Buckingham Pritchard saß neben seinem uniformierten Onkel Cyril Sylvester Pritchard, dem stellvertretenden Direktor der Einwanderungsbehörde, im Büro von Sir Henry Sykes im Regierungssitz von Montserrat. Neben ihnen, zur Rechten des Stellvertreters, saß ihr Anwalt, der beste ortsansässige Rechtsanwalt, den Sykes hatte überreden können, die Pritchards in der Angelegenheit zu beraten, in der die Krone gegen sie Anklage wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erhoben hatte. Sir Henry saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete leicht schockiert den Anwalt, einen gewissen Jonathan Lemuel, der seinen Kopf und seinen Blick zur Decke hob, nicht, um in den Genuß des tropischen Ventilators zu kommen, der die feuchte Luft bewegte, sondern um seinen Zweifel zum Ausdruck zu bringen. Lemuel war ein in Cambridge ausgebildeter Jurist, ein einmaliger Stipendiat aus den Kolonien, der sein Geld vor Jahren in London verdient hatte und im Herbst seines Lebens auf seine Heimatinsel Montserrat zurückgekehrt war, um dort die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Tatsächlich hatte Sir Henry seinen im Ruhestand lebenden schwarzen Freund dazu überredet, ein paar Dummköpfen zu helfen, die sich in eine ernste internationale Angelegenheit hatten verwickeln lassen.
Der Grund für Sir Henrys Schock und Jonathan Lemuels Zweifel und seine Wut war durch folgenden Wortwechsel zwischen Sykes und dem stellvertretenden Direktor der Einwanderungsbehörde aufgekommen.
«Mr. Pritchard, es wurde nachgewiesen, daß Ihr Neffe ein Telefongespräch zwischen John St. Jacques und seinem Schwager, dem Amerikaner Mr. David Webb, belauscht hat. Weiterhin gibt Ihr Neffe Buckingham Pritchard freimütig, ja sogar enthusiastisch zu, Sie mit gewissen Informationen, die Inhalt dieses Gespräches waren, angerufen zu haben und daß Sie Ihrerseits begeistert erklärt hätten, Sie müßten sofort Paris anrufen. Ist das wahr?«»Es ist absolut wahr, Sir Henry.«
«Wen haben Sie in Paris angerufen? Wie ist die Telefonnummer? «
«Bei allem Respekt, Sir, ich habe Geheimhaltung geschworen.«
Bei dieser knappen und vollkommen unerwarteten Erwiderung hatte Jonathan Lemuel seinen erstaunten Blick zur Decke gelenkt.
Sykes fand seine Fassung wieder und beendete die kurze Pause.»Was war das, Mr. Pritchard?«
«Mein Neffe und ich sind Teil einer internationalen Organisation, der die größten Führer unserer Welt angehören, und wir haben Geheimhaltung geschworen.«
«Gütiger Gott, er glaubt es«, brummte Sir Henry.
«Um Himmels willen«, sagte Lemuel und senkte seinen Kopf.»Unser Telefondienst hier ist nicht der ausgereifteste, aber innerhalb von einem Tag kann man die Nummer herausfinden. Warum geben Sie sie Sir Henry nicht jetzt? Er muß sie offensichtlich schnell wissen, wem schadet es also?«
«Den Schaden, Sir, haben unsere Vorgesetzten in der Organisation. Das wurde mir persönlich und ausdrücklich deutlich gemacht.«
«Wie ist der Name dieser internationalen Organisation?«
«Ich weiß nicht, Sir Henry. Das ist Teil der Vertraulichkeit, verstehen Sie das nicht?«
«Ich fürchte, Sie sind derjenige, der nicht versteht, Mr. Pritchard«, sagte Sykes, die Stimme schroff, seine Wut unverhohlen.
«Oh, doch, das tu ich sehr wohl, Sir Henry, und ich werde es Ihnen beweisen!«unterbrach der stellvertretende Direktor und sah die Männer an, als wollte er sowohl den skeptischen Sykes und den erstaunten Anwalt als auch seinen ihn bewundernden Neffen ins Vertrauen ziehen.»Eine ziemliche Geldsumme wurde von einer privaten Bank in der Schweiz direkt auf mein Konto hier in Montserrat überwiesen. Die Anweisungen waren deutlich. Die Summe sollte im Zuge der Aufträge, die man an mich delegiert hat, frei verwendet werden… Transport, Unterhaltung, Unterkunft — man hat mir gesagt, ich hätte absolute Verfügungsfreiheit, aber natürlich führe ich eine Aufstellung aller Ausgaben, wie ich es auch als zweithöchster Offizier der Einwanderungsbehörde mache… Wer, außer ungeheuer hochstehenden Leuten, würde derart großes Vertrauen in einen Mann setzen, den er nur durch seinen beneidenswerten Ruf und seine Stellung kennt?«
Henry Sykes und Jonathan Lemuel sahen einander erneut an. Erstaunen vereinte sich nun mit völligem Unglauben. Sir Henry beugte sich über den Tisch.
«Abgesehen von dieser — sagen wir — gründlichen Beobachtung von John St. Jacques, die offenbar die Dienste Ihres Neffen in Anspruch nahm, haben Sie noch andere Aufträge bekommen?«
«Ehrlich gesagt, nicht, Sir, aber ich bin sicher, daß, sobald die Führer sehen, wie zügig ich reagiert habe, andere folgen werden.«
Lemuel hob seine Hand leise ein paar Zentimeter von seiner Lehne, um den rotgesichtigen Sykes zurückzuhalten.
