78

Ashe kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, so stark war der Druck der Menge. Es gelang ihm, jeden anzulächeln, der ihn bei der Schulter packte, seine Hand ergriff oder ihm auf den Rücken klopfte. Er wusste, dass Rhapsody dies von ihm erwartete. Es war ausschließlich ihre mögliche Missbilligung, die ihn davon abhielt, sein Schwert zu ziehen und sich den Weg durch die ärgerlichen Esel frei zu schlagen, die ihm den Weg versperrten. Die lärmenden Stimmen und Jubelrufe bereiteten ihm Kopfschmerzen. Er konnte es nicht erwarten, endlich von hier zu fliehen und in Rhapsodys Armen zu liegen. Auf diesen Moment hatte er mehr als ein halbes Jahr gewartet. Wenn er noch einen Augenblick länger von ihr fern gehalten wurde, würde er sich nicht mehr beherrschen können.

Als er sich von einer weiteren Menschenansammlung gelöst hatte, sah er zu der Stelle, wo Rhapsody gestanden hatte. Sie war fort.

Er wirbelte herum und entfesselte seine Drachensinne, doch er erfühlte sie nicht. Er wusste sofort, dass sie nach Elysian unterwegs war, aber Kälte griff nach ihm, als Zweifel in ihm aufstiegen. Während der Zeit ihrer Trennung war Rhapsody an vielen merkwürdigen Orten gewesen und hatte gelernt, sich sogar vor ihm zu verbergen. Vielleicht ging sie gar nicht nach Elysian.

Er hatte nicht die Zeit, einer falschen Vermutung zu folgen, wie es nach Llaurons vorgeschobenem Tod der Fall gewesen war. Wenn er den richtigen Ort nicht fand, wäre sie verschwunden, bevor er sie eingeholt hätte, und das Konzil würde fortgesetzt, bevor er ihr ihre Erinnerungen zurückgegeben hatte. Das durfte nicht geschehen.

Er suchte nach Hinweisen, und zufällig fiel sein Blick auf Oelendra. Sie hatte sich von der Menge frei gemacht und ging langsam am Rand der Senke in die Nacht hinein. Er schoss auf sie zu und packte sie am Arm. Die Worte schössen ohne jede höfliche Floskeln aus ihm hervor.

Oelendra sah ihn mitleidig an. »Herzlichen Glückwunsch, mein Herr der Cymrer. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute...«

»Wo ist Rhapsody? Sag es mir, Oelendra, oder ich werde ...«

Oelendra kniff die Augen zusammen. »Oder du wirst was? Fang nicht am falschen Ende an.«

»Es tut mir Leid, Oelendra«, erwiderte Gwydion eingeschüchtert. »Mit Ausnahme einer einzigen anderen Person gibt es niemanden, dem ich so viel verdanke wie dir. Aber wenn ich noch eine Sekunde von meiner Frau fern gehalten werde...«

»Hast du sie gefragt, bevor du sie als Herrin nominiert hast?«

Gwydions Miene versteinerte. »Was willst du damit sagen?«

»Hast du dir die Mühe gemacht, sie zu fragen oder ihr gegenüber wenigstens anzudeuten, was du vorhattest?«

»Wann denn?«, fragte er ungläubig. »Ich habe sie doch seit drei Monaten nicht einmal mehr gesehen, Oelendra. Ich bin langsam verrückt geworden, während ich auf die Erlaubnis gewartet habe, mit meiner eigenen Frau zu sprechen, und sie ist mir nicht erteilt worden.«

»Vielleicht gab es einen Grund dafür.«

»Es gab zweifellos viele Gründe, aber keiner davon war wesentlich. Ich muss sie sehen, Oelendra. Ich muss sie sofort sehen, bevor etwas schief geht und Anborn oder Achmed Ansprüche auf sie erheben. Gute Götter, ich muss ihr die Wahrheit sagen. Bitte, bitte hilf mir. Ist sie in den Kessel zurückgekehrt? Oder ist sie nach Elysian gegangen?«

Oelendra sah ihm in die Augen. In ihnen lagen bereits die neue Weisheit und der Blick eines wahren Königs. Aber in den Tiefen lauerten die schreckliche Angst und Verzweiflung eines furchtsamen Ehemannes, der dabei war, seine Seele zu verlieren. Er hatte ihr Mitgefühl, aber ihre Loyalität stand zwischen ihm und der Information, die er brauchte.

