Kapitel 4

David Webb lief durch den Terminal des National Airport, durch die automatischen Türen des Ausgangs und auf den Vorplatz voller Menschen. Er studierte die Wegweiser und eilte weiter zu dem Fußweg, der zum Parkplatz führte. Laut Plan sollte er zur äußersten Reihe rechts gehen, dann links die Wagen entlang, bis zu einem metallgrauen Pontiac LeMans, Modell 1986, mit einem Kruzifix am Rückspiegel. Am Steuer, das Fenster geöffnet, sollte ein Fahrer mit einer weißen Mütze sitzen. Webb sollte ihn ansprechen und sagen:»Der Flug war sehr angenehm. «Wenn der Mann dann die Mütze zog und den Motor startete, sollte Webb auf dem Rücksitz Platz nehmen. Kein weiteres Wort sollte gewechselt werden.

Der Fahrer jedoch langte unter das Armaturenbrett, nahm ein Mikro und sprach langsam und deutlich:»Unsere Fracht ist an Bord. Die Sache kann losgehen.«

David kam das alles so exotisch wie lachhaft vor. Aber da Alex Conklin ihn in der Rockwell-Jet-Halle aufgespürt und ihn außerdem vom privaten Direktapparat von Peter Holland angerufen hatte, wußten sie wohl, was sie taten. Ihm schoß durch den Kopf, daß es vielleicht etwas mit Mo Panovs Anruf vor rund neun Stunden zu tun haben könnte. Das wäre auch die Erklärung dafür, daß Holland noch persönlich an den Apparat gekommen war und darauf bestanden hatte, daß er nach Hartford fuhr und dort von Bradley aus einen regulären Flug nach Washington nahm. Bedeutungsvoll hatte er noch hinzugefügt, daß er keine weiteren Telefonate wünsche und auf keinen Fall die Benutzung von privaten oder

Regierungsflugzeugen.

Der Fahrer verlor keine Zeit, den National Airport zu verlassen. Minuten später schon rasten sie über Land und mit nur wenig verringerter Geschwindigkeit durch die Vororte von Virginia. Sie fuhren durch das Tor eines teuren Villenkomplexes etwas außerhalb der Stadt. Die Einfahrt trug ein Schild mit der Aufschrift Vienna Villas. Der Wächter kannte den Fahrer offenbar und winkte ihn durch, nachdem er den schweren Schlagbaum geöffnet hatte. Jetzt sprach der Fahrer Webb an.

«Dieser Ort hat fünf verschiedene Sektoren auf ebenso vielen Hektar, Sir. Vier von ihnen sind reguläre Grundstücke mit normalen Besitzern, aber der fünfte, der vom Tor am weitesten entfernte, ist Besitz des Geheimdienstes mit eigener Straße und eigenem Sicherheitssystem. Es gibt keinen gesünderen Ort für Sie, Sir.«

«Ich fühle mich eigentlich nicht krank.«

«Das ist auch gut so. Sie stehen im Schutz des DCI, und Ihre Gesundheit ist ihm sehr wichtig.«

«Schön, aber woher wissen Sie das alles?«

«Ich bin Teil des Teams, Sir.«

«Und wie heißen Sie?«

Der Fahrer schwieg einen Moment, und als er schließlich antwortete, hatte David das unangenehme Gefühl, in die Vergangenheit zurückgeworfen zu werden.»Wir haben keine Namen, Sir. Sie nicht und auch ich nicht.«

Medusa.»Ich verstehe«, sagte Webb.

«Wir sind da. «Der Fahrer lenkte den Wagen in eine kreisrunde Auffahrt und hielt vor einem zweistöckigen Gebäude im Kolonialstil, das mit weißen Säulen aus Carrara-Marmor geschmückt war.»Entschuldigen Sie, Sir, ich bemerke es jetzt erst. Sie haben gar kein Gepäck.«

«Nein, habe ich nicht«, sagte David und öffnete die Wagentür.

«Wie gefällt dir meine Bude hier?«fragte Alex und machte eine vage Geste.

«Zu hübsch und zu sauber für einen mürrischen alten Junggesellen«, entgegnete David.»Und seit wann liebst du Vorhänge mit rosa und gelben Blümchen?«

«Warte nur, bis du die Tapete in meinem Schlafzimmer siehst. Mit Röschen.«

«Ich weiß nicht, ob ich das will.«

«Bei dir sind es Hyazinthen… Hätte ich natürlich nicht als Hyazinthen erkannt, aber das Mädchen hat es gesagt.«

«Das Mädchen?«

«Ende Vierzig, schwarz und gebaut wie ein Sumo-Ringer. Sie hat zwei mächtige Ballermänner unter der Bluse, und es geht das Gerücht, daß sie mit scharfen Rasierklingen versehen sind.«

«Nettes Mädchen.«

«Eine hochqualifizierte Wache. Sie läßt kein Stück Seife und keine Rolle Klopapier hier herein, die nicht aus Langley kommt. Weißt du, daß sie Gehaltsstufe zehn hat? Und manche von den Clowns hier geben ihr auch noch ein Trinkgeld.«

«Brauchen sie keine Kellner?«

«Das ist gut. Unser Gelehrter, Webb, der Kellner.«

«Jason Borowski war einer.«

Conklin hielt inne und sagte dann ernst:»Also kommen wir zu Borowski. «Er hinkte zu einem Sessel.»Nebenbei, du hast einen anstrengenden Tag gehabt, und es ist noch nicht Mittag. Wenn du einen Drink möchtest, da gibt es eine volle Bar hinter den beigefarbenen Klappen neben dem Fenster… Schau mich nicht so an, unsere schwarze Brunhilde hat gesagt, sie sind beige.«

Webb lachte. Es war ein leises, gutmütiges Lachen, als er seinen Freund ansah.»Es macht dir wirklich nichts aus, Alex?«

«Zum Teufel, nein, und das weißt du. Habt ihr jemals den Schnaps versteckt, wenn ich dich und Marie besucht habe?«

«Da gab es keinen Streß…«

«Streß spielt keine Rolle«, unterbrach Conklin.»Ich habe eine Entscheidung getroffen, und es gibt keine andere. Nimm dir einen Drink, David. Wir haben zu reden, und ich möchte, daß du dich entspannst. Ich sehe deine Augen, und sie sagen mir, daß du ziemlich unter Druck stehst.«

«Du hast mir mal gesagt, daß es immer in den Augen zu sehen ist«, sagte Webb. Er öffnete eine der Klappen und holte eine Flasche heraus.»Du kannst es also immer noch sehen?«

«Ich habe es dir doch gesagt… Wie geht es Marie und den Kindern? Ich hoffe, sie sind gut weggekommen?«

«Ja, danke. Ich bin die Sache mit dem Piloten bis zum Überdruß durchgegangen, bis er mich am Ende bat, entweder seine Kiste zu verlassen oder selbst zu fliegen. «Webb schüttete sich ein Glas voll und setzte sich Conklin gegenüber.