«Sagen Sie mal«, sagte er schnell.»Diese große Geldsumme, die aus der Schweiz geschickt wurde, wie groß war die? Die Menge macht rechtlich keinen Unterschied, und Sir Henry kann nach dem Gesetz der Krone jederzeit selbst bei Ihrer Bank nachfragen, also sagen Sie es uns bitte.«
«Dreihundert Pfund!«erwiderte der ältere Pritchard voller Stolz über seinen Wert.
«Dreihundert…?«Die Worte des Anwalts erstarben.
«Nicht gerade überwältigend, was?«murmelte Sir Henry und lehnte sich zurück.
«Ungefähr«, fuhr Lemuel fort,»wie hoch waren Ihre Ausgaben?«
«Nicht ungefähr, sondern präzise«, beteuerte der stellvertretende Direktor der Einwanderungsbehörde und holte ein kleines Notizbuch aus der Brusttasche seiner Uniform.»Mein brillanter Onkel ist immer präzise«, bemerkte Buckingham Pritchard.
«Danke, Neffe.«
«Wieviel?«beharrte der Anwalt.
«Präzise sechsundzwanzig Pfund und fünf englische Shilling oder den Gegenwert von hundertzweiunddreißig East Caribbean Dollar, die ECs zum letzten Wechselkurs auf die nächste doppelte Nullstelle abgerundet — in diesem Fall habe ich vierundsiebzig Cents weggelassen, somit verbucht.«
«Erstaunlich«, murmelte Sykes wie betäubt.
«Ich habe gewissenhaft jede Quittung aufbewahrt«, fuhr der stellvertretende Direktor fort und nahm beim Lesen Geschwindigkeit auf.»Sie sind in meiner Wohnung an der Old Bay Street in einer Stahlkassette verschlossen und umfassen folgendes: eine Gesamtsumme von sieben Dollar und achtzehn Cents für Ortsgespräche nach Tranquility, da ich mein Bürotelefon nicht benutzen wollte, dreiundzwanzig Dollar und achtzehn Cents für das Ferngespräch nach Paris… ein Abendessen für mich und meinen Neffen im Vue Point, natürlich ein Geschäftsessen…«
«Das genügt«, unterbrach Jonathan Lemuel und betupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn, obwohl der tropische
Ventilator für den Raum vollkommen ausreichte.»Ich bin darauf vorbereitet, zu gegebenem Zeitpunkt alles vorzulegen…«
«Ich sagte, das genügt.«
«Sie sollten wissen, daß ich einen Taxifahrer zurückgewiesen habe, als er anbot, den Preis auf einer Quittung heraufzusetzen, und ihn in meiner offiziellen Position dafür gerügt habe.«
«Genug!«donnerte Sykes mit hervortretenden Adern an seinem Hals.»Sie beide sind Trottel allererster Ordnung! In John St. Jacques einen Verbrecher gleich welcher Art zu sehen ist lachhaft!«
«Sir Henry«, unterbrach der jüngere Pritchard.»Ich habe selbst gesehen, was im Tranquility Inn vorgegangen ist! Es war schrecklich. Särge am Anleger, die Kapelle in die Luft gesprengt, Regierungsboote um die ganze friedliche Insel herum — Schüsse, Sir! Es wird Monate dauern, bis wir wieder voll funktionsfähig sind.«
«Genau!«brüllte Sykes.»Und glauben Sie, St. Jacques würde willentlich seinen eigenen Besitz zerstören, sein eigenes Geschäft?«
«Es sind schon seltsamere Dinge in der Welt der Kriminalität geschehen, Sir Henry«, sagte Cyril Sylvester Pritchard wissend.»In meiner offiziellen Eigenschaft habe ich schon viele, viele Geschichten gehört. Die Vorgänge, die mein Neffe beschrieben hat, nennt man Ablenkungstaktiken zur Herstellung der falschen Vorstellung, daß die Schurken die Opfer sind. Das hat man mir alles gründlich erklärt.«
«Oh, das hat man, ja?«rief der ehemalige Brigadier der britischen Armee.»Nun, lassen Sie mich Ihnen etwas anderes erklären, ja? Sie sind von einem internationalen Terroristen, der auf der ganzen Welt gesucht wird, für dumm verkauft worden! Kennen Sie die allgemein üblichen Strafen für die Hilfe und Unterstützung solcher Mörder? Ich sage es Ihnen deutlich, für den Fall, daß es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte: Es ist der Tod durch ein Erschießungskommando oder, weniger nachsichtig, das Erhängen in aller Öffentlichkeit! Also, wie ist diese gottverdammte Nummer in Paris?«
«Unter diesen Umständen«, sagte der stellvertretende Direktor der Einwanderungsbehörde und nahm alles, was von seiner Würde übrig war, zusammen, ungeachtet der Tatsache, daß sich sein Neffe in seinen linken Arm gekrallt hatte und seine Hand zitterte, als er nach seinem Notizbuch griff,»schreibe ich sie für Sie auf… Man fragt nach einem schwarzen Vogel. Auf französisch, Sir Henry. Ich spreche ein paar Worte, Sir Henry. Auf französisch, Sir Henry.«
John St. Jacques ging in die Bibliothek des neuen, gesicherten Hauses, einem Anwesen an der Chesapeake Bay, wohin ihn eine bewaffnete Wache, die leger als Wochenendgast mit weißen Hosen und einem riesigen, weiten Jackett bekleidet war, gerufen hatte. Der Wächter, ein muskulöser, mittelgroßer Mann mit scharfgeschnittenen spanischen Zügen, stand im Türrahmen. Er deutete auf das Telefon auf dem großen Schreibtisch aus Kirschbaumholz.
