Die Geheimnisse der Höhlen

Aram Michailowitsch und die Knaben standen auf der Felsenplattform und konnten die Wände des Tschantschakar nunmehr aus nächster Nähe betrachten. Linker Hand bemerkten sie eine Höhle, vor der wie eine Wolke ein aufgeregter Bienenschwarm in Bewegung geraten war. Ein Teil der Bienen kam zu dem Felsplateau herüber und summte unheildrohend über den Köpfen der Eindringlinge. Ein Sonnenstrahl fiel in die Höhle, und die Waben, die unmittelbar am Ein-gang einen Teil der Wände bedeckten, waren jetzt deutlich sichtbar.

»Wie haben es die Menschen nur fertiggebracht, solche Krüge in die Höhle zu schaffen?« fragte Kamo den Lehrer.

»Ja, das ist wirklich ein Rätsel«, antwortete Aram Michailowitsch kopfschüttelnd.

»Schade, daß wir an unserer Strickleiter nicht zum Eingang runtergeklettert sind! «

»Das braucht uns nicht leid zu tun. Wir wollen jetzt erst diese Höhle gründlich untersuchen. Aber, Kinder, geht mit allem, was wir auch finden werden, recht behutsam um«, mahnte der Lehrer.

Sie krochen in die Höhle hinein, und als Kamo sich im Halbdunkel umsah, rief er enttäuscht:

»Hier scheint überhaupt nichts zu sein.«

»Doch, ich hab' etwas! « antwortete Grikor und brachte aus dem Hintergrund der Höhle vorsichtig ein schweres Tongefäß ans Licht. »Haben unsere Vorfahren vielleicht Milch darin sauer werden lassen? Seht nur, wie groß das Ding ist! Und was ist das hier? Damit kann man ja jemanden töten!« rief Grikor und schwenkte triumphierend einen langen Speer.

Jetzt wurde auch Aram Michailowitsch von dem Eifer angesteckt. Hastig griff er nach dem Speer.

»Ja, Kinder«, sagte er, »das ist wirklich ein interessanter Fund. Wir wollen die Höhlen gut durchsuchen.«

Der Eingang war ziemlich breit; je weiter man aber hinein kam, desto enger und niedriger wurde die Höhle. Der Hintergrund verlor sich ganz im Dunkel.

Grikor entdeckte einen Bogen.

»Eine Waffe unserer Ahnen!« rief er. »Aber wo sind die Pfeile dazu?«

»Die Pfeile werden sie vermutlich auf ihre Feinde abgeschossen haben«, meinte der Lehrer, der einen leeren Köcher gefunden hatte.

Grikor tastete sich im Dunkeln weiter, befühlte die Wände und alle Felsvorsprünge, Ecken und Kanten. Plötzlich klirrte es metallen. Grikor hatte mit dem Fuß gegen etwas Hartes gestoßen. Er bückte sich und hob es auf.

»Sehen Sie nur, was ich gefunden habe, Aram Michailowitsch!« rief er.

Der Lehrer und Kamo richteten das Licht ihrer Taschenlampen auf Grikors Fund. Es war ein kurzes Schwert mit einem schönen geschnitzten Griff.

»Das hat sicher einem Fürsten gehört«, meinte Grikor, stolz auf seine Entdeckung.

»Ist schon möglich. Es ist ein Seldschukenschwert. Die Seldschuken sind im dreizehnten Jahrhundert in Armenien eingedrungen«, belehrte Aram Michailowitsch die Kinder.

»Dann ist es wohl eine Kriegstrophäe?« fragte Kamo.

»Das haben sie dem Feind abgenommen, und wahrscheinlich ist es sogar vergiftet«, war Grikors kühne Mutmaßung. »Die Seldschuken vergifteten damals die Spitzen ihrer Speere und Schwerter, das habe ich im Geschichtsbuch gelesen.«

»Was ist das für ein Metall?« fragte Kamo. »Es ist nicht verrostet, glänzt aber auch nicht.«

»Es sieht aus wie Bronze. Während unsere Väter damals bereits eine hochentwickelte Kultur hatten, befanden sich die Barbaren, die sie überfielen, noch in der Bronzezeit; sie haben damals unsere alte Kultur zerstört«, erklärte Aram Michailowitsch nachdenklich, während er das Schwert in seinen Händen wog.

