Edgar Allan Pogue räkelt sich im Liegestuhl und starrt auf seine nackten Zehen. Schmunzelnd überlegt er, wie die Leute wohl reagieren werden, falls sie herausfinden, dass er nun in Hollywood wohnt. Er, Edgar Allan Pogue, hat hier einen Zweitwohnsitz, wo er die Sonne genießen, sich amüsieren und ungestört bleiben kann.
Niemand wird ihn fragen, welches Hollywood er meint. Bei diesem Wort denken alle nur an den großen weißen Schriftzug »Hollywood« in den Hügeln, von Mauern geschützte Villen, offene Sportwagen und die Schönen und Reichen, die Götter. Kein Mensch würde jemals vermuten, dass Edgar Allan Pogues Hollywood in Broward County, etwa eine Autostunde nördlich von Miami, liegt und kein Tummelplatz der Reichen und Berühmten ist. Er wird es seinem Arzt erzählen, denkt er und spürt leichte Schmerzen. Ja, sein Arzt wird der Erste sein, der es erfährt, und dann wird ihm beim nächsten Mal nicht der Grippe-Impfstoff ausgehen, denkt Pogue, diesmal mit einem Anflug von Furcht. Kein Arzt der Welt würde einem Patienten mit Wohnsitz in Hollywood die Grippe-Schutzimpfung verweigern, ganz gleich, wie knapp der Impfstoff auch sein mag, sagt sich Pogue, nun ein wenig erbost.
»Siehst du, liebe Mutter, wir sind hier. Wir haben es tatsächlich geschafft. Es ist kein Traum«, sagt Pogue in der verwaschenen Sprechweise eines Menschen, der einen Gegenstand im Mund hat, welcher die Bewegungen seiner Lippen und der Zunge hemmt.
Seine ebenmäßigen gebleichten Zähne schließen sich fester um den hölzernen Bleistift.
»Und du hast gedacht, dieser Tag würde niemals kommen«, fährt er trotz Bleistift fort, sodass ein Speicheltropfen über seine Unterlippe tritt und das Kinn hinabrinnt.
Aus dir wird nie etwas werden, Edgar Allan, Versager, Versager, Versager. Er spricht mit dem Bleistift im Mund und ahmt den tückischen Tonfall und das betrunkene Lallen seiner Mutter nach. Du bist eine Flasche, Edgar Allan, genau das bist du. Verlierer, Verlierer, Verlierer.
Sein Liegestuhl steht mitten in dem stickigen, übel riechenden Wohnzimmer seiner Zwei-Zimmer-Wohnung im ersten Stockwerk des Häuserblocks, der an der Garfield Street liegt. Die Straße ist nach einem amerikanischen Präsidenten benannt und verläuft in ostwestlicher Richtung parallel zum Hollywood Boulevard und zur Sheridan Avenue. Der blassgelb verputzte einstöckige Komplex trägt aus unbekannten Gründen den Namen Garfield Court. Es gibt hier keinen Garten, nicht einmal einen einzigen Grashalm, nur einen Parkplatz und drei schwindsüchtige Palmen mit zotteligen Wedeln, die Pogue an die rissigen Flügel der Schmetterlinge erinnern, die er als Kind auf Pappe gespießt hat.
Nicht genug Saft im Stamm. Das ist dein Problem.
»Hör auf, Mutter. Hör sofort auf. Du sollst so was nicht sagen.«
Als Pogue vor zwei Wochen seinen Zweitwohnsitz mietete, hat er nicht um den Preis verhandelt, obwohl neunhundertfünfzig Dollar im Vergleich dazu, was er in Richmond für dieses Geld kriegen würde, der reinste Wucher ist. Allerdings zahlt er in Richmond keine Miete. Doch es ist nicht einfach, hier in dieser Gegend eine passende Wohnung zu finden, und als er nach einer sechzehnstündigen Fahrt endlich in Broward County ankam, wusste er nicht, wo er zu suchen anfangen sollte. Erschöpft, aber aufgedreht, war er herumgefahren, um sich zu orientieren und nach einer Unterkunft Ausschau zu halten. Er hatte keine Lust, sich mit einem Motelzimmer zu begnügen, nicht einmal für eine Nacht. Sein alter weißer Buick war mit seinen Habseligkeiten voll gepackt, und er wollte nicht das Risiko eingehen, dass irgendein jugendlicher Rotzlöffel die Wagenfenster einschlug, um seinen Videorecorder und den Fernseher zu stehlen – ganz zu schweigen von seinen Klamotten, seinen Kosmetiksachen, dem Laptop, der Perücke, dem Liegestuhl, der Lampe, der Bettwäsche, den Büchern, dem Papier, den Stiften, den Flaschen roten, weißen und blauen Lacks zum Nachlackieren seines heiß geliebten Kinder-Baseballschlägers und einiger anderer lebenswichtiger Dinge, einschließlich der alten Freunde.
