Unter Wasser...

Jetzt ließen sich die jungen Naturforscher nicht länger halten. Seto stürzte sich als erster ins Wasser. Er konnte wirklich schwimmen wie ein Fisch.

Das Wasser im See war so kalt, daß die Jungen, blaugefroren und zitternd, schon nach kurzer Zeit ans Ufer stiegen, um sich in der Sonne aufzuwärmen. Dann gingen sie erneut ins Wasser, und Seto versuchte, bis in die Mitte des Sees zu schwimmen.

Als er zurückkam, rief er den Freunden aufgeregt zu:

»In der Mitte bildet das Wasser Ringe! Könnt ihr es von hier sehen?«

Die Jungen blickten angestrengt hinüber. Tatsächlich, in der Mitte brodelte das Wasser, und es bildeten sich Ringe.

»Wir wollen die Geologen rufen und sie fragen, was das bedeuten kann«, riet Kamo.

Er winkte, und die beiden Geologen kamen von dem Berggipfel herunter und traten dicht an das Ufer. Aschot Stepanowitsch flüsterte seinem Kollegen etwas zu, der nickte zustimmend.

»Auf dem Grund muß eine Öffnung sein, durch die das Wasser in das Innere des Berges abfließt. Das wirkt wie ein Trichter. Bravo, Kinder, ihr habt die Augen offengehalten! « lobte Aschot Stepanowitsch.

Armjon lächelte befriedigt, als sei ihm soeben nur das bestätigt worden, was er schon lange wußte.

»Aber woher kommen diese Ringe?« fragte Grikor.

»Gieß mal Wasser in ein Gefäß, das ein Loch hat, dann wirst du sehen, daß sich auch da Kreise bilden, während das Wasser abfließt«, antwortete Seto und sah Grikor an.

»Was machen wir jetzt?« sagte Kamo verzweifelt. »Wir müssen doch feststellen, was da wirklich los ist. Du bist jetzt unsere ganze Hoffnung, Seto. Wir anderen schaffen es nicht. In der Mitte ist es viel zu tief.«

Seto war Feuer und Flamme. Er war entschlossen, wo nun alles auf ihn ankam, sogar in die Hölle zu steigen.

So stürzte er sich beherzt ins Wasser.

»Und wenn ich ertrinken müßte«, scherzte Aschot Stepanowitsch, indem er sich auszukleiden begann, »ich muß auch nachsehen. So etwas muß man sich aus der Nähe betrachten!«

Als Seto die Stelle erreicht hatte, an der das Wasser Ringe bildete, tauchte er. Der Strudel erfaßte ihn und zog ihn ungestüm nach unten, bis zu einem schmalen Spalt auf dem Grunde des Sees. Seto kämpfte gegen die Strömung an, die unter dem Wasser so stark war, daß er nichts dagegen auszurichten vermochte. Sie zog ihn mit ungeheurer Gewalt in die Tiefe. Zwischen Setos Beinen hindurch ergoß sich das Wasser aus dem See in den Spalt und drohte den Jungen mit in den Strudel hineinzuziehen.

Die Kinder am Ufer beobachteten, daß die Kreise auf dem Wasser sich rasch vergrößerten. Blasen stiegen auf und zerplatzten an der Oberfläche.

»Seto ertrinkt!« schrie Kamo entsetzt.

Da sahen sie, wie Aschot Stepanowitsch in weit ausholenden Stößen zu der Stelle schwamm, tauchte und Seto mit einem energischen Ruck an die Oberfläche riß. Er brachte den kühnen Freund rasch ans Ufer.

Nachdem Seto sich erholt hatte, erzählte er:

»Da unten ist ein Fluß, ein unterirdischer Fluß. Wäre der Spalt auf dem Grund weiter gewesen, dann hätte mich der Strudel unweigerlich ins Innere des Berges gerissen.«

»Du hättest dich ruhig reißen lassen sollen«, sagte Grikor scheinbar ernst. »Denk mal, wie interessant, wenn du ganz woanders aufgetaucht wärst, zum Beispiel im Sewan.«

Aber Seto war nicht nach Lachen zumute. Das Abenteuer hätte schlimm ausgehen können.

