Kapitel 19

Die Air France 747 aus Martinique kreiste im abendlichen Dunst von Paris über dem Flughafen Orly. Der Flug hatte fünf Stunden und zweiundzwanzig Minuten Verspätung wegen schlechten Wetters in der Karibik. Der Pilot bereitete den Landeanflug vor, und der Kopilot machte dem Tower davon Meldung. Dann schaltete er auf die geheime Frequenz und schickte eine letzte Botschaft an einen gesonderten Empfänger im Tower.»Deuxieme, Spezialladung. Teilen Sie bitte Ihrem Mann mit, er kann jetzt seine Position einnehmen. Danke. Ende.«

«Instruktion erhalten und weitergegeben«, war die kurze Antwort.»Ende«.

Die fragliche Spezialladung saß auf einem Sitz links hinten in der ersten Klasse. Der Sitz neben ihm war weisungsgemäß nicht besetzt. Borowski langweilte sich. Er war ungeduldig und konnte trotz seiner Erschöpfung nicht schlafen. Die beengende Bandage um seinen Hals war sehr lästig. So dachte er über die Ereignisse der vergangenen neunzehn Stunden nach. Um es milde auszudrücken, waren sie nicht so glatt verlaufen, wie Conklin sich das gedacht hatte. Das Deuxieme Bureau hatte sich sechs Stunden lang quergelegt, während zwischen Washington, Paris und am Ende auch Vienna, Virginia, hektisch hin- und her telefoniert wurde. Der Stolperstein war einfach der gewesen, daß die CIA gar nicht in der Lage war, die geheime Operation eines Jason Borowski durchzugeben, weil nur Alexander Conklin den Namen freigeben konnte. Und der hatte sich geweigert, weil er wußte, daß die Fühler des Schakals überall waren, außer vielleicht in der Küche des Tour d'Argent. Am Ende griff Alex aus Verzweiflung und weil er wußte, daß in Paris Mittagszeit, Essenszeit, war, zu einem gewöhnlichen, völlig ungesicherten Telefon und rief einige Restaurants auf der Rive Gauche an. In einem Cafe der Rue Vaugirard schließlich stöberte er tatsächlich einen alten Bekannten vom Deuxieme Bureau auf.

«Erinnerst du dich an Tinamou und an einen Amerikaner, der dir dort geholfen hat?«

«Ah, der Tinamou, der Vogel mit den versteckten Flügeln und den furchtbaren Klauen. Das war noch in der guten alten Zeit. Und den Amerikaner, der sicher auch älter geworden ist und dem wir damals den Status eines Heiligen verliehen haben, den werde ich bestimmt nie vergessen.«

«Na hoffentlich, ich brauche dich.«

«Du bist es, Alexander?«

«Ja. Und ich habe ein Problem mit dem Deuxieme.«

«Schon gelöst.«

Und es war gelöst, blieb nur noch das Wetter. Der Sturm, der zwei Nächte zuvor die Inseln über dem Winde heimgesucht hatte, war nur das Vorspiel gewesen für einen noch schlimmeren Sturm, gefolgt von sintflutartigen Wolkenbrüchen, die von Grenada herüberkamen. Auf den Inseln brach die HurrikanSaison an. Das heißt, Unwetter waren eigentlich normal. Sie brachten nur ab und zu Verzögerungen mit sich. Als die Maschine dann endlich starten sollte, stellte sich heraus, daß ein Steuerbordtriebwerk nicht richtig funktionierte. Niemand regte sich auf. Das Problem wurde erkannt, gefunden und repariert. Aber auf diese Weise vergingen weitere drei Stunden.

Nur Jasons Gedanken waren aufgewühlt, ansonsten verlief der Flug ruhig, ohne Vorkommnisse. Er dachte an das, was vor ihm lag — Paris, Argenteuil und ein Cafe mit dem provozierenden Namen Le Coeur du Soldat — Das Herz des Soldaten. Nur sein Schuldgefühl lenkte ihn manchmal davon ab, und auf dem kurzen Flug zwischen Montserrat und Martinique, als sie über Guadeloupe und Basse-Teire flogen, war es geradezu schmerzhaft, quälend. Er wußte, daß Marie und die Kinder nur ein paar tausend Meter unter ihm waren und sich auf den Rückflug nach Tranquility vorbereiteten — zum Ehemann und Vater, der nicht dasein würde. Seine kleine Tochter Alison würde natürlich noch nicht viel davon mitbekommen, aber Jamie schon. Er würde begeistert vom Angeln und Schwimmen erzählen, aber seine Augen würden immer größer und dunkler werden… Und Marie — er durfte gar nicht an sie denken! Es tat zu weh!

Sie dachte bestimmt, er würde sie betrügen, er würde weglaufen, um eine gewalttätige Konfrontation mit einem Feind aus einem längst vergangenen Leben zu suchen, einem Leben, das nicht ihr Leben war. Sie dachte wie der alte Fontaine, der versucht hatte, ihn zu überreden, seine Familie irgendwohin zu bringen, wo sie vor dem Schakal sicher sein würden. Aber keiner von ihnen verstand, worum es ging. Der alte, kranke Carlos mochte sterben, aber an seinem Totenbett würde er ein Vermächtnis hinterlassen: Sein letzter Wunsch würde sein, daß Jason Borowski starb, daß David Webb und seine Familie starben! Ich habe recht, Marie! Versuche, mich zu verstehen. Ich muß ihn finden, ich muß ihn töten! Wir können nicht den Rest unseres Lebens in einem Gefängnis verbringen!

