Eine brennende, eisige Hitze schoß durch seinen Nacken, als Borowski über die Betstühle hechtete und zwischen die zweite und dritte Reihe krachte. Er klebte am Boden, krallte sich irgendwo fest. Sein Bewußtsein tauchte in eine dunkle Wolke. In der Ferne, weit, weit weg, hörte er Stimmen, die hysterisch schrien. Dann war alles schwarz.
«David.«
Das Schreien hatte aufgehört. Die einzelne Stimme war leise und drängend und benutzte einen Namen, den er nicht kennen wollte.»David, kannst du mich hören?«
Borowski öffnete die Augen: Er trug einen massiven Verband um den Hals, und er lag angezogen auf einem Bett. Dann erkannte er das verängstigte Gesicht von John St. Jacques. Daneben stand ein Mann in mittleren Jahren, den er nicht kannte.
«Carlos«, konnte Jason nur sagen.»Der Schakal!«
«Dann ist er immer noch auf der Insel«, stieß St. Jacques hervor.»Seit einer Stunde haben die Männer von Henry Sykes Tranquility abgeriegelt. Patrouillen fahren vor der Küste auf und ab und halten untereinander Kontakt. Er nennt es eine Drogenübung, sehr unauffällig und sehr offiziell. Ein paar Boote sind gekommen, aber nicht eins ist abgefahren. Es wird niemand mehr durchgelassen.«
«Und wer ist das?«fragte Borowski.
«Ein Arzt«, antwortete John.»Er wohnt im Hotel. Er ist mein Freund. Ich war sein Patient in…
«Ich denke, wir sollten diesbezüglich vorsichtig sein«, unterbrach der Arzt entschieden.»Du hast mich um meine Hilfe und mein Vertrauen gebeten, John, und das ist okay. Aber in Anbetracht der Ereignisse bleibe ich lieber anonym.«
«Sie haben völlig recht, Doktor«, ächzte Jason. Dann plötzlich schoß sein Kopf hoch, und mit weit aufgerissenen Augen rief er, fast flehend:»Ishmael! Er ist tot — ich habe ihn umgebracht!«
«Ist er nicht und hast du nicht«, sagte St. Jacques ruhig.»Es sieht verdammt schlimm aus, aber er ist nicht tot. Er ist ein zäher Bursche, wie sein Vater, und er wird überleben. Wir fliegen ihn ins Krankenhaus von Martinique.«
«Oh, mein Gott!«
«Er wurde fürchterlich zusammengeschlagen«, erklärte der Doktor.»Beide Arme sind gebrochen, außerdem hat er zahlreiche Fleischwunden und Quetschungen und, wie ich fürchte, auch innere Verletzungen und eine ernste
Gehirnerschütterung. Er ist aber, wie John schon ganz richtig sagte, ein zäher Bursche.«
«Ich hoffe sehr, daß er überlebt.«
«Wir tun unser Bestes!«
«Gut. «Borowski sah den Doktor an.»Wie schwer bin ich verletzt?«
«Ohne Röntgenaufnahmen, und bevor ich nicht gesehen habe, ob Sie sich überhaupt noch bewegen können, kann ich Ihnen nur eine vorläufige Diagnose liefern.«
«Tun Sie das.«
«Abgesehen von Ihrer Wunde, würde ich sagen, haben Sie einen traumatischen Schock erlitten.«
«Vergessen Sie's. Das zählt nicht.«
«Wer sagt das?«fragte der Doktor mit einem Lächeln.
«Ich… und ich will damit keinen Witz machen. Es geht um meinen Körper, nicht den Kopf. Den kann ich selbst beurteilen.«
«Ist er ein Einheimischer?«fragte der Doktor mit Blick zum Besitzer des Tranquility Inn.»Ein Ishmael? Nur weiß und älter? Arzt ist er nicht.«
«Antworte ihm bitte.«
«Also gut. Die Kugel hat die linke Genickseite durchschlagen und nur um Millimeter mehrere lebenswichtige Stellen verfehlt. Andernfalls wären Sie ohne Stimme und wahrscheinlich tot. Ich habe die Wunde gereinigt und genäht. Eine Weile werden Sie Ihren Kopf nur mit Schwierigkeiten bewegen können.«
«Kurz gesagt, ich habe einen etwas steifen Nacken, aber ich kann gehen…?«
«Ja, kurz gesagt.«
«Es war die Leuchtrakete, der ich es letzten Endes zu verdanken habe«, sagte Jason leise und bewegte vorsichtig den Hals.»Sie hat ihn geblendet.«
«Was?«St. Jacques beugte sich über das Bett.
«Egal… Wollen mal sehen, wie gut ich laufen kann…«Borowski rutschte vom Bett und stellte vorsichtig seine Beine auf den Boden. Als sein Schwager ihm helfen wollte, sagte er:»Nein, danke. Das muß ich allein schaffen. «Er stand auf. Die Bandage um den Hals behinderte ihn. Er machte ein paar Schritte. Die Hüfte schmerzte, er mußte damit gegen eine der Stuhlreihen geschlagen sein. Aber das war das wenigste. Ein heißes Bad würde die Schmerzen lindern, ein paar Medikamente und Salben würden ihm schon wieder auf die Sprünge helfen. Nur diese verdammte Bandage am Hals! Er meinte, fast daran zu ersticken. Außerdem zwang sie ihn, seinen Oberkörper zu drehen, wenn er in eine andere Richtung blicken wollte.
Dennoch, so dachte er, war er weit weniger behindert, als er es hätte sein können — für einen Menschen seines Alters. Verdammt.»Doktor, kann man diesen Verband nicht ein bißchen lockern? Er stranguliert mich.«
«Ein bißchen, nicht viel. Sie werden nicht riskieren wollen, daß die Nähte aufreißen.«
«Wie wäre es mit einer starken elastischen Binde?«
«Bei einer Halswunde? Eine falsche, unbedachte Bewegung… «
«Ich werd nicht aufhören, daran zu denken.«
«Sie sind ein Spaßvogel.«
«Aber gar nicht zum Spaßen aufgelegt.«
«Das liegt an der Wunde.«
«Sicherlich. Kannst du mir so eine Binde besorgen, Johnny?«
«Doktor?«St. Jacques sah den Arzt an.
«Ich glaube, wir können ihn nicht daran hindern.«
«Ich werde jemanden ins Sportgeschäft schicken.«
«Entschuldigen Sie, Doktor«, sagte Borowski, als Johnny zum Telefon ging.»Ich möchte meinem Schwager einige Fragen stellen, und ich weiß nicht, ob Sie das hören möchten.«
«Ich habe schon mehr gehört, als mir lieb ist. Ich werde im Nebenzimmer warten. «Der Arzt ging hinaus.
Während St. Jacques telefonierte, lief Jason im Zimmer herum, hob und senkte seine Arme und schüttelte seine Hände, um seine Motorik zu kontrollieren. Er legte sich auf den Boden, kroch herum, stand wieder auf, mehrmals, und war jedesmal ein bißchen beweglicher. Er mußte bereit sein — er mußte!
«Es wird nur ein paar Minuten dauern«, sagte Johnny und legte den Hörer auf.»Pritchard wird verschiedene Größen bringen.«
«Danke. «Borowski hörte mit seinen Übungen auf.»Wer war der Mann, den ich erschossen habe, Johnny? Er fiel durch den Vorhang, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen.«
«Niemand, den ich kenne. Und eigentlich kenne ich jeden weißen Mann auf diesen Inseln, der sich einen teuren Anzug leisten kann. Muß ein Tourist gewesen sein ein Tourist im Auftrag des Schakals. Natürlich hatte er keinen Ausweis bei sich. Henry hat ihn rüber nach Montserrat bringen lassen.«
«Wie viele Leute hier wissen, was los ist?«
«Außer den Angestellten und unseren Leuten nur noch die vierzehn Gäste, und niemand hat eine Ahnung. Ich habe die Kapelle abriegeln lassen. > Sturmschäden. < Und selbst die, die was wissen — wie der Doktor und die beiden Burschen aus Toronto kennen nicht die ganze Geschichte; und außerdem sind sie Freunde. Ich vertraue ihnen. Die anderen sind vom Rum benebelt.«
«Was ist mit den Schüssen?«
«Und was ist mit dem lautesten und schlechtesten Blasorchester der Insel? Außerdem warst du dreihundert Meter weit weg im Wald… Schau, David, viele sind ja schon abgefahren, außer ein paar Unentwegten, die auch in Teheran Urlaub machen würden. Was kann ich dir mehr sagen, als daß die Bar ein Bombengeschäft macht.«
«Es ist wie eine geheimnisvolle Scharade, wie ein Schattenspiel«, murmelte Borowski und bog wieder vorsichtig seinen Hals. Er starrte an die Decke.»Schattenfiguren, zusammenhangslos, gewalttätige Ereignisse hinter weißen Vorhängen, und nichts macht einen Sinn; man erkennt nur das, was man erkennen möchte… «
«Das ist zu hoch für mich, Professor. Was meinst du damit?«
«Terroristen werden nicht geboren, Johnny, sie werden gemacht. Sie werden ausgebildet. Sie werden Meister ihres Fachs. Es gibt viele Gründe, warum sie sind, was sie sind — die eine gerechte Sache oder die psychopathische Großmannssucht eines Schakals sein können. Doch unabhängig davon läuft das Spiel immer weiter, weil sie sich selber spielen.«
«So?«St. Jacques runzelte verwirrt die Stirn.
«Du kontrollierst deine Figuren, sagst ihnen, was sie tun sollen, aber nicht, warum.«
«Das ist es, was wir hier tun und was Henry draußen rund um die Insel tut.«
«Tut er? Tun wir?«
«Zum Teufel, ja.«
«Ich dachte auch, es wäre so einfach. Aber das war ein Fehler. Ich habe ein großes, kluges Kind überschätzt, das einen einfachen, harmlosen Job machen sollte und jetzt in Lebensgefahr schwebt, und einen schlichten, verängstigten Priester, der dreißig Silberlinge entgegennahm, habe ich unterschätzt.«
«Wovon redest du eigentlich?«
«Samuel muß Zeuge der Folterung gewesen sein.«
«Was?«
«Das Entscheidende ist, daß wir die Spieler eigentlich nicht richtig kennen. Die Wachen zum Beispiel, mit denen du zur Kapelle gekommen bist…«
«Ich bin kein Idiot, David«, protestierte St. Jacques.»Als du uns gerufen hast, nahm ich nur zwei Leute mit, die einzigen, denen ich total vertraue. Sie sind meine wichtigsten Männer, und die ganze Sicherheit hier liegt in ihren Händen.«
«Und Henry, ist er ein guter Mann?«
«Manchmal geht er einem auf die Nerven, aber er ist der beste Mann auf den Inseln.«
«Und der Gouverneur?«
«Ist ein Arsch.«
«Weiß Henry das?«
«Sicher weiß er es. Er ist bestimmt nicht Stabsoffizier geworden, weil er so gut aussieht. Er ist nicht nur ein guter
Soldat, sondern auch ein guter Verwaltungsbeamter. Ich verdanke ihm viel.«
«Und du bist sicher, daß er nicht mit dem Gouverneur in Verbindung gestanden hat?«
«Er hat mir gesagt, er würde mich kontaktieren, bevor er den aufgeblasenen Idioten anruft. Und ich glaube ihm.«
«Ich hoffe, du hast recht — weil dieser aufgeblasene Idiot der Kontaktmann des Schakals in Montserrat ist.«
«Was? Das glaube ich nicht!«
«Glaub's nur. Es stimmt.«
«Das ist nicht wahr!«
«Doch. Das ist die Methode, nach der der Schakal arbeitet. Er findet eine wunde Stelle, und er kauft sich die Leute. Es gibt viele Grauzonen, und es gibt wenige, die man nicht kaufen könnte.«
Verblüfft lief St. Jacques zur Balkontür.»Ich glaube, das erklärt einiges. Der Gouverneur gehört zum konservativen Landadel. Sein Bruder ist ein hohes Tier im Außenministerium und steht dem Ministerpräsidenten nahe. Die Frage war, warum er in seinem Alter und bei seinen Beziehungen hierhergeschickt wurde, warum er es akzeptiert hat. Man sollte denken, daß er wenigstens die Bermudas oder die Virgin-Inseln hätte haben wollen. Plymouth kann ein Sprungbrett sein, aber nicht die Endstation.«
«Er wurde verbannt, Johnny. Carlos fand wahrscheinlich vor langer Zeit heraus, warum. Und hatte ihn damit auch schon auf seiner Liste. Die meisten Leute lesen Zeitungen und Bücher und Zeitschriften zur Ablenkung. Der Schakal verschlingt Geheimreports aus jeder nur denkbaren Quelle, die er anzapfen kann, und er hat mehr angezapft, als die CIA, der KGB, MI-Five und Six, Interpol und ein Dutzend anderer Geheimdienste es sich überhaupt vorstellen können… Die vier oder fünf
Wasserflugzeuge, die gelandet sind, seitdem ich von Blackburne zurück bin, wer ist mit ihnen gekommen?«
«Piloten«, antwortete St. Jacques und drehte sich um.»Sie brachten Leute weg, nicht her. Das habe ich doch schon gesagt.«
«Ja. Aber hast du es auch genau beobachtet?«
«Beobachtet, was?«
«Jedes Flugzeug, als es landete?«
«Mann! Du hast mich mit einem Dutzend verschiedener Jobs in Trab gehalten.«
«Was ist mit den beiden Schwarzen, die, denen du so sehr traust?«
«Sie kontrollierten und postierten die anderen Wachen, um Himmels willen.«
«Dann wissen wir also nicht sicher, wer mit den Flugzeugen gekommen ist. Vielleicht wurde jemand ins Wasser runtergelassen über die Schwimmer, in der Einfahrt zwischen den Riffen, vielleicht vor der Sandbank.«
«Aber ich sage dir doch, David, ich kenne diese Burschen seit vielen Jahren. Sie würden so etwas niemals zulassen. Kommt überhaupt nicht in Frage!«
«Du meinst also, es sei völlig ausgeschlossen?«
«Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
«Wie für den Kontaktmann des Schakals in Montserrat, den Gouverneur.«
Der Besitzer des Tranquility Inn starrte seinen Schwager an.»In welcher Welt lebst du eigentlich?«
«In einer Welt, die ich sehr gut kenne. Und ich bedaure sehr, daß du jemals da reingeraten bist. Aber so ist es nun einmal, und du wirst die Regeln beachten, meine Regeln. «Ein Licht, ein Blitz, ein winziger Streifen tiefroten Lichts in der Dunkelheit draußen! Mit ausgebreiteten Armen hechtete Borowski auf St.
Jacques, riß ihn aus dem Gleichgewicht, weg von der Balkontür.»Weg da!«brüllte er, dann krachten sie zu Boden. Dreimal kurz hintereinander hörten sie es über sich zischen, und die Kugeln bohrten sich in die hintere Wand.
«Was, zum Teufel… «
«Er ist da draußen und will, daß ich es weiß!«keuchte Borowski, schob seinen Schwager in Deckung und kroch neben ihn. Er griff in die Tasche seines Hemdes.»Er weiß, wer du bist, also sollst du die erste Leiche sein. Er weiß, daß mich das wahnsinnig machen würde, weil du Maries Bruder bist — du gehörst zur Familie, und das läßt er wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf schweben. Meine Familie!«
«Was sollen wir tun?«
«Ich tu was!«erwiderte Jason und zog die zweite Leuchtrakete aus der Tasche.»Ich schicke ihm eine Botschaft. Eine Botschaft, die ihm sagen wird, warum ich am Leben bin und warum ich es noch sein werde, wenn er schon tot ist. Bleib, wo du bist!«Borowski zündete die Leuchtrakete an. Geduckt machte er zwei Schritte zur Balkontür und schleuderte die zischende, blendende Lichtgarbe in die Dunkelheit. Zwei Blitze. Zwei Kugeln zischten. Eine ging in die Decke und die andere in den Spiegel auf dem Toilettentisch.»Er hat eine MAC-10 mit einem Schalldämpfer«, sagte Delta, rollte sich an die Wand und griff nach seinem verwundeten Hals.»Ich muß hier raus!«
«David, du bist verletzt!«
«Gut beobachtet. «Borowski kam auf die Beine, rannte zur Tür und stürzte ins nächste Zimmer, wo ihm der stirnrunzelnde kanadische Arzt gegenüberstand.
«Ist alles in Ordnung?«
«Ich muß weg hier. Auf den Boden!«
«Aber sehen Sie nur! Blut auf Ihrer Bandage, die Nähte…«
«Mit dem Arsch auf den Boden!«
«Sie sind keine einundzwanzig mehr, Mr. Webb…«
«Das ist mein Leben!«schrie Borowski. Er rannte zum Eingang, stürzte hinaus, schoß über den erleuchteten Weg zum Eingang des Hauptgebäudes und bemerkte jetzt erst die betäubende Blasmusik, die über mehrere Lautsprecher, die in den Bäumen hingen, über das ganze Grundstück dröhnte.
Die rhythmische Kakophonie war überwältigend. Keineswegs ein Nachteil, dachte Jason. