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Schließlich schrieb ich an Athanaric und bat ihn um Opium und andere Arzneimittel. Er hatte den Eindruck erweckt, an dem Wohlergehen der Soldaten an der Front interessiert zu sein, und ich hatte das Gefühl, er schätzte mich aufrichtig. Wahrscheinlich könnte er sie mit Philons Hilfe besorgen und sie mit der staatlichen Post schicken. Ich schrieb ihm einen äußerst ehrerbietigen Brief, in dem ich ihn darum bat, dafür zu sorgen, daß Philon das Opium und einige andere Heilkräuter für mich kaufen konnte. Ich legte einen Onyxring zwischen die Papyrusblätter, um für die Unkosten aufzukommen. Außerdem fügte ich noch einen Brief an Philon bei, in dem ich ihm die Situation erläuterte. Ich schickte sowohl diesen Brief als auch den Brief an Thorion mit dem kaiserlichen Kurier nach Konstantinopel. Dann stürzte ich mich in die Arbeit und versuchte, mir wegen all dieser Dinge keine Gedanken mehr zu machen.

Der erste lange Winter ging zu Ende, und die Erde prangte in neuer Blütenpracht. Das ganze Delta schien eine einzige purpurfarbene, weiße und goldgelbe Fläche zu sein; neben jedem Stein blühten Veilchen, die Weißdornbüsche leuchteten, und jedes Stück offenes Land war übersät mit gelb leuchtendem Hahnenfuß. Ich hatte noch niemals so viele Vögel gesehen. Enten und Reiher, Wiedehopfe, Schwalben und Kuckucke, Schwäne, Krähen und Hunderte anderer, deren Namen ich nicht kannte. Auf dem Dach des Präsidiums nisteten Störche. Gemäßigtere Landstriche haben einen gemäßigteren Frühling, doch der thrazische Frühling war eine einzige trunkene Orgie. Es war unmöglich, nicht glücklich zu sein. Und an einem strahlenden Vormittag Ende Mai kam Athanaric in den Krankensaal des Hospitals spaziert, während ich gerade meine Runden machte.

Er stolzierte herein und hatte ein Paar schwerer Satteltaschen über seine Schulter geworfen. »Chariton von Ephesus!« rief er so laut, daß er im ganzen Gebäude zu hören war. Und als ich mich umdrehte, schwenkte er die Satteltaschen durch die Luft und warf sie mir zu. »Hier sind die Arzneimittel, die Euer Ehren erbeten hat.«

Ich fing sie auf und fiel fast um dabei. Ich warf einen Blick auf die Taschen, dann auf Athanaric, wie er dort stand, den Daumen unter seinen Schwertgürtel geklemmt, lachend. »Gott segne dich!« sagte ich inbrünstig und begann, die Riemen aufzuknöpfen. Da waren meine Heilkräuter also tatsächlich: alles, worum ich gebeten hatte, und sogar etwas Mohnsamen für Opium, er brauchte nur ausgesät zu werden. Außerdem ein ausführlicher Brief von Philon. Ich hätte Athanaric küssen mögen. Doch ich stand nur da und glotzte ihn an.

»Dein Freund Philon hat sie für dich zusammengestellt«, erzählte er. »Er meinte, von dem Verkauf dieses Ringes sei noch etwas Wechselgeld übrig. Ich habe ihm gesagt, er solle es behalten, und ihm eine Lizenz verschafft, die Post zu benutzen, um irgendwann Nachschub schicken zu können.«

»Gott segne dich«, wiederholte ich und blickte Athanaric strahlend an. Er sah großartig aus. Die Hosen machten keinen so barbarischen Eindruck mehr auf mich, seit ich selbst welche trug. Sein Gesicht war vom Wind gerötet, und er lachte vor Lebensfreude. »Was tust du hier?« fragte ich ihn. »… Vortrefflicher«, fügte ich rasch hinzu: Nach dem Gefallen, den er mir gerade erwiesen hatte, wollte ich unter keinen Umständen unhöflich sein. »Hast du Zeit, mit mir zu Abend zu essen?«

Er grinste. »Nein, keine Zeit fürs Abendessen, leider. Ich muß eine Botschaft des Hofes nach Sirmium bringen; ich komme nur eben durch Novidunum, um dies Zeug hier abzuliefern. Vielleicht ein andermal? Ich bin jetzt wahrscheinlich für längere Zeit in Thrazien; man hat mich hergeschickt, um die Posten an der Front zu reorganisieren.«

»Darf ich dir dann zumindest etwas zum Trinken besorgen?«

»Das ist eine gute Idee.« Er sah sich im Hospital um. »Du scheinst nicht so furchtbar viel zu tun zu haben.« Die meisten Betten waren leer.

