Ein verlockender Plan

Am nächsten Morgen gingen Kamo und Armjon mit den Aufnahmen zu Aram Michailowitsch, dem Sekretär der

örtlichen Parteiorganisation, der zugleich ihr Naturkundelehrer war. Auch Grikor ließ nicht lange auf sich warten.

Die Jungen erzählten dem Lehrer alles, was sie erlebt hatten: von dem sonderbaren See, von der schwimmenden Insel und von dem unheimlichen ,Wassermann’.

Sie standen auf der offenen Veranda und sprachen laut und aufgeregt. Nach und nach kamen einige neugierige Nachbarn des Lehrers herbei. Sie wollten hören, was die Kinder berichteten.

Kamo zeigte eine neue Karte, die er vom Gilli-See entworfen hatte. Er breitete sie auf dem Tisch aus und erklärte:

»Dies ist der See, in dem unser ,Wassermann' haust.«

Dann zeigte er die Bilder, die er von den Flamingos, dem Pelikan mit dem in die Luft geschleuderten Fisch und dem schwimmenden Nest gemacht hatte.

»Habt ihr denn nun festgestellt, woher das Gebrüll kommt«, fragte der Lehrer und sah sich Kamos Karte genau an.

»Hier auf dem Bild ist das, was wir gesehen haben«, sagte Kamo und zeigte die vergrößerte Aufnahme mit dem ,Porträt des Wassermanns'.

»Ich habe auch ganz deutlich gesehen, wie eine Wassersäule aus dem See hochschoß«, mischte sich Grikor ein. »Nicht wahr, du auch, Kamo?«

»Ja, das stimmt«, bestätigte Kamo und nickte.

Die Leute, die sich auf der Veranda eingefunden hatten, drängten sich um den Tisch und versuchten, einen Blick auf die Bilder zu werfen.

Auf dem Bilde des ,Wassermanns ' war wirklich nicht viel zu sehen; die Wassersäule, von der die Kinder sprachen, war nicht zu erkennen. Entweder übertrieben sie mit ihren Schilderungen, oder sie hatten sich eingebildet, so etwas zu sehen. Denkbar war natürlich auch, daß Kamo um den Bruchteil einer Sekunde zu spät geknipst hatte. Auf dem Bilde, das auf dem Tisch lag, war eine helle, nicht sehr hohe Wölbung über der Wasserfläche zu sehen — das, was die Kinder eine Wasserblase genannt hatten.

Der Lehrer sah sich die Aufnahme genau an.

»Seid ihr denn sicher, Kinder«, fragte er, »daß dieses Bild überhaupt mit dem Gebrüll des ,Wassermanns', das wir dauernd hören, zusammenhängt?«

»Ich stand mit dem Apparat in der Hand da«, erzählte Kamo, »da schoß plötzlich Wasser hoch, als wäre unter der Oberfläche Sprengstoff explodiert. Gleichzeitig hörten wir das Brüllen; dann wurde das Wasser langsam wieder glatt.«

Unter den Zuhörern wurden die verschiedensten Meinungen laut. Alles schwatzte durcheinander, und ein alter Mann behauptete, der Wasserstrahl stamme ganz sicher von dem ,Drachen' auf dem Grunde des Sees. Ein anderer war der Ansicht, der ,weiße Büffel' hätte unter Wasser geschnaubt.

»Was kann schon ein ,weißer Büffel'?« widersprach der erste.

»Der kann doch das Wasser nicht so hochwirbeln. Dazu ist er nicht stark genug. Natürlich ist es ein ,Drache.«

Solche Mutmaßungen kamen ausnahmslos von alten Leuten. Es zeigte sich jedoch, daß auch sie keineswegs fest von ihren Behauptungen überzeugt waren. Sie wiederholten einfach das, was sie von ihren Vätern und Großvätern gehört hatten.