«Wie weit sind wir, Alex?«

«Dort, wo wir letzte Nacht auch schon waren. Es hat sich nichts bewegt und nichts verändert, außer daß Mo sich weigert, seine Patienten im Stich zu lassen. Er wurde heute früh von seinem Appartement, das mittlerweile sicher wie Fort Knox ist, abgeholt und unter Bewachung in sein Büro gefahren. Später am Nachmittag wollen sie ihn herbringen, wobei das Auto viermal gewechselt wird, immer in unterirdischen Parkhäusern.«

«Also offene Bewachung. Keiner versteckt sich mehr?«

«Das wäre witzlos. Wir sind auf dem Smithsonian-Gelände in eine Falle gelaufen, und unsere Leute waren sehr sichtbar.«

«Vielleicht könnte es gerade deswegen funktionieren? Das Unerwartete? Substitute außerhalb des eigentlichen Bewachungsteams, die bewußt Fehler machen.«

«Das Unerwartete funktioniert, David, aber Blödheit nicht. «Conklin schüttelte heftig den Kopf.»Das letzte nehm ich zurück. Borowski vermochte Dummköpfe in smarte Jungs zu verwandeln, aber ein offiziell festgelegtes Überwachungsdetail läßt sich nicht ändern. Da gibt es zu viele Komplikationen.«

«Verstehe ich nicht.«

«So gut, wie diese Leute sind, so sind sie in erster Linie auf den Schutz von Leben bedacht, das sie vielleicht retten können. Sie müssen Rapporte schreiben. Es sind Karriere-Leute, nicht im voraus bezahlte Desperados, die, wenn sie versagen, mit einem Messer im Rücken rechnen.«

«Das hört sich ziemlich melodramatisch an«, sagte Webb, lehnte sich in den Stuhl zurück und nahm einen Schluck.»Ich denke, daß zumindest ich damals so vorgegangen bin.«

«Es war eher dein Image als die Realität, aber für die Leute, die du benutzt hast, war es tatsächlich die Wirklichkeit.«

«Dann werde ich wieder diese Leute finden und sie wieder benutzen. «David beugte sich vor und griff nach seinem Glas.»Er zwingt mich ans Licht, Alex! Der Schakal verlangt meine Karten, und ich muß sie ihm zeigen.«

«Ach, sei ruhig«, sagte Conklin irritiert.»Jetzt bist du derjenige, der melodramatisch ist. Das hört sich wie der allerletzte Western an. Wenn du dich zeigst, ist Marie eine Witwe, und die Kinder haben keinen Vater mehr. Das ist die Wirklichkeit, David.«

«Falsch. «Webb schüttelte den Kopf und starrte in sein Glas.»Er ist hinter mir her, also muß ich ihn jagen. Er versucht, mich hervorzulocken, also muß ich ihn hervorlocken. Nur so kann es laufen, das ist die einzige Möglichkeit, ihn aus unserem Leben verschwinden zu lassen. Letzten Endes geht es um Carlos gegen Borowski. Wir sind wieder da, wo wir vor dreizehn Jahren gewesen sind. >Alpha, Bravo, Cain, Delta… Cain steht für Carlos, und Delta steht für Cain.<«

«Das war ein idiotischer Kode in Paris vor dreizehn Jahren!«unterbrach Alex ihn scharf.»Medusas Delta und die großartige

Herausforderung des Schakals. Aber das hier ist nicht Paris, und es ist dreizehn Jahre später!«

«Und in fünf Jahren werden es achtzehn Jahre sein, und in zehn Jahren dreiundzwanzig. Was, zum Teufel, soll ich denn tun? Mit diesem Gespenst, das mir und meiner Familie droht, weiterleben? Jedesmal in Angst, wenn meine Frau oder meine Kinder das Haus verlassen, den Rest meines Lebens auf der Flucht?… Nein! Du weißt es besser: Die Analytiker können mit einem Dutzend Strategien antanzen, und wir werden die und die Vorkehrungen treffen und dankbar sein, aber im entscheidenden Augenblick, da passiert's zwischen dem Schakal und mir… Aber ich bin im Vorteil. Ich habe dich an meiner Seite.«

Conklin schluckte und blinzelte.»Das ist sehr schmeichelhaft, David, vielleicht zu schmeichelhaft. Ein paar tausend Kilometer von Washington entfernt fühle ich mich wohler. Hier bin ich immer ein bißchen steif.«

«Aber nicht, als du mich vor fünf Jahren zum Flugzeug nach Hongkong gebracht hast. Damals hattest du schon die Hälfte der Rechnung gelöst.«

«Das war auch einfacher — eine verdammt miese Operation, die nach verfaultem Heilbutt stank, so faul, daß es einem die Nase beleidigte. Das hier ist was anderes. Hier geht es um Carlos.«

«Das sage ich doch, Alex. Es ist Carlos, nicht eine Stimme am Telefon, die keiner von uns kennt. Wir haben es mit einer bekannten Größe zu tun, mit etwas Vorhersehbarem…«

«Vorhersehbar?«unterbrach Conklin stirnrunzelnd.»Das ist verrückt.«

«Er ist ein Jäger. Er wird einer Spur folgen.«

«Er wird sie erst mit einer sehr erfahrenen Nase untersuchen, und dann wird er jedes Detail noch einmal unters Mikroskop legen.«

