«Der eigentliche Jason Borowski war eine Null, ein paranoider Herumtreiber aus Tasmanien, der irgendwie als Teil einer Operation nach Vietnam kam, an die sich heute kein Mensch mehr erinnern möchte. Er gehörte zu einer Ansammlung von Killern, Taugenichtsen, Schmugglern und Dieben, die meisten entwichene Kriminelle, viele mit einem Todesurteil in der Tasche, aber sie kannten jeden Quadratzentimeter von Südostasien, und sie operierten hinter den feindlichen Linien — von uns bezahlt.«
«Medusa«, murmelte Steven DeSole.»Alles begraben. Sie waren Tiere, die willkürlich, ohne jeden Sinn und ohne Erlaubnis töteten und Millionenwerte haben mitgehen lassen. Wilde.«
«Die meisten, nicht alle«, sagte Conklin.»Aber der eigentliche Borowski paßte tatsächlich in jedes nur denkbare Schurkenklischee, er verriet sogar die eigenen Leute. Der Anführer einer besonders gefährlichen Aufgabe — was sage ich, zum Teufel, sie war selbstmörderisch — erwischte Borowski, wie er ihre Position per Funk an die Nordvietnamesen durchgab. Er hat ihn auf der Stelle erschossen und seinen Körper im Dschungel von Tarn Quan in einen Sumpf geworfen. Jason Borowski verschwand vom Antlitz der Erde.«
«Offenbar ist er wieder auferstanden, Mr. Conklin«, bemerkte der Direktor und lehnte sich über den Tisch.
«In einem anderen Körper«, gab Alex nickend zu.»Für eine andere Aufgabe. Der Mann, der Borowski in Tarn Quan hinrichtete, nahm seinen Namen an und war einverstanden, für eine Operation ausgebildet zu werden, die wir Treadstone Seventy-one nannten, nach einem Gebäude in New York in der 71. Straße, wo er ein brutales Indoktrinierungsprogramm durchmachte. Auf dem Papier war es eine brillante Strategie, die am Ende schiefging wegen etwas, was niemand voraussagen, nicht einmal in Betracht ziehen konnte. Nach beinahe drei Jahren, während derer er in der Rolle des zweitgrößten Mörders der Welt gelebt und nach Europa gegangen war, um — wie Steve schon ganz richtig gesagt hat — den Schakal auf seinem eigenen Territorium herauszufordern, wurde unser Mann verwundet und verlor sein Bewußtsein. Er wurde halbtot im Mittelmeer gefunden und von einem Fischer nach Port Noir gebracht. Er hatte keine Ahnung, wer er war oder was er war. Allerdings war er ein Meister in verschiedenen Kriegstechniken, sprach mehrere orientalische Sprachen, und er war offenbar ein sehr gebildeter Mensch. Mit Hilfe eines britischen Arztes, eines nach Port Noir strafversetzten Alkoholikers, begann unser Mann sein Leben, seine Identität zu rekonstruieren, aus psychischen und physischen Fragmenten. Es war eine Reise durch die Hölle und wir, die das Ganze in Szene gesetzt hatten, die den Mythos erfunden hatten, waren keine Hilfe für ihn. Wir wußten nicht, was passiert war. Wir dachten, er sei durchgedreht, er sei wirklich zu dem mythischen Mörder geworden, den wir geschaffen hatten, um Carlos in die Falle zu locken. Ich selbst habe versucht, ihn in Paris zu töten, und als er mir das Gehirn hätte wegblasen können, hat er es nicht getan, er konnte es nicht. Am Ende fand er den Weg zu uns zurück, durch die außerordentlichen Talente einer kanadischen Frau, die er in Zürich getroffen hatte und die heute mit ihm verheiratet ist. Diese Frau hat mehr Verstand als irgendeine Frau, der ich jemals begegnet bin. Und heute sind sie und ihr Mann und ihre beiden Kinder wieder in einen Alptraum geraten und rennen um ihr Leben. «Den aristokratischen Mund offen, die Pfeife vor seiner Brust, sagte der Direktor:»Sie sitzen hier und wollen uns erzählen, daß der Killer, den wir als Jason Borowski kennen, eine Erfindung war? Daß er nicht der war, für den wir ihn alle gehalten haben?«
«Er tötete, wenn er töten mußte — um zu überleben, aber er war kein Killer. Wir schufen diesen Mythos, um Carlos, den Schakal, aus der Reserve zu locken.«
«Gütiger Gott!«rief Casset aus.»Wie denn das?«
«Massive Desinformation im gesamten Fernen Osten. Wann immer ein wichtiger Mord geschah, ob in Tokio oder Hongkong, Macao oder Korea, egal, wo, Borowski wurde eingeflogen und nahm die Geschichte auf seine Kappe, hinterließ Spuren, verspottete die Behörden, bis er zur Legende wurde. Drei Jahre lang lebte unser Mann in einer Welt des Verbrechens — Drogen, Warlords, Schwerstverbrecher. Er wühlte sich mit einem einzigen Ziel da hinein: nach Europa zu kommen und Carlos zu ködern, sein Revier zu bedrohen, um den Schakal ins Freie zu locken, wenn auch nur für einen Augenblick, aber lange genug, um ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen.«
Um den Tisch herum herrschte spannungsvolles Schweigen. DeSole brach es, wobei seine Stimme nur ein Flüstern war:»Was für eine Art Mensch kann eine solche Aufgabe übernehmen?«
Conklin sah ihn an und antwortete monoton:»Ein Mann, der das Gefühl hatte, daß es nicht viel gab, wofür zu leben es sich lohnte, jemand, der eine Todessehnsucht hatte, vielleicht ein anständiger junger Mensch, der sich aus Haß und Frustration Medusa anschloß. «Der ehemalige CIA-Agent schwieg. Sein Schmerz war offensichtlich.»Komm schon, Alex«, sagte Valentine.»Du kannst uns jetzt nicht so dasitzen lassen.«
«Nein, natürlich nicht. «Conklin blinzelte mehrmals und holte sich in die Gegenwart zurück.»Ich dachte daran, wie schrecklich das alles jetzt für ihn sein muß — die Erinnerungen, das, an was er sich erinnern kann. Da könnte sich etwas wiederholen. Die Frau, die Kinder.«
«Was meinst du?«fragte Casset und beugte sich vor.
