39

Fröhliches Kreischen erfüllte das schläfrige Tal. Rhapsody lächelte, als die Kinder ihr nachjagten, wie aufgeregte Bienen ausschwärmten, um ihre Aufmerksamkeit buhlten und alle gleichzeitig erregt durcheinander plapperten. Sie presste die Hände auf die Ohren.

»Um Himmels willen, beruhigt euch doch«, sagte sie lachend. »Ich werde noch taub.« Sie schloss die Tür ihrer Hütte hinter sich und trat hinaus in das Licht des späten Morgens. Sie hatte die Kleidung angezogen, in der sie für gewöhnlich mit den Kindern spielte, und hatte einen Leinensack dabei. Acht Kinder waren da, das Älteste und das Jüngste fehlten. Ihr heutiges Ziel war, mehr über ihre persönlichen Lernbedürfnisse zu erfahren, was sowohl die körperliche als auch die geistige Seite anging. Zu diesem Zweck hatte sie beinahe die ganze Nacht damit verbracht, Spielzeuge anzufertigen, mit denen sie die Wendigkeit der Kinder auf die Probe stellen konnte. Es handelte sich um Dinge, welche bei den Liringlas als Knöchelsänger bekannt waren. Nun nahm sie eines davon aus dem Sack.

»Hier. Ich habe etwas für euch.« Rhapsody hielt den Knöchelsänger hoch, und die Kinder versammelten sich neugierig um sie. Er war grob gemacht, aber glatt, und erfreute Rufe drangen durch den Wald, als er von Kind zu Kind gereicht wurde.

»Wie geht das, Rhapsody?«

»Gebt ihn mir; ich werde es euch zeigen.« Sie nahm ihn wieder an sich und hielt ihn hoch, sodass alle ihn sehen konnten. Er bestand aus zwei hölzernen Scheiben, die mit einer Schnur verbunden waren. Die eine Scheibe hatte in der Mitte ein großes Loch, die andere mehrere kleine Löcher. Rhapsody setzte sich ins Gras, streckte ein Bein aus und schlüpfte mit dem Fuß durch den Ring. Dann stand sie wieder auf.

»Also gut, geht jetzt ein Stück zurück, meine Lieben, und ich werde es euch zeigen. Das habe ich nicht mehr gespielt, seit ich klein war.«

»Aber du bist immer noch klein«, sagte Vincane. Seit er im Reich der Rowans war, hatte er viel von seiner Schärfe und der Straßenkindnatur verloren, die ihn in der Welt hinter dem Schleier zu einem so gefährlichen Feind gemacht hatten. Jetzt schien er nur noch ein Junge an der Schwelle des Erwachsenwerdens zu sein, größer als Rhapsody und körperlich voll ausgebildet. Sie lachte über die anmaßende Ausgelassenheit in seinem Gesicht.

»Also gut, ich habe es nicht mehr gespielt, seit ich jung war. Und, Vincane, verwechsle nicht ›groß‹ mit ›stark‹. Wenn du willst, zeige ich dir später, was ich damit meine. Wir können noch einmal so ein Spiel wie in der Ziegelei spielen.«

»Nein, vielen Dank«, sagte der Junge hastig. Rhapsody lächelte; sie wusste, dass er sich am Morgen versteckt und ihren Übungen zugesehen hatte.

»Es funktioniert so«, sagte sie. Sie hüpfte über die Schnur, schwang den Ring an ihrem Knöchel im Kreis und hüpfte jedes Mal über die Schnur, wenn sie herankam. Nach einigen Umdrehungen summte das Gerät leise um ihren Fuß, und immer wieder sprang sie über die Schnur. Die zweite Scheibe vibrierte nun, pfiff und brachte schließlich einen klaren, süßen Ton hervor. Die Kinder lachten und klatschten und wollten es selbst ausprobieren.

»Streitet euch nicht darum, ich habe einen für jeden von euch.« Rhapsody hielt den Knöchelsänger an. Sie zog ihn vom Fuß und gab ihn Jecen, der vor Freude aufschrie. Rhapsody ging zu ihrem Leinensack und holte die Spielzeuge heraus. Sie drückte sie in die zupackenden Hände, trat zurück und beobachtete neugierig, wie die Kinder sie anzogen und in Gang zu setzen versuchten. Einige waren geschickter als andere; es war ein guter Gradmesser für ihre Gewandtheit. Rhapsody überlegte, wie sie mit den behänderen Kindern arbeiten und die ungeschickteren fördern konnte.

»Ich habe eure Namen eingeritzt«, sagte sie, als die Kinder müde wurden und das Spiel allmählich beendeten. »Jeder bringt einen anderen Ton hervor, und wenn ihr euch an sie gewöhnt habt, könnt ihr Lieder spielen, wenn ihr zusammenarbeitet. Ich höre, dass Cyndra euch ruft; es ist wohl Zeit für das Mittagessen.« Glückliches Kreischen hallte durch das schläfrige Tal, und nach einem Aufruhr aus Küssen und Umarmungen rannten die Kinder davon und ließen Rhapsody allein und atemlos zurück.