«Dann müssen wir echt sein, nicht wahr?«

«Ich habe es am liebsten idiotensicher. Was hast du vor?«

«Im Katechismus vom heiligen Alex steht, daß an einem Köder für eine Falle ein gehöriges Stück Wahrheit sein muß, sogar ein gefährliches Stück.«

«Das Kapitel und der Absatz beziehen sich auf die mikroskopische Echtheit eines Ziels. Davon habe ich gerade schon gesprochen. Welche Relevanz hat das hier?«

«Medusa«, sagte Webb ruhig.»Ich will Medusa einsetzen.«

«Jetzt haben dich alle guten Geister verlassen«, antwortete Conklin ebenso ruhig.»Dieser Name ist ebenso off-limits wie du — ehrlich gesagt, noch viel mehr.«

«Es gab Gerüchte, Alex, Geschichten, in ganz Südostasien, die ins Chinesische Meer und bis nach Kowloon und Hongkong gespült wurden, wo all diese Bastarde mit ihrem Geld rumrannten. Medusa war nicht unbedingt das teuflische Übel, als das du es zu sehen scheinst.«

«Gerüchte, ja, und Geschichten, natürlich«, unterbrach der Agent a. D.»Welches von diesen Schweinen hat nicht auf einer einzigen >Tour< ein Dutzend oder zwei Dutzend oder zweihundert Menschen umgelegt? Neunzig Prozent waren Killer und Diebe. Todesschwadronen. Peter Holland hat gesagt, daß er, während er als SEAL-Mann an den Operationen im Norden beteiligt war, keinen getroffen hätte, den er nicht gerne über den Jordan hätte gehen lassen.«

«Und ohne sie hätte es statt der 58 000 Toten gut 60 000 Tote und noch mehr gegeben. Du mußt den Schweinen gerecht werden, Alex. Sie kannten jeden Quadratzentimeter des Landes, jeden Fußbreit des Dschungels im Dreieck. Sie — wir — haben mehr brauchbare Nachrichten gesammelt als alles sonst, was jemals aus Saigon gekommen ist.«

«Ich meine, David, daß es niemals irgendeine Verbindung zwischen Medusa und der Regierung der Vereinigten Staaten geben darf. Unsere Verwicklung wurde nirgends registriert, noch weniger zur Kenntnis genommen. Selbst der Name wurde so weit wie möglich verheimlicht. Es gibt eine Konvention gegen Kriegsverbrechen, und deswegen war Medusa nach offizieller Terminologie eine private Organisation, eine Ansammlung von Gewalttätern, die das korrupte Südostasien so zurückhaben wollten, wie sie es kannten und wie es ihnen dienlich war. Wenn jemals nachgewiesen werden könnte, daß Washington hinter Medusa steckte, dann wäre der Ruf von einigen sehr bedeutenden Leuten im Weißen Haus und im Außenministerium ruiniert. Jetzt haben sie die Weltmacht in Händen, aber vor zwanzig Jahren waren es junge Hitzköpfe im Kommando Saigon… Wir können in Kriegszeiten mit fragwürdigen Taktiken leben, aber niemand wird akzeptieren, daß wir Komplizen beim Abschlachten von Zivilisten waren, daß dazu heimlich Steuergelder verwendet wurden, die in die Millionen gehen. Das ist wie mit den versiegelten Archiven, die Aufschluß geben könnten, wie manche unserer fetten Bankiers die Nazis geschmiert haben. Es gibt Dinge, die wir unter keinen Umständen aus ihren schwarzen Kassetten herausholen können, und eine davon ist Medusa.«

Webb lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück, angespannt, den Blick fest auf seinen alten Freund gerichtet, der einmal für einen Moment lang sein tödlicher Feind gewesen war.»Wenn das, was ich an Erinnerung habe, richtig ist, wurde Borowski als Mann identifiziert, der von Medusa kam.«

«Eine durchaus glaubhafte Erklärung und eine perfekte Tarnung«, stimmte Conklin zu und erwiderte Davids Blick.»Wir verfolgten die Spur zurück bis Tarn Quan und entdeckten, daß Borowski ein paranoider Abenteurer aus Tasmanien war, der in den Dschungeln von Nordvietnam Zuflucht gefunden hatte. Nirgends in diesem aufschlußreichen Dossier gab es den leisesten Hinweis auf eine Verbindung mit Washington.«

«Aber das ist doch alles gelogen, Alex. Es gab und gibt eine Verbindung zu Washington, und der Schakal weiß es. Er begriff es, als er dich und Mo Panov in Hongkong fand — eure Namen in den Ruinen jenes sterilen Hauses in der Victoria Peak fand, wo Jason Borowski angeblich in die Luft gesprengt worden war. Den letzten Beweis erhielt er vergangene Nacht, als seine Boten euch auf dem Smithsonian-Gelände ansprachen und — wie du dich ausgedrückt hast — >unsere Leute sehr sichtbar waren<. Endlich wußte er, daß alles, was er dreizehn Jahre lang vermutet hatte, wahr ist. Das Mitglied von Medusa, das man Delta nannte, war Jason Borowski, und Jason Borowski war eine Schöpfung des amerikanischen Geheimdienstes — und er ist noch am Leben. Am Leben und in einem Versteck, wo er von der amerikanischen Regierung geschützt wird.«

Conklin schlug mit der Faust auf seine Stuhllehne.»Wie hat er uns gefunden? Mich gefunden? Alles, alles lag unter einer schwarzen Decke. McAllister und ich hatten dafür gesorgt.«

«Ich könnte mir mehrere Möglichkeiten vorstellen, aber diese Frage können wir aufschieben. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen uns dem zuwenden, was wir wissen, was Carlos weiß… Medusa, Alex.«

«Was? Wie zuwenden?«

«Wenn Borowski aus Medusa hervorging, folgt daraus, daß unsere Geheimagenten mit Medusa zusammenarbeiteten. Wie hätte sonst die Borowski-Geschichte gedreht werden sollen? Was der Schakal nicht weiß oder noch nicht herausgefunden hat, ist, wie weit diese Regierung zu gehen bereit ist, um Medusa unter Verschluß zu halten. Wie du schon gesagt hast, könnten sich ein paar sehr wichtige Leute im Weißen Haus und im Außenministerium die Finger verbrennen. Eine Menge Leute, die mit der Weltmacht spielen, könnten häßliche Flecken auf ihre weißen Westen bekommen.«

«Und plötzlich hätten auch wir ein paar Waldheims. «Conklin nickte mit gefurchter Stirn. Er sah zu Boden, wobei seine Gedanken sich offenbar mit rasender Geschwindigkeit durch sein Hirn bewegten.

