«Marie, ich liebe dich!«sagte David Webb, an den Telefonautomaten in der Wartehalle des privaten Flughafens von Reston in Virginia gelehnt.»Das Warten war das Schlimmste, das Warten auf ein Gespräch mit dir. Von dir zu hören, daß es euch allen gutgeht, daß nichts passiert ist.«
«Wie glaubst du, habe ich mich gefühlt? Alex sagte, die Telefonleitungen wären durchschnitten gewesen. Ich hätte am liebsten die ganze verdammte Armee geschickt.«
«Wir können nicht einmal die Polizei zulassen. Nichts Offizielles im Augenblick. Conklin hat mir zumindest weitere sechsunddreißig Stunden versprochen… Vielleicht brauchen wir die jetzt aber gar nicht mehr. Nicht, wenn der Schakal in Montserrat ist.«
«David, was ist geschehen? Alex hat Medusa erwähnt…«
«Es ist ein Mist, und er hat recht, er muß damit höher hinaufgehen. Er, nicht wir. Wir halten uns raus. Weit weg.«
«Was ist denn passiert?«wiederholte Marie.»Was hat denn die alte Medusa mit dem hier zu tun?«
«Es gibt eine neue Medusa, eine Erweiterung der alten — und sie ist groß und scheußlich, und mordet und mordet. Ich habe es heute nacht gesehen; einer ihrer Schützen hat versucht, mich umzulegen, nachdem er glaubte, Kaktus getötet zu haben, und nachdem er zwei Unschuldige gekillt hatte.«
«Gütiger Gott! Alex hat mir das über Kaktus gesagt, als er zurückgerufen hat, aber mehr nicht. Wie geht es ihm?«
«Onkel Remus wird es überstehen. Der Doktor von der CIA kam heraus und nahm ihn und den letzten Bruder mit.«
«Bruder?«
«Erklär ich dir, wenn ich dich sehe… Conklin ist jetzt dort. Er wird sich um alles kümmern und das Telefon in Ordnung bringen. Ich werde ihn von Tranquility aus anrufen.«
«Du bist erschöpft.«
«Ich bin müde, aber ich weiß nicht, warum. Kaktus bestand darauf, daß ich mich etwas ausruhe, und ich muß mindestens zwölf Minuten geschlafen haben.«
«Ärmster.«
«Ich liebe den Klang deiner Stimme«, sagte David.»Deine Worte noch mehr, außer, daß ich nicht arm bin. Du hast dir wegen der Pariser Geschichte von vor dreizehn Jahren Sorgen gemacht?«
Plötzlich schwieg seine Frau, und Webb war alarmiert.»Was ist denn? Geht es dir gut?«
«Ich weiß nicht«, antwortete Marie sanft, aber mit einer Willensstärke, die mehr der Vernunft als dem Gefühl entsprang.»Du sagst, daß diese neue Medusa groß ist und scheußlich und daß sie versucht haben, dich zu töten.«
«Haben sie aber nicht.«
«Aber sie wollten dich tot. Warum?«
«Weil ich dort war.«
«Man tötet niemanden, weil er gerade im Haus von jemandem ist…«
«In dem Haus passierte heute nacht eine Menge. Alex und ich sind in ihren Kreis von Geheimnissen eingedrungen, und ich wurde gesehen. Die Idee war, den Schakal mit ein paar reichen und allzu berühmten Banditen aus dem alten Saigon zu ködern, die ihn anheuern würden, mich zu jagen. Es war eine Teufelsstrategie, und sie geriet außer Kontrolle.«
«Mein Gott, David, verstehst du nichts? Jetzt bist du gezeichnet! Jetzt werden sie dich jagen!«
«Wie können sie? Der Mann von Medusa, der dort war, hat mein Gesicht nicht gesehen, und sie haben keine Ahnung, wer ich bin. Ich bin eine Nicht-Person, die einfach wieder verschwindet… Nein, Marie, wenn sich Carlos zeigt und wenn ich das erledigen kann, von dem ich weiß, daß es in Montserrat möglich ist, dann werden wir frei sein. Endlich frei!«
«Deine Stimme verändert sich?«
«Meine was wie?«
«Ich höre es.«
«Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte Jason Borowski.»Man macht mir Zeichen. Das Flugzeug ist da. Sag Johnny, daß er die beiden alten Männer bewachen soll.«
Das Geraune breitete sich über Montserrat aus wie Dunst. Irgend etwas Schreckliches war auf Tranquility passiert…»Schlechte Zeiten, Herr«…»Der böse Obeah kommt von Jamaika über die Antillen und bringt Tod und Verderben«…»Und Blut an den Wänden des Todes, Herr, ein Fluch über der Familie eines Tieres«…»Psst, da waren eine Mutterkatze und zwei Junge!«
Und es gab andere Stimmen…»Lieber Gott, das muß aufhören! Es könnte das bißchen Tourismus, das wir aufgebaut haben, zerstören!«…»Niemals zuvor gab es so etwas — ein isolierter Vorfall, wahrscheinlich im Zusammenhang mit Drogen, von den anderen Inseln eingeschleppt!«…»Nur zu wahr, Herr! Ich hörte, ein Verrückter, sein Körper vollgepumpt mit Dope!«…»Mir wurde gesagt, daß ihn ein Boot, so schnell wie der Hurrikan, aufs Meer hinausgetragen hat und er verschollen ist!«…»Das muß aufhören, sage ich! Weißt du noch die Virgin-Inseln? Das Fountain-Massaker? Sie haben zehn Jahre gebraucht, um sich davon zu erholen. Ruhig!«
Und eine Stimme.»Es ist ein Trick, Sir, und wenn es den Erfolg hat, wie wir glauben, dann werden wir zum Gespräch der Insekt — die Helden der Karibik. Es wird für unser Image wunderbar sein. Gesetz und Ordnung und all das.«
«Gott sei Dank! Wurde jemand getötet?«
«Eine Frau, und sie war dabei, jemand anderen umzubringen.«
«Eine Frau? Gütiger Gott, ich möchte davon nichts mehr hören, bis alles vorbei ist.«
«Es ist besser, wenn Sie für die Presse im Moment nicht zur Verfügung stehen.«
«Verdammt gute Idee. Ich werde mit dem Boot hinausfahren. Die Fische beißen gut nach dem Sturm.«
«Ausgezeichnet, Sir. Und ich werde mich per Funk über die Entwicklungen auf dem laufenden halten.«
«Vielleicht lieber nicht. Dort drüben kann man alles auffangen.«
«Ich meinte nur, um Sie beraten zu können, wenn Sie zurückkommen — im geeigneten Moment, für einen vorteilhaften Auftritt. Ich vertrete Sie so lange.«
«Ja, natürlich. Sie sind großartig, Henry.«
«Danke, Mr. Gouverneur.«
Es war zehn Uhr früh, und sie hielten sich fest umschlungen. Aber es gab keine Zeit zu sprechen, nur kurz das gute Gefühl, beieinander zu sein, in der Gewißheit, daß sie Dinge wußten, die der Schakal nicht wußte, und diese Kenntnis gab ihnen einen enormen Vorteil. Es war dennoch nur ein Vorteil, keine Garantie, nicht, wo Carlos im Spiel war. Und sowohl Jason als auch John St. Jacques waren unerbittlich: Marie und die Kinder sollten nach Süden nach Basse-Terre geflogen werden. Zusammen mit Mrs. Cooper, dem verläßlichen Kindermädchen, und gut bewacht, würden sie so lange dort bleiben, bis sie nach Montserrat zurückgerufen wurden. Marie war dagegen, aber ihre
Einwände wurden schweigend übergangen. Die Befehle ihres Mannes waren eiskalt.
«Du mußt gehen, weil ich etwas zu erledigen habe. Wir werden das nicht weiter diskutieren.«
«Es ist wieder die Schweiz, wieder Zürich, nicht wahr?«
«Was immer du willst«, antwortete Borowski, in Gedanken versunken, als sie am Quai standen, wo zwei Wasserflugzeuge auf dem Meer dümpelten. Eines hatte Jason direkt von Antigua nach Tranquility gebracht. Das andere war bereits aufgetankt für den Flug nach Guadeloupe, und Mrs. Cooper saß mit den Kindern schon drin.
