen holperten, während ich hoch oben auf meiner Reisetruhe saß. Alle zwölf Meilen wurden die Pferde gewechselt, doch die Passagiere hatten keine Möglichkeit, abzusteigen, sich die Beine zu vertreten und sich etwas zum Essen zu besorgen. Als wir in der Festung ankamen, war ich ziemlich müde und hungrig. Ich kletterte von meinem Sitz herunter und war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Ich blickte um mich. Wenn Marcianopolis barbarisch gewesen war, dann war Novidunum das Ende der Welt. Innerhalb der steinernen Festungswälle erstreckte sich eine gotische Siedlung: strohgedeckte Häuser aus Steinen, Putz und Holz; Kühe, die einen aus den danebenliegenden Ställen anglotzten. Selbst die Kasernen sahen trotz ihrer sauberen und für die Legionäre typischen Innenhöfe unrömisch aus. Auch sie waren mit Stroh gedeckt, und ihre Türen waren zwar mit den unvermeidlichen Legionärsemblemen geschmückt, doch genauso auch mit den von den Goten erbeuteten Waffen und den Fellen und Köpfen wilder Tiere. Im Zentrum des Feldlagers befand sich ein größeres Gebäude ganz aus Stein und mit einem Ziegeldach. Ich folgerte, dies sei wahrscheinlich das Hauptquartier des Lagers, das Präsidium. Doch wo war das Hospital?

»Novidunum«, sagte der Wagenlenker für den Fall, daß ich es noch nicht bemerkt haben sollte. »Jenseits davon gibt es nur noch die Barbaren.«

»Ich sollte mich wohl am besten bei dem Tribun des Lagers melden«, dachte ich laut. »Wo kann ich meine Truhe lassen?« Der Fahrer spuckte aus. Er hatte keine hohe Meinung von fremdländischen Eunuchen, die ihm nur Platz auf dem Postwagen fortnahmen. Während der Reise hatte er kaum gesprochen. »Wo wirst du wohnen?«

»Im Hospital.«

»Dann setze ich sie dort für dich ab. Mach dir keine Sorgen, im Hospital wird dir ganz bestimmt kein Mensch etwas daraus stehlen. Dort geht sowieso niemand freiwillig hin.«

Mit diesen Worten ergriff er die Zügel, fuhr davon und ließ mich immer noch ein wenig schwankend stehen. Ein paar dienstfreie Soldaten waren an die Poststation gekommen, um beim Eintreffen des Wagens zuzusehen: Sie starrten mich neugierig an. Etwas unsicher lächelte ich ihnen zu und fragte sie, wo ich den Tribun des Lagers finden könne. Sie starrten nur um so eindringlicher. Endlich erbot sich einer von ihnen, mir den Weg zum Präsidium zu zeigen.

Der Lagertribun hieß Valerius; er war ein älterer Mann, ein Illyrer aus einer Familie von Berufssoldaten. Sein Schreiber führte mich zu ihm, und als ich ihm erzählte, wer ich sei, starrte er mich an. »Man hat mir gesagt, daß wir einen neuen Chefarzt bekommen, einen hervorragend ausgebildeten Mann aus Alexandria«, meinte er schließlich. »Aber ich dachte, du wärest älter und… hm, das heißt…«

»Du hast keinen Eunuchen erwartet«, unterbrach ich ihn.

»Nun, ich hätte mir dieses Schicksal auch nicht selbst ausgesucht, wenn man mich gefragt hätte.«

Er lachte nicht, sah mich lediglich überrascht an. »Ja, nun, der gegenwärtige Chefarzt – das heißt, der frühere Chefarzt ist wahrscheinlich doppelt so alt wie du. Es wirkt, hm, irgendwie unpassend. Er ist nicht gerade glücklich darüber, daß du kommst. Aber ich hoffe, der vortreffliche Sebastianus weiß, was er tut. Wann kommt der Vorzügliche wieder in den Norden, hat er etwas gesagt?«

Ich händigte ihm einige Briefe von Sebastianus aus. Er überflog sie, dann bedachte er mich erneut mit einem unsicheren Blick. »Dann bist du also tatsächlich beauftragt, das Hospital zu leiten? Der vortreffliche Sebastianus schreibt hier, daß… nun, du bist wohl tatsächlich beauftragt. Ich, hm, nehme an, daß du ein Haus haben möchtest.«

»Ich brauche kein ganzes Haus. Ich komme auch mit einem Zimmer aus – oder könnte ich im Hospital wohnen?«

