Alexander Conklin faßte seinen Stock fester, als er in den Konferenzraum der Central Intelligence Agency in Langley, Virginia, hinkte. Er stand vor einem langen, beeindruckenden Tisch, groß genug, um dreißig Personen Platz zu bieten, aber statt dessen saßen nur drei Personen um ihn herum. Der Mann am Kopfende war der grauhaarige DCI, Direktor der Central Intelligence. Weder er noch seine beiden höchstrangigen Stellvertreter schienen erfreut, Conklin zu sehen. Die Begrüßung verlief förmlich, und statt den offenbar für ihn vorgesehenen Platz neben dem CIA-Beamten zur Linken des DCI einzunehmen, zog Conklin einen der Stühle am unteren Ende des Tisches hervor, setzte sich und lehnte seinen Stock mit einem Knall gegen die Tischkante.
«Nun, wo wir uns begrüßt haben, können wir ja zur Sache kommen, meine Herren.«
«Das ist kein sehr höflicher oder freundlicher Einstieg, Mr. Conklin«, bemerkte der Direktor.
«Ich habe im Moment weder Höflichkeit noch Freundlichkeit im Sinn, Sir. Ich möchte einfach nur wissen, wieso wasserdichte Four-Zero-Regeln nicht beachtet und äußerst geheime Informationen herausgegeben werden und man so das Leben einiger Leute gefährdet, unter anderen meines!«
«Das ist unerhört, Alex!«unterbrach einer der beiden Stellvertreter.
«Völlig unwahr!«fügte der zweite hinzu.»Völlig unmöglich, und das weißt du auch.«
«Ich weiß es nicht, und es ist geschehen, und ich werde euch sagen, was unerhört wahr ist«, sagte Conklin wütend.»Da draußen irgendwo ist ein Mann mit einer Frau und zwei Kindern, ein Mann, dem dieses Land und ein großer Teil der
Welt mehr verdanken, als irgend jemand je gutmachen könnte, und er ist auf der Flucht, er muß sich verstecken, steht Todesängste aus, weil er und seine Familie zu Zielscheiben geworden sind. Wir haben ihm unser Wort gegeben, wir alle, daß kein Teil dieser Berichte jemals ans Licht kommen würde, bevor nicht zweifelsfrei feststände, daß Ilich Ramirez Sanchez, auch als Carlos, der Schakal, bekannt, tot sein würde… Gut, ich habe dieselben Gerüchte wie Sie gehört, wahrscheinlich aus denselben oder sogar aus besseren Quellen, daß der Schakal hier gekillt oder dort hingerichtet worden sei, aber niemand, ich wiederhole, niemand hat eindeutige Beweise vorgelegt… Dennoch sind Informationen durchgesickert, ein sehr wichtiger Teil, und das betrifft mich direkt, weil mein Name dabei ist… meiner und der von Dr. Morris Panov. Wir waren die einzigen, ich wiederhole, die einzigen bekannten Personen, die engstens mit dem unbekannten Mann zusammengearbeitet haben, der den Namen Jason Borowski annahm, der in mehr Bereichen, als wir sie zählen können, als Rivale von Carlos im Tötungsgeschäft galt. Diese Informationen sind hier in Langley unter Verschluß. Wie sind sie herausgekommen? Gemäß den Vereinbarungen sollte jeder, der Zugang zu den Informationen haben wollte — egal, ob das Weiße Haus, das Auswärtige Amt oder der Heilige Generalstab —, sich an das Büro des Direktors und seines Chefanalytikers hier in Langley wenden. Jede Einzelheit eines Gesuchs muß bis ins Detail untersucht werden, und selbst wenn man hinsichtlich der Legitimation zufriedengestellt ist, gibt es eine letzte Hürde: mich. Bevor wer auch immer Zugang erhält, muß mit mir Verbindung aufgenommen werden, und im Fall meines Todes muß Dr. Panov kontaktiert werden. Und jeder von uns beiden ist berechtigt, alles glattweg abzulehnen. So liegen die Dinge nun mal, meine Herren, niemand kennt die Regeln besser als ich, schließlich habe ich sie selbst geschrieben. Und zwar hier in Langley, weil es der Platz war, den ich am besten kannte. Nach achtundzwanzig Jahren in diesem verdammten
Geschäft war das meine letzte Handlung — mit der vollen Unterstützung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Zustimmung des Kongresses, des Parlaments und des Senats durch ihre Sonderausschüsse zu Geheimdienstfragen.«
«Das ist schweres Geschütz, Mr. Conklin«, kommentierte der grauhaarige Direktor bewegungslos mit klangloser, neutraler Stimme.
