Kapitel 9

Brendan Patrick Pierre Prefontaine war wieder erstaunt. Obwohl er keine Reservierung vorgenommen hatte, wurde er am Empfang des Tranquility Inn wie eine Berühmtheit behandelt. Nur Augenblicke nachdem er eine Villa bestellt hatte, wurde ihm gesagt, daß bereits alles arrangiert sei, und man fragte ihn, ob der Flug von Paris angenehm gewesen sei. Minutenlang herrschte Konfusion, da der Besitzer des Tranquility Inn nicht erreicht werden konnte. Er war nicht zu Hause und auch sonst nirgends auffindbar. Schließlich gab man auf, und der frühere Richter aus Boston wurde in seine Unterkunft geführt, ein hübsches Häuschen mit Blick aufs Meer. Zufällig, nicht mit Absicht, harte er in die falsche Tasche gegriffen und dem Manager für seine Freundlichkeit eine Fünfzig-Dollar-Note zukommen lassen. Prefontaine wurde sofort zu einem Mann, mit dem man rechnen mußte. Finger schnippten und Glöckchen bimmelten. Nichts war gut genug für den erstaunten Fremden, der da mit dem Wasserflugzeug von Montserrat eingeflogen worden war… Es war der Name, der alle hinter dem Empfangstisch in Verwirrung gebracht hatte: Konnte es so einen Zufall geben?… Nochmals den Gouverneur anrufen — sichergehen:»Gebt dem Mann eine Villa.«

Kaum hatte er sie betreten und sein spärliches Gepäck in Schrank und Schubladen verstaut, ging das Durcheinander weiter. Eine eisgekühlte Flasche Chäteau Carbonnieux, Jahrgang '78, zusammen mit frischen Blumen und einer Schachtel belgischer Schokolade, kamen an, wurden aber gleich wieder von einem verwirrten Kellner abgeholt, der sich damit entschuldigte, daß sie für eine andere Villa weiter unten — oder weiter oben — bestimmt seien.

Der Richter zog seine Bermudas an, erschrak über seine spindeldürren Beine und wählte ein wollenes Sporthemd in gedämpften Farben. Weiße Sportschuhe und eine weiße Stoffmütze vervollständigten seinen Tropendress. Bald würde es dunkel sein, und er wollte noch etwas Spazierengehen, aus verschiedenen Gründen.

«Ich weiß, wer Jean Pierre Fontaine ist«, sagte John St. Jacques, als er das Register am Empfangstisch las,»er ist derjenige, dessentwegen ich vom Büro des Gouverneurs angerufen wurde, aber wer, zum Teufel, ist B. P. Prefontaine?«

«Ein berühmter Richter aus den Vereinigten Staaten«, erklärte der große schwarze stellvertretende Manager mit betont britischem Akzent.»Mein Onkel, der stellvertretende Direktor der Grenzbehörde, rief mich vor zwei Stunden vom Flughafen aus an. Unglücklicherweise war ich gerade oben, aber unsere Leute haben genau richtig gehandelt.«

«Ein Richter?«fragte der Besitzer des Tranquility Inn. Der Manager nahm ihn am Ellbogen und bedeutete ihm, sich vom Tisch und von den Angestellten etwas zu entfernen.

«Was hat dein Onkel gesagt?«

«Daß völlige Geheimhaltung geboten sei, was unsere beiden berühmten Gäste anbetreffe. Mein Onkel war sehr zurückhaltend, aber er erlaubte sich, den verehrten Richter zum Inter-Island-Schalter zu bringen. Der Richter und der französische Kriegsheld sind verwandt und wünschen sich vertraulich über Angelegenheiten von großer Wichtigkeit zu unterhalten.«

«Wenn das der Fall ist, warum hatte der Richter dann keine Reservierung?«

«Es scheint dafür zwei Erklärungen zu geben, Sir. Laut meinem Onkel sollten sie sich ursprünglich am Flughafen treffen, aber der Empfang durch den Gouverneur Ihrer Majestät hat das unmöglich gemacht.«

«Und die zweite Möglichkeit?«

«Vielleicht ist dem Büro des Richters in Boston ein Irrtum unterlaufen. Laut meinem Onkel gab es eine kurze Diskussion betreffs der Angestellten des Richters, wie oft die sich irren und falls etwas mit seinem Paß falschlaufe, er sie alle einfliegen lassen würde, damit sie sich entschuldigten.«

«Dann werden US-Richter sehr viel besser als ihre Kollegen in Kanada bezahlt. Er kann von Glück reden, daß wir überhaupt Platz hatten.«

«Um diese Zeit ist doch meist etwas frei.«

«Dann haben wir also zwei berühmte Verwandte, die sich privat treffen wollen, dabei aber sehr kompliziert vorgehen. Vielleicht sollten Sie den Richter anrufen und ihm sagen, in welcher Villa Fontaine wohnt… oder Prefontaine, zum Teufel wer auch immer.«