«Vor vielen Jahren, während des Vietnamkrieges, war unser Mann ein junger in Phnom Penh stationierter ausländischer Offizier, ein Student, verheiratet mit einer Thai-Frau, die er auf der Uni getroffen hatte. Sie hatten zwei Kinder und lebten am Ufer eines Flusses. Eines Morgens, als die Frau mit den Kindern beim Schwimmen war, überflog ein Jet aus Hanoi das Gebiet und tötete alle drei. Unser Mann drehte durch. Er ließ alles im Stich, kam nach Saigon und trat Medusa bei. Er wollte nichts anderes als töten. Er wurde Delta one — Namen gab es nicht —, und er wurde als einer der effektivsten Guerillaführer im Krieg angesehen, der genausooft mit dem Oberkommando in Saigon im Clinch lag wie mit dem Feind.«
«Aber er war offensichtlich auf unserer Seite«, warf Valentino ein.
«Er hat Saigon wohl nur benutzt. Er führte seinen eigenen Privatkrieg, immer möglichst weit hinter den feindlichen Linien, je näher an Hanoi, um so lieber war es ihm. Ich glaube, daß er im Innersten ständig Ausschau nach dem Piloten hielt, der seine Familie getötet hatte… Vor vielen Jahren gab es eine Frau und zwei Kinder, die vor seinen Augen getötet wurden. Jetzt gibt es eine andere Frau und zwei Kinder, und der Schakal kreist sie ein und kommt immer näher. Das muß ihn doch verrückt machen. Verdammt noch mal!«
Die vier Männer am anderen Ende des Tisches schauten sich kurz an und ließen Conklins plötzliche Gefühlsaufwallung vorübergehen. Dann sprach wieder der Direktor:»Wenn man die Zeitspanne bedenkt, dann liegt die Operation gegen Carlos gute zehn Jahre zurück, aber die Ereignisse von Hongkong sind viel jüngeren Datums. Gab es da eine Verbindung? Ohne uns Namen zu geben, was können Sie uns zu Hongkong sagen?«
Alex ergriff seinen Stock so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten, und antwortete:»Hongkong war sowohl die lausigste Operation, die jemals in dieser Stadt konzipiert worden ist, als auch zweifellos die außergewöhnlichste, von der ich je gehört habe. Zu meiner tiefen Beruhigung hatten wir hier in Langley zu Anfang nichts mit der Planung zu tun. Ich kam später dazu, und was ich vorfand, drehte mir den Magen um. Auch McAllister machte es krank, denn er war seit Beginn dabei. Und deshalb hat er sein Leben riskiert und ist beinahe als Leiche an der chinesischen Grenze zu Macao geendet. Sein intellektgesteuertes Moralbewußtsein konnte nicht zulassen, daß ein anständiger Mensch der Strategie geopfert wird.«
«Das ist eine teuflische Beschuldigung«, meinte Casset.»Was ist denn geschehen?«
«Unsere eigenen Leute sorgten dafür, daß Borowski s Frau gekidnappt wurde, jene Frau, die uns den Mann ohne Gedächtnis wiedergeschenkt hatte. Sie legten eine Spur, die ihn zwang, ihr nachzureisen — nach Hongkong.«
«Herr im Himmel, warum das?«rief Valentino.
«Die Strategie! Sie war perfekt, und sie war absolut scheußlich. Ich habe bereits gesagt, daß der >Killer< mit Namen Jason Borowski in Asien zu einer Legende geworden war. Er verschwand in Europa, blieb aber nach wie vor in Asien eine Legende. Dann plötzlich, aus dem Nichts, hat ein neuer unternehmungslustiger Killer, der von Macao aus operierte, die Legende wiederbelebt. Er nahm Jason Borowskis Namen an, und die bezahlten Morde gingen von vorne los. Kaum eine Woche verging, manchmal nur Tage, ohne daß ein neuer Fund gemacht wurde, mit denselben Indizien, dasselbe Verhöhnen der Polizei. Ein falscher Borowski war ins Geschäft eingestiegen, und er hatte jeden Trick des Originals genau studiert.«
«Wer also war besser geeignet, ihn zu überführen, als derjenige, der die Tricks erfunden hatte? Das Original, euer Original«, warf der Direktor ein.»Und welche Methode eignete sich besser, den echten Borowski dazu zu zwingen, als ihm seine Frau wegzunehmen. Aber warum? Warum war
Washington daran so interessiert? Es gab doch keine Verbindungen mehr zu uns?«
«Da war etwas viel Schlimmeres. Unter den Kunden des neuen Jason Borowski war ein Verrückter in Peking, ein Kuomintang-Verräter in der Regierung, der den Fernen Osten in ein Inferno verwandeln wollte. Er war entschlossen, die sino-britischen Verträge zunichte zu machen, die Kolonie einzunehmen und das ganze Gebiet ins Chaos zu stürzen.«
«Krieg«, sagte Casset ruhig.»Peking wäre in Hongkong einmarschiert. Da hätten wir alle Farbe bekennen müssen… Krieg.«
«Und das im nuklearen Zeitalter«, fügte der Direktor hinzu.»Wie weit war denn das alles gediehen, Mr. Conklin?«
«Ein Vize-Premier der Volksrepublik China war bei einem privaten Gemetzel in Kowloon getötet worden. Der Hochstapler hinterließ seine Visitenkarte: Jason Borowski.«
«Guter Gott, er mußte einfach ausgeschaltet werden!«empörte sich der DCI und griff nach seiner Pfeife.
