64

Haus der Erinnerung, Navarne

Oelendra schürte mit einem langen Stock die Glut und sah zu, wie die Funken in den Himmel stoben. Die kalte Luft war schwer von Feuchtigkeit, unter der ihre alten Wunden schmerzten, doch sie war inzwischen daran gewöhnt und achtete nicht weiter darauf. Stattdessen dachte sie an den alten Außenposten, der noch vor kurzer Zeit auf dieser Lichtung gestanden hatte. Von ihm waren nur der ausgebrannte Turm und verstreute Balken übrig geblieben, die früher das Dach getragen hatten.

Im früheren Innenhof stand immer noch der Baum. Er war wunderschön und unberührt vom Rauch und der Verwüstung, die das Haus verzehrt hatten. Eine kleine Harfe steckte in der Gabelung der Hauptäste und spielte eine sich ewig wiederholende Melodie. Oelendra erinnerte sich an damals, als der Turm erbaut worden war, und an die Zeiten, deren Sinnbild er war. Sie wandelte uralte Pfade entlang und sprach mit lange toten Freunden. Von fern fragte sie die Könige der Vorzeit, was aus ihrer edlen Linie geworden war. Sie warf den Zweig in die Flammen.

Ihr Gast war eingetroffen. Er stand am Rande der Lichtung; sein Gesicht wurde von dem schweren Mantel verborgen. In der einen Hand hielt er einen weißen hölzernen Stab, in der anderen Kirsdarke. Sogar in der Dunkelheit waren die blauen Ziermuster auf den Kräuselungen der flüssigen Klinge zu sehen. Oelendra fragte sich, wie lange er dort schon gestanden hatte. Sie lächelte einladend.

»Oelendra?« Die Stimme der schattenhaften Gestalt klang sanft.

»Du erinnerst dich also an mich?«

»Nein, eigentlich nicht«, gab Ashe zu, als er das Schwert in die Scheide steckte und zum Feuer hinüberkam. »Zumindest nicht deutlich. Ich erinnere mich nur an deine Stärke und Freundlichkeit, die ich seit vielen Jahren in meinem Herzen bewahre. Ich schulde dir viel, aber ich fürchte, ich erinnere mich an kaum etwas außer verschwommenen, schmerzerfüllten Träumen. Als ich dich sah, erriet ich, dass du es bist. Es gibt nicht viele Leute, die wissen, dass ich noch lebe.«

»Ich war keiner von ihnen, bis Rhapsody es mir vor kurzer Zeit erzählte.«

Ashe klang überrascht. »Mein Vater hat es dir nicht gesagt?«

»Nein, und auch Fürst Rowan nicht.«

Er trat in das Licht, das die Luft in der Nähe des Feuers umgab, schlug die Kapuze zurück und enthüllte damit sowohl sein kupferfarbenes Haar als auch die kleine Kristallkugel, die er um den Hals trug. Crynellas Kerze, dachte Oelendra. Es war die alte Verbindung von Feuer und Wasser, die von der schon lange verstorbenen Königin von Serendair für ihren seefahrenden Liebhaber erschaffen worden war und nun die Kehle eines anderen verlorenen Seemannes zierte, verliehen von der Hand einer anderen Seren-Königin. Die Kugel schimmerte durch den Dunstmantel wie ein Leuchtfeuer durch den Nebel. Ashe war schöner, als Oelendra ihn in Erinnerung hatte, doch das überraschte sie nicht. Bei ihrem letzten Treffen hatte er sich an der Schwelle des Todes befunden.

»Du siehst gut aus«, sagte Oelendra, während sie ihm mit einer Geste bedeutete, Platz zu nehmen. Ihre Stimme klang barsch; das Willkommenslächeln war zu reiner Höflichkeit verblasst.

»Und du siehst besorgt aus.« Er trat über den Stamm eines vor langer Zeit umgestürzten Baumes und setzte sich darauf. Der Feuerschein glänzte rotgolden auf seinen Haaren. »Was ist los? Warum hast du mich herbestellt?«

»Ich war der Meinung, die Ruinen dieser alten Festung seien ein passender Ort für unser Treffen.«

»Kann ich etwas für dich tun?«

Die lirinsche Kriegerin schaute ihn nachdenklich an. »Möglicherweise. Ich komme im Auftrag meiner Königin.«

Ashe lächelte und erinnerte sich an die berüchtigten Worte, die sie der Legende nach lange vor seiner Geburt zu seiner Großmutter gesagt hatte. »Ich war der Meinung, du dienst nicht einem Herrscher, sondern einem Volk.«

»In meiner Königin sind beide vereint.«

Er nickte. »Gut. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten ändern. Sicherlich wäre es eine Veränderung hin zum Besseren.«

»In der Tat.« Sie nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und bot sie danach ihm an.

»Offenbar versteckst du dich nicht mehr. Ist das ein Anzeichen dafür, dass du dich auf die Stellung eines Herrschers vorbereitest?«

Ashe schüttelte den Kopf und lehnte das Wasser ab. »Diese Stellung wird verliehen; man kann sie sich nicht nehmen.«

»Deine Großeltern waren anderer Ansicht.«

»Ich bin nicht meine Großeltern.«

Die lirinsche Kampfmeistern beobachtete den Mann auf der anderen Seite des Feuers eingehend. Sie sah ihn nicht unmittelbar an; sie machte nicht den Fehler, in die Augen eines Drachen zu schauen. Sie war ein wenig überrascht, dass er nicht versuchte, ihren Blick auf sich zu lenken, so wie es seine Großmutter immer getan hatte. Oelendra hatte sich oft gefragt, welche Rolle die Drachenhaften Augen der Seherin bei ihrer Erwählung als Hofdame gespielt hatten. Anwyn hatte den Leuten immer in die Augen geschaut und versucht, sie in sich hineinzuziehen, wenngleich nur wenige dies bemerkt hatten. Oelendra hatte diesem Blick widerstehen können und sowohl ihre Lockungen als auch ihren Hass ertragen. Erfreut stellte sie fest, dass Ashe ihren Willen nicht auf die Probe stellte, und sah fort von ihm, indem sie sich wieder dem Feuer zuwandte.