«Monsieur Simon?«Der stämmige Franzose mit dem kurzgeschnittenen, weißen Kinnbart sprach den Namen wie» Seemohn «aus.

«Richtig«, antwortete Borowski und schüttelte ihm die Hand.

«Ich bin Bernardine, Frangois Bernardine, ein alter Kollege des heiligen Alex, unseres gemeinsamen Freundes.«

«Alex hat von Ihnen gesprochen«, sagte Jason und versuchte zu lächeln.»Nicht namentlich, natürlich.«

«Wie geht es ihm? Wir hören Geschichten. «Bernardine zuckte mit den Schultern.»Banales Geschwätz. Verwundet in

Vietnam, Alkohol, in Ungnade gefallen, als Held von der CIA zurückgeholt. So viele widersprüchliche Dinge.«

«Das meiste stimmt wohl. Er ist ein Krüppel, er ist trocken, und er ist ein Held.«

«Ich verstehe. Und es gibt noch mehr Gerüchte. Peking, Hongkong — tollkühne Geschichten zusammen mit einem Mann namens Jason Borowski.«

«Von denen habe ich auch gehört.«

«Ja, natürlich… Aber jetzt Paris. Unser Heiliger sagte, Sie brauchen eine Unterkunft und Kleider und so weiter.«

«Eine kleine französische Garderobe für verschiedene Gelegenheiten«, stimmte Jason zu.»Aber ich weiß, wo ich was kaufen kann, und ich habe genügend Geld.«

«Dann kümmern wir uns um die Unterkunft. Welches Hotel? La Tremoüle? George Cinq? Plaza?«

«Kiemer, viel kleiner und nicht so teuer. Unauffällig! Ich kenne Montmartre. Dort suche ich mir selbst etwas. Was ich brauche, das ist ein Wagen — auf einen anderen Namen, am liebsten eine Sackgasse!«

«Auf den Namen eines Toten. Ist schon erledigt. Er steht in der Kellergarage Capucines, in der Nähe von der Place Vendome. «Bernardine holte verschiedene Schlüssel aus seiner Tasche.»Ein älterer Peugeot der Klasse E. Davon gibt es Tausende in Paris.«

«Hat Alex Ihnen gesagt, daß der Name absolut sicher sein muß?«

«Das mußte er nicht erst sagen. Allerdings«, fügte Bernardine lachend hinzu,»hat Alex einmal einen Namen gewählt, damals, als er in Paris war, der die Sürete fast verrückt gemacht hat! Er hatte ihn von einem Grabstein, und der gehörte einem Mörder, den die Behörden monatelang gejagt hatten!«

«Ein guter Witz«, lachte Jason.

«Ja, von einem Grab in Rambouillet.«

Rambouillet! Der Friedhof, auf dem Alex vor dreizehn Jahren versucht hatte, ihn zu töten. Jede Spur eines Lächelns verschwand von Jasons Lippen, und er sah den Mann vom Deuxieme Bureau an.»Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr?«fragte er leise.

«Ja«, antwortete Bernardine.»Es war nicht so schwer herauszufinden, schließlich war es Paris, wo Sie Ihren ersten europäischen Auftritt hatten, Mr. Borowski.«

«Weiß es sonst noch jemand?«

«Mon Dieu, non! Wird auch niemand erfahren. Ich muß

dazu sagen, daß ich Alexander Conklin mein Leben verdanke, unserem bescheidenen Heiligen der operations noires. Außerdem bin ich über siebzig. Da respektiert man alte Freunde…«

«D'accord. Ich glaube Ihnen. Wirklich.«

«Bien. Wie wird Alex eigentlich mit seinem Alter fertig? Er ist zwar noch einige Jahre jünger als ich…«

«Genau wie Sie. Schlecht.«

«Es gab einen englischen Dichter — einen Waliser Dichter, um genau zu sein —, der schrieb: Geh nicht ruhig in die gute Nacht. Erinnern Sie sich daran?«

«Dylan Thomas. Er war Mitte dreißig, als er starb. Ja, man muß kämpfen, darf nicht lockerlassen.«

«Ich bin dabei. «Bernardine langte wieder in die Tasche und zog eine Karte heraus.»Hier ist mein Büro — Berater, verstehen Sie — und auf der Rückseite meine Privatnummer. Ein Spezialtelefon, sozusagen einzigartig. Rufen Sie mich an, und was immer Sie brauchen, wird geliefert. Denken Sie dran, ich bin der einzige Freund, den Sie in Paris haben. Sonst kennt Sie hier niemand.«

«Darf ich Sie etwas fragen?«

«Mflz's certainement.«

«Warum tun Sie all das für mich?«

«Ach«, rief der Berater des Deuxieme Bureau aus.»Erstens habe ich wenig zu befürchten. Ich bin schon ein paar Jährchen dabei, das heißt, mein Gedächtnis ist meine beste Kreditkarte. Ich kenne die Geheimnisse. Und Alex auch.«

«Sie könnten ausgeschaltet, neutralisiert werden — einen Unfall haben.«

«Das wäre dumm, junger Mann. Was in unseren beiden Köpfen steckt, das ist aufgeschrieben, weggeschlossen, und wenn uns etwas Seltsames zustößt, wird es veröffentlicht… Natürlich alles Quatsch. Denn was wissen wir schon, was im Ernstfall nicht geleugnet und als Hirngespinst alter Männer abgetan werden könnte. Aber daran denken die nicht. Denn sie haben Angst, Monsieur. Die stärkste Waffe in unserem Beruf. Die zweitstärkste ist die Verwirrung. Der KGB zum Beispiel fürchtet Verwirrung mehr als alle Staatsfeinde zusammen. «Er lachte.