«Ich habe diese Höflichkeit meinem Onkel vorgeschlagen, Sir, aber davon wollte er absolut nichts wissen. Er sagt, große Männer haben Geheimnisse, und er möchte nicht, daß seine brillanten Rückschlüsse anders ans Licht kommen als durch die betreffenden Herren selbst.«

«Wie bitte?«

«Wenn der Richter solch einen Anruf erhielte, würde er wissen, daß die Information von meinem Onkel käme, dem stellvertretenden Direktor der Grenzbehörde in Montserrat.«

«Mein Gott, tu, was du willst, ich habe anderes im Kopf. Nebenbei, ich habe die Wachen auf der Straße und am Strand verdoppelt.«

«Haben wir mit Unannehmlichkeiten zu rechnen, Sir?«John St. Jacques schaute den stellvertretenden Manager an.»Jetzt nicht«, sagte er.»Ich bin bei meiner Schwester und ihren Kindern in Villa zwanzig.«

Der Widerstandsheld aus dem Zweiten Weltkrieg mit Namen Jean Pierre Fontaine ging langsam den Zementweg entlang, der zur letzten Villa führte. Wie die anderen hatte sie rosa verputzte Mauern und ein rotes Ziegeldach. Nur der Rasen drumherum war größer, die Umfassungshecke höher und dichter. Es war ein Ort für Premierminister und Präsidenten, Außenminister und Staatssekretäre, Männer und Frauen von internationaler Bedeutung, die den Frieden luxuriöser Abgeschiedenheit suchten.

Fontaine erreichte das Ende des Pfades, wo sich eine anderthalb Meter hohe, weiß gekalkte Mauer befand und dahinter der dicht bewachsene Hang, der bis zum Strand hinunterreichte. Die Mauer diente gleichzeitig zur Abgrenzung und zum Schutz. Den Eingang zu Villa zwanzig bildete eine rosa gestrichene, schmiedeeiserne, fest in der Mauer verankerte Pforte. Durch das Gitter konnte der alte Mann ein kleines Kind im Badeanzug herumrennen sehen. Kurz darauf erschien eine Frau in der Eingangstür.

«Komm herein, Jamie!«rief sie.»Es ist Zeit zum Abendessen.«

«Hat Alison schon gegessen, Mama?«

«Gegessen und schläft schon, Liebling.«

«Ich mag unser Haus daheim lieber. Warum können wir nicht in unser Haus zurück, Mami?«

«Weil Onkel John uns hier haben möchte… Er kann dich zum Fischen und Segeln mitnehmen wie im vergangenen April in den Osterferien.«

«Damals waren wir in unserem Haus.«

«Ja, damals war Papi auch bei uns…«

«Und wir hatten so viel Spaß mit dem Lastwagen!«

«Essen, Jamie. Komm jetzt.«

Mutter und Kind gingen ins Haus, und Fontaine erschrak, als er an die Befehle des Schakals dachte, an die blutigen Hinrichtungen, die er auszuführen hatte. Und dann kamen ihm wieder die Worte des Kindes in den Sinn:»Warum können wir nicht in unser Haus zurück, Mama?… Damals waren wir in unserem Haus. «Und die Antworten der Mutter:»Weil Onkel John möchte, daß wir bei ihm sind… Ja, damals war Papi auch bei uns…«

Es mochte eine Menge Erklärungen für den kurzen Dialog geben, den er gehört hatte, aber Fontaine vermochte Gefahren zu riechen, schneller als die meisten Menschen, denn sein Leben war voll davon gewesen. Auch jetzt spürte er eine Bedrohung. Er wandte sich von der Mauer ab und ging den Weg wieder zurück, so in Gedanken vertieft, daß er beinahe mit einem anderen Gast etwa in seinem eigenen Alter zusammengestoßen wäre, der eine idiotisch aussehende weiße Kappe und ebensolche Schuhe trug.

«Entschuldigen Sie«, sagte der Fremde und trat einen Schritt zur Seite.

«Pardon, monsieur!« rief der verwirrte Held Frankreichs aus, wobei er unbewußt in seine Muttersprache verfiel. »Je regrette — ich meine, ich bin es, der sich entschuldigen muß.«

«Oh!«Bei diesen Worten weiteten sich die Augen des Fremden kurz, als hätte er etwas wiedererkannt.»Keineswegs.«

«Pardon, sind wir uns schon begegnet, Monsieur?«

«Ich glaube nicht«, entgegnete der alte Mann mit der verrückten weißen Kappe.»Aber ich habe all die Gerüchte gehört: Ein großer Held Frankreichs sei unter den Gästen.«

«Unsinn. Ereignisse des Krieges, als wir alle viel jünger waren. Mein Name ist Fontaine. Jean Pierre Fontaine.«

«Meiner ist… Patrick. Brendan Patrick…«

«Ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Monsieur. «Die Männer schüttelten sich die Hände.»Ein wunderbarer Ort, nicht wahr?«

«Einfach wunderschön. «Wieder schien ihn der Fremde genau zu studieren, dachte Fontaine, jedoch vermied er jeden längeren Augenkontakt.

