Randolph Gates schlug die Tür zu und rannte ins Schlafzimmer zum Telefon neben dem Bett. Der kleinere Raum schien ihm irgendwie sicherer, persönlicher. Der Anruf, den er tätigen mußte, entnervte ihn derart, daß er die Instruktionen für Überseetelefonate nicht begriff. Er rief die Zentrale an.
«Ich möchte eine Verbindung nach Paris«, sagte er.
Borowskis Augen waren müde, und er hatte leichte Kopfschmerzen, als er die auf dem Couchtisch verstreuten Computerausdrucke studierte. Nach vorne gebeugt, hatte er sie beinahe vier Stunden lang analysiert, wobei er die Zeit vergaß und ebenfalls, daß seine» Kontrolle «schon hätte dasein müssen. Er war nur mit dem Verbindungsmann des Schakals im Hotel Mayflower beschäftigt.
Die erste Gruppe, die er zeitweise erst einmal zur Seite gelegt hatte, bestand aus Nationalitäten wie Briten, Italienern, Schweden, Westdeutschen, Japanern und Taiwanesen. Jeder von ihnen war sorgfältig untersucht worden hinsichtlich der Papiere und der geschäftlichen oder persönlichen Gründe seines Aufenthalts im Land. Das Außenministerium und die CIA hatten ihre Hausaufgaben gemacht. Für jede Person wurde beruflich oder persönlich von mindestens fünf unbescholtenen Personen oder Unternehmen gebürgt. Alle hatten weit zurückreichende Beziehungen mit diesen Leuten und Firmen im Gebiet von Washington. Wenn der Mann des Schakals unter ihnen war — und das konnte durchaus sein —, waren weit mehr Informationen nötig, um ihn zu identifizieren. Es konnte notwendig sein, auf diese Gruppe zurückzukommen, aber für den Moment hatte Jason genug andere Lektüre.
Er hatte so wenig Zeit!
Von den etwa fünfhundert amerikanischen Gästen im Hotel hatten zweihundertundzwölf Eintragungen in mindestens einer der CIA-Datenbanken, die Mehrzahl deshalb, weil sie Geschäfte mit der Regierung tätigten. Achtundsiebzig jedoch hatten negative Bemerkungen. Einunddreißig davon bezogen sich auf Steuerangelegenheiten, was bedeutete, daß diese Personen verdächtigt wurden, finanzielle Unterlagen zu zerstören oder zu fälschen und/oder schwarze Gelder auf Bankkonten in der Schweiz oder auf den Cayman-Inseln zu haben. Sie zählten nicht, es waren reiche und nicht besonders geschickte Diebe: eine Sorte Mensch, die Carlos wie die Pest meiden würde.
Blieben siebenundvierzig Möglichkeiten. Männer und Frauen — in elf Fällen offenbar Ehepaare — mit ausgedehnten Beziehungen zu Europa, hauptsächlich zu technologischen Firmen, Atom- und Luftfahrtunternehmen, die alle unter sehr intensiver Geheimdienstüberwachung wegen möglicher Verkäufe von geschützten Informationen an Händler im Ostblock standen. Von diesen siebenundvierzig Möglichkeiten, darunter zwei der sieben Ehepaare, hatte ein gutes Dutzend kürzlich Besuche in der Sowjetunion gemacht. Konnten alle gestrichen werden. Der KGB hatte für den Schakal weniger Verwendung als der Papst. Ilich Ramirez Sanchez, später Carlos, der Killer, war zwar in der amerikanischen Sektion von Nowgorod ausgebildet worden, wo die Straßen mit amerikanischen Tankstellen, Kneipen, Burger Kings und Geschäften gesäumt waren und wo es von verschiedenen Dialekten nur so wimmelte — Russisch war verboten —, und Sanchez hatte diese Stufe der Ausbildung auch erfolgreich abgeschlossen, aber als der KGB entdeckte, daß die Lösung aller unangenehmen Dinge für den jungen venezolanischen Revolutionär und Spion in spe immer in ihrer gewaltsamen Beseitigung bestand, wurde es selbst den Erben der brutalen GPU zuviel. Sanchez wurde ausgestoßen und wurde zu Carlos, dem Schakal. Die zwölf Leute, die in die Sowjetunion gereist waren, konnte man demgemäß vergessen. Der Mörder würde sie nicht anrühren, denn es gab einen ständigen Befehl in allen Abteilungen des russischen Geheimdienstes, Carlos zu erschießen, falls er aufgespürt würde. Nowgorod mußte mit allen Mitteln geschützt werden.
Die Möglichkeiten waren also auf fünfunddreißig eingegrenzt. Im Hotelregister waren sie als neun Ehepaare, vier einzelne Frauen und dreizehn einzelne Männer, verzeichnet. Detailliert waren die Fakten und Vermutungen aufgeführt, die zu ihrer jeweils negativen Einschätzung geführt hatten. Dabei überwogen die Vermutungen die Fakten bei weitem, die zudem oft auf mißgünstigen Angaben von Feinden oder Konkurrenten beruhten, aber alles mußte untersucht werden — schon ein Wort oder ein Satz, ein Ort, irgend etwas konnte eine Verbindung zu Carlos herstellen.
Das Telefon klingelte und unterbrach Jasons Konzentration.
«Ja?«
«Hier Alex. Ich rufe dich unten von der Straße aus an.«
«Kommst du hoch?«
«Nicht durch diese Lobby, bestimmt nicht. Ich habe Vorkehrungen für den Dienstboteneingang getroffen, wo seit heute nachmittag ein Wächter auf Zeit Dienst hat.«
«Du läßt alles überwachen, nicht wahr?«
«Nicht so viel, wie ich gerne würde«, antwortete Conklin.
