27.

»Die Vereinigung jiddischer Polizisten«, sagt der Kuchenmann.

Über die Edelstahltheke seines Ladens wirft er Landsman einen Blick zu und verschränkt die Arme, um ihm zu zeigen, dass er die Tricks der Juden durchschaut. Er kneift die Augen zusammen, als versuche er, einen Druckfehler auf dem Zifferblatt einer gefälschten Rolex zu erkennen. Landsmans Amerikanisch ist gerade gut genug, um nicht verdächtig zu wirken.

»Allerdings«, sagt Landsman. Er ärgert sich, dass von seinem Mitgliedsausweis der »Hände Esaus«, der internationalen Bruderschaft jüdischer Polizisten, Ortsgruppe Sitka, eine Ecke abgebrochen ist. Unten rechts ist ein kleines sechseckiges Symbol. Der Text ist Jiddisch. Der Ausweis bevollmächtigt zu nichts und hat keinerlei Bedeutung, nicht einmal für Landsman, der seit zwanzig Jahren angesehenes Mitglied dieser Vereinigung ist. »Wir sind über die ganze Welt verteilt.«

»Das wundert mich kein bisschen«, sagt der Kuchenmann nachdrücklich schroff. »Aber ich verkaufe nur Kuchen, Mister.«

»Wollen Sie nun Kuchen oder nicht?«, fragt die Frau vom Kuchenmann. Wie ihr Gatte ist sie stattlich und blass. Ihr Haar hat die farblose Farbe von Alufolie in fahlem Licht. Die Tochter steht hinten, zwischen den Beeren und Teigen. Bei den Buschpiloten, Jägern, Rettungsmannschaften und anderen Stammkunden, die regelmäßig den Flugplatz Yakovy aufsuchen, gilt es als Glücksfall, einen Blick auf die Tochter des Kuchenmanns zu erhaschen. Landsman hat sie seit Jahren nicht gesehen. »Wenn Sie keinen Kuchen wollen, gibt es keinerlei Grund, hier am Tresen rumzutrödeln. Die Leute hinter Ihnen wollen ihr Flugzeug erreichen.«

Sie nimmt ihrem Mann den Ausweis ab und reicht ihn Landsman zurück. Er kann ihr ihre Ruppigkeit nicht verübeln. Für die Rechtsverdreher, Scharlatane, Diplombetrüger und Grundstücksstrohmänner dieser Welt ist der Flugplatz von Yakovy eine Schlüsselstation auf dem Weg nach Norden. Für Wilderer, Schmuggler, ungeratene Russen. Drogenkuriere, kriminelle Indianer, verbrecherische Yankees. Der gerichtliche Zuständigkeitsbereich von Yakovy wurde nie endgültig festgelegt. Juden, Indianer und Klondikes stellen gleichermaßen Ansprüche. Der Kuchen dieser Frau hat eine höhere Moral als die Hälfte ihrer Kundschaft. Die Kuchenfrau hat keine Veranlassung, Landsman mit seinem Talmi-Ausweis und der kahlgeschorenen Stelle am Hinterkopf zu vertrauen oder auf ihn einzugehen. Und doch verspürt Landsman angesichts ihrer Grobheit einen stechenden Schmerz des Bedauerns, seine Dienstmarke eingebüßt zu haben. Hätte er sie noch, könnte er jetzt sagen: Die Leute hinter mir können mich mal am Arsch lecken, Madam, und Sie können sich gern mal einen netten Boysenbeereneinlauf machen. Stattdessen mustert er demonstrativ die in einer mäßig langen Schlange hinter ihm anstehenden Personen: Fischer, Kajakfahrer, Geschäftsleute, einige Wirtschaftsvertreter.

Jeder Einzelne signalisiert ihm mit den Augenbrauen oder einem Geräusch, dass er begierig auf Kuchen ist und langsam die Geduld mit Landsman und seinem eselsohrigen Ausweis verliert.