«Beeil dich, Marie«, sagte Borowski.»Ich will noch mit Johnny verschiedene Dinge durchgehen und dann die beiden alten Dreckspatzen in die Zange nehmen.«
«Sie sind keine Dreckspatzen, David. Ihretwegen sind wir noch am Leben.«
«Warum? Weil sie keine Erfolgsmöglichkeit sahen und rechtzeitig kehrtgemacht haben, um ihre Arsche zu retten?«
«Das ist nicht fair.«
«Es ist fair, bis ich das Gegenteil sage, und sie sind Dreckspatzen, bis sie mich überzeugt haben, daß sie es nicht sind. Du kennst die alten Männer des Schakals nicht — ich ja. Sie sagen alles, tun alles, lügen und schleimen sich zur Hölle und zurück, und wenn du dich rumdrehst, stechen sie dir ein Messer in den Rücken. Er besitzt sie Körper, Geist und was von ihren Seelen übriggeblieben ist… Steig jetzt ins Flugzeug, es wartet.«
«Willst du nicht die Kinder sehen? Sag Jamie, daß…«
«Nein, es ist keine Zeit! Bring sie weg, Johnny und ich möchten den Strand untersuchen.«
«Es gibt nichts, was ich nicht schon untersucht hätte«, sagte St. Jacques mit leicht gereizter Stimme.
«Ich werde dir sagen, ob das stimmt oder nicht«, schoß Borowski zurück, mit wütendem Blick. Er lief schon über den Sand und fügte, ohne sich umzudrehen, mit lauter Stimme hinzu:»Ich habe ein Dutzend Fragen an dich, und ich bete zu Gott, daß du sie beantworten kannst.«
St. Jacques straffte sich und machte einen Schritt vorwärts, wurde aber von seiner Schwester aufgehalten.»Laß ihn«, sagte Marie mit der Hand auf seinem Arm.»Er hat einfach Angst.«
«Was? Er ist ein verdammter Hurensohn, das ist er.«
«Ja, ich weiß.«
Der Bruder sah die Schwester an.»Der Fremde, von dem du gestern gesprochen hast?«
«Ja, nur jetzt ist es noch schlimmer. Und deshalb hat er Angst.«
«Ich verstehe nicht.«
«Er ist älter geworden. Er ist jetzt fünfzig, und er fragt sich, ob er noch die Dinge tun kann, die er früher konnte, vor vielen Jahren, im Krieg, in Paris, in Hongkong. Das nagt an ihm, frißt ihn auf, weil er weiß, daß er besser sein muß, als er je war.«
«Ich denke, daß er es kann.«
«Ich weiß, daß er es kann, weil er außergewöhnliche Gründe dafür hat. Schon einmal wurden ihm eine Frau und zwei Kinder genommen. Er kann sich kaum an sie erinnern, aber was damals geschah, war der Beginn seiner Qualen. Mo Panov glaubt das und ich auch… Jetzt, Jahre später, ist eine andere Frau, sind zwei andere Kinder in Gefahr, und jede Faser seiner Nerven muß zum Zerreißen gespannt sein.«
Aus hundert Metern Entfernung schrie Borowski:»Beeilt euch, verdammt!.. Und Johnny, du Experte, ist dir aufgefallen, daß dort draußen vor dem Riff eine Sandbank ist?«
«Antworte ihm nicht erst, Johnny.«»Eine Sandbank? Wovon redet er nur, zum Teufel?… Oh, mein Gott, ich verstehe!«
«Ich nicht«, sagte Marie, während sie die Pier entlangliefen.
«Die Insel ist zu achtzig Prozent von Riffen umgeben, diese Bucht etwa zu fünfundneunzig Prozent. An ihnen brechen sich die Wellen, deshalb heißt sie Tranquility Island. Es gibt am Ufer keine hohen Wellen.«
«Und?«
«Wenn jemand also einen Unterwassertank benutzen würde, könnte er auf der Sandbank vor dem Riff landen, durch die Einfahrt in die Bucht kommen, wenn die Luft rein ist, und dann so lange im ruhigen Wasser liegen, bis er sich einen Wächter schnappen kann. Ist mir nie in den Sinn gekommen.«
«Aber er hat dran gedacht, Bruderherz.«
Borowski saß auf der Tischkante und fixierte die beiden alten Männer vor ihm auf der Couch. Johnny starrte durchs Fenster auf die Bucht.»Warum sollten wir Sie anlügen, Monsieur?«fragte der Held Frankreichs.