«Das hier ist nicht das normale Ballspiel. Wir sehen uns in wenigen Minuten. Ich klopfe einmal.«
Borowski legte auf und kehrte zum Sofa und den Ausdrucken zurück. Er legte drei zur Seite, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten, obwohl keiner etwas enthielt, das direkt an den Schakal denken ließ. Es waren scheinbar nebensächliche Daten, die die drei Personen miteinander verknüpfen konnten, obwohl keine klare direkte Verbindung zwischen ihnen bestand. Laut ihren
Pässen waren diese drei Amerikaner alle auf dem Internationalen Flughafen von Philadelphia gelandet, vor acht Monaten und innerhalb einer Woche. Zwei Frauen und ein Mann, die Frauen aus Marrakesch und Lissabon, der Mann aus West-Berlin. Die erste Frau war Innenarchitektin, die von einer Sammlerreise nach Marrakesch zurückgekehrt war, die zweite eine Angestellte der Chase Bank, Auslandsabteilung, und der Mann Flugzeugingenieur von McDonnell-Douglas, der leihweise bei der Luftwaffe arbeitete. Warum kreuzten sich die Wege von drei so unterschiedlichen Leuten, mit so unterschiedlichen Berufen in derselben Stadt innerhalb einer Woche? Zufall? Durchaus möglich, aber in Anbetracht der großen Zahl internationaler Flughäfen im Land, einschließlich der frequentiertesten — New York, Chicago, Los Angeles, Miami —, schien Philadelphia als Zufall unwahrscheinlich. Seltsamer jedoch, und noch viel unwahrscheinlicher, war die Tatsache, daß dieselben drei Leute acht Monate später im selben Hotel zur selben Zeit in Washington wohnten. Jason fragte sich, was wohl Alex Conklin dazu sagen würde.
«Ich bekomme das Buch über jeden von ihnen«, sagte Alex wenig später und ließ sich in einen Sessel sinken.
«Du wußtest es?«
«Es war nicht schwer, das rauszukriegen. Natürlich wäre es mit einem Computer verteufelt einfacher gewesen.«
«Du hättest einen Zettel beifügen können! Seit acht Uhr sitze ich an diesem Zeug.«
«Ich habe es — sie — erst so gegen neun Uhr gefunden, und ich wollte dich nicht von Virginia aus anrufen.«
«Da ist noch etwas anderes, oder?«sagte Borowski und setzte sich auf das Sofa. Sorgenvoll beugte er sich vor.
«Ja, das stimmt. Und es ist schrecklich.«
«Medusa?«
«Es ist schlimmer, als ich dachte. Ich habe nicht geglaubt, daß es das geben könnte.«
«Das ist etwas viel auf einmal.«
«Zuviel«, entgegnete der CIA-Agent a. D.»Wo soll ich anfangen?… Beim Pentagon? Der Bundeshandelskommission? Unserem Botschafter in London? Oder ziehst du den Oberbefehlshaber der NATO vor?«
«Mein Gott!«
«Oh, ich kann's noch besser. Wie war's mit dem Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs?«
«Mein Gott, was ist das? Eine Art Geheimbund?«
«Das ist zu akademisch, du Gelehrter. Versuch's mal mit geheimem Einverständnis. Ein tiefes, schwer faßbares Einverständnis. Und nach all diesen Jahren atmen sie immer noch, sind immer noch am Leben. Sie halten Kontakt untereinander. Und?«
«Was ist die Absicht? Das Operationsziel?«
«Das habe ich mich auch gefragt, wirklich.«
«Es muß doch einen Grund geben!«
«Wie war's mit einem Motiv? Es könnte einfach sein, daß sie vergangene Sünden verbergen wollen. Ist es nicht das, wonach wir suchen? Eine Sammlung ehemaliger Medusa-Leute, die durchdrehen beim bloßen Gedanken, daß die Vergangenheit ans Licht kommen könnte.«
«Also ist es das.«
«Nein, ist es nicht. Aber das sage ich eher aus Instinkt. Ihre Reaktionen waren zu unmittelbar, zu gefühlsmäßig, zu sehr geladen mit dem Heute als mit der Zeit vor zwanzig Jahren.«
«Da komme ich nicht mit.«
«Ich selber auch nicht. Irgend etwas ist anders, als wir erwartet hatten, und ich habe eine verdammte Angst, Fehler zu machen… Du hast heute früh gesagt, daß es ein Netzwerk sein könnte, und ich dachte, daß du nun wirklich abhebst. Ich dachte, daß wir vielleicht ein paar hohe Tiere finden könnten, die nicht wollen, daß sie an die Öffentlichkeit kommen und gevierteilt werden für Dinge, die sie vor zwanzig Jahren gemacht haben. Oder die legitimerweise nicht die Regierung kompromittieren wollen und die wir benutzen könnten, in ihrer kollektiven Angst zwingen könnten, Dinge zu tun und zu sagen, die wir ihnen vorsagen. Aber das hier ist was anderes. Und doch kriege ich es nicht zusammen. Es ist mehr als Furcht, es ist Panik. Sie sind irrsinnig vor Angst… Wir sind da in etwas hineingestolpert, Mr. Borowski, und im Zentrum dieser Sache könnte es heißer sein als in der Hölle.«
«Meiner aufrichtigen Meinung nach ist nichts heißer als der Schakal! Nicht für mich. Der Rest kann von mir aus zur Hölle fahren!«
«Ich stehe auf deiner Seite, und das sage ich jedem, der es hören will. Ich wollte dir nur meine Gedanken mitteilen… Von einem kurzen und ziemlich schlimmen Moment abgesehen, haben wir niemals etwas voreinander verheimlicht, David.«
«In diesen Tagen ziehe ich Jason vor.«»Ja, ich weiß«, unterbrach Conklin.»Ich hasse es, aber ich verstehe es.«»Wirklich?«
«Ja«, sagte Alex leise und nickte mit geschlossenen Augen.»Ich würde alles tun, um es zu ändern, aber ich kann es nicht.«
«Dann hör mir zu. Denk dir in den Schlangenwindungen deines Gehirns — übrigens der Ausdruck von Kaktus — das allerschlimmste Szenario aus, und stell diese Bastarde gegen eine Wand, vor der sie nicht ungeschoren wegrennen können, bevor sie deine Instruktionen nicht bis auf den letzten Buchstaben erfüllt haben. Dieser Befehl wird lauten, ruhig zu bleiben und auf deinen Anruf zu warten, um ihnen zu sagen, wen sie erreichen und was sie sagen müssen.«