Grikor war viel zu ungeduldig; er hörte die Erklärungen des Lehrers nicht bis zu Ende an. Nachdem er einen so wichtigen Fund gemacht hatte, brannte er darauf, noch Wertvolleres zu finden.

»Hier müssen auch Frauen gewesen sein!« rief er bald dar-auf. »Ich habe Ohrringe gefunden.«

»Sie sind aus Silber«, sagte der Lehrer, der die Ohrringe ein-gehend betrachtete. »Aber wieso meinst du, daß es Frauenohrringe sein müssen? Vielleicht haben sie Männern gehört — die armenischen Fürsten trugen zu jener Zeit auch Ohrringe... Seht nur, wie kunstvoll sie gearbeitet sind. Ihr müßt wissen, daß in unserem Lande, und namentlich in der alten Stadt Wan, die Goldschmiedekunst in früheren Zeiten sehr hoch in Blüte stand.«

Die drei Forscher stöberten weiter in der Höhle herum. Ihre Augen hatten sich bereits an das Halbdunkel gewöhnt.

»Seht nur«, jubelte Grikor, als er in einer Ecke auf die Über-reste eines zerfallenen Feuerherdes stieß. »Hier liegen Brat-spieße, Steine, Kohlen, sogar Asche... Und hier Gerippe — Knochen! Unsere Vorfahren haben aber leckere Braten gegessen. Kann man an diesen Knochen nicht feststellen, von welchen Tieren sie stammen, Aram Michailowitsch? Sieht der hier nicht aus wie der Knöchel von einem Reh?«

Inzwischen hatte Kamo an der Wand einen großen, schweren Kupferkessel entdeckt, den er keuchend ans Tageslicht schleppte.

Der Lehrer war über diesen Fund nicht weniger aufgeregt als seine Schüler. Hätten sie an Stelle dieser verrosteten, einfachen Gerätschaften aus Eisen, Kupfer und Bronze einen ganzen Berg Gold gefunden, sie hätten nicht glücklicher sein können. Diese uralten Gegenstände erzählten von den Menschen, die vor Jahrhunderten hier gelebt und gekämpft hatten, die hier gestorben waren und denen diese Dinge zum Gebrauch gedient hatten.

»Seht einmal her, Kinder«, rief der Lehrer, »das hier ist ein Ringpanzer.« Er zeigte den Jungen ein aus Eisenringen zusammengesetztes Kleidungsstück, das Ähnlichkeit mit einer langen Weste hatte.

»Und was ist das?« fragte Kamo und hob vom Boden der Höhle einen flachen runden und etwas gewölbten Gegenstand auf, der, wie die Oberfläche einer türkischen Trommel, mit Leder überzogen war und wie eine große Schüssel aussah.

»Das ist ein Schild. Seht her, an der Innenseite hat er einen Griff.«

»Und die Pfeile haben das Leder nicht durchbohrt?« wunderte sich Kamo. »Die haben aber wenig Durchschlagskraft gehabt. Wenn man sich dagegen vorstellt, daß moderne Geschosse vierzig Millimeter starke Panzerungen glatt durchschlagen.«

»Naß auf gespannte Ochsenhaut wird, wenn sie wieder trocken ist, sehr widerstandsfähig«, erklärte der Lehrer, »die Pfeile konnten sie nicht durchbohren. Als die Araber Ende des neunten Jahrhunderts eine Insel im Sewan belagerten, waren sie mit solchen Schilden ausgerüstet. Die Insel war von den Kriegern des armenischen Zaren Aschot besetzt.«

»Ist er auf der belagerten Insel ums Leben gekommen?« erkundigte sich Grikor.

»Nein, er unternahm einen Ausfall und schlug die Araber. Im ganzen nahmen vielleicht hundert Krieger an dem Ausfall teil... «

»Nur so wenig?« staunte Kamo.