»Es ist das Wetter«, erklärte ich ihm. »Wenn jemand stirbt, dann tut er es im Winter, und das kann man wohl auch niemandem zum Vorwurf machen. Es wäre ganz einfach zu schmerzlich, die Welt verlassen zu müssen, wenn sie sich so präsentiert wie im Augenblick.«

Wir gingen in die Lagertaverne, und ich kaufte einen Krug des besten Weins, den sie da hatten, einen ziemlich feurigen Rotwein, der die Küste herauf aus der Provinz Europa gebracht worden war. Es war später Vormittag, und eine ganze Anzahl der dienstfreien Männer saß herum und trank etwas; wir fanden nirgends mehr einen Platz. Athanaric pfiff und alle sahen ihn an. »Ich bin Athanaric, der Sohn des Ermaneric von Sardica«, verkündete er. »Ich brauche einen Platz, um mich mit meinem Freund irgendwo setzen zu können.«

Sofort sprangen sämtliche Goten in der Taverne auf, brummten etwas und verbeugten sich. Athanaric nahm am besten Tisch Platz, und ich stellte den Weinkrug ab, dann wollte ich ein wenig Wasser holen. Aber das war nicht nötig. Der Besitzer der Taverne eilte mit einem Krug frischen Wassers und mit seiner schönsten Schale zum Mischen herbei. Dann eilte er ebenso schnell wieder weg und kam mit zwei seiner eigenen ägyptischen Trinkbecher aus Glas zurück. Er verbeugte sich vor Athanaric und sagte etwas auf gotisch. Athanaric antwortete ihm in der gleichen Sprache und entließ ihn mit dem Winken seiner Hand. Er sah mich an und lachte. »Die Treue der Barbaren«, stellte er fest.

»Ich habe schon von deinem Onkel gehört«, erwiderte ich. Seit meiner Ankunft in Novidunum hatte ich in der Tat eine ganze Menge von ihm gehört; viele unserer Soldaten waren Goten vom Stamme der Terwingen, und die übrigen hatten gegen die Männer König Athanarics gekämpft. »In diesem Teil der Welt haben alle von ihm gehört.« Athanaric goß den Wein und etwas Wasser in die Mischschale, und ich schenkte ein. »Das ist einer der Gründe, warum ich so gerne in diese Gegend komme. Was hältst du von Thrazien, vortrefflicher Chariton?«

»Ich mag es«, sagte ich und stellte zu meiner Überraschung fest, daß es stimmte. Zum Teil lag es einfach daran, daß die Landschaft gerade jetzt, im Frühling, so schön war. Doch ich mochte auch den weiten Raum um mich herum, vor allem nach all dem Schmutz und dem Menschengewimmel von Alexandria. Ich liebte meine Verantwortung für das Hospital, verspürte Freude und Stolz, wenn ich daran dachte, was ich hier bewirkte. Ich liebte es, mein eigener Herr in meinem eigenen Haus zu sein und in der Festung respektiert zu werden. Ich fing sogar an, Spaß am Reiten zu finden, jetzt, da meine Muskeln sich allmählich daran gewöhnten und es nicht mehr so kalt war. »In mancher Hinsicht finde ich es hier ebenso schön wie in Alexandria.«

»Tatsächlich?« fragte Athanaric. »Du scheinst dich ja gut eingewöhnt zu haben, das freut mich. Die Pferdeknechte an der Poststation haben mir erzählt, du seist der beste Arzt ganz Thraziens und könntest Koliken und die Krätze heilen. Das hätte ich einem solch eingefleischten Alexandriner gar nicht zugetraut. Und deinen Posten füllst du zweifellos zur vollsten Zufriedenheit aller aus. Sebastianus glaubt, daß du direkt von Äskulap abstammst. Er ist der Ansicht, du heilst die Kranken wie ein Wunderheiler.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete ich. »Wir können nicht jeden heilen, und die Heilungen, die uns gelingen, sind das Ergebnis der hippokratischen Medizin und nicht irgendwelcher Wunder.«