Conklin sah seinen angeschlagenen Freund schuldbewußt und mit Sorge an.»Es könnte ein Szenario entstehen, mit dem ich nicht fertig werde«, entgegnete er ruhig.»Ich möchte nicht noch einen Fehler begehen, nicht in diesem Bereich. Ich muß erst mehr wissen als das, was mir bisher bekannt ist.«
Borowski preßte seine Hände zusammen, und die Frustration war ihm anzusehen. Er starrte auf die verstreuten Ausdrucke vor sich, runzelte die Stirn, zuckend und mit pulsierenden Kiefern. Für Sekunden kam eine plötzliche Passivität über ihn. Dann lehnte er sich zurück und sprach genauso ruhig wie Conklin.»In Ordnung, du bekommst alles. Und zwar schnell.«
«Wie?«
«Durch mich. Laß mich nur machen. Ich brauche Namen, Wohnorte, Pläne und Methoden der Überwachung, bevorzugte Restaurants und schlechte Gewohnheiten, wenn welche bekannt sind. Sag deinen Jungs, sie sollen an die Arbeit gehen. Heute nacht. Die ganze Nacht, wenn notwendig.«
«Was, zum Teufel, hast du vor?«schrie Conklin gepreßt und rutschte mit seinem zerbrechlichen Körper im Sessel vor.»Ihre Häuser stürmen? Ihnen zwischen dem Aperitif und dem Entree Nadeln in den Arsch stecken?«
«An diese Möglichkeit hatte ich gar nicht gedacht«, entgegnete Jason und lachte grimmig.»Du hast wirklich eine schlimme Phantasie.«
«Und du bist ein Irrsinniger! Tut mir leid, das meinte ich nicht so… «
«Warum nicht?«flocht Borowski freundlich ein.»Ich halte keine Vorlesungen über den Aufstieg der Manchu- und der Ching-Dynastie. In Anbetracht des Zustands meines Geistes und meines Gedächtnisses ist das Urteil über mich nicht unangemessen. «Jason machte eine Pause. Er beugte sich vor und sprach weiter.»Aber ich will dir was sagen, Alex. Die Erinnerungen sind vielleicht nicht alle da, aber der Teil, den du und Treadstone geformt haben, ist vollständig da. Ich habe es in Hongkong, in Peking und Macao bewiesen, und ich werde es wieder beweisen. Ich muß es. Es bleibt mir nichts mehr, wenn ich es nicht tue… Nun, bring mir die Informationen. Du hast mehrere Leute erwähnt, die hier in Washington sein müssen. Pentagon-Ausrüster oder — Zulieferer…«
«Heeresbeschaffung«, verbesserte Conklin.»Das ist umfangreicher und teurer. Es ist ein General mit Namen Swayne. Dann ist da noch ein Armbruster, Kopf der Bundeshandelskommission, und Burton, der…«
«Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs«, vervollständigte Jason.»Admiral >Joltin< Jack Burton, Kommandeur der Sechsten Flotte.«
«Genau der Früher die Geißel des Südchinesischen Meeres und jetzt das größte der großen Tiere.«
«Ich wiederhole«, sagte Jason.»Sag deinen Jungs, sie sollen an die Arbeit gehen. Peter Holland wird dir jede Hilfe geben, die du brauchst. Finde alles heraus, was es über jeden von ihnen zu melden gibt.«
«Kann ich nicht.«
«Was?«
«Ich kann uns erstens nicht die Unterlagen über unsere drei Philadelphier besorgen, weil sie Teil des unmittelbaren Mayflower-Projektes sind, und dabei geht's um den Schakal. Und ich kann nicht an unsere fünf — bislang fünf — Medusa-Leute herankommen.«
«Um Gottes willen, warum denn nicht? Du mußt. Wir dürfen keine Zeit verschwenden.«
«Zeit wird nicht mehr viel bedeuten, wenn wir beide tot sind. Außerdem würde es weder Marie noch den Kindern helfen.«
«Worüber sprichst du?«
«Darüber, daß ich mich verspätet habe, daß ich dich nicht aus Virginia angerufen habe, daß ich Charlie Casset bat, mich von diesem Grundstück in Vienna abzuholen, und darüber, daß ich nicht sicher war, ob ich hier jemals lebend ankommen würde.«
«Spuck's aus, Alter.«
«Also gut… Ich habe niemandem erzählt, daß wir hinter früherem Medusa-Personal her sind — das ist rein unsere Sache.«
«Ich hab mich schon gewundert. Als ich heute nachmittag mit dir redete, bist zu ziemlich weit gegangen. Zu weit, wenn man bedenkt, wo du warst und welches Gerät du benutzt hast.«
«Das Zimmer und das Gerät waren sicher. Casset sagte mir später, daß die CIA keine nachweisbaren Spuren von dem, was dort drüben geschieht, haben will, und das ist die beste Garantie, die man haben kann. Keine Wanzen, keine Fangschaltungen, nichts. Glaub mir, mir war viel leichter ums Herz, als ich das hörte.«
«Was ist also das Problem? Warum zögerst du?«
«Weil ich mir über einen anderen Admiral Gedanken machen muß, bevor ich mich weiter auf Medusa-Terrain vorwage… Atkinson, unser einwandfreier Botschafter am Hof von St. James in London, war sehr deutlich. In seiner Panik hat er die Maske von Burton und Teagarten in Brüssel heruntergerissen.«
«So?«
«Er sagte, Teagarten könne die CIA herumkriegen, wenn irgend etwas über Saigon herauskäme — weil er sehr eng mit dem Ober-Mac in Langley befreundet sei.«
«Und?«
«Ober-Mac ist in Washington eine harmlose Umschreibung für die oberste Geheim- und Sicherheitsebene, und wenn es um Langley geht, ist das der Direktor der CIA… und das ist Peter Holland.«
«Du hast heute morgen gesagt, daß er keine Probleme hätte, irgendein Mitglied von Medusa über die Klinge springen zu lassen.«
«Jeder kann alles sagen. Aber ob er es tun würde?«
Jenseits des Atlantik, im alten Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, trottete ein alter Mann in einem alten, abgeschabten Anzug den Zementweg zum Eingang einer Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert entlang. Die Glocken oben im Turm läuteten das erste Angelus, und der Mann hielt in der morgenfrühen Sonne inne, machte das Kreuzzeichen und flüsterte zum Himmel.