»Ich hoffe es«, sagte sie nach einer Weile. »Aber davon muss ich mich persönlich überzeugen.«

»Du hast das Recht, mir und meiner Abstammung zu miss trauen«, meinte Ashe geduldig. »Sicherlich hat dir meine Familie nie einen Grund gegeben, ihr zu vertrauen. Ich hoffe, es dir durch meine Taten beweisen zu können, falls du bereit bist, mich an ihnen zu messen.« Er zwinkerte ihr zu. Ihre silbernen Augen fingen das Licht des Feuers ein, als sie ihn unmittelbar anschaute. Mehr als nur eine Spur von Feindseligkeit lag in ihnen. Er räusperte sich, bevor er wieder mit ihr sprach.

»Ich habe meine Deckung nicht verlassen, um die Gewalt an mich zu reißen, sondern in der Hoffnung, den F’dor auszulöschen. Der Rakshas ist tot, Khaddyr ist tot. Was nun noch übrig bleibt, ist der Wirt des Dämons. Ich hoffe, ich kann seine Aufmerksamkeit auf mich ziehen und ihn töten, indem ich mich offen zeige.«

»Glaubst du etwa, dass dir das ohne fremde Hilfe gelingt? Du bist allerdings sehr selbstsicher.«

Ashe fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und glättete die Haare, die sich bei ihrem harschen Ton aufgerichtet hatten. »Ja, ich bin selbstsicher, aber ich bin nicht dumm. Mein Vater ist selten weit fort, und ich hoffe, bald wieder mit Rhapsody zusammen zu sein. Zusammen mit ihren Bolg-Freunden könnten wir siegreich sein.«

»Dein Vater? Ich hatte mich gefragt, ob er wirklich tot ist. Rhapsody hat nichts anderes gesagt, aber ich hatte bereits einen Betrug vermutet.«

»Er war notwendig.«

Oelendra lachte verbittert.

»In Ordnung«, gab Ashe gelassen zu, »vielleicht ist es genauer, wenn ich sage, dass es für ihn notwendig war.«

»Genauer und auch ehrenhafter, wenn man den Preis für diese Entscheidung bedenkt.«

Ashe sah fort. »Du hast Recht. Aber in gewisser Hinsicht ist er tatsächlich gestorben. Seine menschliche Seite ist vergangen; er hat ihr die Ruhe verschafft, nach der sie sich gesehnt hatte. Ich will dich aber nicht belügen, denn in Wirklichkeit war sein Tod eine Scharade, die bezwecken sollte, dass seine Feinde aus der Deckung kommen und er durch die Elemente des Feuers und Äthers zu seiner wahren Drachennatur findet, so wie ich es auch getan habe. Jetzt ist er mir nur selten fern. Er bleibt als Beobachter in den Schatten und wartet darauf, dass der F’dor den nächsten Zug macht. Aber heute Nacht ist er nicht hier. Ich hätte ihm nicht erlaubt, an diesem Treffen teilzunehmen.«

»Ihm erlaubt? Das ist eine Veränderung.«

Ashe starrte sie an. Ihr Gesicht wirkte im Widerschein des Feuers verbissen, und ihr Blick war bohrend. In der Stimme seines Vaters hatte immer ein ähnlicher Ton mitgeschwungen, wenn ihr Name gefallen war, doch bisher hatte er das nicht als besonders bedeutsam erachtet. Er sagte mit fester Stimme und milder Miene:

»Vermutlich ist es das. Es zeigt ein Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Das ist etwas, was ich von Rhapsody gelernt habe.«

»Hast du es gelernt, bevor oder nachdem du es zugelassen hast, dass sie deinen Vater bei lebendigem Leib verbrennt? Bevor sie im gesamten filidischen Orden und in der rolandischen Adelsschicht das verbreitet hat, was ihrer Ansicht nach die Wahrheit über die Niederlage Llaurons durch Khaddyrs Hand war?«

Ashes Augen verengten sich. Der Drache strotzte vor Wut. »Warum tust du das? Versuchst du, mich zu etwas anzustacheln, Oelendra? Du befindest dich auf brüchigem Eis.«

Oelendra beugte sich vor in den Feuerschein. »Ich versuche herauszufinden, ob ich das Band, das mich mit der Tagessternfanfare verbunden hat, durchschnitten habe. Ob ich den Sternensplitter, den ich den Rowans gegeben habe, damit sie ihn dir in deine zerfetzte Brust einnähen, an einen weiteren hintertriebenen Abkömmling von Anwyn und Gwylliam verschwendet habe. Ich will dich verstehen, Gwydion. Erkläre mir, warum du die Frau so verletzt, die ich wie mein eigenes Kind liebe und die du vermutlich ebenso liebst.«

Bei ihren Worten wallte Wut in Ashe auf. Er kämpfte darum, seinen Zorn im Zaum zu halten, und wusste tief in seinem Herzen, dass sie Recht hatte. »Zweifle niemals meine Liebe für sie an. Niemals«, sagte die harte, vieltönige Stimme des Drachen, die sich zwischen seine Worte gedrängt hatte.

Oelendra zuckte bei diesem Klang nicht zusammen. »Warum hast du sie getäuscht, wenn du sie geliebt hast? Hast du eine Ahnung, was der angebliche Tod deines Vaters bei ihr bewirkt hat? Sie hat schon so viel verloren!«

Ashes Zorn verflüchtigte sich und wurde von tiefer Trauer angesichts der Erinnerung an Rhapsody ersetzt, wie sie vor dem dunklen Kamin gesessen und ins Nichts gestarrt hatte. Ihm tat das Herz weh, als er sich daran erinnerte, wie sie ihren Kragen abgelegt und das Medaillon beiseite gezogen hatte, weil sie seinen Todeshieb erwartet hatte.