»Ich nehme an, daß du doch ein Haus möchtest«, wiederholte Valerius, aber er zuckte die Achseln. »Nun, lassen wir es für den Augenblick dabei bewenden. Ich sollte dich wohl jetzt besser zum Hospital begleiten.«

Das Hospital lag in der Stadt, außerhalb des eigentlichen Lagers. Es war ein hübsches Gebäude, um einen offenen Hof herum gebaut, aus verputzten Steinen, strohgedeckt und mit einem gedeckten Säulengang entlang der Rückseite. Der Hof wurde von einem Garten mit medizinischen Heilkräutern eingenommen. Als Valerius und ich ankamen, trafen wir auf drei Männer, die im Garten standen und meine Truhe untersuchten, die der Kutscher in ihrer ganzen Pracht einfach neben dem Brunnen abgestellt hatte. Die drei blickten auf und starrten uns unfreundlich an als wir näherkamen. Zwei der Männer waren in mittlerem Alter und hätten Brüder sein können: Sie waren alle beide dunkelhaarig mit grauen Strähnen, mager und drahtig, mit dichten Augenbrauen und schlechten Zähnen. Der dritte war jünger, nur ein paar Jahre älter als ich, er hatte hellbraune Haare und trug einen Bart; er lächelte, als ich näherkam. Die anderen beiden stierten finster vor sich hin.

»Mein lieber Xanthos«, sagte Valerius unsicher zu einem der beiden dunkelhaarigen Männer, »geschätzter Diokles« zu dem anderen; »Arbetio« zu dem dritten. »Dies ist, hm, euer neuer Kollege, Chariton aus Alexandria.«

»Eigentlich aus Ephesus«, berichtigte ich ihn und lächelte allen dreien zu. »Aber ich bin in Alexandria ausgebildet worden. Ich freue mich, eure Bekanntschaft zu machen.«

Ein Augenblick lang herrschte eisiges Schweigen. Die beiden älteren Männer starrten mich jetzt mit unverhohlener Feindseligkeit an. Valerius hüstelte und sagte, er müsse Sebastianus’ Briefe durchsehen, und zog sich in das Präsidium zurück.

»Nun«, sagte ich, »könnte ich vielleicht das Hospital besichtigen?«

Der ältere der beiden Ärzte, Xanthos, räusperte sich. Der jüngere Mann, Arbetio, lächelte nervös. »Was ist hiermit, weiser Chariton?« fragte er und deutete auf die Truhe.

»Gibt es irgendein Zimmer, in das ich einziehen könnte, zumindest für vorübergehend?«

»O ja, wir haben eine Menge Platz. Ich werde sie rübertragen – oh, bei den Teutonen, ist die aber schwer!«

»Da sind meine ganzen Bücher drin. Wenn sie hier sicher steht, könntest du ein paar Sklaven bitten, sie später fortzuschaffen.«

»Arbetio ist ein Sklave«, sagte Xanthos. Er hatte eine rauhe Stimme, viel tiefer, als man von einem derart mageren Mann erwartet hätte. »Er kann sie selber tragen.«

»Er wird Hilfe brauchen. Ich habe einen Haufen Bücher.« Ich ergriff das eine Ende der Truhe, da die beiden anderen Männer jetzt geringschätzig vor sich hin starrten. Arbetio nahm das andere Ende, und wir trugen sie in das Hospital.

Das Hospital verfügte im rückwärtigen Flügel über einen nach Osten blickenden, langgestreckten Krankensaal mit Betten für vierzig Patienten. Nach Norden zu gab es noch einmal einen Raum mit zehn Betten und eine Küche; nach Süden zu lagen einige Operationssäle, Vorratsräume und dergleichen. Doch im Krankensaal befanden sich im Augenblick nur sechs Patienten. Zwei erholten sich von Amputationen; einer hatte eine Stichwunde in der Schulter, die sich entzündet hatte; einer hatte die Pocken und lag abgesondert in der einen äußersten Ecke; die anderen beiden litten an irgendeinem Fieber. Doch sie befanden sich samt und sonders in einem schlechten Zustand. Insbesondere die Patienten mit Fieber waren furchtbar blaß und machten einen teilnahmslosen Eindruck. Als ich sie untersuchte, merkte ich auch, warum. Sie waren stark geschröpft worden.