«Es gibt schwerwiegende Gründe, die Kanonen aufzufahren.«
«Das nehme ich an. Eine der Kugeln hat mich getroffen.«
«Das sollte sie auch. Und jetzt zur Frage der Verantwortung: Ich möchte wissen, wie die Information hier rausgekommen ist, und noch wichtiger, wer sie erhalten hat.«
Die beiden stellvertretenden Direktoren begannen gleichzeitig zu sprechen, ebenso wütend wie Alex, wurden aber vom DCI unterbrochen, der ihre Arme berührte, in der einen Hand eine Pfeife, in der anderen ein Feuerzeug.»Immer mit der Ruhe. Sagen Sie, Mr. Conklin«, meinte der Direktor und zündete seine Pfeife an,»Sie kennen offenbar meine beiden Vertreter, aber Sie und ich, wir sind uns noch nie begegnet, oder?«
«Nein. Ich habe vor viereinhalb Jahren den Abschied genommen, und Sie wurden ein Jahr danach ernannt.«
«Wie viele andere — ganz zu Recht, wie ich glaube hielten Sie es für eine Ernennung auf Grund von Beziehungen.«
«Das war es ja wohl auch, aber ich habe damit keine Schwierigkeiten gehabt. Sie schienen mir immer qualifiziert zu sein. Meiner Information nach waren Sie ein unpolitischer Admiral in Annapolis mit Geheimdienstaufgaben, der im Vietnamkrieg zufällig mit einem FMF-Marineoberst zusammenarbeitete, der später Präsident wurde. Andere wurden dabei übergangen, aber so etwas passiert. Keine Probleme.«
«Danke. Aber Sie haben Probleme mit meinen stellvertretenden Direktoren?«
«Das ist Vergangenheit, doch ich könnte sowieso nicht sagen, daß einer von ihnen je ein wirklicher Freund eines CIA-Agenten draußen bei der Truppe gewesen wäre. Sie sind Analytiker, Strategen, keine Praktiker.«
«Ist das nicht eine natürliche Aversion, die übliche Feindschaft?«
«Natürlich. Sie ziehen ihre Schlüsse Tausende von Kilometern vom Einsatzort entfernt, mit Computern, von denen keiner weiß, wer sie programmiert hat, und mit Daten, die den Agenten draußen ebenfalls unbekannt sind. Sie haben verdammt recht, daß es eine natürliche Aversion ist. Draußen geht es um die Wirklichkeit. Die hier haben mit kleinen grünen Buchstaben auf Computerbildschirmen zu tun und treffen Entscheidungen, die sie oft besser nicht treffen sollten.«
«Weil Leute wie du kontrolliert werden müssen«, warf der Stellvertreter zur Rechten des Direktors ein.»Wie oft, selbst heute, fehlt Männern und Frauen wie euch das Gesamtbild? Die gesamte Strategie ist wichtig und nicht nur ein Teil davon.«
«Dann müßte eben ein besseres Bild übermittelt werden oder zumindest ein Überblick, damit wir selbst herausfinden können, was sinnvoll ist und was nicht.«
«Und wo endet der Überblick, Alex?«fragte der Stellvertreter zur Linken des DCI.»An welchem Punkt müssen wir sagen: >Das können wir nicht freigeben… zum Besten aller Beteiligtem?«:
«Ich weiß nicht. Ihr seid die Strategen, nicht ich. Von Fall zu Fall, denke ich, aber auf jeden Fall müßte die Kommunikation besser sein, als ich sie jemals draußen bekommen habe… Doch Moment mal. Nicht ich stehe hier zur Debatte, sondern Sie. «Alex sah den Direktor an.»Sehr geschickt, Sir, aber ich gehe auf den Themawechsel nicht ein. Ich bin hier, um herauszufinden, wer was bekam und wie. Wenn Sie es lieber haben, gehe ich direkt zum Weißen Haus oder zum Capitol und schaue zu, wie ein paar Köpfe rollen. Ich erwarte Antworten.«
«Ich wollte nicht ablenken, Mr. Conklin, sondern nur für einen Moment das Thema wechseln, um auf einen bestimmten Punkt zu kommen. Sie hatten offenbar Einwände gegen die Methoden und die Kompromisse, die in der Vergangenheit von meinen Kollegen angewandt worden sind, aber hat Sie jemals einer von ihnen in die Irre geführt oder angelogen?«
Alex warf einen kurzen Blick auf die beiden Stellvertreter.»Nur wenn sie mich anlügen mußten und wenn es nichts mit meinem Außendienst zu tun hatte.«
«Das ist ein merkwürdiges Argument.«
«Wenn sie es Ihnen nicht gesagt haben, dann hätten sie es tun sollen. Ich war Alkoholiker, vor fünf Jahren — und ich bin es noch, aber ich trinke nicht mehr. Ich habe nur noch die Zeit bis zu meiner Pensionierung abgesessen, weshalb mir niemand etwas sagte, und sie hätten es auch nicht wagen dürfen.«
«Zu Ihrem besseren Verständnis: Meine Kollegen haben mir lediglich gesagt, Sie seien krank gewesen und daß Sie nicht bis zum Ende auf der Höhe Ihrer gewohnten Leistungsfähigkeit waren.«
Wieder sah Conklin die beiden Stellvertreter an und nickte beiden zu.»Danke, Casset, und dir auch, Valentino, aber das hättet ihr nicht tun sollen. Ich war ein Trunkenbold, und so was sollte kein Geheimnis sein, das hat mit meiner Person nichts zu tun.«
«Aus dem, was wir über Hongkong gehört haben, hast du dort einen Teufelsjob geleistet«, sagte der mit Casset Angesprochene.»Davon wollten wir nicht ablenken.«
«Du hast uns Zahnschmerzen bereitet, solange ich denken kann«, fügte Valentino hinzu.»Aber trotzdem konnten wir dich nicht als einen einfachen Alkoholiker erscheinen lassen.«
«Schwamm drüber. Kommen wir zurück auf Jason Borowski. Deswegen bin ich hier, deshalb mußten Sie mich empfangen.«
«Und allein deswegen bin ich einen Moment ausgewichen, Mr. Conklin. Sie hatten professionelle
Meinungsverschiedenheiten mit meinen Stellvertretern, aber ich nehme an, daß Sie nicht an ihrer Integrität zweifeln.«
«Bei anderen schon, aber nicht bei Casset oder Val. Was mich angeht, so haben sie ihren Job gemacht und ich meinen. Es lag am System. Aber jetzt und hier liegt der Fall anders. Die Regeln sind eindeutig und absolut. Und da ich nicht kontaktiert worden bin, müssen sie gebrochen worden sein, ich wurde hinters Licht geführt, man hat mich angelogen. Ich wiederhole also meine Frage: Wie ist es geschehen, und wer hat die Information erhalten?«
«Das ist alles, was ich hören wollte«, sagte der Direktor und griff zum Telefon auf dem Tisch.»Rufen Sie bitte Mr. DeSole an und bitten Sie ihn, in den Konferenzraum zu kommen. «Der DCI legte auf und wandte sich an Conklin.»Ich nehme an, Sie kennen Steven DeSole.«
«DeSole, stumm wie ein Grab. «Alex nickte.