Er grinste. »Natürlich. Wie konnte ich bloß den unsterblichen Hippokrates vergessen?« Er hob seinen Becher. »Ich freue mich, daß alles so gut ausgegangen ist. Mein Freund Sebastianus ist glücklich, die Soldaten sind hervorragend versorgt, und selbst dir mißfällt es nicht. Auf deine Gesundheit!«

»Auf die deine!« erwiderte ich. »Aber ich werde ständig Opium brauchen. Vielleicht geht der Samen hier nicht auf. Und selbst wenn, wird es eine gewisse Zeit dauern, um meinen Vorrat auf diese Weise zu decken.«

»Schick deinem Freund etwas Geld, dann sorge ich dafür, daß die Post das Opium befördert.«

»Das nächste Mal, wenn du in Novidunum bist, mußt du zum Abendessen bleiben«, sagte ich einladend.

»Damit du sicher sein kannst, daß ich als dein Gast verpflichtet bin, dir weiterhin zu helfen? Natürlich. Aber das würde ich sowieso tun. Du weißt ja: Ich möchte, daß die Männer hier eine gute Behandlung erfahren.«

»Außerdem kannst du mir die wichtigsten Neuigkeiten erzählen«, meinte ich lächelnd.

Er erzählte mir einige, bevor er fortging. Es hatte den Anschein, als sei Erzbischof Petrus in Rom sicher und erfreue sich der Gastfreundschaft des römischen Erzbischofs Damasus. Die westliche Kirche neigte zum nizäischen Glauben, und der westliche Kaiser hatte nicht die Absicht, mit den Anhängern dieser Glaubensrichtung aneinanderzugeraten: Petrus war so sicher, wie er nirgendwo im Osten gewesen wäre. Sein arianischer Gegenspieler Lucius hatte offensichtlich genug davon, nizäische Christen in Alexandria zu verfolgen, und war in die nitrische Wüste gezogen, um Mönche auszupeitschen. Philon und seiner Familie ging es gut; ja, Athanaric hatte sie selbst gesehen; er hatte ihnen meinen Brief, gleich nachdem er dem Präfekten einige Botschaften ausgehändigt hatte, persönlich überbracht. Theogenes hatte seine Prüfung abgelegt und war zusammen mit Theophila nach Antiochia gezogen. Und Philon hatte wieder einen anderen Schüler. »Ich mag deinen Philon«, erklärte Athanaric und trank seinen Wein aus. »Er ist wohl ein hervorragender Arzt, oder?«

»Der beste in Alexandria«, sagte ich mit Nachdruck.

»Nun, das muß er ja wohl, da er dein Lehrherr war.« Athanaric setzte seinen Becher ab und erhob sich. »Also, auf geht’s nach Sirmium! Ave atque vale, wie die Römer sagen. Wir sehen uns, wenn ich das nächste Mal durch Novidunum komme.«

Er ging von der Taverne aus direkt zur Poststation und sprang auf sein Pferd. Es stand fertig gesattelt und mit einem neuen Paar Satteltaschen für ihn bereit. Er wendete das Pferd, winkte und ritt in großartiger Manier von dannen. In vollem Galopp preschte er durch die Festung, so daß die Tauben und Küken mit aufgeregtem Flügelschlagen davon flatterten. Den Hügel hinab, durch das Tor und auf die Straße hinaus. Nur Kuriere reiten so: Galopp, Galopp, Galopp, zwölf Meilen in der Stunde oder schneller: zur nächsten Poststation; runter vom Pferd und rauf auf das nächste und wieder Galopp, Galopp, Galopp. Es mußten vierhundert Meilen von Novidunum nach dem im Westen gelegenen Sirmium sein, und Athanaric würde es in ein paar Tagen schaffen.

Ich seufzte und beobachtete, wie seine Gestalt kleiner wurde, dann machte ich mich wieder an meine Arbeit. Ich entdeckte in meinem Herzen den Wunsch, ihn bald wieder in Novidunum zu sehen.

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