Ashe wusste um ihren Zwiespalt. »Oelendra, ich kenne und bewundere deine Treue gegenüber Rhapsody, aber du musst wissen, dass ihr zu den Entscheidungen, die sie zu treffen hat, wichtige Informationen fehlen. Bitte stell dir vor, was sie von dir erwarten würde, wenn sie alle Tatsachen wüsste. Glaubst du nicht auch, dass es ihr sehr wehtun würde, wenn sie etwas unternähme, was ihren Entscheidungen aus jener Nacht vor sechs Monaten widerspricht? Was wird wohl mit ihr geschehen, wenn sie schließlich herausfindet, was wir einander versprochen haben, sich aber in der Zwischenzeit mit einem anderen verbunden hat?«

Oelendra verstand ihn. Ashe beobachtete den Widerstreit in ihren Augen und hielt den Atem an. Schließlich erkannte er, dass sie sich entschieden hatte.

»Wohin sollte sie wohl gehen, um sich zu verstecken und Trost zu finden? Wo niemand sie aufspüren kann?«

Ashe begriff. »Sie ist in Elysian.«

Oelendra lächelte. »Ich wünsche dir viel Glück.«

Als Rhapsody den Rand der Ebene durchquerte, die zum Pass in den Kessel führte, warf sie einen Blick zurück auf die flackernden Fackeln in der Ferne und bemerkte, wie eine dunkle Gestalt ein dunkles Pferd belud. Der Mann sah auf und lächelte breit. Trotz ihres Verlangens, unbemerkt aus der Senke zu entkommen, verspürte sie den Drang anzuhalten. Sie ging zu ihm hinüber und vergewisserte sich dabei, dass ihr keine Cymrer gefolgt waren. Sie hatte Glück gehabt. Nun flössen der Wein und die stärkeren Getränke aus den Destillerien Ylorcs und Canderres, und lautes, trunkenes Singen hallte durch die Senke.

Anborn hörte auf zu packen und sah sie eingehend an. »Sie wissen, wie man feiert, nicht wahr?«

»Ich vermute, das kommt von all den Jahren, in denen sie keinen Grund dazu hatten«, sagte Rhapsody. Ihre Augen funkelten in der Dunkelheit.

»Warum hast du das getan?«

»Was getan?« Er wand sich unter ihrem wissenden Blick. »Ach, das mit Gwydion? Ich habe gemeint, was ich gesagt habe. Er ist am besten zum Anführer geeignet. Die Götter wissen, dass er viel mehr Geduld für diese Art von Unsinn hat als ich. Außerdem hatte ich schon befürchtet, dass wir alle den Rest unseres Lebens in diesem verdammten Gerichtshof verbringen würden. Die Erste Flotte hätte mindestens noch hundert Jahre lang argumentiert, und ehrlich gesagt habe ich Wichtigeres zu tun.«

Rhapsody legte ihm eine Hand auf den Arm. »Warum glaube ich wohl, dass mehr dahinter steckt?«

Anborn seufzte und warf die Satteltasche über den Rücken des Pferdes. »Weil du abgesehen von deiner Neigung, dich in außerordentlich dumme Situationen zu bringen, eine sehr weise Frau bist, die klug genug ist, nicht mehr wissen zu wollen, als für sie nötig ist.« Er sah ihr in die Augen und lächelte. Sie verstand ihn.

»Du bleibst nicht bis zum Ende des Treffens?«

Anborn schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht das Oberhaupt meines Hauses, und außerdem bin ich der Meinung, dass ich hier genug getan habe, oder etwa nicht?« Sie lachten beide. Dann ergriff Anborn ihre Hände und wurde wieder ernst.

»Ich muss dich um etwas bitten um etwas, das schwieriger ist als alles, was ich je tun musste.« Seine Augen funkelten. »Du kennst meine Lebensgeschichte und weißt deshalb, wie schwer es sein wird.«

Auch Rhapsody wurde ernst. »Du kannst alles von mir erbitten. Ich werde ohne Fragen und Zögern alles für dich tun.«

»Vorsicht, meine Liebe. Ich habe dich schon vor langer Zeit gewarnt, allzu rasch Versprechen zu machen besonders jemandem gegenüber, der dich seit dem Augenblick begehrt, an dem er dich zum ersten Mal gesehen hat. Ich könnte dich hier leicht nehmen; der Boden ist weich und verhältnismäßig warm.« Blut schoss ihr ins Gesicht, und Anborn lachte. »Es tut mir Leid, Rhapsody, das war ungehörig. Was ich dir sagen will, ist dies: Ich muss dich bitten, mich von meinem Heiratsversprechen zu entbinden.«

Rhapsodys Gesicht wurde ausdruckslos, und das Blut, das ihr ins Gesicht geschossen war, verteilte sich nun durch ihren ganzen Körper. Sie wurde schwach und fühlte sich krank. »In Ordnung«, sagte sie zögernd. »Darf ich fragen, warum?«

Der große Krieger drückte ihre Hände ein wenig fester. »Aus drei Gründen. Erstens haben die Cymrer dich als ihre Herrin erwählt. Ich habe die Führerschaft abgelehnt, weil sie mich gelangweilt hätte. Wie du weißt, liebe ich nichts auf der Welt so sehr wie meine Freiheit. Als dein Mann hätte ich sie behalten können, aber wenn ich einer Rolle hätte nachkommen müssen, wäre diese Freiheit unter einem Berg von Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten erstickt worden. Das hätte ich nicht einmal deinetwegen auf mich genommen.«