«Angelus domini nuntiavit Mariam.« Mit seiner rechten Hand warf er dem gemeißelten Kruzifix über dem steinernen Portal eine Kußhand zu, ging weiter die Treppen hinauf und durch das riesige Tor in die Kathedrale und bemerkte, daß ihn zwei Priester in Roben mit Abscheu betrachteten. Ich entschuldige mich, daß ich eure reiche Kirche besudle, ihr verkniffenen Ärsche, aber Christus hat es deutlich gesagt, daß er mich euch vorzieht.»Den Demütigen soll die Erde gehören«- oder zumindest das, was ihr noch nicht gestohlen habt.
Der alte Mann ging vorsichtig das Hauptschiff entlang, wobei seine Rechte nach den aufeinanderfolgenden Banklehnen griff, um die Balance zu halten, seine Linke fingerte an seinem zu großen Kragen herum und glitt über seinen Schlips, um sicher zu sein, daß sich der Knoten nicht irgendwie gelöst hatte. Seine Frau war so schwach geworden, daß sie das verdammte Ding kaum noch knüpfen konnte, aber, genau wie früher, bestand sie darauf, letzte Hand an sein Aussehen zu legen, bevor er zur Arbeit ging. Sie war immer noch eine gute Frau. Beide hatten sie gelacht, als sie sich an die Zeit vor vierzig Jahren erinnerten, als sie über die Manschettenknöpfe fluchte, weil sie zuviel Stärke für die Hemden verwendet hatte. An jenem Abend vor so langer Zeit hatte sie gewollt, daß er wie ein richtiger Bürokrat aussah, als er zum Hauptquartier des Hurenbocks von Gauleiter in der Rue St. Lazare ging — mit seiner Aktentasche, die, zurückgelassen, das halbe Viertel in die Luft jagen würde. Und zwanzig Jahre später hatte sie Schwierigkeiten, ihm den teuren gestohlenen Mantel richtig um die Schultern zu legen, bevor er losging, um die Grande Banque Louis IX an der Madeleine auszurauben, die von einem gebildeten, aber nicht geschätzten ehemaligen Mitglied der Resistance geleitet wurde, das ihm ein Darlehen verweigert hatte. Das waren die guten alten Zeiten, denen schlechte Zeiten und schlechte Gesundheit gefolgt waren, die zu noch schlimmeren Zeiten geführt hatten — elenden Zeiten. Bis ein Mann daherkam, ein merkwürdiger Mann mit einem komischen Namen und einem noch komischeren vorgefertigten Vertrag. Danach kam die Achtung wieder, in Form von ausreichend Geld für anständiges Essen und annehmbaren Wein, für Kleider, die paßten, die seine Frau wieder hübsch aussehen ließen, und, am allerwichtigsten, für die Ärzte, damit sie sich besser fühlte. In vielerlei Hinsicht waren er und seine Frau wie Schauspieler eines fahrenden Provinztheaters. Sie hatten Kostüme für ihre verschiedenen Rollen. Es war ihr Geschäft… So wie heute. Dieser Morgen mit dem Läuten des Angelus, das war Geschäft.
Der alte Mann beugte unbeholfen und nur teilweise sein Knie vor dem Heiligen Kreuz und kniete dann vor dem ersten Sitz in der sechsten Reihe nieder, mit Blick auf seine Uhr. Zweieinhalb Minuten später hob er so unauffällig wie möglich den Kopf und sah sich um. Seine schwachen Augen hatten sich an das dämmrige Licht der Kirche gewöhnt. Er konnte sehen, nicht gut, aber gut genug. Es waren nicht mehr als zwanzig verstreute Gläubige in der Kirche, die meisten im Gebet, während andere in Versenkung das riesige goldene Kreuz über dem Altar anstarrten. Und dann sah er, wonach er suchte, und wußte, daß alles planmäßig lief. Ein Priester in einem schwarzen Gewand lief das linke Kirchenschiff hinunter und verschwand hinter den roten Vorhängen der Apsis. Der alte Mann sah wieder auf seine Uhr, denn alles hing jetzt vom Timing ab — das war die Methode des Monseigneur, das war die Methode des Schakals. Noch zwei Minuten verstrichen, und der ältliche Kurier stand schwankend auf, ging in das Seitenschiff, beugte das Knie, so gut sein Körper es ihm erlaubte, und lief mit kleinen Schritten zum zweiten Beichtstuhl zur Linken. Er zog den Vorhang zur Seite und ging hinein.
