Mit fragendem Gesichtsausdruck lauschte Marie der Stimme ihres Mannes am Telefon und nickte Mo Panov am anderen Ende des Hotelzimmers zu.»Wo bist du jetzt?«fragte sie.
«In einer Telefonzelle im Plaza-Athenee«, antwortete Borowski:»In zwei Stunden bin ich zurück.«
«Was ist los?«
«Komplikationen, aber auch einige Fortschritte.«
«Das sagt mir überhaupt nichts.«
«Es gibt nicht soviel zu erzählen.«
«Wie ist dieser Krupkin?«
«Er ist ein Original. Er hat uns in die sowjetische Botschaft gebracht, und ich habe über einen von ihren Apparaten mit deinem Bruder gesprochen.«
«Was?… Wie geht es den Kindern?«
«Prima. Alles ist prima. Jamie amüsiert sich königlich, und Mrs. Cooper läßt nicht zu, daß Johnny Alison auch nur anfaßt.«
«Wie ist die Nummer? Ich will sie anrufen.«
«Holland baut uns eine sichere Leitung auf. In einer Stunde etwa wissen wir Bescheid.«
«Was bedeutet, daß du lügst.«
«Es ist so und nicht anders. Du solltest eigentlich bei ihnen sein. Wenn ich mich verspäte, rufe ich dich an.«
«Warte einen Moment. Mo möchte mit dir sprechen…«
Die Leitung wurde unterbrochen. Auf der anderen Seite des Zimmers schüttelte Panov langsam seinen Kopf, als er Maries Reaktion auf das plötzlich unterbrochene Gespräch beobachtete.
«Vergiß es«, sagte er.»Ich bin der letzte, mit dem er reden möchte.«
«Er ist wieder ganz zurückgefallen, Mo. Er ist nicht mehr David.«
«Es geht jetzt um etwas«, fügte Panov sanft hinzu,»womit David nicht fertig werden würde.«
«Das ist das Erschreckendste, was ich jemals von dir gehört habe. «Der Psychiater nickte.»Das kann gut sein.«
Der graue Citroen war mehr als hundert Meter weit schräg gegenüber des überdachten Eingangs von Dominique Laviers Appartementhaus in der vornehmen Avenue Montaigne geparkt. Krupkin, Alex und Borowski saßen im Fond, Conklin auf dem Notsitz, wegen seiner Größe und des steifen Beins war der Platz für ihn geeigneter. Die Unterhaltung war auf ein Minimum reduziert, während die drei Männer die Glastüren des Hauses beobachteten.
«Sind Sie sicher, daß es funktioniert?«fragte Jason.
«Ich bin nur sicher, daß Sergej ein immens talentierter Profi ist«, erwiderte Krupkin.»Er wurde in Nowgorod ausgebildet, wissen Sie, und sein Französisch ist makellos. Außerdem hat er eine Anzahl von Ausweisen bei sich, die auch die Dokumentenabteilung des Deuxieme Bureau täuschen würden.«
«Was ist mit den anderen beiden?«wollte Borowski wissen.
«Stille Untergebene, kontrolliert und unterwürfig. Ebenfalls Experten ihres Fachs… Da kommt er!«
Man sah Sergej durch die Glastür herauskommen. Er wandte sich nach links, und Augenblicke später überquerte er den breiten Boulevard und lief zu dem Citroen. Er erreichte den Wagen, ging um die Motorhaube herum und kletterte hinter das Lenkrad.
«Alles in Ordnung«, sagte er, indem er seinen Kopf über den Vordersitz beugte.»Madame ist noch nicht zurückgekehrt. Die
Wohnungsnummer ist einundzwanzig, zweiter Stock, rechte Vorderseite. Sie ist gründlich gesäubert, es gibt keine Abhörgeräte.«
«Sind Sie sicher?«fragte Conklin.»Wir haben hier keinen Platz für Irrtümer, Sergej.«
«Unsere Geräte sind die besten, Sir«, antwortete der KGB-Mitarbeiter lächelnd.»Es schmerzt mich, es zu sagen, Sir, aber sie wurden von der General Electronics Corporation im Auftrag von Langley entwickelt.«
«Zwei Punkte für unsere Seite«, sagte Alex.
«Minus zwölf, weil ihr euch die Pläne habt klauen lassen«, schloß Krupkin.