»Dafür gibt es ein einfacheres und weniger gefährliches Mittel«, sagte Aschot Stepanowitsch.

Er zwinkerte Armjon zu.

»Wir wissen immer noch nicht, wohin das Wasser fließt«. sagte Kamo mißmutig.

»Kannst ja mal nachsehen! Vielleicht nach dem Kasach, vielleicht nach dem Daralagös ...«, meinte Grikor ein wenig spöttisch.

»Kann man das nicht feststellen?«

»Wozu haben wir eigentlich das Petroleum hergeschleppt?« fragte Armjon und schmunzelte. »Habt ihr schon mal darüber nachgedacht?«

»A-a-ah!« rief Asmik. »Jetzt weiß ich es. Ihr wollt das Petroleum in das Abflußloch gießen?«

Alle sahen Armjon bewundernd an: er war wirklich ein kluger Kopf.

»Wir werden das Petroleum hier reingießen, die Frage ist nur, wo es wieder zum Vorschein kommt«, erklärte Armjon. »Meine Pioniergruppe ist am Gilli-See, um aufzupassen: Atschik Arutjunjan, Sorik Owsepjan, Sonja Wartasarjan und wahrscheinlich noch ein paar andere sind längst dort. Sie werden den See nicht aus den Augen lassen, und wenn sich Petroleumflecke auf dem Wasser zeigen, werden sie es uns sagen. Aram Michailowitsch wird wohl auch dort sein.«

»Wie können wir aber die schweren Ballons an dem von Seto entdeckten Spalt zerschlagen?« fragte Kamo.

»Fünf Ballons?... Das hieße ja fünfmal untertauchen. Und dazu noch die Ballons unter Wasser zerschlagen?... Nein, das geht nicht«, sagte Seto, »ihr habt doch gesehen, wie schwer es war, mich wieder rauszuziehen.«

»Wir wollen doch mal sehen, ob euch nicht ein guter Gedanke kommt«, sagte Aschot Stepanowitsch und sah in die erhitzten Gesichter der Kinder. »Wir sagen nichts«, flüsterte er seinem Kollegen zu. »Diese Burschen sind erstaunlich hell und erfinderisch.«

»Du hast recht«, sagte Armjon zu Seto. »Außerdem würde das Petroleum, wenn wir die Ballons einzeln zerschlagen, auseinanderfließen. Wir müssen aber dafür sorgen, daß das ganze Petroleum auf einmal in den Spalt kommt, wenn es einen Sinn haben soll... Wenn wir irgendein großes Gefäß hätten, das fünfzehn Liter faßt. . . vielleicht einen Krug.«

»Einen Wasserkrug?« Großvater Assatur horchte auf. »Ein Krug wäre leicht zu beschaffen. Nicht weit von hier ist ein Nomadenlager. Es liegt auf der anderen Seite, nach dem Kasach zu.«

Kamo war sofort bereit, nach dem Krug zu gehen; er wurde aber von Seto zurückgehalten.

»Ich habe doch schon gesagt, daß ich meine Schuld wieder-gutmachen möchte, laß mich gehen«, und halbangezogen stürmte er davon.

Kamo rief ihm nach:

»Biete ihnen alle unsere Glasballons zum Tausche an und sage ihnen, daß dich der Großvater Assatur geschickt hat, den kennen die Nomaden gut.«

Als Seto hinter einem Hügel verschwunden war, wandte sich Kamo den Freunden zu.

»Seto ist wirklich ein ganz anderer geworden.«

»Das ist dein Verdienst, Kamo«, sagte Armjon. »Du hast ihn auf den richtigen Weg gebracht.«

»Aber nach deiner Methode«, rief Kamo und lachte.

»Ich konnte es gar nicht fassen, daß Kamo diesen Bösewicht kleingekriegt hatte«, rief Asmik und lächelte ihren Freund schelmisch an.

Das unerwartete Kompliment brachte Kamo in Verwirrung. »Ich weiß nicht. . .«, stotterte er verlegen.