«Wurde er auch«, sagte Alex und ließ seinen Stock los.»Aber von dem einzigen Menschen, der ihn wirklich erwischen konnte. Dem echten Jason Borowski. Das ist alles, was ich Ihnen jetzt sagen kann, außer nochmals zu wiederholen, daß dieser Mann wieder mit seiner Frau und seinen Kindern auf der Flucht ist und Carlos sich an seine Fersen geheftet hat. Der Schakal wird nicht eher Ruhe geben, bevor er nicht sicher ist, daß der einzige lebende Mensch, der ihn identifizieren kann, tot ist. Es müssen alle mobilisiert werden, die uns irgendwie verpflichtet sind, in Paris, London, Rom, Madrid — insbesondere Paris. Irgend jemand muß irgend etwas wissen. Wo ist Carlos jetzt? Wo sind seine Stützpunkte? Er hat Augen hier in Washington, und wer immer sie sind, sie haben Panov und mich gefunden!«Der ehemalige CIA-Agent starrte zum Fenster hinaus.»Versteht ihr nicht?«fügte er hinzu, als ob er zu sich selbst spräche.»Wir dürfen es nicht geschehen lassen. Oh, mein Gott, wir dürfen es nicht geschehen lassen!«
Wieder ließ man den emotionalen Anfall stillschweigend vorübergehen, und die Leute vom Geheimdienst tauschten Blicke aus. Es war, als ob zwischen ihnen ein Einverständnis ohne Worte erreicht worden wäre: Drei Augenpaare fielen auf Casset. Er nickte. Er akzeptierte seine Wahl als derjenige, der Conklin am nächsten stand. Er sprach.»Alex, ich stimme dir zu, daß alles auf Carlos deutet, aber bevor wir anfangen, unser Getriebe in Europa anzuwerfen, müssen wir sichergehen. Falschen Alarm können wir uns nicht leisten, weil wir dem Schakal damit zeigen würden, wie empfindlich wir sind, was ihn betrifft. Nach dem, was du uns gesagt hast, hat Carlos an eine seit langem ruhende Operation, bekannt unter dem Namen Treadstone Seventy-one, angeknüpft, möglicherweise nur deshalb, weil keiner unserer Agenten oder Unteragenten seit über zehn Jahren in seiner unmittelbaren Nähe gewesen ist.«
Conklin sah aufmerksam in Charles Cassets nachdenkliches Gesicht.»Du willst also sagen, daß für den Fall, daß ich unrecht habe und es nicht der Schakal ist, wir eine dreizehn Jahre alte Wunde aufreißen und ihm ein Opfer anbieten könnten, das er einfach töten müßte.«
«So in etwa.«
«Ich glaube, daß das alles gut durchdacht ist, Charlie… Ich halte mich rein an äußere Fakten, oder? Sie regen meine Instinkte an, aber es sind dennoch klare Fakten.«
«Ich würde mich eher auf diese Instinkte verlassen als auf irgendwelche umfangreichen Analysen… «
«Ich auch«, unterbrach Valentine.»Sie haben uns aus fünf oder sechs schwierigen Fällen gerettet, als alle Indikatoren darauf hindeuteten, daß du falsch lagst. Allerdings hat Charlie eine legitime Frage gestellt. Angenommen, es ist nicht Carlos? Dann schicken wir nicht nur eine falsche Botschaft nach Europa, sondern, was noch wichtiger ist, wir verschwenden kostbare Zeit.«
«Also laßt Europa draußen«, sagte Alex nachdenklich, wie zu sich selbst.»Wenigstens im Augenblick… Stellt den Bastarden hier nach. Zerrt sie heraus. Herauslocken und knacken. Ich bin das Ziel, also setzt sie auf mich an.«
«Das würde aber eine weit geringere Bewachung für Sie und Panov bedeuten, als ich es im Auge hatte, Mr. Conklin«, sagte der Direktor entschieden.
«Dann ändern Sie Ihre Vorstellungen, Sir. «Alex sah abwechselnd Casset und Valentine an und sagte plötzlich laut:»Wir können es schaffen, wenn ihr beide nur auf mich hört und mich machen laßt!«
«Wir befinden uns in einer Grauzone«, konstatierte Casset.
«Diese Angelegenheit mag zwar mit dem Ausland zu tun haben, aber wir befinden uns auf heimischem Boden. Das Büro müßte eingeschaltet werden…«
«Keinesfalls«, rief Conklin aus.»Niemand außerhalb dieses Raums wird eingeweiht!«
«Alex«, sagte Valentine kopfschüttelnd,»du bist im Ruhestand und kannst hier keine Befehle mehr erteilen.«
«Gut, in Ordnung!«schrie Conklin, sich unbeholfen erhebend und auf den Stock stützend.»Die nächste Station ist das Weiße Haus, ein gewisser Vorsitzender der NSA mit Namen McAllister!«
«Setzen Sie sich«, sagte der DCI bestimmt.