«Sie und Conklin sind aus demselben Holz, nicht wahr?«

«Bestimmt. Und das ist der andere Grund, warum ich Ihnen helfe. Weder ich noch Alex haben je eine Frau oder eine Familie gehabt, nur sporadische Affären und lauter langweilige Neffen und Nichten, keine wirklichen Freunde, nur hin und wieder einen Feind, den wir respektierten. Wir leben allein, verstehen Sie, wir sind Profis. Wir haben nichts mit der normalen Welt zu tun, die benutzen wir nur als couverture. Wir schleichen herum und operieren mit Geheimnissen, die letztlich unbedeutend sind, wenn es um Gipfelkonferenzen geht.«

«Warum tun Sie es dann? Warum hören Sie nicht auf, wenn Sie das alles für so sinnlos halten?«

«Es liegt im Blut. Wir sind dafür ausgebildet worden, für das tödliche Spiel gegen einen Feind — entweder schnappt er dich oder du ihn, und es ist besser, wenn du ihn schnappst.«

«Das ist dumm.«

«Aber natürlich. Es ist alles dumm. Warum jagt Jason Borowski den Schakal? Warum hört er nicht auf und sagt: Genug! Vollständiger Schutz wäre Ihnen sicher.«

«Wie im Gefängnis… Können Sie mich in die Stadt bringen?«

«Bevor Sie mit mir wieder Verbindung aufnehmen, rufen Sie Alex an.«

«Was?«

«Alex möchte es. Es ist etwas passiert.«

«Wo ist ein Telefon?«

«Nicht jetzt. Um zwei Uhr, Washingtoner Zeit. In gut einer Stunde. Vorher ist er nicht zurück.«

«Sagte er, was…?«

«Ich glaube, er versucht es gerade herauszufinden. Er war sehr aufgeregt.«

Das Zimmer am Pont-Royal in der Rue Montalembert war klein und befand sich im obersten Stock am Ende eines langen, schmalen Flurs. Man erreichte es über einen so langsamen wie lauten Fahrstuhl. Borowski war sehr zufrieden. Es erinnerte ihn an eine abgelegene, sichere Höhle.

Noch vor dem Telefonat mit Alex ging er den nahe gelegenen Boulevard Saint-Germain entlang und erledigte ein paar Einkäufe. Verschiedene Toilettenartikel, sportliche Baumwollhosen, Sommerhemden und eine leichte Safari-Jacke, dunkle Socken und Tennisschuhe, die er gleich noch» abnutzen «mußte. Auf der Fahrt von Orly in die Stadt hatte ihm der alte Bernardine bereits schweigend eine verschlossene braune Schachtel überreicht: Drinnen lag eine Automatic mit zwei Päckchen Munition und darunter, säuberlich geordnet, dreißigtausend Francs in größeren und kleinen Scheinen, etwa fünftausend amerikanische Dollar.

«Morgen werde ich etwas für Sie arrangieren, damit Sie an Geld kommen, wann immer Sie es brauchen. In Grenzen natürlich.«

«Ohne Grenzen«, widersprach Borowski.»Ich werde Ihnen von Conklin hunderttausend anweisen lassen und nochmals hunderttausend, wenn es notwendig wird. Sie sagen ihm einfach, wohin.«»Aus dem Bereitschaftsfonds?«»Nein, aus meinem. Danke für die Pistole. «In beiden Händen Einkaufstüten, ging er zum Hotel zurück. In wenigen Minuten war es in Washington zwei Uhr nachmittags, acht Uhr abends in Paris. Er versuchte, nicht an Alex zu denken — vergeblich. Wenn Marie oder den Kindern etwas geschehen war! Er würde verrückt werden! Aber sie waren bereits wieder auf Tranquility. Es gab keinen sichereren Platz für sie! Als er den alten Fahrstuhl bestieg und die Taschen abstellte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Der Hals. Er schnappte nach Luft. Er hatte sich zu schnell bewegt, vielleicht war ein Faden gerissen. Er fühlte zwar kein Blut, doch er war gewarnt. Er rannte den schmalen Korridor hinunter zu seinem Zimmer, schloß die Tür auf, warf die Einkaufstüten aufs Bett und stürzte zum Telefon. Conklin hatte Wort gehalten: In Vienna, Virginia, wurde beim ersten Klingeln abgenommen.