«Ich muß weiter«, sagte der ältere Gast mit den brandneuen Schuhen schließlich.»Befehl des Doktors.«

«Moz aussi«, sagte Jean Pierre, wobei er absichtlich französisch sprach, was offenbar auf den Fremden Eindruck machte. »Toujours les mededns, n'est-cepas?«

«Nur zu wahr«, erwiderte der alte Mann mit den dürren Beinen, nickte, machte eine ausholende Geste und ging schnell wieder den Weg zurück.

Fontaine stand bewegungslos da und sah ihm nach. Er wußte, daß es passieren würde, und dann passierte es. Der andere Mann hielt inne und drehte sich langsam um. Aus der Entfernung bohrten sich ihre Blicke ineinander. Das war genug. Jean Pierre lächelte, dann setzte er seinen Weg fort, zurück zu seiner Villa.

Das war eine weitere Warnung, dachte er, und zudem eine gefährliche. Drei Dinge waren offensichtlich: Erstens, der ältere Gast mit der verrückten weißen Kappe sprach französisch. Zweitens schien der andere zu wissen, daß Jean Pierre Fontaine in Wirklichkeit nicht Jean Pierre Fontaine war. Drittens… hatte der andere die Kälte des Schakals in seinen Augen. Mon Dieu, genau wie Monseigneur! Den Mord sorgfältig planen, sichergehen, daß er ausgeführt wurde, danach alle physischen Spuren, die Rückschlüsse auf das Geschehene boten, beseitigen. Die Armee der alten Männer. Kein Wunder, daß die Schwester gesagt hatte, sie könnten, nachdem die Befehle ausgeführt seien, in diesem Paradies bleiben, bis seine Frau sterben würde. Ein Datum, das bestenfalls ungenau war. Die Großzügigkeit des

Schakals war nicht so großartig, wie es schien: Der Tod seiner Frau, genau wie sein eigener, war bereits geplant.

John St. Jacques nahm den Telefonhörer in seinem Büro auf.

«Ja?«

«Sie haben sich getroffen, Sir!«sagte der aufgeregte stellvertretende Manager am Empfangstisch.

«Wer hat sich getroffen?«

«Der große Mann und sein berühmter Verwandter aus Boston. Ich hätte Sie gleich gerufen, aber es gab hier ein Durcheinander wegen einer Schachtel belgischer Schokolade…«

«Wovon reden Sie eigentlich?«

«Vor einigen Minuten habe ich sie durch das Fenster gesehen. Sie haben miteinander gesprochen. Mein verehrter Onkel hat in allen Punkten recht behalten!«

«Wie schön.«

«Das Büro des Gouverneurs wird zufrieden sein, und ich bin sicher, daß wir gelobt werden, insbesondere mein brillanter Onkel.«

«Schön für uns alle«, sagte St. Jacques gelangweilt.»Jetzt brauchen wir uns nicht länger um sie zu kümmern, oder?«

«Aus der hohlen Hand würde ich sagen, nein, Sir… Außer daß, wie ich gerade sehe, der alte verehrte Richter ziemlich hastig den Weg herunterläuft. Ich glaube, er will zu mir.«

«Wahrscheinlich wird er Ihnen danken wollen. Es kommt ein Sturm von Basse-Terre auf, und wir werden Nachrichten vom Büro des Gouverneurs brauchen, falls die Telefone ausfallen.«

«Ich werde mich selbst um alles kümmern, was er braucht, Sir!«

«Nun, die Zähne brauchen Sie ihm nicht zu putzen.«

Brendan Prefontaine hastete durch die Tür der Lobby. Er hatte gewartet, bis der Franzose zur ersten Villa abgebogen war, hatte dann die Richtung geändert und war direkt zum Hauptkomplex gelaufen. Wie so oft in den vergangenen dreißig Jahren mußte er beim Laufen eilends nachdenken, um für bestimmte Details plausible Erklärungen zu finden. Er fand einige offensichtliche und einige weniger wahrscheinliche, aber dennoch nicht weniger mögliche Begründungen. Er hatte gerade einen unvermeidbaren, aber dummen Fehler begangen. Unvermeidbar, weil er nicht darauf vorbereitet gewesen war, beim Empfang im Tranquility Inn einen falschen Namen anzugeben, falls eine Identifikation erforderlich würde, und dumm, weil er dem Helden Frankreichs einen falschen Namen genannt hatte… Na ja, nicht so dumm. Die Ähnlichkeit ihrer Nachnamen hätte zu unerwünschten Komplikationen führen können. Er wollte ja nur erfahren was Randolph Gates so erschreckte, daß er die fünfzehntausend Dollar herausgerückt hatte. Seine wirkliche Dummheit hatte darin bestanden, keinerlei Vorsichtsmaßnahmen für irgendwelche Eventualitäten vorbereitet zu haben. Er näherte sich dem Empfangstisch und dem großen, schlanken Angestellten dahinter.

