Aufregungen

Morgen schlüpfen die Küken des Wasserhuhns aus«, verbündete Kamo. »Morgen ist der einundzwanzigste Tag.«

»Vielleicht ist nichts draus geworden«, zweifelte Armjon nachdenklich. »Sicher ist es bei ihnen anders als bei unseren zahmen Hühnern.«

»Wieso soll es anders sein?« wollte Kamo wissen. »Asmik, hast du schon mal die Eier eines Wasserhuhns ausbrüten lassen?«

»Nein«, Asmik schüttelte den Kopf.

»Wißt ihr, wodurch sie sich unterscheiden?« wiederholte Armjon seine Zweifel. »Ich will's euch sagen: Die Wasserhühner gehören nach der in der Wissenschaft bekannten Einordnung der Vögel zur fünften Klasse, zur Familie der Kranichvögel.«

»Oho, du gelehrtes Haus! Du bist ja ein richtiger Vogelzüchter geworden«, lachte Kamo.

»Versteht sich, wenn man eine Vogelfarm gründen will. Ich hab' mir die Bücher geholt, in denen darüber geschrieben ist... Ich weiß nicht, wann die Küken des Wasserhuhns ausschlüpfen. Selbst in ,Brehms Tierleben' steht nichts davon.«

Die folgende Nacht verbrachten die Kinder in großer Aufregung. Kamo konnte gar nicht einschlafen. Mitten in der Nacht zog er sich an und ging zum Stall. Grikor schlief auch noch nicht.

»Na, ist es schon soweit?« fragte Kamo.

»Nein, ich habe eben erst nachgesehen.«

Am nächsten Morgen waren Asmik, Kamo und Armjon schon in aller Frühe im Stall.

Noch hatte sich in keinem Ei etwas gerührt!

Aber Grikor steckte wieder voller Geschichten.

»In der Nacht hab' ich wieder zugehört, wie die Hühner sich unterhalten haben. Sie lockten zärtlich ihre Küken: ,Heraus mit euch, ihr Küchlein, der einundzwanzigste Tag ist gekommen. Es ist Zeit, macht, daß ihr aus den Eiern kommt. ' Und aus den Eiern piepste es: ,Wer seid ihr denn? Wir kennen die Stimmen unserer Mütter, eure Stimmen klingen fremd.'«

Den Kindern war aber nicht zum Scherzen zumute.

»Kannst du nie ernst sein«, tadelte Kamo. »Wie können wir nur rauskriegen, am wievielten Tag die Küken des Wasserhuhns ausschlüpfen?«

Die Kinder beratschlagten und beschlossen, den Bezirksagronomen telefonisch zu befragen. Er wunderte sich zwar ein wenig, riet ihnen aber, den Vogelzüchter des Bezirks anzurufen — aber auch der wußte es nicht.

So verbrachten die Kinder einen weiteren Tag in großer Aufregung In den Eiern aber rührte sich noch immer nichts. Dabei verging auch Grikor das Spaßmachen.

»Ich hab' euch ja gleich gesagt«, warf er den Kameraden vor, »daß nichts als Rührei bei der Brüterei rauskommen wird! Wir hätten die Eier kochen und aufessen sollen. So sind sie für nichts und wieder nichts verdorben.«

Grikor nahm eines der Eier in die Hand, hielt es ans Ohr und schüttelte es.

»Du machst ja das Küken kaputt!« schrie Asmik entsetzt. »Man darf nicht so stark schütteln. Gib es mir!«

Asmik nahm Grikor das Ei weg und hielt es gegen das Licht. »Seht mal, es ist ein Küken drin... Ganz deutlich ist es zu sehen!«

»Horch doch mal, ob es atmet, ob das Herz schlägt«, riet Grikor.

»Legt das Ei schnell wieder zurück, sonst kühlt es ab! « warnte Armjon.

Nochmals brach eine unruhige Nacht für die Kinder an, sie schien kein Ende zu nehmen.

Beim ersten Morgengrauen war die ganze Gesellschaft schon im Stall versammelt. Behutsam wurden die Glucken hochgehoben und die Eier betrachtet, und auch die in den Brutöfen wurden genau untersucht. Noch immer hatte kein einziges Küken die schützende Hülle durchstoßen. Und es war schon der dreiundzwanzigste Tag...

Die Kinder waren so bekümmert und so enttäuscht, daß sie in der Schule kaum etwas von dem begriffen, was der Lehrer sagte. Warum bleiben nur die Küken so lange aus? — war während des ganzen Unterrichts ihr einziger Gedanke.

