23.

Eine Sippschaft von Schwarzhüten trottet voran, ein Frachtzug des Grams, von den Toren des Friedhofs -»Haus des Lebens« nennen sie ihn — den Hang hinauf zu einem Loch in der feuchten Erde. Eine regennasse Kiefernholzkiste taumelt und tanzt auf einer Brandung weinender Männer. Satmarer halten Regenschirme über die Köpfe von Verbovern. Gerrer, Shtrakenzer und Viznitzer haben sich mit der Kühnheit herumalbernder Schulmädchen untergehakt. Rivalitäten, Groll, sektiererische Kontroversen, gegenseitige Exkommunikation, all das wurde für einen Tag vergessen, damit man mit wahrer Hingabe einen Jid betrauern kann, den bis Freitagabend alle vergessen hatten. Nicht mal ein Jid — nur die Hülle eines Jids, ein fast durchsichtiges Futteral um ein hartes Nichts aus zwanzigjährigem Drogenkonsum. Jede Generation verliert den Messias, den sie nicht verdient hat. Jetzt haben die Frommen des Distrikts Sitka die Manifestation ihrer kollektiven Unwürdigkeit ausgemacht und sich im Regen versammelt, um sie in die Erde zu betten.

Um das Grab wiegen sich schwarze Tannengruppen wie trauernde Chassidim. Hinter der Friedhofsmauer schützen Hüte und schwarze Regenschirme die unwürdigsten der Unwürdigen, Tausende an der Zahl, vor dem Regen. Tiefgreifende Strukturen von Verbindlichkeit und Anerkennung bestimmen, wer die Erlaubnis hat, durch das Tor zum Haus des Lebens zu gehen, und wer kibitzend draußen bleib en muss und sich die Strümpfe vom Regen durchweichen lassen darf. Diese tiefliegenden Strukturen haben wiederum die Aufmerksamkeit von Polizeibeamten der Dezernate Einbruch, Schmuggel und Betrug erregt. Landsman erkennt Skolsky, Burwitz, Feld und Globus, dem immer ein Hemdschoß heraushängt, Globus, der auf dem Dach eines grauen Ford Victoria thront. Nicht jeden Tag kommt die vollständige Verbover Hierarchie vor die Tür und positioniert sich auf einem Hang so in Beziehung zueinander wie auf dem Diagramm des Staatsanwalts. Auf dem Dach eines eine Viertelmeile entfernten Wal-Mart richten drei Amerikaner in blauen Windjacken ihre Teleobjektive und das zitternde Pistill ihrer Kondensatormikrofone aus. Eine zähe blaue Schnur von Kollegen der Motorradstaffel und Latkes flicht sich durch die Menge, damit sie sich nicht auflöst. Auch die Presse ist da, Kameramänner und Journalisten von Channel i, von den Lokalzeitungen, Personal von der Außenstelle der NBC drüben in Juneau und ein Kabelnachrichtensender. Ebenso Dennis Brennan, dem die Vernunft oder vielleicht nur die Filzmenge fehlt, um seine riesige Birne vor dem Regen zu schützen. Dann wären da noch die Halbgläubigen, die Halbpraktizierenden und die modernen Orthodoxen sowie die nur Leichtgläubigen, die Skeptiker und die Neugierigen, nicht zu vergessen eine gesunde Abordnung vom Schachclub Einstein.

Sie alle beobachtet Landsman von seinem machtlosen Aussichtspunkt im Exil aus. Wieder vereint mit seinem Super Sport, steht er auf einem kahlen Hügel gegenüber dem Haus des Lebens auf der anderen Seite des Mizmor Boulevard. Er parkt in einer Sackgasse, die entworfen, asphaltiert und dann mit dem Namen Tikvah Street belastet wurde — Tikvah, das hebräische Wort für »Hoffnung«, da schwingen im jiddischen Ohr an diesem trüben Nachmittag am Ende der Zeit siebzehn verschiedene Ironiearomen mit. Die erhofften Häuser wurden nie gebaut. Holzpflöcke mit orangen Fähnchen und einer Nylonleine stecken ein Miniaturzion um die Sackgasse ab, einen geisterhaften Eruw des Versagens. Landsman ist solo unterwegs, nüchtern wie ein Karpfen in der Badewanne, und hat ein Fernglas im feuchtkalten Griff. Das Bedürfnis nach einem Glas Alkohol ist wie ein fehlender Zahn. Er muss ständig daran denken, und doch ist etwas Angenehmes daran, in der Lücke herumzubohren. Oder vielleicht ist der Schmerz von etwas Fehlendem auch nur die Leere, die Bina verursachte, als sie seine Dienstmarke kassierte.