«Wie bitte?«
«Es ist ein alter Spruch hier«, erklärte Casset dem Direktor.»Steve weiß, wo die Leichen liegen, aber wenn die Zeit kommt, dann wird er nicht einmal dem lieben Gott was verraten, wenn der ihm nicht die Four-Zero-Bestätigung vorlegt.«
«Ich glaube, das bedeutet, daß Sie alle drei und insbesondere Mr. Conklin, Mr. DeSole für einen echten Profi halten?«
«Ich werde darauf antworten«, sagte Alex.»Er wird Ihnen alles sagen, was Sie wissen müssen, aber nicht mehr. Und er wird Sie auch nicht anlügen. Er wird seinen Mund halten oder sagen, daß er nichts sagen kann, aber er wird niemanden anlügen.«
«Auch das wollte ich hören. «Es gab ein kurzes Klopfen an der Tür, und der Direktor rief:»Herein. «Ein Mann mittlerer Größe, etwas übergewichtig, betrat den Raum und schloß die Tür hinter sich. Seine Augen wurden durch seine Stahlrahmenbrille stark vergrößert. Ein beiläufiger zweiter Blick zeigte ihm auch Alexander Conklin, dessen Anblick ihn offensichtlich erschrecken ließ. Doch sekundenschnell ging sein Schreck in freudige Überraschung über. Er lief mit ausgestreckter Hand zu Conklins Stuhl.
«Schön, dich zu sehen, alter Junge. Muß ja jetzt schon zwei oder drei Jahre her sein, oder?«
«Wohl eher vier, Steve«, antwortete Alex und schüttelte ihm die Hand.»Wie geht es dem Oberstrategen und — analytiker, dem Hüter der Schlüssel?«
«Heutzutage gibt es nicht viel zu analysieren oder wegzuschließen. Das Weiße Haus ist ein Sieb, und der Kongreß ist nicht viel besser. So gesehen, dürfte ich nur noch die Hälfte verdienen, aber sag's nicht weiter.«
«Trotzdem behalten wir immer noch ein paar Dinge für uns, nicht wahr?«unterbrach der DCI lächelnd.»Zumindest von früheren Operationen. Vielleicht hätten Sie damals das Doppelte bekommen müssen.«
«So wird es wohl sein. «DeSole schüttelte humorvoll seinen Kopf, als er die Hand von Conklin losließ.»Die Tage der Archivhüter und der bewaffneten Transporte in unterirdische Lager sind vorüber. Heute ist alles computerisiert und wird von hoch oben gesteuert. Ich brauche nicht mehr auf diese wunderbaren Reisen zu gehen, unter militärischer Beobachtung, in der Hoffnung, vielleicht von der wunderbaren Mata Hari überfallen zu werden. Seit ewigen Zeiten ist mir kein Koffer mehr ans Handgelenk geschlossen worden.«
«So lebt sich's viel sicherer«, sagte Alex.
«Aber es passiert nichts, worüber ich mit meinen Enkeln sprechen könnte, alter Junge. >Was hast du denn gemacht als großer Spion, Opa?< Hauptsächlich Kreuzworträtsel gelöst in den letzten Jahren.<«
«Seien Sie vorsichtig, Mr. DeSole«, sagte der DCI lächelnd.»Vielleicht sollte ich doch eine Empfehlung schreiben, Ihnen den Lohn zu kürzen. Aber natürlich glaube ich Ihnen nicht einen Moment lang.«
«Ich auch nicht. «Conklin sprach ruhig und wütend.»Dies hier ist eine Untersuchung«, fügte er hinzu und fixierte den übergewichtigen Analytiker.
«Was soll das heißen?«fragte DeSole.