«Weil sich das Ganze anhört wie eine klassische französische Farce. Ähnliche Namen, einer tritt durch die eine Tür auf, der andere geht durch die andere Tür ab, Doppelgänger, die verschwinden und wieder auftauchen. Das riecht nach Theater, meine Herren.«
«Haben Sie sich mit Moliere oder Racine beschäftigt…?«
«Nein, aber mit unheimlichen Zufällen; insbesondere, wenn der Schakal im Spiel ist.«
«Ich glaube nicht, daß wir uns besonders ähnlich sehen«, meinte der Richter aus Boston.»Höchstens in bezug auf unser Alter.«
Das Telefon läutete. Jason hob ab.»Ja?«
«Alles durchgecheckt in Boston«, sagte Conklin.»Sein Name ist Prefontaine, Brendan Prefontaine. Er war Bundesrichter am
Obersten Gericht und wurde wegen unlauterer Machenschaften verurteilt — das heißt, er war dick im Schmiergeldgeschäft. Er wurde zu einundzwanzig Jahren verurteilt und hat zehn davon abgesessen, genug, um seine Karriere endgültig zu zerstören. Seitdem ist er, könnte man sagen, nur noch Alkoholiker, aber harmlos. Wenn er klar im Kopf ist, gibt er den Anwälten seiner Gaunerfreunde clevere Ratschläge, die schon manchen Freispruch und manche Strafminderung bewirkt haben sollen. Sein >Anwaltsbüro< sind Kneipen und Spielhallen. Ich kenne das Milieu… ich glaube, er ist sauber.«
«Du bist trocken.«
«Wenn ich mich in dieser zwielichtigen Gesellschaft so gut zurechtgefunden hätte wie er, wäre ich vielleicht noch dabei. Wein hat auch sein Gutes.«
«Was ist mit seinem Auftraggeber?«
«Schreckenerregend. Unser ehemaliger Richter war mal Außerordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät von Harvard, und Gates war eine Zeitlang sein Schüler. Keine Frage, daß Prefontaine den Mann kennt… Vertraue ihm, Jason. Es gibt keinen Grund für ihn zu lügen. Er wollte einfach einen Volltreffer landen.«
«Verfolgst du Gates weiter?«
«Mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Er ist unsere Verbindung zu Carlos… Die Gates-Medusa-Connection war eine falsche Spur: ein dämlicher Versuch eines dämlichen Pentagon-Generals, einen Medusa-Mann in den Kreis des einflußreichen Juristen zu pflanzen.«
«Bist du sicher?«
«Jetzt ja. Gates ist der hochbezahlte Berater einer Kanzlei, die einen mächtigen Waffenproduzenten vertritt, gegen den wegen Verstoßes gegen die Antitrust-Gesetze ermittelt wird. Gates hätte nicht mal die Anrufe von Swayne beantwortet, und wenn doch, wäre er dämlicher als Swayne, was er nicht ist.«
«Das ist jetzt dein Problem, mein Freund, nicht meins. Wenn alles läuft wie geplant, habe ich mit der Schlangenlady nichts mehr zu tun.«
«Danke für den Schwarzen Peter. Übrigens, das Notizbuch, das du dem Pistolenschützen in Manassas abgenommen hast, enthält einige interessante Dinge.«
«Ja?«
«Erinnerst du dich an die drei Fluggäste aus dem Mayflower, die acht Monate, nachdem sie ungefähr gleichzeitig nach Philadelphia geflogen waren, auch noch im selben Hotel abgestiegen sind?«
«Sicher.«
«Ihre Namen stehen in Swaynes Notizbuch. Sie hatten nichts mit Carlos zu tun, sie gehören zu Medusa.«
«Das interessiert mich jetzt nicht mehr. Macht das Beste draus.«
«Werde ich auch, und zwar in aller Stille. Das Notizbuch wird in ein paar Tagen sehr gefragt sein!«
«Freut mich für dich, aber ich habe zu tun.«
«Und du willst mir nicht helfen?«
«Tut mir leid. Aber auf das hier habe ich dreizehn Jahre gewartet. Das ist es, was ich von Anfang an wollte. Mann gegen Mann.«
«High Noon, du verdammter Idiot?«
«Nein, nur die logische Fortsetzung eines äußerst komplizierten Schachspiels. Wer die beste Falle stellt, gewinnt. Und ich habe die beste, weil ich seine benutze. Er würde jede Abweichung riechen.«
«Wir haben dich einfach zu gut ausgebildet, Mann.«
«Danke.«
«Weidmannsheil, Delta.«
«Good bye. «Borowski legte auf. Neugierig blickten die beiden Alten ihn an.»Unsere Kontrollen sind gut, Richter, und Sie haben's geschafft. Ich glaube Ihnen. Und Sie, Jean Pierre, was soll ich sagen? Obwohl Sie ohne Probleme hätten töten können, sagt mir meine eigene Frau, daß ich Ihnen trauen soll. Das alles macht keinen rechten Sinn, oder?«