»Ich nehme ein Stück Apfelstreusel«, sagt Landsman. »Daran habe ich schöne Erinnerungen.«

»Apfelstreusel ist mein Lieblingskuchen«, sagt die Kuchenfrau und wird etwas milder. Mit einem Nicken schickt sie ihren Mann an die hintere Theke. Da steht der Apfelstreusel auf einem schimmernden Sockel, frisch, noch nicht angeschnitten. »Kaffee?«

»Ja bitte.«

»A la mode?«

»Nein danke.« Landsman schiebt das Bild von Mendel Shpilman über den Tresen. »Und? Schon mal gesehen?«

Die Frau beäugt das Foto, die Hände sorgfältig in die jeweils gegenüberliegende Achselhöhle geschoben. Landsman spürt, dass sie Mendel Shpilman sofort erkennt. Dann dreht sie sich um und nimmt ihrem Mann den Pappteller mit dem Stück Streuselkuchen ab. Sie stellt den Teller zusammen mit einem kleinen Styroporbecher Kaffee und einer in eine Papierserviette gerollten Gabel auf ein Tablett.

»Zwei fünfzig«, sagt sie. »Setzen Sie sich zu dem Bären.«

Der Bär wurde in den Sechzigern von Jids erschossen. Nach ihrem Aussehen auf dem Foto zu urteilen, waren es Ärzte mit Skimützen und Pendleton-Mänteln. Sie verbreiten die seltsame, bebrillte Männlichkeit aus den goldenen Jahren des Distrikts Sitka. Neben der Aufnahme dieser fünf fatalen Männer klebt ein auf Jiddisch und Englisch beschriebenes Schild. Es informiert den Betrachter, dass der Bär, der bei Lisianski erlegt wurde, ein drei Meter siebzig großer, vierhundert Kilo schwerer Braunbär war. Nur sein Skelett wird heute noch in dem Glaskasten aufbewahrt, neben den sich Landsman nun mit seinem Apfelkuchen und dem Kaffeebecher setzt. Er hat hier schon viele Male gesessen und bei einem Stück Kuchen dieses furchtbare elfenbeinfarbene Xylophon betrachtet. Das letzte Mal war er hier mit seiner Schwester, vielleicht ein Jahr vor ihrem Tod. Er war mit dem Gorsetmacher-Fall beschäftigt. Sie hatte gerade eine aus der Wildnis zurückkehrende Gruppe Fischer abgesetzt.

Landsman denkt an Naomi. Die Erinnerung ist ein Luxus, wie ein Stück Kuchen. So gefährlich und begehrenswert wie Alkohol. Er ersinnt ein Gespräch mit Naomi, die Worte, mit denen sie sich über ihn lustig machen und ihn verspotten würde, wenn sie hier wäre. Wegen seines blutigen Überschlags im Schnee bei diesen trotteligen Zilberblats. Weil er mit einer frommen alten Dame im Fond einer hypertrophen Limousine Ginger Ale getrunken hat. Weil er glaubt, sein Alkoholproblem aussitzen und lange genug high bleiben zu können, um den Mörder von Mendel Shpilman zu finden. Weil er seine Dienstmarke eingebüßt hat. Weil ihm die angemessene Hektik angesichts der Reversion abgeht, weil er keine Meinung dazu hat. Naomi behauptete, Juden zu hassen, weil sie sich dem Schicksal demütig unterwerfen, weil sie Gott und den Christen bedenkenlos vertrauen. Aber Naomi hatte eine Meinung zu allem. Sie kontrollierte und wartete ihre Meinungen, polierte und pflegte sie. Und sie hätte, denkt Landsman, seinen Entschluss kritisiert, den Kaffee nicht à la mode zu nehmen.