«Du weißt, weshalb ich hier bin. Oder?«
«Ich wußte nicht, daß du hier bist.«
«Oh, ich verstehe. Es hat sich einfach so ergeben, daß du zufällig da warst und auch gerade bereit, zu uns zu kommen.«
«Mein Büro ist unten in der Halle. Ziemlich weit unten, möchte ich hinzufügen.«
Conklin sah den DCI an.»Wiederum sehr geschickt, Sir. Sie holen drei Leute her, von denen Sie annehmen, daß ich mit ihnen, vom ganz Normalen mal abgesehen, keinen größeren Ärger hatte, drei Leute, von denen Sie glauben, daß ich ihnen von Grund auf vertraue. So werde ich schon glauben, was hier gesagt wird.«
«Im Grunde ist das richtig, Mr. Conklin, weil das, was Sie hören werden, die Wahrheit ist. Setzen Sie sich, Mr. DeSole. Vielleicht zu uns herüber, damit der ehemalige Kollege uns besser beobachten kann, wenn wir ihm die Sache erklären.«
«Ich habe verdammt noch mal nichts zu erklären«, sagte der Analytiker, als er zum Stuhl neben Casset ging.»Aber im Lichte der etwas groben Äußerungen unseres ehemaligen Kollegen würde ich ihn ganz gerne studieren. Bist du okay, Alex?«
«Er ist okay«, antwortete Valentino.»Zwar schlägt er auf die Falschen ein, aber er ist okay.«
«Die fragliche Information hätte nicht nach außen dringen können ohne das Einverständnis und die Kooperation der Leute in diesem Raum.«
«Welche Information?«fragte DeSole, indem er den DCI anschaute, wobei sich plötzlich seine Augen hinter den Brillengläsern noch mehr weiteten.»Oh, die Sache mit höchster Geheimhaltungsstufe, nach der Sie mich heute früh gefragt haben?«
Der Direktor nickte und sah wieder zu Conklin hinüber.»Beginnen wir mit heute früh. Vor sieben Stunden, kurz nach neun Uhr, erhielt ich einen Anruf von Edward McAllister, früher im Außenministerium und jetzt Vorsitzender des Bundesgeheimdienstes. Mir wurde gesagt, daß McAllister mit Ihnen, Mr. Conklin, in Hongkong gewesen ist, stimmt das?«
«Mr. McAllister war dabei«, antwortete Alex kurz.»Er flog inkognito mit Jason Borowski nach Macao, wo er so schwer angeschossen wurde, daß es ihn beinahe erwischt hätte. Er ist ein intellektueller Sonderling, aber trotzdem einer der tapfersten Männer, die ich je getroffen habe.«
«Er sagte nichts Genaueres, sondern nur, daß er da sei und daß ich notfalls meinen Terminkalender ändern müsse, weil unser Treffen mit Ihnen von höchster Dringlichkeit sei… Schweres Geschütz, Mr. Conklin.«
«Ich wiederhole, es gibt schwerwiegende Gründe.«
«Offensichtlich. Mr. McAllister gab mir die exakten, streng geheimen Kodes, mit denen man an die Akte kommt, von der Sie sprechen — die Unterlagen über die Hongkong-Operation. Ich meinerseits gab die Information an Mr. DeSole weiter. Lassen Sie uns hören, was er zu sagen hat.«
«Nichts ist angerührt worden, Alex«, sagte DeSole ruhig und sah Conklin an.»Bis heute früh, neun Uhr dreißig, lag alles vier
Jahre, fünf Monate, einundzwanzig Tage, elf Stunden und dreiundvierzig Minuten ohne Unterbrechung in der schwarzen Kassette, ob du es glaubst oder nicht.«
«Was diese Akte angeht, bin ich auf alles gefaßt.«
«Wie auch immer«, sagte DeSole sanft.»Man wußte von dir, daß du Probleme hattest, und Panov ist nicht so erfahren, was Sicherheitsprobleme angeht.«
«Worauf, zum Teufel, willst du hinaus?«
«Ein dritter Name wurde den Zugriffsformalitäten für die Hongkong-Akte hinzugefügt… Edward Newington MacAllister, auf seine eigene Veranlassung hin und mit dem Einverständnis sowohl des Präsidenten als auch des Kongresses. Dafür hat er gesorgt.«
«Oh, mein Gott«, sagte Conklin leise, zögernd.»Als ich ihn vergangene Nacht von Baltimore aus anrief, sagte er, es sei unmöglich. Dann sagte er, ich müsse mir selbst ein Bild machen und er werde diese Konferenz hier ansetzen… Jesus, was ist geschehen?«