«Wo sind die anderen beiden Männer?«fragte Borowski.»In den Korridoren um die Lobby herum, Sir. Ich gehe nachher wieder zu ihnen, und wir haben einen Wagen zur Unterstützung am anderen Ende der Straße… Ich fahre Sie jetzt hin.«
«Warten Sie einen Moment«, unterbrach Conklin.»Wie kommen wir rein? Was sagen wir?«
«Es ist schon alles geklärt, Sie brauchen nichts zu sagen. Sie sind autorisiertes Geheimpersonal des französischen SEDCE…«
«Des was?«
«Der Dienststelle für Außendokumentation und Gegenspionage«, antwortete Alex.»Das ist Langley hier am ähnlichsten.«
«Was ist mit dem Deuxieme?«
«Spezialabteilung«, sagte Conklin nebenbei, in Gedanken woanders.»Manche sagen, es sei eine Eliteeinheit, andere wieder was anderes… Sergej, werden die das nicht überprüfen?«
«Das haben sie schon, Sir. Nachdem ich dem Portier und seinem Helfer meinen Ausweis gezeigt hatte, habe ich ihnen eine Geheimnummer gegeben, die die Dienststelle und meinen Status bestätigt hat. Anschließend habe ich Sie alle drei beschrieben, eine Unterhaltung abgelehnt und nur um Zugang zu Madame Laviers Wohnung gebeten… Ich fahre jetzt hinüber. Das macht einen besseren Eindruck auf den Portier.«
«Manchmal ist die Einfachheit, wenn sie von Amtsgewalt gestützt wird, die beste Tauschung«, bemerkte Krupkin, als der Citroen durch den spärlichen Verkehr über die breite Straße zum Eingang des Appartementkomplexes aus weißem Stein manövriert wurde.»Fahr den Wagen um die Ecke außer Sichtweite, Sergej«, befahl der KGB-Offizier und langte nach dem Türgriff.»Und mein Funkgerät, wenn ich bitten darf?«
«Ja, Sir«, erwiderte sein Mitarbeiter, als er Krupkin ein winziges elektronisches Gerät über den Sitz reichte.»Ich gebe Ihnen ein Zeichen, wenn ich in Stellung bin.«
«Ich kann mit diesem Ding alle erreichen?«
«Ja, Genosse. Nach hundertfünfzig Metern ist die Frequenz nicht mehr feststellbar.«
«Kommen Sie, Gentlemen.«
In der marmornen Lobby nickte Krupkin dem förmlich gekleideten Portier hinter dem Tresen zu, Jason und Alex zur Rechten des Russen. »La porte est ouverte«, sagte der Portier und vermied, den Blick zu Boden gewandt, den Blickkontakt.»Ich werde nicht in Erscheinung treten, wenn Madame eintrifft«, fuhr er auf französisch fort.»Wie Sie hineingekommen sind, ist mir nicht bekannt. Es gibt allerdings auf der Rückseite des Gebäudes einen Lieferanteneingang.«
«Wenn wir keine offizielle Genehmigung hätten, wären wir sicher durch ihn gekommen«, sagte Krupkin und sah geradeaus, als er und seine Begleiter zum Fahrstuhl gingen.
Die Wohnung der Lavier war ein Vermächtnis an die Welt des Chic der Haute Couture. Die Wände waren übersät von Fotos der Modeprominenz beim Besuch wichtiger Ausstellungen und Ereignisse, daneben hingen gerahmte Originalzeichnungen berühmter Designer. Die Möbel waren sachlich wie ein Mondrian, die Farben gewagt und überwiegend rot, schwarz und dunkelgrün. Die Sessel, Sofas und Tische waren Sesseln, Sofas und Tischen nur entfernt ähnlich — sie schienen eher für den Gebrauch in einem Raumschiff gedacht zu sein.
Mechanisch begannen Conklin und der Russe sofort damit, die Tische zu untersuchen, stöberten handgeschriebene Notizen hervor, von denen einige neben einem Telefon aus Perlmutt auf so etwas wie einem gebogenen, dicken, grünen Tisch lagen.
«Wenn das hier ein Schreibtisch ist«, sagte Alex,»wo, zum Teufel, sind die Schubladen?«
«Das ist das Neueste von Leconte«, erwiderte Krupkin.
«Dem Tennisspieler?«unterbrach Conklin.
«Nein, Aleksej, dem Möbeldesigner. Du mußt drauf drücken, dann fahren sie raus.«
«Du machst Witze.«
«Versuch es.«
Conklin tat es, und eine kaum wahrnehmbare Schublade löste sich aus einem beinahe unsichtbaren Spalt.»Nicht zu glauben…«Krupkins Minifunkgerät in seiner Brusttasche stieß plötzlich zwei scharfe Pieptöne aus.»Das muß Sergej sein«, sagte Dimitrij und holte seinen Apparat hervor.»Bist du an deinem Posten, Genosse?«fuhr er fort und sprach in das Unterteil des Funkgeräts.