«Guten Abend, Sir«, schrie der Angestellte förmlich, was den Richter veranlaßte, sich umzuschauen, dankbar, daß sich nur so wenige Gäste in der Lobby aufhielten.»Wie immer ich Ihnen dienlich sein kann, seien Sie meiner größten Sorgfalt versichert!«

«Ich würde mich schon besser fühlen, wenn Sie Ihre Stimme etwas senken würden, junger Mann.«

«Ich werde flüstern«, sagte der Angestellte kaum hörbar.

«Was haben Sie gesagt?«

«Wie kann ich Ihnen helfen?«setzte der Mann mit leiser Stimme erneut ein.

«Reden wir in Ruhe miteinander.«

«Gewiß. Ich fühle mich geehrt.«

«Sehr gut«, sagte Prefontaine.»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«

«Was immer Sie wünschen.«

«Pssst!«

«Gewiß.«

«Wie viele Leute in meinem Alter vergesse ich häufig etwas. Das verstehen Sie doch, nicht wahr?«

«Ein Mann von Ihrer Weisheit vergißt schwerlich etwas.«

«Was? Egal. Ich reise inkognito. Sie wissen, was ich meine.«

«Aber sicher, Sir.«

«Ich habe mich unter meinem Namen eingetragen, Prefontaine…«

«Das haben Sie«, unterbrach der Angestellte.»Ich weiß.«

«Das war ein Fehler. Mein Büro und die Leute, denen ich gesagt habe, mich anzurufen, werden es unter meinem mittleren Namen Patrick tun. Es ist eine harmlose Maßnahme, um mir meine verdiente Ruhe zu gönnen.«

«Ich verstehe«, sagte der Angestellte vertraulich.

«Wirklich?«

«Natürlich. Wenn man wüßte, daß so ein wichtiger Mann wie Sie unter unseren Gästen ist, würden Sie hier wenig Ruhe finden. Als jemand anders bleiben Sie völlig unbelästigt.«

«Ja, ja…«

«Ich werde die Liste höchstpersönlich korrigieren, Herr Richter.«

«Richter? Ich habe nichts von einem Richter gesagt.«

Auf dem Gesicht des Mannes spiegelte sich Verwirrung.»Ihr untertänigster Diener.«

«Und niemandem ein Wort!«

«Ehrenwort, niemand außer dem Besitzer weiß etwas von der vertraulichen Natur Ihres Besuches, Sir«, flüsterte der Angestellte und lehnte sich über den Tisch.»Alles ist völlig diskret!«

«Heilige Maria, dieses Arschloch am Flughafen…«

«Mein scharfsinniger Onkel«, fuhr der Angestellte fort, ohne Prefontaines leise, monotone Stimme gehört zu haben,»hat mir ganz deutlich gesagt, daß es eine Ehre für uns sei, mit so bedeutenden Persönlichkeiten zu tun zu haben, die absolute Vertraulichkeit beanspruchen. Verstehen Sie, er rief mich in diesem Sinne an…«

«Ist gut, ist gut, junger Mann, ich verstehe jetzt und schätze alles, was Sie tun. Sorgen Sie nur dafür, daß der Name in Patrick geändert wird, und sollte irgend jemand hier nach mir fragen, soll ihm oder ihr dieser Name genannt werden. Wir verstehen uns?«

«Mit aller Deutlichkeit, verehrter Richter!«

«Bitte nicht.«

Vier Minuten später nahm ein gequälter stellvertretender Manager das klingelnde Telefon ab.»Empfang«, sagte er, als wollte er eine Segnung erteilen.

