30.

Auf dem Rücken liegend, kommt Landsman zu sich, über ihm eine Reihe riesiger, gusseiserner Kessel. Mit ihren kräftigen Haken baumeln sie an einem Gitter exakt einen Meter über seinem Kopf. In Landsmans Nase mischt sich der nostalgische Geruch von Zeltlagerküche, Gas und Spülmittel, von verschmorten Zwiebeln und hartem Wasser mit dem schwachen Gestank einer Angelkiste. Unter seinem Kopf spürt er Metall, ein kalter Schauer böser Vorahnung. Er liegt ausgestreckt auf einer langen Edelstahltheke, die Hände in Handschellen unter sich, gegen sein Kreuzbein gedrückt. Barfuß, sabbernd und bereit, ausgenommen und mit einer Zitrone und vielleicht einem hübschen Salbeizweig in der Bauchhöhle dekoriert zu werden.

»Ich hab schon so einiges über Sie gehört«, sagt Landsman. »Kannibalismus war nicht dabei.«

»Ich würde Sie nicht essen, Landsman«, bekräftigt Baronshteyn. »Selbst dann nicht, wenn ich der hungrigste Mann in Alaska wäre und Sie mir mit einer silbernen Gabel vorgesetzt würden.« Er sitzt auf einem Barhocker links von Landsman, die Arme hinter dem Vorhang seines üppigen schwarzen Bartes verschränkt. »Ich habe nicht viel übrig für sauer Eingelegtes.«

Baronshteyn trägt nicht seine Berufskleidung, sondern eine neue blaue Arbeitshose und ein in die Hose gestecktes, fast völlig zugeknöpftes Flanellhemd. Einen dicken Ledergürtel mit schwerer Schnalle und schwarze Rangerstiefel. Das Hemd ist zu groß für seine Statur, die Hose steif wie ein Plätteisen. Abgesehen von seiner Jarmulke sieht Baronshteyn aus wie ein mageres kleines Kind, das sich für eine Schulaufführung als Holzfäller verkleidet hat, falscher Bart inklusive. Er hat die Stiefelabsätze in die Querstrebe des Hockers gehakt, sodass sein Hosenbein hochwandert und einige strumpflose Zentimeter schmalen Schienbeins verrät.

»Wer ist dieser Jid?«, sagt der hagere Riese Roboy. Landsman verrenkt sich den Hals, um den Arzt zu sehen, der auf einem Barhocker zu seinen Füßen thront — wenn er denn Arzt ist. Ringe unter den Augen wie Graphitspuren. Neben ihm steht Krankenpfleger Fligler, den Gehstock über den Arm gehakt, und sieht zu, wie eine Papiros in der Obhut seiner rechten Hand stirbt. Die linke Hand steckt unheilvoll in der Tasche seines Tweedsakkos. »Woher kennen Sie ihn?«

Ein Arsenal von Messern, Hackebeilen und anderen Werkzeugen an einer magnetischen Schiene entlang der Küchenwand befindet sich in bequemer Reichweite des fleißigen Küchenchefs oder Schlossers.

»Der Jid ist ein Schammes namens Landsman.«

»Er ist Polizist?«, sagt Roboy. Er sieht aus, als hätte er gerade in ein Bonbon mit scharfer Füllung gebissen. »Er hat keinen Ausweis. Fligler, hatte der Mann einen Ausweis?«

»Ich habe keinen Ausweis und keine andere Form von Etikettierung als Gesetzesvertreter bei ihm gefunden«, sagt Fligler.

»Weil ich ihm seinen Ausweis habe abnehmen lassen«, sagt Baronshteyn. »Stimmt das, Detective?«

»Ich stelle hier die Fragen«, sagt Landsman und windet sich in dem Versuch, bequemer auf seinen gefesselten Händen zu liegen. »Wenn es Sie nicht stört.«

»Es ist unwichtig, ob er einen Ausweis hat«, meint Fligler. »Hier draußen ist ein jüdischer Ausweis einen Ziegendreck wert.«

»Ich habe nichts übrig für diese Ausdrucksweise, Freund Fligler«, sagt Baronshteyn. »Wie ich, glaube ich, bereits erwähnt habe.«

»Haben Sie, aber ich kann es einfach nicht oft genug hören«, sagt Fligler.

Baronshteyn sieht ihn an. In den Abgründen seines Schädels verborgene Drüsen sondern Gift ab.

»Freund Fligler hat dafür plädiert, Sie zu erschießen und Ihre Leiche im Wald zu verscharren«, sagt er liebenswürdig, den Blick weiterhin auf den Mann mit der Waffe in der Tasche gerichtet.

