Die Rache des »Teufels«

Schon in den Morgenstunden war im Dorfe bekanntgeworden, daß Kamo und seine Freunde zu den Schwarzen Felsen gezogen waren. Bagrat hatte lachend zu den Kolchosarbeitern gesagt:

»Unsere Jungpioniere haben Spitzhacken genommen und wollen dem ,Drachen' zu Leibe gehen. Er soll das verschwundene Wasser rausrücken.«

Tante Sona stand auf dem Dach ihres Hauses und schrie: »Dein ganzes Geschlecht soll vom Erdboden verschwinden, Assatur, du alter Narr! Was lockst du meinen Sohn in den Schlund der Hölle? Daß dich der Teufel hole! Daß dich. . .« Die auf der Straße stehenden Kinder stellten sich Seto im

,Schlund der Hölle' vor und lachten laut, wodurch sie die erzürnte Sona aber nur noch mehr aufbrachten.

Der Rechnungsführer Mesrop nestelte an seiner Gebetschnur und flüsterte den alten Weibern zu:

»Seht euch nur die Wolken an... Es ist nicht möglich, daß der Satan diese Vagabunden unbestraft läßt!...«

Die Dorfbewohner sahen, daß eine riesige schwarze Wolkenwand langsam im Westen aufstieg. Das finstere Gewölk ballte sich über den Schwarzen Felsen zusammen.

Die erste Explosion im Innern des Felsens wurde von einem Donnerschlag übertönt.

»Über den Schwarzen Felsen blitzt und donnert es!« schrie Sona und schwenkte ihre knochigen Arme in der Luft. »Woher kommen an einem so sonnenklaren Tag die schwarzen Wolken? Der Drache rächt sich! Wütend ist er geworden, der Satan in der Hölle... Mit einem brennenden Knüppel bedroht er meinen Sohn! «

»Hör doch auf mit deinem Gekrächze«, rief ihr der Schmied Samson zu.

Der ehemalige Pope Mesrop, der sich bisher noch zurückgehalten hatte, rief jetzt mit schallender Stimme:

»Tut Buße, ihr Leute! Groß sind unsere Sünden! ... Unglück haben diese Jungpioniere über uns gebracht... Opfert, opfert! Seit wie vielen Jahren habt ihr keine Opfer gebracht!« redete er auf die Alten ein, die sich vor der Kolchosverwaltung angesammelt hatten.

Der Schmied hielt dem ehemaligen Priester seine schwere Faust dicht unter die Nase.

»Ich sag' ja nichts ...«, stammelte Mesrop und schwieg erschrocken. »Was geht es mich auch an. . . «

Doch nun zuckte abermals ein Blitz über den Schwarzen Felsen herab, und ein gewaltiger Donnerschlag erschütterte die Luft.

»Feuer, ihr Leute, seht doch!« wehklagte Sona. »Die Hölle hat sich aufgetan! Gott ist gegen uns, und die Hölle auch... Das ist die Rache Sataels! Seto, wo ist mein Seto? Der böse Geist hat ihn umgebracht! «

Sona kletterte von ihrem Dach herunter und lief zum Dorf hinaus und den Pfad entlang, der zu den Schwarzen Felsen führte.

Die allgemeine Aufregung hatte auch Kamos Mutter angesteckt.

»Samson«, sagte sie, »unser Junge kommt da oben vielleicht wirklich ums Leben... Beeil dich doch! Hilf ihm...«

Der Schmied Samson, ein von Natur ruhiger und besonnener Mann, sprang, als er die Rauchwolke und die Flammen über den Schwarzen Felsen sah, gleichfalls auf und stürmte, so wie er war, in seinem Lederschurz und ohne Mütze, hinter Sona her. Die Donnerschläge und die über dem Felsen aufsteigende Rauchwolke beunruhigten auch ihn.

Grikors und Asmiks Mutter liefen hinterdrein, und hinter ihnen her kamen auch die anderen Frauen gelaufen.

Als letzte kam ein kleines Mütterchen aus dem Dorf heraus und trippelte mit hastigen Schritten den übrigen nach. Es war die alte Nargis.

»Himmlische Mächte«, flüsterte sie, »himmlische Mächte, nehmt meinen armen Assatur in euren Schutz!«

Wie groß aber waren das Erstaunen und die Freude der alten Nargis, der zänkischen Sona und des Schmiedes Samson, als ihnen an einer Wegkrümmung alle Totgeglaubten fröhlich singend entgegenkamen! Auf den vergnügten Gesichtern der jungen Leute war keine Spur irgendwelcher überstandener Schrecknisse zu sehen.

Nargis fiel ihrem Alten um den Hals, die Mütter umarmten ihre Kinder. Fragen und Antworten schwirrten durcheinander.