«Mehr als das«, hörte man die leise Stimme des Mitarbeiters aus dem statischen Rauschen heraus.»Die Lavier hat gerade das Haus betreten.«
«Der Portier?«
«Nirgendwo zu sehen.«
«Gut. Ende… Aleksej, geh weg da. Die Lavier ist auf dem Weg nach oben.«»Du willst dich verstecken?«fragte Conklin spaßhaft und blätterte in den Seiten eines Notizbuches mit Telefonnummern.
«Ich würde lieber nicht sofort mit den Feindseligkeiten anfangen, was der Fall sein wird, wenn sie sieht, daß du in ihren persönlichen Sachen herumblätterst.«
«Schon gut, schon gut. «Alex legte das Notizbuch wieder zurück in die Schublade und schloß sie.»Aber wenn sie nicht kooperieren will, nehme ich das kleine, schwarze Buch an mich.«
«Sie wird kooperieren«, sagte Borowski.»Ich habe dir gesagt, sie will aussteigen, und das kann sie nur mit einem toten Schakal. Geld ist von zweitrangiger Bedeutung nicht belanglos, aber zuerst kommt das Aussteigen.«
«Geld?«fragte Krupkin.»Welches Geld?«
«Ich habe ihr angeboten, sie zu bezahlen, und das werde ich auch.«
«Und ich kann Ihnen versichern, daß Geld für Madame Lavier nicht zweitrangig ist«, fügte der Russe hinzu.
Das Geräusch eines Schlüssels, der in ein Schloß eingeführt wurde, hallte im ganzen Wohnzimmer nach. Die drei Männer wandten sich der Tür zu, als eine verwirrte Dominique Lavier hereinkam. Ihr Erstaunen war kurz, jedenfalls war sie nicht aus der Fassung gebracht. Die Augenbrauen angehoben, als wäre sie ein königliches Mannequin, gab sie den Schlüssel in ihre perlenverzierte Handtasche zurück, sah zu den Eindringlingen hinüber und sagte auf englisch:»Na, Kruppie, ich hätte wissen sollen, daß auch du irgendwo in dieser Bouillabaisse steckst.«
«Ah, die bezaubernde Jacqueline, oder können wir die
Verstellung fallenlassen, Domie…?«
«Kruppie?«rief Alex.»Domie…?… Ist das hier ein
Heimattreffen?«
«Genosse Krupkin ist einer der bekannteren KGB-Offiziere in Paris«, sagte die Lavier, als sie zu dem langen, würfelförmigen, roten Tisch hinter dem weißen Seidensofa ging und ihre Handtasche ablegte.»Ihn zu kennen ist in manchen Kreisen de rigeur.«
«Es hat seine Vorteile, liebe Domie. Übrigens, wenn ich es recht verstanden habe, hast du unseren hochgewachsenen amerikanischen Freund bereits kennengelernt und gewisse Abmachungen mit ihm getroffen, so daß ich glaube, es wäre nur angemessen, dir seinen Kollegen vorzustellen. Madame, Monsieur Aleksej Konsolikow.«
«Ich glaube dir nicht. Er ist kein Russe. Meine Nüstern haben mit der Zeit einen ungewaschenen Bären riechen gelernt.«
«Ah, du machst mich fertig, Domie! Aber du hast recht, es war ein elterliches Fehlurteil. Daher darf er sich selbst vorstellen, wenn er möchte.«
«Mein Name ist Conklin, Alex Conklin, Miss Lavier, und ich bin Amerikaner. Allerdings hat unser flüchtiger Bekannter in einer Hinsicht recht. Meine Eltern waren Russen, und ich spreche die Sprache fließend, so daß er in Verlegenheit kommt, wenn er mich in sowjetischer Gesellschaft in die Irre führen will.«
«Köstlich.«
«Nun, es ist zumindest reizvoll, wenn man Kruppie kennt.«
«Ich bin verletzt, tödlich verletzt!«rief Krupkin aus.»Du willst mit uns zusammenarbeiten, Domie?«
«Das werde ich, Kruppie. Mein Gott, werde ich mit euch arbeiten! Ich möchte nur darum bitten, daß Mr. Borowski sein Angebot an mich noch etwas näher erläutert. Mit Carlos bin ich ein Tier im Käfig, aber ohne ihn bin ich eine nahezu mittellose, alternde Kurtisane. Ich will, daß er für den Tod meiner Schwester bezahlt und für alles, was er mir angetan hat, aber ich habe kein Bedürfnis danach, im Rinnstein zu enden.«
«Nennen Sie Ihren Preis«, sagte Jason.