»Auf alle Fälle hast du dafür eine Belohnung verdient«, rief Asmik. »Warte, gleich sollst du sie haben...«

Asmik lief davon, um einen Strauß Blumen zu pflücken.

Die Geologen waren inzwischen zu einer Steilwand gegangen, die am gegenüberliegenden Ufer begann und bis zum Fuße des Berges abfiel.

»Mir scheint«, meinte Aschot Stepanowitsch, »daß die Struktur dieses Berges einen Fingerzeig gibt, wohin das Wasser fließt — ob zum Kasach hinüber oder nach dieser Seite, zum Sewan.«

»Gewiß, das müßte zu erkennen sein... Wir sollten nicht zulassen, daß sich die Kinder unnötig abquälen, ehe wir diese Frage geklärt haben.«

»Selbstverständlich, wenn das Wasser in Richtung auf den Kasach abfließt, ist es auch zwecklos, Petroleum in den Spalt zu gießen, zumal hierzu wieder an der gefährlichen Stelle getaucht werden muß.«

Sie hörten, wie Asmik mit ihrer kindlichen Stimme Armjon zurief:

»Guck doch, wie schön sie sind, und wie sie duften!« Sie war eifrig damit beschäftigt, einen Strauß für Kamo zu pflücken.

Als sie genug Blumen beisammen hatte, wand Asmik aus den Blumen einen kleinen Kranz, den sie Kamo feierlich auf den Kopf drückte.

»Der Lohn für Setos Bekehrung ... «, rief sie. Dann wandte sie sich zu Armjon. »Mein kleiner Dichter ist betrübt ... Warte, Armjon, gleich binde ich dir auch einen Kranz - zum Ruhme unseres Dichters.«

Asmik wand einen zweiten Kranz und setzte ihn Armjon auf den Kopf. Dann fiel ihr Blick auf Grikor.

»Ach, mein armes Brüderlein. Warte mal, für dich pflücke ich Narzissen... So, da hast du auch eine Belohnung von mir! Aber wenn du dein Bein nicht schonst, wie du es versprochen hast, werde ich ganz böse sein... Und du, mein gutes Großväterchen - warum läßt du den Kopf hängen? Du guter, alter Zauberer mit dem langen weißen Bart! Hier, dieser Strauß ist für dich! Sei nicht traurig. Freue dich über deine klugen, braven Enkelkinder. . . «

Der Großvater war ganz gerührt und seufzte. Das Wiedersehen mit den Jagdrevieren, in denen er in jungen Jahren so oft umhergestreift war, hatte in dem alten Jäger offenbar wehmütige Erinnerungen wachgerufen. Er blickte auf den See hin-aus und fing plötzlich an zu singen. Es war irgendein orientalisches, schwermütiges Liedchen. Der Alte sang es mit solcher Innigkeit, daß die Kinder ihn mit ihren großen, erstaunten Augen fragend ansahen.

Der Alte sang mit brüchiger, trauriger Stimme:

»Ach, Dali-Dagh, Dali-Dagh... Wie viele sind so wie wir heute zu dir gekommen, haben den Duft deiner Blumen eingeatmet und sind wieder gegangen... Niemand weiß, woher die Menschen kommen, wohin sie gehen, wir kennen die Geheimnisse der Natur nicht... «

»Kinder«, rief er erregt, »ich will noch ein wenig jagen gehen. Den Dali-Dagh werde ich in meinem Leben nicht wiedersehen, es ist das letztemal, daß ich hier oben bin... Will mal sehen, ob meine Augen noch was taugen«, und mit hastigen Schritten verließ er die Freunde.

Der Großvater stieg keuchend zur nächstliegenden Anhöhe empor. Auf dem Gipfel blieb er lange Zeit stehen und blickte aufmerksam in die Ferne.

In einem tiefen Tal jenseits des Bergrückens ästen mehrere Böcke.

Der Großvater legte das Gewehr an, doch schon hatte ihn der Leitbock bemerkt, er warnte das Rudel, das in langen Sätzen über das Geröll eines Abhangs dahinstürmte.