«Angelus Domini«, flüsterte er, kniete nieder und wiederholte die Worte, die er in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrere hundertmal ausgesprochen hatte.
«Angelus Domini, Kind Gottes«, antwortete die verborgene Figur hinter dem schwarzen Gitter. Die Segnung war begleitet von einem leisen, rasselnden Husten.»Sind deine Tage angenehm?«
«Angenehmer gemacht durch einen Freund… mein Freund.«
«Was sagt der Doktor über deine Frau?«
«Er sagt zu mir, was er zu ihr nicht sagt, dank der Gnade von Jesus Christus. Es scheint, daß ich sie trotz allem überleben werde. Die verheerende Krankheit breitet sich aus.«
«Tut mir leid. Wieviel Zeit hat sie noch?«
«Einen Monat, nicht mehr als zwei. Bald wird sie im Bett bleiben müssen. Bald wird der Vertrag zwischen uns ungültig.«
«Warum das?«
«Sie werden mir gegenüber keine Verpflichtungen mehr haben, und ich akzeptiere das. Sie sind gut zu uns gewesen, und ich habe etwas gespart, und meine Bedürfnisse sind gering. Ehrlich gesagt, seit ich weiß, was mich erwartet, fühle ich mich entsetzlich müde.«
«Du unerträglicher, undankbarer Mensch!«flüsterte die Stimme hinter dem Beichtgitter.»Nach allem, was ich getan habe, nach allem, was ich dir versprochen habe!«
«Wie bitte?«
«Würdest du sterben für mich?«
«Natürlich, das ist unser Vertrag.«
«Dann, umgekehrt, wirst du auch leben für mich!«
«Wenn es das ist, was Sie wollen, werde ich es natürlich tun. Ich wollte Sie nur einfach wissen lassen, daß ich bald keine Last mehr für Sie sein werde. Ich kann leicht ersetzt werden.«
«Keine Frechheiten, nicht mit mir!«Der Zorn entlud sich in einem Husten, einem Husten, der das Gerücht, das sich in den Straßen von Paris ausbreitete, zu bestätigen schien. Der Schakal selbst war krank, vielleicht todkrank.
«Sie sind unser Leben, unsere Verehrung. Warum sollte ich?«
«Du hast es gerade getan… Nichtsdestoweniger, ich habe einen Auftrag für dich, der euch beiden den Weggang deiner Frau erleichtern wird. Du wirst in einem bezaubernden Teil der Welt Ferien machen, ihr beide zusammen. Du wirst dir das Geld und die Papiere am üblichen Ort abholen.«
«Wohin sollen wir gehen, wenn ich fragen darf?«»Auf die karibische Insel Montserrat. Die Anweisungen werden dir dort auf dem Flughaben von Blackburne ausgehändigt. Befolge sie genau.«
«Natürlich… Noch mal, wenn ich fragen darf, was ist meine Aufgabe?«
«Eine Mutter und zwei Kinder zu finden und dich mit ihnen anzufreunden.«»Und dann?«»Sie zu töten.«
Brendan Prefontaine, ehemaliger Bundesrichter am Obersten Bezirksgericht in Massachusetts, kam aus der Boston Five Bank mit fünfzehntausend Dollar in der Tasche. Es war eine berauschende Erfahrung für einen Mann, der in den vergangenen dreißig Jahren in knappen Umständen gelebt hatte. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er kaum jemals mehr als fünfzig Dollar bei sich gehabt. Dies war ein besonderer Tag.
Aber es war noch mehr als das. Es war auch ein verwirrender Tag, weil er niemals nur einen Moment daran geglaubt hatte, daß Randolph Gates ihm eine nur annähernd so hohe Summe, wie er sie verlangt hatte, tatsächlich zahlen würde. Gates hatte einen großen Fehler gemacht. Denn indem er seiner Forderung nachgab, enthüllte er die Gewichtigkeit seines Unternehmens. Er hatte sich von einem rücksichtslosen, allerdings bislang nicht unbedingt verhängnisvoll machtgierigen Mann zu einem potentiell tödlich machtgierigen Menschen entwickelt. Prefontaine hatte keine Ahnung, wer die Frau und die Kinder waren, noch wie ihre Beziehung zu Lord Randolph of Gates waren, aber wer immer sie waren, Dandy Randy hatte nichts Gutes mit ihnen vor.
Ein untadeliger, zeusähnlicher Mann aus der Welt der Gesetze zahlt einem ausgeschlossenen, diskreditierten, unzumutbaren Alkoholiker und Gauner wie Brendan Patrick Pierre Prefontaine nicht eine so außergewöhnliche Geldsumme, weil seine Seele etwa von den himmlischen Erzengeln angehaucht worden wäre. Diese Seele war eher mit den Schülern des Luzifer. Und da dies offenbar der Fall war, könnte es für den» Gauner «profitabel sein, seine Kenntnisse zu vervollkommnen, denn wie das Sprichwort sagt, ist ein wenig Wissen eine gefährliche Sache — auch wenn meistens eher der Betroffene dieser Meinung ist als der, der sich im Besitz von ein paar leckeren Informationen befindet, die man geschickt aufblasen könnte. Fünfzehntausend heute könnten sich leicht in fünfzigtausend morgen verwandeln, wenn — wenn etwa der Gauner zur Insel Montserrat fliegen und ein paar Fragen stellen würde.