»Ganz weit draußen«, sagt Fligler. »Mal sehen, was so vorbeikommt und an Ihrer Leiche knabbert.«

»Ist das Ihr Behandlungsplan, Doc?«, fragt Landsman und dreht den Kopf, um Roboy in die Augen sehen zu können. »Kein Wunder, dass es Mendel Shpilman letztes Frühjahr so eilig hatte, hier wegzukommen.«

Einen Moment nagen sie am Fleisch von Landsmans Bemerkung, schätzen ihren Geschmack und Vitamingehalt ab. Dann lässt Baronshteyn eine Prise Tadel in seinen vergifteten Blick fließen. Ihr hattet den Jid, sagt der Blick, den er Dr. Roboy zuwirft. Und ihr habt ihn entkommen lassen.

Baronshteyn beugt sich vor, krant sich auf seinem Hocker heran und spricht leise mit der ihm eigenen, bedrohlichen Zartheit. Sein Atem ist schal und beißend. Käserinden, Brotkanten, Bodensatz einer Tasse.

»Was machen Sie hier, Freund Landsman«, sagt er, »so weit draußen, wo Sie nicht hingehören?«

Baronshteyn wirkt aufrichtig verwirrt. Der Jude verlangt, informiert zu werden. Es mag, denkt Landsman, das einzige Verlangen sein, das dieser Mann sich zu empfinden gestattet.

»Das könnte ich auch Sie fragen, Baronshteyn«, sagt Landsman und überlegt, ob Baronshteyn mit diesem Ort vielleicht gar nichts zu tun hat, sondern nur ein Gast ist wie er selbst. Vielleicht ist er auf derselben Spur, vielleicht folgt auch er der letzten Flugbahn Mendel Shpilmans, versucht den Punkt zu finden, wo der Sohn des Rebbes auf den Schatten stieß, der ihn umbrachte. »Was ist das hier, ein Internat für missratene Verbover? Was sind das für Gestalten? Sie haben übrigens eine Gürtelschlaufe ausgelassen.«

Baronshteyns Finger irren zu seiner Taille, dann lehnt er sich zurück und macht ein Gesicht, das einem Lächeln ähnelt.

»Wer weiß, dass Sie hier sind, Landsman?«, sagt er. »Außer dem Pilot?«

Plötzlich empfindet Landsman stechende Angst um Rocky Kitka, der Hunderte von Meilen auf dem Kopf durchs Leben fliegt, ohne es zu merken. Landsman weiß nicht sehr viel über die Jids von Peril Strait, aber es scheint ziemlich klar, dass sie für einen Buschpiloten furchtbar unangenehm werden können.

»Was für ein Pilot?«, sagt er.

»Ich denke, wir müssen vom Schlimmsten ausgehen«, sagt Dr. Roboy. »Diese Einrichtung ist eindeutig gefährdet.«

»Sie haben zu viel Zeit mit diesen Leuten hier verbracht«, sagt Baronshteyn. »Sie fangen an, wie die zu reden.« Er löst die Schnalle seines Gürtels und schiebt ihn durch die vernachlässigte Schlaufe, ohne den Blick von Landsman zu lösen. »Aber vielleicht haben Sie recht, Roboy.« Mit einem entschiedenen Anflug von Selbstbestrafung zurrt er den Gürtel fest. »Trotzdem könnte ich wetten, dass Landsman niemandem etwas erzählt hat. Nicht mal seinem fetten Indianerkollegen. Landsman ist in einer gefährdeten Position, und das weiß er. Er hat keine Unterstützung. Keinen Zuständigkeitsbereich, keinen Einfluss, nicht mal einen Ausweis. Er würde keinem sagen, dass er ins Indianerland geht, weil er Angst hätte, dass man es ihm ausreden würde. Oder noch schlimmer, es ihm verbieten. Man würde ihm sagen, dass sein Urteilsvermögen durch den Wunsch beeinträchtigt ist, den Tod seiner Schwester zu rächen.«

Roboy verschränkt die Augenbrauen über der Nase wie zwei nervöse Hände.