«Ich bin, was ich bin, und ich tat, was ich tat«, sagte der in Ungnade gefallene Richter mit Würde.»Aber Gates ist zu weit gegangen. Er muß vernichtet werden.«
«Ich kann mich zwar nicht so gut ausdrücken wie mein gelehrter neuer Verwandter«, warf der alte Held Frankreichs ein.»Aber ich weiß, daß das Töten aufhören muß diese Art Töten. Das ist es, was meine Frau versuchte, mir beizubringen. Hier geht's nicht mehr um Geschäfte, oder besser: harte
Geschäftspraktiken, die ich — zugegeben gut kenne. Hier geht's um die Rache eines Verrückten, um einen sinnlosen Mord an einer Mutter und ihren beiden Kindern. Wo liegt da ein Profit?… Nein, der Schakal ist zu weit gegangen. Er muß gestoppt werden.«
«Das sind verdammt die kaltblütigsten Überlegungen, die ich je gehört habe!«schrie John St. Jacques am Fenster.»Ich finde, Sie haben völlig recht«, sagte der Richter zu dem Mann aus Paris. »Tres bien.«
«Ich muß wahnsinnig sein, daß ich mich mit den beiden abgebe«, pflichtete Jason seinem Schwager bei.»Aber ich habe keine andere Wahl… Es ist elf Uhr fünfunddreißig, meine Herren. Die Uhr läuft.«
«Was?«fragte Prefontaine.
«Was auch immer passiert — es wird bald passieren, in den nächsten zwei, fünf, zehn oder vierundzwanzig Stunden. Ich fliege zum Flughafen Blackburne zurück und veranstalte dort eine kleine Szene: der arme Gatte, dem Frau und Kinder ermordet wurden und der schier verzweifelt. Das wird mir nicht schwerfallen, da könnt ihr sicher sein. Das gibt ein schönes Spektakel… In Blackburne verlange ich lauthals einen sofortigen Flug nach Tranquility, wo dann drei Piniensärge auf der Pier stehen… «
«Alles, wie es sein muß«, unterbrach der Franzose. »Bien.«
«Tres bien«, stimmte Borowski zu.»Ich werde darauf bestehen, daß einer der Särge geöffnet wird, dann werde ich schreien oder zusammenbrechen oder beides. Johnny wird versuchen, mich zu beruhigen — du mußt grob sein, Johnny, überzeugend —, und dann wird er mich in eine Villa bringen, am besten in die gleich am Strand. Und dann beginnt das Warten.«
«Auf den Schakal?«fragte Prefontaine.»Wird er wissen, wo Sie sind?«
«Natürlich wird er. Eine Menge Leute wird wissen, wohin ich gebracht wurde. Er wird es herausfinden, das ist für ihn ein Kinderspiel.«
«Sie wollen also auf ihn warten, Monsieur? Sie glauben, daß Monseigneur in eine solche Falle gehen wird? Ridicule!«
«Keineswegs«, entgegnete Borowski ruhig.»Denn ich werde nicht dort sein, und bis er das herausgefunden hat, habe ich ihn aufgespürt.«
«Um Himmels willen, wie denn?«rief St. Jacques.
«Weil ich besser bin als er. Das war ich schon immer.«
Alles ging wie geplant über die Bühne. Das Flughafenpersonal von Montserrat war immer noch wütend über die Beschimpfungen, die ihnen der große Amerikaner an den Kopf geworfen hatte —»ihr seid alle Mörder! Ihr habt zugelassen, daß meine Frau und meine Kinder von Terroristen ermordet wurden! Nigger seid ihr — Gehilfen von lausigen Killern!«Jeder Inselbewohner, der davon hörte, war einerseits traurig, andererseits beleidigt. Traurig, weil Borowskis Haß verständlich war, und beleidigt, weil er ungerecht war, weil er sie beschimpfte. War das der Mann, den sie seit langem kannten, der reiche Bruder des geselligen John St. Jacques, ihr Freund, der soviel Geld auf Tranquility Island investiert hatte? Nein, er war kein Freund, sondern ein weißes Arschloch, das sie beschimpfte, nur weil ihre Haut schwarz war, obwohl sie nichts mit diesen schrecklichen Dingen zu tun hatten. Ein böses Spiel, Mann. Es war Teil des Wahnsinns, des Obeah, der übers Wasser aus den Bergen von Jamaika gekommen war, der die Insel mit einem Fluch belegt hatte. Beobachtet ihn, Brüder. Beobachtet jede seiner Bewegungen. Vielleicht war er ein Sturm, ein Wirbelsturm, zerstörerischer als die, die übers Wasser kommen. Beobachtet ihn.