Im gleichen Augenblick krachte der Schuß. Ein riesiger Bock stürzte in vollem Lauf kopfüber und rollte in den Schnee, den ein paar Blutspuren färbten.

Schützend hielt der alte Jäger die Hand über die Augen und blickte lange, lange hinab auf den Sewan und auf die Berge. Wieder begann er zu singen. Diesmal war es ein Lied aus seiner Jugend - das ,Lied des Hirten'. Er sang es voller Inbrunst und Wehmut und sagte damit den geliebten Bergen für immer Lebewohl...

Der vom Großvater erlegte Bock war ein kapitaler Bursche. Kamo und Grikor spannten sich vor und zerrten ihn an den Hörnern hinter sich her. Es war nicht ganz leicht, ihn bis ans Ufer des Sees zu ziehen.

»Wie schön er ist!« sagte Asmik. »Tat es dir denn nicht leid, ihn zu töten? «

Armjon stand daneben. Auch ihn machte der Anblick des prächtigen Tieres traurig.

»Leid tat er mir schon«, sagte der Großvater, »aber manchmal muß man sogar für die Wissenschaft Blut vergießen. Dieser Tage hat der Vorsitzende des Jägerverbandes zu mir gesagt:

,Großvater Assatur', sagte er, das Zoologische Institut braucht einen Wildbock. . . Man will Magen, Lungen und Leber untersuchen.' Ich weiß nicht, wozu sie das machen, wegen irgendwelcher Krankheiten vielleicht? Nun, jetzt werden wir ihnen die Eingeweide schicken, damit sie die untersuchen können, das Fleisch werden wir aufessen. Es ist gut, daß mir ein Bock vors Gewehr gekommen ist — einen Bock zu töten, das ist keine Sünde. Eine Mutter mit ihren Jungen abzuschießen — das ist eine andere Sache.. . «

»Großväterchen, warum hat denn der Bock so riesige Hörner?« fragte Grikor, der das schwere Geweih kaum anheben konnte. »Und was sind das für Ringe auf den Hörnern?«

»Seine Hörner oder sein Geweih braucht der Bock zur Verteidigung und auch zum Angriff. Im Kampf siegt der Bock, der einen starken Kopf und starke Hörner hat und dabei natürlich selbst jung und stark ist. Jeder einzelne der Ringe auf den Hörnern bedeutet ein Lebensjahr. Davon hab' ich euch doch schon erzählt.«

»Der Bock ist also acht Jahre alt«, zählte Grikor. »Oho, wenn er zwanzig Jahre gelebt hätte - er würde es auf Hörner von zwei Meter Länge gebracht haben! «

»Nein, so lange leben die Böcke nicht«, sagte der Großvater. »Mit acht Jahren ist ein Bock schon ein altes Tier. Älter als zwölf oder dreizehn Jahre werden sie nicht. Und wenn sie alt und schwach geworden sind, wie ich jetzt, dann bleiben sie von der Herde zurück und werden von den Wölfen gefressen.«

Während Großvater Assatur damit beschäftigt war, dem Tier das Fell abzuziehen, kam Seto keuchend mit einem großen Tonkrug auf der Schulter zurück. Die Nomaden hatten ihn bereitwillig hergegeben, als er ihnen erzählt hatte, daß er aus dem Dorfe Litschk stamme.

Die Aserbeidschaner Kolchosbauern aus der heißen KuraEbene kommen alljährlich im Sommer in die armenischen Berge und werden hier freundlich aufgenommen.

Der alte Jäger Assatur genoß bei den Nomaden besonders großes Ansehen.

»Hast du ihnen meinen Namen genannt?« fragte der Alte. »Ja, Großväterchen. «

»Sie sagten, daß sie für den Kirwa[12] Assatur alles hergeben würden«, antwortete Seto und fügte hinzu, indem er den Kameraden zuzwinkerte: »Sie wollten ein Lämmchen für dich mitgeben, aber wie hätte ich außer dem Krug auch noch das Lämmchen tragen sollen?«

Großvater Assatur war stolz auf seinen guten Ruf:

»Hab' ich's euch nicht gesagt, daß sie mir nichts abschlagen werden? So manches Mal hab' ich einen erlegten Hirsch zu ihnen in die Bina[13] geschleppt. Dann saßen sie um das Feuer herum - und es hat im ganzen Gebirge nach dem Braten geduftet... Ach, wo bist du hin, schöne Zeit?« sagte der Großvater und wurde ganz schwermütig.

