15



Das unangenehme Gefühl, das der Termin mit Mr Desombre bei Katya hinterlassen hatte, hatte sie mitsamt ihrem Kleid abgestreift. In Rock und Bluse, ein Schultertuch umgeworfen und einen Korb über dem Arm, schritt sie leichtfüßig über die Brücken zur Neustadt hinüber.

Sie fühlte sich so frei wie früher als Kind in Russland, wenn das Brot gebacken und das Federvieh versorgt war, die Gurken eingesalzen, und sie zu den Feldern hinausgelaufen war, um bei Grischa zu sein. Oder wie damals in Norwegen, sobald sie das letzte Fenster im Gästehaus von Silja Guðmundsdóttir geputzt hatte und zum Hafen rannte, damit sie nur ja keine Gelegenheit verpasste, die Seeleute, die aus dem Nordmeer zurückkehrten, nach Eis und Schnee auszufragen.

Betje richtete sich über dem kleinen Karren auf, ein leichtes und wendiges Gefährt, das sie auch vollbeladen und mit nur einer Hand gut hinter sich herziehen und durch enge Kurven herumsteuern konnte. Im Halbdunkel der Gasse leuchtet nicht nur ihr Zopf, auch auf ihrem Gesicht breitete sich ein Strahlen aus.

»Moin, Frau Petersen! Heute war ein guter Tag.«

Sichtlich stolz zählte sie Katya deren Anteil in die Hand, fast achtzig Pfennig, bevor sie skeptisch in den Wagen blickte.

»Nur Rüben gehen einfach nicht so gut wie Kartoffeln.«

»Nimm den Rest mit nach Hause. Ich lasse dir dann künftig weniger davon bringen und dafür mehr Kartoffeln.«

Katya schlug das Tuch zur Seite, das den Inhalt des Korbs bedeckte.

»Ich habe uns etwas mitgebracht. Pierogi, wie ich sie zu Hause in Russland immer gemacht habe.«

Hungrig biss Betje in eine der knusprigen Teigtaschen, die mit Fleisch und Speck und Gemüse gefüllt waren, würzig und ein bisschen scharf, und erzählte von ihrem Tag. Wie sie es manchmal tat, wenn Katya ihren Anteil selbst abholte.

»Ich weiß nie genau, wie viel Geld ich verlangen kann«, gestand sie grüblerisch. »Verkaufe ich zu billig, bleibt zu wenig für mich übrig. Will ich zu viel, winken die Leute ab oder lachen mich aus und werfen mir an den Kopf, dass sie lieber woanders ihr Gemüse holen.«

»Das ist das große Rätsel bei jedem Geschäft«, erwiderte Katya. »Aber mittlerweile hast du den Bogen raus, wie es aussieht.«

»Das glaube ich auch.« Ein glückliches kleines Lachen rutschte Betje heraus.

Sie leckte sich das Fett von den Fingern und schielte verstohlen zu Katya Petersen, die neben ihr auf dem Rand des Karrens saß und herzhaft in die nächste Teigtasche biss. Ihr Widerstand gegen die Geschäftsfrau war in den letzten Wochen geschmolzen. Vielleicht lag es daran, dass sie jetzt ein bisschen etwas über Katya Petersen wusste, über ihre Kindheit in Russland und die Firma, die sie mit ihrem Bruder gegründet hatte, mit ihrem Schwager und ihrem Mann, der Thilo hieß.

Wie anfangs mit Hanno fühlte es sich mit ihr an, und trotzdem anders. Viel zu fein und zart kam dieses Gefühl Betje vor, sie wollte sich Mühe geben, es nicht zu zertrampeln, und doch hörte etwas nicht auf, an ihr zu nagen.

»Warum machen Sie das?«, fragte Betje leise, als fürchtete sie die Antwort. »Dieses Geschäft mit mir. Und jetzt das Gebäck.«

Verwunderung zeichnete sich auf Katya Petersens Gesicht ab, dann lächelte sie nachdenklich.