»Seine Schwester?«, sagt er. »Wer ist seine Schwester?«

»Habe ich recht, Landsman?«

»Ich würde Ihnen gerne recht geben, Baronshteyn. Aber ich habe eine ausführliche Darstellung aller Dinge, die ich über Sie und dieses Unternehmen weiß, schriftlich niedergelegt.«

»Stimmt das?«

»Über diese falsche Pflegeeinrichtung für Jugendliche.«

»Aha«, sagt Baronshteyn mit aufgesetztem Ernst. »Eine falsche Pflegeeinrichtung für Jugendliche. Ganz schön schockierend.«

»Eine Fassade für Ihre Machenschaften mit Roboy und Fligler und deren mächtigen Freunden.« Landsmans Herz zittert vom wilden Herumraten. Fragt sich, wozu ein Jude so eine große Einrichtung hier draußen brauchen oder wollen kann und wie man die Indianer überreden konnte, sie bauen zu dürfen. Kann es sein, dass die Juden ein Stück Indianerland gekauft haben, um ein neues McSchtetl zu errichten? Oder soll das hier der Umschlagplatz für ein menschenschmuggelndes Unternehmen werden, eine Art Luftbrücke, um die Verbover ohne Visa oder Reisepässe aus Alaska zu schaffen? »Über die Tatsache, dass Sie Mendel Shpilman und meine Schwester umgebracht haben, damit sie nicht erzählen können, was Sie hier im Schilde führen. Dann haben Sie über Roboy und Fligler Ihre Beziehungen zu Regierungskreisen genutzt, um den Absturz zu vertuschen.«

»Das haben Sie alles aufgeschrieben, ja?«

»Ja, und es meinem Anwalt geschickt, damit es geöffnet wird, falls ich beispielsweise plötzlich von der Bildfläche verschwinden sollte.«

»Ihrem Anwalt.«

»Genau.«

»Und wer soll das sein?«

»Sender Slonim.«

»Sender Slonim, aha«, sagt Baronshteyn und nickt, als sei er vollständig überzeugt von Landsmans Behauptung. »Ein guter Jude, aber ein schlechter Anwalt.« Er rutscht von seinem Hocker, das Aufschlagen seiner Stiefelsohlen setzt einen Punkt hinter die Befragung seines Gefangenen. »Ich bin zufrieden. Freund Fligler.«

Man hört ein Sniky Sohlen quietschen über Linoleum, und als Nächstes sieht Landsman einen drohenden Schatten über seinem rechten Auge. Der Raum zwischen Stahlspitze und Landsmans Hornhaut lässt sich im Klimpern einer Augenwimper messen. Landsman reißt den Kopf zur Seite, doch Fligler am anderen Ende des Messers packt sich Landsmans Ohr und zieht daran. Landsman krümmt sich zu einer Kugel zusammen und versucht, von der Theke zu rollen. Mit dem Knauf seines Stocks schlägt Fligler auf Landsmans verbundene Wunde, und ein zackiger Stern explodiert hinter Landsmans Augen. Er kann nur noch wie eine Glocke der Schmerzen klingeln. Fligler dreht ihn auf den Bauch, klettert auf ihn, reißt seinen Kopf nach hinten und setzt ihm das Messer an die Kehle.

»Ich habe vielleicht keinen Ausweis«, bringt Landsman mühsam hervor. Er wendet sich an Dr. Roboy, der seinem Gefühl nach der am wenigsten entschlossene Jid im Raum ist. »Aber ich bin immer noch ein Nos. Wenn ihr mich umbringt, gibt es eine Menge Ärger für das, was ihr hier laufen habt.«

»Wahrscheinlich nicht«, sagt Fligler.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht«, stimmt Baronshteyn zu. »Keiner von euch Jids wird in zwei Monaten überhaupt noch Polizist sein.«

Die dünne Kette von Kohlenstoff- und Eisenatomen, die die Form einer Messerschneide angenommen haben, brennt noch heißer an Landsmans Luftröhre.

»Fligler …«, sagt Roboy und wischt sich mit seiner riesigen Hand über den Mund.

»Bitte, Fligler«, sagt Landsman. »Schneiden Sie mir die Kehle durch. Ich wäre Ihnen dankbar. Na los, Sie Memme.«

Auf der anderen Seite der Küchentür brausen erregte Männerstimmen auf. Zwei Füße scharren über den Flur, zögern, wollen klopfen. Nichts geschieht.

»Was ist?«, fragt Roboy bitter.

»Auf ein Wort, Herr Doktor«, sagt eine Stimme, jung, amerikanisch, auf Englisch.

»Tun Sie nichts«, sagt Roboy. »Warten Sie.«

Kurz bevor die Tür hinter Roboy ins Schloss fällt, hört Landsman eine Stimme, die zu sprechen beginnt, ein Sturm eckiger Silben, die sein Kopf als kehlige Laute registriert.

