27



Brüllendes Gelächter schlug unter den verräucherten Deckenbalken der Hafenschenke zusammen. Bierkrüge stießen klirrend aneinander und gerade geleerte Schnapsgläser wurden unter halb schaudernden, halb genüsslichen Lauten auf den Tisch geknallt. Dröhnende Männerstimmen debattierten über gestiegene Preise und mickrige Heuer und die nächsten Fahrtrouten. Dazwischen spannen sie ihr Seemannsgarn, gepfeffert mit den unvermeidlichen Zoten, an die leichten Mädchen gerichtet, die mit tiefem Ausschnitt und geschürzten Röcken umherstrichen wie Katzen um einen Pott Sahne.

Noch immer besuchte Grischa regelmäßig in einem guten Anzug das Kaffeehaus, um am Puls des Geschäftslebens zu bleiben. Aber mindestens genauso oft saß er leger gekleidet in einer Spelunke wie dieser und schaute den Seeleuten und Arbeitern aufs Maul.

»Was ist das mit dir, Grischa Voronin?«

Grischa stellte den Bierkrug ab und wischte sich den Schaum vom Mund.

»Was meinst du?«

Albrecht setzte sich bequemer zurecht und begann seine Pfeife zu stopfen. Im Lampenschein glänzte sein widerspenstiges Haar tiefgolden, während es in seinem Bart rostrot aufglomm. Ein Farbenspiel, das sich in seinem Brustpelz wiederholte, wie Grischa nur zu gut wusste.

»Wenn man den Gerüchten glauben darf, treibst du es ziemlich doll«, sagte Albrecht in der weichen und singenden Mundart seiner Heimat Brandenburg. »Von deinen zwei Kindern und ihren Müttern hast du mir selbst erzählt, und auch, dass ich nicht dein erster Mann bin. Gehörst du zu denen, die unersättlich sind, weil sie alles und jeden haben können, oder ist dir einfach niemand gut genug?«

Grischa lachte. »Weder noch. Ich verliebe mich einfach nur schnell und gern.«

Viel zu lange war es her gewesen. Seit Elli, um genau zu sein, und er hatte nichts vermisst. Erst nachdem er aus Norwegen zurückgekehrt war, war die alte Unruhe in seinen Adern aufgesprudelt und hatte nach mehr verlangt als heißen Blicken, einem verführerischen Lächeln, dem prickelnden Flirt.

Bei Albrecht hatte er es gefunden.

Ohne den Blick von seiner Pfeife zu heben, schmunzelte Albrecht.

»War das jetzt eine Liebeserklärung an mich?«

»Such’s dir aus.«

Albrechts Schmunzeln vertiefte sich, während er sich die Pfeife anzündete und daran sog. Eine merkwürdig altväterliche Gewohnheit für einen Vierundzwanzigjährigen, der dazu noch so jungenhaft aussah. Eigentlich von nichtssagendem Äußeren, doch sobald Albrecht lächelte oder zu sprechen begann, sprang eine verschmitzte Lebendigkeit auf seinem Gesicht auf. Überall elastische Biegungen und Wölbungen und niedliche Grübchen, die Grischas Blick an jenem Tag auf der Werft eingefangen hatten, wo Albrecht als Zimmermann in Lohn und Brot stand. Ein verspieltes Gesicht, das dazu einlud, zärtlich in diese herrlichen Wangen zu kneifen und dieses Gesicht zu küssen.

Was Grischa getan hatte, vor etwas über zwei Wochen, nach ein paar Bier hier in der Schenke. Draußen auf der dunklen Gasse, bevor Albrecht ihn dann mit in seine Dachkammer genommen hatte.

»Na, ihr zwei Süßen?«

Eine dralle Person schlenderte mit wiegenden Hüften an ihren Tisch und beugte sich vor, sodass ihre Brüste aus dem Korsett quollen wie Mehlbüddel, ein paar Leberflecke wie Rosinen darauf verteilt. Albrecht hob nur die Brauen, und kopfschüttelnd zog sie weiter, mit einem Murmeln, das ebenso gut eine Entschuldigung für ihren Irrtum hätte sein können wie eine Verwünschung wegen des entgangenen Verdienstes.