Landsman wartet die Beisetzung in seinem Auto ab, beobachtet alles durch die guten Zeissgläser und verbraucht die Autobatterie mit einer Radiodokumentation auf CBC über den Bluessänger Robert Johnson, dessen Stimme so gebrochen und dünn klingt wie die eines Juden, der im Regen sein Kaddisch sagt. Landsman hat eine Schachtel Broadways dabei und lässt sie heftig qualmen, um den hartnäckigen Geruch von Micky Zilberblat aus dem Innern des Super Sport zu vertreiben. Es ist ein widerlicher Gestank, er gleicht dem eines Wassertopfs, in dem man zwei Tage zuvor Nudeln kochte. Berko hat Landsman zu überzeugen versucht, dass er sich diese Spur vom kurzfristigen Aufenthalt des kleinen Zilberblats in seinem Leben nur einbildet. Aber Landsman freut sich über die Ausrede, seinen Wagen ausräuchern zu können. Das tötet die Gier nach Alkohol zwar nicht ab, nimmt ihr aber ein wenig die Schärfe.

Berko wollte Landsman ebenfalls überzeugen, wegen Mendel Shpilmans tödlichem Unglücksfall noch ein wenig zu warten, vielleicht ein oder zwei Tage. Als Berko mit Landsman von seiner Wohnung im Aufzug nach unten fuhr, forderte er ihn auf, ihm in die Augen zu schauen und ihm zu versprechen, dass zu Landsmans Plänen an diesem feuchten Montagnachmittag nicht gehörte, bar einer Dienstmarke und Dienstwaffe bei der trauernden Königin der Gangster aufzutauchen und ihr unverschämte Fragen entgegenzuschleudern, wenn sie das Haus des Lebens und die Überreste ihres einzigen Sohnes hinter sich ließ.

»Du kommst doch gar nicht an sie heran«, beharrte Berko, als er Landsman aus dem Fahrstuhl durch die Eingangshalle zur Tür des Dnyeper folgte. Berko trug seinen elefantösen Pyjama. Aus den Ärmeln quoll ein Teil eines Anzugs. Seine Schuhe hatte er an die Finger gehakt, den Gürtel um den Hals geschlungen. Aus der Brusttasche seines senfgelben Schlafanzugs mit den weißen Nadelstreifen schauten wie ein Einstecktuch die Spitzen von zwei Toastscheiben. »Und selbst wenn du es schaffst, schaffst du es nicht.«

Er unterschied auf höfliche Polizistenart zwischen dem, was man mit Mumm erreichte, und dem, was die Mummbrecher niemals zulassen würden.

»Die lassen dich am ausgestreckten Arm verhungern«, sagte Berko. »Die schütteln dir das Kleingeld aus der Hose. Die zeigen dich an.«

Das konnte Landsman nicht bestreiten. Nur selten setzte Batsheva Shpilman einen Fuß über die Grenze ihrer verborgenen kleinen Welt. Aber wenn sie es tat, dann lediglich inmitten eines schweren Dickichts aus Schießeisen und Anwälten. »Keine Dienstmarke, keine Rückendeckung, keine Befugnis, keine Ermittlung, und mit dem Eigelb auf dem Anzug siehst du wie ein Halbirrer aus. Wenn du die Dame belästigst, könntest du erschossen werden, und trotzdem hätte es nur geringe Folgen für den Schützen.«

Berko folgte Landsman aus dem Gebäude und tanzte bis zur Bushaltestelle an der Ecke in seine Socken und Schuhe.

»Willst du mir damit sagen, ich soll es nicht tun, Berko?«, fragte Landsman. »Oder dass ich es nicht ohne dich tun soll? Glaubst du, ich lasse zu, dass du einfach auf das scheißt, was du und Ester-Malke noch machen müssen, bis die Reversion durch ist? Du bist verrückt. Ich habe dir im Laufe der Jahre viele schlechte Dienste erwiesen und dir eine Menge Ärger eingebrockt, aber ich hoffe, dass ich doch nicht ein ganz so großes Arschloch bin. Und wenn du jetzt sagst, du findest, ich sollte es nicht tun, Punktum, dann …«

Landsman blieb stehen. Die Schwere der Vernunft hinter seinem zweiten Argument traf ihn heftig.