«Schreiben Sie ihn auf«, stellte Conklin mit einem Blick auf Krupkin klar.
«Lassen Sie mich nachdenken«, sagte die Lavier, während sie um das Sofa herum zu dem Leconte-Tisch ging.»In einigen Jahren werde ich sechzig — auf die eine oder andere Art, das ist unerheblich —, und ohne den Schakal und bei Ausbleiben irgendeiner tödlichen Krankheit bleiben mir vielleicht fünfzehn bis zwanzig Jahre. «Sie beugte sich über den Schreibtisch und schrieb eine Zahl auf einen Notizblock, riß den Zettel ab, dann richtete sie sich auf und sah den großen Amerikaner an.»Für Sie, Mr. Borowski, und ich möchte nicht gerne handeln. Ich glaube, es ist eine faire Summe.«
Jason nahm das Papier und las den Betrag: eine Million amerikanische Dollar.»Sie haben recht«, sagte Borowski und gab der Lavier den Zettel zurück.»Fügen Sie hinzu, wie und wo Sie es ausgezahlt haben möchten, und ich werde die notwendigen Vorkehrungen treffen. Das Geld wird schon morgen früh dasein.«
Die alternde Kurtisane sah Borowski in die Augen.»Ich glaube Ihnen«, sagte sie, beugte sich wiederum über den Tisch und schrieb ihre Anweisungen auf. Sie erhob sich und gab Jason das Blatt.»Der Handel ist perfekt, Monsieur, und mag uns Gott den Mord gewähren. Wenn nicht, sind wir tot.«
Borowski nickte.»Ich habe einige Fragen«, sagte er.»Wollen Sie sich setzen?«
«Oui. Mit einer Zigarette. «Die Lavier ging zum Sofa hinüber, versank in den Kissen und griff nach ihrer Handtasche auf dem roten Tisch. Sie holte eine Packung Zigaretten hervor, zog eine heraus und nahm ein goldenes Feuerzeug vom Kaffeetisch.»Was für eine scheußliche Angewohnheit, aber manchmal verdammt nötig«, sagte sie, schnippte die Flamme an und inhalierte tief.»Ihre Fragen, Monsieur?«
«Was ist am Meurice passiert? Wie ist es passiert?«
«Es war die Frau, ich nehme an, Ihre Frau — soweit ich es verstanden habe. Wie Sie wissen, standen Sie und Ihr Freund vom Deuxieme so, daß Sie Carlos erledigen konnten, wenn er eintraf, um seinerseits Sie in die Falle zu locken. Aus Gründen, die ich mir nicht erklären kann, hat Ihre Frau geschrien, als Sie die Rivoli überquerten, den Rest haben Sie selbst gesehen… Wie konnten Sie mir nur sagen, ich solle mir ein Zimmer im Meurice nehmen, wenn Sie doch wußten, daß Ihre Frau da war?«
«Das ist leicht zu beantworten. Ich wußte nicht, daß sie da war. Wo stehen wir jetzt?«
«Carlos vertraut mir noch. Man hat mir gesagt, er gibt der Frau, Ihrer Frau, die ganze Schuld, und er hat keinen Grund, mich dafür verantwortlich zu machen. Schließlich waren Sie da, was meine Loyalität beweist. Wenn der Mann vom Deuxieme nicht gewesen wäre, wären Sie jetzt tot.«
Wieder nickte Borowski.»Wie können Sie ihn erreichen?«
«Das kann ich nicht selbst. Das habe ich nie, und das wollte ich auch nie. Wie ich Ihnen schon sagte: Die Schecks kommen pünktlich.«
«Aber Sie schicken ihm Nachrichten«, drängte Jason.»Das haben Sie auch gesagt.«
«Ja, das tu ich, aber nie direkt. Ich rufe verschiedene alte Männer in billigen Cafes an — die Namen und Nummern ändern sich wöchentlich, und einige von ihnen haben keine Ahnung, wovon ich rede, aber die, die es verstehen, rufen sofort andere an, und die rufen wiederum andere an. Irgendwie kommen die Nachrichten durch. Sehr schnell, sollte ich vielleicht hinzufügen.«
«Was habe ich Ihnen gesagt?«sagte Krupkin eindringlich.»Sämtliche Relais enden mit falschen Namen und in schäbigen Cafes. Steinerne Wände!«»Trotzdem kommen die Nachrichten durch«, sagte Conklin und wiederholte die Worte der Lavier.