Also wurde er beobachtet. Von vielen, von Zivilisten und Uniformierten gleichermaßen, wie der nervöse Henry Sykes dem Gouverneur versprochen hatte. Diese Aufgabe, die ihm von höchster Seite anvertraut wurde, erledigte der Zollbeamte unaufdringlich und gründlich. An der Pier von Tranquility tobte Borowski noch schlimmer, er schlug auf seinen Schwager ein, bis der jüngere Mann ihn gebändigt und die Stufen hinauf in die nächste Villa gebracht hatte. In die Vorhalle kamen und gingen Angestellte und brachten zu essen und zu trinken. Ausgewählte Besucher durften ihr Beileid überbringen, so auch der Chefadjutant des Gouverneurs, der in vollem militärischem Wichs erschien, einem Symbol für die Anteilnahme der Krone. Auch ein alter Mann, der davon sprach, daß er zwei Weltkriege mitgemacht habe und den Tod kenne, bestand darauf, den Hinterbliebenen zu sehen. Er kam in Begleitung einer schwarzen Krankenschwester, und beide trugen, dem Anlaß angemessen, Hut und Trauerflor. Ferner kamen noch zwei kanadische Hotelgäste, enge Freunde des Besitzers, die den Unglücklichen kennengelernt hatten, als das Tranquility Inn vor Jahren mit einem großen Feuerwerk eröffnet worden war. Sie alle wollten ihm ihr Beileid aussprechen und boten jedwede Unterstützung an. John St. Jacques war einverstanden, bat aber darum, sich kurz zu fassen und daß er, als Schwager, in der Nähe bleiben könne.
«Es ist alles so schrecklich, so sinnlos!«sagte der Besucher aus Toronto leise zu dem Mann, der im Schatten einer Zimmerecke zusammengesunken auf seinem Stuhl saß.»Ich hoffen Sie sind ein frommer Mann, David. Der Glaube hilft uns in solchen Zeiten. Ihre geliebten Angehörigen sind jetzt in den Armen Gottes.«
«Danke. «Eine kurze Brise von der See her hob leicht die Vorhänge, und ein Sonnenstrahl drang ins Zimmer, der das Gesicht des Mannes erhellte. Das reichte.
«Moment«, sagte der zweite Kanadier.»Sie sind doch gar nicht… guter Gott, Sie sind nicht Dave Webb! Dave hat…«
«Seien Sie still«, befahl St. Jacques, der hinter den Besuchern an der Tür stand.
«Johnny, ich habe sieben Stunden in einem Fischerboot mit Dave verbracht. Ich würde ihn doch erkennen, verdammt noch mal!«
«Beruhigen Sie sich«, sagte der Besitzer von Tranquility Inn.»Hören Sie zu, Sie beide!«St. Jacques stellte sich rasch zwischen die Kanadier und den Mann auf dem Stuhl.»Ich wünschte, ich hätte Sie nie hier reingelassen, aber das läßt sich jetzt nicht mehr ändern… Ich dachte, Sie könnten der Sache mehr Gewicht geben, zwei weitere Beobachter, falls irgend jemand Fragen stellt, was bestimmt passiert. Sie haben mit David Webb gesprochen, haben David Webb getröstet. Verstehen Sie das?«
«Ich verstehe verdammt noch mal überhaupt nichts«, widersprach der verwirrte Besucher, der vom Trost des Glaubens gesprochen hatte.»Wer ist das?«
«Der Adjutant des Gouverneurs«, antwortete St. Jacques.»Ich werde es Ihnen erklären.«»Sie meinen den Armee-Heini, der hier in voller Uniform mit einer Abteilung schwarzer Soldaten anmarschiert ist? Aber wir haben ihn doch wieder herauskommen sehen! Wir alle haben ihn doch herauskommen sehen! Er war mit dem alten Franzosen und der Krankenschwester…«
«Sie haben jemand anderen gesehen, der eine Sonnenbrille trug.«