»Ja«, sagte er hohl, »ich glaube, ich weiß nur zu gut, was es bei ihr bewirkt hat.«

»Warum hast du es dann getan? Warum hast du die Machtspiele deines Vaters unterstützt, wo du doch wusstest, welche Verheerungen sie anrichten?«

Ashe schaute in die Finsternis. »Nicht ich habe sie unterstützt, sondern Rhapsody.«

Die Augen der lirinschen Kriegerin verengten sich im Feuerschein zu Schlitzen aus Quecksilber. »Was willst du damit sagen?«

Ashe starrte weiterhin in die Nacht. In Gedanken war er in den Zahnfelsen und erinnerte sich an eine Frau im Wind. Schließlich stand er auf und schaute sie an. »Es tut mir Leid, Oelendra«, sagte er und hob den Stab auf. »Wenn du hergekommen bist, um zu erfahren, ob du deinen Sternensplitter verschwendet hast, dann lautet die Antwort: Ja.« Er drehte sich um und trat aus dem Feuerkreis.

»Halt«, befahl ihm die lirinsche Kampfmeisterin. Ihre Stimme hätte auch einem ganzen Heer einen Befehl geben können. Er gehorchte unwillkürlich. »Komm zurück. Nicht du entscheidest das, sondern ich. Setz dich.« Ashe lächelte und kehrte zu dem Baumstamm zurück. »In Ordnung, erkläre es mir. Hatte sie eine Wahl?«

»Eigentlich nicht, fürchte ich. Alles, was sie von mir hören wollte, war die Wahrheit, und diese habe ich ihr vor allem geschuldet. In der Nacht vor meiner Abreise habe ich ihr Llaurons Pläne und Listen enthüllt und noch anderes, was sie unbedingt wissen musste.« Im Schein des Feuers wurde sein Gesicht dunkler, als er sich daran erinnerte. »Sie begriff, dass es nicht in unserer Macht steht, die Dinge aufzuhalten, die bereits in Gang gesetzt sind. Ihr war klar, dass Llauron endgültig und für nichts gestorben wäre, wenn sie den Scheiterhaufen nicht in Brand setzen würde. Für mich war das in Ordnung. Es war nicht ihre Aufgabe, ihn aus dieser selbst gemachten Falle zu befreien. Aber sie hat sich entschlossen mitzuspielen, obwohl sie genau wusste, was es bedeutet. Wenn es meine Entscheidung gewesen wäre, hätte ich es nicht erlaubt, aber da ich Rhapsody liebe, will ich ihr das Recht einräumen, ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich sie verschont.« Seine Stimme versagte. Oelendra lehnte sich zurück und betrachtete ihn nachdenklich. Ihre Wut ließ ein wenig nach.

»Warum kann sie sich daran nicht erinnern?«

Ashe erwiderte zum ersten Mal ihren Blick. Mit ruhigerer Stimme sagte er: »Ich fürchte, das ist der Preis für die Wahrheit. Vor einiger Zeit haben wir Manwyn besucht. Es war wichtig für sie, obwohl sie mir den Grund dafür nicht sagen konnte. Ich glaube jetzt, dass es etwas mit den Kindern des Dämons zu tun hatte.

Das Orakel hat ihr während einer seiner irrsinnigen Tobsuchtsanfälle einen Teil von Llaurons Plan enthüllt. Diese Informationen haben Rhapsody verwundbar gemacht. Mit dem Wissen hätte sie lügen müssen. Doch da war noch etwas, das sie erfahren musste. Deshalb habe ich in unserer letzten gemeinsamen Nacht eine Perle mit dem Bildnis meines Vaters darin genommen, die eigentlich ein Andenken an ihn sein sollte, und sie Rhapsody gegeben, nachdem ich das Bild entfernt hatte. Ich habe sie gebeten, die Erinnerung an diese Nacht in die Perle zu bannen, unter der Bedingung, dass sie sich erst daran erinnern kann, wenn sie das gesamte Bild kennt.

Dann habe ich ihr die ganze Geschichte erzählt. Am Ende war sie der Ansicht, dass ihr Wissen für Llauron den ewigen Tod bedeuten könnte. Um das zu verhindern, hat sie vieles geopfert, einschließlich ihrer Erinnerung. Er hat sie nicht verdient.« Ashe schaute wieder in die Finsternis. »Und ich habe sie nicht verdient.«

»Nun, diesbezüglich hast du zumindest halbwegs Recht«, sagte Oelendra. »Aber ich begreife nicht, warum Rhapsody durch ihr Wissen verwundbar wurde. Was ist in jener Nacht sonst noch geschehen?«

Ashe seufzte tief. »Ich fürchte, das kann ich dir nicht erzählen, Oelendra, auch wenn du es gern hören würdest. Das sind ebenfalls Rhapsodys Erinnerungen. Sie hat das Recht, sie vor allen anderen zu erfahren.«

»Das verstehe ich. Wann willst du ihr ihre Erinnerungen wiedergeben?«

»Sobald ich es gefahrlos tun kann und der F’dor vernichtet ist. Ich habe die Perle in Elysian versteckt, falls ich bei der Dämonenjagd sterben sollte. Bisher ist es mir gelungen, seine Gefolgschaft zu töten, aber ich habe gegen dieses Ungeheuer schon einmal verloren; das weißt du besser als alle anderen.

Seit einer Weile habe ich seine Spur verloren, weil ich Lark und die anderen filidischen Verräter gejagt habe. Damit bin ich jetzt fertig. Ich war gerade auf dem Weg nach Ylorc, um Rhapsody zu sehen, als ich im Wind deinen Ruf hörte. Als ich erfuhr, wo du mich treffen wolltest, habe ich das Schlimmste befürchtet. Bevor ich gesehen hatte, dass du es bist, hatte ich geglaubt, wieder dem F’dor gegenüberzustehen. Das war der Grund, warum ich mit gezogenem Schwert gekommen bin. Üblicherweise gehe ich nicht mit dem Schwert in der Hand zu einem Treffen.«

»Trotzdem bist du ohne den Schutz deines Vaters hier?«

»Er ist nicht weit weg. Wenn ich ihn rufe, ist er im nächsten Augenblick da. Ich bin inzwischen viel stärker als bei meinem letzten Kampf. Ich kann den F’dor vielleicht noch nicht besiegen, aber ich könnte ihn in Schach halten, bis Llauron kommt. Zusammen sind wir stark. Außerdem ist Elynsynos ebenfalls nicht weit entfernt. Wenn ich sie rufe, kommt sie bestimmt.«