»In den Kriegen der damaligen Zeit spielte das Wetter eine wichtige Rolle. In dem Augenblick, in dem Aschot mit seinen Kriegern zum anderen Ufer übersetzte, ging die Sonne auf; ihre Strahlen blendeten die Araber so stark, daß sie die Fahrzeuge des Zaren kaum sehen konnten. Daher fielen ihre abgeschossenen Pfeile ins Wasser. .. Ist es nicht wunderbar«, fuhr der Lehrer fort, »wie gut sich hier alles erhalten hat? Die Höhle läßt die Sonne herein, sie ist ganz trocken. Kommt, Kinder, wir wollen unsere kostbaren Funde nach unten bringen. Hole das Seil, Kamo, und du, Grikor, lege alles behutsam in diesen Sack.«

Während die beiden Jungen die gefundenen Gegenstände sorgfältig in dem Sack verstauten, war der Lehrer noch tiefer in die Höhle eingedrungen. Die Kinder hörten ihn rufen:

»Kommt vorsichtig hinter mir her! Ich habe einen Gang gefunden, der weiter ins Innere des Felsens führt.«

Kamo und Grikor eilten ihrem Lehrer nach. Wirklich, im Hintergrund der Höhle war eine Öffnung, die einen schmalen Gang freigab. Kamo leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Erstaunt rief er dem Lehrer zu:

»Dieser Gang muß von Menschen angelegt worden sein. Sehen sie nur die Spuren an den Wänden, sie stammen sicher von einer Spitzhacke oder so etwas Ähnlichem.«

»Ihr müßt euch bücken, Kinder, sonst stoßt ihr euch die Köpfe«, sagte der Lehrer. »Der Gang ist sehr niedrig.«

Von den beiden Knaben gefolgt, kroch Aram Michailowitsch in den Gang hinein.

Schon nach wenigen Schritten machten sie verblüfft halt: der Gang gabelte sich.

»Welche Richtung sollen wir einschlagen?« überlegte Aram Michailowitsch.

»Gehen wir aufs Geratewohl nach links! « schlug Kamo vor. Der Lehrer bog schweigend nach links ab.

Hier war der Gang noch niedriger, und um vorwärts zu kommen, mußten sie auf allen vieren kriechen.

Nach und nach wurde es heller. Und gleich darauf standen sie in einer neuen Höhle.

Die Jungen jubelten laut.

Am Ausgang der Höhle, dicht an dem Abgrund, hockten zwei riesige Vögel. Es waren Königsadler — die größten und stärksten unter den Adlern. Sie hatten ganz weißes Gefieder. Die Flügelränder waren dunkelbraun und die Spitzen der Schwanzfedern tiefschwarz. Das zottige Federkleid ihrer Beine glich weiten Hosen und war ebenfalls dunkelbraun. Als die Adler das Herannahen der Menschen bemerkten, breiteten sie schwerfällig ihre Schwingen aus und glitten hinab in die Schlucht.

In einer Ecke der Höhle lag Reisig aufgeschichtet, aus dem junge Adler ihre Köpfe mit den krummen Schnäbeln neugierig hervorstreckten. Angst und Verwunderung spiegelten sich in ihren dunkelbraunen Augen.

»Ein Adlernest«, flüsterte Kamo.

»Warum fliegen sie denn nicht weg?« fragte Grikor.

»Sie sind noch zu klein. Sie können noch nicht fliegen.«

»Da sind ja Betten«, rief Kamo. »Ein ganzer Berg Matratzen und Decken!«

Er wollte sich darauf stürzen, doch Aram Michailowitsch hielt ihn am Arm fest.

»Halt, du darfst nichts anrühren!« rief der Lehrer. Er war genauso aufgeregt wie die Kinder.

Seine Hände zitterten, und seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz bekommen. Dieser neue Fund mußte offenbar von außergewöhnlicher Bedeutung sein.

»Ja nichts anrühren! « warnte er noch einmal.

Er ließ seine Blicke prüfend in die Runde schweifen. Die Jungen merkten, daß er fürchtete, die geringste Bewegung könnte etwas zerstören.

Es lagen wirklich ganze Berge von Matratzen, Decken, farbigen Geweben und buntgemusterten Teppichen in einer Ecke. Auch über dem dicken Bodenbelag, der anscheinend aus Filz war, lag ein Teppich ausgebreitet, auf dem verschiedene Kissen lagen. Sicher hatten vor vielen hundert Jahren hier Menschen nach orientalischer Sitte mit untergeschlagenen Beinen auf diesem Teppich gesessen.

In der Mitte der Höhle standen die Reste eines zerfallenen Herdes, in dem sich noch Kohlen und Asche befanden. Ein halbverkohlter Holzklotz steckte im Feuerloch. Die Decke und die Wände der Höhle waren rauchgeschwärzt.