Sie stand auf, bürstete sich die Blätter und den Lehm von der Hose, ging zurück zu den weißen Gebäuden, in denen man sich um die Kinder kümmerte, und lauschte dabei einem Vogellied. Hinter einigen Bäumen ganz in der Nähe spürte sie plötzlich eine fremde Schwingung und konzentrierte sich darauf. Sie erkannte das Muster. Es war Constantin. Er hatte sie und die Kinder beobachtet und folgte ihr nun in geringem Abstand.

Rhapsody behielt ihren Schritt bei und ging weiter auf die Hütten zu. Sie spürte, wie er die Richtung änderte, damit sich ihre Wege kreuzen würden. Ein seltsames Gefühl von Sicherheit überschwemmte sie. Als sie den Waldrand erreicht hatte, trat er vor sie und schnitt ihr den Weg ab.

Er hatte sich von der Operation erholt und schien bei guter Gesundheit zu sein, auch wenn er etwas dünner geworden war. Der Gladiator war in ein weißes Hemd und eine Hose gekleidet. Als er sich ihr in den Weg stellte, blieb Rhapsody widerwillig stehen.

Constantin streckte den Arm zu dem Baum vor ihr aus und versperrte ihr so den Weg. Er starrte sie mit einem durchdringenden Blick an, unter dem sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Sie hielt seinem Blick gelassen stand, ohne Angst oder Aggression, und wartete, was er zu sagen hatte.

Es vergingen einige Augenblicke, während denen er nicht redete, sondern sie eingehend betrachtete. Am Rande ihres Blickfeldes bemerkte Rhapsody eine leise Bewegung. Als sie den Kopf drehte, sah sie Fürst Rowan gegen einen Baum gelehnt stehen und sie beide beobachten. Sie stieß erleichtert die Luft aus. Im Gegensatz zur vergangenen Nacht war seine Kleidung heute waldgrün; es war, als hätte er nun mehr Körperlichkeit als bei ihrer ersten Begegnung. Schließlich fragte sie:

»Was ist los, Constantin? Was willst du?«

Er starrte sie noch einen Moment länger an und antwortete schließlich: »Dich.«

»Wie bitte?«

»Ich hätte dich haben sollen«, sagte er mit leiser, aber unangenehmer Stimme. »Du hast mir einen Streich gespielt und schuldest mir etwas. Ich hätte dich haben sollen.«

Rhapsody spürte, wie ihr die Röte vom Hals bis ins Gesicht stieg. »Es tut mir Leid, dass ich dich hintergangen habe«, sagte sie und vergewisserte sich, dass der Fürst noch in der Nähe war. »Es gab keinen anderen Weg; es war nicht meine Absicht, dich zu reizen.« Er lachte; es war ein scharfer, hässlicher Laut. »Ich musste dich an diesen Ort bringen, und es tut mir Leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe.«

Er neigte ihr den Kopf zu; sie spürte seinen Atem an ihrem Hals. »Oh, das hast du getan. Ich bin sehr verletzt. Aber du kannst das wieder gutmachen. Du hast genau die richtige Medizin für mich, Rhapsody das ist doch dein Name, oder? Er ist schön und passt gut zu dir. Weißt du, du bist wirklich erstaunlich. Ich bin froh, dass ich nie in der Arena gegen dich kämpfen musste. Du wirkst so zerbrechlich und hilflos, aber das bist du nicht, oder? Du spielst mit den Gefühlen eines Mannes, aber du bist stärker als die meisten, und das spielst du aus.«

»Hör auf«, sagte Rhapsody, die langsam zornig wurde.

»Was ist los? Du kannst schwören, die Wahrheit zu sagen, bist aber nicht in der Lage, sie zu hören? In gewisser Weise hast du mich belogen. Du bist in mein Bett gestiegen, hast dich mir angeboten und wolltest mich in deinem Kleid verführen. Du hast gesagt, der Zuhälter Treilus habe dich geschickt. Was sollte ich denn glauben?«

Sie sah fort. »Vermutlich genau das, was du geglaubt hast.«

Obwohl sie ihn nicht ansah, spürte sie sein Lächeln. »Gut; dann stimmst du mit mir überein, dass ich zu dem richtigen Schluss gekommen bin.«

Rhapsody sah ihn wieder an. Sie dachte daran, mit ihm über die Fakten zu streiten und ihn an das zu erinnern, was sie wirklich gesagt und dass sie ihm bedeutet hatte, sie wolle ihn nur massieren, doch diese Worte waren für sie zu schwer auszusprechen. Llauron hatte genau gewusst, was Constantin über sie denken würde, und sie war eine Närrin gewesen, wenn sie etwas anderes geglaubt hatte. Sie legte den Kopf schief.