Außerdem, dachte der Richter, wobei der Ire in ihm kicherte, hatte er jahrelang keine Ferien gemacht. Guter Gott, man hatte genug zu tun, Körper und Geist beisammenzuhalten, wer konnte da an eine überflüssige Einschränkung der Geschäftstätigkeit denken?
Also hielt Brendan Patrick Pierre Prefontaine ein Taxi an, was er in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr getan hatte, und gab dem skeptischen Taxifahrer Louis Men Store in Faneuil Hall als Adresse an.
«Hast du im Lotto gewonnen, Alter?«
«Mehr als genug, um dir einen neuen Haarschnitt zu verpassen und die Akne in deinem pubertären Gesicht zu kurieren, junger Freund. Fahr zu, Ben Hur. Ich hab's eilig.«
Die Kleidung war von der Stange, aber sie war teuer, und erst als er einen Packen Hundertdollarnoten vorgewiesen hatte, wurde der Angestellte mit den violetten Lippen kooperativ. Ein Koffer mittlerer Größe aus poliertem Leder enthielt bald die unerwartete neue Garnitur, und Prefontaine tauschte seine abgetragenen Klamotten gegen neue Schuhe, Hemd und Anzug. In einer Stunde sah er einem Mann nicht unähnlich, den er vor vielen Jahren gekannt hatte, dem Honorable Brendan P. Prefontaine. Das zweite P. für Pierre hatte er schon länger aus nur ihm bekannten Gründen weggelassen.
Ein anderes Taxi fuhr ihn in seine Pension in Jamaica Plains, wo er ein paar wichtige Dinge einsammelte, darunter seinen Paß, den er immer für schnelle Abgänge bereit- und gültig hielt, und brachte ihn dann zum Flughafen, wobei dieser Fahrer keine Bedenken in bezug auf seine Zahlungsfähigkeit äußerte. Kleider machen niemals Leute, dachte Brendan, aber sie tragen dazu bei, zweifelnde Untergebene zu überzeugen. Von Boston aus flogen drei Fluggesellschaften Montserrat an. Er fragte nach dem nächstgelegenen Schalter und kaufte dort ein Ticket für den nächsten Flug.
Brendan Patrick Pierre Prefontaine flog natürlich erster Klasse.
Der Air France Steward schob den Rollstuhl langsam und vorsichtig über die Rampe in die 747 auf dem Pariser Flughafen Orly. Die gebrechliche Frau war ältlich und hatte zuviel Rouge aufgetragen. Sie trug einen übergroßen Hut mit australischen Kakadufedern. Sie hätte ihre eigene Karikatur sein können, wären da unter den grauen, unvollständig rot gefärbten Haarbüscheln nicht die großen Augen gewesen — lebendige und wissende Augen voller Humor. Es war, als wollten sie allen, die sie beobachteten, sagen: Vergeßt es, mes amis, er mag mich auf diese Weise und das allein zählt für mich. Ich gebe einen Haufen merde auf euch und eure Meinungen. Der, auf den sie sich bezog, ging vorsichtig an ihrer Seite, berührte ab und zu ihre Schulter, und in der Berührung lag sehr viel Poesie, die nur ihnen allein gehörte. Bei näherem Hinsehen konnte man hin und wieder Tränen in seinen Augen sehen, die er sogleich wegwischte, damit sie es nicht merkte.
«Sie sind da, mon capitaine«, verkündete der Steward dem Chefpiloten, der seine beiden vorab einsteigenden Passagiere am Eingang des Flugzeuges begrüßte. Der Pilot ergriff die linke Hand der Frau und berührte sie mit seinen Lippen, straffte sich und grüßte den glatzköpfigen alten Mann mit dem kleinen Abzeichen der Legion d'Honneur auf seinem Revers.
«Es ist mir eine Ehre, Monsieur«, sagte der Kapitän.»Dieses Flugzeug steht unter meinem Kommando, aber Sie sind mein Kommandeur. «Sie schüttelten einander die Hände, und der Pilot fuhr fort:»Wenn es irgend etwas gibt, was die Besatzung und ich tun können, um den Flug für Sie so angenehm wie möglich zu machen, zögern Sie nicht, darum zu bitten, Monsieur.«
«Sie sind sehr freundlich.«
«Wir sind alle dankbar — alle, ganz Frankreich.«
«Es war nichts, wirklich…«
«Vom großen Charles persönlich ausgewählt zu werden als echter Held der Resistance, ist schwerlich >nichts<. Alter kann solchem Ruhm nichts anhaben. «Der Kapitän schnalzte mit den Fingern in Richtung der drei Stewardessen in der immer noch leeren Erste-Klasse-Kabine.»Schnell, meine Damen! Richten Sie alles aufs beste für einen tapferen Krieger Frankreichs und seine Dame.«
So wurde der Killer mit seinen vielen Identitäten zur Trennwand auf der Unken Seite geführt, wo die Frau sanft aus dem Rollstuhl in den Sessel am Gang befördert wurde, während er den Fenstersitz einnahm. Ihre Tischchen wurden aufgeklappt und eine eisgekühlte Flasche Champagner zu ihren Ehren geöffnet. Der Kapitän hob das erste Glas und toastete dem Ehepaar zu. Als er in die Flugkanzel zurückging, machte die alte Frau ihrem Mann ein Zeichen, verrucht und humorvoll. Innerhalb weniger Augenblicke begannen die übrigen Passagiere einzusteigen, von denen einige wohlwollend die alten Herrschaften in der ersten Reihe betrachteten. Denn in der Lounge der Air France hatte sich schon das Gerücht verbreitet. Ein großer Held… Der große Charles persönlich… In den Alpen hat er sechshundert Boches aufgehalten — oder waren es tausend?