»Es war schrecklich, Mutter«, erzählt er die Geschichte noch einmal, um sie von ihrem betrunkenen Genörgel abzuhalten. »Bestimmte Umstände erforderten, dass ich unser reizendes kleines Südstaatenstädtchen sofort verließ, wenn auch nicht für immer, ganz gewiss nicht. Nun habe ich einen Zweitwohnsitz und werde natürlich zwischen Hollywood und Richmond hin- und herpendeln. Wir beide haben doch schon immer von Hollywood geträumt, wohin wir uns wie Siedler im Planwagentreck auf den Weg machen wollten, um unser Glück zu finden.«
Sein Trick funktioniert. Er hat es geschafft, ihre Aufmerksamkeit auf die Reise durch eine malerische Landschaft zu schicken, sodass ihm eine erneute Tirade über sein Versagen erspart bleibt.
»Allerdings fühlte ich mich nicht sehr wohl, als ich an der North Twenty-Fourth Street abfuhr und in einem gottverlassenen Slum namens Liberia landete, wo es einen Eiswagen gab.«
Er spricht mit dem Bleistift im Mund, als wäre es eine Trense. Der Stift ist sein Tabakersatz, weil das Rauchen nicht nur ungesund und eine schlechte Angewohnheit, sondern außerdem auch ziemlich teuer ist. Pogue hat eine Schwäche für Zigarren. Obwohl er sich sonst nur wenig gönnt, muss er seine Indios und Cubitas und A Fuentes und vor allem die Cohibas, die sagenumwobene Schmuggelware aus Kuba, haben. Er ist fasziniert von Cohibas und weiß, wo man sie bekommen kann. Es ist ein Riesenunterschied, wenn kubanischer Rauch seine gequälte Lunge liebkost. Mit unreinem Kraut ruiniert man sich die Lunge, doch der reine Tabak aus Kuba hat eine heilende Wirkung.
»Ist das zu fassen? Ein Eiswagen, der seine süße, unschuldige Melodie dudelte, und viele Negerkinder, die mit Kleingeld angelaufen kamen, um sich etwas Süßes zu kaufen. Und dabei waren wir mitten im einem Ghetto, einem Kriegsgebiet, und die Sonne war bereits untergegangen. Ich wette, dass in Liberia nachts viel geschossen wird. Natürlich habe ich mich sofort aus dem Staub gemacht und bin schließlich in einem besseren Viertel gelandet. Ich habe dich sicher und wohlbehalten nach Hollywood gebracht, richtig, Mutter?«
Zufällig befand er sich auf der Garfield Street und fuhr langsam an den winzigen eingeschossigen, verputzten Häuschen mit ihren schmiedeeisernen Geländern, den Jalousien vor den Fenstern, den Autostellplätzen und den Miniaturrasenflächen vorbei, die beim besten Willen keinen Platz für einen Swimming-Pool boten. Es waren reizende kleine Behausungen, vermutlich in den Fünfzigern und Sechzigern erbaut. Sie sprachen ihn an, weil sie Jahrzehnte voller zerstörerischer Hurrikans und umwälzender demographischer Veränderungen überstanden hatten, ebenso wie gnadenlose Erhöhungen der Grundsteuer, die die alten Besitzer vertrieben hatten. Diese waren von Neuankömmlingen ersetzt worden, die vermutlich kein Englisch sprachen und sich auch keine Mühe gaben, es zu lernen. Und dennoch hatte das Viertel überlebt. Und während ihm all diese Gedanken im Kopf herumgingen, erschien plötzlich der Wohnblock vor seiner Windschutzscheibe wie eine Vision.
Vor dem Haus steht ein Schild mit der Aufschrift GAR-FIELD COURT und einer Telefonnummer. Pogues Reaktion auf die Vision bestand darin, dass er auf den Parkplatz einbog, sich die Nummer notierte, anschließend zur nächsten Tankstelle fuhr und dort den Münzfernsprecher benutzte. Ja, es sei eine Wohnung frei. Und keine Stunde später hatte er seine erste und hoffentlich letzte Begegnung mit Benjamin P. Shupe, dem Vermieter.