»Das ist aber wirklich ein Prachtexemplar!« staunte Seto, als er den Bock sah. »Hat Großväterchen ihn geschossen?«

Nicht minder erstaunt waren auch die Geologen, als sie zurückkamen.

»Diese Art der wilden Schafe wird in der Naturkunde als armenischer Mufflon bezeichnet«, erklärte Aschot Stepanowitsch. »Mufflons kommen eigentlich nur in Armenien vor und werden außerdem vielleicht mal im nördlichen Irak oder im armenischen Gebiet der Türkei angetroffen. Man hat sie jetzt auch mit Erfolg in anderen, westlicheren Gegenden an-gesiedelt.«

»Was haben Sie rausbekommen?« fragte Armjon den Geologen aufgeregt. »Hat es einen Zweck, noch mal mit dem Petroleum zu tauchen, oder fließt das Wasser nach dem Kasach zu ab?«

»Nach der Struktur des Felsens zu urteilen, muß das Wasser zum Sewan abfließen«, sagte Aschot Stepanowitsch. »Das Wagnis lohnt sich«, fügte er hinzu, »um einen Unfall zu verhüten, müssen wir aber erst ganz genau überlegen, wie man das Petroleum am besten in den Spalt gießen kann. Auf keinen Fall dürfen wir unüberlegt handeln.«

»Das ist nicht so schlimm, wir werden es schon schaffen!« rief Kamo ungeduldig. Er war kein Freund langer Überlegungen.

»Mit dem Strudel läßt sich nicht spaßen«, warnte der Großvater. »Wartet ein wenig, Kinder, ich will euch einen Gehilfen geben, dann wird alles gut gehen«, sagte er und stieg einen Abhang hinauf.

»Wenn wir erst unseren Braten gegessen und uns den Bauch tüchtig vollgeschlagen haben, werden wir mit dem Strudel schon fertig werden«, meinte Grikor. »Ich will mal in den Wald laufen und Reisig holen.«

Kamo war ärgerlich:

»Lauft doch nicht alle davon!« schrie er dem Großvater und Grikor nach.

»Keine Übereilung, Kamo«, beschwichtigte ihn Aschot Stepanowitsch. »Warte mal, was der Großvater vorhat. Mit dem Strudel muß man vorsichtig sein, da hat er recht. Du hast doch gesehen, daß Seto beinah ertrunken wäre.«

Inzwischen war Grikor schon hinter dem Bergrücken verschwunden. Nach kaum zwanzig Minuten kam er mit einem großen Bündel Reisig zurück.

Grikor ließ sich mitsamt seiner Last wie eine Kugel den Abhang hinabrollen und hüpfte dann auf seinem gesunden Bein geschwind heran.

»Macht schnell Feuer«, schrie er, »mir ist schon ganz schwach vor Hunger!«

Schnell wurde ein Feuer angezündet. Die besten Fleischstücke wurden auf die Bratspieße, die sie rasch aus den stärksten von Grikor mitgebrachten Ästen angefertigt hatten, aufgespießt.

Als auch der Großvater nach einer Weile wiederkam und einen dicken Baumstamm mitschleppte, drang ihm schon von weitem der angenehme Bratenduft in die Nase.