«Für Sie, Mr. Jones. Es ist der Direktor.«
«Danke, Hector«, sagte Johnny und hielt kurz inne.»Ist dieses Mr.-Jones-Zeug wirklich nötig?«
«Genauso wie Hector. Mein richtiger Name ist Roger… oder Daniel. Ganz egal.«
«Kapiert. «St. Jacques ging zum Schreibtisch hinüber und nahm den Hörer auf.»Holland?«
«Die Nummer, die Ihr Freund Sykes hat, ist ein Blindgänger, aber nützlich.«
«Was meinen Sie damit?«
«Es ist die Nummer von einem Cafe am Ufer der Seine. Die übliche Prozedur ist, nach einem schwarzen Vogel zu fragen — un oiseau noir — und jemand ruft ihn aus. Wenn der schwarze
Vogel da ist, wird der Kontakt hergestellt. Wenn nicht, versucht man es wieder.«
«Warum ist das nützlich?«
«Wir werden es wieder versuchen, und wieder und wieder, mit einem Mann, der dabeisitzt.«
«Was passiert sonst noch?«
«Da kann ich Ihnen nur beschränkt Antwort geben.«
«Verdammt noch mal!«
«Marie kann Sie aufklären…«
«Marie?«
«Sie ist auf dem Heimweg. Sie ist höllisch wütend, aber außerdem ist sie eine erleichterte Frau und Mutter.«
«Warum ist sie wütend?«
«Ich habe sie auf einige Umwege geschickt.«
«Warum?«unterbrach ihn der Bruder.»Schicken Sie ihr ein gottverdammtes Flugzeug! Sie ist für Sie wertvoller gewesen als sonst irgend jemand in Ihrem dummdreisten Kongreß oder in Ihren verdrehten Behörden, und allen schicken Sie Flugzeuge. Ich mache keine Witze, Holland!«
«Ich schicke diese Flugzeuge nicht«, erwiderte der Direktor bestimmt.»Das machen andere. Wenn ich welche schicke, gibt es zu viele Fragen und zu große Neugier auf fremdem Boden, und das ist alles, was ich dazu sagen werde. Ihre Sicherheit ist wichtiger als ihre Bequemlichkeit.«
«Darauf können wir uns einigen.«
Der Direktor legte eine Pause ein. Seine Verärgerung war offensichtlich.»Wissen Sie was? Sie sind nicht gerade ein besonders freundlicher Bursche, oder?«
«Meine Schwester hat sich mit mir abgefunden, was Ihre Ansicht wettmacht. Warum ist sie erleichtert, als Frau und Mutter haben Sie — glaube ich — gesagt?«
Wieder legte Holland eine Pause ein, diesmal nicht verärgert, sondern auf der Suche nach Worten.»Es hat einen unangenehmen Zwischenfall gegeben, den niemand von uns voraussehen oder erahnen konnte.«
«Oh, ich höre diese berühmten, beschissenen Worte des amerikanischen Establishments!«brüllte St. Jacques.»Was haben Sie diesmal verpaßt? Einen Lastwagen voller US-Raketen für die Agenten des Ayatollah in Paris? Was ist passiert?«
Zum dritten Mal nahm sich Peter Holland Zeit mit der Antwort, wenn auch sein Atmen zu hören war.»Wissen Sie, junger Mann, ich könnte ohne weiteres den Hörer auflegen und darüber hinweggehen, daß es Sie gibt, was für meinen Blutdruck von einigem Vorteil wäre.«
«Passen Sie auf, das ist meine Schwester da draußen, und ein Kerl, mit dem sie verheiratet ist und den ich ziemlich phantastisch finde. Vor fünf Jahren habt ihr Scheißkerle — ich wiederhole, ihr Scheißkerle — die beiden drüben in Hongkong um ein Haar getötet. Ich kenne nicht alle Fakten, weil sie zu zurückhaltend oder zu dumm sind, um darüber zu sprechen, aber ich weiß genug, um zu wissen, daß ich Ihnen niemals trauen würde!«
«Versteh ich«, sagte Holland gedämpft.»Nicht, daß es einen Unterschied machen würde, aber ich war damals nicht hier.«
«Es macht keinen Unterschied. Es ist Ihr System. Sie hätten dasselbe getan.«
«Wenn ich die Umstände gekannt hätte, vielleicht. Genau wie Sie, wenn Sie sie gekannt hätten. Aber auch das macht keinen Unterschied. Das gehört der Geschichte an.«
«Und jetzt ist jetzt«, unterbrach St. Jacques.»Was ist in Paris passiert, dieser >unangenehme Zwischenfall«
«Nach Conklin zu urteilen gab es auf einem privaten Flugplatz in Pontcarre einen Hinterhalt. Er schlug fehl. Ihr
Schwager wurde nicht verletzt und auch Alex nicht. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
«Das ist alles, was ich hören will.«
«Ich habe gerade eben erst mit Marie gesprochen. Sie ist in Marseille und wird morgen am späten Abend hier sein. Ich werde sie selbst abholen, und man wird uns nach Chesapeake rausfahren.«
«Was ist mit David?«
«Wem?«
«Meinem Schwager?«
«Oh… ja, natürlich. Er ist auf dem Weg nach Moskau.«
«Was?«
Die Düsenmaschine der Aeroflot bog von der Landebahn des Moskauer Scheremetjewo-Flughafens ab. Der Pilot ließ sie auf der angrenzenden Bahn ausrollen, dann stoppte er eine Viertelmeile vor dem Terminal, woraufhin auf russisch und französisch eine Durchsage gemacht wurde.