»Ich weiß nicht, was ich will, Meyer. Ich meine nur, ach, Scheiße.« Berko bekam manchmal diesen Blick, früher als Kind öfter als jetzt, ein aufrichtiges Schimmern im Weiß seiner Augen. Landsman musste zur Seite sehen. Er hielt das Gesicht in den vom Sund hereinwehenden Wind. »Ich meine, nimm wenigstens nicht den Bus, ja? Lass mich dich wenigstens zum Sicherstellungsgelände fahren.«

Es gab ein fernes Grummeln, Luftbremsen kreischten. Der 61 B nach Harkavy erschien hinten auf der Promenade, wirbelte einen schimmernden Regenvorhang auf.

»Wenigstens die hier«, sagte Berko. Er hielt seine Anzugjacke am Kragen hoch. Hielt sie Landsman hin, als solle er sie anziehen. »In der Tasche, Meyer. Nimm sie.«

Nun wiegt Landsman die Scholem in der Hand, eine süße kleine Beretta ‚22 mit Plastikgriff, vergiftet sich mit Nikotin und versucht, das Wehklagen des schwarzen Delta-Jids Johnson zu verstehen. Nach einer Zeitspanne, die wahrzunehmen oder zu messen er sich nicht die Mühe macht, sagen wir, eine Stunde, setzt sich der düstere lange Zug, seiner Fracht entledigt, wieder in Bewegung, den Hang hinab auf die Tore zu. Voran, langsam schnaufend, mit aufrechtem Kopf und breitkrempigem Hut, stapft die massige Lokomotive des zehnten Verbover Rebbe. Hinter ihm eine Kette von Töchtern, sieben oder zwölf an der Zahl, dazu deren Ehemänner und Kinder, und dann setzt sich Landsman auf und stellt ein Zeissbild von Batsheva Shpilman scharf. Erwartet hat er eine hexenartige Mischung aus Mrs. Macbeth und der amerikanischen First Lady: Marilyn Monroe Kennedy mit rosa Pillboxhut und hypnotisierenden Spiralen statt Augen. Aber als Batsheva Shpilman deutlich zu sehen ist, kurz bevor sie hinter dem Band der Trauernden am Friedhofstor verschwindet, erkennt Landsman eine schmale, knochige Gestalt und ältlich zögernde Schritte. Das Gesicht ist hinter einem schwarzen Schleier verborgen. Ihre Kleidung ist unauffällig, ein Vehikel für Schwarz.

Während sich die Shpilmans dem Tor nähern, verdickt sich die Schnur von uniformierten Nos zu einem dichten Knoten und drängt die Menschenmasse zurück. Landsman lässt die Pistole in seine Jackentasche gleiten, stellt das Radio ab und steigt aus dem Auto. Der Regen ist zu einem steten feinen Nebel ausgedünnt. Landsman trottet den Hang hinunter Richtung Mizmor Boulevard. In der vergangenen Stunde ist die Menschenmenge angeschwollen, sie drängt sich um die Friedhofstore. Sie wippt, verschiebt sich, neigt zu plötzlichem Rucken, beseelt von der Brown’schen Bewegung kollektiven Kummers. Die uniformierten Latkes haben schwer zu tun, versuchen, zwischen der Familie und den gewaltigen schwarzen Limousinen des Leichenzugs eine Gasse freizuhalten.

Landsman strauchelt und stolpert, reißt Unkraut mit sich, sammelt Lehm unter den Schuhen. Als er sich den rutschigen Hang hinuntermüht, beginnen ihn seine Verletzungen zu beunruhigen. Er fragt sich, ob die Ärzte vielleicht eine gebrochene Rippe übersehen haben. Irgendwann verliert er den Halt und schlittert abwärts, seine Absätze ziehen drei Meter lange Furchen in den Boden, am Ende fällt er auf den Hintern. Er ist zu abergläubisch, um darin kein böses Omen zu sehen, aber wenn man Pessimist ist, gibt es nur böse Omen.

In Wahrheit hat er überhaupt keinen Plan, nicht mal den verworfenen, rudimentären, den Berko ersann. Seit achtzehn Jahren ist Landsman ein Nos, seit dreizehn Detective, in den vergangenen sieben Jahren hat er in der Mordkommission gearbeitet, ein Topmann, ein Prinz der Polizei. Noch nie ist er ein Niemand gewesen, ein verrückter kleiner Jude mit einer Frage und einer Pistole. Er weiß nicht, wie man unter diesen Umständen vorgeht, er hat nur die Gewissheit, die er wie eine Liebesgabe an sein Herz drückt, dass am Ende eigentlich alles egal ist.