«Ich würde sagen, daß wir in anderer Richtung suchen müssen«, sagte der DCI.»Aber bevor wir das tun, Mr. Conklin, müssen Sie eine Entscheidung treffen. Sie sehen, daß keiner von uns hier am Tisch etwas über den Inhalt dieser höchst geheimen Akte weiß. Wir haben uns natürlich darüber ausgetauscht, wobei klar wurde, daß wir alle nicht mehr wissen, als daß Sie in Hongkong einen Teufelsjob geleistet haben. Worum es aber genau ging, ist uns allen unbekannt. Wir kennen Gerüchte aus unserer Fernostabteilung, die die meisten von uns allerdings, offen gesagt, für übertrieben halten, doch es taucht immer wieder Ihr Name und der von Jason Borowski auf. Weiter heißt es, daß Sie für die Verhaftung und Hinrichtung des Killers, den wir als Borowski kennen, oder besser: kannten, verantwortlich waren. Aber vor wenigen Minuten haben Sie gesagt: >Der Mann, der den Namen Jason Borowski annahmc, womit Sie sagen, daß er lebt und sich irgendwo versteckt hält. Was also die Details angeht, wissen wir nichts, zumindest ich nicht.«
«Sie haben die Akte nicht eingesehen?«
«Nein«, antwortete DeSole.»Das war meine Entscheidung. Wie du vielleicht weißt oder auch nicht, wird jedes Öffnen einer Akte von höchster Geheimhaltung automatisch mit Datum und Stunde vermerkt. Da ich wußte, daß es bei einem illegalen Zugriff mächtige Aufregung geben würde, habe ich mich gehütet, mir das Ding anzusehen. Die Akte wurde also beinahe fünf Jahre lang nicht angerührt, folglich auch nicht gelesen, nicht einmal ihre Existenz war bekannt, und so kann sie auch nicht in die Hände der falschen Leute geraten sein, um wen immer es sich da handeln mag.«
«Du hast dich ja gründlich abgesichert.«
«Aber natürlich, Alex. Diese Akte trägt das Siegel des Weißen Hauses. Im Moment ist hier alles einigermaßen ruhig, und niemandem ist damit gedient, sich mit dem Oval Office anzulegen. Zwar sitzt da mittlerweile ein neuer Mann am Tisch, aber der frühere Präsident ist noch sehr lebendig und sehr eigensinnig. Er müßte konsultiert werden. Warum soll man sich Ärger aufhalsen?«
Conklin sah sich jedes Gesicht genau an und sagte ruhig:»Dann kennen Sie die Geschichte also wirklich nicht?«
«Das ist die Wahrheit, Alex«, sagte Casset.
«Mein Wort«, fügte Steven DeSole hinzu.
«Da Sie unsere Hilfe brauchen, könnten wir vielleicht das eine oder andere über die widersprüchlichen Gerüchte hinaus erfahren«, sagte der Direktor.»Ich weiß nicht, ob wir helfen können, aber ich weiß, daß wir manches absolut geheim machen können.«
Alex schaute sich nochmals jeden einzelnen an, wobei sich die Falten in seinem Gesicht deutlicher als sonst abzeichneten — als würde ihm die Entscheidung im Moment äußerst schwerfallen.»Seinen Namen werde ich Ihnen nicht sagen, weil ich ihm mein Wort gegeben habe… vielleicht später, nicht jetzt. Und er ist auch nicht in den Akten zu finden. Nur als Kode, aber auch darauf habe ich mein Wort gegeben. Das übrige erzähle ich Ihnen, weil ich Ihre Hilfe brauche. Wo soll ich anfangen?«
«Vielleicht bei diesem Treffen?«schlug der Direktor vor.»Wodurch ist es zustande gekommen?«
«In Ordnung, das geht schnell. «Conklin schaute nachdenklich auf die Tischplatte, griff abwesend nach seinem Stock und hob dann den Blick.»Vergangene Nacht wurde eine Frau in einem Vergnügungspark außerhalb von Baltimore getötet…«
«Ich habe heute früh darüber in der Post gelesen«, unterbrach ihn DeSole.»Mein Gott, warst du…«
«Ich hab's auch gelesen«, flocht Casset ein und sah Alex an.»Vor einer Schießgalerie. Sie haben sie geschlossen.«