«Es wird eine fünf- bis siebenminütige Verspätung geben, bis Sie von Bord gehen können. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen.«
Es gab keine Erklärung zu dieser Information, und die Passagiere auf diesem Flug von Paris, die keine Sowjetbürger waren, wandten sich wieder ihrem Lesestoff zu, in der Annahme, daß die Verspätung von einem Rückstau herrührte, den eine abfliegende Maschine hervorgerufen hatte. Allerdings wußten es diejenigen, die gerade in ihrer Heimat gelandet waren, und die, die mit den sowjetischen Ankunftsprozeduren vertraut waren, besser. Der mit Vorhängen abgetrennte Vorderteil des riesigen Iljuschin-Jets, ein kleines Abteil, das für besondere, unbemerkte Passagiere reserviert war, würde sich leeren, wenn auch nicht ganz, so doch zum Teil. Es war üblich, eine erhöhte Plattform mit einer geschützten Eisentreppe vor die vordere Eingangsluke zu rollen. Ein paar hundert Meter entfernt stand immer eine Regierungslimousine, und während die Rücken dieser speziellen, von Bord gegangenen Passagiere auf dem Weg zu ihren Fahrzeugen kurz zu sehen waren, liefen Flugbegleiter durch die Maschine, um sicherzustellen, daß keine Kameras zu sehen waren. Das waren sie nie. Diese Reisenden standen im Schutz des KGB, und aus Gründen, die nur das Komitet kannte, sollten sie am Internationalen Flughafen von Scheremetjewo nicht überprüft werden.
Alex Conklin hinkte von der geschützten Rolltreppe, gefolgt von Borowski, der die beiden übergroßen Reisetaschen trug, die ihnen als Handgepäck dienten. Dimitrij Krupkin kam aus der Limousine hervor und eilte auf sie zu, als man die Treppe von der Maschine wegrollte und der Lärm der riesenhaften Turbinen lauter wurde.
«Wie geht es eurem Freund, dem Doktor?«rief der sowjetische Geheimdienstoffizier mit lauter Stimme, um das Brüllen zu übertönen.
«Er hält sich!«schrie Alex.»Vielleicht schafft er es nicht, aber er kämpft höllisch dagegen an!«
«Es ist dein Fehler, Aleksej!«Der Jet rollte davon, und Krupkins Stimme wurde entsprechend leiser.»Du hättest Sergej in der Botschaft anrufen sollen. Seine Einheit war darauf vorbereitet, euch zu eskortieren, wohin immer ihr wolltet.«
«Ehrlich gesagt, haben wir gedacht, wir würden eine Warnung ausgeben, wenn wir es täten.«
«Lieber eine Warnung, die etwas verhindert, als einen Anschlag zu provozieren!«konterte der Russe.»Carlos' Leute hätten niemals gewagt, euch unter unserem Schutz anzugreifen.«
«Es war nicht der Schakal«, sagte Conklin ruhig.
«Natürlich war er es nicht — er ist hier. Es waren seine Leute.«
«Nicht seine Leute und auch nicht seine Befehle.«
«Was redest du da?«
«Darauf kommen wir später. Laß uns hier verschwinden.«
«Warte. «Krupkin hob seine Augenbrauen.»Zuerst müssen wir reden, das heißt, zuerst einmal willkommen bei Mütterchen Rußland. Zweitens wäre ich dir sehr dankbar, wenn du davon Abstand nehmen würdest, mit Leuten, die du möglicherweise kennenlernen wirst, gewisse Aspekte meines Lebensstils im Dienste meiner Regierung im feindlichen, kriegstreiberischen Westen zu besprechen.«
«Weißt du, Kruppie, eines Tages werden sie dich erwischen.«
«Niemals. Sie verehren mich, weil ich das Komitet mit mehr nützlichem Geschwätz über die oberen Ränge der zügellosen, sogenannten freien Welt versorge als irgendein anderer Offizier auf einem ausländischen Posten. Außerdem unterhalte ich meine Vorgesetzten in eben jener zügellosen Welt weit besser als irgendein anderer Offizier irgendwo. Wenn wir den Schakal hier in Moskau in die Enge treiben, wird man mich zweifellos zum Mitglied des Politbüros machen. Heldenstatus.«
«Und dann kannst du endlich richtig loslegen.«
«Warum nicht? Das tun sie alle.«
«Wenn es keine Umstände macht«, unterbrach Borowski schroff und stellte die beiden Reisetaschen ab.»Was ist passiert? Haben Sie irgendeinen Fortschritt am Dserschinskij-Platz gemacht?«
«Der Fortschritt ist für weniger als dreißig Stunden nicht eben unbedeutend. Wir haben Carlos' Maulwurf auf dreizehn Möglichkeiten zusammengestrichen, von denen alle fließendes Französisch sprechen. Sie stehen unter ständiger Beobachtung, menschlich und elektronisch. Wir wissen zu jeder Minute genau, wo sie sind, ebenso, wen sie treffen und mit wem sie telefonieren… Ich arbeite mit zwei hochrangigen Kommissaren zusammen, von denen keiner auch nur im Ansatz Französisch spricht — sie können nicht mal richtig Russisch, aber so ist das nun mal. Der Punkt ist, daß sie pannensicher und einsatzfreudig sind. Sie sind sehr kooperativ dabei gewesen, die Beschattung aufzustellen.«
«Eure Beschattung ist saumäßig, und das weißt du«, sagte Alex.»Eure Leute fallen ständig über irgendwelche Schüsseln auf irgendwelchen Damentoiletten, wenn sie jemanden verfolgen.«
«Diesmal nicht, denn ich habe sie selbst ausgesucht«, beharrte Krupkin.»Vier von unseren Leuten, alle in Nowgorod ausgebildet, es sind Überläufer aus Großbritannien, Amerika, Frankreich und Südafrika — allesamt mit Geheimdiensterfahrung, die ihre Datschas verlieren könnten, wenn sie es versauen, wie ihr Westler sagt. Ich würde wirklich gern ins Präsidium berufen werden, oder gar ins Zentralkomitee. Vielleicht würden sie mich dann nach Washington oder New York schicken.«
«Wo du richtig zulangen könntest«, sagte Conklin.