»Ich habe nicht vergessen, wie es ist, arm zu sein. Wie froh ich war, wenn mir jemand etwas Gutes tat. Ich weiß genau, ich hätte es nie so weit gebracht, wenn ich nicht jede Chance genutzt hätte, die ich bekommen habe. Siehst du, man kann noch so hart schuften … Wenn man nicht auch die Möglichkeit bekommt, mehr daraus zu machen, nützt einem das nichts.«

»Nicht jeder kann mit beiden Händen anpacken«, gab Betje patzig zurück.

»Ein kluger Kopf genügt auch.«

Betje stieg das Blut ins Gesicht, halb verärgert, halb in einer merkwürdig wohligen Verlegenheit. Umso mehr, als Katya Petersens Blick auf ihr verharrte.

»Erzähl mir mehr von dir, Betje. Wo kommst du her? Wie lebst du?«

Betjes Brauen zogen sich zusammen. »Warum wollen Sie das wissen?«

»Ich bin neugierig auf meine beste Gemüsehändlerin.«

»Wie viele haben Sie denn noch?«

»Bislang bist du die Einzige.«

Der hässliche Geschmack von Neid zerplatzte so schnell auf Betjes Zunge, wie er gekommen war. Ein kleines Glucksen entfuhr ihr und mischte sich mit Katya Petersens Lachen.

»Es ist nichts Besonderes.«

Betjes Wangen glühten, als sie den Korb auf den Tisch stellte und die übrig gebliebenen Teigtaschen für Hanno auf die Seite packte. Sie wünschte sich so sehr, auf Katya Petersen einen guten Eindruck zu machen, dass ihr regelrecht übel war. Wie damals, in ihrer ersten Nacht in Hamburg, als sich ihre Hand in die Hannos gestohlen hatte. Genau so fühlte es sich an, auf beschämende Weise bedürftig, sehnsuchtsvoll und beängstigend zugleich.

Auf Katya Petersens Gesicht konnte sie jedoch kein Zeichen von Abneigung entdecken, während diese sich im Holzverschlag umsah, ohne sich einem bestimmten Winkel allzu lange zu widmen. Nur die Feuerstelle nahm sie näher in Augenschein.

»Habt ihr es im Winter warm genug?«

Betje nickte eifrig, obwohl sie während der langen grauen Monate viel gehustet hatte, erst mit dem Frühling war der Husten wieder weggegangen.

Katyas Antwort war ebenfalls ein Nicken. Sie spürte die Feuchtigkeit, die das Holz aufquellen ließ wie einen Schwamm. Wie früher die Balken und Dielen des Hauses am Kehrwieder, ehe sie es aufwendig saniert hatten. Spätestens in ein paar Jahrzehnten würde die Nässe wieder hineinkriechen, das wussten sie. Das Wasser war Hamburgs Wohl und Wehe, immer schon gewesen.

Während sie zusammen den Karren durch die Gassen der Neustadt gezogen hatten, hatte Betje vor Aufregung in einem fort geredet, über Hanno und Pies und Pawel und die anderen Leute der Nachbarschaft. Jetzt fiel ihr nichts mehr ein, was sie noch hätte sagen können.

Stattdessen sprachen die Blicke der beiden. Das Lächeln zwischen ihnen, das in Wellen kam und ging und die Befangenheit nach und nach wegwusch.

Draußen bellte ein Hund.

»Das ist Pies«, rief Betje aus. »Kommen Sie, Sie müssen Hanno kennenlernen!«

Sie war schon zur Lattentür hinaus, als sie bemerkte, dass sie Frau Petersen einfach bei der Hand genommen hatte.

Katya mochte Hanno auf Anhieb. Er war gerade dabei, allerlei Gegenstände von einem vollgepackten Handkarren abzuladen. Bei ihrem Anblick nahm er die Kappe vom Kopf und schüttelte ihr nach einer angedeuteten Verbeugung die Hand. Fünfzehn Jahre alt war er, hatte Betje erzählt. Einer jener Burschen, die genauso dadurch zu gedeihen schienen, dass sie tüchtig mit anpackten, wie durch die Mahlzeiten, die sie danach in sich hineinschlangen. Der Blick wach und ein Lachen auf dem verschmitzten Gesicht, begegnete er ihr achtungsvoll und doch auf eine unverstellte Weise, die ihr das Gefühl gab, sie wären bereits alte Bekannte.