Der Mizmor Boulevard ist ein Parkplatz, Trauergäste und Schaulustige stehen in einem Dunst von Dieselabgasen. Landsman fädelt sich an Stoßstangen und Kotflügeln vorbei und wirft sich dann in die Menschenmenge, die den Grünstreifen verstellt. In der Hoffnung auf bessere Sicht sind Knaben und junge Männer in die Äste einer Reihe glückloser europäischer Lärchen geklettert, die auf dem Mittelstreifen nie Wurzeln schlagen konnten. Die Jids um Landsman herum gehen ihm aus dem Weg, und wenn sie ihm nicht aus dem Weg gehen, gibt er ihnen mit seiner knochigen Schulter einen kleinen Tipp.

Sie riechen nach Wehklage, diese Jids, nach langer Unterwäsche, nach Tabakrauch in nassen Mänteln, nach Schlamm. Sie beten, als würden sie jeden Moment ohnmächtig werden, als sei das eine Art Vorschrift. Weinende Frauen klammern sich aneinander, reißen ihre Kehlen auf. Sie trauern nicht um Mendel Shpilman, das kann nicht sein. Es ist etwas anderes, das nach ihrem Gefühl die Welt verlassen hat, der Schatten eines Schattens, die Hoffnung einer Hoffnung. Diese Halbinsel, die sie als Heimat lieben gelernt haben, wird ihnen genommen. Sie sind wie Goldfische in einer Tüte, die wieder in den großen schwarzen See der Diaspora geschüttet werden sollen. Und diese Vorstellung ist zu viel für sie. Deshalb beklagen sie in Wahrheit den Verlust einer großen Chance, die ihnen nie gewährt wurde, eines Glücksfalls, der gar keiner war, eines Königs, der sowieso nie gekommen wäre, auch nicht ohne Kugel in der Schädeldecke. Landsman traktiert die Trauernden mit der Schulter und murmelt: Entschuldigung.

Er steuert auf ein Ungeheuer von Limousine mit Vierradantrieb zu, eine sieben Meter lange, maßgefertigte Stretchlimo. Der Weg vom Hügel den Hang hinunter über den Boulevard, vorbei an den Schirmen und Bärten und dem jüdischen Geheul bis zu dieser Angeberkutsche, hat in Landsmans Vorstellung etwas Unsicheres, Handgeführtes. Die Amateuraufnahme eines Attentatversuchs. Aber Landsman ist nicht gekommen, um jemanden zu erschießen. Er möchte einfach nur mit dieser Dame sprechen, ihre Aufmerksamkeit erregen, ihren Blick erhaschen. Er will ihr nur eine Frage stellen. Welche Frage, nu, das weiß er nicht.

Schließlich wird er von jemandem dahin geprügelt; tatsächlich von einem ganzen Dutzend Männer. Die Journalisten haben sich genau wie Landsman mit Hilfe von Schulterblättern und Ellenbogen eine Schneise durch die Schwarzhüte gegraben. Als die winzige, schwarz verschleierte Frau am Arm ihres Schwiegersohns durch das Tor wankt, schleudern die Reporter ihr die mitgebrachten Fragen entgegen. Sie kramen sie wie Steine aus den Taschen und werfen sofort. Sie verwüsten die Frau mit Fragen. Sie beachtet die Journalisten nicht; ihr Kopf ist starr geradeaus gerichtet, der Schleier zittert nicht und teilt sich nicht. Baronshteyn führt die Mutter des Toten zu dem Koloss von Limousine. Der Chauffeur rutscht vom Beifahrersitz. Es ist ein Filipino mit der Figur eines Jockeys und einer Narbe am Kinn, die einem zweiten Lächeln gleicht. Er läuft um den Wagen herum, um für seine Arbeitgeber die Tür zu öffnen. Landsman ist noch über fünfzig Meter entfernt. Er wird es nicht rechtzeitig schaffen, dieser Frau eine Frage zu stellen oder überhaupt etwas zu tun.