Ich hatte die Weisheit des Hippokrates noch niemals so zu schätzen gewußt, ehe ich sah, auf welche Weise die Heilkunst in Novidunum praktiziert wurde. Hippokrates ist der Ansicht, Ärzte müßten mit der Natur zusammenarbeiten, um eine Heilung bewirken zu können. Sie sollten dem Körper nur bei seinen eigenen Anstrengungen helfen, sich selbst zu heilen, und niemals übertrieben starke Heilmittel anwenden, es sei denn, alles andere habe nichts genutzt. Xanthos und Diokles waren dumme, brutale und unfähige Schlächter, und das Leiden, das sie ihren Patienten auferlegten, reichte aus, um mir den Magen umzudrehen. Sie hatten nicht die geringste Ahnung von Hygiene. Das Waschwasser des Hospitals stammte aus einem Steintrog, der zum Regenwassersammeln an die seitliche Außenmauer des Gebäudes gestellt wurde. Auf der Oberfläche schwamm eine grüne Schleimschicht, außerdem tranken die Lagerpferde aus dem Trog. Xanthos und Diokles pflegten dieses Wasser dazu zu benutzen, die infizierten Wunden der Patienten auszuwaschen, so daß sich diese mit Würmern füllten.

»Aber Regenwasser ist doch sauber!« verteidigte sich Xanthos, als ich ihm diese Praktiken vorhielt. »Es ist sauber, wenn es vom Himmel fällt, aber es verdirbt sehr schnell, wenn es steht!« erklärte ich ihm. »Für die Reinigung der Wunden solltest du abgekochtes Wasser und eine mit Essig versetzte Lösung benutzen, und selbst für das Saubermachen der Zimmer nur reines Brunnen oder Quellwasser!«

»Wir haben dieses Wasser benutzt, seit das Hospital erbaut worden ist«, meinte Xanthos wutschnaubend. »Doch der weise Chariton weiß es natürlich besser als Armeeärzte mit jahrelanger Erfahrung.«

»Diese Erkenntnis stammt nicht von mir. Hippokrates hat es so empfohlen!« sagte ich.

»Buchwissen!« entgegnete Xanthos verächtlich.

Abgesehen von ihrer haarsträubenden Unwissenheit in bezug auf Hygiene gingen Xanthos und Diokles äußerst großzügig mit ihren Messern um und ließen ihre Patienten dauernd zur Ader, egal an was für einer Krankheit sie litten. Von leichten Darmkatarrhen bis zum Wundstarrkrampf ließen sie die Kranken immer wieder zur Ader, bis diese ausgeblutet waren, ließen sie so lange bluten, bis sie starben. Außerdem verabreichten sie nach dem Aderlassen gerne eine Dosis Nieswurz – eine Behandlung, die unweigerlich dazu führt, jeden zu töten, da die Nieswurz dem Patienten alles entzieht, was nach dem vielen Zur-Ader-Lassen noch übriggeblieben ist und ihn als ausgetrocknete Hülse zurückläßt. Als ich den beiden erklärte, für wie gefährlich ich diese Art der Behandlung hielt, machten sie nur erneut hämische Bemerkungen über mein Buchwissen. Sie hatten die Kunst des Heilens alle beide von Xanthos’ Vater gelernt, der der frühere Chefarzt des Lagers gewesen war. Sie machten alles so, wie es schon immer gemacht worden war, und das war auf jeden Fall richtig, und wenn der Patient starb, nun, dann war das nur ein Beweis dafür, daß er hinfällig war und sowieso bald gestorben wäre. Schon am ersten Tag gab ich den Versuch auf, auch nur einen der beiden versöhnlich stimmen zu wollen. Sie verachteten mich, weil ich ein Fremder war, ein Eunuch, jung und gut ausgebildet. Ich verachtete sie wegen des Zerrbildes der Heilkunst, das sie darstellten. Xanthos war ein besonders schwieriger Fall: brutal und abergläubisch und immer und überall nur im Wege. Diokles verbrachte im Grunde genommen nicht viel Zeit in Novidunum; er hatte Privatpatienten in Istria und hielt sich nur die zweite Wochenhälfte im Lager auf.