Als der Jet die Runway hinunterjagte und sich dann mit einem leichten Ruck vom Boden in die Lüfte erhob, langte der alte» Held von Frankreich«- dessen einzige Heldentaten, an die er sich erinnern konnte, Diebstahl, Überlebenskampf, Beschimpfungen seiner Frau und das Sichfernhalten von jeder Armee und jeder Art Arbeitsdienst waren — in seine Tasche nach den Papieren. Der Paß trug sein Foto, und das war auch das einzige, was er daran wiedererkannte. Der Rest — Name, Datum und Ort der Geburt, Beruf — war ihm unbekannt, und die beigefügte Liste der Auszeichnungen, nun, das war einfach formidable. Ihm war versichert worden, daß das Individuum, zu dem ursprünglich Name und Taten gehörten, keine Verwandten mehr hatte und nur wenige Freunde und daß er aus seinem Appartement in Marseille verschwunden war, wahrscheinlich zu einer Weltreise aufgebrochen, von der er wohl nicht mehr zurückkehren würde.
Der Kurier des Schakals sah sich den Namen an — an den mußte er sich erinnern und richtig antworten, wann immer er darauf angesprochen wurde. Jean Pierre Fontaine, Jean Pierre Fontaine, Jean Pierre…
Ein Laut! Scharf und kratzend. Da stimmte etwas nicht, das war nicht normal, gehörte nicht zu den normalen Routinegeräuschen, dem hohlen Dröhnen eines Hotels. Borowski griff nach der Waffe neben seinem Kissen, rollte sich in seinen Shorts aus dem Bett und schob sich zur Wand hin. Da war es wieder! Ein einziges, lautes Klopfen an der Schlafzimmertür der Suite. Er schüttelte den Kopf und versuchte sich zu erinnern… Alex?» Ich werde einmal klopfen. «Jason kroch, noch halb im Schlaf, zur Tür. Mit dem Ohr am Holz sagte er:»Ja?«
«Öffne das verdammte Ding, bevor mich jemand sieht!«kam Conklins gedämpfte Stimme aus dem Korridor. Borowski öffnete, und der CIA-Agent a. D. hinkte schnell ins Zimmer, wobei er den Stock benutzte, als würde er ihn hassen.»Junge, bist du aus der Übung!«rief er aus, als er sich ans Fußende vom Bett setzte.»Ich habe etliche Minuten draußen gestanden und mehrmals geklopft.«
«Ich hab dich nicht gehört.«
«Delta hätte es gehört, Jason Borowski auch. David Webb nicht.«
«Gib mir noch einen Tag, und du findest keinen David Webb mehr.«
«Gerede! Ich will mehr als Gerede!«
«Dann hör du auf zu reden und erzähle mir, warum du hier bist — um welche Uhrzeit auch immer.«
«Als ich zuletzt auf die Uhr gesehen hab, war es drei Uhr zwanzig, und ich hab Casset auf der Straße getroffen. Ich mußte mich durch Gehölz schlagen und über einen verdammten Zaun klettern…«
«Was?«
«Hast du doch gehört. Einen Zaun. Versuch es mal mit einem Fuß in Zement… Du weißt, als ich noch zur Uni ging, hab ich mal den Hundert-Meter-Lauf gewonnen.«
«Keine Abschweifungen. Was ist passiert?«
«Oh, ich höre schon wieder Webb.«
«Was ist passiert? Und wenn du schon dabei bist, wer, zum Teufel, ist dieser Casset, von dem du redest?«
«Der einzige Mann in Virginia, dem ich traue. Ihm und Valentine.«
«Wer?«
«Es sind Analytiker, aber in Ordnung.«
«Was?«
«Egal, Mensch, es gibt Augenblicke, wo mich alles ankotzt… «
«Alex, warum bist du hier?«
Conklin sah vom Bett hoch und griff wütend nach seinem Stock.»Ich habe die Unterlagen über unsere Philadelphier.«
«Deshalb? Wer sind sie?«
«Nein, nicht deshalb. Ich meine, es ist interessant, aber deswegen bin ich nicht hier.«
«Warum also?«fragte Jason und ging zu einem Stuhl am Fenster.»Mein gelehrter Freund aus Kambodscha klettert mit seinem Zementfuß um drei Uhr morgens nicht über Zäune, wenn er nicht meint, daß es absolut notwendig ist. «Er setzte sich.