«Kruppie hat recht. «Die alternde, immer noch eindrucksvolle Frau zog fest und nervös an ihrer Zigarette.»Die Wege sind so verschlungen, daß sie so gut wie nicht nachzuvollziehen sind.«
«Das ist mir egal«, sagte Alex und blinzelte etwas an, was die anderen nicht sehen konnten.»Sie erreichen ihn schnell, das haben Sie deutlich gemacht.«
«Stimmt.«
Conklin weitete die Augen und heftete seinen Blick auf die Lavier.»Ich möchte, daß Sie die dringendste Nachricht absenden, die Sie dem Schakal jemals geschickt haben. Sie müssen direkt mit ihm sprechen. Es ist ein Notfall, den Sie niemand anderem als Carlos selbst anvertrauen können.«
«Worüber?«platzte Krupkin heraus.»Was könnte so dringend sein, daß der Schakal einwilligt? Genau wie unser Mr. Borowski ist er besessen von Fallen, und unter diesen Umständen riecht jede direkte Kommunikation danach!«
Alex schüttelte den Kopf und hinkte zu einem Seitenfenster, blinzelte erneut, tief in Gedanken versunken. Dann öffneten sich die Augen langsam, Stück für Stück. Er sah auf die Straße hinunter.»Mein Gott, es könnte funktionieren«, flüsterte er zu sich selbst.
«Was könnte funktionieren?«fragte Borowski.
«Dimitrij, mach schnell! Ruf die Botschaft an und laß sie die größte, prunkvollste Diplomatenlimousine herschicken, die ihr Proletarier habt.«
«Was?«
«Tu einfach, was ich sage! Schnell!«
«Aleksej…?«
«Jetzt!«
Die Macht und die Dringlichkeit von Conklins Befehl taten ihre Wirkung. Der Russe ging eilig zum Telefon und wählte, seine fragenden Augen auf Alex gerichtet, der hinunter auf die Straße starrte. Die Lavier sah Jason an. Er schüttelte verblüfft den Kopf, während Krupkin ins Telefon sprach, sein Russisch eine kurze Reihe knapper Sätze.»Das war's«, sagte der KGB-Offizier, als er auflegte.»Und jetzt, glaube ich, solltest du mir einen wirklich überzeugenden Grund dafür nennen.«
«Moskau«, erwiderte Conklin und sah noch immer aus dem Fenster.»Alex, um Himmels willen…«
«Was sagst du da?«brüllte Krupkin.
«Wir müssen Carlos aus Paris herausholen«, sagte Conklin und drehte sich um.»Was wäre besser als Moskau?«Bevor die erstaunten Männer reagieren konnten, sah Alex die Lavier an.»Sie sagen, er vertraut Ihnen noch?«
«Er hat keinen Grund, es nicht zu tun.«
«Dann sollten zwei Worte genügen: Moskau. Notfall. Das ist im Grunde die Botschaft, die Sie ihm schicken. Sagen Sie es, wie Sie wollen, aber fügen Sie hinzu, daß die Krise so schwer ist, daß Sie nur mit ihm sprechen können.«
«Aber das habe ich noch nie. Ich kenne Männer, die mit ihm gesprochen haben, die in betrunkenen Momenten versucht haben, ihn zu beschreiben, aber für mich ist er ein vollkommen Fremder.«
«Um so mehr spricht dafür«, ging Conklin dazwischen und wandte sich Borowski und Krupkin zu.»In dieser Stadt hat er alle Karten in der Hand, alle. Er hat Waffen, ein undurchdringliches Netz von Revolverhelden und Kurieren, und Spalten, in die er kriechen und aus denen er hervorbrechen kann, stehen ihm Dutzende zur Verfügung. Paris ist sein Territorium — wir könnten Tage, Wochen, sogar Monate blind durch die ganze Stadt laufen und nichts erreichen, bis der Augenblick kommt, in dem er dich und Marie im Visier hat, und Mo und mich kannst du in das Szenario mit einbeziehen… London, Amsterdam, Brüssel, Rom — alles wäre besser für uns als Paris, aber am besten ist Moskau. Es ist der Ort auf dieser Welt, der eine hypnotische Anziehungskraft auf ihn hat — und außerdem derjenige, der ihm gegenüber am ungastlichsten ist.«
«Aleksej«, rief Dimitrij Krupkin.»Ich glaube wirklich, du solltest den Alkohol wieder in Erwägung ziehen, denn ganz offensichtlich hast du deinen Verstand verloren! Angenommen, Domie erreicht Carlos tatsächlich und erzählt ihm, was du gerade gesagt hast. Glaubst du wirklich, daß er wegen eines Notfalls in Moskau aufspringt und das nächste Flugzeug dorthin nimmt? Das wäre Wahnsinn!«
«Du kannst deinen letzten Schwarzmarktrubel darauf verwetten, daß ich das glaube«, erwiderte Conklin.»Diese Nachricht wird ihn dazu bringen, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Hat er das erst mal getan, läßt sie die Bombe hochgehen… Sie hat gerade eine außergewöhnliche Information erhalten, von der sie weiß, daß sie nur ihm direkt übermittelt werden darf.«
«Und was in Gottes Namen soll das wieder sein?«fragte die Lavier, nahm eine weitere Zigarette und zündete sie gleich an.