Oelendra starrte in das Feuer und dachte über etwas nach. Als sie wieder aufschaute, lag ein Ausdruck der Befriedigung auf ihrem Gesicht. »Drei Drachen, Kirsdarke und ich. Gute Bedingungen für einen zweiten Schlag.«

»Wie bitte?«

Sie sah Ashe in die Augen. »Achmed hat den F’dor identifiziert.« Sofort spannten sich seine Muskeln an, und die Hand fuhr zum Schwertgriff. »Es ist Lanacan Orlando, der Segner von Bethe Corbair.«

Ashes Augen glommen heller im Feuerschein, doch seine ganze äußerliche Regung bestand nur in einem Nicken. Er ließ das Schwert los und stützte die Ellbogen auf die Knie. Gedankenverloren schlang er die Finger ineinander. »Natürlich. Dieser heiligtuerische Bastard. Da segnet er demütig die Truppen und belegt sie für seine Zwecke mit einem Bann. Bethe Corbair ... gute Götter, er befand sich kurz vor ihrer eigenen Haustür.« Er erzitterte.

»Kein Wunder, dass der Rakshas so leicht nach Ylorc eindringen konnte. Wie abscheulich. Wie viele Generationen hat der Dämon gewartet und sich vorbereitet? Er hat die Heere gesegnet und verzaubert. Er hätte Sepulvarta, Sorbold und das ganze Roland eingenommen.«

Entschlossen schüttelte er diese Gedanken ab. »Bist du deshalb hier um mir zu sagen, dass die Vorbereitungen für die Jagd getroffen werden?«

»Sie sind schon getroffen worden.«

Er nickte und stand auf. Erregung leuchtete auf seinem Gesicht. »Wo soll ich mich zu ihnen gesellen?«

»Nirgendwo.«

Ashe erstarrte. »Was soll das heißen?«

»Das ist ihre eigene Aufgabe, Gwydion. Du wärest ihnen keine große Hilfe. Deine Seele trägt noch die Wunden von zwanzig Jahren der Unterdrückung. Wenn du ihm nachstellst, könnte dieses alte, böse Wesen dich erneut mit einem Bann belegen.«

Wut blühte in seinem Gesicht auf. »Das ist unmöglich; das weiß ich.«

»Vielleicht. Aber selbst wenn es so ist, bleibt nicht mehr genug Zeit. Am Tag nach meiner Abreise aus Tyrian sind sie nach Bethe Corbair aufgebrochen. Wenn sie so schnell wie erwartet vorangekommen sind, tobt die Schlacht möglicherweise bereits, während wir uns hier unterhalten.«

Ashe erschauerte; seine Stimme zitterte vor Wut. »Sie ist allein gegangen? Mit den anderen? Ohne mich?«

Oelendra sah ihn seltsam an. »Gwydion, das ist ihre Suche, ihre Zeit, so wie es Jahrhunderte vor deiner Geburt vorhergesagt wurde. Du kannst ihnen nicht helfen; sie leben für dieses Ziel. Glaube mir, ich wünschte, ich wäre bei ihnen. Ich wünsche es mir mehr, als du dir vorstellen kannst. Aber das ist nicht unsere Aufgabe.« Ihr Tonfall wurde ernster. »Außerdem muss es eine zweite Verteidigungslinie geben, falls sie unterliegen. Zwischen dir und deinem Vater...«

Sie hielt inne. Ashe wurde rasend vor Wut.

»Sie können nicht unterliegen«, sagte er in Panik. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie ... ich könnte es nicht ertragen, nicht noch einmal. Warum hast du mir das nicht sofort gesagt? Warum haben sie mir keine Nachricht geschickt? Ich habe das Recht, bei ihnen zu sein!«

Oelendra öffnete die Augen weit vor Zorn. Sie stand auf, stellte sich ihm entgegen. In ihrer Stimme schwang unverhohlene Wut. »Das Recht? Du hast Rechte? Welche Rechte? Wenn jemand das Recht hat, diese verdammte Bestie abzuschlachten, dann bin ich das! Ich habe durch ihre Bosheit mehr erlitten als jedes andere lebende Wesen. Und wenn ich mein Recht, den F’dor zu töten, abtreten kann, wieso beanspruchst du es dann für dich?«

»So habe ich das nicht gemeint«, sagte er mit zitternder Stimme. »Es ist mir egal, wer dieses verfluchte Ding tötet. Die Hauptsache ist, dass es stirbt. Das Recht, das ich gemeint habe, ist das Recht, an Rhapsodys Seite zu sein, wenn sie ihm gegenübersteht, für den Fall, dass ... dass sie unterliegt.« Seine Worte verhallten in einem Flüstern.

»Warum?«, fragte Oelendra ungläubig. »Welche Rechte hast du an Rhapsody und ihren Entscheidungen? Du hast alle Rechte aufgegeben, als du eine andere geheiratet hast.«

Er schüttelte den Kopf, vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte sich zu beruhigen.

»Ich habe keine Rechte aufgegeben.«

Die Stimme der lirinschen Kämpferin wurde eisig. »Ich glaube, jetzt habe ich eine Antwort auf die zweite Hälfte meiner Frage. Du bist deiner Großmutter ähnlicher, als ich befürchtet hatte. Glaubst du, dass Rhapsody auf ewig mit dir verbunden ist, obwohl du mit einer Frau von Rang verheiratet bist?« Ashe sah sie an. »Sie würde es dir niemals sagen, aber du hast sie genau so tief verletzt, wie es der Verlust deines Vaters, der Verlust Jos und vielleicht auch ihrer Heimat und ihres vorherigen Lebens getan haben. Sie hat dich geliebt, und du hast diese Liebe deinem Machtstreben und dem deines Vaters geopfert. Du hast Recht. Du verdienst sie nicht. Du hast sie in eine Heirat ohne Liebe gedrängt. Eigentlich bin ich hergekommen, um dir genau das zu sagen.«

Er wurde bleich. »Was?«

»Du weißt doch, dass sie jetzt die Königin der Lirin ist, oder?«

»Was?«

»Du hast nicht davon gehört? Du hast es nicht gewusst?«

Ashe schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Lark und Khaddyrs andere Gefolgsleute zur Strecke gebracht und war an der Grenze der Neutralen Zone. Ich habe zwar gehört, dass die Lirin eine Königin gekrönt haben, wobei ich immer gehofft hatte, Rhapsody würde die Krone nehmen, aber ich habe auch gehört ...«Er verstummte.