«Webb…?«
«Meine Herren!«Der Adjutant des Gouverneurs erhob sich. Er trug die Jacke von Jason Borowski, die ihm allerdings schlecht paßte.»Sie sind Gäste auf unserer Insel, und als Gäste werden Sie sich an die Entscheidungen der Krone halten. Entweder Sie sind kooperativ, oder wir müssen Sie in Schutzhaft nehmen.«
«Langsam, Henry, das sind Freunde… «
«Freunde nennen einen Stabsoffizier nicht >Armee-Heini<…«
«Mein Kamerad hier meinte das nicht so«, entschuldigte sich der zweite Kanadier.»Er war ein armes Infanterie-Schwein in Korea.«
«Laßt uns zur Sache kommen«, sagte der andere schnell.»Wir haben hier also mit Dave gesprochen, richtig?«
«Richtig Und das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
«Das reicht, Johnny. Dave hat Probleme. Was können wir tun?«
«Nichts, absolut nichts. Tun Sie, was alle hier tun.«
«Und das wäre?«fragte der religiöse Kanadier.»Was wird den Leuten hier denn geboten?«
«Das Hotel liefert ein kostenloses Spezialitäten-Büffet, und ein Meteorologe vom Wetteramt der Inseln vor dem Winde hält einen Vortrag über den Sturm der vergangenen Nacht.«
«Über den Sturm?«fragte der ehemalige Koreakämpfer und jetzige Besitzer von Kanadas größter Maschinenbaufirma.»Ein Sturm ist ein Sturm. Was gibt es da zu erklären?«
«Oh, zum Beispiel, warum sie entstehen und warum sie so schnell vorübergehen. Wie man sich verhalten soll, um Panik zu vermeiden.«
«Wir sollen also alle kommen?«
«Ja.«
«Kann das Dave hilfreich sein?«
«Ja, bestimmt.«
«Dann wird der Saal voll sein. Dafür garantiere ich.«
«Wäre mir lieb, aber wie wollen Sie das anstellen?«
«Ich werde noch ein Programm in Umlauf bringen, mit der Notiz, daß Angus MacPherson McLeod, Vorsitzender der All Canada Engineering, zehntausend Dollar als Preis für die intelligenteste Frage des Abends ausschreibt. Wie war's damit, Johnny? Reiche Leute sind geldgierig, das ist ihre grundlegende Schwäche.«
«Ich nehme Sie beim Wort«, murmelte Johnny.
«Gehn wir«, sagte McLeod.»Wir werden zuerst ein Weilchen mit Tränen in den Augen herumlaufen. Und dann, du Idiot von einem Oberst — das bist du nämlich, du Bastard —, werden wir einen Zahn zulegen und nur noch von den zehntausend und dem kostenlosen Dinner reden… Das wird eine Bombenparty heute abend, Johnny. «McLeod machte kehrt und ging zur Tür.
«Scotty«, schrie der Mann des Glaubens und stürzte hinter ihm her.»Du handelst wieder mal völlig überstürzt! Ich glaube nicht, daß das alles so einfach ist.«
«Du wirst schon sehen. Ich weiß, wie die Leute sind… Deswegen bin ich reich geworden. Und jetzt werde ich gleich echte Tränen vergießen. Eine weitere Fähigkeit, die zu meinem Wohlstand beigetragen hat.«
In einem dunklen Lagerraum im dritten Stock des Hauptgebäudes vom Tranquility Inn saßen Borowski und der alte Franzose auf zwei Stühlen vor einem Fenster. Die Villen unten erstreckten sich rechts und links der Steintreppe, die zum Strand und zum Anlegeplatz hinunterführte. Durch zwei starke Ferngläser beobachteten sie jeden, der auf den Wegen entlangging oder die Treppe hinauf- und hinunterlief. Ein kleines tragbares Funkgerät, eingestellt auf die hoteleigene Frequenz, stand auf der Fensterbank.
«Er ist in unserer Nähe«, sagte Fontaine leise.
