Lucy parkt den Ferrari Modena neben dem schwarzen Ferrari, einem Zwölf-Zylinder-Scaglietti, der in einer Welt voller Geschwindigkeitsbeschränkungen nie die Möglichkeit haben wird, an die Grenzen seiner Kraft zu gehen. Als sie und Rudy aus dem Modena steigen, wendet sie den Blick von der beschädigten Motorhaube des schwarzen Ferrari ab, wo unbeholfen ein riesiges Auge mit Wimpern in den wunderschön schimmernden Lack gekratzt ist.
»Das Thema ist zwar recht unangenehm«, sagt Rudy, während er zwischen den beiden Ferrari zur Tür geht, die ins Innere der Villa führt. »Aber könnte es möglich sein, dass sie es selbst getan hat?« Er deutet auf die zerkratzte Motorhaube des Scaglietti, aber Lucy schaut nach wie vor nicht hin. »Ich frage mich nämlich immer noch, ob sie die ganze Sache nicht vorgetäuscht hat.«
»Sie war es nicht«, erwidert sie.
»Das lässt sich reparieren«, erwidert Rudy und steckt die Hände in die Hosentaschen, während Lucy die Tür öffnet und die Alarmanlage deaktiviert, die mit jeder möglichen Erkennungsfunktion ausgestattet ist. Auch Kameras, im Haus und draußen, gehören dazu. Allerdings zeichnen die Kameras nicht auf. Lucy wollte nicht, dass ihr Privatleben im Haus und auf dem Grundstück auf Video gebannt wird, und Rudy kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Ihm würde es auch nicht gefallen, wenn versteckte Kameras ihn überall in seinem Haus filmen würden. Und er wohnt allein. Lucy hingegen hatte eine Mitbewohnerin, als sie beschlossen hat, dass sie das, was in ihrem Haus und auf ihrem Grundstück geschieht, lieber nicht aufnehmen möchte.
»Vielleicht sollten wir deine Kameras in Betrieb nehmen und aufzeichnen«, meint er.
»Ich verkaufe dieses Haus«, erwidert Lucy.
Er folgt ihr in die riesige, mit Granit ausgestattete Küche und sieht sich in dem eindrucksvollen Ess- und Wohnzimmer um. Durch das Fenster hat man eine malerische Aussicht auf den Meeresarm und den Ozean. Die Decke ist sechs Meter hoch und mit einem Fresko im Stil von Michelangelo bemalt, in dessen Mitte ein Kronleuchter aus Bleikristall hängt. Der Esstisch ist aus Glas, sieht aus wie aus Eis gehauen und ist das faszinierendste Möbelstück, das Rudy je untergekommen ist. Er denkt lieber gar nicht daran, wie viel Lucy für diesen Tisch und die butterweiche Ledergarnitur, die Gemälde mit afrikanischen Tiermotiven – riesige Leinwände voller Elefanten, Zebras, Giraffen und Geparden – bezahlt hat. Rudy könnte sich nicht einmal eine Lampe aus Lucys Zweitwohnsitz leisten und auch keinen der Seidenteppiche. Vermutlich würden selbst manche der Zimmerpflanzen sein Budget übersteigen.
»Ich habe es satt«, sagt sie, während er sich weiter umschaut. »Ich fliege Helikopter und weiß nicht einmal, wie man hier das Heimkino bedient. Ich hasse diese Bude.«
»Erwarte nicht, dass ich Mitleid mit dir habe.«
»Hey.« Sie unterbricht das Gespräch in einem Tonfall, der ihm vertraut ist. Sie hat genug von seinen Sticheleien.
Auf der Suche nach dem Kaffee öffnet er einen der Gefrierschränke. »Was hast du denn Essbares da?«, fragt er.
»Chili. Selbst gekocht. Gefroren, aber wir können es in der Mikrowelle auftauen.«
»Klingt prima. Kommst du später mit ins Fitness-Studio? So gegen halb sechs?«
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig«, antwortet sie.
In diesem Moment fällt ihnen die Hintertür auf, die zum Pool führt, dieselbe Tür, durch die der Eindringling, wer immer er auch sein mag, vor einer knappen Woche das Haus betreten und es wieder verlassen hat. Die Tür ist zwar verschlossen, aber etwas klebt von außen an der Glasscheibe. Lucy eilt bereits darauf zu, und bevor Rudy klar wird, was geschieht, hat sie die Tür schon aufgerissen und betrachtet das weiße Blatt Papier, das mit einem einzigen Klebestreifen daran festgemacht ist.
»Was ist das?«, fragt Rudy, schließt den Gefrierschrank und starrt sie an. »Was zum Teufel ist das?«
»Wieder ein Auge«, sagt Lucy. »Eine Zeichnung von demselben Auge. Mit Bleistift. Und du hattest Henri in Verdacht. Sie ist mehr als fünfzehnhundert Kilometer weit weg von hier, und du hast gedacht, dass sie es war. Tja, jetzt hast du die Antwort. Er will mir mitteilen, dass er mich beobachtet«, fügt sie zornig hinzu und tritt nach draußen, um sich die Zeichnung von dem Auge besser anzuschauen.
»Nicht anfassen!«, ruft er.
»Hältst du mich für blöd, oder was?«, schreit sie zurück.