Die beiden Männer tauschten ein kleines Lächeln. Hinter dem Pfeifenrauch wechselten Albrechts Augen die Farbe, von Grau zu Blau.

»Meinst du nicht, du bereust das irgendwann?«, fragte er. »Dieses rastlose Umherschwärmen?«

Grischa dachte an Aurora, die gerade an seiner Hand mit zunehmend sicheren Schritten die Welt erkundete, in ihrem zuckersüßen Äußeren, ihrem Temperament durch und durch eine kleine Russin. Bei ihrem Halbbruder Tristan war es leicht zu vergessen, dass Grischa ihn nicht gezeugt hatte, wenn der kleine Kerl die Ärmchen um ihn schlang und nach einer Gutenachtgeschichte verlangte und dann nach noch einer.

Magnus hingegen war ganz ein Sohn des hohen Nordens, ein großer Junge schon mit elf Jahren. Von einer Unbefangenheit, die Grischas entsprach und die es ihnen von Anfang an leicht gemacht hatte, einander kennenzulernen. Segeln und fischen waren sie gewesen und hatten dabei Wale gesehen; über Seefahrt und Navigation hatten sie viel gesprochen und über die Meere und Küsten der Welt. Ein ebenso inniges wie keusches Wiedersehen mit Silja war es gewesen, in dem sie sich über Magnus’ Zukunft verständigten und um ein Sparguthaben für ihn rangelten, bis Silja, immer schon stolz, schließlich ihre Zustimmung gab.

»Ich wüsste nicht, weshalb ich Grund zur Reue hätte.«

Reich beschenkt fühlte Grischa sich, mit seinen Kindern, der Freundschaft zu ihren Müttern. Für all die Lieben, die er bisher in seinen dreißig Lebensjahren erleben durfte.

Betont scharf blies Albrecht den Rauch aus.

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass die Bienchen, die im Sommer von Blüte zu Blüte fliegen, im Winter den ganzen Honig für sich behalten dürfen? Auch du wirst schließlich nicht jünger.«

Grischa nahm einen Schluck aus seinem Glas und warf dabei seinem Gegenüber einen belustigten Blick zu. Mit dem Pfeifenstiel zeigte Albrecht in einen Winkel der Schenke.

»Siehst du den da drüben? Den jungen Schwarzhaarigen?«

Grischa brauchte nicht lange zu suchen. Von selbst zog dieser junge Mann den Blick auf sich, die schmalen Augen glänzende Kohlesplitter und Wangenknochen, an denen man sich den Finger ritzen konnte. Alles an ihm schien auf Verführung aus, bis hin zu den lasziven Grübchen an den Mundwinkeln, und was an Muskeln unter dem feinen Hemd zu erahnen war, während er mit einer lärmenden Horde Gleichaltriger bei einer Runde Bier das Leben feierte.

Unwillkürlich rutschte Grischa auf dem Stuhl hin und her, seine Hose spannte plötzlich.

»Gefällt er dir?«, stichelte Albrecht gutmütig.

»Was ist mit ihm?«

»Dieser Adonis da hat eine Menge Dreck am Stecken. Wickelt kleine Mädchen um den Finger, reitet sie sich zu und lässt sie dann anschaffen. Manchmal auch Jungs, wenn er sie nicht auf Beutezüge durch die Läden und die Westentaschen braver Bürger schickt. In letzter Zeit prahlt er damit, dass er einen alten Pfeffersack an der Leine hat, den er wie einen Walfisch ausnimmt.«

»Warum legt ihm niemand das Handwerk?«

Albrecht schnaubte hinter dem Pfeifenrauch.