»Das ist die einzig richtige Art; so muß das erlegte Wild zu-bereitet werden«, sagte der Großvater und ließ sich am Feuer nieder. »Zu Hause wird es in den Kochtopf geworfen, wird gekocht - und der ganze Geschmack, der ganze Genuß ist weg! Auch Fische soll man da essen, wo man sie gefangen hat, und in dem Wasser, aus dem sie kommen, kochen. Nimmt man anderes Wasser, geht der ganze Geschmack verloren... Ist das ein Wunder? Das sind alles Naturgesetze.. . Hier habt ihr nun einen ,Rettungsring' für den Taucher.« Der Großvater wies auf den knotigen Baumstamm, den er herangeschleppt hatte. »Es ist der Stamm einer Linde, der ist leicht und geht nicht unter. Werft ihn ins Wasser und haltet euch daran fest... Donnerwetter! Der Braten duftet aber verteufelt gut. Das war doch sicher Grikors Idee... « Nachdem sich alle gestärkt hatten, sprang Kamo sofort auf. Er wollte sich schon ausziehen und ins Wasser gehen, aber der erfahrene alte Jäger warnte:

»Das geht nicht. Mit vollem Magen kann man im Wasser einen Schlag bekommen. Jetzt wird erst ein paar Stunden ausgeruht, und dann geht es mit frischen Kräften ans Werk.«

Die Geologen stimmten ihm zu, und alle streckten sich im Schatten auf dem weichen Grase aus. Nach den Aufregungen des Vormittags waren sie bald eingeschlafen.

Kamo erwachte als erster. Er blickte sich um und weckte hastig seine Freunde:

»Wir müssen uns beeilen, zieht euch aus!«

Aber Armjon hielt ihn zurück.

»Nein, warte noch. — Seto, hilf mir, wir müssen das Petroleum in den Krug umgießen, außerdem, glaube ich, müssen wir dem Lindenstamm noch mehr Tragkraft geben.«

»Wie willst du denn das anstellen?«

»Laßt mich nur machen.. . Hier, die drei Glasballons sind groß genug... Wenn Luft darin ist, schwimmen sie wie Schweinsblasen. Großväterchen, darf ich aus dem Fell deiner Jagdbeute ein paar Stücke rausschneiden?«

Armjon schnitt ein paar Fellstücke zurecht, band damit die Öffnungen der leeren Ballons zu und befestigte sie mit Fellstreifen an dem Lindenstamm des Großvaters. Dann trug er gemeinsam mit Seto und Kamo diesen kunstvollen ,Rettungs-ring' zum See und warf ihn ins Wasser.

»Jetzt können auch die Nichtschwimmer mitkommen«, rief er. »Ich wette, der Stamm trägt spielend eine Last von vier Zentnern. «

»Zieht euch nun aber endlich aus«, drängte Kamo, der seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte.

»Nein«, widersprach Armjon, »wir sind noch nicht fertig. Hast du schon mal nachgedacht, wie wir den schweren Krug mit dem Petroleum bis in die Mitte bringen und versenken sollen?«

Kamo, der nur darauf brannte, endlich etwas zu erleben, schüttelte den Kopf:

»Petroleum ist leichter als Wasser, und keiner von uns wird imstande sein, mitsamt dem Krug zu tauchen, geschweige denn damit auf dem Grund zu hantieren.«

»Wir können ihn ja mit einem Stein beschweren«, schlug Seto vor.

»Bravo«, rief Armjon, »richtig. Merkt ihr nun, warum ich die Ballons an den Baumstamm gebunden habe? Damit werden wir den Krug erst einmal bis zur Seemitte schaffen können.« Ein schwerer Stein wurde herangeholt und in den Krug versenkt. Dann befestigten die Kinder das Gefäß mit Fellresten an ihrem ,Rettungsring'.

»Geht's jetzt los?« fragte Kamo.

»Ja«, rief Armjon, »jetzt müßte es gehen.«

»Wir wollen uns auch ausziehen«, sagte Aschot Stepanowitsch zu seinem Kollegen. »Diesem Zug müssen wir uns unbedingt anschließen.«

Im Wasser hielten sich die Jungen an dem Lindenstamm fest und steuerten ihn zur Mitte des Sees.

»Hier muß es sein«, sagte Seto. »Die aufsteigenden Blasen hier müssen aus dem Spalt kommen. Kamo, hilf mir den Krug losbinden. Ich will dann damit tauchen.«

»Warte«, rief Armjon, »erst binden wir dir einen Strick um den Leib. - Wie tief wird es hier sein?«

Armjon sah sich den Strick an - er war sicher länger als zehn Meter... Dann banden sie den Krug los, dessen Öffnung sorgfältig mit Fell abgedichtet war, und übergaben ihn Seto.