«Du bist böse, Aleksej, sehr, sehr böse. Trotzdem, erinnere mich nach ein bis sechs Wodkas daran, dir von ein paar Immobilien zu erzählen, die einer unserer Leute vor zwei Jahren oben in Virginia gekauft hat. Für ein Butterbrot. Jetzt will irgendwer den zehnfachen Preis dafür zahlen! Komm, der Wagen.«
«Ich kann das alles kaum glauben«, sagte Borowski.
«Willkommen in der realen Welt der High-Tech-Intelligenz«, erklärte Conklin leise lachend.
«Aber wir werden dieses Gespräch verschieben«, fuhr Krupkin fort, als sie zur Limousine gingen,»solange wir in einem offiziellen Wagen sitzen, nicht wahr, meine Herren? Übrigens habt ihr eine Zwei-Zimmer-Suite im Metropol am Marx Prospekt. Es ist bequem, und ich habe persönlich sämtliche Abhöranlagen abstellen lassen.«
«Ich kann verstehen, warum, aber wie hast du es geschafft?«
«Verlegenheit ist, wie du wohl weißt, der größte Feind des Komitet. Ich habe der internen Sicherheitsabteilung erklärt, daß das, was man vielleicht aufnehmen würde, die falschen Leute in größte Verlegenheit bringen könnte, die dann zweifellos diejenigen, die diese Bänder abgehört haben, nach Kamtschatka versetzen würden. «Sie erreichten den Wagen, die linke Hintertür wurde von einem Fahrer in einem dunkelbraunen Geschäftsanzug geöffnet, der mit dem, den Sergej in Paris getragen hatte, nahezu identisch war.»Der Stoff ist der gleiche«, sagte Krupkin, als ihm die Reaktion seiner Begleiter darauf auffiel,»allerdings nicht die Schneiderei. Ich habe darauf bestanden, daß Sergej sich seinen im Faubourg aufbessern ließ.«
Das Hotel Metropol war ein renoviertes, vorrevolutionäres Bauwerk im reichverzierten Architekturstil, den der Zar bevorzugte, nachdem er Wien und Paris besucht hatte: die Decken hoch, der Marmor verschwenderisch und die vereinzelten Wandteppiche unbezahlbar. Die kunstvoll gearbeitete Lobby strahlte einen gewissen Trotz aus, der sich gegen eine Regierung richtete, die erlaubte, daß so viele schäbige Bürger in die Räumlichkeiten eindrangen. Die glitzernden, filigranen Kronleuchter schienen verächtlich auf die unwürdigen Passanten herabzusehen. Diese Eindrücke galten allerdings nicht für Dimitrij Krupkin, dessen baronenglei che Gestalt in einer solchen Umgebung sehr wohl heimisch war.
«Genosse!«rief der Geschäftsführer gedämpft, als der KGB-Offizier seine Gäste zu den Fahrstühlen geleitete.»Da ist eine dringende Nachricht für Sie. «Er kam eilig zu Dimitrij gelaufen und steckte Krupkin einen zusammengefalteten Zettel in die Hand.»Man sagte mir, ich solle sie Ihnen persönlich geben.«
«Das haben Sie getan, und ich danke Ihnen dafür. «Dimitrij beobachtete, wie der Mann fortging, dann öffnete er das Papier.»Ich muß sofort Dserschinskij anrufen. Das ist der Nebenapparat meines zweiten Kommissars. Kommt, beeilen wir uns.«
Wie die Lobby gehörte auch die Suite einer anderen Zeit an, einer anderen Ära, tatsächlich einem anderen Land, nur verschandelt durch die verblichenen Stoffe und die mangelhafte Restauration des alten Stucks. Die Türen der beiden Schlafzimmer lagen einander gegenüber, der Raum dazwischen war ein Wohnzimmer, komplett mit einer verkupferten Bar und mehreren Flaschen Spirituosen, wie sie auf Moskauer Borden selten zu finden waren.
«Bedient euch«, sagte Krupkin und ging zu einem Telefon, das auf einem nachgemachten antiken Schreibtisch stand, der eine Mischung aus Queen Anne und spätem Louis zu sein schien.»Oh, das habe ich ganz vergessen, Aleksej. Ich bestelle dir etwas Tee oder etwas Mineralwasser…«
«Vergiß es«, sagte Conklin, nahm seine Reisetasche und ging in das linke Schlafzimmer.»Ich muß erst mal ins Bad. Dieses Flugzeug war mehr als dreckig.«
«Ich nehme aber an, der Flugpreis war annehmbar«, erwiderte Krupkin mit lauter Stimme und wählte.»Übrigens wirst du, Undankbarer, deine Waffen in euren Nachttischen finden. Graz Burja, Kaliber 38… Kommen Sie, Mr. Borowski«, fügte er hinzu.»Sie sind nicht abstinent, und es war eine lange Reise… Das hier könnte ein längeres Gespräch werden.«
«Ich glaube, ich kann einen Schluck brauchen«, sagte Jason und ließ seine Reisetasche neben die Tür zum anderen Schlafzimmer fallen. Er ging zur Bar hinüber, wählte eine vertraute Flasche und schenkte sich ein, während Krupkin Russisch zu sprechen begann. Dann trat er zu einem Paar hoher Kathedralenfenster, von denen aus man den Marx Prospekt überblicken konnte.