«Alex, ich bin's. Was ist geschehen? Marie…?«

«Nein«, unterbrach Conklin.»Ich habe gegen Mittag mit ihr telefoniert. Sie und die Kinder sind wieder im Hotel, und sie will mich umbringen. Sie glaubt kein Wort von dem, was ich ihr gesagt habe, aber ich streiche das aus meinem Gedächtnis. Solche Ausdrücke habe ich seit Indochina nicht mehr gehört.«

«Sie ist aufgeregt…«

«Ich auch«, würgte Alex Jasons Beschwichtigungsversuch ab.»Mo ist verschwunden.«

«Was?«

«Du hast richtig gehört. Panov ist weg. Verschwunden.«

«Mein Gott, wie? Er wurde jede Minute bewacht.«

«Wir versuchen es herauszubekommen. Ich war gerade im Krankenhaus.«

«Krankenhaus?«

«Walter-Reed-Hospital. Er war bei einer therapeutischen Sitzung dort, und als die vorbei war, kam er nicht wieder zurück in seine Abteilung. Sie warteten zwanzig Minuten oder so und gingen dann ihn und seine Eskorte suchen, weil er wichtige Termine hatte. Und da sagte man ihnen, daß er weggegangen sei.«

«Das ist verrückt!«

«Es wird noch verrückter und schrecklicher. Die diensthabende Schwester erzählte, ein Armeearzt, ein Chirurg, sei an ihren Tisch gekommen, habe seinen Ausweis gezeigt und sie gebeten, Dr. Panov zu informieren, daß für ihn eine andere Route festgelegt worden sei, daß er den Ausgang am Ostflügel benutzen solle — wegen einer unerwarteten Demonstration vor dem Haupteingang. Die psychiatrische Abteilung liegt im Hauptgebäude. Und der Armeechirurg benutzte den Haupteingang.«

«Noch mal?«

«Er ging geradewegs an unserer Eskorte in der Eingangshalle vorbei.«

«Und offenbar auf demselben Weg hinaus und rüber zum Osteingang. Nichts Ungewöhnliches. Ein Arzt mit Passierschein kann sich frei im Sperrgebiet bewegen… Aber, lieber Gott, Alex, wer? Carlos ist auf dem Weg hierher nach Paris! Was er in Washington wollte, hat er bekommen. Er hat mich gefunden, uns gefunden. Mehr wollte er nicht!«

«DeSole«, sagte Conklin ruhig.»DeSole wußte von mir und Mo Panov. Ich drohte der CIA mit uns beiden, und DeSole saß im Konferenzzimmer.«

«Ich kapiere nicht. Was sagst du da?«

«DeSole, Brüssel… Medusa.«

«Ah, ja, ich bin langsam.«

«Aber nicht er, David. Sie! Medusa. DeSole wurde bereits ausgeschaltet.«

«Zum Teufel mit ihnen! Wir lassen die Finger davon!«

«Aber Medusa nicht von dir. Du hast die Nuß geknackt. Sie wollen dich.«

«Nichts könnte mir weniger Sorgen machen. Ich habe dir bereits gestern gesagt, daß mich nur eine Sache interessiert: Paris, Argenteuil.«

«Du hast es zu einem Idioten gesagt«, bekannte Alex mit schwacher, völlig niedergeschlagener Stimme.»Gestern abend war ich bei Mo zum Essen. Ich habe ihm alles erzählt. Tranquility, deinen Flug nach Paris, Bernardine… alles!«

Brendan Patrick P. Prefontaine stand zwischen den wenigen Trauergästen auf dem Friedhof der Insel Tranquility einem Plateau auf dem höchsten Hügel der Insel. Die zwei großartigen Särge, die der Besitzer des Tranquility Inn gestiftet hatte, wurden in ihr Grab hinuntergelassen, während die einheimischen Priester, die zweifellos einen toten Hühnerhals im Mund hatten, ihre unverständlichen Segnungen in der Voodoo-Sprache murmelten.»Jean Pierre Fontaine «und seine Frau ruhten in Frieden.

Und Prefontaine, der kontrollierte Alkoholiker und Straßenanwalt vom Harvard-Square, hatte seinen Fall gefunden. Einen Fall, den er nicht bloß annahm, um überleben zu können — und das war an sich schon bemerkenswert. Randolph Gates, Lord Randolph of Gates, der Dandy Randy der Gerichtshöfe, Liebling der Eliten, war in Wirklichkeit ein Schurke, ein Todesengel. Die Zusammenhänge wurden allmählich immer deutlicher, unter anderem auch, weil Prefontaines Verstand zunehmend klarer wurde. Er hatte nämlich beschlossen, künftig auf die morgendlichen vier Wodkas zu verzichten. Gates hatte die entscheidende Information geliefert, die den Killern den Weg nach Tranquility Island gezeigt hatte. Warum?… Doch das war eigentlich, selbst juristisch, irrelevant. Die Tatsache, daß er den Ort verraten hatte und daß er wußte, was die Killer dort wollten, war es nicht. Das war Beihilfe zum Mord, zu mehrfachem Mord. Aber er hatte Dandy Randys Männlichkeit im Schraubstock, und den würde er zudrehen, so lange, bis er die Information hatte, die den Webbs helfen würde, besonders der wunderbaren kastanienbraunen Frau, der er, bei Gott, gerne fünfzig Jahre früher begegnet wäre.

Prefontaine flog noch am selben Morgen zurück nach Boston, nicht ohne John St. Jacques vorher zu fragen, ob er eines Tages wiederkommen dürfte. Vielleicht auch ohne im voraus bezahlte Reservierung…?