«Hier ist Monsieur Fontaine aus Villa elf.«

«Ja, Sir. Es ist mir eine Ehre, uns, uns allen!«»Merci. Ich frage mich, ob Sie mir helfen können… Ich traf vor etwa einer Viertelstunde auf dem Weg einen Amerikaner, einen Mann etwa in meinem Alter, der eine weiße Kappe trug. Ich dachte, ich könnte ihn vielleicht einmal zu einem Aperitif einladen, aber ich bin nicht sicher, ob ich seinen Namen richtig verstanden habe.«

Ich werde geprüft, dachte der Manager. Große Männer haben nicht nur Geheimnisse, sondern kümmern sich auch um die Leute, die sie teilen.»Nach Ihrer Beschreibung würde ich sagen, daß Sie unseren netten Mr. Patrick getroffen haben.«

«Ach ja, ich glaube, das war der Name. Ein irischer Name wohl, aber er ist doch Amerikaner, oder?«

«Ein sehr gelehrter Amerikaner, Sir, aus Boston, Massachusetts. Er wohnt in Villa vierzehn, der dritten westlich von Ihnen. Sie können einfach sieben-eins-vier wählen.«»Danke sehr. Wenn Sie Mr. Patrick sehen, hätte ich es lieber, wenn Sie ihm nichts von diesem Anruf sagten. Wie Sie wissen, geht es meiner Frau nicht gut, und ich kann die Einladung erst aussprechen, wenn es ihr angenehm ist.«

«Ich würde niemals etwas sagen, wenn es mir nicht ausdrücklich aufgetragen wird, Sir. Was Sie und den gelehrten Mr. Patrick angeht, folgen wir den Anweisungen zur Vertraulichkeit buchstabengetreu.«»Wirklich? Das ist sehr löblich… Adieu.« Ich habe es gebracht! dachte der stellvertretende Manager und legte den Hörer auf. Große Männer verstanden sich auf Feinheiten, und er war sehr subtil gewesen, auf eine Weise, wie sie sein Onkel zu schätzen wissen würde. Nicht nur, indem er augenblicklich den Namen Patrick geliefert hatte, sondern auch und viel wichtiger, durch die Verwendung des Begriffs» gelehrt«- was einen Professor nahelegt oder auch einen Richter. Er mußte seinen Onkel anrufen, damit sie ihren gemeinsamen Triumph teilen konnten.

Fontaine saß auf der Bettkante und hielt noch immer das Telefon in der Hand. Er starrte zu seiner Frau draußen auf dem Balkon hinüber. Er betrachtete ihr Profil. Neben ihr auf einem Tischchen stand ein Glas Wein. Vor Schmerzen hielt sie den Kopf gesenkt… Schmerzen! Die ganze furchtbare Welt war voller Schmerzen! Und er hatte seinen Teil dazu beigetragen, sie zu vermehren, soviel begriff er. Und er erwartete kein Pardon, außer für seine Frau. Sein Leben, ja, natürlich, aber nicht ihres. Non, Monseigneur. Je refus! Ce n'estpas le contrat!

Die Armee des Schakals war also schon in Amerika das war zu erwarten gewesen. Und ein alter irischer Amerikaner mit einer idiotischen weißen Kappe, ein Gelehrter, der aus dem einen oder anderen Grund zum Kult des Terrorismus bekehrt worden war, sollte ihre Hinrichtung durchführen. Ein Mann, der ihn genau beobachtet hatte und vorgab, kein Französisch zu sprechen, der die Kälte des Schakals in den Augen trug.»Was Sie und den gelehrten Mr. Patrick angeht, folgen wir den Instruktionen des Gouverneurs. «Und der Gouverneur, der erhielt seine Instruktionen vom Meister des Todes aus Paris.

Vor zehn Jahren, und nach zehnjähriger Arbeit für den Monseigneur, war ihm eine Telefonnummer in Argenteuil, zehn Kilometer nördlich von Paris, gegeben worden, die er niemals anrufen sollte, außer in extremen Notfällen. Erst einmal hatte er sie benutzt, und jetzt würde er es wieder tun. Er suchte die internationale Vorwahl heraus, griff zum Hörer und wählte. Nach gut zwei Minuten nahm jemand ab.

«Le Coeur du Soldat«, sagte eine klanglose, männliche Stimme, während im Hintergrund martialische Musik spielte.

«Ich muß eine Schwarzdrossel erreichen«, sagte Fontaine auf französisch.»Meine Identität ist Paris fünf.«

«Wenn eine solche Forderung möglich ist, wo kann ein solcher Vogel Sie erreichen?«

«In der Karibik. «Fontaine gab die Vor- und die Durchwahl von Villa elf an. Er legte den Hörer auf und saß verzagt auf der Bettkante. Im Innersten wußte er, daß dies ihre letzten Stunden sein konnten. Und wenn schon, dann würden er und seine Frau vor das Angesicht Gottes treten und die Wahrheit sagen: Er hatte getötet, das war keine Frage, aber niemals hatte er eine Person verwundet oder getötet, die nicht große Verbrechen gegen andere begangen hatte — mit ein paar kleineren Ausnahmen, die als unschuldige Zuschauer bezeichnet werden konnten, die in der Hitze des Gefechtes oder einer Explosion umgekommen waren. Das ganze Leben bestand aus Schmerzen, sagte das nicht schon die Schrift?… Andererseits, was für eine

Art Gott erlaubte solche Brutalitäten? Merde! Denk nicht an solche Dinge!