»Was hast du gehört?«

»Dass die Königin sich einem der Freier versprochen hat. Ich weiß, dass Rhapsody so etwas niemals tun würde. Es wäre gegen ihre Überzeugung.« Er schloss die Augen vor Schmerz angesichts der Erinnerung an die süße Sommernacht vor einem ganzen Leben im alten Land. Er sah sie noch, wie sie kaum mehr als ein Kind gewesen war, sich hinter einer Reihe Fässer vor den bäuerlichen Freiern versteckt hatte, die ihr nachgestellt und gehofft hatten, sie in der Hochzeitslotterie des Dorfes zu gewinnen.

Kommt dir all das hier nicht, nun ja, barbarisch vor?

In der Tat, da ist was dran.

Na, dann kannst du dir ja vorstellen, wie ich mich fühle.

Oelendra lächelte humorlos. »Hast du etwa erwartet, dass sie nach dir schmachtet und für immer allein und unverheiratet bleibt? Sie muss heiraten, ob sie will oder nicht, um die Heere ihrer Nachbarn zu besänftigen. Du kennst das doch, Gwydion; du bist damit aufgewachsen. Sie braucht einen starken Mann und hat nur die Wahl zwischen Anborn und Achmed. Und sie hat ihre Wahl getroffen.«

Es war sehr still im Wald geworden. Aus Kühle war Kälte geworden. Oelendra schaute Ashe in die Augen und sah darin ein unnatürliches Glimmen. Sie erkannte dieses Licht als die Seele des Drachen, doch dieser schien weder wütend zu sein, noch zum Schlag ausholen zu wollen. Er war verängstigt.

Sie erlaubte ihren Augen, die übrigen Teile seines Gesichts abzusuchen, und erkannte auch die Zerstörungen, die seine menschliche Seite erlitten hatte. Es war das Antlitz eines Mannes, der soeben zu der Erkenntnis gekommen war, dass er alles verloren hatte.

Ashe starrte vor sich hin und versuchte das unerträgliche Bild von Rhapsody in Achmeds Armen zu vertreiben. Es war ein Bild, das ihn heimsuchte, seit sie einmal beiläufig von dieser Möglichkeit gesprochen hatte.

Du würdest dich doch niemals mit Achmed vermählen, nicht wahr? Der Gedanke hat mir die letzten Stunden schwer im Magen gelegen.

Weißt du, Ashe, mir gefällt deine Einstellung ganz und gar nicht. Und offen gestanden geht dich die Sache überhaupt nichts an.

Ihm wurde übel.

Du hast nie meine Frage nach dir und ihm beantwortet.

Welche Frage?

Die Frage, ob du Achmed nehmen würdest ich meine, ob du ihn heiraten würdest.

Vielleicht. Wie ich dir schon gesagt habe, erwarte ich nicht, dass ich jemals heirate, aber wenn ich lang genug leben sollte, wäre das vielleicht die beste Aussicht.

»Sie ... das kann sie nicht tun«, sagte er und bemühte sich, nicht zu würgen.

Oelendra sah ihn mitleidig an. »Du hast ihr keine Wahl gelassen. Sie braucht einen Verbündeten, einen Mann, den niemand infrage zu stellen wagt. Sie hat bereits mit Anborn gesprochen, und er ist einverstanden. Es wird eine Heirat ohne Liebe sein, eine Vernunftheirat. Das ist ein endloser Schmerz für eine Frau wie Rhapsody. Aber es löst ihre politischen Probleme, auch wenn es dir vielleicht einige hinzufügt. Schließlich hat Anborn das gleiche Recht auf die Stellung des Herrschers wie du, zumindest wenn es um die Erste und Dritte Flotte geht. Jetzt, wo auch noch Rhapsody im Spiel ist, könnte er möglicherweise den Wunsch verspüren, seine Rechte entschlossener durchzusetzen.«

»Anborn kann diese verdammte Herrscherposition haben! Mir geht es allein um Rhapsody.«

Oelendras Stimme knisterte geradezu. »Darüber hättest du vor deiner Heirat nachdenken sollen.«

»Ich habe nicht geheiratet.«

Oelendra kniff die Augen zusammen. »Du hast Rhapsody erzählt, du seiest verheiratet. Warum solltest du sie belügen?«

Ashe lief erregt und ängstlich auf und ab. »Ich habe nicht gelogen. Ich konnte sie nicht anlügen. Ich habe ihr bloß nicht gesagt, mit wem ich verheiratet bin. Ich konnte es nicht, weil ich wusste, dass ich Khaddyr gegenüberstehen würde, nicht, solange der F’dor dort draußen war und immer noch den Geschmack meiner Seele kannte. Ich habe mich als Köder benutzt, um ihn aus der Deckung zu locken. Was wäre gewesen, wenn ich versagt hätte? Wenn ich gestorben wäre? Sie hätten mich dazu benutzen können, sie zu finden, und sie hätten sie erwischt. Solange Rhapsody es nicht weiß, ist die Ehe nicht bindend. Wenn ich gefangen genommen oder getötet werde, können sie diese Bande nicht dazu benutzen, Rhapsody aufzuspüren. Sie ist in Sicherheit.«

Oelendra streckte die Hände aus. »Willst du mir damit sagen, dass die Frau, die du geheiratet hast, Rhapsody ist?«

Ashe kämpfte die Tränen zurück. »Ja. In jener Nacht in Elysian, als ich ihr von meinem Vater und seinen Plänen erzählt habe, als wir herausgefunden haben, wer wir sind und gewesen waren, haben wir geheiratet. Wir standen zusammen auf der Aussichtsterrasse, haben uns den Eid abgenommen und unsere Seelen auf ewig vereint. Das war die andere Erinnerung, von der ich dir gesagt habe, dass Rhapsody das Recht hat, sie als Erste zu erfahren. Die Erinnerung an unsere Hochzeit, unsere Verbindung.