«Was?«brach es aus Borowski heraus. Er riß das Fernglas herunter und drehte sich zu dem alten Mann um.»Wo? Sagen Sie mir, wo!«
«Wir haben ihn noch nicht im Blickfeld, aber er ist in der Nähe.«
«Wie meinen Sie das?«
«Ich kann es spüren, wie ein Tier, das bereits ein Gewitter herannahen fühlt, wenn der Himmel noch blau ist. Es ist in einem drin. Es ist die Angst.«
«Das ist nicht sehr klar.«
«Für mich schon. Vielleicht verstehen Sie das nicht. Wie man mir sagte, kennt der Herausforderer des Schakals, das Chamäleon, dieser Killer namens Jason Borowski, keine Furcht. Man sagte uns, er ist so tollkühn, weil er so stark ist.«
Jason lächelte grimmig, ablehnend.»Dann hat man euch eine Lüge aufgetischt«, sagte er leise.»Ein Teil dieses Mannes lebt mit einer solchen Angst, wie sie nur wenige Menschen jemals erfahren haben.«
«Das kann ich nur schwer glauben, Monsieur…«
«Glauben Sie's nur.«
«Wirklich, Mr. Webb? Zwingen Sie sich, ein anderes Ich anzunehmen, weil Sie Angst haben?«
David Webb starrte den alten Mann an.»Was habe ich denn für eine Wahl?«
«Sie könnten für eine Weile verschwinden, Sie und Ihre Familie. Sie könnten in Frieden leben, in Sicherheit. Ihre Regierung würde schon dafür sorgen.«
«Er würde mich verfolgen — uns —, wo immer wir wären.«
«Wie lange denn noch? Ein Jahr? Achtzehn Monate? Gewiß weniger als zwei Jahre. Er ist ein kranker Mann. Ganz Paris — mein Paris — weiß das. Außerdem, dieser ganze verdammte komplizierte Plan, um Sie in die Falle zu locken, verschlingt sehr viel Geld. Ich wette, daß es Carlos' letzter Versuch ist. Gehen Sie fort, Monsieur. Treffen Sie Ihre Frau in Basse-Terre und fliegen Sie weit weg, solange Sie es noch können. Lassen Sie ihn nach Paris zurückkehren und frustriert sterben. Ist das nicht genug?«
«Nein. Er würde mich verfolgen, uns! Es muß hier ausgetragen werden! Jetzt!«
«Ich werde wohl bald meiner Frau folgen, und deshalb kann ich es mir leisten, Leuten zu widersprechen — Männern wie Ihnen zum Beispiel, Monsieur le cameleon —, denen ich früher automatisch zugestimmt hätte. Ich denke, Sie könnten weggehen. Ich glaube auch, daß Sie den Schakal wirklich vergessen und Ihr eigenes Leben leben könnten, aber Sie wollen es nicht. Irgend etwas in Ihnen wehrt sich dagegen. Dabei wäre ein strategischer Rückzug durchaus ehrenhaft. Doch Ihnen ist egal, wieviel Blut noch vergossen werden wird. Ihre Familie ist in Sicherheit, und Sie wollen den Sieg.«
«Ich denke, das reicht«, unterbrach ihn Borowski, hob das Fernglas und konzentrierte sich auf die Szene vor dem Fenster.
«Aber es ist doch so, oder etwa nicht?«fragte der Franzose und studierte Borowskis Gesicht.»Die CIA hat Sie zu gut trainiert, hat die Person, die Sie zu werden hatten, zu tief in Ihnen verankert. Jason Borowski gegen Carlos, den Schakal.
Und Borowski muß gewinnen!.. Zwei alte, ineinander verbissene Löwen, beide mit einem brennenden Haß, der ihnen von fernen Strategen eingepflanzt wurde, die keine Ahnung hatten von den Konsequenzen. Wie viele Menschen haben schon ihr Leben verloren, weil sie euch beiden in die Quere kamen? Wie viele unbekannte Männer und Frauen sind getötet worden…«
«Halt's Maul!«schrie Jason, als ihm die Bilder aus Paris, aus Hongkong, Macao und Peking — und seine letzte Nacht in Manassas — durchs Hirn schössen.
Plötzlich ging die Tür auf, und Brendan Prefontaine kam atemlos herein.
«Er ist hier. Eine der Patrouillen von St. Jacques, eine Einheit aus drei Leuten, konnte mit einemmal nicht mehr über Funk erreicht werden. St. Jacques schickte einen Mann, um zu sehen, warum, und der ist gerade zurückgekehrt — und anschließend auf und davon. Alle drei sind umgebracht worden, jeder mit einem Schuß in die Kehle.«
«Der Schakal!«rief der Franzose.»Es ist sein Zeichen. Er kommt!«