Mrs. Paulsson legte die Schlüssel an den üblichen Platz auf dem Tisch unter der Garderobe. Sonnenstrahlen strömten durch das Oberlicht über der Tür und erleuchteten den dunkel getäfelten Flur. Als sie ihren Mantel auszog und aufhängte, schwebten weiße Staubflöckchen in den hellen Lichtstrahlen.
»Ich habe immer wieder Gilly-Honey gerufen«, erzählt sie Scarpetta. »Ich bin zu Hause. Ist Sweetie bei dir? Wo ist Sweetie? Du weißt doch, dass Sweetie sich daran gewöhnen wird, wenn du sie mit ins Bett nimmst. Bestimmt hast du es wieder getan. Und so ein kleiner Basset kann wegen seiner kurzen Beinchen doch nicht allein aus dem Bett springen.«
Sie ging in die Küche und legte einige Plastiktüten auf dem Tisch ab. Da sie schon einmal unterwegs war, war sie noch in den Supermarkt gegangen, damit sich die Fahrt ins Einkaufszentrum in der West Cary Street auch lohnte. Sie nahm zwei Dosen Hühnerbrühe aus einer der Tüten und stellte sie neben den Herd. Dann öffnete sie den Gefrierschrank, holte ein Päckchen Hähnchenkeulen heraus und legte es zum Auftauen in die Spüle. Es war still im Haus. Sie hörte das monotone Ticken der Wanduhr in der Küche, das sie normalerweise nie wahrnahm, weil sie viel zu beschäftigt war.
Aus einer Schublade kramte sie einen Löffel und nahm dann ein Glas aus dem Schrank. Nachdem sie das Glas mit Wasser gefüllt hatte, trug sie es, zusammen mit dem Löffel und einer neuen Flasche Hustensaft, den Flur entlang zu Gillys Zimmer.
»Als ich zu ihrem Zimmer kam«, erzählt sie Scarpetta, »rief ich: Gilly? Was, um Himmels willen, machst du da? Denn ich sah … Es ergab für mich keinen Sinn. Gilly? Wo ist dein Pyjama? Ist dir so heiß? O Gott, wo ist das Thermometer? Ist dein Fieber etwa wieder gestiegen?«
Gilly lag auf dem Bett, bäuchlings, der schlanke Rücken, der Po und die Beine nackt. Das seidige goldene Haar auf den Kissen ausgebreitet. Die Arme gerade über den Kopf gestreckt. Die Beine angezogen wie bei einem Frosch.
O Gott. O Gott. Mrs. Paulssons Hände begannen plötzlich heftig zu zittern.
Die Steppdecke, das Laken und die Wolldecke waren weggezogen, hingen vom Matratzenende und bildeten ein Häufchen auf dem Boden. Sweetie lag nicht auf dem Bett, ein Umstand, der sich in ihr Gedächtnis eingegraben hat. Sweetie war auch nicht unter der Decke, weil sich auf dem Bett gar keine mehr befand. Die Decken waren alle auf dem Boden. Sie konnte nicht weiter denken als bis zu Sweetie, und sie war kaum überrascht, ja, bemerkte es fast gar nicht, als die Hustensaftflasche, das Wasserglas und der Löffel herunterfielen. Sie hatte gar nicht registriert, dass sie sie losgelassen hatte. Und plötzlich prallten sie auf den Boden. Flüssigkeit spritzte, als sie hin und her rollten und sich das Wasser auf den alten Holzdielen verteilte. Sie schrie, und ihre Hände schienen nicht ihr zu gehören, als sie Gilly bei den warmen Schultern packte und sie schüttelte, sie herumdrehte, sie wieder schüttelte und dabei immer weiterschrie.