Der Streit war noch in vollem Gange, als Großvater Assatur die Stufen zur Veranda emporstieg. Er sah sich die Aufnahmen an und sagte nachdenklich:

»So also sieht unser ,Wassermann' aus! Der soll das Gebrüll ausstoßen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Man sieht ja nicht einmal Hörner.«

»Wieso denn Hörner?« fragte Armjon erstaunt.

»Nun, es heißt doch, daß der Teufel Hörner habe. Wie soll ich es wissen?« meinte der Großvater, denn auch er war seiner Sache nicht ganz sicher. »Aber mein Enkel ist ein tapferer Junge«, fügte er mit leuchtenden Augen hinzu. »Wer, außer meinem Enkel, hätte den Mut gehabt, den bösen Geist zu fotografieren? Und wessen Enkel ist er?« Stolz sah sich der Großvater im Kreise um.

Alle mußten über die selbstgefällige Art des Alten lächeln. Nur der Lehrer blieb ernst. Er war nachdenklich geworden und schien nicht zuzuhören.

»Das ist alles Unsinn!« sagte er schließlich. »Es gibt keinen Teufel, und es ist an der Zeit, daß auch unsere Alten aufhören, an ihn zu glauben. Eine wahre Schande ist es, heutigentages noch von Geistern zu schwatzen! Was aber da draußen auf dem See vor sich geht, ist natürlich sehr interessant. Das Geheimnis muß aufgeklärt werden, und dabei kann uns nur die Wissenschaft helfen. Sieht es nicht aus, als drängen irgendwo unter dem Wasser unterirdische Gase durch die Erdrinde? - Habt ihr Gas gerochen, Kinder?«

»Nein, wir haben nichts gerochen«, erwiderte Kamo. »Nur ein kalter Luftzug wehte plötzlich zu uns herüber.«

»Die ganze Sache ist doch recht rätselhaft. Wißt ihr was, Kinder, wir wollen an die Akademie der Wissenschaften schreiben. Wir werden die Aufnahmen beilegen und um die Entsendung einer Expedition zur Erforschung des Gilli-Sees bitten. . .« Nun wandte sich der Lehrer an Kamo und fragte: »Ich höre, ihr habt viele Eier mitgebracht. Welchen Sinn hat es-denn, die Nester der Wasservögel zu zerstören? Was habt ihr mit den Eiern vor?«


»Wir haben die Nester nicht zerstört«, verteidigte sich Kamo gekränkt. »Wir wollen doch eine Farm für Wildvögel gründen.«

»Und wie habt ihr euch das gedacht? Was für einen Zweck soll das haben?«

Kamo schwieg verlegen. Armjon kam ihm zu Hilfe.

»Wir wollen die Wasservögel zahm machen«, sagte er. »Sie haben sicher viele gute Eigenschaften.«

»Welche guten Eigenschaften haben denn die Wasservögel eurer Ansicht nach?« forschte Aram Michailowitsch weiter.

»Weshalb bringst du die Kinder in Verlegenheit?« mischte sich da Großvater Assatur ein. »Stimmt es denn nicht, was sie sagen? Nimm zum Beispiel die Wildgans - sie ist größer als unsere zahme Gans. Kreuze sie mit unserer, und es wird eine größere Rasse daraus werden.«

»Solche Vögel werden die Kälte besser vertragen; außerdem werden sie sich draußen Futter suchen. Unter den wilden Rassen gibt es viele verschiedene Entenarten! Ich habe mal in einem Buch gelesen, daß es fünfundsiebzig verschiedene Arten von Wildenten gibt. Und wie viele davon sind gezähmt?« ereiferte sich Armjon. »Ich glaube, nur die Stockente.«

»Was schlägst du also vor?« fragte Aram Michailowitsch und blickte seinen Schüler wohlwollend an.