«Richter, mein Haus ist Ihr Haus«, war die Antwort.»Vielleicht kann ich mir Ihr Entgegenkommen sogar noch verdienen.«

Albert Armbruster, Vorsitzender der

Bundeshandelskommission, stand vor der steilen Treppe zu seinem Haus in Georgetown.»Sprechen Sie morgen früh erst mit dem Büro«, sagte er zu seinem Chauffeur, der ihn gerade nach Hause gefahren hatte.»Wie Sie wissen, fühle ich mich zur Zeit nicht gut.«

«Ja, Sir. Brauchen Sie Hilfe, Sir?«

«Verflucht, nein. Hauen Sie ab.«

«Ja, Sir. «Der Chauffeur setzte sich hinter sein Steuer. Er ließ den Motor aufheulen, als er die Straße hinunterjagte — was nicht als Höflichkeitsbeweis gedacht war.

Der übergewichtige Armbruster kletterte mühsam die Stufen hinauf. Er fluchte, als er die Silhouette seiner Frau hinter der Glastür des viktorianischen Eingangs sah.»Scheiß-Kläffer«, murmelte er, als er fast oben angelangt war. Gleich würde er seinem langjährigen Gegner wieder gegenüberstehen. Sie waren seit über dreißig Jahren verheiratet.

Da explodierte irgendwo in der Dunkelheit ein Schuß. Armbruster warf die Arme nach oben, seine Handgelenke gebogen, als wollten die Finger das Chaos im Körper lokalisieren. Es war zu spät. Der Vorsitzende der Bundeshandelskommission kollerte die Steinsrufen hinunter und schlug mit seinem ganzen Gewicht auf das Pflaster.

Borowski zog sich die französische Leinenhose an, schlüpfte in ein kurzärmeliges Hemd und in die Safari-Jacke, steckte Geld, Waffe und alle seine Ausweise — echte und falsche — in seine Taschen, stopfte sein Bett mit Kissen aus und hängte seine Reisekleidung deutlich sichtbar über den Stuhl. Dann verließ er seinen Stützpunkt. Er schlenderte lässig am Empfangstisch vorbei, aber sobald er auf der Straße war, rannte er zum nächsten Telefonhäuschen. Er wählte die Nummer von Bernardines Wohnung.

«Hier ist Simon«, sagte er.

«Dachte ich mir«, antwortete der Franzose.»Besser gesagt, ich habe es gehofft. Ich habe gerade mit Alex gesprochen und ihm gesagt, er soll mir nicht verraten, wo Sie sind. Was ich nicht weiß, kann auch keiner von nur erfahren… Trotzdem würde ich, wenn ich Sie wäre, woanders hingehen, zumindest für die Nacht. Sie könnten am Flughafen gesehen worden sein.«

«Und Sie?«

«Ich bin ein canard.«

«Eine Ente?«

«Von der sitzenden Art. Meine Wohnung wird beschattet. Vielleicht bekomme ich Besuch. Das würde passen, n'est-ce pas?«

«Sie haben Ihrem Büro nichts gesagt über…«

«Über Sie?«unterbrach Bernardine.»Wie könnte ich, Monsieur?! Wir kennen uns überhaupt nicht. Meine Schutzengel vom Bureau glauben, ich hätte einen Drohanruf von einem alten psychopathischen Gegner bekommen…! Sie habe ihn allerdings schon vor Jahren nach Übersee verfrachtet und nur die Akte niemals geschlossen.«

«Können Sie mir das über Ihr Telefon sagen?«

«Ich dachte, ich hätte gesagt, daß es ein einmaliges Instrument ist.«

«Haben Sie.«

«Es kann nicht angezapft werden… Sie brauchen Ruhe, Monsieur. Dringend. Suchen Sie sich ein Bett, dabei kann ich Ihnen nicht helfen.«

«Ruhe ist eine Waffe«, zitierte Jason eine lebenswichtige Wahrheit in einer Welt, die er verabscheute, sogar eine überlebenswichtige.

«Wie bitte?«

«Nichts. Ich suche mir also ein Bett und rufe Sie morgen an.«

«Dann bis morgen. Bonne chance, man ami. Für uns beide.«

Er fand ein Zimmer im Avenir, einem billigen Hotel in der Rue Gay-Lussac. Er trug sich unter einem falschen Namen ein, den er sofort wieder vergaß, stieg zu seinem Zimmer hoch, zog sich aus und fiel ins Bett.»Ruhe ist eine Waffe«, sagte er laut zu sich selbst und starrte auf die flackernden Reflexe der Straße an der Decke. Ob man in einer Höhle im Gebirge oder in einem Reisfeld im Mekong-Delta Schlaf fand, das spielte keine Rolle. Ruhe war eine Waffe, manchmal mächtiger als eine großkalibrige Kanone. Das war eine Lektion, die ihm D'Anjou eingetrichtert hatte, der Mann, der in einem Wald bei Peking sein Leben gelassen hatte, um Jason Borowski zu retten. Ruhe ist eine Waffe. Er berührte die Bandage um seinen Hals, ohne sie wirklich zu fühlen, dann kam der Schlaf.