Am Nachmittag liefen sie gleich zum Stall, Asmiks Mutter und Grikor waren schon dort.

Grikor hatte ein Messer in der Hand und mühte sich, einen großen Holzklotz auszuhöhlen. Er mußte in die Schule und beeilte sich, mit seiner Arbeit fertig zu werden.

»Was machst du denn da?« erkundigte sich Kamo, aber ohne eine Antwort abzuwarten, stellte er bereits die nächste Frage: »Sind die Küken ausgeschlüpft?«

»Was ich hier mache? Einen Wasserbehälter für die Küken — eine Badewanne! Ihr fragt immer dasselbe: ,Sind die Küken noch nicht da? — Sind sie noch nicht ausgeschlüpft?' Was seid ihr so ungeduldig? Sie werden schon kommen. Sie haben es nicht so eilig, sie warten, bis ich mit ihrer Badewanne fertig bin, sie wollen doch sicher gleich ins Wasser.«

»Es können doch nicht alle Eier verdorben sein«, jammerte Kamo ganz niedergeschlagen. Er war der aufgeregteste und ungeduldigste von allen Asmiks Mutter, die mit einer Handarbeit auf einem Stuhl neben einem der Brutöfen saß, versuchte die Kinder zu beruhigen.

»Wenn man sagt, daß eine Glucke einundzwanzig Tage auf den Eiern sitzt, so bedeutet das nicht, daß sich die Küken auf den Tag genau einstellen müssen. Ich habe einmal Eier von Rassehühnern vom Sowjetgut mitgebracht, aus denen sind die Küken erst nach dreiundzwanzig Tagen geschlüpft. Der Geflügelzüchter hatte mir gesagt, daß es bei Rassehühnern länger dauert als bei den gewöhnlichen Sorten.«

»Und sind die Wasserhühner etwa keine Rassehühner?« mischte sich Grikor ein. »Ich schwöre es bei ihren kahlen Köpfen, es sind Rassehühner!«

»Vielleicht sitzen die Glucken nicht richtig und die Eier sind kalt geworden?« sorgte sich Asmik. »Vielleicht ist die Temperatur in den Brutöfen falsch?«

»Das kommt auch manchmal vor«, bestätigte Anaid. »Wenn die Glucke oft aufsteht, um zu fressen, können die Eier kalt werden. «

»Wir füttern sie sicher zu oft — daran kann es liegen«, rief Asmik erregt. »Natürlich sind die Eier kalt geworden, und alle Küken sind tot!«

»Laß gut sein, Asmik«, tröstete Armjon. »In dem Buch über Geflügelzucht, das ich gelesen habe, heißt es, daß selbst, wenn die Glucke das Nest oft verläßt und die Eier ein bißchen abkühlen, die Küken dabei nicht gleich umkommen: aber ihre Entwicklung verzögert sich. In dem Buch wird auch gesagt, daß zu große Wärme schädlich ist.«

»Ja, natürlich, bei zweiundvierzig Grad Wärme gerinnt das Eiweiß«, brachte Kamo sein Wissen an. »Wir haben doch die Temperatur in den Brutöfen nicht zu stark hochgetrieben?«

»Nein, sie hat neununddreißig Grad nie überstiegen, dafür bürge ich«, erwiderte Armjon.

»Ihr macht euch ja ganz verrückt«, unterbrach sie Grikor und hielt im Schnitzen inne. »Glaubt mir, die Küken horchen der-weilen in ihren Schalen auf mein Klopfen und flüstern sich zu: ,Unsere Badewanne ist noch nicht fertig, warum sollen wir uns beeilen?«

»,Ja, wirklich«, besann sich Kamo, »worin sollen unsere Küken in den ersten Tagen baden? Auf — nach Hause! Jeder soll das herbringen, was er entbehren kann: Tröge, Schalen, Schüsseln.«

»Recht so, Kamo!« pflichtete ihm Anaid bei. »Sobald die jungen Entlein und Gänslein aus dem Ei kriechen, drängen sie gleich zum Wasser. Holt also Gefäße herbei.«

In Kürze waren im Stall eine Unzahl Futtertröge, Schalen, verbeulte Schüsseln und Wannen aufgestellt und mit Wasser

gefüllt. Auch Grikor hatte inzwischen seine Badewanne fertiggeschnitzt.

»So, jetzt können sie ausschlüpfen«, erklärte er befriedigt. »Bitte schön, meine Lieben, ihr seid herzlich willkommen!«

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