»Ich schlage vor, die besten Arten der Wildenten zu zähmen. Zum Beispiel die Rotente. - Warum sollte man sie nicht zähmen können? Und dann die Marmorente.«

»Die Jungen haben recht. Unter den wilden Vögeln gibt es viele, die wir unter unserem zahmen Geflügel nicht haben«, meinte nun auch der Großvater. »Die Kinder haben auch Eier von der Krickente mitgebracht. Kann man das Fleisch unserer zahmen Ente mit dem Fleisch der Krickente vergleichen? Sie hat so zartes und weiches Fleisch wie das Rebhuhn. Wäre es also schlecht, wenn wir unter unserem zahmen Geflügel Krickenten hätten und zum Pilaw2 hin und wieder eine davon rupfen könnten?«

»Und stellt euch vor, wie gut ein Pilaw[2] mit dem Fleisch vom schwarzen Wasserhuhn zubereitet schmecken muß!« fiel Grikor ein. »Im vorigen Herbst hab' ich mal eins mit dem Stock erschlagen. Dann hab' ich das Huhn in seinem eigenen Fett gebraten. Ihr glaubt nicht, wie fett es war. Es hat sogar noch für die Kartoffeln gereicht, und außerdem ist noch ein gutes Glas voll übriggeblieben! - Aussehen tut es überhaupt wie ein zahmes Huhn. «

Jeder wußte etwas Lobenswertes von den wilden Vögeln zu erzählen. Man hätte meinen können, sie hätten überhaupt nur gute Eigenschaften.

»Das Züchten neuer Vogelarten wäre eine gute Sache«, meinte Aram Michailowitsch nachdenklich.

»Der ist jetzt auch auf unserer Seite«, flüsterte Kamo Armjon erfreut ins Ohr.

»Gut«, sagte nun Aram Michailowitsch, »ihr sollt meine Unterstützung haben. Fangt an, und wir wollen sehen, was dabei herauskommt. «

Kamo war vor Freude ganz außer sich.

»Jetzt müssen wir Bruthennen besorgen und im Kolchos um Brutöfen bitten«, sagte er. »Aber der Kolchosvorsitzende ist so unfreundlich — ob er sie uns geben wird?«

»Ihr kennt ihn schlecht«, sagte Aram Michailowitsch. »Geht nur zu ihm und bittet ihn um zwei Brutöfen. Sagt ihm, ich hätte euch geschickt.«

»Und was wird mit dem ,Wassermann'?« fragte Armjon.

»Wir werden die Aufnahmen zusammen mit einem Brief nach Jerewan schicken und die Gelehrten dort bitten, uns bei der Lösung dieses Rätsels zu helfen«, sagte der Lehrer. »Vielleicht schicken sie einen Geologen her. Vorläufig beschäftigt euch in eurer schulfreien Zeit mit der Vogelfarm. Ich hoffe, ihr werdet Erfolg damit haben.«

Die Kinder dankten Aram Michailowitsch und liefen vergnügt davon.

Armjon mußte allerdings immer wieder an das ungelöste Geheimnis des Gilli-Sees denken. Was geht dort vor? fragte er sich. Wodurch entstehen diese seltsamen Laute? Sind es Gase, die aus der Erde dringen? Was kann es nur sein?

Ganz in Gedanken versunken ging er hinter den Kameraden her.

Sie waren noch nicht bis zur Pforte gelangt, da rief ihnen Aram Michailow nach:

»Das Wichtigste habe ich ja vergessen: wo sollen eure Enten und Gänse denn schwimmen? Sie brauchen doch Wasser!«

»Ach ja, stimmt ja, Wasser müssen wir haben«, erwiderte Kamo. »Und wir haben so wenig Wasser im Dorf. Könnten wir nicht einen kleinen Teich ausgraben und aus dem Flüßchen Wasser hineinleiten?«

»Das läßt sich machen. Wir werden an den freien Abenden die Jungpioniere zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen«, schlug der Lehrer vor.

»Ja, das wäre fein!« freuten sich die Kinder. »Dann können wir auch Fische aussetzen und neben der Geflügelzucht Fischzucht betreiben!«

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