«Ich bin im Ruhestand! Sie können mir keine Befehle erteilen.«
«Ich würde nicht im Traum daran denken, ich bin nur um Ihr Leben besorgt. Wie ich das Szenario, das Sie vorschlagen, verstehe, basiert es auf der zweifelhaften Annahme, daß, wer auch immer in der vergangenen Nacht den Schuß abgegeben hat, Sie gar nicht treffen wollte, sondern Sie im entstehenden Chaos lebendig haben wollte.«
«Da gibt es eine Reihe von Sprüngen…«
«Die auf ein paar Dutzend Operationen basieren, an denen ich mitgewirkt habe, sowohl hier als auch bei der Navy und an Orten, deren Namen Sie nicht einmal aussprechen können, von denen Sie nichts, aber auch gar nichts wissen. «Die Ellbogen des Direktors waren auf die Stuhllehnen gestützt, und seine Stimme hatte plötzlich einen rauhen, befehlenden Ton angenommen.»Zu Ihrer Information, Conklin, ich bin nicht von ungefähr als lamettabehangener Admiral beim Geheimdienst der Kriegsmarine aufgetaucht. Ich war ein paar Jahre bei der SEAL und habe Aktionen von U-Booten aus in Kaesong und später in Haiphong geleitet. Ich kannte einige dieser Medusa-Vögel, und da ist nicht einer, dem ich nicht gerne eine Kugel in den Kopf jagen würde! Jetzt erzählen Sie mir, daß es da einen gegeben hat, der sich in Ihren Jason Borowski verwandelte, und Sie möchten Ihren Kopf dafür geben, daß er am Leben bleibt und nicht ins Visier der Knarre des Schakals kommt. Kommen wir also zur Sache, Alex. Wollen Sie mit mir arbeiten oder nicht?«
Conklin sank langsam wieder auf seinen Stuhl, und um seinen Mund erschien ein Lächeln.»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich keine Probleme mit Ihrer Ernennung hatte, Sir. Es war nur eine Intuition, aber jetzt weiß ich, warum. Sie waren im Außendienst. Ich werde mit Ihnen zusammenarbeiten.«
«Sehr gut«, sagte der Direktor.»Wir werden einen genauen Überwachungsplan entwickeln und zu Gott beten, daß Ihre Theorie, daß er Sie lebendig haben will, stimmt. Denn es gibt keine Möglichkeit, jedes Fenster oder jedes Dach im Auge zu behalten. Damit Sie sich über das Risiko im klaren sind.«
«Das bin ich. Und da zwei Köder in einem Bassin mit Piranhas besser sind als einer, möchte ich mit Mo Panov sprechen.«
«Du kannst ihn nicht bitten, bei dieser Sache mitzumachen«, warf Casset ein.»Er gehört nicht zu uns, Alex. Weshalb sollte er?«
«Weil er einer von uns ist und ich ihn besser fragen sollte. Wenn ich es nicht tue, gibt er mir eine Spritze gegen Schnupfen, gefüllt mit Strychnin. Versteh doch. Er war auch in Hongkong, aus Gründen, die von den meinen nicht so sehr verschieden waren. Vor Jahren hab ich versucht, meinen besten Freund in Paris zu töten, weil ich einen fürchterlichen Fehler gemacht hatte und glaubte, er sei umgedreht worden, dabei hatte er sein Gedächtnis verloren. Nur wenige Tage später wurde Morris Panov, einer der führenden Psychiater des Landes, ein Arzt, der das übliche Psychogequatsche heutzutage nicht ausstehen kann, mit einem >hypothetischen< psychiatrischen Fall konfrontiert, der sofortiges Handeln verlangte. Der Fall war ein schurkischer Superagent, eine Zeitbombe auf zwei Beinen mit tausend Geheimnissen im Kopf, der umgedreht worden war… Auf Basis von Mos spontaner Einschätzung dieses hypothetischen Falles — von dem er wenige Stunden später den Verdacht hatte, daß er sowenig hypothetisch war wie Maggibrühe — wurde ein unschuldiger Mensch ohne Gedächtnis beinahe bei einem offiziellen Hinterhalt in der 71. Straße in New York ausgelöscht. Als dann das, was von dem Mann übrig war, überlebte, verlangte Panov, zu seinem einzigen Arzt gemacht zu werden. Er hat sich seine erste falsche Analyse Borowskis niemals verziehen. Wenn jemand von Ihnen er wäre, was würden Sie tun, wenn ich Ihnen nicht erzählen würde, worüber wir gerade gesprochen haben?«
«Dir sagen, es sei Schnupfen, und Strychnin in die Spritze geben, alter Junge«, schloß DeSole.
«Wo ist Panov jetzt?«fragte Casset.
«Im Brookshire-Hotel in Baltimore unter dem Namen Morris, Phillip Morris. Er hat sämtliche Verabredungen für heute abgesagt, er hat Schnupfen.«
«Dann laßt uns an die Arbeit gehen«, sagte der DCI und zog einen Block mit offiziellem Papier zu sich heran.»Es ist ja so, Alex, daß ein kompetenter CIA-Agent nichts von Rangabzeichen hält und niemandem traut, der ihn nicht unbefangen beim Vornamen nennen kann. Wie du sicher weißt, heiße ich Holland, und mein Vorname ist Peter. Von jetzt an sind wir Alex und Peter, verstanden?«
«Verstanden… Peter. Du mußt ein Teufelskerl bei der SEAL gewesen sein.«
«Insofern ich überhaupt hier bin — geographisch, nicht auf diesem Stuhl —, kann man davon ausgehen, daß ich kompetent war.«
«Außendienst«, murmelte Conklin beifällig.
«Und da wir damit den diplomatischen Quatsch hinter uns haben, der von einem Mann in diesem Job erwartet wird, kannst du annehmen, daß ich wirklich ein Teufelskerl war. Ich will hier harten Input haben, keinen emotionalen Output. Ist das klar?«
«Ich arbeite niemals anders, Peter. Eine Aufgabe kann auf Emotionen basieren, und das ist auch nicht verkehrt, aber die Ausführung einer Strategie muß eiskalt sein. Ich war niemals bei der SEAL, du verdammter Hurensohn, aber auch ich bin hier, mit allen Körperteilen, und das setzt voraus, daß ich ebenfalls kompetent bin.«
Holland grinste. Es war ein jugendliches Lächeln, das von seinen grauen Haaren Lügen gestraft wurde, das Grinsen eines Profis, der, für einen Augenblick seiner Pflichten ledig, in die Welt zurückkehrte, die er am besten kannte.»Wir könnten miteinander klarkommen«, sagte der DC1. Und dann, als ob er das Gehabe eines Direktors völlig abstreifen wollte, legte er die Pfeife auf den Tisch und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, steckte sich eine in den Mund und griff nach dem Feuerzeug, als er auf dem offiziellen Papierblock zu schreiben begann.»Zum Teufel mit dem Büro«, fuhr er fort.»Wir werden nur unsere Leute einsetzen, und wir werden jeden einzelnen im Schnellverfahren unter die Lupe nehmen.«
Charles Casset, der hagere, gescheite Anwärter auf den Direktorsposten, lehnte sich auf den Stuhl zurück und seufzte.»Warum habe ich nur das Gefühl, daß ich für die beiden Herren den Hirten spielen muß?«
«Weil du durch und durch Analytiker bist, Charlie«, antwortete Holland.