«Shü Fu Nu«, sagte Webb im Flüsterton. Beim Klang der fernöstlichen Laute blickte Alex zu David auf.»Das ist der Schlüssel oder nicht?«fuhr Webb fort. »Shü Fu Nu… Schlangenlady.«

«Es ist dir eingefallen.«

«Erst heute früh«, entgegnete Jason Borowski mit kalten Augen.»Als Marie und die Kinder bereits in der Luft waren. Das Flugzeug verschwand im Nebel über dem Hafen von Boston, und da war ich plötzlich wieder dort. In einem anderen Flugzeug, in einer anderen Zeit, und die Worte krächzten aus einem Radio über den Äther. >Schlangenlady, Schlangenlady! Abbrechen… Schlangenlady, verstehen Sie mich? Abbrechen!< Ich antwortete, indem ich das verdammte Ding ausdrehte und mir die Männer in der Kabine ansah, die bei den Turbulenzen auseinanderzubrechen drohte. Ich studierte jeden einzelnen und fragte mich, ob dieser oder jener überleben würde, ob ich es überleben würde, und wenn nicht, wie wir sterben würden. Dann sah ich zwei der Männer ihre Ärmel hochkrempeln und ihre kleinen häßlichen Tätowierungen auf den Unterarmen miteinander vergleichen, diese lausigen kleinen Embleme, von denen sie so fasziniert waren…«

«Shü Fu Nu«, sagte Conklin klanglos.»Der Kopf einer Frau mit Schlangen als Haar. Das Haupt der Medusa. Die Schlangenlady. Du hast dich geweigert, tätowiert zu werden…«

«Ich betrachtete es nie als eine Auszeichnung«, unterbrach Webb Borowski blinzelnd.»Eher im Gegenteil.«

«Ursprünglich war es zur Identifizierung gedacht, nicht als Zeichen einer irgendwie gearteten Auszeichnung. Eine verschlungene Tätowierung auf der Unterseite des Unterarms. Das Muster und die Farben konnten nur von einem Künstler in Saigon hergestellt werden. Niemand konnte es kopieren.«

«Der alte Mann hat damals einen Haufen Geld damit gemacht.«

«Jeder Offizier im Hauptquartier, der Mitglied von Medusa war, trug diese Tätowierung. Sie waren verrückt danach wie Kinder auf die Zeichen einer Geheimschrift in einer Cornflakespackung.«

«Sie waren keine Kinder, Alex. Verrückt, ja, darauf kannst du deinen Arsch verwetten, aber keine Kinder. Sie waren von einem üblen Virus infiziert, genannt Unverantwortlichkeit, und im allgegenwärtigen Kommando Saigon ist mehr als eine Million gemacht worden. Die wirklichen Kinder wurden in den Dschungeln verstümmelt oder getötet, während im Süden eine Menge Leute in gebügelter Khakiuniform ihre persönlichen Kuriere zu den Banken in der Schweiz schickte.«

«Vorsicht, David. Du könntest von einigen sehr wichtigen Leuten in unserer Regierung reden.«

«Von wem zum Beispiel?«fragte Webb ruhig, mit dem Glas balancierend.

«Die, die ich kannte, die bis zum Hals im Dreck steckten, da habe ich, verdammt noch mal, dafür gesorgt, daß sie aus dem Verkehr gezogen wurden, als Saigon fiel. Aber meine Agentenzeit lag schon einige Jahre zurück, als das passierte. Und heute spricht niemand mehr viel über jene Monate und schon gar nicht über die Schlangenlady.«

«Aber du mußt doch ein paar Anhaltspunkte haben.«

«Sicher, aber nichts Konkretes, nichts, was sich auch nur annähernd beweisen ließe. Es gibt Indizien — einen bestimmten Lebensstil, Grundbesitz, den einige Leute nicht haben dürften,

Orte, an denen zu verkehren sie sich normalerweise nicht leisten könnten, Positionen in Unternehmen, Gehälter mit Aktienoptionen, die durch nichts gerechtfertigt sind.«

«Das klingt nach einem ganzen Netzwerk«, sagte David mit angespannter Stimme, der Stimme von Jason Borowski.

«Wenn es eins ist, dann ist es sehr dicht. Sehr exklusiv.«

«Mach doch mal eine Liste, Alex.«

«Sie hätte viele Lücken.«

«Dann zuerst nur von den wichtigen Leuten, von denen, die direkt im Kommando Saigon saßen. Vielleicht auch noch von denen mit Grundbesitz, den sie nicht haben sollten, oder denen mit unverständlich hochdotierten Posten im Privatsektor.«

«Ich wiederhole, jede derartige Liste könnte wertlos sein.«

«Nicht bei deinem Instinkt.«

«David, was hat das mit Carlos zu tun?«

«Einen Teil der Wahrheit, Alex. Einen gefährlichen Teil, das schwöre ich dir, aber idiotensicher und unwiderstehlich für den Schakal.«

Der CIA-Agent a. D. starrte seinen Freund verblüfft an.»In welcher Hinsicht?«

«Sei doch kreativ. Angenommen, du hast fünfzehn oder zwanzig Namen, dann müßten drei oder vier Treffer dabeisein, die wir auf die eine oder andere Weise identifizieren können müßten. Und wenn wir erst einmal herausgefunden haben, wer sie sind, werden wir Druck ausüben, sie auf verschiedene Weise ausquetschen, indem wir immer wieder dieselbe Botschaft übermitteln: Ein ehemaliger Medusa-Mann ist durchgedreht, ein Mann, der jahrelang gut aufgehoben war, und er ist dabei, die Schlangenlady zu erledigen, und er hat genügend Munition — Namen, Verbrechen, Orte, geheime Schweizer Konten —, den ganzen Mist. Dann — und das wird der Test für die Talente des heiligen Alex, wie wir ihn alle kennen und schätzen lassen wir verlauten, daß es jemanden gibt, der diesen gefährlichen, bösartigen Abtrünnigen noch lieber als sie erwischen würde.«