Ich musste die ganze Zeit darüber schweigen, damit kein Lebender Kenntnis davon hatte, nicht einmal meine Frau, während ich es doch so gern der ganzen Welt erzählt hätte. Niemand sonst wusste es. Und jetzt sagst du mir, dass sie losgezogen ist, um gegen den F’dor zu kämpfen. Soll sie denn niemals wissen, wer ich bin? Was wir beide sind? Darf es sein, dass sie möglicherweise stirbt und glaubt, ich sei mit einer anderen Frau verheiratet? Dass ich sie erneut verlassen habe? Dass ich sie wieder verliere?«

Oelendra schüttelte ihn sanft. Gwydions Blick wurde wieder etwas klarer. »Wovon redest du?«, fragte sie ihn. Zum ersten Mal in dieser Nacht lag eine Spur von Mitleid in ihrer Stimme. »Was willst du damit sagen, dass du sie erneut verlässt und verlierst?«

Er setzte sich traurig auf den Baumstamm und fuhr sich mit der Hand durch das leuchtende Haar, das nass von Angstschweiß war. Oelendra setzte sich neben ihn und streichelte ihm sanft den Unterarm, um ihn zu beruhigen. Als er sich wieder in der Gewalt hatte, erzählte er ihr die ganze Geschichte über ihre Begegnung in der alten Welt, über den Betrug seiner Großmutter und was seitdem geschehen war. Er erzählte die Geschichte in allen Einzelheiten und mit einer Genauigkeit, die nur den Drachen zu Eigen war und deutlich den Verliebten zeigte. Oelendra lauschte mitfühlend, bis plötzlich die Erkenntnis über ihr Gesicht huschte. Ihre Hand, die ruhig auf seinem Gelenk lag, wurde zur zupackenden Klaue. Gwydion beendete seine Geschichte sofort; ihr Gesichtsausdruck machte ihn unverzüglich stumm.

»Die alte Welt? Ihr habt euch in der alten Welt getroffen? Ihr habt euch in der alten Welt ineinander verliebt?« Die ältere Frau zitterte heftig.

»Was ist denn mit dir los, Oelendra?«

Die lirinsche Kriegerin stand zitternd auf und taumelte aus dem Lichtkreis. Sie hastete zum ersten Baum, den sie in der Dunkelheit erreichen konnte, und lehnte sich mit dem Kopf dagegen. Sie kämpfte gegen die Galle an, die bei der Erinnerung an sich und Llauron in ihr aufstieg, als sie vor dem Orakel mit den Spiegelaugen gestanden hatten.

Hüte dich, Schwertträger. Vielleicht wirst du den zerstören, den du suchst, aber wenn du heute Nacht gehst, trägst du ein großes Risiko. Wenn du versagst, wirst du nicht sterben, aber was dir im alten Land geschah, wird abermals geschehen: Wieder wird dir ein Stück deines Herzens und deiner Seele entrissen, wie damals, als du die Liebe deines Lebens verlorst, doch dieses Mal an deinem Körper. Und das Stück, das dir weggenommen wird, soll dich verfolgen bei Tag und bei Nacht, bis du um den Tod bettelst, denn er wird es als Spielzeug benutzen, es nach seinem Willen verdrehen, es einsetzen, um seine Missetaten zu vollführen, und selbst dazu, um Kinder für sich zu zeugen.

Oelendra spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Während sie würgte, fühlte sie eine starke Hand im Nacken und eine andere, die ihren Rücken hielt. Sie taumelte in die Kühle jenseits des Lagerfeuers. Ashe hielt sich an ihr fest. Die Welt drehte sich um sie. Dann erlangte sie das Gleichgewicht wieder und sah in das Gesicht des Mannes, der freundlich auf sie hinablächelte.

»Du warst das«, flüsterte sie. »Ich hatte geglaubt, dass sie mich meint, aber du bist es.«

Sein Lächeln verschwand. »Wovon redest du? Komm, setz dich.« Ashe führte sie zu einer verschneiten Stelle unter einer großen Ulme und setzte sie sanft auf dem Boden ab. Er entschied, einen unbekümmerten Ton anzuschlagen.

»Wenn alle Freunde Rhapsodys so auf unsere Hochzeit reagieren, brauchen wir nicht viele Einladungen zum Essen auszusprechen.«

Die ältere Frau lächelte nicht darüber, sondern legte ihm die Hand auf die Wange. »Vergib mir, Gwydion«, sagte sie leise. »Ich bin verantwortlich für dein Leid in den Händen des F’dor. Es tut mir so Leid.«

Ashe sah sie ungläubig an. »Wovon redest du? Du hast mir das Leben gerettet.«

Oelendra schüttelte den Kopf. Ihr Blick ging in eine andere Richtung; sie erinnerte sich an ganz andere Begebenheiten. Dann wiederholte sie für sich selbst die Prophezeiung.

»Nimm dich in Acht, Schwert«, flüsterte sie schwach. »Vielleicht wirst du jene Person, die du suchst, vernichten, doch wenn du diese Nacht aufbrichst, ist die Gefahr sehr groß.«

»Ist das ein Rätsel?«

Sie nickte schwach. »Ein schreckliches Rätsel. Eine uralte Prophezeiung Manwyns.«

Ashe ergriff ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen. »War das alles, oder gab es noch mehr?«

Oelendra nickte erneut. Ihr Blick war auf das knisternde Feuer gerichtet, das glimmernde Funken in die kalte Nachtluft entsandte. »Wenn du versagst, wirst du nicht sterben, doch da dir im alten Land durch den Verlust der Liebe deines Lebens ein Teil deines Herzens und deiner Seele auf geistige Weise entrissen wurde, wird dasselbe wieder geschehen, aber diesmal auf körperliche Weise.« Sie zitterte noch heftiger.

»Rhapsody hat mir von deinem Gatten Pendaris erzählt«, sagte Ashe sanft. »Es tut mir sehr Leid.«

»Und der Teil, der dir entrissen wurde, wird dich alle Tage heimsuchen, bis du um deinen Tod betest«, fuhr sie fort, »denn er wird ihn als Spielzeug hernehmen und ihn nach seinem Willen beugen und ihn dazu benutzen, seine bösen Taten zu begehen und sogar Kinder für ihn hervorzubringen.«

»Gute Götter«, murmelte Ashe. »Welch eine scheußliche Voraussage. Kein Wunder, dass du Angst hattest.«

Oelendra kniff die Augen zusammen. Schließlich drehte sie sich um und sah Gwydion an.