Das Ziel einer kontrollierten Überwachung ist es, Leute zu exponieren, die andere beschatten, um ihre Identität festzustellen oder sie in Gewahrsam zu nehmen, je nach Strategie. Die Absicht im gegenwärtigen Fall war es, die Agenten des Schakals in die Falle zu locken, die Conklin und Panov in den Vergnügungspark von Baltimore gelockt hatten. Die Männer vom Geheimdienst arbeiteten die ganze Nacht und fast den ganzen folgenden Tag, um eine Gruppe von acht erfahrenen CIA-Agenten zusammenzustellen. Sie sprachen genau die Routen durch, immer wieder, die Conklin und Panov jeder für sich und auch gemeinsam in den nächsten vierundzwanzig Stunden zurücklegen sollten — wobei diese Routen von bewaffneten Profis kontrolliert werden würden —, und am Ende legten sie ein unausweichliches Rendezvous fest, einmalig nach Art des Zeitpunktes und der Lokalität. Die frühen Morgenstunden im Smithsonian Institute. Bei der Dionaea muscipula, der Venusfliegenfalle. Conklin stand in der schmalen, schwach erleuchteten Lobby seines Appartementhauses und schaute auf die Uhr. Er mußte scharf hinsehen, um die Zeiger erkennen zu können. Es war genau 2.35 Uhr am Morgen, er öffnete die schwere Tür und hinkte hinaus auf die dunkle Straße, auf der es nicht die geringsten Lebenszeichen gab. Ihrem Plan entsprechend, wandte er sich nach links und hielt das verabredete Tempo ein. Er sollte so genau wie möglich um 2.38 Uhr an der Ecke eintreffen.
Plötzlich war er alarmiert; in einem schattigen Torweg zu seiner Rechten war die Figur eines Mannes zu sehen. Unwillkürlich langte Alex unter seine Jacke nach seiner Beretta Automatic. Für diesen Straßenabschnitt war niemand in einem Torweg vorgesehen. Dann, so plötzlich wie er in Aufregung versetzt worden war, entspannte er sich, wobei er sich gleichermaßen schuldig und erleichtert vorkam bei dem, was er sah. Die Figur im Schatten war ein Bettler, ein alter Mann in abgerissenen Kleidern, einer der Obdachlosen in einem Land mit solchem Überfluß. Alex lief weiter, kam an die Ecke und hörte das leise, einmalige Fingerschnalzen. Er überquerte die Straße und ging auf dem Pflaster weiter, an einem Gassendurchgang vorbei. Die Gasse. Noch eine Figur… noch ein alter Mann in schäbigen Klamotten, der langsam die Straße betrat und wieder in der Gasse verschwand. Ein weiteres Wrack, das seinen Betonkeller verteidigte. Zu jeder anderen Zeit wäre Conklin zu dem Unglücklichen hingegangen und hätte ihm ein paar Dollar gegeben, aber nicht jetzt. Er hatte einen weiten Weg zu gehen, und er mußte seinen Zeitplan einhalten.
Morris Panov näherte sich der Kreuzung und war immer noch beunruhigt durch das merkwürdige Telefongespräch, das er zehn Minuten zuvor geführt hatte. Gleichzeitig versuchte er, sich jeden zu befolgenden Abschnitt des Plans ins Gedächtnis zu rufen, wobei er Angst hatte, auf die Uhr zu sehen, um zu überprüfen, ob er im Zeitplan lag. Ihm war gesagt worden, auf der Straße nicht auf die Uhr zu schauen. Warum konnten sie nicht sagen,»annähernd um die und die Zeit«, statt den etwas entnervenden Begriff» Zeitspanne «zu benutzen? Als ob eine militärische Invasion Washingtons unmittelbar bevorstünde. Egal, er ging weiter, überquerte die Straßen, die ihm genannt worden waren, und hoffte, daß ihn irgendein unsichtbares Uhrwerk ungefähr im Takt mit den verdammten» Zeitspannen «halten würde, die festgelegt worden waren, während er zwischen zwei Pflöcken auf irgendeinem Rasen hinter einem Gartenhaus in Vienna, Virginia, hin- und herspazierte… Er würde alles für David Webb tun — wahrlich alles —, aber das hier war idiotisch… Natürlich war es das nicht. Sie würden ihn nicht bitten zu tun, was er tat, wenn es das wäre.
Was war das? Ein Gesicht im Schatten spähte nach ihm, genau wie die anderen zwei! Der eine krümmte sich über einen Bordstein und hob seine weingetränkten Augen zu ihm hoch. Alte Männer, wettergegerbt, sehr alte Männer, die sich kaum bewegen konnten und die ihn anstarrten. Er ließ seine Gedanken abschweifen — die Städte waren voll von diesen Obdachlosen, völlig harmlosen Leuten, deren Psyche sie auf die Straßen trieb oder die Armut. Wie sehr er es auch wollte, so konnte er nichts anderes tun, als auf dem Amtsweg das taube Washington mit Eingaben zu nerven… Da war noch einer! In einer Lücke zwischen zwei Geschäften mit einem Eisengitter davor beobachtete er ihn. Hör auf! Du bist irrational. War er es wirklich? Natürlich war er es. Geh weiter, halt deinen Zeitplan ein, das ist es, was von dir erwartet wird… Gütiger Gott! Da ist noch einer. Über die Straße… weitergehen!
Das weite, vom Mondschein erhellte Gelände des Smithsonian Institutes ließ die beiden Figuren winzig erscheinen, die aus verschiedenen Richtungen aufeinander zusteuerten, und miteinander weiter zu einer Bank gingen. Conklin setzte sich mit Hilfe seines Stocks, während Mo Panov sich nervös umschaute, horchte, als ob er das Unerwartete erwartete. Es war 3.28 Uhr im Morgengrauen. Die einzigen Geräusche waren das gedämpfte Zirpen der Grillen und die milde Sommerbrise in den Bäumen. Wachsam setzte sich Panov nieder.
«Ist auf dem Weg hierher etwas passiert?«fragte Conklin.