Sie nickte. »Das verstehe ich«, sagte sie voller Achtung für seine Ehrlichkeit. »Und was sind die anderen Gründe?«

Anborn seufzte und schaute zu Boden. »Ich habe zwar deinen Bedingungen zugestimmt, aber es gefiele mir nicht, mit einer Frau verheiratet zu sein, die einen anderen liebt. Du hast es gut vor mir verborgen, meine Liebe. Ich bezweifle, dass es sonst noch jemand weiß. Aber mir ist es klar; es ist in deinen Augen zu sehen. Ich gebe es zwar nicht gern zu, aber ich bin ein eifersüchtiger Mann.«

Rhapsody wurde wieder rot, doch in Anborns Augen lagen nur Milde und Verständnis. Die Spannung lockerte sich, und sie lächelten einander an.

»Und der letzte Grund?«

Zuerst zögerte Anborn, doch dann sagte er: »Ich fürchte, ich kann der ersten Bedingung, die du gesetzt hast, nicht gerecht werden. Du wirst dich daran erinnern, dass du mich vor allem deshalb erwählt hast, weil ich dich nicht liebe.« Er schaute fort, und Rhapsody spürte den schmerzlichen Stich in seinen Worten.

Sie legte die Arme um ihn und umarmte ihn herzlich. »Das ist seltsam«, sagte sie leise. »Ich glaube, ich würde dieser Bedingung auf Dauer selbst nicht gerecht werden.«

Anborn lachte und erwiderte ihre Umarmung. »Das sind Worte aus deinem Munde, nach denen ein Mann glücklich sterben kann«, sagte er. Er machte sich von ihr frei und sah auf sie herunter. Die Härte seiner Gesichtszüge glättete sich kurz, und er kniete vor ihr nieder. »Du hast meine Treue als Untertan, Rhapsody. Ich schwöre sie dir als Herrin der Cymrer, als Königin der Lirin und als einfache Frau. Mein Schwert und mein Leben setze ich zu deinem Schutz und nach deinem Willen ein.«

Rhapsody begriff die Bedeutung dieses Eides. »Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte sie sanft und half ihm aufzustehen. »Vielen Dank, Anborn.«

»Wenn du erlaubst, werde ich jetzt meiner Fast-Frau einen Abschiedskuss geben und mich dann auf den Weg machen, bevor meine niederen Instinkte die Oberhand gewinnen und ich es mir anders überlege.« Rhapsody lächelte und warf sich noch einmal in seine Arme. Sie waren stark und grob, so wie er, und dennoch sanft, als sie sich um ihre Hüfte schlangen. Er drückte seine warmen Lippen auf ihre, zuerst sanft, doch dann fordernder. Sie spürte, wie ihr inneres Feuer aufloderte, sie ausfüllte und nach ihm rief. Dieses Gefühl entsetzte sie, aber sie ergab sich ihm in der traurigen Gewissheit, dass es nie befriedigt werden würde. Sie konnte weder ihn noch einen anderen Mann lieben, aber sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, mit ihm als seine Frau in tröstender Gemeinschaft zu leben. Sie würde ihn vermissen.

Der Kuss wurde noch inniger. Sie spürte, wie Anborns Herz raste. Er drückte sie enger an sich und schob sie dann von sich fort.

»Das ist keine gute Idee«, murmelte er zu sich selbst. »Es macht das Reiten unbequem. Auf Wiedersehen, meine Liebe. Du weißt, wie du mich durch den Wind rufen kannst, falls du mich jemals brauchen solltest.«

»Bedenke, dass es in beide Richtungen wirkt«, sagte sie und schenkte ihm ein herzerweichendes Lächeln. »Werde für mich nicht zum Fremden.«

Anborn lachte. »Das brauchst du nicht zu befürchten. Auf Wiedersehen. Genieße deine neue Herrscherrolle.« Er stieg auf seinen großen schwarzen Hengst. Das Pferd schnaubte und tänzelte, während er sie noch einmal anschaute.

»Ach, übrigens, Rhapsody: willkommen in der Familie.« Er blinzelte ihr verschwörerisch zu und galoppierte nach Westen. Sie schaute ihm verblüfft nach, während er langsam außer Sicht kam.

Auf der Ebene, etwa eine Meile entfernt und noch immer von der Menge in der Senke gefesselt, spürte Ashe, wie Rhapsody die Lippen gegen Anborns presste. Er stieß einen Verzweiflungsschrei aus, unter dem sich die Cymrer in seiner Nähe hastig zurückzogen und ihm Platz machten. Er rannte blindlings in die Nacht und eilte wie Rhapsody Elysian entgegen.

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