Krupkin schüttelte müde und verwirrt den Kopf, als er den Hörer auflegte. Die Bewegung ließ Jason sich zu dem Russen umwenden.»Mein zweiter Kommissar war diesmal gar nicht so gesprächig wie sonst. Eile und Anweisungen gingen vor.«
«Was meinen Sie?«
«Wir müssen sofort gehen. «Krupkin rief:»Aleksej, komm raus! Schnell!.. Ich habe versucht, ihm zu sagen, daß Sie gerade erst angekommen sind«, fuhr der KGB-Mann fort und wandte sich Jason zu,»aber davon wollte er nichts hören. Ich bin sogar so weit gegangen, ihm zu erklären, daß einer von Ihnen gerade unter der Dusche steht, und sein einziger Kommentar lautete: >Sagen Sie ihm, er soll da rauskommen und sich anziehen.<«Conklin hinkte mit aufgeknöpftem Hemd durch die Tür und trocknete sich mit einem Handtuch das nasse Gesicht.»Tut mir leid, Aleksej. Wir müssen gehen.«
«Wohin? Wir sind gerade angekommen.«
«Wir haben eine Wohnung am Sadowaja bereitgestellt das ist Moskaus grand boulevard, Mr. Borowski. Es sind nicht die Champs-Elysees, aber immerhin. Die Zaren wußten, wie man baut.«
«Und was ist da?«drängte Conklin.
«Kommissar Nummer eins«, erwiderte Krupkin.»Wir werden die Wohnung als unser, sagen wir, Hauptquartier benutzen. Ein kleines und einigermaßen erfreuliches Nebengebäude vom Dserschinskij-Platz — nur weiß niemand außer uns fünf davon. Irgend etwas ist rausgekommen, und wir müssen sofort hinfahren.«
«Das ist Grund genug«, sagte Jason und stellte seinen Drink auf die kupferne Bar.
«Trink aus«, sagte Alex und lief unbeholfen ins Schlafzimmer zurück.»Ich muß mir die Seife aus den Augen waschen und meinen verfluchten Stiefel wieder zuschnüren.«
Borowski nahm das Glas erneut in die Hand, und seine Augen wanderten zu dem Russen, der Conklin hinterhersah, die Stirn in Falten, seine Miene seltsam traurig.
«Sie haben ihn gekannt, bevor er seinen Fuß verloren hat, nicht?«fragte Jason leise.
«Oh, ja, Mr. Borowski. Wir kennen uns seit fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahren. Istanbul, Athen, Rom… Amsterdam. Er war ein bemerkenswerter Gegenspieler. Natürlich waren wir damals jung, schlank und schnell und ungeheuer von uns eingenommen, verzweifelt darum bemüht, den Bildern zu entsprechen, die wir von uns hatten. Das alles ist lange her. Wir waren beide gut, wissen Sie. Er war eigentlich besser als ich, aber erzählen Sie ihm nie, daß ich das gesagt habe. Er hatte immer das größere Bild, die ganze verfluchte Situation im Blick. Das war natürlich der Russe in ihm.«
«Warum benutzen Sie das Wort Gegenspieler?«fragte Jason.»Es klingt so, als hätten Sie ein Spiel gespielt. War er nicht Ihr Feind?«Krupkins großer Kopf fuhr zu Borowski herum, die Augen wie Glas, ganz und gar nicht warm.
«Natürlich war er mein Feind, Mr. Borowski, und um das Bild für Sie klarzustellen: Er ist immer noch mein Feind. Ich bitte Sie, verstehen Sie meine Maßlosigkeit nicht als etwas, was sie nicht ist. Die Schwächen eines Menschen mögen Einfluß auf seine Pflichttreue nehmen, aber sie nehmen ihm nicht die Kraft. Vielleicht teile ich nicht die Annehmlichkeiten des römischen Glaubens, für meine Sünden büßen zu können, um dann trotz meines Glaubens weiterzumachen und wieder zu sündigen, ich glaube wirklich… Meine Großväter und Großmütter wurden gehängt, Sir, weil sie von einem Hof der Romanows Hühner gestohlen hatten. Nur wenige meiner Vorfahren haben jemals das Privileg auch nur der grundlegendsten Schulbildung genossen, geschweige denn eine Erziehung. Die sowjetische Revolution von Marx und Lenin hat erst den Anfang der Dinge möglich gemacht. Tausende von Fehlern wurden gemacht, aber ein Anfang war gemacht. Ich selbst bin sowohl Beweis als auch Gegenbeweis dafür.«
«Ich bin nicht sicher, ob ich das verstehe.«
«Weil Sie und Ihre geistesschwachen Intellektuellen niemals verstanden haben, was wir von Anfang an begriffen haben. >Das Kapital<,Mr. Borowski, stellt sich Schritte zu einer gerechten Gesellschaft vor, wirtschaftlich und politisch, aber es hat niemals wirklich festgelegt, welche Form die Regierung in der Praxis schließlich haben sollte. Nur, daß es nicht so sein konnte, wie es war.«
«Auf diesem Gebiet bin ich kein Gelehrter.«
«Das muß man auch nicht sein. In hundert Jahren sind Sie vielleicht Sozialisten, und wir mit etwas Glück Kapitalisten,
da?«
«Sagen Sie mir etwas«, sagte Jason, als er, ebenso wie Krupkin, hörte, daß die Wasserhähne in Conklins Zimmer abgedreht wurden.»Könnten Sie Alex töten — Aleksej?«