«Ich bin mir nicht sicher«, antwortete der Psychiater.»Ich fühle mich genauso verloren wie in Hongkong, außer, daß wir dort wußten, wohin wir gingen und wen wir treffen würden. Ihr seid wirklich verrückt.«
«Du widersprichst dir selbst, Mo«, sagte Alex lächelnd.»Du hast mir gesagt, ich sei geheilt.«
«Ach, das! Das war nur eine obsessive manische Depression, die an eine Dementia praecox grenzte. Dies hier ist Irrsinn! Es ist beinahe vier Uhr morgens. Vernünftige Leute treiben um vier Uhr früh keine Spielchen.«
Alex beobachtete Panov im schwachen Licht einer Außenbeleuchtung vom Smithsonian-Gebäude, die die massiven Steinmauern erhellte.»Du sagtest, daß du nicht sicher wärest. Was heißt das?«
«Beinahe fürchte ich, es auszusprechen… ich habe zu vielen Patienten erzählt, daß sie unangenehme Bilder erfinden, um ihre Panik zu rationalisieren, ihre Ängste zu rechtfertigen.«
«Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?«
«Es ist eine Form der Übertragung…«
«Komm schon, Mo!«unterbrach Conklin.»Was hat dich beunruhigt? Was hast du gesehen?«
«Figuren, vornübergebeugt, langsamen Schrittes, mühsam — nicht wie du, Alex, nicht behindert durch Verletzungen, sondern durch ihr Alter. Ausgemergelt und alt, in dunklen Straßenecken und Nebeneingängen. Vier oder fünf auf dem Weg hierher. Zweimal hätte ich beinahe nach deinen Leuten geschrien, und dann dachte ich mir, mein Gott, Doktor, du hast eine Überreaktion und hältst ein paar erbarmungswürdige Obdachlose für etwas, was sie nicht sind, siehst Dinge, die es gar nicht gibt.«
«Weiter!«flüsterte Conklin eindringlich.»Du hast genau gesehen, was tatsächlich da war, Mo. Weil ich dasselbe gesehen habe, dieselbe Art von Leuten, die du gesehen hast, und sie waren erbarmungswürdig, die meisten in heruntergekommenen Kleidern, und sie bewegten sich langsamer als ich… Was bedeutet das alles?«
Schritte. Langsam, zögernd. Im Schatten eines verlassenen Weges sah man zwei kleine Männer — alte Männer. Auf den ersten Blick schienen sie wirklich Teil der zunehmenden Armee von Obdachlosen zu sein, aber etwas stimmte nicht mit ihnen, vielleicht eine bestimmte Absicht, die sie im Schilde führten. Keine zehn Meter von der Bank entfernt blieben sie stehen, ihre Gesichter im Dunklen. Der auf der linken Seite sagte mit dünner Stimme und fremdem Akzent:»Eine ungewöhnliche Zeit und ein ungewöhnlicher Platz für zwei so gutgekleidete Männer. Ist es rechtens, einen Ruheplatz zu besetzen, der für andere, nicht so begünstigte Menschen dasein sollte?«
«Es gibt noch genügend freie Bänke«, sagte Alex freundlich.»Ist diese hier etwa reserviert?«
«Das sind sie nie«, antwortete der andere alte Mann in klarem Englisch, das aber eindeutig nicht seine Muttersprache war.»Was machen Sie hier?«
«Was geht Sie das an?«fragte Conklin.
«Zu dieser Stunde und an diesem Ort?«sagte der erste Eindringling und sah sich um.
«Ich wiederhole«, sagte Alex.»Das geht Sie nichts an, und ich denke wirklich, Sie sollten uns allein lassen.«
«Geschäft ist Geschäft«, fing der zweite alte Mann wieder an.
«Wovon, zum Teufel, redet er?«flüsterte Panov verwirrt Conklin zu.
«Keine Ahnung«, sagte Alex,»sei ruhig. «Der ehemalige CIA-Agent wandte sich den beiden alten Männern zu.
«Okay, Jungs, warum wollt ihr nicht weitergehen?«»Geschäft ist Geschäft«, sagte der zweite, zittrige Alte erneut, wobei er zu seinem Kollegen hinüberblinzelte.»Was für Geschäfte könntet ihr mit uns…?«»Sind Sie da so sicher?«unterbrach der erste alte Mann.
«Nehmen Sie mal an, ich würde Ihnen sagen, daß ich Ihnen eine Botschaft aus Macao bringe?«»Was?«rief Panov.»Sei ruhig!«flüsterte Conklin und fragte dann lässig:
«Was hat Macao zu bedeuten?«
«Ein großer Taipan möchte Sie gerne treffen. Der größte Taipan in Hongkong.«
«Warum?«
«Er wird Ihnen viel Geld bezahlen. Für Ihre Dienste.«
«Ich sage es noch mal. Warum?«
«Wir sollen Ihnen sagen, daß ein Killer zurückgekommen ist. Er möchte, daß Sie ihn finden.«
«Die Geschichte hab ich doch schon mal gehört. Die zieht nicht.«
«Das ist eine Angelegenheit zwischen dem großen Taipan und Ihnen. Nichts für uns. Er wartet auf Sie.«
«Wo ist er?«
«In einem Hotel, Sir.«
«In welchem?«
«Wir sollen Ihnen sagen, daß es eine sehr große Lobby hat, wo ständig viele Leute sind, und der Name des Hotels hat mit der Vergangenheit dieses Landes zu tun.«
«Dann kann es nur das Mayflower sein. «Conklin sprach in Richtung des Mikrofons, das in Kragennähe in ein Knopfloch genäht war.
«Wie Sie wollen.«
«Nach wem sollen wir fragen?«
«Nach niemandem, Sir. Sein Sekretär wird Sie ansprechen.«
«Hat derselbe Sekretär sich auch an Sie gewandt?«
«Sir?«
«Wer hat Sie angeheuert, uns zu folgen?«
«Darüber dürfen wir nicht sprechen.«
«Das reicht!«schrie Alexander Conklin hinter sich ins Dunkel, und unvermittelt erleuchteten Flutlichter das Smithsonian-Gelände und den verlassenen Pfad mit den beiden Alten, die jetzt klar als Orientalen zu erkennen waren. Neun Geheimdienstmänner rannten aus verschiedenen Richtungen in den Lichtkegel, die Waffen noch unter den Jacken, da sie offensichtlich nicht gebraucht wurden.