«Ilich Ramirez Sanchez«, ergänzte Conklin leise.»Carlos, der Schakal. Und was folgt, ist ebenso unmöglich: Irgendwie — nur Gott weiß, wie — lassen wir verlauten, daß ein Treffen der beiden interessierten Parteien möglich wäre. Das heißt also, interessiert an einer gemeinsamen Ermordung, wobei die eine Seite sich nicht aktiv daran beteiligen kann, dank der verletzlichen Natur der hohen öffentlichen Stellungen bestimmter Leute. Das meinst du doch, oder?«

«In etwa, außer daß dieselben mächtigen Männer in Washington etwas erfahren könnten über die Identität und den Aufenthaltsort der so sehr herbeigewünschten zukünftigen Leiche.«

«Na klar«, stimmte Alex zu und nickte zweifelnd.»Sie wedeln einfach mit einem Zauberstab, und alle Schranken bezüglich der hochgeheimen Akten werden aufgehoben, und sie erhalten alle gewünschten Informationen.«

«Genau«, sagte David entschieden.»Weil wer auch immer die Mittelsmänner von Carlos trifft, so hoch angesiedelt sein muß, so authentisch sein muß, daß der Schakal gar keine Wahl hat, ihn oder sie zu akzeptieren. Er wird keine Zweifel haben, alle Gedanken an eine Falle verschwinden durch ihr Auftreten.«

«Und möchtest du vielleicht noch, daß ich bei einem Januargewitter im Gebirge ein paar Veilchen blühen lassen soll?«

«So ungefähr. All dies muß innerhalb der nächsten ein oder zwei Tage passieren, solange Carlos sich noch damit plagt, was auf dem Smithsonian-Gelände passiert ist.«

«Unmöglich…! Aber, verdammt, ich versuche es. Ich werde hier mein Büro einrichten, und Langley soll mir schicken, was ich brauche. Four-Zero-Geheimhaltung natürlich… Ich habe nur

Bedenken, die verdammte Spur im Mayflower zu verlieren, worum auch immer es sich dabei handelt.«

«Das glaube ich kaum«, sagte Webb.»Wer es auch sein mag, er wird nicht so schnell aufgeben. Das ist nicht die Art des Schakals, ein derartiges Loch zu hinterlassen.«

«Der Schakal? Du meinst, es ist Carlos persönlich?«

«Nicht er natürlich. Aber jemand von seiner Gehaltsliste, ein völlig irrwitziger Typ, der ein Schild mit dem Namen Schakal auf dem Rücken tragen könnte und niemand würde ihm glauben.«

«Ein Chinese?«

«Vielleicht. Was immer er tut, es ist logisch, auch wenn seine Logik unlogisch erscheint.«

«Ich höre einen Mann aus der Vergangenheit, einen Mann, den es nie gegeben hat.«

«Oh, es gab ihn, Alex. Es gab ihn tatsächlich, und jetzt ist er wieder da.«

Conklin sah zur Tür des Appartements, weil Davids Worte ihn auf einen anderen Gedanken gebracht hatten.»Wo ist dein Koffer?«fragte er.»Hast du was zum Anziehen mitgebracht?«

«Nichts. Und diese Sachen hier werden, sobald ich andere habe, in einem Gulli verschwinden. Aber zuerst muß ich noch einen alten Freund besuchen, noch ein Genie, das im falschen Viertel der Stadt wohnt.«

«Laß mich raten«, sagte der Agent a. D.»Einen älteren schwarzen Mann mit dem unwahrscheinlichen Namen Kaktus, ein Genie, wenn es um falsche Papiere, Pässe, Führerscheine und Kreditkarten geht.«

«Genau.«

«Das könnte auch die CIA machen.«

«Nicht so gut und zu bürokratisch. Ich will keine Spuren hinterlassen, nicht einmal unter Four-Zero-Geheimhaltung. Dies ist eine Solo-Partie.«

«Okay. Und was nun?«

«Du gehst an die Arbeit. Bis morgen früh müssen eine Reihe von Leuten in dieser Stadt das Zittern gelernt haben.«

«Morgen früh?… Das ist unmöglich!«

«Nicht für dich. Nicht für den heiligen Alex, den König der dunklen Operationen.«

«Du kannst sagen, was du willst, aber ich bin nicht mehr in Übung.«

«Das kommt schnell wieder. Wie Sex und Fahrradfahren.«

«Und was ist mit dir? Was machst du?«

«Nach dem Rendezvous mit Kaktus werde ich mir ein Zimmer im Mayflower nehmen«, antwortete Borowski.

Culver Parnell, Hotelmagnat aus Atlanta, der es auf Grund seiner achtundzwanzigjährigen Erfahrung im Hotelgeschäft bis zum Protokollchef des Weißen Hauses gebracht hatte, legte verärgert den Hörer auf, während er eine weitere Obszönität auf seinen Notizblock gekritzelt hatte. Durch die Wahlen und den daraus resultierenden Austausch des Personals im Weißen Haus war er an die Stelle der hochwohlgeborenen Dame der vorangegangenen Administration getreten, die keine Ahnung von den politischen Verästelungen der tausendsechshundert Geladenen auf der Liste gehabt hatte. Dann lag er zu seiner tiefsten Irritation auch noch im Clinch mit seiner ersten Assistentin, ebenfalls einer Dame mittleren Alters, von einem der scheißeleganten Colleges im Osten und obendrein eine Washingtoner Prominente, die ihr Gehalt irgendeiner Pipifax-Tanzgruppe spendete, deren Mitglieder in Unterwäsche herumhampelten, wenn sie überhaupt etwas anhatten.