«So sicher, wie er mich töten könnte. Mit großem Bedauern — falls die Situation es nötig machen würde. Wir sind Profis. Davon gehen wir aus, wenn oft auch nur zögernd.«
«Ich kann Sie beide nicht verstehen.«
«Versuchen Sie es nicht, Mr. Borowski, soweit sind Sie noch nicht. Sie sind nahe dran, aber Sie sind noch nicht da.«
«Würden Sie das bitte erklären?«
«Sie sind auf dem Scheitelpunkt, Jason — darf ich Sie Jason nennen?«
«Bitte.«
«Sie sind fünfzig, mehr oder weniger, korrekt?«
«Korrekt. Ich werde in ein paar Monaten einundfünfzig. Und?«
«Aleksej und ich sind in den Sechzigern. Haben Sie eine Vorstellung davon, was für ein Sprung das ist?«
«Wie könnte ich?«
«Lassen Sie es mich Ihnen erklären. Sie sehen sich immer noch als jüngeren Mann, den postadoleszenten Mann, und in vielerlei Hinsicht haben Sie recht. Die motorische Kontrolle ist da, der Wille ist da, Sie sind immer noch Herr über Ihren Körper. Dann plötzlich, und so stark der Wille und der Körper auch geblieben sein mögen, beginnt der Verstand langsam und heimtückisch die Notwendigkeit abzulehnen, unmittelbar eine Entscheidung zu treffen. Einfach gesagt, es ist uns mehr egal. Sind wir dazu verdammt, oder kann man uns gratulieren, daß wir überlebt haben?«
«Ich glaube, Sie haben gerade gesagt, daß Sie Alex nicht töten könnten.«
«Verlassen Sie sich nicht darauf, Jason Borowski oder David, wer Sie auch sein mögen.«
Conklin kam deutlich hinkend durch die Tür und zuckte vor Schmerz.»Gehen wir«, sagte er.
«Hast du ihn wieder falsch geschnürt?«fragte Jason.»Soll ich… «
«Vergiß es«, sagte Alex ärgerlich.»Man muß ein Schlangenmensch sein, um das gottverdammte Ding richtig festzumachen.«
Borowski verstand. Er vergaß jeden weiteren Versuch von seiner Seite, die Prothese zu richten. Wieder sah Krupkin Alex mit dieser seltsamen Mischung aus Trauer und Neugier an, dann sprach er schnell.»Der Wagen parkt ein Stück die Straße rauf in der Swerdlowsk. Da fällt er weniger auf. Ich lasse ihn holen.«
«Danke«, sagte Conklin.
Die ausschweifende Wohnung an der vielbefahrenen Sadowaja war eine unter vielen in einem alten, steinernen Gebäude, das wie das Metropol die großartigen architektonischen Exzesse des alten russischen Kaiserreiches widerspiegelte. Die Wohnungen wurden hauptsächlich für Besuche von Würdenträgern genutzt — und abgehört —, und die
Zimmermädchen, Portiers und Hausmeister wurden regelmäßig vom KGB befragt, wenn sie nicht ohnehin direkt beim Komitet angestellt waren. Die Wände waren mit rotem Velours bedeckt, die robusten Möbel erinnerten an das ancien regime. Allerdings stand zur Rechten des gewaltigen, verzierten Kamins ein Gegenstand, der sich aus all dem heraushob wie der Alptraum eines Inneneinrichters: eine große Fernsehtruhe mit
Bandmaschine in allen gängigen Videosystemen.
Der zweite Widerspruch zur Einrichtung war ein kräftig gebauter Mann in einer verknitterten Uniform, die am Kragen geöffnet und voller Flecke von Überresten kürzlich eingenommener Mahlzeiten war. Sein grobes Gesicht war rund, sein gräuliches Haar bis kurz auf den Schädel geschoren, und ein fehlender Zahn, umgeben von verfärbten Kollegen, deutete auf eine Aversion gegen Zahnärzte hin. Es war das Gesicht eines Bauern, die schmalen, ständig blinzelnden Augen zeugten von ländlicher Intelligenz. Es war Krupkins Kommissar Nummer eins.
«Mein Englisch ist nicht gut«, verkündete der uniformierte Mann und nickte seinen Besuchern zu,»aber ich gut verstehen. Außer ich habe für Sie keinen Namen, keinen offiziellen Rang. Nennen Sie mich Colonel, ja? Es ist unter meinem Rang, aber alle Amerikaner glauben, alle Sowjets im Komitet sind Colonel, da? Okay?«
«Ich spreche russisch«, erwiderte Alex.»Wenn es für Sie leichter ist, übersetze ich für meinen Kollegen.«
«Ha!«röhrte der Colonel und lachte.»Krupkin kann Sie also nicht für dumm verkaufen, ja?«
«Nein, er kann mich nicht für dumm verkaufen, nein.«
«Ist gut. Er spricht schnell, da? Sogar auf russisch kommen seine Worte wie verirrte Kugeln.«
«Auf französisch genauso, Colonel.«
«Da wir gerade davon reden«, unterbrach Dimitrij.»Können wir zur Sache kommen, Genosse? Unser Mitstreiter am Dserschinskij sagte, wir sollten sofort herkommen.«
«Sofort. «Der KGB-Mann nahm eine Fernbedienung und wandte sich den anderen zu.»Ich werde englisch sprechen, ist gute Übung… Kommen Sie. Es ist alles auf einer Kassette. Material, das Männer und Frauen aufgenommen haben, die Krupkin ausgesucht hat, unseren Leuten zu folgen, die das Französische sprechen.«
«Leute, die nicht bereits auf selten des Schakals stehen konnten«, stellte Krupkin klar.