Und dann war es zu spät. Zwei großkalibrige Gewehrschüsse explodierten und zerrissen die Kehlen der beiden Orientalen. Die CIA-Leute warfen sich zu Boden und rollten in Deckung. Conklin hatte Panov zum Schutz unter die Bank gezerrt.
Doch schon kamen die Leute aus Langley taumelnd wieder auf die Füße, schwärmten aus und näherten sich im Zickzack der Quelle des Gewehrfeuers. Nach wenigen Minuten wurde die Stille von einem Schrei durchbrochen.
«Gottverdammt!«schrie Holland und richtete den Schein seiner Taschenlampe zwischen die Bäume.»Sie sind entwischt!«
«Wie kannst du das sagen?«
«Das Gras, Junge, die Fußabdrücke. Diese Hunde waren eiskalte Profis — haben sich hier eingenistet, jeder ein Schuß und weg! Sieh dir die Spuren an. Diese Füße sind gerannt. Vergiß es! Hat keinen Zweck jetzt. Sollten sie hier noch irgendwo sein, hätten sie uns längst ins Smithsonian Institute geblasen.«
«Ein Mann mit praktischer Erfahrung«, sagte Alex und richtete sich mit seinem Stock auf, der erschrockene und verwirrte Panov neben ihm. Dann lief der Arzt zu den beiden Orientalen.
«Sie sind tot«, rief er, kniete neben den beiden Leichen, den Blick auf ihre auseinandergerissenen Kehlen geheftet.
«Himmel! Wie im Vergnügungspark! Genauso!«
«Eine Botschaft«, stimmte Conklin zu und nickte.»Streu Steinsalz auf die Spuren«, fügte er rätselhaft hinzu.
«Was meinst du?«fragte der Psychiater und sah Alex an.»Wir waren nicht sorgfältig genug.«
«Alex!«röhrte der grauhaarige Holland und kam zur Bank gelaufen.»Hiermit fällt das Hotel flach«, sagte er außer Atem.»Da kannst du jetzt nicht hin. Das würde ich nicht zulassen.«
«Das vermasselt uns noch mehr als nur das Hotel. Das ist nicht der Schakal! Es ist Hongkong! Die äußeren Fakten stimmen, aber mein Instinkt hat sich geirrt!«
«Was jetzt?«fragte Holland.
«Ich weiß nicht«, antwortete Conklin. Seine Stimme klang kläglich.»Ich hab falsch gelegen… Kontaktiert unseren Mann, na klar, so schnell wie möglich!«
«Ich habe mit David gesprochen — vor etwa einer Stunde«, fügte Panov schnell hinzu.
«Du hast mit ihm gesprochen?«schrie Alex.»Es ist spät, und du warst zu Hause. Wie denn?«
«Du weißt, ich habe einen Anrufbeantworter«, sagte der Doktor.»Wenn ich jeden verrückten Anruf noch nach Mitternacht selbst beantworten würde, käme ich am Morgen niemals ins Büro. Weil ich heute schon früh fertig war, um dich zu treffen, ließ ich es klingeln. Alles, was er sagte, war: >Ruf mich an.< Und ehe ich mich einschalten konnte, hatte er schon aufgehängt. Also rief ich zurück.«
«Du hast ihn zurückgerufen? Von deinem Telefon aus?«
«Nun… ja«, antwortete Panov zögernd.»Er war in Eile, sehr zurückhaltend, er wollte uns nur mitteilen, daß >M< — er nannte sie >M< — und die Kinder mit der ersten Kiste am frühen Morgen verschwinden. Das war's. Er legte gleich auf.«
«Und sie haben seinen Namen und seine Adresse«, sagte Holland.»Wahrscheinlich auch die Botschaft.«
«Den Ort, okay, die Botschaft, vielleicht«, unterbrach Conklin. Er sprach ruhig, aber schnell.»Aber nicht die genaue Adresse, nicht den Namen.«
«Bis morgen haben sie ihn…«
«Bis morgen wird er auf dem Weg nach Feuerland sein, wenn es sein muß.«
«Mein Gott, was habe ich getan?«rief der Psychiater aus.
«Nichts, was nicht jeder andere an deiner Stelle auch getan hätte«, antwortete Alex.»Du bekommst um zwei Uhr früh eine Botschaft von jemandem, den du schätzt und der in Not ist, und du rufst zurück, ohne Zeit zu verlieren. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich an ihn ran. Es ist nicht Carlos, sondern jemand mit verdammt viel Feuerkraft, der dicht auf seinen Fersen ist, und auch dort entkommt, wo es unmöglich scheint.«
«Nimm das Telefon in meinem Wagen«, sagte Holland. Da hört keiner mit.«
«Gehen wir!«Conklin humpelte, so schnell es ging, über den Rasen zu Hollands Wagen.
«David, hier ist Alex.«
«Dein Timing ist geradezu furchteinflößend, alter Freund. Wir sind im Moment auf dem Weg zur Tür. Wenn Jamie nicht noch auf den Topf gemußt hätte, säßen wir jetzt schon im Auto.«
«Zu dieser Stunde?«
«Hat Mo dir nichts gesagt? Du gingst nicht ran, also habe ich ihn angerufen.«
«Mo ist etwas durcheinander. Was ist los?«
«Ist das Telefon sicher? Ich wußte nicht, ob seines sicher war.«
«Ganz sicher.«
«Ich schicke Marie und die Kinder Richtung Süden weit nach Süden. Sie macht mir zwar die Hölle heiß, aber ich habe am
Flughafen Logan einen Rockwell-Jet gechartert. Ging alles glatt, dank deiner Vorsorge vor vier Jahren. Die Computer brummten, und alle waren kooperativ. Sie heben um sechs Uhr ab, bevor es hell wird — ich möchte sie hier weg haben.«
«Und du, David? Was ist mit dir?«
«Offen gesagt, ich denke, ich komme zu euch nach Washington. Wenn der Schakal all die Jahre hinter mir her ist, dann will ich jetzt auch dabeisein. Ich helfe euch… Ich komme abends an.«
«Nein, David. Gehe mit Marie und den Kindern. Verlaß das Land. Bleibe bei deiner Familie und Johnny St. Jacques auf der Insel.«
«Das kann ich nicht, Alex, und wenn du ich wärst, könntest du es auch nicht. Meine Familie wird nicht frei sein — wirklich frei —, bevor nicht Carlos aus unserem Leben verschwindet.«
«Es ist nicht Carlos«, sagte Conklin.