«Der KGB in Moskau kreist den Mann des Schakals am Dserschinskij-Platz ein. Sie haben ihn auf, sagen wir, zehn oder fünfzehn Offiziere im höchsten Rang eingegrenzt. Wenn sie ihn finden, ist Carlos im Komitet neutralisiert schlimmer noch, er steht kurz davor, einen Informanten zu verlieren, der für die Vernehmungsbeamten in Lubjanka erheblich zuviel über ihn weiß.«
«Aber woher soll sie das wissen?«sagte Jason.
«Wer würde es ihr erzählen?«fügte Krupkin hinzu.
«Es ist die Wahrheit, oder?«
«Das sind auch unsere äußerst geheimen Außenstellen in Peking, Kabul — und man vergebe mir meine Ungehörigkeit —, auf Kanadas Prince-Edward-Inseln, aber man hängt es nicht an die große Glocke«, sagte Krupkin.
«Das mit Prince Edward wußte ich nicht«, gab Alex zu.»Die Mittel sind wichtig, die Information ist glaubhaft zu überbringen. Vor ein paar Minuten noch fehlte mir dafür der passende Ansatz, aber das hat sich gerade geändert… Komm her, Kruppie, im Moment nur du, und bleib vom Fenster weg. Sieh zwischen den Vorhängen durch. «Der Russe tat, was Alex ihm gesagt hatte, stellte sich Conklin zur Seite und schob die Falte des spitzenbesetzten Stoffes von der Wand.»Was siehst du?«fragte Alex und deutete auf einen schäbigen, unauffälligen braunen Wagen unten auf der Avenue Montaigne.»Gehört nicht so richtig in diese Nachbarschaft, oder?«
Krupkin machte sich nicht die Mühe, etwas zu erwidern. Statt dessen riß er das Minifunkgerät aus seiner Tasche und drückte den Sendeknopf.»Sergej, da steht ein brauner Wagen etwa achtzig Meter vom Eingang des Gebäudes entfernt…«
«Wissen wir, Sir«, unterbrach sein Mitarbeiter.»Wir haben ihn im Blick, und wie Ihnen vielleicht auffallen wird, parkt unsere Rückendeckung genau ihm gegenüber. Es ist ein alter Mann, der sich nur bewegt, um aus dem Fenster zu sehen.«
«Hat er ein Telefon?«
«Nein, Genosse, und sollte er seinen Wagen verlassen, wird er beschattet, damit er keinen Anruf machen kann, es sei denn, Sie geben andere Anweisungen.«
«Keine anderen Anweisungen. Danke, Sergej. Ende. «Der Russe sah Conklin an.»Der alte Mann«, sagte er.»Du hast ihn gesehen.«
«Kahler Kopf und alles, was dazugehört«, bestätigte Alex.»Er ist kein Dummkopf, er hat das schon früher gemacht, und er weiß, daß er beobachtet wird. Er kann nicht weg, weil er fürchtet, er könnte etwas verpassen, und wenn er ein Telefon hätte, wären bald noch andere unten auf der Montaigne.«
«Der Schakal«, sagte Borowski, trat einen Schritt vor, blieb stehen, erinnerte sich an Conklins Anweisung, dem Fenster fernzubleiben.»Verstehst du jetzt?«fragte Alex, an Krupkin gewandt.