»Wer denn, Grischa? Etwa die Ollen dieser Jungs und Mädchen? Warst du mal im Gängeviertel, dort, wo es am finstersten ist? Hast du die Habenichtse dort gesehen? Da zählt jeder Pfennig, egal, wo er herkommt. Für die kleinen Strolche ist Klauen ein einziges Abenteuer, und die Mädchen sind so verängstigt, dass sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen, sich zu wehren. Oder denkst du an unsere Handvoll Ordnungshüter mit den schönen Wappenknöpfen am Revers und den blank polierten Säbeln? Die patrouillieren doch nur von ihrem Quartier am Neuen Wall aus durch die Stadt, damit die braven Bürger ungestört ihren Geschäften und Sonntagsvergnügen nachgehen können. Ob eine Zwölfjährige sich von Männern besteigen lässt, um ihre Geschwister durchzubringen oder weil ihr Zuhälter sie dazu zwingt, das kümmert die Stadtväter nicht. Solange dadurch nicht der Frieden in unserer schönen und reichen Hansestadt gestört wird.«

Nachdenklich trank Grischa von seinem Bier.

Natürlich wusste er um die Schattenseiten der Stadt. Weit davon entfernt, gesetzlos zu sein, gab es dennoch in Hamburg kein höheres Gut als die Freiheit, die die Stadt in ihrem vollen Namen trug. Und Freiheit bedeutete in Hamburg, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied war. Oder eben seines Unglücks. Das hatte ihn von Anfang an für diese Stadt eingenommen, deshalb lebte er gern hier.

Das Fundament für Hamburgs Freiheit war der Handel. Solange der Handel reibungslos lief und die Kassen füllte, war die Welt in Ordnung. Hauptsache, in den Vierteln, in denen das Geld floss, ging alles seinen gewohnten ruhigen Gang, während man die Bewohner der Sickergruben sich selbst überließ. Arm und Reich waren eben wie Öl und Wasser, sie mischten sich nie.

Halbe Nächte hatte er darüber schon mit Albrecht debattiert, der kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es um Missstände und Ungerechtigkeiten ging, und von einer Revolution nach französischem Vorbild träumte. Einen Ausbeuter hatte er Grischa einmal genannt, einen Parasiten, der sich auf Kosten der Geknechteten ein schönes Leben machte. Grischa hatte damit gekontert, dass er als Leibeigener geboren worden war und sich alles hart erarbeitet hatte, auf anständige und gerechte Weise. Die Wagnisse hatte er Albrecht auseinandergesetzt, die er als Unternehmer einging, und die Verantwortung, die er trug. Doch erst, als er ihm vorrechnete, wie viel Petersen & Voronin für Löhne und Heuer und Sonderzahlungen ausgab, was an Geld sowohl aus der Firmenkasse als auch aus ihren Privatschatullen an Bedürftige ging, hatte Albrecht sich besänftigt gezeigt; womöglich hatte es auch an Grischas Küssen gelegen.

Grischas Blick wanderte wieder zu dem schönen jungen Mann, der gerade den Arm um einen seiner Kumpane legte, halb Schwitzkasten, halb freundschaftliche Geste, vielleicht mehr.

»Worauf willst du eigentlich hinaus?«

»Der da und du, ihr seid euch sehr ähnlich. Nicht nur äußerlich. Der Kerl da, dem fliegen die Herzen genauso zu wie dir, ob alt oder jung, Männlein oder Weiblein. Aber er benutzt sie nur. Weil er süchtig danach ist, seine Verführungskünste spielen zu lassen.«

Grischa lachte, keineswegs beleidigt über diesen Vergleich.

»Du redest wirres Zeug. Wird Zeit, dass das Essen kommt. Das Bier steigt dir schon zu Kopf.«

Albrecht stocherte in seiner glimmenden Pfeife und hob dann den Blick, mit diesem kecken Augenaufschlag, nach dem Grischa verrückt war.

»Alles rächt sich irgendwann, du hübscher Russe. Auch die schönsten Sünden. Nicht dass du eines fernen Tages aufwachst und feststellst, dass du grau und runzelig geworden bist und sterbenseinsam.«

»Du solltest dir ein nettes Mädchen suchen und heiraten.«

Mit einem Auflachen lehnte Albrecht sich zurück. Unter dem Tisch drückte sich seine Stiefelspitze in Grischas Schritt.

»Ja, sollte ich vielleicht. Aber ich mag nun mal lieber einen harten Schwanz.«

Grischa zahlte, noch bevor das Essen gebracht wurde.

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