«Ich habe gedacht, es sei irgendwie ein schrecklicher Unfall gewesen. «Valentino schüttelte leicht den Kopf.»Ich habe den Artikel allerdings nicht gelesen.«
«Ich habe den üblichen Packen Zeitungsausschnitte bekommen, was genug Journalismus am frühen Morgen ist«, sagte der Direktor.»Ich erinnere mich nicht an solch einen Artikel.«
«Bist du da drin verwickelt, alter Junge?«»Nur um den Preis eines ziemlichen Opfers bin ich es nicht… ich sollte sagen, sind wir es nicht.«»Wir?«Casset legte alarmiert die Stirn in Falten.»Morris Panov und ich haben identische Telegramme von Jason Borowski erhalten, worin er uns bat, um 21.30 Uhr vergangene Nacht im Vergnügungspark zu sein. Es sei dringend, und wir sollten ihn vor der Schießgalerie treffen, aber unter keinen Umständen zu Hause anrufen. Wir nahmen beide unabhängig voneinander an, daß er seine Frau nicht beunruhigen wollte, daß er uns persönlich etwas sagen mußte, was sie nicht wissen sollte… Wir kamen zur selben Zeit an, ich sah Panov zuerst und hatte das Gefühl, daß die Umgebung nicht gut sei. In aller Interesse, vor allem Borowskis, hätten wir vorher miteinander reden müssen. Das roch ziemlich nach einer Falle, und ich tat mein Bestes, uns da schnell rauszubekommen. Die einzige Möglichkeit schien mir ein Ablenkungsmanöver zu sein.«
«Du hast einen mittleren Tumult ausgelöst«, sagte Casset nüchtern.»Es war das einzige, was ich tun konnte, und das einzige, wozu dieser verdammte Stock gut ist, außer daß er mich aufrecht hält. Ich schlug gegen jedes Schienbein, jede Kniescheibe in Reichweite, ein paar Bäuche und Titten haben auch was abgekriegt. Wir kamen aus dem Kreis heraus, aber die arme Frau wurde getötet.«
«Was stellst du dir vor… hast du eine Ahnung?«fragte Valentino.»Ich weiß es nicht, Val. Es war eine Falle, das ist keine Frage, aber was für eine Falle? Wenn das, was ich in dem Moment dachte und was ich jetzt denke, stimmt, wie konnte ein gekaufter Pistolenschütze auf diese Entfernung danebenschießen? Der Schuß kam von weiter oben links — nicht, daß ich ihn gehört hätte —, die Stellung der Frau und das Blut überall an ihrem Hals deuteten darauf hin, daß sie sich umgedreht und bei der Drehung die Kugel abbekommen hatte. Sie konnte nicht von der Galerie gekommen sein, die Gewehre dort sind angekettet, und die Fleischfetzen in ihrem Genick wurden von einem stärkeren Kaliber als dem der Spielzeuge dort verursacht. Wenn der Killer entweder Mo Panov oder mich erwischen wollte, hätte er nicht so weit danebenliegen dürfen. Nicht, wenn das, was ich denke, richtig ist.«
«Richtig, Mr. Conklin«, warf der DCI ein,»wenn der Killer Carlos, der Schakal, hieß.«
«Carlos?«rief DeSole aus.»Was hat in Himmels Namen der Schakal mit einem Mord in Baltimore zu tun?«
«Jason Borowski«, antwortete Casset.
«Borowski war irgendein Abenteurer aus Asien, der nach Europa kam, um Carlos herauszufordern, und verlor. Wie der Direktor gerade gesagt hat, fuhr er zurück in den Fernen Osten und wurde vor vier oder fünf Jahren getötet. Aber laut Alex ist er noch am Leben, da er und jemand mit Namen Panov Telegramme von ihm erhalten haben. Was haben in Gottes Namen ein toter Wirrkopf und der berüchtigste Mörder der Welt mit vergangener Nacht zu tun?«
«Du warst die ersten Minuten nicht hier, Steve«, sagte Casset.»Offenbar haben sie eine Menge mit vergangener Nacht zu tun.«
«Wie bitte?«
«Ich denke, Sie sollten ganz von vorne beginnen, Mr. Conklin«, sagte der Direktor.»Wer ist Jason Borowski?«
«Nach allem, was man sagt, ist er ein Mann, der nie existiert hat«, antwortete der ehemalige CIA-Agent.