«Natürlich«, räumte der KGB-Mann lächelnd ein.»Das ist der Grund, warum du eine protzige Limousine von unserer Botschaft haben wolltest. Wenn wir abgefahren sind, wird man Carlos melden, daß ein sowjetisches Diplomatenfahrzeug geschickt wurde, um uns abzuholen, und aus welchem anderen Grunde sollten wir wohl hiersein, als Madame Lavier zu verhören? Selbstverständlich befand sich in meiner Begleitung ein großer Mann, der vielleicht, vielleicht auch nicht, Jason Borowski war, und ein weiterer kleinerer Mann mit einem lahmen Bein — was bestätigt, daß es Jason Borowski war… Unsere unheilige Allianz steht daher fest und wird beobachtet, und wiederum selbstverständlich flammten während unseres barschen Verhörs von Madame Lavier die Gemüter auf, und es fielen Hinweise auf den Informanten des Schakals am Dserschinskij-Platz.«
«Wovon nur ich durch meine Verhandlungen mit Santos im Le Coeur du Soldat wissen konnte«, sagte Jason leise.»Also hat Dominique einen Beobachter — einen alten Mann aus Carlos' Armee —, um die Informationen, die sie bringt, zu decken… Ich muß sagen, heiliger Alex, dieses verschlungene Hirn in deinem Kopf hat nichts von seiner Verschlagenheit eingebüßt.«
«Ich höre einen Professor, den ich einmal gekannt habe. Ich dachte schon, er sei von uns gegangen.«
«Ist er auch.«
«Nur für eine Weile, hoffe ich.«
«Gut gemacht, Aleksej. Du bist immer noch fit. Du darfst abstinent bleiben, sosehr es mich auch schmerzt… Es sind immer die Nuancen, stimmt's?«
«Nicht immer«, widersprach Conklin schlicht und schüttelte den Kopf.»Meistens sind es dumme Fehler. Zum Beispiel hat man unserer neuen Kollegin hier, Domie, wie du sie liebevoll nennst, gesagt, man würde ihr vertrauen, aber das hat man nicht, nicht vollkommen. Also wurde jemand losgeschickt, ihr Appartement zu beobachten keine große Sache, nur eine kleine Versicherung in einem Wagen, der dummerweise nicht zu den Jaguars und Rolls-Royce in dieser Straße paßt. Also zahlen wir die kleine Versicherungspolice, und mit Glück kassieren wir die große ab. Moskau.«
«Laß mich das auf den Punkt bringen«, sagte Krupkin.»Auch wenn du auf diesem Gebiet immer sehr viel besser warst als ich, Aleksej. Ich ziehe den besten Wein den scharfsinnigsten Gedanken vor, auch wenn letztere in unseren beiden Ländern unweigerlich zu ersterem führen.«
«Merde!« rief Dominique Lavier und drückte ihre Zigarette aus.»Wovon redet ihr zwei Idioten überhaupt?«
«Sie werden es uns erzählen, glauben Sie mir«, antwortete Borowski.»Wie in verborgenen Kreisen schon allzuoft berichtet und wiederholt wurde«, fuhr der Russe fort,»haben wir vor Jahren in Nowgorod einen Wahnsinnigen ausgebildet, und schon vor Jahren hätten wir ihm eine Kugel in den Kopf geschossen, wäre er nicht entkommen. Seine Methoden würden, sollten sie von irgendeiner Regierung — besonders der beiden Supermächte — gebilligt werden, zu Konfrontationen führen, die keiner von uns jemals zulassen dürfte. Und obendrein war er ein wahrer Revolutionär, und wir, der Welt wahre Revolutionäre, haben ihn enterbt… Für sein Verständnis war es eine große Ungerechtigkeit, und das vergißt er nie. Er wird sich immer danach sehnen, an die Mutterbrust zurückzukehren, denn da wurde er geboren… Gott, all die Menschen, die von ihm ermordet wurden, womit er sich ein Vermögen verdient hat — das alles ist absolut widerlich!«
«Aber ihr habt ihn verstoßen«, sagte Jason tonlos,»und er will diesen Verstoß rückgängig machen. Er muß als der Meisterkiller anerkannt werden, zu dem er von euch ausgebildet werden sollte. Sein psychopathisches Ego ist die Basis für alles, was Alex und ich inszeniert haben… Santos sagte, er würde ununterbrochen mit dem Kader prahlen, den er in Moskau aufbaut — Immer Moskau, er ist besessen davon, das waren Santos' Worte. Der einzige Mensch, von dem er wußte, wenn auch nicht namentlich, war Carlos' Maulwurf weit oben im KGB, aber er sagte, Carlos würde behaupten, er habe noch andere in Schlüsselstellungen verschiedener mächtiger Abteilungen und daß er ihnen seit Jahren Geld zukommen lasse.«