Mit Arbetio verhielt es sich ganz anders. Er war ein sehr geschickter Chirurg. Die beiden anderen hatten ihn gekauft, damit er ihnen aushelfen könnte, nachdem sie gesehen hatten, wie er bei seinem vorhergehenden Herrn, einem ambulanten Dentisten, assistiert hatte. Sie ließen ihn sehr hart arbeiten, überließen ihm alle unangenehmen Aufgaben, so daß er im Hospital aß, schlief und wohnte und fast keine Zeit für sich selbst hatte. Er war nicht ihr persönlicher Sklave; er war mit Lagermitteln gekauft worden. Das hinderte sie jedoch nicht daran, ihn persönliche Aufträge erledigen zu lassen und ihn ganz allgemein so zu behandeln, als sei er einer der Lagerdiener, die lediglich dazu da waren, Holz zu hacken und zu kochen. Dies war doppelt beklagenswert, weil er ein besserer Arzt war als sie beide zusammengenommen und weil er die Kunst des Heilens wirklich liebte. Er war belesen und intelligent; er hatte geschickte Hände und das richtige Gespür für eine korrekte Behandlung derjenigen Patienten, bei denen es nicht einmal Xanthos und Diokles geschafft hatten, sie umzubringen. Außerdem war er, ganz im Gegensatz zu den anderen beiden, begierig, dazuzulernen. Sobald er sicher war, daß ich tatsächlich mehr als Xanthos und Diokles wußte, wurde er eindeutig zu meinem Freund und Verbündeten. Die Tatsache, daß ich ihn mit mehr Achtung behandelte, hatte wenig damit zu tun. Ich war glücklich über seine Unterstützung. Ich benötigte einen Verbündeten, auch wenn er jünger und ein Sklave war. Ich mußte eine Menge Veränderungen in diesem heruntergekommenen Hospital vornehmen.

Innerhalb einer Woche wurde mir klar, daß sich mein Plan, im Hospital zu wohnen, unmöglich würde durchführen lassen. Ich konnte dort nirgends für mich sein. Es gab keine Möglichkeit, mich unbeobachtet zu waschen. Ununterbrochen kamen diese oder jene Leute in mein Zimmer, wollten irgend etwas, selbst wenn ich schlief. So händigte ich Valerius ein weiteres Stück von dem Schmuck meiner Mutter aus (ein Perlenhalsband, das 65 Solidi brachte) und kaufte ein Haus. Es gehörte Valerius, der es mir billig überließ: ein hübsches, für das Lager sehr typisches Haus. Das heißt, es stellte eine Mischung aus römischen und barbarischen Elementen dar, die man überall woanders ein wenig befremdet angestarrt hätte. In der Mitte befand sich eine große Küche mit einem Dachboden darüber, auf dem die Sklaven schliefen. Dann gab es noch zwei Räume zu beiden Seiten des Hauptraumes. In der Küche stand ein Backofen, der das Haus während des Winters mit Wärme versorgte. Das Haus lag in der Nähe des Hospitals und besaß auch einen Kuhstall und einen Garten.

Um das Haus in Ordnung halten zu können, mußte ich schließlich zwei Sklaven kaufen. Sklaven sind billig an der Grenze. Ich bezahlte zwölf Solidi für Sueridus, der etwa in meinem Alter war. Er war ein Gote vom Stamm der Terwingen, der ausgezeichnet mit Pferden umgehen konnte, sich leidlich geschickt bei Gartenarbeiten anstellte und kräftig genug war, um sämtliche schweren Arbeiten zu erledigen. Für Raedagunda, eine fünfzehnjährige Haushälterin und gute Köchin, bezahlte ich zehn Solidi – weniger, als ich kurz darauf für mein Pferd bezahlte. In Ephesus oder Alexandria hätte ich dreimal soviel für die beiden ausgeben müssen.

Ich kam sehr gut mit meinen Sklaven aus, auch wenn sie glaubten, ich sei ein Zauberer. Sie glaubten dies zum einen, weil ich ein Eunuch war und sie derartigen sexuellen Verstümmelungen eine große Zauberkraft zutrauten. Zum anderen braute ich in der Küche Arzneimittel zusammen, pflanzte Kräuter im Garten und sezierte gelegentlich tote Kühe: alles ganz eindeutig zauberische Praktiken. Sie waren auch der Meinung, ich verfügte wahrscheinlich über einige ausgeprägte Merkmale eines Zauberers, vielleicht über einen Schwanz, den ich sie nicht sehen lassen wollte – letzteres, weil ich darauf bestand, mich hinter verschlossenen Türen zu waschen und anzuziehen. Soweit ich weiß, haben sie allerdings nie versucht, sich darüber heimlich Gewißheit zu verschaffen. Vielleicht hatten sie davor Angst, ich könne sie verfluchen. Andererseits verachten Goten Zauberer nicht in dem gleichen Maße wie die Römer. Deshalb blieben die Angehörigen meines Haushalts mir gegenüber auch freundlich gesinnt, ja, sie rühmten sich auf dem Marktplatz sogar meiner magischen Kräfte. Aber das sollte mir nur recht sein, denn ich hatte bereits mehr als genug Ärger im Hospital und wollte mir nicht auch noch über irgendwelche Dinge bei mir zu Hause Sorgen machen.

Das Hospital mußte nicht nur mit der Unfähigkeit seiner Ärzte fertig werden, es hatte auch noch andere Probleme. Wahrscheinlich waren seine Behandlungsmethoden daran schuld, daß die Soldaten so große Angst vor ihm hatten. Wenn irgendwo entlang des Flusses ein Mann krank wurde, hielten er und seine Freunde es so lange wie irgend möglich geheim. Sie versuchten, mit Adernpressen und Talismanen der Krankheit Herr zu werden, und schickten nur die fast hoffnungslosen Fälle ins Hospital. Wenn die Patienten schließlich in Novidunum ankamen, konnten sie sich glücklich schätzen, wenn ihnen nur ein Arm oder ein Bein amputiert wurde. Wenn sie weniger glücklich waren, dann starben sie, und zwar meistens an Krankheiten oder Verletzungen, von denen sie sich ohne weiteres hätten erholen können, wenn sie nur richtig behandelt worden wären.

Außerdem gab es keine gelernten und bezahlten Pfleger.

Statt dessen halfen die in der Festung stationierten Soldaten der Reihe nach im Hospital aus. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einen sichereren Weg gibt, eine ernste Krankheit in der gesamten skythischen Armee zu verbreiten. Es bedeutete außerdem, daß das pflegerische Niveau sehr niedrig war, da niemand Interesse daran hatte, für eine einwöchige Verpflichtung irgendwelche Dinge zu lernen. Auch für Arzneimittel hatte das Hospital kein Geld. Xanthos und Diokles zogen ein paar von den am häufigsten vorkommenden Heilkräutern im Hospitalgarten – Nieswurz natürlich, bitteren Wermut, gefleckten Schierling, Fingerhut und dergleichen – doch abgesehen davon, gab es keinerlei Arzneimittel. Die beiden hatten noch nie etwas von Opium gehört, gar nicht zu reden von den exotischeren indischen Kräutern, deren Anwendung mir in Alexandria selbstverständlich gewesen war. Arbetio mußte seine Amputationen an Patienten ausführen, die bei vollem Bewußtsein waren; seine medizinisch ausgebildeten Vorgesetzten wußten noch nicht einmal, daß Alraun ein recht gutes Betäubungsmittel ist. Ich arbeitete mein Exemplar des Dioskurides durch und notierte mir eine Anzahl von Ersatzmitteln für die mir vertrauten Kräuter: Efeusaft statt Zedernöl als Antiseptikum, Nachtschatten statt Honigklee gegen Ohrenreißen; doch außer Nieswurz konnte ich keinerlei Ersatzmittel für Opium entdekken. Leider gab es in Novidunum keinerlei Möglichkeit, Opium in ausreichender Menge aus Ägypten kommen zu lassen.

Ein paar Wochen nach meiner Ankunft in Novidunum setzte ich mich eines Abends an den Küchentisch in meinem neuen Haus und dachte darüber nach, was ich tun sollte. Ich hatte an jenem Tag ein paar fruchtlose, lautstark geführte Auseinandersetzungen mit Xanthos und Diokles gehabt. Ich hatte schon wieder einen Mann sterben sehen, der am Leben hätte bleiben können, und ich war wütend. Sebastianus hatte mir im Vertrauen auf Athanarics Empfehlung und meine alexandrinische Ausbildung die Verantwortung für das Hospital übertragen. Doch Valerius weigerte sich, mich bei den von mir vorgeschlagenen Veränderungen zu unterstützen. Ich konnte Xanthos noch so oft sagen, einen Patienten nicht zur Ader zu lassen, er grinste nur hämisch und ließ den Mann dann hinter meinem Rücken zur Ader. Wenn ich mich darüber beschwerte, brummte Valerius etwas vor sich hin, rutschte nervös auf seiner Bank hin und her und sagte, er werde darüber nachdenken. Er war mißtrauisch gegenüber allen Veränderungen, und Xanthos war ein alter Freund von ihm. Wenn ich überhaupt etwas erreichen wollte, mußte ich herausfinden, ob ich wirklich die volle Unterstützung von Sebastianus genoß und eine eindeutige Erklärung von ihm erwirken, daß ich die alleinige Verantwortung trug und das gesamte Hospital so reorganisieren konnte, wie ich es für richtig hielt. Ich mußte an Sebastianus schreiben und eine Liste konkreter Anregungen beifügen, verbunden mit der dringenden Bitte, mir bei ihrer Durchführung zu helfen. Wenn er half, wunderbar; wenn nicht – nun, dann mußte ich weitersehen. Ich konnte immer noch nach Konstantinopel gehen. Am vordringlichsten war die Einführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene. Wir brauchten dringend sauberes Wasser für das Aufwischen der Fußböden und das Waschen des Bettzeugs sowie Reinigungslösungen und abgekochtes Wasser für Verletzungen. Dann mußte das Hospital mindestens einmal täglich gesäubert werden. Wenn ich Xanthos nicht dafür gewinnen konnte, mußte ich das bisher angewandte System für die Hilfspfleger des Hospitals ändern. Doch dies hatte ich sowieso vor. Bei dem Versuch, Leute zu rekrutieren, war es meiner Ansicht nach am besten, auf frühere Patienten zurückzugreifen – auf die Krüppel und Amputierten. Diese Männer in den Hospitälern zu beschäftigen würde den Staat keine einzige Kupferdrachme kosten, mir dagegen die Dienste einer Reihe von Pflegern sichern, die ich überall dort einarbeiten konnte, wo ich sie benötigte.

Dann mußte ich unbedingt dem Blutdurst von Xanthos und Diokles einen Riegel vorschieben. Ich hätte es vorgezogen, sie alle beide ganz loszuwerden, vor allem Xanthos, doch das stand nicht in meiner Macht. Wenn ich es erreichte, daß Sebastianus und der Tribun Valerius ihnen verboten, irgendwelche Patienten ohne meine Einwilligung zur Ader lassen oder ihnen Arzneimittel zu verabreichen, so würde das genügen müssen. Es wäre demütigend für sie, aber das war nicht zu ändern. Falls sie sich weigerten, könnte Sebastianus sie vielleicht irgendwo anders hinschicken; dann würde ich jedenfalls nicht zusehen müssen, wie sie die Männer vor meinen Augen abschlachteten. Schließlich müßte ich klarstellen, daß Arbetio nur noch zu sanitären Hilfsdiensten und nicht mehr zu niederen Arbeiten herangezogen werden durfte.

Der dritte Punkt mußte wahrscheinlich bis zum Ende des Winters warten. Ich mußte den Soldaten am Oberlauf des Flusses einen Besuch abstatten und mit ihnen sprechen. Ich mußte sie von den Gefahren der Aderpresse überzeugen, ihnen Anweisungen geben, wie sie leichtere Fieberanfälle an Ort und Stelle behandeln konnten, und sie darüber aufklären, wann sie ihre Kranken unbedingt in das Hospital nach Novidunum schicken mußten. Wenn Sebastianus recht gehabt hatte, als er sagte, weiter oben im Westen wüte die Pest, würde es auch äußerst nützlich sein, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Pestfälle zu isolieren und die Lager zu reinigen.

So ging ich in mein Zimmer im rückwärtigen Teil des Hauses, schrieb einen langen Brief an Sebastianus, siegelte ihn und sandte ihn mit dem ersten Kurier fort. Eine Woche später erschien Sebastianus höchstpersönlich in der Festung. Ich war gerade im Hospital beim Ausbrennen einer Wunde. Es war das zweite Mal, daß ich es bei ein und demselben Patienten tun mußte. Die Verletzung an der Schulter des Mannes war bei seiner Einlieferung brandig gewesen. Ich hatte dem Patienten eine Alraunwurzel zur Betäubung verabreicht und das verfaulte Fleisch weggebrannt. Dann hatte ich die Wunde gesäubert und verbunden. Ein paar Tage lang war sie sauber geblieben, dann war sie plötzlich erneut infiziert. Ich war höchst überrascht und fragte den Patienten deswegen aus. Er erzählte mir, Xanthos habe sie ihm einmal gereinigt als ich beschäftigt war. Und er hatte sie mit diesem verdammten, verfaulten Wasser gereinigt. Ich schärfte ihm ein, falls Xanthos das noch einmal versuchen sollte, solle er um Hilfe schreien und falls das nichts nutze, den Mann töten, so wie er auch eine giftige Schlange töten würde. Ich gab dem armen Mann noch eine Alraunwurzel und erhitzte gerade die Eisen, als einer der Boten aus dem Hauptquartier auftauchte und sagte: »Der vorzügliche Heerführer Sebastianus möchte mit allen Ärzten sprechen.«

Ich schickte Arbetio, der mir Hilfestellung leistete, sofort zum Hauptquartier und arbeitete weiter. Ich wußte nicht, wo Xanthos war; Diokles war unten in Histria und füllte sich die Taschen.

Als ich den Patienten endlich versorgt hatte, nahm ich die Schlachtermütze ab, die ich bei derartigen Gelegenheiten trug, und eilte schnurstracks ins Präsidium. Sebastianus saß nicht auf der Ruhebank, sondern am Schreibpult des Tribunen und klopfte mit den Fingern ungeduldig auf die Platte. Xanthos stand dicht daneben und sah mir selbstgefällig entgegen, weil ich den Heerführer hatte warten lassen. Arbetio und der Tribun Valerius machten alle beide den Eindruck, als fühlten sie sich in ihrer Haut ganz und gar nicht wohl. Ich war viel zu wütend, um mich dafür zu interessieren. Derartiger Ärger, stetiger, bohrender Ärger, der unaufhörlich im Magen wühlt, war etwas, woran ich nicht gewohnt war. Ich mußte ihn unbedingt loswerden.

»Vortrefflicher«, sagte ich, »es tut mir leid, daß ich dich habe warten lassen. Ich hatte einen Patienten.«

»Das hat man mir erzählt«, erwiderte Sebastianus. Er warf einen Blick auf die beiden anderen.

»Ja, und die Operation wäre absolut unnötig gewesen«, fuhr ich fort und gab dem Heerführer keine Möglichkeit, die Besprechung friedlich zu eröffnen. »Die Wunde war durch Reinigungsmethoden infiziert, die ich ausdrücklich verboten habe. Ich habe dem armen Patienten gesagt, wenn irgend jemand versuchen sollte, seine Wunden noch einmal auf diese Weise zu reinigen, sollte er ihn töten, wie er eine Schlange töten würde.« Xanthos zuckte zusammen. »Du nichtswürdiger Kastrat! Du und dein Bücherwissen! Glaubst du denn…«

»Ruhe!« fuhr Sebastianus dazwischen; Xanthos schwieg und starrte ihn an. Sebastianus seufzte und warf mir einen Blick zu.

»Nun«, sagte er. »Da bist du aber in ein Hornissennest getreten, wie?«

Ich verbeugte mich leicht. »Du wolltest, daß ich das Hospital von Grund auf reorganisiere, Vorzüglicher.«

Sebastianus lachte. »Oh, unsterbliche Götter! Das wollte ich allerdings. Aber ich dachte, du könntest es tun, ohne deinen Kollegen dabei gleich an die Kehle zu gehen. Und ich kapiere nicht, warum du mir einen solchen aufgebrachten Brief deswegen schreiben mußtest. Ich dachte, ich hätte dir bereits alle notwendigen Vollmachten gegeben.«

»Im Augenblick, erlauchter Sebastianus, erstreckt sich meine Autorität nicht sehr weit. Ich kann nicht einmal eine Behandlungsmethode vorschlagen und dafür sorgen, daß man sich daran hält.«

Xanthos war außer sich. »Vortrefflicher!« protestierte er. »Ich habe mein ganzes Leben lang Medizin praktiziert! Ich weiß nicht, warum es dieser… dieser Kreatur erlaubt sein sollte, alle Traditionen und Vorgehensweisen, die wir seit jeher benutzt haben, über den Haufen zu werfen, nur weil er irgendwelche Dinge in irgendwelchen Büchern gelesen hat!«

Valerius nickte. »In der Tat, ich glaube, der vortreffliche Sebastianus ist vorschnell. Laß Chariton doch seine Patienten auf seine Weise behandeln, und laß Xanthos damit fortfahren, seine Patienten auf die althergebrachte Weise zu behandeln. Auf diese Weise können wir die Vorteile beider Methoden gegeneinander abwägen.«

»Xanthos’ Methode hat keine Vorteile«, rief ich wütend.