Der Gladiator beugte sich vor, bis seine Lippen kurz vor ihrem Ohr waren. »Du schuldest es mir«, sagte er ruhig. »Vielleicht nur ein einziges Mal, aber du schuldest es mir, und das weißt du. Ohne etwas zu sagen, hast du mir eine Nacht mit dir in meinem Bett versprochen. Und du willst doch nicht etwa dein Wort brechen du, eine Benennerin? Ich weiß übrigens, dass du eine bist. In der vergangenen Nacht habe ich gehört, wie du meinen Namen tief in meine Seele eingeflüstert hast, und die wunderbarsten Gefühle haben mich überkommen. Willst du raten, wo sie am deutlichsten sichtbar geworden sind?«

Sie blinzelte, sagte aber nichts. Er hatte zweifellos gespürt, wie sie die Kerze entzündet und geschworen hatte, für ihn zu wachen und seine Schmerzen auf sich zu nehmen.

Das Lächeln des Gladiators wurde zuversichtlicher. Er streckte seine gewaltige Hand aus, grub vorsichtig den Zeigefinger in ihr Haar und fuhr an einer Locke entlang bis in ihr Gesicht. Als er ihre Wange erreicht hatte, streichelte er sie mit seiner rauen Fingerspitze.

»Komm mit mir«, sagte er besänftigend. »Ich bin nicht mehr wütend; ich werde ganz zärtlich zu dir sein. Du hast nichts zu befürchten; ich werde ihn nicht ganz hineinstecken. Bezahle deine Schulden, Rhapsody.« Er beugte sich vor; sein Atem erwärmte ihren Hals. »Ich muss dich haben«, sagte er.

Fürst Rowan erschien links von ihr. Sowohl Rhapsody als auch Constantin schauten auf und bemerkten seine Gegenwart; dann senkte Constantin den Arm und drehte sich um. Dabei fuhr er mit den Lippen über ihr Haar.

»Ich werde dich haben«, flüsterte er. »Das verspreche ich dir.«

Als er fortging, spürte Rhapsody, wie ihre Stimme zurückkehrte. »Constantin?«

Er sah zu ihr. In ihren Augen lag nicht die geringste Angst, und ihre Miene war wieder ruhig.

»Du könntest Recht haben«, sagte sie unverblümt. »Aber wenn es so ist, dann nur, weil wir beide es wollen. Hast du mich verstanden?«

Er starrte sie einen Augenblick lang an, dann ging er.

Rhapsody spürte, wie eine warme Hand sie an der Schulter berührte. Nun durchfuhr sie ein Friede, den sie nie zuvor gespürt hatte, und erfüllte sie mit einem großen Verlangen nach Schlaf.

»Ist alles in Ordnung mit dir, mein Kind?«, fragte Fürst Rowan. Seine Stimme war so seidig wie warmer Wein.

»Ja, Fürst«, erwiderte sie und drehte sich nach ihm um.

»Ich werde mit ihm reden.«

Rhapsody öffnete den Mund, um die Lage zu erklären. Doch dabei spürte sie, wie die Angst vor der Zukunft zurückkehrte die scheußliche Angst davor, dazu verdammt zu sein, denselben Fehler bis in alle Ewigkeit wiederholen und für alle Zeiten die Auswirkungen ihrer Taten beobachten zu müssen. Erschöpfung überkam sie, als Ashes Worte aus fernen Tagen zu ihr zurückkehrten: Du wirst niemals sterben. Stell dir vor, wie es ist, immer wieder Menschen zu verlieren, deine Geliebten, deinen Mann, deine Kinder. Rhapsody fühlte sich so müde wie noch nie. Sie blickte in das ernste Gesicht Fürst Rowans, und ungerufene Tränen quollen tief aus ihrem Innern hervor.

»Warum weinst du?«

»Es ist nicht wichtig«, antwortete Rhapsody und schaute in Rowans schwarze Augen. »Fürst Rowan, werdet Ihr mir einen Gefallen tun? Bitte.«

»Was wünschst du von mir?«

»Dass Ihr mich eines Tages zu Euch holt. Bitte.«

Das ernste Gesicht wurde vom Flackern eines Lächelns erhellt. »Faszinierend«, murmelte er.

»Für gewöhnlich werde ich nur gebeten, fernzubleiben, auch wenn du nicht die erste Cymrerin bist, die um meinen Beistand bittet. Du bist aber die Erste, die in der Blüte der Jahre steht.«

»Bitte, Fürst«, beharrte Rhapsody. »Bitte sagt, dass Ihr mich eines Tages zu Euch nehmt.«

Fürst Rowan betrachtete sie einen Moment lang. »Ich werde es tun, wenn ich es vermag, mein Kind. Das ist das einzige Versprechen, das ich dir geben kann.«

Rhapsody lächelte durch ihre Tränen. »Das reicht«, sagte sie nur. »Vielen Dank.«

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