»Hat dir dein Vater je von dieser Zukunftsschau berichtet?«

»Nein.« Er rieb sich die Arme, um sich zu wärmen, doch Oelendra erkannte an seinem Blick, dass er zu derselben Schlussfolgerung gekommen war wie sie.

»Die vollkommene Eitelkeit«, sagte sie sanft. »Ich hatte vermutet, dass ihr Fluch an mich gerichtet war, weil Llauron der einzige andere in Manwyns Tempel war, und er trug kein Schwert. Doch sie hat nicht mich mit ihrer Prophezeiung verdammt, Gwydion. Du warst gemeint. Du bist das Schwert, du bist der Kirsdarkenvar. Ich hatte weder an dich noch an sonst jemanden, sondern nur an mich gedacht.«

»Natürlich hast du nicht an mich gedacht.« Ashe lächelte schwach. »Ich war der Empfänger von Manwyns Prophezeiungen. Sie kann nicht lügen, aber sie ist nicht gezwungen, in ihren pathetischen Reden klar und deutlich zu sein. Sie ist verrückt. Eines der letzten Dinge, die mein Vater zu mir gesagt hat, bevor er ... er sagte mir, ich solle mich vor Prophezeiungen in Acht nehmen, denn sie bedeuteten nicht immer das, was sie zu sein scheinen.« Er streichelte ihren Arm. »Er hat dich also begleitet? Warum? Ich hatte immer angenommen, du wärest mit meinem Vater nicht gut zurecht gekommen, weil er im Großen Krieg Anwyns Heer anführte und du vernünftigerweise nicht in es eingetreten bist. Solche Missstimmigkeiten zwischen den älteren Cymrern, die den Krieg durchgemacht haben, sind nicht gerade selten.«

Die lirinsche Meisterkämpferin seufzte. »Nein, Gwydion. Es gab eine Zeit vor dem Krieg, in der dein Vater und ich uns recht gut verstanden haben. Er blieb mir trotz meiner Entscheidung herzlich zugetan, obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich ihm die Schrecklichkeiten, die er über unsere cymrischen Mitbürger gebracht hat, ganz vergeben kann, ob er es nun absichtlich getan hat oder nicht. Wenn du die ganze Geschichte hörst, wirst du unsere gegenwärtige Feindschaft verstehen.« Sie schaute in den sternenvollen Himmel, vor dem Wolkenfetzen dahintrieben und das Licht für eine Weile dämpften.

»Es ist viele Jahrhunderte her, seit ich die faulige Luft des F’dor im Wind zum ersten Mal gespürt habe. Ich habe zahllose Meister für die Suche nach ihm ausgebildet, doch keiner ist je zurückgekehrt. Es war mir nicht gelungen, den F’dor auf andere Weise zu finden. Ich war verzweifelt. Ich wusste, dass die Bestie immer stärker wurde. Dein Vater war einer der Wenigen, die wie ich glaubten, dass der F’dor noch lebe, sich irgendwo in einem menschlichen Wirt versteckt halte und auf den geeigneten Zeitpunkt warte. Also haben Llauron und ich gemeinsam Manwyn aufgesucht in der Hoffnung, sie könne uns sagen, wo sich der F’dor befindet, damit wir ihn endlich zur Strecke bringen.

Wir mussten die Frage auf eine bestimmte Weise stellen, da Manwyn nur in die Zukunft schauen kann, nicht aber in die Vergangenheit oder Gegenwart. Sie war sehr hilfsbereit. Sie hat uns den genauen Zeitpunkt mitgeteilt, wann er sich hier im Haus der Erinnerung aufhalten werde, um den Ableger des Baumes zu stehlen.« Sie deutete auf die blühende Eiche, deren glänzende Blätter im Schein des Feuers schimmerten.

»Manwyn sagte, wir sollten in der ersten Nacht des Sommers herkommen, wenn der Patriarch das neue Jahr in Sepulvarta einsegnen würde und die Filiden ihre Riten der Heiligen Nacht in Gwynwald abhielten. Es ist eine Nacht großer Kräfte; eine Nacht, in welcher der All-Gott seine Kinder mit seiner Liebe sicher einhüllt.« Oelendra schaute in das Feuer, als blickte sie in die Vergangenheit. »Eine Nacht, in der die Bestie verwundbar ist.

Da dein Vater der Fürbitter war, musste er bei den Filiden seines Ordens sein und ihre Riten überwachen; also musste ich ohne ihn gehen. Aber schließlich hatten wir die Informationen, die wir brauchten, um das Ungeheuer zu töten. Llauron und ich sahen uns an. Wir konnten angesichts der Bedeutung dessen, was wir erfahren hatten, nichts mehr sagen. Wir würden uns aus der Hand des Bösen befreien können.

Doch als wir gerade Manwyns Tempel verlassen wollten, spuckte sie die andere Prophezeiung aus.« Oelendras Blick verschleierte sich unter der Erinnerung. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so gefürchtet wie damals, als ich diese Worte hörte.

Zum ersten Mal in dieser Welt hatte ich Panik. Du musst wissen, Gwydion, dass ich den F’dor schon in der alten Welt bekämpft habe. Ich habe dabei alles verloren, was mir je etwas bedeutet hat, und alle, die ich geliebt habe. Mein Mann und ich wurden von ihnen gefangen genommen; sie haben ihn umgebracht. Zu mir waren sie nicht so freundlich.

Ich habe die Prophezeiung falsch verstanden. Ich dachte, das Schwert beziehe sich auf mich selbst; mir ist nie der Gedanke gekommen, es könne sich um ein anderes Schwert als die Tagessternfanfare handeln. Die Aussicht, ein Dämonenkind auszutragen ...« Oelendra verstummte und zuckte unkontrolliert.