»Die Vereinigung jiddischer Polizisten«, sagt die Tochter des Kuchenmanns, als sie sich neben Landsman auf die Bank setzt. Sie hat ihre Schürze abgenommen und die Hände gewaschen. Über den Ellenbogen sind ihre sommersprossigen Arme mit Mehl bestäubt. Sie hat Mehl in den blonden Augenbrauen. Das Haar trägt sie mit einem schwarzen Gummiband zurückgebunden. Sie ist eine eindringlich schlichte Frau mit wässrigblauen Augen, ungefähr in Landsmans Alter. Ein Geruch von Butter, Tabak und das säuerliche Aroma von Teig gehen von ihr aus, was Landsman seltsam erotisch findet. Sie zündet sich eine Mentholzigarette an und bläst ihm eine Rauchwolke ins Gesicht. »Das ist mal was Neues.«

Sie steckt sich die Zigarette zwischen die Lippen und streckt die Hand nach dem Mitgliedsausweis aus. Sie tut so, als bereite ihr der Text keine Probleme.

»Doch, ich kann Jiddisch lesen«, sagt sie schließlich. »Ist ja schließlich nicht so ’n Scheiß-Aztekisch oder so.«

»Ich bin wirklich bei der Polizei«, sagt Landsman. »Heute ermittle ich bloß privat. Deshalb benutze ich nicht meinen Dienstausweis.«

»Zeigen Sie mir das Bild«, sagt sie. Landsman reicht ihr das Polizeifoto von Mendel Shpilman. Sie nickt, und kurz reißt der Panzer ihres Überdrusses an einer flüchtigen Naht auf.

»Kannten Sie ihn, Miss?«

Sie reicht das Bild zurück. Schüttelt den Kopf, runzelt abwehrend die Stirn.

»Was ist mit ihm passiert?«, fragt sie.

»Er wurde ermordet«, sagt Landsman. »In den Kopf geschossen.«

»Das ist hart«, sagt sie. »O Gott.«

Landsman holt eine neue Packung Papiertaschentücher aus seiner Manteltasche und schiebt sie ihr hinüber. Sie putzt sich die Nase und knüllt das Taschentuch dann in der Faust zusammen.

»Woher kannten Sie ihn?«, fragt Landsman.

»Ich habe ihn mitgenommen«, sagt sie. »Einmal. Das war alles.«

»Wohin?«

»Zu einem Motel, unten an der Route 3. Ich mochte ihn. Er war lustig. Er war lieb. Irgendwie unkompliziert. Irgendwie durch den Wind. Er sagte, er hätte ein Problem, nun ja. Mit Drogen. Aber er wolle davon loskommen. Es sah so aus, er hatte einfach so eine Art.«

»Tröstlich?«

»Hm. Nein. Er war einfach, hm, ach, weiß nicht. Einfach da. Eine gute Stunde lang dachte ich, ich wäre in ihn verliebt.«

»Waren Sie aber nicht?«

»Ich schätze, ich hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden.«

»Hatten Sie Sex mit ihm?«

»Sie sind Bulle, okay«, sagt sie. »Ein Nos, heißt das bei euch nicht so?«

»Richtig.«

»Nein, ich hatte keinen Sex mit ihm. Ich wollte. Ich hab mich sozusagen in sein Motelzimmer eingeladen. Ich schätze, ich hab mich ihm ziemlich, hm, an den Hals geworfen. Damit will ich nichts Schlechtes über ihn sagen. Wie gesagt, er war superlieb und so, aber er war echt durch den Wind. Seine Zähne sahen aus … Jedenfalls denke ich, dass er es merkte.«

»Dass er was merkte?«

»Dass ich … dass ich ein kleines Problem habe. Wenn ich in die Nähe von Männern komme. Deshalb gehe ich ihnen lieber aus dem Weg. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sind überhaupt nicht mein Fall.«

»Ja, Ma’am.«

»Ich habe eine Therapie gemacht. Zwölf Schritte. Wurde neu geboren. Das Einzige, was wirklich hilft, ist Kuchenbacken.«

»Deshalb sind die also so gut.«

»Ha.«

»Er hat Ihr Angebot nicht angenommen.«

»Hätte er niemals. Er war ganz süß. Hat meine Bluse zugeknöpft. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen. Dann hat er mir etwas gegeben. Er sagte, ich könne es behalten.«

»Was war das?«

Sie senkt den Blick, und das Blut färbt ihr Gesicht so dunkel, dass Landsman es fast pulsieren hört. Die nächsten Worte kommen nur langsam und geflüstert aus ihr heraus.