»Es hat ja gedröhnt wie bei mir in der Schmiede!« rief Samson fröhlich. »Was war denn eigentlich los?«

»Wie sollte es nicht dröhnen?« antwortete Grikor und zwinkerte den Freunden zu. »Wir haben mit den Teufeln gekämpft. Dynamit haben wir ihnen unter die Hölle gelegt. Das hat sie schrecklich geärgert. Sie konnten mit den Jungpionieren nicht fertig werden. Da haben sie sich eben an dem Baum gerächt.«

»Der arme Baum!«

»Hat es denn bei euch nicht geregnet?«

»Wieso nicht? Gewiß hat es geregnet, über dem Wasser und über den Felsen.«

Da mischte sich Sona ein:

»Die Jungen sind ja blind. Mit meinen eigenen Augen hab' ich gesehen, wie der Satan in den Baum gefahren ist... Sie lügen.«

Seto errötete bis in die Haarwurzeln; er schrie die Mutter an: »Bin ich denn nicht heil und gesund zurückgekommen? Ist dir das immer noch nicht genug?«

Da schwieg auch Sona beschämt.

Als sich die Kolchosmitglieder überzeugt hatten, daß niemand zu Schaden gekommen war, beruhigten sie sich und gingen auseinander.

Die Nacht brach an. Noch immer brannte die große Eiche am Fuß des Tschantschakar und leuchtete grell wie eine Riesen-fackel in die Nacht hinein.

Der alte Jäger Assatur fand keinen Schlaf. Er war noch nie so aufgeregt gewesen wie in dieser Nacht.

»Sag, Frau, was sind wohl solche Menschen wie du und ich wert?« fragte er seine Alte. Sie sah ihn verständnislos an. Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten, in den Stall.

Die alte Nargis sah ihm kopfschüttelnd nach: Was ist mit ihm? dachte sie; ist er närrisch geworden?

Der Alte hatte sich in einen Stallwinkel gesetzt und redete mit sich selbst.

»Hat sich je einer deiner Vorväter einen Archaluk für unreines Geld gekauft — wie du ihn kaufen willst? Hat sich deine Mutter ein Kleid für unreines Geld gekauft — wie du es deiner Frau kaufen willst? Hat denn jemand am Ende seines Weges unreines Geld in der Tasche gehabt — wie du es hast?« fragte er sich, von Gewissensbissen gepeinigt. Er verfluchte den Schatz des Fürsten Artak, über den er sich zuerst so gefreut hatte und der ihm jetzt solchen Kummer bereitete. Er kam sich vor wie gefangen.

»Verflucht soll er sein, der Schatz! Hat mich schon genug gequält... Ich werde ihn abliefern«, beschloß er, »vielleicht wird mir dann wieder leichter ums Herz.«

Als er dann seinen Schatz hervorholte, wurde es ihm schwarz vor Augen, und während er seine Hände in den Sack steckte und die Goldsachen und Edelsteine herausnahm und betrachtete, wurde er doch wieder recht wankelmütig.

»Ich sehe — und traue meinen Augen nicht... Ein Schatz, ein richtiger Schatz«, wiederholte er und ließ die schweren goldenen Ketten durch seine Finger gleiten. Die Edelsteine funkelten und glänzten im Schein der trüben Petroleumlampe.

Der Großvater sah sich ängstlich um; er nahm ein prächtiges Armband aus schwerem Gold aus dem Sack und hielt es ans Licht.

»Das alles gehört mir! Dieser fürstliche Reichtum! Ich, der Jäger Assatur, bin auf einmal ein Millionär geworden? So was kann einen Menschen doch rein um den Verstand bringen... «, murmelte er. »Wie wird sich meine Alte freuen, wenn sie davon erfährt! ,Welcher Jäger', sagte sie immer, ,hat es je zu etwas gebracht? ' Der Weiberverstand glaubt eben nicht an das Glück...«

Der Alte legte die Schmuckstücke behutsam in den Sack zurück und versank in Nachdenken.

»Soll ich ihn denn wieder verstecken?« murmelte er vor sich hin. »Immer wieder verstecken und immer in solcher Angst leben? Mein Enkel leistet Großes, und ich muß mich vor ihm schämen. .. Vorher war es viel besser — ich war nicht reich, aber dafür war mir's leicht ums Herz!... Wie Blei liegt mir diese Last auf dem Herzen! Mein Leben war vorher so schön, ich war ehrlich, war glücklich ... Warum habe ich mir fremdes Gut angeeignet?«

Der Alte sprang plötzlich auf, warf den Sack über die Schulter und ging auf die Tür zu. Doch unmittelbar am Ausgang blieb er stehen und setzte sich wieder. Er schwankte von neuem.

»Bin ich nicht ein Narr? Das ganze Leben lang hab' ich davon geträumt, Gold zu finden, und jetzt, nachdem ich es gefunden hab', will ich so dumm sein und es nicht behalten. Nein, Assatur, die Vernunft sagt dir: Das Glück hat an deine Tür gepocht — verjag es nicht! Sei kein Narr!«

Von neuem wurden alle guten Vorsätze des Jägers Assatur von der Gier nach Besitz, nach persönlichem Eigentum zunichte gemacht. Er stand auf, nahm den Sack und versteckte ihn wieder in dem Loch in der Erde.

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