»So, jetzt kann's losgehen!«

»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich halte den Strick gut fest«, rief Grikor und umklammerte das Ende des Stricks. Er hatte es zur Sicherheit noch mehrere Male um seinen Arm geschlungen.

»Laß ja nicht los«, rief Seto und nahm den Krug unter den Arm, »die Strömung ist sehr stark.« Dann tauchte er unter... Das Wasser brodelte, und Blasen stiegen auf und zerplatzten.

Die Jungen klammerten sich an den Baumstamm und erwarteten gespannt die Rückkehr ihres Kameraden.

Der Strick, an dem Seto festgebunden war, rollte langsam ab. Schließlich straffte er sich. Das Wasser geriet in Bewegung.

Grikor wollte gerade eine spaßige Bemerkung machen, als er plötzlich aufschrie; sein Gesicht war vor Anstrengung rot angelaufen:

»Ich kann den Strick nicht mehr halten«, keuchte er. »Kamo, hilf mir, schnell! Der Strudel hat Seto erfaßt; er zieht mich mit runter!«

Kamo eilte Grikor zu Hilfe und packte den Strick, sie wurden beide mit ungeheurer Gewalt nach unten gezogen.

Jetzt mußten sich der schwimmende Baumstamm des Großvaters und die daran befestigten Ballons bewähren.

»Haltet euch mit der einen Hand am Baumstamm fest. Laßt ja nicht los!« schrie Aschot Stepanowitsch aufgeregt.

Auch die beiden Geologen griffen nun zu, und alle zogen mit vereinten Kräften an dem Strick. Der Baumstamm hielt ihr Gewicht aus, und sie blieben an der Oberfläche.

Plötzlich gab die Leine nach. Sie ließ sich ganz leicht hochziehen, und gleich darauf tauchte auch Seto auf.

Er hatte gerade noch die Kraft, sich auf den Baumstamm zu wälzen, dann wurde er ohnmächtig. Sein Körper war blau und zitterte vor Kälte. Der Atem des jungen ging keuchend.

Es war nicht leicht, den Baumstamm aus dem Bereich des Strudels ans Ufer zu rudern. Doch schließlich gelang es, und die Freunde trugen den noch immer bewußtlosen Seto an das noch schwach flackernde Feuer. Sie rieben seinen Körper und zogen ihm trockene Kleider über. Endlich kam wieder etwas Farbe in Setos Gesicht, und er schlug die Augen auf.

Kamo war wie immer ungeduldig. Er wollte wissen, was Seto unter Wasser erlebt hatte:

»Wie ist es gewesen?«

»Ich habe den Krug dicht über dem Spalt zerschlagen. Es ging ziemlich schwer. War denn kein Petroleum an der Oberfläche zu sehen?« fragte Seto, noch immer zitternd und mit schwacher Stimme.

»Nicht ein Fleckchen!«

»Fein, dann hat der Strudel alles mitgerissen«, sagte Seto, nun schon ganz munter und vergnügt. Er lächelte sogar, und allmählich bekamen auch die Wangen ihre frische Farbe wieder. »Um ein Haar, und der Strudel hätte mich mitgerissen. Ein Glück nur, daß ich angebunden war und daß der Spalt sehr schmal ist. Meine Füße waren schon drin.«

»Deswegen war es so schwer, dich rauszuziehen«, rief Grikor entsetzt.

»Nun ist ja alles in Ordnung«, sagte Aschot Stepanowitsch. »Wenn Seto sich jetzt frisch genug fühlt, wollen wir aufbrechen. Es ist schon spät, und wir haben noch viel vor.«

Sie stiegen schweigend die steinigen Pfade des Dali-Dagh hinab. Alle beschäftigte nur der eine Gedanke: War das Unternehmen gelungen? Wo würde das Petroleum wieder zum Vorschein kommen?

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