«Scheiße!«sagte Culver wütend und fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres Haar. Erneut griff er zum Telefon und drückte vier Tasten.»Gib mir den Rotkopf, du süßes Ding«, säuselte er, wobei er seinen ohnehin starken Georgia-Akzent noch betonte.

«Ja, Sir«, sagte die geschmeichelte Sekretärin.»Er ist auf der anderen Leitung. Eine Sekunde bitte, Mr. Parnell.«»Du bist der allersüßeste Pfirsich, geliebtes Kind.«»Oh, Mannomann, danke! Bleiben Sie dran. «Es verfehlt nie seine Wirkung, dachte Culver. Mit ein bißchen Öl läuft alles wie geschmiert. Diesem Hurenstück von einer Assistentin würde er schon zeigen, mit wem sie es bei ihrem Vorgesetzten aus dem Süden zu tun hatte, sie sprach, als hätte ihr ein Zahnarzt alle ihre verdammten Zähne einzementiert.

«Bist du's, Cull?«kam die Stimme des Rotkopfs über die Leitung und unterbrach Parnells Gedanken.

«Ganz genau, alter Junge, wir haben ein Problem! Diese alte Ziege wieder mal. Ich habe unsere Wall-Street-Leute fest für einen Tisch beim Empfang am fünfundzwanzigsten eingeplant, dem für den neuen französischen Botschafter. Und sie sagt, wir müßten sie rausschmeißen wegen irgendwelcher BallettSchwulen, und sie sagt, daß sie und die First Lady es unbedingt so wollen. Scheiße! Diese Dollarboys haben verdammt viele französische Interessen, die durch die verdammte Party gefördert werden könnten, sagt sie. Jeder Sack an der Börse wird denken, daß denen Washington zu Füßen liegt!«

«Vergiß es, Cull«, unterbrach der Rotkopf besorgt.»Wir haben ein ganz anderes Problem, und ich weiß nicht, was es bedeutet.«

«Was denn?«

«Als wir damals in Saigon waren, hast du da jemals etwas von einer Schlangenlady gehört?«

«Ich hab verdammt viel über Schlangenaugen, den doppelten Einser beim Würfeln, gehört«, kicherte Parnell,»aber nichts über eine Schlangenlady. Wieso?«

«Der Bursche, mit dem ich gerade geredet habe — er ruft in fünf Minuten noch mal durch —, hörte sich an, als wollte er mir drohen. Ich meine wirklich drohen, Cull! Er erwähnte Saigon und deutete an, daß da was Schreckliches passiert sei, und wiederholte den Namen >Schlangenlady< mehrmals, als ob ich mich sofort in Deckung begeben müßte.«

«Überlaß diesen Hurensohn nur mir!«röhrte Parnell.»Ich weiß genau, wovon dieser Bastard spricht! Es ist die verdammte Schlampe von Assistentin — das ist die Schlangenlady! Ich werde dem Kerl schon die passenden Worte zu sagen wissen.«

«Was meint der bloß, Cull?«

«Aber, zum Teufel, du warst doch auch dabei, Rotkopf… Wir hatten doch so ein paar Spielchen in Gang gebracht, ein paar Mini-Casinos, und ein paar Clowns haben da ein paar Hemden verloren, aber schließlich gibt es nichts, was Soldaten nicht getan hätten, seit sie um die Kleider von Christus gewürfelt haben! Wir haben das Ganze dann auf eine etwas höhere Ebene verlagert und haben vielleicht auch noch ein paar Bräute da reingeschubst, die sowieso irgendwann auf den Strich gegangen wären. Nein, Rotkopf, diese scheißelegante sogenannte Assistentin meint, sie hätte was gegen mich in der Hand — und nun versucht sie es eben über dich, weil jeder weiß, daß wir Kumpels sind. Sag diesem Schleimer, er soll mich anrufen, und ich werde dieser Schlampe seine Eier in die Fotze hauen! Meine Wall-Street-Leute sind jedenfalls drin und ihre Homos draußen!«

«Okay, Cull, ich werd ihn einfach an dich weiterreichen«, sagte der Rotkopf, bekannt als Vizepräsident der Vereinigten Staaten.

Vier Minuten später klingelte das Telefon, und Parnell sprangen die Worte ins Gesicht:»Schlangenlady, Culver, wir sind alle dran!«

«Nun hör mal gut zu, du Idiot, und ich werde dir sagen, wer dran ist! Sie ist keine Lady, sie ist eine Hure! Einer ihrer dreißig oder vierzig Eunuchen-Gatten hat vielleicht in Saigon mal ein paar Schlangenaugen geworfen und etwas von dem Tuntenlohn verspielt, aber da hat sich weder damals noch heute wer drum gekümmert. Insbesondere ein gewisser Marineoberst, der ab und zu ein scharfes Spielchen schätzte und in diesem Augenblick im Oval Office sitzt. Und außerdem, du Arschloch, wenn er erfährt, daß sie weiterhin versucht, die tapferen Jungs zu verunglimpfen, die nur ein bißchen Entspannung suchten, als sie in einem undankbaren Krieg kämpften…«

Alexander Conklin in Vienna, Virginia, legte den Hörer auf. Fehlschuß Nummer eins und Fehlschuß Nummer zwei… Von Culver Parnell hatte er nie etwas gehört.

Der Vorsitzende der Bundeshandelskommission, Albert Armbruster, fluchte laut und stellte die Dusche ab, als er die schrille Stimme seiner Frau im dampfenden Badezimmer hörte.