Fligler drückt sein Gewicht noch schwerer in Landsmans Kreuz. Es folgt die gewisse Befangenheit von Fremden in einem Fahrstuhl. Baronshteyn sieht auf seine feine Schweizer Uhr.

»Wie viel davon war richtig?«, sagt Landsman. »Nur damit ich Bescheid weiß.«

»Ha«, sagt Fligler. »Dass ich nicht lache.«

»Roboy ist ein ausgebildeter Rehabilitationstherapeut«, sagt Baronshteyn mit demonstrativ geduldiger Toleranz. Er klingt erstaunlich wie Bina, wenn sie mit einem der fünf Milliarden Menschen spricht, die ihrer Meinung nach letztendlich Idioten sind, inklusive Landsman. »Man hat hier wirklich versucht, dem Sohn des Rebbe zu helfen. Mendels Aufenthalt war absolut freiwillig. Als er sich entschied zu gehen, hatte man keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.«

»Das hat Ihnen bestimmt das Herz gebrochen«, sagt Landsman.

»Was meinen Sie damit?«

»Ich nehme an, ein geheilter Mendel Shpilman bedeutete keine Gefahr für Sie? Für Ihren Status als gesetzlicher Erbe?«

»Oj«, sagt Baronshteyn. »Was wissen Sie schon.«

Die Tür geht auf, und Roboy schlüpft wieder herein, die Augenbrauen erhoben. Kurz bevor die Küchentür zufällt, erhascht Landsman einen Blick auf zwei bärtige junge Männer in schlecht sitzenden schwarzen Anzügen. Große Jungs, einer mit der schwarzen Schnecke eines Kopfhörers in der Ohrmuschel. Außen an der Tür steht auf einem kleinen Schild KÜCHENAUSSTATTUNG GESTIFTET VON MR. UND MRS. LANCE PEARLSTEIN, PIKESVILLE, MD.

»In acht Minuten«, sagt Roboy. »Maximal zehn.«

»Kommt jemand?«, fragt Landsman. »Wer? Heskel Shpilman? Oder weiß er sogar, dass Sie hier sind, Baronshteyn? Sind Sie hier, um mit diesen Leuten ins Geschäft zu kommen? Will man hier in Verbover Geschäfte einsteigen? Was hatten die mit Mendel vor? Wollten Sie ihn benutzen, um den Rebbe zum Handeln zu zwingen?«

»Mir scheint, Sie müssten Ihren Brief nochmal durchlesen«, bemerkt Baronshteyn. »Oder sich von Sender Slonim erzählen lassen, was drinsteht.«

Auf der anderen Seite der Tür hört Landsman Leute herumlaufen. Stuhlbeine kreischen über den Holzboden. In der Ferne das Surren und Klicken eines elektrischen Motors, ein davonsirrender Golfcaddy.

»Wir können das jetzt nicht machen«, sagt Roboy und stellt sich neben Landsman, ragt drohend über ihm auf. Sein dichter Bart beflockt sein gesamtes Gesicht von den Wangenknochen abwärts, floriert in seinen Nasenlöchern, windet sich in feinen Ranken von seinen Ohrläppchen hinab. »Das Letzte, was er will, ist irgendeine Schweinerei. Gut, Detective.« Seine langsame Stimme wird sirupartig und sofort wärmer. Eine oberflächliche Zuneigung durchzieht sie, und Landsman wird starr, wartet auf das Schlimme, das nun sicherlich folgen wird. Es stellt sich als ein Stich in den Arm heraus, schnell und gekonnt.

In den verträumten Sekunden, die dem Verlust seines Bewusstseins vorangehen, läuft die gutturale Sprache, die Landsman Roboy sprechen hörte, wie eine Aufnahme in seinem Ohr ab, und Landsman vollführt einen verblüffenden Sprung in eine unmögliche Erkenntnis. Er gleicht dem plötzlichen Gewahrwerden in einem Traum, dass man eine großartige Theorie erfunden oder ein schönes Gedicht geschrieben hat, was sich am nächsten Morgen als Geschwurbel herausstellt. Diese Juden auf der anderen Seite der Tür, sie reden über Rosen und Weihrauch. Sie stehen im Wüstenwind, unter Dattelpalmen, und Landsman ist bei ihnen, in fließenden Gewändern, die ihn vor der biblischen Sonne schützen, sie sprechen Hebräisch, und alle sind sie Freunde und Brüder, und die Berge springen wie Widder und die Hügel wie kleine Lämmer.

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