»Auch hier ist gekocht und gebraten worden«, meinte Grikor sinnend, als er des Herdes ansichtig wurde. »Und zum Braten ist auch Wein getrunken worden - seht mal, was für ein riesiger Krug da steht. «

Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, daß der ungewöhnlich große Tonkrug bis zum Rande mit glänzenden Glasperlen gefüllt war.

»Darüber wird sich Asmik freuen!« rief Grikor.

»Du findest die merkwürdigsten Dinge«, meinte Kamo ein wenig neidisch.

»Kommt mal her, Kinder!« rief der Lehrer plötzlich. »Seht euch diese Schwerter an - sie sind sehr groß und grob gearbeitet — wahrscheinlich von einheimischen Schmieden in aller Eile geschmiedet, vielleicht sogar erst, als bereits gekämpft wurde und es an Waffen fehlte.«

Wieder hatte Grikor etwas Seltsames, Neues entdeckt: ein kurzes dickes Rohr mit einem Holzgriff. Der Lehrer meinte, der daran befestigte Stein sei ein Feuerstein, und dieses merkwürdige Ding müsse ein primitives Schießinstrument sein, und dabei leuchteten seine Augen vor Freude.

Vielleicht handelte es sich um eine der ersten Feuerwaffen, deren Anwendung, wie Aram Michailowitsch wußte, die Armenier von den Arabern gelernt hatten.

Inzwischen hatten sich Kamo und Grikor zu dem ziemlich hoch angebrachten Adlerhorst geschlichen.

Kamo hatte sich an die Wand gestellt. Grikor mußte auf seinen Rücken steigen.

»Versuche mal einen oder zwei der Vögel aus dem Nest zu nehmen«, befahl er.

»Sie werden mich beißen«, erwiderte Grikor. »Wozu brauchen wir denn junge Adler?«

»Für unsere Versuchsfarm«, entgegnete Kamo. »Wir werden ihnen einen großen Käfig bauen.«

Grikor griff in das Nest, doch einer der jungen Vögel hackte böse nach seiner Hand. Grikor schrie auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

»Was ist denn los?« wollte Kamo wissen.

»Einer hat mich gebissen«, empörte sich Grikor und hielt seinen blutenden Finger hoch.

»Und du willst ein Mann sein!« spottete Kamo. »Stell du dich jetzt mal hin, ich werde auf deinen Rücken klettern.«

»Du bist mir zu schwer«, widersprach Grikor, »aber immer noch besser, als daß ich diese Biester noch mal anfasse.«

Kamo, der geschickter war als Grikor, warf seine Mütze auf einen der jungen Vögel, packte ihn und sprang von Grikors Rücken herab. Er betrachtete seine Beute genauer, hielt aber dem jungen Adler dabei den Schnabel zu. Er war ungefähr so groß wie ein stattliches Huhn. Seine Federn waren um einen Ton heller als die der Alten; aber auch er hatte struppige Hosen an.

Kamo hatte noch nicht Zeit gehabt, sich den jungen Adler richtig anzusehen, als ein schriller Pfiff erscholl und die Adlermutter flügelschlagend in die Höhle schoß. Mit ihren mächtigen Schwingen schlug sie auf Grikor ein. Kamo war mit seiner Beute in den Hintergrund geflüchtet. Aram Michailowitsch hatte so-fort geistesgegenwärtig eine verrostete Spitzhacke ergriffen und war Grikor zu Hilfe geeilt.

Der schrie wie am Spieß und hielt Arme und Hände schützend vor das Gesicht, obwohl die Adlermutter schon längst wieder davongeflogen war.

Sie blieb in der Nähe des Höhleneingangs sitzen, schlug aufgeregt mit den Flügeln und war entschlossen, ihren Jungen, die angstvoll piepten, sofort zu Hilfe zu eilen, sollte sich nochmals jemand an sie heranwagen.

Kamo aber hatte seinen gefangenen Adler so fest in seine Jacke gewickelt, daß er sich nicht bemerkbar machen konnte. Die Adlermutter, die nichts von dem Raub wußte, verzichtete auf weitere Angriffe.

Nachdem sich die Aufregung über den Zwischenfall gelegt hatte, mußte Kamo doch herzlich lachen. Gutmütig neckte er den Freund:

»Nun, Grikor, wie geht's? Lebst du noch?«

»Die ganze Schulter hat mir das Biest zerfetzt«, jammerte Grikor und nahm, wie immer, den Mund sehr voll.