«Was ist denn los, Mamie? Ich kann nicht mal duschen, ohne dein Gejammer zu hören!«

«Es ist vielleicht das Weiße Haus, Al! Du weißt, sie sprechen immer so leise und ruhig, und immer sagen sie, daß es dringend ist.«

«Scheiße!«schrie der Vorsitzende, öffnete die Glastür und lief nackt zum Telefon.»Hier Armbruster. Was ist los?«

«Es gibt da eine ernste Situation, die Ihre sofortige Aufmerksamkeit erfordert.«

«Betrifft es die sechzehnhundert?«

«Nein, und wir hoffen, daß es niemals so viele werden.«

«Wer, zum Teufel, sind Sie?«

«Jemand, der genauso betroffen ist, wie Sie es gleich sind. Nach all diesen Jahren — oh, Gott!«

«Betroffen wovon? Worüber reden Sie?«

«Die Schlangenlady, Herr Vorsitzender.«

«Oh, mein Gott!«Armbrusters flüsternde Stimme war ein plötzlicher unfreiwilliger Angstschrei. Schon hatte er sich wieder in der Gewalt, aber es war zu spät. Treffer Nummer eins.»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden… Was für eine Schlange? Niemals gehört!«

«Gut, dann hören Sie es jetzt, Mr. Medusa. Jemand hat alles rausgefunden, alles. Daten, Materialunterschlagungen, Banken in Genf und Zürich — sogar die Namen von einem halben Dutzend Kurieren, die von Saigon abgingen. Und schlimmer noch — von Agenten der Armee, die nie an Kämpfen teilgenommen haben, acht Untersuchungsleute vom Büro des Generalinspekteurs. Alles!«

«Das ist doch unsinnig! Sie reden Quatsch!«

«Und Sie stehen auf der Liste, Mr. Armbruster. Der Typ muß fünfzehn Jahre seines Lebens geopfert haben, um alles zusammenzusetzen, und jetzt will er Kohle für all die Arbeit, oder er bringt die Geschichte an die Öffentlichkeit — alles und jeden.«

«Wer? Wer ist es, in Gottes Namen?«

«Wir kreisen ihn ein. Alles, was wir wissen, ist, daß er zehn Jahre lang an Sicherungsprogrammen gearbeitet hat, und so wird natürlich niemand reich. Er muß aus Saigon abgeschoben worden sein und will jetzt die verlorene Zeit wettmachen. Halten Sie die Ohren steif. Wir hören voneinander. «Es gab ein Klicken, und die Leitung war tot.

Trotz der Hitze im Badezimmer zitterte der nackte Albert Armbruster, Vorsitzender der Bundeshandelskommission, während ihm der Schweiß vom Gesicht tropfte. Als er den Hörer auflegte, waren seine Augen flüchtig über die kleine häßliche Tätowierung auf seinem Unterarm geglitten. Drüben in Vienna, Virginia, betrachtete Alex Conklin das Telefon. Treffer Nummer eins.

General Norman Swayne, Chef der Versorgung im Pentagon, trat nach einem gelungen langen Drive zufrieden einen Schritt von der Abschlagstelle auf dem penibel gepflegten Golfrasen zurück.

«Das müßte es sein«, sagte er und drehte sich zu seinem Partner um.»Ganz sicher, Norm«, antwortete der noch jugendliche Vizepräsident von Calco Technologies.»Heute fährst du Schlitten mit mir. Ich werde bei dir mit dreihundert Miesen in der Kreide stehen. Zu zwanzig das Loch. Ich habe bis jetzt nur vier.«

«Du bist dran, junger Freund. Du solltest mehr üben.«

«Das ist wahr, Norm«, pflichtete ihm der Calco-Marketing-Chef bei, als er sich dem Abschlagplatz näherte. Plötzlich hörten sie das kreischende Gehupe eines Golfwagens, der mit voller Geschwindigkeit über dem Hügel vom sechzehnten Loch auftauchte.

«Dein Fahrer, General«, sagte der Waffenverkäufer und wünschte sogleich, daß er nicht den ehemaligen Titel seines Partners benutzt hätte.

«Stimmt. Komisch, ist gar nicht seine Art. «Swayne lief dem sich rasch nähernden Fahrzeug entgegen.»Was ist denn los?«fragte er den ordengeschmückten Hauptfeldwebel, der seit fünfzehn Jahren sein Fahrer war.

«Schätze, eine üble Sache«, antwortete der und hielt das Steuer fest in der Hand.

«Das ist sehr grob…«

«Das war der Scheißkerl am Telefon auch. Ich mußte das Gespräch an einem Münztelefon entgegennehmen. Ich sagte ihm, daß ich dein Spiel nicht unterbrechen könne, und er sagte, daß ich das verdammt noch mal tun würde, wenn ich wüßte, was gut für mich ist. Natürlich fragte ich ihn, wer er sei, welcher Rang und all den Quatsch, aber er hörte gar nicht zu. >Sag einfach dem General, ich rufe wegen Saigon an und wegen einiger Reptilien, die in der Stadt herumkriechen, in ziemlicher Nähe von dem, was vor zwanzig Jahren war.< Das genau waren seine Worte… «

«Jesus Maria!«schrie Swayne und unterbrach ihn.»Schlangen?«

«Er hat gesagt, er ruft in einer halben Stunde wieder an — also in achtzehn Minuten. Steig ein, Norman. Ich gehöre doch auch dazu, weißt du noch?«

Verwirrt und erschrocken murmelte der General.»Ich… ich muß mich noch kurz entschuldigen. Ich kann nicht so einfach hier weglaufen, fahr ein Stück weiter.«

«Mach schnell. He, Norman, du hast ein kurzärmeliges Hemd an, du verdammter Idiot!«

Swayne starrte mit aufgerissenen Augen auf die kleine Tätowierung auf seinem Fleisch und winkelte seinen Arm vor der Brust nach Art britischer Stabsoffiziere, als er unsicher und mit gekünstelter Lässigkeit zum Abschlagplatz zurückkehrte.

«Verdammt, junger Freund, die Armee ruft.«

«Schade, Norm, aber ich muß zahlen. Darauf bestehe ich, Norm.«

Der General, halb betäubt, nahm das Geld seines Partners, ohne es zu zählen, und merkte nicht, daß es ein paar hundert Dollar mehr waren. Er bedankte sich verwirrt, lief eilig zum Golfwagen zurück und setzte sich neben den Hauptfeldwebel.

«Gut eingefädelt, kleiner Soldat«, sagte der Waffenproduzent zu sich selbst, ging zum Abschlagplatz, schwang den Schläger und schickte den kleinen Ball gerade hinunter, weit an dem des Generals vorbei, in eine viel bessere Position.

«Vierhundert Millionen Dollar, du lamettabehängter Bastard.«

Treffer Nummer zwei.