Er wachte langsam auf, vorsichtig. Das Geräusch des Straßenverkehrs drang durchs Fenster, metallisches Hupen, unregelmäßiges Aufheulen wütender Motoren… Ein normaler Morgen in den engen Straßen von Paris. Mit steifem Hals schwang er die Beine aus dem viel zu weichen Bett und sah auf die Uhr. Er erschrak. Es war 10.07 Uhr — Pariser Zeit. Er hatte beinahe elf Stunden geschlafen. Sein Magen knurrte vor Hunger.

Das Essen mußte allerdings warten. Er wollte vorher Bernardine anrufen und dann das Hotel Pont-Royal daraufhin untersuchen, ob es sicher genug war. Er stand vollends auf. Einen Moment lang fühlten sich Beine und Füße taub an. Er brauchte eine heiße Dusche, die er im Avenir nicht bekommen konnte. Und ein paar Gymnastik-Übungen — noch vor ein paar Jahren hätte er die nicht nötig gehabt. Er zog Bernardines Karte aus seiner Hose und ging zum Telefon neben dem Bett. Dann wählte er die Nummer.

«Le canard hatte keinen Besuch«, sagte der Veteran.»Nicht den Hauch eines Jägers, was, wie ich annehme, gute Nachrichten sind.«

«Nicht, solange wir Panov nicht gefunden haben. Diese Bastarde!«

«Ja, damit müssen wir immer rechnen. Das ist der schlimmste Aspekt unserer Arbeit.«

«Verdammt, ich kann über einen Mann wie Panov nicht mit einem >Damit muß man immer rechnen< hinweggehen!«

«Das verlange ich auch nicht von Ihnen. Ich habe nur gesagt, wie es ist. Ihre Gefühle in Ehren, aber sie ändern nicht die Realität. Ich wollte Sie nicht verletzen.«

«Und ich wollte Ihnen nicht über den Mund fahren. Tut mir leid. Es ist nur, er ist ein ganz besonderer Mensch.«

«Ich verstehe… Was sind Ihre Pläne? Was brauchen Sie?«

«Das weiß ich noch nicht«, antwortete Borowski.»Ich hole den Wagen, und eine Stunde später oder so weiß ich mehr. Werden Sie zu Hause oder im Bureau sein?«

«Bis ich von Ihnen höre, werde ich in meiner Wohnung bleiben, an meinem einmaligen Telefon. Unter diesen Umständen ziehe ich es vor, daß Sie mich nicht im Bureau anrufen.«

«Ah, ja?«

«Ich kenne nicht mehr alle im Deuxieme, und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste… Bis später, man ami.«

Jason legte auf und war versucht, gleich anschließend im Pont-Royal anzurufen. Aber er war in Paris, der Stadt der Diskretion, wo Hotelangestellte über Telefon nur ungern Auskünfte erteilten, und schon gar nicht Gästen, die sie nicht kannten. Er zog sich schnell an, ging hinunter, bezahlte und trat auf die Rue Gay-Lussac hinaus. An der Ecke war ein Taxistand. Acht Minuten später sagte er in reinstem Französisch zum Portier des Pont Royal:»Ich bin Monsieur Simon, und ich wohne hier. «Er gab seine Zimmernummer an.»Ich traf eine alte Freundin und bin heute nacht außer Haus geblieben. Wissen Sie vielleicht, ob jemand nach mir gefragt hat?«Borowski holte mehrere größere Francscheine heraus.

«Merci bien, monsieur… Ich verstehe. Ich kann den Nachtportier noch mal fragen, aber ich bin sicher, daß er mir eine Notiz hinterlassen hätte, wenn jemand persönlich nach Ihnen gefragt hätte. Allerdings ist hier tatsächlich eine Nachricht für Sie.«

«Was steht auf dem Zettel?«fragte Borowski und hielt den Atem an.

«Sie sollen Ihren Freund in Amerika anrufen. Er hat die ganze Nacht versucht, Sie zu erreichen. Ich kann das nur bestätigen, Monsieur. Der letzte Anruf liegt keine dreißig Minuten zurück.«

«Dreißig Minuten?«sagte Jason, starrte erst den Portier an und dann auf seine Uhr.»Es ist jetzt fünf Uhr früh drüben… die ganze Nacht?«Der Angestellte nickte. Borowski ging zum Fahrstuhl.

«Alex, was ist los? Sie haben mir gesagt, daß du…«

«Bist du im Hotel?«unterbrach Conklin schnell.

«Ja.«

«Geh in eine Telefonzelle und rufe mich wieder an. Beeil dich.«

Wieder der klappernde, schwerfällige Fahrstuhl, das verblichene Dekor der Lobby, in der eine Handvoll parlierender Gäste herumstand, auf halbem Weg in die Bar, wo sie ihren morgendlichen Aperitif zu sich nehmen würden. Und wieder die strahlende Sommersonne, die stinkende Luft und der stockende Verkehr. Wo war ein Telefon? Er lief die Straße Richtung Seine hinunter. Wo war ein Telefon? Dort! Auf der anderen Straßenseite, ein rotgiebeliges Häuschen, mit Plakaten zugeklebt.

Er stürzte sich zwischen die Autos und kleinen Transporter, achtete nicht auf die wütend hupenden Fahrer und erreichte die Zelle. Er warf eine Münze ein, wartete, erklärte der Telefonistin, daß er nicht Österreich anrufen wolle und daß sie doch deshalb bitte seine AT&T-Kreditkartennummer akzeptieren könne… Sie stellte das Gespräch nach Vienna, Virginia, durch.