«Sehen Sie!«beharrte der Bauern-Colonel und drückte auf einen Knopf der Fernbedienung.
Der Bildschirm füllte sich mit Leben, die Anfangsbilder roh und zusammenhanglos. Die meisten schienen freihändig per Videokamera aus fahrenden Autos heraus aufgenommen worden zu sein. Eine Szene nach der anderen zeigte bestimmte Männer, die durch die Moskauer Straßen liefen oder in offizielle Fahrzeuge einstiegen, durch die Stadt und in mehreren Fällen außerhalb der Stadt über Landstraßen fuhren oder gefahren wurden. In jedem Fall trafen sich die Objekte mit anderen Männern und Frauen, wobei per Zoomobjektiv in aller Regel kurz die Gesichter herausgehoben wurden. Eine ganze Anzahl von Aufnahmen war innerhalb von Gebäuden gemacht worden, die Szenen trübe und dunkel — das Ergebnis von ungenügendem Licht und ungeschickt gehaltenen, versteckten Kameras.
«Die da ist teure Hure!«lachte der Colonel, als ein Mann in den späten Sechzigern von einer sehr viel jüngeren Frau in einen Fahrstuhl begleitet wurde.»Das ist das Hotel Soltschenij an der Warscharskoje. Ich werde persönlich die Rechnungsbelege des Generals prüfen und einen loyalen Verbündeten finden, da?«
Das zusammenhanglose, wahllos geschnittene Band lief weiter, während Krupkin und die beiden Amerikaner der scheinbar end- und zwecklosen Aufzeichnung müde wurden. Dann sah man plötzlich die Außenaufnahme einer riesigen Kathedrale, Menschenmassen auf dem Pflaster, das Licht deutete auf den frühen Abend hin.
«Die Kathedrale des Heiligen Basilikus auf dem Roten Platz«, sagte Krupkin.»Ist jetzt ein Museum, und ein sehr gutes, aber hin und wieder hält ein Zelot, gewöhnlich ein Ausländer, einen kleinen Gottesdienst ab. Niemand hindert ihn daran, was die Zeloten natürlich gerne hätten.«
Der Bildschirm wurde wieder trübe, der zitternde Brennpunkt schwang kurz und heftig herum. Die Kamera war jetzt in der Kathedrale, und der Agent, der sie bediente, wurde in der Menschenmenge angerempelt. Dann wurde das Bild ruhig, vielleicht lehnte er sich gegen eine Säule. Das Bild zeigte einen älteren Mann, das Haar weiß, im Kontrast zu dem leichten, schwarzen Regenmantel, den er trug- Er lief einen Seitengang hinunter und betrachtete gedankenverloren eine Reihe von Ikonen und die majestätischen Buntglasfenster.
«Rodtschenko«, sagte der Bauern-Colonel mit kehliger Stimme.
Der Mann auf dem Bildschirm ging auf etwas zu, das wie eine große, steinerne Ecke der Kathedrale aussah, in der zwei dicke Kerzen auf Podesten sich bewegende Schatten an die Wände warfen. Die Videokamera bewegte sich ruckend aufwärts. Der Kameramann war auf irgend etwas gestiegen. Plötzlich wurde das Bild detaillierter, die Gestalten größer, der Bildausschnitt fuhr näher heran, schob sich durch die Massen von Touristen. Das weißhaarige Objekt trat auf einen anderen Mann zu, einen Mann in priesterlicher Robe — kahl, dünn, mit düsterer Miene.
«Das ist er!«rief Borowski.»Das ist Carlos!«
Dann erschien ein dritter Mann auf dem Bildschirm, gesellte sich zu den beiden anderen, und Conklin schnappte nach Luft.
«Himmel!«brüllte er, während alle Augen auf den Fernseher gerichtet waren.»Halten Sie an!«Der KGB-Offizier kam dem Wunsch mit seiner Fernbedienung sofort nach, das Bild blieb stehen, zitternd, aber konstant.»Der andere! Erkennst du ihn, David?«
«Ich kenne ihn, weiß aber nicht, wer er ist«, erwiderte Borowski mit leiser Stimme, während Bilder, die Jahre zurückreichten, seine innere Leinwand ausfüllten. Es gab Explosionen, weißes, blendendes Licht mit verschwommenen Gestalten, die durch einen Dschungel rannten… und dann ein Mann, ein Orientale, der wiederholt angeschossen worden war und schrie, als er von einer Maschinenpistole an den Stamm eines großen Baumes genagelt wurde. Die Nebel der Verwirrung schwollen an, lösten sich und gaben den Blick frei in einen barackenähnlichen Raum mit Soldaten, die hinter einem langen Tisch saßen, ein hölzerner Stuhl zu ihrer Rechten, darauf ein Mann, zappelnd, nervös. Und ohne Vorwarnung erkannte Jason diesen Mann plötzlich — er war es selbst! Sein jüngeres, viel jüngeres Ich, und da war noch eine andere Gestalt, in Uniform, die wie ein gefangenes Frettchen vor dem Stuhl auf und ab lief und wütend den Mann beschimpfte, den man Delta one nannte
Borowski rang nach Atem, die Augen am Bildschirm festgesogen, als er merkte, daß er da die ältere Version dieser wütenden Gestalt anstarrte.
«Ein Gerichtszimmer in einem Basiscamp nördlich von Saigon«, flüsterte er.
«Das ist Ogilvie«, sagte Conklin mit kalter und hohler Stimme.»Bryce Ogilvie… Mein Gott, sie haben Verbindung. Medusa hat den Schakal gefunden!«