So empfand es offenbar auch der große Hund mit dem dunklen Zottelfell. Sobald er Betje freudig begrüßt hatte, widmete er sich schwanzwedelnd und neugierig schnuppernd Katya. Um ihn ausgiebig zu kraulen, ging sie in die Hocke, und Pies bedankte sich mit Schlabberküssen, die auf ihrer Haut kitzelten. Lachend hob sie den Kopf.

»Und Sie müssen Pawel sein.«

Pawel konnte nur starren.

Betjes Wohltäterin , spie er in Gedanken aus.

Er hatte sie sich anders vorgestellt, nicht so jung, so strahlend. Viel zu schön war sie, eine Sommerblume, die sich in die Ritze einer verwitterten Steinmauer verirrt hatte. Vor allem hätte er nicht damit gerechnet, dass sie aus seiner Ecke der Welt stammte, ihr russischer Akzent mal wie ein Seidenhauch, mal wie eine Marmorkante.

Gänzlich uneitel wirkte sie, das Haar nur zu einem Knoten geschlungen und ohne Hut oder sonstigen Schmuck, doch so leicht ließ Pawel sich nicht täuschen. Die schlichte Bluse, der simple Rock waren aus teuren Stoffen, und von dem, was ihre Schnürstiefeletten aus handschuhweichem Leder gekostet haben mochten, hätten einige Familien hier mehrere Monate gut leben können. Es schien sie nicht zu kümmern, dass Pies Haare auf ihrer Kleidung hinterließ, Pfotenabdrücke darauf stempelte, als sie aufstand und er an ihr hochsprang, in aller stürmischen Verliebtheit seiner Hundeseele. Es kam Pawel nicht einmal in den Sinn, Pies zur Ordnung zu rufen, er starrte einfach nur.

Mit ausgestreckter Hand trat sie einen Schritt auf Pawel zu. »Katya Petersen.«

Endlich riss er den Blick von ihr los, seine Antwort ein unbestimmter Laut, und griff sich zwei der Stühle aus dem Karren, um sie in die Werkstatt zu tragen.

»Wollt ihr einmal zum Essen zu uns kommen?«, hörte Pawel sie fragen, als er wieder herauskam.

»Den Teufel werden die beiden tun«, antwortete Pawel brüsk und machte sich wieder an seinem Karren zu schaffen.

Er spürte Katyas Augen auf sich, verwundert und fragend, noch bevor sie sich neben ihn stellte, Pies wie ein verschmuster Welpe an ihrem Rockzipfel.

»Darf ich fragen, was Sie dagegen haben?« Ihre Stimme war leise, aber alles andere als sanft. »Oder vielmehr, was Sie das angeht?«

Sie roch sogar wie eine Sommerwiese, viel zu nahe war sie ihm. Ihre Augen wechselten beständig die Farbe, von durchdringendem Blau zu Grün und wieder zurück. Er hatte noch nie solche Augen gesehen, fließend wie die Himmelslichter oben im Norden. Hexenaugen. Beunruhigend und doch fast unmöglich, sich davon zu lösen.

»Sind Sie so dumm oder einfach nur kurzsichtig?« Auch er sprach gedämpft, mit drohend grollendem Unterton. »Sie holen die zwei in Ihr großes Haus voll schöner Sachen, mästen sie mit gutem Essen und schicken sie danach wieder hierher. Was glauben Sie, wie das für die beiden sein muss? Grausam, das ist es.«

Der harte Akzent ließ seine Worte doppelt so grob klingen. Ein verbitterter Griesgram stand da vor ihr, obwohl nur wenige Jahre älter als Katya, sein kräftiges Gesicht ein Schutzwall. Der Stoppelbart erinnerte an ein abgeerntetes Kornfeld unter der Spätsommersonne, umso kälter wirkten seine frostklaren Augen.

Augen wie die der Hunde im Eidfjord, die sich ihre Wolfsnatur bewahrt hatten. Ein paar Wimpernschläge lang glaubte Katya, ihr halb freudiges, halb sehnsüchtiges Jaulen bei Tagesanbruch zu hören. Ein Gefühl wie das sachte Knistern wachsender Eisblumen kroch ihr unter die Haut. Pulverschnee schien unter ihren Füßen davonzurieseln, während sie Pawels Geruch einatmete, nach Leder und Pelz und rauchig wie ein Laubfeuer im Herbst.