»Seinen Segen«, sagt sie. Dann, deutlicher: »Er sagte, er würde mir seinen Segen geben.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er schwul war«, sagt Landsman. »Ich meine nur.«

»Ich weiß«, sagt sie. »Hat er mir gesagt. Er hat das Wort nicht benutzt. Er hat eigentlich überhaupt keine Worte benutzt, und wenn, dann kann ich mich nicht daran erinnern. Ich denke, was er sagen wollte, war, dass er keine Lust mehr hatte, sich damit abzugeben. Er meinte, Heroin sei einfacher und zuverlässiger. Heroin und Bridge.«

»Schach. Er spielte Schach.«

»Egal. Aber seinen Segen habe ich trotzdem bekommen, nicht?«

Es schien, als müsse die Antwort auf diese Frage Ja lauten.

»Ja«, sagt Landsman.

»Komischer kleiner Jude. Das Abgefahrene daran ist … keine Ahnung. Es hat irgendwie funktioniert.«

»Was hat funktioniert?«

»Der Segen. Ich meine, ich habe jetzt einen Freund. Einen richtigen. Wir sind total verknallt, echt komisch.«

»Das freut mich für Sie«, sagt Landsman und spürt einen stechenden Neid auf sie, auf all die Menschen, die das Glück hatten, von Mendel Shpilman gesegnet zu werden. Er überlegt, wie oft er direkt an Mendel vorbeigegangen sein muss, wie viele Chancen er vertan hat. »Sie sagten also, als Sie ihn mitnahmen, zu diesem Motel, fuhr er einfach per Anhalter. Sie haben ihn nur mitgenommen, weil Sie … Sie wissen schon.«

»Einen reingeschoben haben wollte? Nein.« Mit der Spitze ihres Schaffellstiefels tritt sie ihre Zigarette aus. »Es war ein Gefallen. Für eine Freundin. Ihn dahin zu fahren, meine ich. Sie kannte den Typ. Frank hieß er, sagte sie. Sie hat ihn von irgendwo hergeflogen. Sie war Pilotin. Sie hat mich gebeten, ihn mitzunehmen und ihm zu helfen, eine Unterkunft für ihn zu finden. Irgendwas Unauffälliges, meinte sie. Also habe ich das gemacht.«

»Naomi«, sagt Landsman. »Das war Ihre Freundin?«

»Mmh, ja. Kannten Sie sie?«

»Ich weiß, wie gerne sie Kuchen mochte«, sagt Landsman. »Dieser Frank, war das ein Kunde von ihr?«

»Glaub schon. Weiß nicht genau. Ich habe nicht gefragt. Aber die beiden kamen zusammen mit dem Flugzeug. Er muss es gechartert haben. Das können Sie doch bestimmt rausfinden mit Ihrem schicken Ausweis.«

Landsman spürt, dass sich eine Taubheit über seine Glieder legt, eine willkommene Taubheit, ein Gefühl von Schicksal, fast identisch mit Friedlichkeit, so wie der Biss einer Schlange, die ihre Opfer lieber lebendig und in Ruhe verschluckt. Die Tochter des Kuchenmanns neigt den Kopf dem unberührten Stück Apfelstreusel auf dem Pappteller zu, der den leeren Platz auf der Bank zwischen ihnen einnimmt.

»Das verletzt mich wirklich sehr«, sagt sie.

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