Aber Kamo lachte nur.

»Nichts von Bedeutung«, rief er, als er die Schulter untersucht hatte. »Nur ein paar Schrammen. Denke nur, wie sie im Dorfe staunen werden, wenn wir mit einem jungen Adler ankommen. So etwas ist eine Seltenheit. Da kann man ruhig ein paar Kratzer mit in Kauf nehmen.«

Kamo band seinem Gefangenen die Füße zusammen und trug ihn in die dunkelste Ecke der Höhle. Dabei hatte ihm der junge Raubvogel doch noch die Hände blutig gekratzt und das Hemd gehörig zerfetzt.

Der Junge trat dicht an den Rand des Abgrundes:

»Asmik, Armjon«, schrie er in die Schlucht hinunter, »wir haben einen jungen Adler gefangen!«

Asmik rief zurück: »Laß ihn sehen!«

»Warte, ich hole ihn gleich!« versprach Kamo. Als er dann aber die Adlermutter sah, die über der Schlucht kreiste, hielt er es doch für klüger, seinen gefangenen Raubvogel nicht zu zeigen.

Die Jungen kehrten nun zu Aram Michailowitsch zurück, der noch immer im Hintergrund der Höhle herumstöberte und nach neuen Schätzen suchte.

In diesem Augenblick entdeckte Grikor ein menschliches Skelett, das in sitzender Stellung an der Wand lehnte.

Zu Tode erschrocken, wich er zurück, stolperte und fiel auf die Kissen.

Und nun geschah etwas sehr Merkwürdiges. Die Kissen und Teppiche, die doch eben noch dagewesen waren, die sie alle deutlich gesehen hatten, waren zu Staub zerfallen.

Kamo stand wie versteinert; Aram Michailowitsch aber war sehr ungehalten.

»Ich habe doch gesagt, seid vorsichtig«, schimpfte er ärgerlich. Doch als er Grikors Blicken folgte, erschrak auch er— so unheimlich war der Anblick des hier seit Jahrhunderten modernden Skeletts, das auf den Knien ein riesiges Schwert liegen hatte.

Auch dem sonst so unerschrockenen Kamo lief es kalt über den Rücken.

Als sich Grikor wieder aufgerichtet hatte, stand er eine ganze Weile völlig verstört da. Er brachte zunächst kein Wort heraus. Schließlich fragte er angstvoll flüsternd:

»Was ist eigentlich passiert? Weshalb ist alles verschwunden? «

Auch Kamo wollte wissen, ob es richtige Betten gewesen waren.

»Natürlich«, erwiderte Aram Michailowitsch. »An dieser Decke kannst du es sehen. Sie ist noch unversehrt. Sieh nur, wie sich sogar die Farben frisch erhalten haben. Unsere Vorfahren gewannen ihre Farben aus Pflanzen. Das Geheimnis der Zubereitung ist uns leider unbekannt.«

»Aber wieso ist denn alles in Staub zerfallen?« fragte Kamo verwundert. »Es war schon alles zerfressen und mürbe. Solange diese Dinge von niemand berührt wurden, behielten sie Form und Farbe, doch die geringste Berührung genügte, wie ihr eben gesehen habt, um alles in Staub aufzulösen.«

Grikor, dem das Erlebnis mit dem Skelett noch in den Gliedern saß, dachte sehnsüchtig an das Honigparadies. Wortlos verschwand er in einem der Seitengänge.

Als er zu der Stelle kam, an der die Gänge sich gabelten, schlug er den anderen Weg ein, der nach seiner Meinung zur Bienenhöhle führen mußte.

Es war finster und feucht in dem Gang. Kälte schlug ihm entgegen, und die Wände trieften vor Nässe. Eine schleimige, klebrige Masse überzog sie. Es wurde dem Jungen recht unheimlich zumute, und fast wäre er umgekehrt. Aber Grikor dachte nur noch an den Honig: er mußte ihn finden, mag kommen was wolle. Also blieb Grikor nichts anderes übrig, als auf den Knien weiterzurutschen. Er arbeitete sich in der Dunkelheit langsam vorwärts, dabei schürfte er die Ellenbogen ab, daß sie bluteten. Endlich schimmerte von weitem ein wenig Licht. Grikor kroch weiter und sah nun eine breite Öffnung, die von zahllosen Bienen umschwärmt wurde.

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