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Zufrieden blinzelte Katya in die tief stehende Sonne über dem Sund, während sie mit Silja die Leintücher abhängte und zusammenfaltete; sie hatte das Herbstlicht in Tromsø immer besonders geliebt.
Nur ein paar Tage nach der Hochzeit von Betje und Hanno war sie gefahren. Sobald sie sicher sein konnte, dass das junge Paar sich in der großen und frisch renovierten Wohnung eingerichtet hatte, die Thilo und Katya ihnen überlassen hatten. Solange Katya fort war, kam Thilo übergangsweise bei seinem Vater unter; danach würden sie weitersehen.
»Die Zeit mit Betje kam mir viel zu kurz vor«, sagte Katya in den auffrischenden Wind hinein.
»Du bleibst dennoch ihre Mutter«, hielt Silja dagegen.
Katya nickte, ein leises Sehnen nach diesem wilden und so liebenswerten Mädchen in der Brust, das das Leben ihr geschenkt hatte, und schon wieder die ersten Tränen in den Augen.
Hier bei Silja hatte sie endlich weinen können. Um Pawel. Ihr unbeschwertes Glück mit Thilo. Für die Kinder, die sie wohl niemals bekommen würde. Kein Sturzbach aufgestauter Tränen war es, sondern ein stetiges Tröpfeln, ein langsames und leises Abschiednehmen.
»Aber erinnere mich bitte an meine eigenen Worte«, fügte Silja hinzu, »wenn Magnus mit der Schule fertig ist und zum ersten Mal auf einem Schiff anheuert.«
Lachend wischte Katya sich über die Augen.
Während sie das nächste Laken ausschüttelte, fiel ihr die indische Schale ein, die Pawel für sie gekittet hatte. Sie wusste nicht einmal, in welcher ihrer Kisten in Hamburg sie sie verstaut hatte, aber genauso wenig wusste sie im Augenblick, wo sie sie hätte hinstellen sollen.
»Jedes Mal habe ich geglaubt, es wäre Liebe«, murmelte sie vor sich hin. »Und nie war es von Dauer.«
Wie Eis war es ihr ein ums andere Mal in den Händen weggeschmolzen und durch die Finger geronnen, umso schneller, je mehr sie es festzuhalten suchte.
»Aber du hast geliebt.«
Katya senkte den Blick auf das Leintuch in ihren Händen, ein unruhiges Flattern in der Brust, das Trauer sein mochte oder Zorn, eine Erinnerung von Glück oder das Sehnen nach etwas Neuem.
»Da wird unser Abendessen gebracht«, sagte Silja.
Magnus stapfte vom Wasser her auf das Gästehaus zu, gebündelte Fische in beiden Händen. Vierzehn Jahre war er jetzt, groß für sein Alter und schon breit in den Schultern, bis auf seine blauen Fuchsaugen jeder Zoll seines Vaters Sohn. Als er sich der Aufmerksamkeit von Mutter und Tante bewusst wurde, stellte er sich breitbeinig hin und reckte mit einem Jubelruf, der tief aus seiner Brust kam, seinen Fang in die Höhe, bevor er in ihr Lachen einstimmte und ins Haus rannte.
»Ich könnte doch wieder für dich arbeiten«, schlug Katya vor, nur halb im Scherz.
»Könntest du«, stimmte Silja zu, schon fast eine Frage.
Sie beobachtete Katya, wie sie das oberste Leintuch im Korb glatt strich und dann das letzte von der Leine nahm.
Silja kannte diesen Punkt im Leben, wenn man noch jung war, aber schon alt genug, um die ersten Träume zu begraben.
»Schau nicht zurück«, sagte sie. »Von dort kommt nichts mehr.«
Sie legte den Arm um Katya und küsste sie auf die Wange.
»Schau nach vorn.«
Siljas Schritte entfernten sich, ungleichmäßig im Gras durch den schweren Korb auf ihrer Hüfte, und Katya sah über den Sund zu den Berghängen hinüber. Jeden Tag konnte dort der erste Schnee fallen. Wie eine fein gestimmte Kompassnadel wanderten ihre Augen weiter. Nach Norden.
Nichts als Eis und Schnee, wohin Katya auch den Blick wandte. So leer, dass es in den Augen schmerzte, aber der Seele Frieden gab. Nur der Wind war zu hören, das Hecheln der Hunde und die Schlittenkufen, die knirschend durch den Schnee glitten.
Sie sei zu jung, um vor dem Leben davonzulaufen, hatte Johann Silberberg einmal gesagt; jetzt fühlte sie sich alt genug. Weise genug, um zu wissen, was sie am meisten brauchte.
Auf einem der letzten Schiffe, die vor dem Herbst noch Grönland anliefen, hatte sie übergesetzt und nach einigem Durchfragen die Inuit ausfindig gemacht, die den deutschen Forscher zu seinem Ziel gebracht hatten und ihn über den Winter mit allem Nötigen versorgen würden.
Ein kleines Holzhaus kam in Sicht, einsam und verloren in dieser Leere, und gerade dadurch seltsam frei. Das Geräusch des Schlittens kündigte sie lange im Voraus an, schon von Weitem konnte Katya Johanns kompakte Silhouette ausmachen.
Sobald sie aus dem Schlitten kletterte und ihren Seesack schulterte, breitete er einladend die Arme aus.
»Ich konnte dich doch in deinem letzten Winter hier nicht allein lassen«, rief sie ihm entgegen.
Ein kleiner und allzu flüchtiger Anflug von Übermut, bevor sie sich Halt suchend an ihn klammerte. Johann war es, den sie am meisten brauchte. Ihr Freund im Eis. Der ihr an Lebenserfahrung so viele Jahre voraus hatte und selbst unveränderlich und solide war wie ein Eisberg.
Er hielt sie ein Stück von sich weg, um sie prüfend zu mustern.
»Wie schlimm ist es?«, wollte er wissen.
Katya versuchte sich an einem Lächeln, das ihr nicht gelang. »Sehr schlimm, Johann.«
Tröstend strich er ihr über die Wange.
»Das wird nicht so bleiben, Katya. Am Ende ist vielleicht nicht einmal das ewige Eis wirklich ewig.«