«Der Schakal glaubt also, er schafft sich einen Kern von Anhängern innerhalb unserer Regierung«, beobachtete Krupkin.»Trotz allem glaubt er immer noch, er könnte zurückkommen. Er ist tatsächlich ein Egomane, aber er hat die russische Seele niemals verstanden. Vielleicht kann er ein paar zynische Opportunisten zeitweise korrumpieren, aber auch die werden sich absichern und im Ernstfall gegen ihn wenden. Niemand freut sich auf einen Aufenthalt in Lubjanka oder einem sibirischen Gulag. Das Potemkinsche Dorf des Schakals wird bis auf die Grundmauern niederbrennen.«
«Um so mehr Grund für ihn, nach Moskau zu eilen und die Buschfeuer zu löschen«, sagte Alex.»Was meist du damit?«fragte Borowski.»Der Brand wird mit der Enttarnung von Carlos' Mann im Dserschinskij-Platz beginnen, das weiß er. Seine einzige Möglichkeit, es zu verhindern, besteht für ihn darin, Moskau zu erreichen und einen Entschluß zu fassen. Entweder entgeht sein Informant dem Sicherheitsdienst, oder der Schakal wird ihn töten müssen.«
«Etwas habe ich vergessen«, unterbrach Borowski.»Etwas anderes, was Santos gesagt hat… Die meisten Russen auf
Carlos' Lohnliste sprechen französisch. Suchen Sie nach einem Mann, der hoch oben im Komitet sitzt und Französisch spricht.«
Krupkins Funkgerät mischte sich wieder dazwischen, zwei schrille Pieptöne, die von seiner Jacke kaum gedämpft wurden.»Ja?«»Ich weiß nicht, wie und warum, Genosse«, sagte Sergejs angespannte Stimme,»aber die Limousine des Botschafters ist gerade vor dem Gebäude vorgefahren. Ich schwöre Ihnen, ich habe keine Ahnung, was passiert ist!«
«Aber ich. Ich habe sie bestellt.«
«Aber die Botschaftsstandarten werden von jedermann zu sehen sein!«
«Ich hoffe, auch für einen aufmerksamen alten Mann in einem braunen Wagen. Wir sind gleich unten. Ende. «Krupkin wandte sich den anderen zu.»Der Wagen ist da, Gentlemen. Wo wollen wir uns treffen, Domie. Und wann?«
«Heute nacht«, erwiderte die Lavier.»Es gibt eine Ausstellung in der Galerie d'Or in der Rue de Paradis. Der Künstler ist ein junger Emporkömmling, der ein Rockstar oder so was sein möchte, aber er ist der letzte Schrei, und alle werden dasein.«
«Dann heute abend… Kommen Sie, Gentlemen. Entgegen unseren Instinkten müssen wir draußen auf dem Gehsteig gut zu sehen sein.«
Die Massen schoben sich durch die Lichtstrahlen, die Musik kam von einer ohrenbetäubenden Rockband, die man barmherzigerweise in einen Nebenraum abseits der Ausstellungsräume plaziert hatte. Hätten an den Wänden keine angestrahlten Gemälde gehangen, hätte man glauben können, in einer Diskothek und nicht in einer eleganten Pariser Kunstgalerie zu sein. Mit einigem Kopfnicken manövrierte Dominique Lavier Krupkin in eine Ecke des großen Raumes. Ihr würdevolles Lächeln, die hochgezogenen Augenbrauen und das zwischendurch gespielte Lachen verdeckten ihre Unterhaltung.
«Unter den alten Männern macht die Nachricht die Runde, daß der Monseigneur ein paar Tage fort sein wird. Allerdings sollen sie alle weiter nach dem großen Amerikaner und seinem verkrüppelten Freund Ausschau halten und melden, wo sie gesehen werden.«
«Du mußt deinen Job gut gemacht haben.«»Als ich die Information an ihn durchgab, war er vollkommen still. Allerdings hörte man in seinem Atmen abgrundtiefen Abscheu, der mir die Knochen gefrieren ließ.«
«Er ist auf dem Weg nach Moskau«, sagte der Russe.»Zweifellos über Prag.«
«Was willst du jetzt tun?«
Krupkin warf den Kopf in den Nacken und richtete die Augen mit einem falschen, stillen Lachen auf die Decke. Dann sah er sie wieder an und antwortete ihr lächelnd.
«Moskau.«