Das Telefon klingelte, und Fontaine legte den Hörer an sein Ohr.»Hier ist Paris fünf«, sagte er.

«Kind Gottes, was kann so außerordentlich wichtig sein, daß du eine Nummer benutzt, die du bislang nur einmal gewählt hast?«

«Ihre Großzügigkeit, Monseigneur, ist grenzenlos gewesen, aber ich habe das Gefühl, daß wir unseren Vertrag neu definieren müssen.«»In welcher Weise?«

«Mein Leben gehört Ihnen, und Sie können damit verfahren, wie es Ihnen beliebt, aber nicht mit dem meiner Frau.«»Was?«

«Ein Mann ist hier, ein Gelehrter aus Boston, der mich mit neugierigen Augen beobachtet, Augen, die mir sagen, daß er andere Absichten im Kopf hat.«

«Dieser arrogante Idiot ist auf eigene Faust nach Montserrat geflogen? Er weiß nichts!«

«Offensichtlich doch, und ich bitte Sie, ich werde alles tun, was Sie befehlen, aber lassen Sie uns nach Paris zurückkehren… Lassen Sie sie in Frieden sterben. Um mehr bitte ich Sie nicht.«

«Du bittest mich? Ich habe dir mein Wort gegeben!«»Warum ist dann der Gelehrte aus Amerika hier und folgt mir mit undurchsichtigem Blick, Monseigneur?«

Das tiefe, hohle Rollen eines schweren Hustens erfüllte das Schweigen, bevor der Schakal wieder sprach.»Der große Rechtsgelehrte hat seine Kompetenzen überschritten, hat sich eingemischt, wo er nichts zu suchen hat. Er ist ein toter Mann.«

Edith Gates, Ehefrau des berühmten Rechtsanwalts und Professors, öffnete leise die Tür zu seinem Arbeitszimmer in ihrem eleganten Haus am Louisburg Square in Boston. Ihr Gatte saß bewegungslos in seinem schweren Ledersessel und starrte in das knisternde Feuer, ein Feuer, auf dem er bestand, trotz der warmen Nacht draußen und der Zentralheizung drinnen.

Wieder wurde Mrs. Gates von dem schmerzlichen Bewußtsein überwältigt, daß es… Dinge… an ihrem Mann gab, die sie niemals verstehen würde. Sie wußte nur, daß er von Zeit zu Zeit unter furchtbaren Schmerzen litt, sich aber nicht mitteilte, obwohl ihm, wenn er nur davon sprechen könnte, vielleicht leichter würde. Dreiunddreißig Jahre zuvor hatte eine einigermaßen attraktive junge Frau mit mittlerem Vermögen einen außerordentlich großen, schmächtigen, brillanten, aber verarmten Jurastudenten geheiratet, dessen Strebsamkeit und Eifer die großen Firmen in der damals noch verhaltenen Zeit leicht skeptisch gegenüb erstanden. Weltklugheit und das Streben nach Sicherheit wurden mehr geschätzt als ein schwelender, unruhiger, hervorragender Geist, insbesondere ein Geist in einem Kopf mit ungekämmtem Haar, in einem Körper, der sich in billige Imitationen von J. Press und Brooks Brothers kleidete, die um so armseliger aussahen, da sein Bankkonto nur selten eine Neuanschaffung erlaubte und nur wenige Läden seine Größe überhaupt führten.

Die frischgebackene Mrs. Gates jedoch hatte verschiedene Ideen gehabt, die die Aussichten ihres gemeinsamen Lebens verbessern konnten. Dazu gehörte, daß die juristische Karriere erst einmal beiseite gelegt wurde — besser gar keine als eine in einer unbekannten Firma oder, Gott behüte, eine Privatpraxis mit jener Art von Klienten, die so eine Praxis nun einmal anziehen würde, Leute nämlich, die sich keine bekannteren Rechtsanwälte leisten konnten. Es war besser, seine natürlichen Begabungen zu nutzen, seine eindrucksvolle Größe und seine schnelle, aufnahmefähige Intelligenz, die, kombiniert mit seiner Energie, eine umfangreiche akademische Kapazität ausmachten. Edith schuf ihrem Mann mit ihren bescheidenen Mitteln ein neues Äußeres, indem sie ihn neu einkleidete und ihn Sprechunterricht nehmen ließ. Der nicht sehr aussichtsreiche

Hochschulabsolvent bekam auf diese Weise bald Lincolnsche Qualitäten, mit einem Schuß John Brown. Und schon war er auf dem besten Weg, ein Rechtsexperte zu werden. Er blieb vorerst an der Universität, qualifizierte sich weiter und weiter, bis der schiere Umfang seines Expertenwissens auf bestimmten Gebieten so unbestreitbar war, daß er von eben jenen Finnen um Rat gebeten wurde, die ihn früher zurückgewiesen hätten.

Diese Strategie kostete beinahe zehn Jahre, bevor sie konkrete Ergebnisse zeitigte. Juristische Zeitschriften, erst kleinere, dann bedeutendere, veröffentlichten seine Artikel sowohl wegen ihres Stils als auch wegen ihres Inhalts, denn der junge Außerordentliche Professor hatte eine verführerische Art zu schreiben, glatt und geheimnisvoll zugleich, zuweilen blumig und sarkastisch. Im Grunde aber waren es die Auffassungen, die sich allmählich in ihm herausbildeten, von denen die Finanzwelt angezogen wurde. Die Stimmung im Lande veränderte sich, der Firniß der barmherzigen Great Society begann abzuplatzen, die Wunden breiteten sich aus. Die von den Nixon-Boys geprägten Schlagworte der» Schweigenden Mehrheit «und» Wohlfahrtsempfänger «machten sich immer mehr breit und mit ihnen die Diskriminierung. Niederträchtigkeit schoß überall aus dem Boden, die nicht einmal der empfindsame, anständige Ford stoppen konnte, geschwächt, wie er war, durch Watergate. Auch Carter vermochte nicht mit ihr fertig zu werden, weil er vom Alltag seiner altruistischen Führung aufgefressen wurde. Der Satz:»Was du für dein Land tun kannst«, kam aus der Mode und wurde ersetzt durch:»Was ich für mich tun kann.«

Dr. Randolph Gates fand eine hohe Welle, auf der er reiten konnte. Er hatte eine einschmeichelnde Rednerstimme und ein allmählich immer herberes Vokabular, um der aufziehenden neuen Ära gerecht zu werden. Seiner nunmehr verfeinerten — wissenschaftlichen — Auffassung nach, war größer gleich besser und mehr besser als weniger — rechtlich, ökonomisch und sozial. Die Gesetze, die den Wettbewerb auf dem Markt stärkten, griffer als hinderlich für den weiteren Ausbau industriellen Wachstums an. Wachstum allein, so verkündete er, sei Wohltat für jedermann — na ja, praktisch für jedermann. Es war schließlich eine darwinistische Welt, und — ob man nun wollte oder nicht — es war immer nur der Tüchtigste, der überleben würde. Pauken und Trompeten ertönten, und die Finanzexperten fanden einen Genossen, einen Rechtsgelehrten, der ihren Träumen und Taten, ihren Kartellbildungen und profitablen Manipulationen offizielles Ansehen verlieh: aufkaufen, übernehmen, verkaufen, alles zum Wohle» aller«- natürlich.

Randolph Gates wurde eingeladen, und eilfertig rannte er in ihre Arme. Einen Gerichtssaal nach dem anderen verblüffte er mit seinen eloquenten Gedankensprüngen. Er hatte es geschafft, aber Edith Gates war nicht sicher, was das letztlich zu bedeuten hatte. Sie hatte ein angenehmes, bequemes Leben für sie beide im Auge gehabt, natürlich, aber nicht Millionen, auch nicht die Privatjets, die in der ganzen Welt herumflogen, von Palm Springs bis in den Süden Frankreichs. Es war ihr unwohl dabei, wenn die Artikel und die Vorlesungen ihres Mannes benutzt wurden, um Dinge gleichzusetzen, die nicht zu vergleichen waren oder die ihr sogar unfair erschienen: Er wischte ihre Argumente jedoch stets beiseite und behauptete, daß die fraglichen Fälle legitime intellektuelle Parallelen enthielten. Obendrein hatten sie seit über sechs Jahren kein Bett mehr geteilt.

Sie kam in sein Arbeitszimmer und hielt abrupt inne, da er nach Luft rang. Er drehte den Kopf mit glasigen und alarmierten Augen zu ihr herum.

«Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

«Du klopfst doch sonst immer. Du weißt, wie es ist, wenn ich mich konzentriere.«

«Ich sagte, es tut mir leid. Mir ist etwas im Kopf herumgegangen, und so habe ich nicht weiter nachgedacht.«

«Das ist ein Widerspruch.«

«Nicht an das Klopfen gedacht, meine ich.«

«Was geht dir durch den Kopf«, fragte der berühmte Rechtsanwalt, als bezweifle er, daß seine Frau überhaupt einen hatte.

«Nimm mich bitte nicht auf den Arm.«»Was ist denn, Edith?«»Wo warst du letzte Nacht?«Gates zog seine Brauen in spöttischer Verwunderung hoch.

«Mein Gott, bist du argwöhnisch? Ich hab dir doch gesagt, wo ich war. Im Ritz. Zu einer Besprechung mit jemandem, den ich vor vielen Jahren einmal gekannt habe. Genauer gesagt, war es jemand, den ich nicht in meinem Haus haben wollte. Wenn du einen Beweis brauchst — in deinem Alter! — , dann ruf das Ritz an.«

Edith Gates schwieg für einen Moment. Sie sah einfach nur ihren Mann an.»Mein Liebster«, sagte sie,»ich scheiße drauf, ob du einen Treff mit der geilsten Nutte vom Nobelstrich hast. Allerdings müßte ihr jemand hinterher ein paar Drinks spendieren, um ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen.«

«Nicht schlecht, alte Schlampe.«»Schließlich bist du nicht gerade ein Hengst, du Bastard.«

«Hat dieses Gespräch einen besonderen Sinn?«»Ich denke schon. Vor einer Stunde, kurz bevor du aus dem Büro nach Hause kamst, war ein Mann an der Tür. Denise putzte gerade das Silber, also ging ich öffnen. Ich muß sagen, er sah beeindruckend aus. Er war außerordentlich teuer gekleidet und fuhr einen schwarzen Porsche…«

«Und?«unterbrach Gates, sich in seinem Sessel vorbeugend und die Augen plötzlich weit geöffnet und hart.

«Er sagte, ich solle dir sagen, daß le grand professeur ihm zwanzigtausend Dollar schulde und nicht dort war, wo er vergangene Nacht hätte sein sollen… Ich nehme an, er meinte das Ritz.«

«Nein, nein… Oh, verdammt, er versteht nicht. Was hast du ihm gesagt?«»Mir gefiel weder seine Sprache noch seine Haltung. Ich sagte ihm, ich hätte nicht die leiseste Ahnung, wo du wärst. Er wußte, ich lüge, aber konnte ja wohl kaum was dagegen tun.«

«Gut. Lügen, das kennt er.«

«Ich kann mir nicht vorstellen, daß zwanzigtausend für dich so ein Problem sind… «

«Es ist nicht das Geld, es ist die Art der Bezahlung.«

«Wofür?«

«Für nichts.«

«Ich glaube, so was nennst du einen Widerspruch, Randy.«

«Halt's Maul!«

Das Telefon läutete. Gates sprang aus dem Sessel hoch und starrte zum Tisch hin. Er machte keine Anstalten, den Hörer aufzunehmen. Statt dessen sagte er mit kehliger Stimme:»Wer immer es ist, sag ihm, ich bin nicht hier… ich bin weg, nicht in der Stadt — du weißt nicht, wann ich zurück sein werde.«

Edith ging zum Telefon.»Das ist deine Privatnummer«, sagte sie, als sie den Hörer hochnahm.»Das Anwesen von Gates«, begann Edith — ein Spaß, den sie seit Jahren machte. Ihre Freunde wußten, daß sie sich so meldete, und die anderen zählten für sie sowieso nicht.»Ja… Ja? Tut mir leid, er ist nicht da, und wir wissen nicht, wann er zurück sein wird. «Sie betrachtete kurz das Telefon und legte dann auf. Sie drehte sich zu ihrem Mann um.»Das war Paris… Seltsam. Jemand fragte nach dir, aber als ich sagte, du wärst nicht da, fragte er nicht einmal, wo man dich erreichen könnte. Einfach aufgelegt — ganz abrupt.«

«Oh, mein Gott!«schrie Gates, sichtlich erschüttert.»Es ist irgend etwas passiert… irgend etwas ist schiefgegangen, irgend jemand hat gelogen!«

Mit diesen rätselhaften Worten drehte sich der Rechtsanwalt auf dem Absatz um, lief quer durch den Raum und wühlte in seiner Hosentasche. Er ging zu dem Teil der Bücherwand, wo etwa in Brusthöhe ein safeähnliches Schränkchen mit einer geschnitzten Holztür eingelassen war. Wie in Panik drehte er sich um und schrie seine Frau an:»Mach, daß du rauskommst. Raus hier, raus!«

Edith Gates ging langsam zur Tür, wo sie sich noch einmal zu ihrem Mann umdrehte und ruhig sagte:»Es geht alles auf Paris zurück, nicht wahr, Randy? Vor sieben Jahren in Paris. Dort ist etwas passiert, oder? Du kamst ziemlich verstört wieder zurück, mit einer tiefen Bedrückung, über die du nicht sprechen wolltest.«

«Raus hier!«

Edith ging hinaus und schloß die Tür hinter sich, ließ aber die Klinke nicht los, und Sekunden später öffnete sie die Tür nur einen Spalt breit und sah zu ihrem Mann hinüber. Der Schock übertraf alle ihre Vorstellungen. Der Mann, mit dem sie seit dreiunddreißig Jahren zusammenlebte, der Rechts-Gigant, der weder rauchte noch trank, stieß sich eine Nadel in den Unterarm.

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