«Wovon reden Sie um Himmels willen?«fragte der Senator und lachte dabei ins Telefon.»Oder sollte ich fragen, worauf will Al Armbruster hinaus? Er braucht meine Unterstützung für das neue Gesetz nicht, und er würde sie nicht bekommen, wenn er sie brauchte. Er war ein Esel in Saigon, und er ist immer noch einer, aber er hat die Mehrheit.«

«Wir sprechen nicht über Stimmen, Herr Senator. Wir sprechen über die Schlangenlady!«

«Die einzigen Schlangen, die ich in Saigon kannte, waren Schwachköpfe wie Alby, die in der Stadt rumkrochen und behaupteten, alle Antworten zu kennen, wo es keine gab. Wer sind Sie…?«

In Vienna, Virginia, legte Alex Conklin den Hörer auf. Fehlschuß Nummer drei.

Phillip Atkinson, Botschafter am Hof von St. James, griff in London in der Meinung zum Hörer, daß der ungenannte Anrufer unter dem Kode» Courier D. C. «eine besonders vertrauliche Anweisung vom Außenministerium für ihn habe, und schaltete automatisch, entsprechend seiner Weisungen, die selten benutzte Verwürfelungsvorrichtung ein. Das würde am Abfanggerät des britischen Geheimdienstes reichlich Verwirrung stiften, und später würde er seine guten Freunde in der Connaught Bar wohlwollend angrinsen, wenn sie ihn fragten, was es Neues aus Washington gebe, weil er wußte, daß der eine oder andere» Verwandte «im Geheimdienst hatte.

«Ja, Kurier-Abteilung?«

«Herr Botschafter, ich hoffe, wir können nicht abgehört werden«, sagte die leise, angespannte Stimme aus Washington.

«Das ist richtig, es sei denn, die hätten ein paar technische Fortschritte gemacht.«

«Gut… Ich möchte Sie an die Zeit in Saigon erinnern, an eine bestimmte Operation, über die kein Mensch mehr spricht.«

«Wer ist dort?«unterbrach Atkinson und kippte mit seinem Stuhl nach vorne.

«Die Leute damals benutzten niemals Namen, Herr Botschafter, und wir haben unsere Taten ja auch nicht gerade in die Welt hinausposaunt, oder?«

«Verdammt! Sie, wer sind Sie? Ich kenne Sie?«

«Unmöglich, Phil, obwohl ich überrascht bin, daß du meine Stimme nicht erkennst.«

Atkinsons Augen weiteten sich, als sie sprunghaft sein Büro absuchten, aber nichts sahen, nur versuchten, sich zu erinnern, verzweifelt versuchten, eine Stimme mit einem Gesicht zusammenzubringen.»Bist du es, Jack?«

«Nahe dran, Phil… «

«Die Sechste Flotte, Jack. Ein einfaches umgekehrtes Morsezeichen. Dann größere Sachen, viel größere. Du bist es doch, oder?«

«Sagen wir, es ist möglich, aber es ist auch irrelevant. Die Sache ist die, daß wir uns in schwerer See befinden, in sehr schwerer…«

«Du bist es!«

«Sei ruhig. Hör zu. Eine verdammte Fregatte hat sich aus ihrer Vertäuung gelöst, treibt irgendwo da draußen herum und stößt auf viel zu viele Klippen.«

«Jack, ich war beim Heer, nicht bei der Marine. Ich kann dich nicht verstehen.«

«Irgendein Jockey von der Handelsmarine ist wohl bei der Aktion in Saigon zu kurz gekommen, und nach dem, was ich herausgekriegt habe, wurde er wegen irgendwas ruhiggestellt, und jetzt hat er alles zusammengepuzzelt. Er hat alles, Phil. Alles.«

«Gütiger Gott!«

«Er ist bereit, alles öffentlich zu machen…«

«Stopp ihn!«

«Das ist das Problem. Wir sind nicht sicher, wer es ist. Die Sache wird genau untersucht, drüben in Langley.«

«Großer Gott, Mann, in deiner Position kannst du ihnen doch befehlen, sich da rauszuhalten! Sag, daß es eine DOD-Akte ist, eine tote Akte, die nie vollendet wurde, daß sie dazu dienen sollte, Fehlinformationen zu verbreiten! Daß alles daran falsch ist!«

«Das könnte ein Rohrkrepierer werden…«

«Hast du Jimmy T. drüben in Brüssel angerufen?«unterbrach der Botschafter.»Er hat einen direkten Draht zu Dingen mit höchster Geheimhaltung in Langley.«

«Im Augenblick will ich nicht, daß es weitere Kreise zieht. Ich muß erst etwas Missionsarbeit leisten.«

«Wie du meinst, Jack. Du machst das schon.«

«Halte deine Falleinen stramm, Phil.«

«Wenn das heißen soll, daß ich meinen Mund halten soll, brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen!«sagte Atkinson. Er beugte seinen Arm und fragte sich, wer wohl in London die häßliche Tätowierung von seinem Unterarm entfernen könnte.

Jenseits des Atlantik in Vienna, Virginia, legte Alex Conklin den Hörer auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, völlig erschüttert. Er war seinem Instinkt gefolgt, wie er es draußen zwanzig Jahre lang gemacht hatte. Worte führten zu weiteren Worten, Sätze zu Sätzen, aus der Luft gegriffene Anspielungen konnten Vermutungen, selbst Schlußfolgerungen untermauern. Es war ein Schachspiel mit blitzschnellen Einfallen, und er wußte, daß er ein fähiger Profi war — manchmal etwas zu fähig. Es gab Dinge, die besser in ihren schwarzen Kästen blieben, unentdeckte Krebsgeschwüre, die von der Geschichte verschüttet wurden, und was er gerade erfahren hatte, konnte dazugehören.

Treffer drei, vier und fünf.

Phillip Atkinson, Botschafter in Großbritannien. James Teagarten, Oberkommandierender der NATO. Jonathan» Jack «Burton, ehemaliger Admiral der Sechsten Hotte, gegenwärtig Chef des Vereinigten Generalstabs.

Schlangenlady. Medusa.

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