Der Kolchosvorsitzende

Noch am gleichen Abend ging Kamo zur Kolchosverwaltung.

Der Vorsitzende, Bagrat, und der Lehrer, Aram Michailo-witsch, saßen am Tisch und unterhielten sich halblaut.

Unschlüssig blieb Kamo an der Türschwelle stehen.

Als sie den Knaben erblickten, sahen sich Bagrat und Aram Michailowitsch vielsagend an und standen auf.

»Du bist schon gekommen, Kamo? Das ist gut. Setze dem Vorsitzenden deine Wünsche auseinander. Meine Meinung habe ich ihm bereits gesagt.« Und Aram Michailowitsch verabschiedete sich mit einem festen Händedruck von dem Kolchosvorsitzenden und verließ das Zimmer.

Bagrat war ein untersetzter, stämmig gebauter Mann. Er machte einen ernsten, etwas verschlossenen Eindruck. Kamo sah sich die lange Reihe der Ordensbändchen an der Brust des Vorsitzenden neugierig an. Bagrat hatte sie für die Tapferkeit, mit der er die sowjetische Heimat verteidigt hatte, bekommen. Jetzt blickten seine dunklen Augen unter den dichten schwarzen Brauen streng auf den vor ihm stehenden Jungen.

Nachdem er sich Kamos Plan angehört hatte, sagte er:

»Nun, nehmen wir einmal an, mein Sohn, daß es nach deinen Wünschen ginge... Wer sollte dann die Kosten tragen? Ist denn euer Unternehmen im Arbeitsplan für das laufende Jahr vorgesehen? Und hat man je erlebt, daß irgendeine Farm ohne Beschluß der Kolchosverwaltung eingerichtet wird? Die reine Anarchie ist das! Die reine Anarchie!« brauste Bagrat plötzlich auf.

Kamo war ganz erschrocken. Stumm wartete er, was nun werden würde.

Der Vorsitzende versank in Nachdenken und trommelte lange mit den Fingern auf dem Tisch.

»Hm. . .«, fing er schließlich wieder an. »Und wenn deine Vögel ausreißen — willst du dann alles bezahlen?«

»Sie werden nicht ausreißen; wir werden ihnen die Flügel beschneiden. «

»Und was wollt ihr von mir?«

»Sie haben doch Brutöfen, Onkel Bagrat. Leihen Sie uns vorläufig, wenn es geht, zwei davon. Aram Michailowitsch hat auch gesagt, wir sollten Sie um zwei solcher Kästen bitten.«

»Na, schön. Wenn Aram Michailowitsch für euch gutsagt, dann könnt ihr sie haben. Aber über alles, was ihr macht, müßt ihr uns im Kolchos genau berichten.«

Kamo bedankte sich, drehte sich um und wollte schon gehen, als ihn der Vorsitzende zurückrief.

»Hast du die Sache mit der Farm denn auch im Kommunistischen Jugendverband der Schule zur Sprache gebracht?«

»Dazu bin ich doch noch nicht gekommen, Onkel Bagrat«, versuchte Kamo sich zu verteidigen.

»Ich sage es ja — das ist die reine Anarchie!« ereiferte sich der Vorsitzende wieder. »Du mußt den Jugendverband doch von deinem Plan in Kenntnis setzen.«

»Mach' ich, Onkel Bagrat. Ich werde heute noch eine Versammlung einberufen. Vielen Dank auch für die Brutöfen.«

Kamo berief die Versammlung noch für den gleichen Abend ein und erzählte den Kameraden begeistert von der geplanten Vogelfarm. Dann erklärte Armjon:

»So, wie der große Gelehrte Mitschurin durch Kreuzung von Obstbäumen neue Obstsorten gezüchtet hat, wollen wir Wildvogelküken aufziehen, sie mit unserem zahmen Geflügel kreuzen und dadurch ganz neue Vogelarten züchten.«

Artusch, einer von Kamos Klassenkameraden, hatte zwar nicht den Mut, in der Versammlung etwas dagegen zu sagen, entrüstete sich aber hinterher um so lauter und wortreicher.

»Sind wir denn alle so dumm?« schrie er. »Müssen wir uns von so einer hergelaufenen Rotznase aus Jerewan was vorerzählen lassen?«

Kamo stammte tatsächlich aus Jerewan. Seine Mutter, eine Tochter des Jägers Assatur, hatte einen Mann aus Jerewan geheiratet und war nach dort gezogen. Als der Krieg ausbrach, war Kamos Vater an die Front gekommen, und die Mutter war mit ihrem Sohn in ihr Heimatdorf Litschk zurückgekehrt. Sie war im Dorf wie eine Ortszugehörige aufgenommen worden und arbeitete nun schon lange in einer Kolchosbrigade der Tabakplantage. Kamo besuchte die Dorfschule. Nachdem dann sein Vater, Samson, im Jahre 1946 aus der Roten Armee entlassen worden war, kam auch er in das Dorf.

Es gefiel Samson hier sehr gut. Er war ein tüchtiger Mechaniker und wurde von Bagrat überredet, wenigstens so lange im Dorf zu bleiben, bis Kamo aus der Schule kam. Er sollte die Schmiede in Gang bringen und die landwirtschaftlichen Maschinen reparieren.

Samson erklärte sich bereit, und sie blieben.

»Warum auch nicht?« meinte der Schmied. »Ich werde hier-bleiben und mit euch zusammen arbeiten. Wenn Kamo mit der Schule fertig ist, werde ich ihn nach Jerewan auf die Universität schicken.«

Kamo lernte gut; er war beliebt bei seinen Kameraden und wurde bald zum Sekretär des Kommunistischen Jugendverbandes gewählt. Aber Artusch war auf Kamos Erfolge und seine Beliebtheit bei den Kameraden neidisch. Denn sicher, so dachte er, hätten sie ihn zum Sekretär gewählt, wenn Kamo nicht dagewesen wäre. Jetzt fraß der Neid an ihm und machte ihn heimtückisch und schlecht.

Kamos Versuche, Artusch seine Einbildungen auszureden und ihn für sich zu gewinnen, waren bisher immer gescheitert.

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