Ashe nahm sie in die Arme und drückte sie gegen die Brust, um sie warm zu halten. »Psst«, sagte er sanft. »Denk nicht mehr daran. Es ist vorbei.«

»Es wird nie vorbei sein«, sagte Oelendra mit hohler Stimme. »Nie. Anstatt die Informationen zu nutzen, die sie mir gegeben hatte, und die einzige Gelegenheit wahrzunehmen, diese Bestie für immer zu vernichten, floh ich und versteckte mich. Ich wartete, bis die Dämmerung gekommen war, und lief ein wenig umher, um einen klaren Kopf zu bekommen und die Beschuldigungen loszuwerden, die in mir herumschwirrten. Ich konnte ihnen nicht entkommen. Als Iliachenva’ar war es meine Pflicht zu gehen, auch wenn es für mich gefährlich sein könnte. Also stählte ich meine Nerven und begab mich zum Haus der Erinnerung. Ich hoffte, dass er noch dort war, auch wenn seine Macht mit jedem Augenblick stärker wurde.

Dort fand ich dich vor, Gwydion, gebrochen und sterbend im Gras des Waldes von Navarne. Llauron hatte gesagt, er werde Verstärkung schicken, doch ich hatte keine Ahnung, dass es sich dabei um dich handelte und du allein hineingehen würdest. Meine Feigheit hat dein Leben zerstört. Es ist meine Schuld, dass du in Schmerzen leben musstest, versteckt vor deiner Familie und deinen Lieben, zwanzig Jahre lang tot in den Augen der Welt. Es ist meine Schuld, dass der Rakshas diese Kinder in die Welt gesetzt hat.« Tränen strömten aus ihren silbernen Augen.

Asche drückte sie gegen seine Schulter und versuchte etwas zu sagen, das ihr in ihrer Verzweiflung ein wenig Trost zu spenden vermochte. »Rhapsody liebt diese Kinder«, sagte er leise. »Sie haben Achmed die Waffe verschafft, die er brauchte, um den Segner zu finden. Ich hätte niemals so lange überlebt, wenn ich mich nicht versteckt und vorgegeben hätte, tot zu sein. In Anbetracht meiner Abstammung wäre ich sowieso einer der Ersten gewesen, die man getötet hätte. Mein eigener Vater hat mich gegen den Dämon ins Feld geschickt. Wieso sollte ich dich und nicht ihn hassen? Ich tue es nicht, wenn du erlaubst. Was sagt ihr Liringlas noch gleich? Ryle him. So ist das Leben. Vergib dir selbst. Glaube mir, dann sieht die Welt besser aus, das weiß ich. Es ist etwas, das Rhapsody und ich zusammen gelernt haben.«

Bei der Erwähnung ihres Namens veränderte sich sein Gesicht und verzerrte sich erneut in Angst. »Rhapsody! Vermutlich kämpft sie gerade gegen den F’dor. Gute Götter, vielleicht liegt sie im Sterben, und ich kann nichts tun, um ihr zu helfen.« Er zitterte wieder. Oelendra wischte sich die Augen. »Es ist schwierig, nicht wahr?«, meinte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es ist viel leichter, dem eigenen Tod ins Auge zu blicken, als hilflos dazusitzen, wenn jemand, den man liebt, in Lebensgefahr steckt. Ich wünschte, ich könnte losziehen, den F’dor für sie töten und sie in Sicherheit bringen. Du hast keine Vorstellung davon, wie viele Männer und Frauen ich in ihr Schicksal habe laufen sehen, Gwydion. Man könnte glauben, dass man sich nach einer gewissen Zeit daran gewöhnt, aber das ist nicht der Fall. Nicht, wenn es sich um jemanden handelt, den man liebt.«

Seine Stimme war voller Schmerz. »Wie erträgst du es?«

»Die beste Art ist, mit jemandem zu wachen, der sie ebenfalls liebt. Dann kann man die Last gemeinsam tragen.«

Ashe schaute auf. Sein Blick traf den von Oelendra. Sie nahmen sich bei der Hand, saßen gemeinsam da, warteten. Nach einer Weile erzählten sie sich gegenseitig Geschichten über Rhapsody und teilten ihre Liebe und Erinnerungen miteinander. Doch bald wurden die Sorgen übermächtig, und sie schwiegen.

Schließlich schaute Ashe in den Himmel. Die Morgendämmerung brach an; die Sterne verblassten allmählich am heller werdenden Horizont. »Gute Götter, jetzt ist es vorbei, nicht wahr?«

»Es ist vorüber.« Oelendra seufzte und hatte den Blick noch in die Dunkelheit des Himmels über ihr gerichtet.

»Es muss vorbei sein.«

Sie standen auf. Oelendra war sehr langsam und verspürte starke Schmerzen in den Knien. Ashe zog die Kapuze seines Mantels über.

»Ich gehe nach Elysian und warte.«

»Tu das«, sagte Oelendra und nahm ihr leichtes Gepäck auf. »Sie wird sich freuen, dich zu sehen. Und bitte schick eine Botschaft.«

»Das werde ich bestimmt tun.« Ein schrecklicher Gedanke überfiel ihn. »So oder so. Falls sie es nicht geschafft haben sollten...«

»Falls sie es nicht geschafft haben, werden wir uns einen Weg ausdenken, wie wir den Segner herlocken, und ihn dann hier töten.«

Ashe nickte wortlos und wandte sich ab.

»Gwydion«, sagte Oelendra, als sie am Rande der Lichtung stand, »du erinnerst mich mehr an die Könige von Serendair als an den Fürsten der Cymrer. Ich freue mich zu sehen, dass der Stern an der richtigen Stelle sitzt.«

Ashe lächelte die alte Frau an. »Vielen Dank.« Er machte einen Schritt und schaute wieder zurück. »Und ich bin froh, dass Rhapsody mich gebeten hat, sie zu dir zu begleiten. Zum Glück hat sie dich zur Freundin.«

Oelendra lächelte. »Das macht uns beide wohl zu Schwiegerfreunden.«

Ashe erwiderte ihr Lächeln und ging dann schweigend in den Wald. Oelendra kehrte zum ersterbenden Feuer zurück und trat geistesabwesend Erde über die verlöschenden Kohlen. Sie warf einen letzten Blick auf die Ruine des Hauses der Erinnerung und betrat den Wald.

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