«Warum, zum Teufel, konnte ich dich nicht vom Hotel aus anrufen?«Borowski war genervt.»Ich hab dich doch heute nacht auch von dort angerufen.«

«Das war heute nacht.«

«Irgendwelche Nachrichten von Mo?«

«Noch nicht, aber sie haben einen Fehler gemacht. Vielleicht haben wir damit eine Spur zu dem Armeearzt.«

«Brecht ihm den Hals.«

«Mit Vergnügen. Aber vorher nehme ich meinen Fuß ab und hau ihm damit so lange in die Fresse, bis er sich kooperativ zeigt. Wenn die Spur was taugt.«

«Aber deswegen hast du mich doch nicht die ganze Nacht angerufen, oder?«

«Nein. Ich war gestern fünf Stunden bei Peter Holland. Ich bin zu ihm, kurz nachdem ich mit dir gesprochen hatte. Und seine Reaktion war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte, mit ein paar großzügigen Breitseiten als Dreingabe.«

«Medusa?«

«Ja. Er besteht darauf, daß du sofort zurückkommst. Du bist der einzige, der wirklich etwas weiß. Es ist ein Befehl.«

«Scheiße! Er kann überhaupt nichts von mir verlangen und mir noch weniger Befehle erteilen.«

«Er kann dich austrocknen, und ich kann nichts machen.«

«Bernardine hat seine Hilfe angeboten. Was immer Sie brauchen, das waren seine Worte.«

«Bernardine hat begrenzte Möglichkeiten. Wie ich auch. Er kann Leute einspannen, die ihm Dank schuldig sind, aber ohne Zugang zur ganzen Maschinerie…«

«Hast du Holland gesagt, daß ich alles, was ich weiß, aufschreiben werde, jede Antwort auf jede Frage, die ich gestellt habe?«

«Wirst du?«

«Ja, verdammt.«

«Er nimmt es dir nicht ab. Er will dich befragen. Papier kann er nicht befragen.«

«Ich bin dem Schakal zu dicht auf der Spur! Ich werde es nicht tun. Warum kann er das nicht einsehen?!«»Ich glaube, er wollte es einsehen«, sagte Conklin.»Er weiß schließlich, was du durchgemacht hast und was du jetzt durchmachst. Aber nach sieben hat er doch dichtgemacht.«

«Nach sieben? Warum das?«

«Armbruster wurde vor seinem Haus erschossen. Angeblich ein Raubüberfall, was natürlich nicht stimmt.«

«Oh, mein Gott!«

«Es gibt noch ein paar Dinge, die du wissen mußt. Erstens geben wir den Selbstmord von Swayne bekannt.«

«Um Himmels willen, warum?«

«Um den Mörder glauben zu lassen, daß er aus dem Schneider ist, und, noch wichtiger, um zu sehen, wer sich in der nächsten Woche oder so blicken läßt.«

«Bei der Beerdigung?«

«Nein, das ist eine geschlossene Familienfeier, keine Gäste, keine formelle Angelegenheit.«

«Wer soll sich dann wo blicken lassen?«

«Auf dem Grundstück, wie auch immer. Wir haben Swaynes Anwalt kontaktiert, sehr offiziell natürlich, und er hat bestätigt, daß Swayne sein ganzes Grundstück einer Stiftung vermacht hat.«

«Welcher?«fragte Borowski.

«Nie gehört. Vor ein paar Jahren von wohlhabenden Freunden des berühmten wohlhabenden Generals ins Leben gerufen. So rührend wie nur möglich. Sie läuft unter dem Namen Seniorenheim für Soldaten, Seeleute und Matrosen und hat sogar einen Vorstand.«

«Medusa-Leute.«

«Oder ihre Vertreter. Wir werden sehen.«

«Alex, was ist mit den Namen, die ich dir gegeben habe?

Die sechs oder sieben Namen, die ich von Flannagan hatte. Und die Liste mit den Nummernschildern von den Meetings?«

«Hübsch, sehr hübsch«, sagte Conklin rätselhaft.

«Hübsch?«

«Die Namen. Die Leute sind der Bodensatz der Schickimicki-Gesellschaft, keine Verbindung zur Oberschicht von Georgetown. Aus dem National Enquirer, nicht der Washington Post.«

«Aber die Nummernschilder, die Meetings! Das muß doch ein Schlüssel sein.«

«Noch hübscher«, bemerkte Alex.»Nichts als Scheiße… Jede dieser Nummern ist auf eine Autofirma eingetragen. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie authentisch die Namen wären, selbst wenn wir sie hätten.«

«Und der Friedhof da draußen?«

«Wo ist er? Wie groß, wie klein ist er? Es sind zwölf Hektar… «

«Schaut ihn euch doch mal an…«

«Und dann geben wir bekannt, was wir wissen?«

«Du hast recht. Du machst das schon richtig… Alex, sag Holland, daß du mich nicht erreicht hast.«

«Machst du Witze?«

«Nein, wirklich. Gib Holland das Hotel und den Namen und sage ihm, er soll selbst anrufen oder jemanden von der Botschaft schicken, um nachzusehen. Der Portier wird schwören, daß ich gestern gebucht habe und daß er mich seitdem nicht mehr gesehen hat. Kauf mir ein paar Tage, bitte.«

«Holland kann trotzdem alle Drähte ziehen, und wahrscheinlich wird er das auch tun.«

«Wird er nicht, wenn er glaubt, daß ich zurückkomme, sobald du mich gefunden hast. Ich möchte, daß er sich um Mo

kümmert. Und du, halte meinen Namen von Paris fern. Im Guten oder Schlechten, kein Webb, kein Simon, kein Borowski!«

«Ich werd's versuchen.«

«War sonst noch was? Ich hab viel zu tun.«

«Ja. Casset fliegt heute nach Brüssel. Er wird Teagarten festnageln. Auf den brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen, und dich berührt das nicht.«»In Ordnung.«

In einer Nebenstraße in Anderlecht, vier Kilometer südlich von Brüssel, parkte eine Limousine mit der Standarte eines Vier-Sterne-Generals vor einem Straßencafe. General James Teagarten, NATO-Oberbefehlshaber, stieg schneidig aus dem Wagen in das strahlende Licht der Nachmittagssonne. An seiner Brust glänzten die Orden in vier Reihen. Er drehte sich um und bot seine Hand einem umwerfenden weiblichen Major, der sich lächelnd aus dem Wagen helfen ließ. Galant, aber mit militärischer Autorität ließ Teagarten nun ihre Hand los und führte sie zu ein paar Tischen mit Sonnenschirmen, die im Garten standen. Bis auf einen waren alle besetzt. Das Summen der Gespräche, das Klirren der Weingläser, das Klappern des Bestecks auf den Tellern brach plötzlich ab. Die Blicke richteten sich auf den General, der wohlwollend lächelte und seine Dame an den leeren Tisch führte, auf dem eine kleine Karte stand:

Reserve.

Der Besitzer, die beiden Kenner wie verängstigte Pinguine im Schlepptau, flog praktisch zwischen den Tischen hindurch, um seine erlesenen Gäste zu begrüßen. Nachdem eine eisgekühlte Flasche Corton-Charlemagne serviert worden war, diskutierte man das Menü. Ein kleiner belgischer Junge von fünf oder sechs Jahren kam schüchtern zum Tisch des Generals und salutierte. Dann lächelte er. Teagarten stand auf, nahm seinerseits Haltung an und grüßte das Kind zurück.

«Vous etes un soldat distingue, mon camarade«, sagte der General. Seine Kasernenstimme hallte durch den Garten, sein breites Lächeln gewann die Gäste, die beifällig applaudierten. Das Kind zog sich zurück, und die Vorspeisen wurden aufgetragen.

Eine gute Stunde später trat der Chauffeur an den Tisch, ein Feldwebel, dessen Gesichtsausdruck Angst verriet. Ein dringender Anruf über das Sicherheitstelefon. Er reichte Teagarten einen Zettel.

Der General stand auf. Sein gebräuntes Gesicht war blaß geworden. Er sah sich im mittlerweile halbleeren Restaurantgarten um. Seine Augen waren schmal, wütend und ängstlich. Er griff in seine Tasche, holte einen gefalteten Packen belgischer Banknoten heraus und legte einige große Scheine auf den Tisch.»Komm«, sagte er zu seiner weiblichen Begleitung,»laß uns gehen… Fahren Sie«, wandte er sich an den Chauffeur,»fahren Sie den Wagen vor.«

«Was ist denn?«fragte die Dame.

«London. Über Funk. Armbruster und DeSole sind tot.«

«Oh, mein Gott! Wie?«

«Spielt keine Rolle. Was immer sie sagen, es ist gelogen.«

«Was ist denn passiert?«

«Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß wir hier weg müssen. Komm!«

Der General und sein» Major «eilten davon, durch den Garteneingang — es war ein Gitterbogen mit roten Buschrosen — und zum Wagen. Zu beiden Seiten des Kühlers fehlte etwas. Der Feldwebel hatte die beiden rot-goldenen Raggen entfernt, die den beeindruckenden Rang seines Vorgesetzten anzeigten. Oberkommandierender der NATO. Der Wagen schoß davon, und keine fünfzig Meter weiter passierte es.

Eine gewaltige Explosion blies das Fahrzeug in den Himmel. Glassplitter, Blechteile, Fleischfetzen und Blutspritzer verteilten sich über die schmale Straße in Anderlecht.

«Monsieur!«schrie der versteinerte Kellner, als Horden von Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern mit ihrer scheußlichen Arbeit auf der Straße begannen.

«Was ist los?«antwortete der Besitzer des Straßencafes. Er zitterte immer noch. Das barsche Verhör der Polizei und die aufdringlichen Fragen der Journalisten hatten ihm den Rest gegeben.»Ich bin ruiniert. Wir werden als Cafe de la Mort bekannt werden — das Cafe des Todes.«

«Monsieur, sehen Sie nur!«Der Kellner zeigte auf den Tisch, wo der General mit seiner Begleiterin gesessen hatte.

«Die Polizei hat schon alles untersucht.«

«Nein, Monsieur. Jetzt!«

Quer über die Marmorplatte des Tisches stand mit rotem Lippenstift in Großbuchstaben ein Name geschrieben: JASON BOROWSKI.

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