Das geht nicht, das geht nicht, lautete Shupes ständige Litanei, als er Pogue in seinem Erdgeschossbüro am Schreibtisch gegenübersaß. Das Büro war heiß und stickig und außerdem von dem übermächtigen Geruch von Shupes schauderhaftem Herrenparfüm verpestet. Wenn Sie eine Klimaanlage wollen, müssen Sie sich selbst ein Gerät fürs Fenster kaufen. Das ist Ihre Sache. Doch wir haben jetzt die schönste Zeit im Jahr, Touristensaison. Wer braucht denn da eine Klimaanlage?
Benjamin P. Shupe bleckte sein weißes Gebiss, das Pogue an Badezimmerkacheln erinnerte. Der mit Gold behängte Miethai klopfte mit einem pummeligen Zeigefinger auf die Tischplatte und ließ einen dicken Diamantring aufblitzen. Sie haben Glück. Die ganze Welt will um diese Jahreszeit hier wohnen. Ich habe eine Warteliste von zehn Interessenten allein für diese Wohnung. Shupe, der Slumkönig, machte eine Geste, die den Zweck hatte, seine goldene Rolex so gut wie möglich zur Geltung zu bringen. Er ahnte nicht, dass Pogues dunkel getönte Brille nur aus Fensterglas besteht und dass es sich bei seiner langen schwarzen Lockenmähne um eine Perücke handelt. In zwei Tagen werden es zwanzig Interessenten sein. Eigentlich sollte ich Ihnen die Wohnung zu diesem Preis gar nicht überlassen.
Pogue bezahlte bar. Keine Kaution oder andere Sicherheiten wurden verlangt, keine Fragen gestellt, und kein Nachweis seiner Identität war erforderlich, ja, nicht einmal erwünscht. In drei Wochen wird er wieder in bar für den Monat Januar bezahlen müssen, falls er die Absicht haben sollte, seinen Zweitwohnsitz während der Hochsaison in Hollywood zu behalten. Allerdings ist es noch ein bisschen früh für ihn, um zu wissen, was er nach Neujahr vorhat.
»Es gibt Arbeit, viel Arbeit«, murmelt er, während er die Fachzeitschrift für Bestattungsunternehmer durchblättert und eine Seite aufschlägt, auf der Urnen und Erinnerungsstücke abgebildet sind. Er studiert die bunten Bilder, die er schon in- und auswendig kennt. Seine Lieblingsurne ist und bleibt die Zinnschatulle, die wie ein Stapel schöner Bücher geformt ist. Obenauf liegt ein Federkiel, und er malt sich aus, dass es sich bei den Büchern um alte Bände von Edgar Allan Poe handelt. Er fragt sich, wie viel Hunderte von Dollar diese elegante Zinnschatulle wohl kosten würde, wenn er die gebührenfreie Nummer anruft.
»Ich sollte einfach anrufen und bestellen«, meint er vergnügt. »Ich sollte es einfach tun, oder, Mutter?« Er neckt sie, als hätte er ein Telefon, sodass er sein Vorhaben gleich in die Tat umsetzen könnte. »Oh, die würde dir gefallen, stimmt’s?« Er berührt die Abbildung der Urne. »Edgar Allans Urne wäre doch was für dich, nicht wahr? Aber erst wenn es was zu feiern gibt, und im Moment läuft es mit der Arbeit nicht so wie geplant, Mutter. O ja, du hast mich sehr wohl verstanden. Ein kleiner Rückschlag, wie ich fürchte.«
Ein Versager, das bist du.
»Nein, Mutter, damit hat es überhaupt nichts zu tun.« Kopfschüttelnd blättert er weiter die Zeitschrift durch. »Jetzt fangen wir nicht wieder damit an. Wir sind in Hollywood. Ist es nicht hübsch hier?«
Er denkt an die lachsfarbene Villa am Wasser, nicht sehr weit nördlich von hier, und wird von verwirrenden Gefühlen ergriffen. Wie geplant hat er die Villa gefunden. Wie geplant ist er dort eingedrungen. Aber dann lief alles schief, und jetzt gibt es nichts zu feiern.