»Wenn ich nur einen halben Solidus für jeden Patienten bekäme, den er und sein Vater getötet haben, könnte ich ganz Novidunum aufkaufen! Und er benutzt seine Schlachtermethoden hinter meinem Rücken und sogar bei meinen Patienten. Ich werde das nicht zulassen; es ist eine Schande für die Tradition des Hippokrates!«

Sebastianus sah mich an und lachte. »Zügle deinen Ärger!« meinte er. »Sehr schön, du sollst haben, was du verlangst. Es tut mir leid, Valerius, aber ich habe Chariton die Verantwortung für das Hospital übertragen, und dabei muß es bleiben. Was nützt es denn, erfahrene und gutausgebildete Leute herzuholen, wenn man nicht auf ihren Ratschlag hört? Die Schule des Hippokrates in Alexandria ist die beste auf der ganzen Welt, und was man dort lehrt, hat mehr Gewicht als die alten Methoden, die man hier anwendet. Mir gefallen diese Vorschläge hier, Chariton.« Er nahm meinen Brief vom Schreibpult und wedelte uns damit zu. »Vor allem die Vereinbarungen wegen der Pfleger. Ich möchte nicht, daß mehr Männer als irgend nötig der Pest ausgesetzt sind. Flußaufwärts zu ziehen und mit den Soldaten zu sprechen ist ein weiterer ausgezeichneter Plan. Ich werde dafür sorgen, daß du ein Pferd bekommst, dann kannst du noch in diesem Winter damit anfangen.«

Triumph! Sieg! Ich hätte beinahe laut losgebrüllt, aber ich strahlte Sebastianus nur erleichtert an. »Danke dir, Vorzüglicher. Ich habe allerdings noch eine Bitte.«

Sebastianus seufzte, dann warf er Valerius und Xanthos einen nachdenklichen Blick zu. »Wenn es denn sein muß. Obwohl so etwas meistens ebenso viele Probleme verursacht, wie es löst.«

»Ich kann es auf keinen Fall mehr dulden, daß sich jemand in die Behandlung meiner Patienten einmischt.«

Sebastianus nickte ergeben. »In Ordnung. Xanthos, du und deine Kollegen sollen dem höchstgeschätzten Chariton gehorchen und allen seinen Anweisungen in bezug auf das Zur-Ader-Lassen und das Verabreichen starker Arzneimittel unbedingt Folge leisten.«

Xanthos wurde abwechselnd rot und blaß. »Das werde ich nicht«, preßte er zwischen den Zähnen hervor.

»Dann enthebe ich dich deines Postens«, entgegnete Sebastianus ungerührt. Xanthos atmete schwer und versuchte vergeblich, etwas zu erwidern.

»Wenn du willst, kannst du noch einmal darüber nachdenken. Ich lasse dir Zeit bis morgen früh, um dir darüber klarzuwerden«, bot ihm Sebastianus an. »Aber entweder folgst du Charitons Anweisungen, oder du scheidest aus der Armee aus; ich lasse dir keine andere Wahl. Und was ist mit dir, Bursche – wie heißt du?«

»Arbetio, Erlauchter«, antwortete Arbetio eifrig. »Ein Legionärssklave. Ich werde mich glücklich schätzen, Charitons Anweisungen zu folgen. Ich halte sehr viel von seinen Methoden.«

»Aha. Dann bist du also der Sklave, von dem Chariton wünscht, daß er künftig nur noch medizinische Pflichten übernimmt? Ein weiterer guter Gedanke: Für die Hausarbeiten haben wir einen Haufen weniger wertvoller Sklaven. Wenn in Zukunft jemand etwas von dir will, was außerhalb deiner Pflichten liegt, dann befehle ich dir, ihm nicht zu gehorchen.« Arbetio schluckte, starrte ihn an und verbeugte sich. Sebastianus lächelte. »War da nicht noch ein anderer?«

»Er ist in Histria, Vortrefflicher«, entgegnete Valerius.

»In Histria? Was macht er denn da?«

Es entstand eine verlegene Pause. Ich sagte nichts. »Er besucht seine Privatpatienten«, gab Valerius widerwillig zu.

»Privatpatienten in Histria! Das ist ein weiter Weg für einen Besuch! Bestell ihm von mir, daß jeder Privatpatient, den er annimmt, nicht weiter als eine halbe Tagesreise von Novidunum entfernt wohnen darf. Wir zahlen ihm seinen Sold nicht dafür, daß er seine ganze Zeit weit weg in Histria verbringt. So, ich denke, das war’s dann. Valerius, Chariton, vielleicht wollt ihr mit mir zusammen Mittag essen? Obwohl ich es zu schätzen wüßte, Chariton, wenn du dich erst einmal waschen würdest.«

Ich sah an mir herunter und bemerkte, daß meine Hände immer noch von dem Blut meiner Patienten besudelt waren.

»Natürlich, Heerführer Sebastianus«, sagte ich und lächelte noch einmal. »Danke dir.«

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