Ein Knurren, ein wildes Grollen in der Kehle, tief und halbmenschlich, ein warnendes oder düster mahnendes Rumpeln: einer der Schwarzhüte neben dem Auto hat eine Journalistenfrage falsch verstanden. Vielleicht hat er auch alle falsch verstanden, genau wie die Art, auf die sie gestellt werden. Landsman sieht den zornigen Schwarzhut, breit, blond, ohne Krawatte, flattrige Hemdschöße, und erkennt Dovid Sussman, den Jid, der Berko Shemets auf Verbov Island neckte. Ein Klotz von Mann mit einer Ausbuchtung im Kiefergelenk und einer zweiten unter der linken Achsel. Sussman schlingt einen Arm um den Hals von Dennis Brennan, den Jämmerlichen, und würgt ihm die Luft ab. Mit den Zähnen an Brennans Ohr hält er ihm einen Vortrag und zieht ihn nach hinten, der Familie aus dem Weg, die durch das Tor kommt.

Da tritt ein Latke vor. Er schreitet ein, das ist schließlich seine Aufgabe. Aber weil er Angst hat — der Knabe sieht wirklich verängstigt aus —, setzt er seinen Schlagstock vielleicht ein wenig zu heftig an Dovid Sussmans Schädel ein. Man hört ein ekliges Schnappen, dann löst sich Sussman auf und zerfließt zu den Füßen des Latkes.

Kurz halten die Menschenmenge, der Nachmittag und die große weite Welt der Juden die Luft an und vergessen, wieder auszuatmen. Dann bricht der reinste Wahnsinn los, ein jüdischer Krawall, ein Hand- und Wortgemenge, das vor maßlosen Anschuldigungen und unversöhnlichen Flüchen strotzt. Hautkrankheiten werden angerufen, Verdammungen und Blutungen. Gekreische, aufbrausende Schwarzhüte, Stöcke und Schläge, Geschrei und Gebrüll, wie Kreuzfahrerflaggen wehende Bärte, Flüche, der Geruch von aufgewühltem Schlamm, von Blut und gebügelten Hosen. Zwei Männer tragen ein zwischen zwei Stangen gespanntes Banner, auf dem sie von ihrem verlorenen Prinzen Menachem Abschied nehmen. Plötzlich schnappt sich jemand die eine Stange und ein anderer die zweite. Das Banner reißt auseinander und gerät ins Zahnrad der Masse. Kiefer und Schädel der Polizisten bekommen die Stangen zu spüren. Das mühevoll auf den Stoff geschriebene Wort ABSCHIED wird herausgerissen und fortgeworfen. Über den Köpfen von Trauergästen und Polizisten, Ganoven und Frommen, Lebenden und Toten, schwebt es durch die Luft.

Landsman verliert den Rebbe aus dem Blick, aber er sieht, wie eine Horde Rudashevskys die Mutter, Batsheva, in den Fond der Limousine schiebt. Der Chauffeur greift nach der Fahrertür und springt auf seinen Sitz wie ein Turner. Die Rudashevskys hämmern gegen das Auto und rufen los los los. Und Landsman, der immer noch in der Tasche nach der glänzenden Münze einer guten Frage gräbt, sieht zu, und dabei fällt ihm eine Reihe von Kleinigkeiten auf. Der Filipino-Chauffeur ist nervös. Er legt keinen Sicherheitsgurt an. Mit der Hupe lässt er keinen kräftigen, viehvertreibenden Tusch ertönen. Und der kleine Pin des Schlosses auf der Türverkleidung senkt sich nicht nach unten. Der Chauffeur legt einfach den Gang der langen Limousine ein und rollt voran, bald zu schnell für eine so belebte Umgebung.

Landsman geht zur Seite, als der Wagen auf ihn zugeschossen kommt. Eine Strähne Trauernder löst sich aus dem großen schwarzen Zopf und schleppt sich hinter Batsheva Shpilmans Stretchlimousine her. Ein Sog des Kummers. Kurz versperren die am Auto hängenden Trauernden den Rudashevskys den Blick auf jeden, der Narr genug ist, in den Wagen zu steigen. Landsman nickt, erfasst den rhythmischen Wahnsinn der Masse und seiner selbst. Kurz sieht er zu und lockert die Finger. Als der Wagen vorbeischaukelt, reißt er die Hintertür auf.

Augenblicklich wird die Motorkraft in seinen Beinen in Panik übersetzt. Es ist wie ein Beweis für die Physik seiner Dummheit, der unentrinnbaren Wucht seines eigenen Pechs. Während er ungefähr fünf Meter vom Wagen mitgeschleift wird, findet er Zeit, sich zu fragen, ob so auch seine Schwester ihr Ende fand, durch eine knappe Demonstration von Erdanziehungskraft und Masse. Seine Handgelenke spannen die Sehnen. Dann gelingt es ihm, ein Knie in das Innere der Limousine zu schieben, und er purzelt hinein.

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