«Ich mußte.«
«Was nichts erklärt.«
«Es ist DeSole.«
«Was ist mit Soul?«»Nicht Soul, sondern DeSole.«
«Komm ich nicht mit.«
«Er ist der Schlüsselbewahrer in Langley. Nichts geschieht, worüber er nichts weiß, und nichts wird im Untersuchungsbereich getan, was er nicht kontrolliert.«
«Komm immer noch nicht mit.«
«Wir stecken tief in der Scheiße.«
«Das hilft mir auch nicht weiter.«
«Wieder Webb.«
«Ich glaube, ich muß dir erst einen Nerv ziehen.«
«Schon gut, schon gut. Laß mich erst zu Atem kommen. «Conklin ließ seinen Stock auf den Teppich fallen.»Ich habe nicht einmal dem Lastenaufzug getraut. Hab ihn zwei Stockwerke tiefer gestoppt und bin gelaufen.«
«Weil wir tief in der Scheiße stecken?«
«Ja.«
«Warum? Wegen DeSole?«
«Genau, Mr. Borowski. Steven DeSole. Der Mann, der den Finger auf jedem Computer in Langley hat. Die Person, die alle Disketten zum Tanzen bringt und der deine alte jungfräuliche Tante Gracia als Prostituierte ins Gefängnis bringen kann, wenn er sie dort haben will.«
«Worauf willst du hinaus?«
«Er ist die Verbindung zu Brüssel, zu Teagarten bei der NATO. Casset hat unten in den Gewölben erfahren, daß er die einzige Verbindung ist — sie haben sogar einen besonderen Kode, mit dem sie alles andere überspringen können.«
«Was bedeutet das?«
«Casset weiß es nicht, aber er ist verdammt wütend.«
«Wieviel hast du ihm erzählt?«
«Das Minimum. Daß ich an einigen Möglichkeiten arbeite und daß Teagartens Name in merkwürdigem Zusammenhang aufgetaucht ist — wahrscheinlich als Ablenkungsmanöver oder von jemandem benutzt, um jemand anderem damit imponieren zu wollen. Ich wollte wissen, mit wem er bei der CIA sprechen würde, wobei ich an Peter Holland dachte. Ich bat Charlie, die Karten heimlich auszuspielen.«
«Was wohl vertraulich heißen soll.«
«Zehnmal mehr. Casset ist der effektivste Mann in Langley. Ich brauchte ihm nicht mehr zu sagen, und schon hatte er kapiert. Nun hat auch er ein Problem, das er gestern noch nicht hatte.«
«Was wird er unternehmen?«
«Ich bat ihn, ein paar Tage lang gar nichts zu tun, und das hat er mir zugesagt. Achtundvierzig Stunden, um genau zu sein. Und dann wird er DeSole damit konfrontieren.«
«Das kann er nicht tun«, sagte Borowski entschlossen.
«Was immer diese Leute verbergen, wir können es nutzen, um den Schakal hervorzulocken. Sie benutzen, um ihn hervorzulocken, wie andere vom selben Schlage mich vor dreizehn Jahren benutzt haben.«
Conklin starrte zuerst auf den Fußboden, dann auf Jason Borowski.»Es läuft also auf das allmächtige Ego hinaus, nicht wahr?«sagte er.»Je größer das Ego, um so größer die Furcht… «
«Je größer der Köder, um so größer der Fisch«, vervollständigte Jason.
«Vor sehr langer Zeit einmal hast du mir erzählt, der >Stachel< von Carlos sei so groß wie sein Kopf, der schon über alle Maße angeschwollen gewesen sein muß für das Geschäft, in dem er ist. Das war damals wahr und ist es auch heute noch. Wenn wir irgendeins von diesen hohen Regierungstieren dazu bringen können, ihm eine Botschaft zu schicken — etwa, mich zu jagen, zu töten —, wird er anbeißen. Weißt du, warum?«
«Habe ich ja gerade gesagt. Das Ego.«
«Sicher, teilweise, aber da ist noch etwas. Es ist der Respekt, der Carlos mehr als zwanzig Jahre lang versagt geblieben ist, angefangen damit, daß Moskau ihn hinausgeworfen hat. Er hat Millionen gemacht, aber seine Klienten sind und waren immer der Abschaum der Erde. Trotz aller Angst, die er verbreitet, ist und bleibt er ein im Grunde dummer Psychopath. Keine Legenden haben sich um ihn gebildet, nur Verachtung, und das muß ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht haben. Die Tatsache, daß er mir hinterherjagt, um eine dreizehn Jahre alte Rechnung zu begleichen, unterstreicht das, was ich sage… Ich bin für ihn lebenswichtig. Mich zu töten, ist für ihn lebenswichtig — weil ich das Produkt unserer geheimen Operationen gewesen bin. Da möchte er seine Fähigkeiten aufblitzen lassen, zeigen, daß er besser ist als wir alle zusammen.«
«Es könnte auch sein, weil er immer noch meint, daß du ihn identifizieren könntest.«
«Das dachte ich zuerst auch, aber das ist jetzt dreizehn Jahre her — nein, da mußte etwas anderes dahinterstecken.«
«Also hast du dich auf das Feld von Mr. Panov begeben und eine psychologische Erklärung entwickelt.«
«Dies ist ein freies Land.«
«Verglichen mit den meisten anderen, ja, aber was soll uns das alles nützen?«
«Ich weiß, daß ich recht habe.«
«Das ist keine Antwort.«
«Nichts darf falsch sein oder gestellt«, beharrte Borowski und beugte sich vor, die Ellbogen auf seinen nackten Knien, die Hände verschränkt.»Carlos würde die List bemerken. Das ist
das erste, wonach er sucht. Unsere Medusa-Leute müssen echt sein, und sie müssen echt in ihrer Panik sein.«
«Sind sie beides, ich habe es dir schon gesagt.«
«Bis zu dem Punkt, wo sie tatsächlich bereit sind, sogar Kontakt mit jemandem wie dem Schakal aufzunehmen?«
«Das weiß ich nicht.«
«Das werden wir niemals wissen, solange wir nicht herausfinden, was sie zu verbergen haben.«
«Aber wenn wir in Langley alle Computer in Schwung bringen, dann wird DeSole dahinterkommen. Und wenn er ein Teil von was weiß der Teufel auch immer ist, dann wird er die anderen alarmieren.«
«Dann werden wir eben nicht in Langley nachforschen. Ich habe ausreichend Material, um auch so weiterzumachen. Du brauchst mir nur die Adressen und Telefonnummern zu geben. Das kannst du doch, oder?«
«Gewiß. Das ist das mindeste. Was willst du denn tun?«
Borowski lächelte und sprach ruhig, geradezu sanft:»Wie wäre es damit, ihre Häuser zu stürmen und ihnen Nadeln in den Arsch zu jagen, zwischen dem Aperitif und dem Entree?«
«Jetzt höre ich wieder Jason Borowski.«
«So muß es sein.«