«Was? Gestern hast du mir gesagt…«
«Vergiß, was ich sagte. Es war falsch. Es ist Hongkong, Macao.«
«Aber das gibt doch keinen Sinn, Alex! Hongkong ist erledigt, Macao ist erledigt. Sie sind tot und vergessen. Niemand ist mehr am Leben, der einen Grund hätte, hinter mir her zu sein.«
«Es gibt jemanden. Einen großen Taipan, >den größten Taipan in Hongkong< laut der neuesten Quelle, die jetzt aber auch nichts mehr hergibt.«
«Das ist doch vorbei. Das ganze Kuomintang-Kartenhaus ist zusammengefallen. Da ist niemand übrig!«
«Ich wiederhole, da ist jemand. Irgendwo.«
David Webb schwieg, dann sagte Jason Borowski mit kalter Stimme:»Sag mir, was du weißt, jedes Detail. Heute nacht ist etwas passiert. Was war es?«
«Na gut. «Der CIA-Agent im Ruhestand beschrieb die vom Geheimdienst ausgearbeitete, kontrollierte Überwachung. Er erklärte, wie er und Morris Panov die alten Männer entdeckt hatten, die ihnen gefolgt waren, als sie auf getrennten Wegen zum Smithsonian Institute gingen. Schließlich beschrieb Conklin die krachenden Gewehrschüsse, die die beiden Orientalen zum Schweigen gebracht hatten.»Es kommt aus Hongkong, David. Die Anspielung auf Macao bestätigt es. Es war die Basis von deinem Betrüger.«
Wieder herrschte Stille in der Leitung, bis auf den gleichmäßigen Atem von Borowski.»Du hast unrecht, Alex«, sagte er schließlich mit nachdenklicher Stimme.»Es ist der Schakal — über Hongkong und Macao zwar, aber dennoch der Schakal.«
«David, jetzt redest du Unsinn. Carlos hat nichts mit irgendwelchen Taipans zu tun oder mit Hongkong oder Botschaften aus Macao. Die beiden Alten waren Chinesen, keine Franzosen oder Italiener oder Deutsche oder was immer. Das kommt aus Asien, nicht Europa.«
«Die Alten waren die einzigen, denen er traute«, fuhr David Webb fort, seine Stimme immer noch leise und kalt, die Stimme von Jason Borowski.»>Die alten Männer von Parisc, so wurden sie genannt. Sie waren sein Netzwerk, seine Kuriere in ganz Europa. Wer verdächtigt hinfällige Alte, Bettler, die sich gerade noch fortbewegen können? Wer würde daran denken, sie zu verhören, oder gar, sie in die Zange zu nehmen? Und selbst dann hätten sie nichts gesagt. Sie konnten sich unbehelligt bewegen. Für Carlos.«
Einen Augenblick lang starrte der erschrockene Conklin auf das Armaturenbrett und wußte nicht, was er sagen sollte.»David, ich verstehe dich nicht. Ich weiß, daß du aufgeregt bist — wir alle sind aufgeregt —, aber drücke dich deutlicher aus.«
«Was?… Tut mir leid, Alex, ich dachte an Vergangenes. Einfach ausgedrückt, Carlos hat damals Paris durchforstet und nach alten Männern gesucht, die entweder todkrank waren oder wußten, daß sie auf Grund ihres Alters nicht mehr lange zu leben hatten. Vorbestrafte, die fertig waren mit ihrem Leben und die von ihren Verbrechen nichts übrigbehalten hatten. Die meisten von uns vergessen, daß auch solche Männer irgendwo Menschen haben, die sie lieben, und Kinder, legitime oder nicht, für die sie sorgen. Der Schakal findet diese Alten und schwört ihnen, daß er für ihre Schützlinge sorgen wird, wenn sie für ihn einen letzten Job übernehmen. Mit keiner anderen Hinterlassenschaft als Argwohn und Armut ist es nur zu verständlich, daß sie sich darauf einlassen.«
«Sie glauben ihm?«
«Sie haben gute Gründe dafür. Überall in Europa werden monatlich zahllose Bankschecks von Schweizer Konten an solche Erben ausbezahlt. Es ist unmöglich, diese Zahlungen zu verfolgen, aber die Leute, die sie erhalten, wissen, wer sie möglich macht und warum… Vergiß deine vergrabene Akte, Alex. Carlos hat in Hongkong gegraben, und dort hat er dich und Mo gefunden.«
«Dann werden wir eben auch ein bißchen graben müssen. Wir werden die gesamte orientalische Gemeinde infiltrieren, jeden chinesischen Buchmacherladen, jedes Restaurant im Umkreis von hundert Kilometern rund um die Hauptstadt.«
«Unternehmt nichts, bevor ich nicht da bin. Der Schakal weiß nicht, woran ich mich nicht erinnern kann, und doch nimmt er einfach an, daß ich die alten Männer von Paris vergessen hätte.«
«Vielleicht nicht, David. Vielleicht rechnet er ja damit, daß du dich daran erinnerst. Vielleicht ist diese ganze Scharade das Vorspiel für die eigentliche Falle, die er dir stellen will.«
«Dann würde er noch einen Fehler machen.«
«Wie?«
«Weil ich besser bin. Jason Borowski ist einfach besser.«