»Falsch gedacht, falsch gedacht.« Er schnippt sich mit zwei Fingern gegen die Stirn, wie seine Mutter es früher getan hat. »So hätte es nicht laufen dürfen. Was soll ich tun, was soll ich tun? Der kleine Fisch ist entkommen.« Er vollführt Schwimmbewegungen mit den Fingern. »Und hat den großen Fisch zurückgelassen.« Er schwimmt mit beiden Armen durch die Luft. »Der kleine Fisch ist weggefahren, und ich weiß nicht, wohin. Aber das ist mir egal, absolut egal. Denn der große Fisch ist noch da, und ich habe den kleinen Fisch vertrieben. Ganz bestimmt ist der große Fisch nicht glücklich darüber. Ganz bestimmt nicht. Bald wird es was zu feiern geben.«
Entkommen? Wie doof kann ein Mensch denn sein? Du hast den kleinen Fisch nicht gefangen und glaubst, du könntest den großen kriegen? Was bist du nur für ein Versager! Und so was ist mein Sohn!
»Red nicht so daher, Mutter. Das ist unhöflich«, sagt er, den Kopf über die Fachzeitschrift für Bestattungsunternehmer gebeugt.
Sie fixiert ihn mit einem Blick, mit dem man ein Schild an einen Baum nageln könnte. Sein Vater kannte ihren berüchtigten Blick immer: Haare auf den Augäpfeln. Aber Augäpfel haben keine Haare. Nicht soweit er im Bilde ist, und er müsste es eigentlich wissen. Es gibt nicht viel, was er nicht weiß. Er lässt die Zeitschrift zu Boden fallen, erhebt sich aus dem gelbweißen Liegestuhl und holt seinen Kinder-Baseballschläger aus der Ecke, wo er ihn hingestellt hat. Die geschlossene Jalousie vor dem einzigen Fenster sperrt das Sonnenlicht aus dem Wohnzimmer aus und taucht den Raum in einen angenehmen Dämmerschein, kaum erhellt durch die einsame Lampe auf dem Boden.
»Sehen wir mal. Was machen wir heute?«, fährt er, immer noch den Bleistift im Mund, fort. Er spricht mit einer Keksdose, die unter dem Liegestuhl steht. Dann überprüft er am Baseballschläger die roten, weißen und blauen Sterne und Streifen, die er nachgemalt hat, und zwar, wenn er nachzählt, genau einhundertelfmal. Liebevoll poliert er den Baseballschläger mit einem weißen Taschentuch. Dann reibt er sich die Hände mit dem Taschentuch ab. Wieder und wieder. »Heute sollten wir etwas ganz Besonderes unternehmen. Ich glaube, ein Ausflug ist angesagt.«
Er schlendert zur Wand, nimmt den Bleistift aus dem Mund und hält ihn in einer Hand. Den Baseballschläger hat er in der anderen, als er mit zur Seite geneigtem Kopf die ersten Striche einer Skizze auf dem schmuddeligen, beige gestrichenen Rigips betrachtet. Sanft berührt er mit der stumpfen Bleistiftspitze ein starrendes Auge und strichelt die Wimpern dicker. Der Stift ist feucht und steckt zwischen den Spitzen von Zeigefinger und Daumen, während er zeichnet.
»So.« Er tritt zurück, neigt wieder den Kopf und bewundert das große starrende Auge und den Schwung einer Wange. Der Baseballschläger zuckt in seiner anderen Hand.
»Habe ich dir schon gesagt, wie hübsch du heute aussiehst? So eine schöne Farbe wirst du bald an den Wangen haben, ganz erhitzt und rosig, als wärst du draußen in der Sonne gewesen.«
Er steckt sich den Bleistift hinters Ohr, hält sich die Hand nah vors Gesicht und dreht sie mit gespreizten Fingern hin und her, um jedes Gelenk, jede Falte, jede Narbe und Linie und die zarten Rillen in seinen kleinen, abgerundeten Nägeln zu mustern. Er massiert die Luft und sieht dem Spiel der feinen Muskeln zu, während er sich vorstellt, wie er kalte Haut reibt, kaltes, träges Blut aus dem Unterhautgewebe herausknetet und das Fleisch bearbeitet, bis er den Tod vertrieben hat und ein hübscher rosiger Schimmer entsteht. Der Baseballschläger zuckt in seiner anderen Hand, und er malt sich aus, wie er ihn schwingt. Er vermisst es, kalkigen Staub zwischen den Handflächen zu reiben und mit dem Baseballschläger auszuholen, und er bebt vor Begierde, ihn in das Auge an der Wand zu rammen. Aber er tut es nicht. Er kann nicht und er darf nicht, und als er hin und her geht, rast das Herz in seiner Brust. Das Durcheinander erfüllt ihn mit ohnmächtiger Wut.