Das Blut stieg ihr ins Gesicht. »Sie haben recht. Entschuldigen Sie.«

Pawel sah ihr nach, ihre Schritte staksig, ihre Haltung jedoch wie eine Rüstung, mit der sie ihm zu verstehen gab, dass er diesen billigen kleinen Triumph gern haben konnte, sie aber dennoch den Sieg davontragen würde.

Wütend zerrte er an der Schnur, die einige der Gegenstände im Karren zusammenhielt. Als der Knoten sich widerwillig löste, schnappte er sich zwei verbogene Schirme und eine Lampe mit zerbrochenem Glas, rief Pies zu sich und verschwand in der Sicherheit seiner dämmrigen Höhle.

Wie ein kleines Abenteuer fühlte es sich für Hanno und Betje an, die vertrauten Gassen und Straßen hinter sich zu lassen und ein Fleet nach dem anderen zu überqueren. Dorthin, wo es schien, als wäre die Stadt zu Ende, und doch ging es dahinter immer noch weiter.

»Jetzt sind wir schon so lange in Hamburg«, sagte Betje. »So viel näher am Meer als früher in Ostfriesland, und trotzdem haben wir es noch nie gesehen.«

»Das kommt schon noch«, erwiderte Hanno heiter.

Über den Kähnen und Booten im Binnenhafen lag eine müßige und fast feierliche Stille. Die Möwen wirkten in ihren Sturzflügen eher ausgelassen als streitlustig, sofern sie sich nicht einfach aufgereiht irgendwo niederließen, um sich halbherzig zu putzen und untätig den Blick umherschweifen zu lassen. Es war Sonntag, sogar die Wolken am Himmel sahen wie frisch aufgeschüttelt aus.

Verlegen kratzte Hanno sich an der Hemdbrust unter seiner Joppe. Erleichtert, dass Betje einige Zeit nicht mehr von Amerika gesprochen hatte, wollte er eigentlich keine schlafenden Hunde wecken, aber noch mehr wollte er ein guter Freund sein. Deshalb sprach er jetzt das aus, was ihm schon den ganzen Morgen im Kopf herumging.

»Vielleicht kannst du ja von den Petersens das Geld für Amerika bekommen.«

Betje blinzelte. 46 Mark und 89 Pfennig lagen seit gestern unter ihrem Strohsack. Viel Geld für ein dreizehnjähriges Mädchen, noch dazu in der Hamburger Neustadt. Ihr ganzer Stolz und eine tiefe Beruhigung zugleich.

An Amerika dachte sie dabei gar nicht mehr so oft. Eigentlich nur noch, wenn sie mit Zacharias in der Gasse saß oder sie über einem Fleet die Beine baumeln ließen. In Gedanken und Worten schufen sie dann ihr eigenes Amerika. Ein Gewebe, schöner und bunter als alles, was die Tuchmacher in den Hinterhöfen an ihren Webstühlen zustande brachten. Ein Traumgespinst, so fein und weich, dass Betje nichts lieber tat, als sich zum Einschlafen darin einzuhüllen, Zacharias’ Stimme und sein Lachen noch in ihrem Ohr.

»Das könnte ich wohl«, stimmte sie zu, ein merkwürdiges Ziehen in der Brust, beinahe schuldbewusst.

Gemütlich bummelten sie den Kehrwieder entlang und besahen sich die Schaufenster des Kolonialwarenhändlers und der Bäckerei. Zeit hatten sie genug, die Vorfreude auf diesen Tag bei Katya und Thilo Petersen hatte sie viel zu früh aus der Neustadt gelockt.

Natürlich gehen wir da hin , hatte Hanno nach längerem Nachdenken befunden. Wäre doch unhöflich, die Einladung nicht anzunehmen. Und schließlich ist es allein unsere Sache, was wir sonntags machen .

»Hier muss es sein«, sagte Hanno und drückte sich gleich darauf die Nase am Schaufenster des Gemischtwarenladens platt.

Sein Gesichtsfeld hatte er mit beiden Händen abgeschirmt, damit ihm trotz der Spiegelung nicht die kleinste Kleinigkeit zwischen Toonbank und den gefüllten Regalen entging.

»Stell dir das nur mal vor«, murmelte er. »Den ganzen Tag zwischen diesen Herrlichkeiten zu verbringen.«

Entzückt atmete er ein, als könnte er durch das Glas hindurch den Käse und den Speck riechen.

»Vorher musst du aber alles erst selber einkaufen«, erklärte Betje altklug, sie war ja jetzt Geschäftsfrau.

»Weiß ich.« Hanno grinste. »Aber trotzdem.«

Nur die Aussicht auf ein üppiges Mittagessen konnte ihn dazu bewegen, sich von der Scheibe zu lösen, um mit Betje den Hauseingang zu suchen und die Treppen nach ganz oben hinaufzusteigen.

Katya Petersens Zuhause hatte Betje sich anders vorgestellt, Ehrfurcht gebietend und einschüchternd irgendwie. Sogar blühende Pflanzen gab es in dieser Wohnung. Aber vielleicht war es das, was wirklich reiche Leute ausmachte. Dass sie sich Sachen kaufen konnten, die Licht und Luft einfingen. Die auf unaufdringliche Weise den Augen wohltaten und schmeichlerisch unter den Fingerspitzen waren, in einer Umgebung, die befreit durchatmen ließ. Wo unsicher verkrampfte Muskeln sich von selbst lockerten und man allzu schnell vergaß, dass man hier eigentlich nicht hingehörte.

Thilo Petersen war genau so. Betje konnte sich nicht erinnern, dass der Onkel je der Tante so behutsam die Hand auf die Schulter gelegt hätte, die beiden solch innige Blicke, ein solch liebevolles Lächeln gewechselt hätten wie Katya und Thilo Petersen. Geschweige denn, dass der Onkel in der Nähe des Herds einen Finger krumm gemacht hätte.

Betje mochte es, wie die beiden von sich erzählten, dazwischen ganz beiläufig nach Hanno und Betje fragten und ihnen aufmerksam zuhörten, während sie sie baten, hier zu rühren, dort etwas klein zu schneiden oder zwischendurch mit einem Löffel zu kosten, ob ihrer Meinung nach noch etwas fehlte. Als wäre es gar nicht wichtig, wann das Essen denn endlich auf den Tisch kam.

Dabei war es so gutes Essen, anders, als Betje es aus Ostfriesland oder von Pawel gewohnt war. Bunt schmeckte es, ein anderes Wort dafür fiel ihr nicht ein. Irgendwann zwischen der scharfen Kürbissuppe, dem würzigen Schmorhuhn und dem sahnigen Nachtisch wurde Betjes Kehle plötzlich eng, ihre Augen feucht. Gänsehaut kribbelte überall, und in ihrem vollen Bauch wirbelte es seltsam.

Es musste diese freundliche Wohnung hoch oben über dem Wasser sein, die herrlichen Geschmäcker auf ihrer Zunge und mit diesen Menschen an einem Tisch zu sitzen. Hanno, wie er von der alten Dame erzählte, die Pawel und ihn mit Kaffee, echtem Bohnenkaffee, und Kuchen bewirtet und jedem dann noch zehn Mark geschenkt hatte, weil sie zwischen dem Gerümpel ein Medaillon gefunden hatten, das verloren geglaubt war, seit Jahren schon. Und wie Pawel einmal eine aufgeschreckte Fledermaus eingefangen und ins Freie getragen hatte, damit sie sich ein neues Zuhause suchen konnte. Thilo Petersen, von dem eine so sichere Ruhe ausging, als ob nichts Schlimmes geschehen könnte, solange er in der Nähe war. Und Katya Petersen, die immer wieder ihren Blick auf Betje ruhen ließ. Mit jenem rätselhaften Lächeln, das Betje nicht einordnen konnte und in dem sie sich doch aalen wollte wie eine Streunerkatze in der Sonne.

Glücklich, Betje war glücklich, durch und durch, mit jedem Löffelvoll, jedem Gabelbissen ein wenig mehr. Mit jedem Lachen, das um den Tisch herum aufsprudelte und den Tag noch ein wenig schöner und lebendiger machte. Und nichts wünschte sie sich mehr, als dass es so bleiben möge, dieses Jetzt, für immer und ewig.

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