Das Durcheinander existiert, obwohl die Wohnung leer ist. Die Arbeitsfläche in der Küche ist mit Papierservietten, Plastiktellern, Konservendosen und Tüten mit Makkaroni und Spaghetti bedeckt, weil Pogue sich noch nicht die Mühe gemacht hat, die Sachen in dem einzigen Küchenschrank zu verstauen. Ein Topf und eine Bratpfanne sind in einem mit kaltem, fettigem Wasser gefüllten Spülbecken eingeweicht. Auf dem fleckigen blauen Teppich liegen Reisetaschen, Kleidungsstücke, Bücher, Bleistifte und Papier herum. In Pogues Zweitwohnsitz macht sich allmählich der abgestandene Geruch nach seinen Kochkünsten, den Zigarren und seinem muffigen Schweiß breit. Es ist sehr warm hier drin, und er ist nackt.
»Ich glaube, wir sollten nach Mrs. Arnette sehen. Schließlich geht es ihr nicht gut«, sagt er zu seiner Mutter, ohne sie anzuschauen. »Hättest du heute gern Besuch? Ich frage dich lieber vorher. Doch es würde uns beide sicher aufheitern. Ich bin ein bisschen niedergeschlagen, wie ich zugeben muss.« Er denkt an den kleinen Fisch, der entkommen ist, und betrachtet das Durcheinander ringsum. »Besuch wäre da doch genau das Richtige, was meinst du?«
Das wäre schön.
»Ach, wäre es das?« Seine Baritonstimme hebt und senkt sich, als spräche er mit einem Kind oder einem Haustier. »Hättest du gern Besuch? Also gut! Das ist ja fabelhaft!«
Seine nackten Füße tappen über den Teppich. Dann geht er vor einem Pappkarton voller Videobänder, Zigarrenkisten und Umschlägen mit Fotos in die Hocke, die alle seine kleine ordentliche Handschrift tragen. Fast ganz unten im Karton findet er Mrs. Arnettes Zigarrenkiste und den Umschlag mit den Polaroid-Fotos.
»Mutter, Mrs. Arnette ist da, um dich zu besuchen«, sagt er mit einem zufriedenen Seufzer, während er die Zigarrenkiste öffnet und sie auf den Liegestuhl stellt. Er schaut die Fotos durch und greift nach dem, das ihm am besten gefällt. »Du erinnerst dich doch noch an sie, oder? Ihr seid euch schon einmal begegnet. Eine alte Dame, wie sie im Buche steht. Schau, sie hat sogar bläulich getönte Haare.«
Ja, das hat sie wirklich.
»Jadashassiewillich«, ahmt er die schleppende Sprache und das schwerzüngige Lallen nach, mit dem sie sich durch die Wörter kämpft, wenn sie wieder einmal viel zu tief in die Wodkaflasche geschaut hat.
»Gefällt dir ihre neue Schachtel?«, fragt er, während er den Finger in die Zigarrenkiste steckt und ein Wölkchen Staub in die Luft pustet. »Jetzt sei nicht neidisch, aber sie hat abgenommen, seit du sie zuletzt gesehen hast. Ich frage mich, wie sie das bloß anstellt«, neckt er, steckt wieder den Finger hinein und pustet noch mehr Staub in die Luft, damit seine abstoßend fette Mutter es auch sehen kann und neidisch wird. Dann wischt er sich die Finger mit dem weißen Taschentuch ab. »Ich glaube, unsere liebe Freundin Mrs. Arnette sieht wirklich absolut hinreißend aus.«
Er mustert das Foto von Mrs. Arnette, deren Haar das rosige tote Gesicht umgibt wie eine bläuliche Aura. Dass ihr Mund zugenäht ist, weiß er nur deshalb, weil er sich daran erinnert, es selbst getan zu haben. Ansonsten ist sein fachkundiger chirurgischer Eingriff kaum zu erkennen. Ein Außenstehender würde nie vermuten, dass die runde Form ihrer Augen durch die Kappen unter ihren Lidern zustande kommt. Er weiß noch, wie er die Kappen sanft auf die eingesunkenen Augäpfel gelegt und sie mit Vaselineklecksen befestigt hat.
»Und jetzt sei nett und frag Mrs. Arnette, wie sie sich fühlt«, sagt er zu der Keksdose unter dem Liegestuhl. »Sie hatte Krebs. Das hatten so viele von ihnen.«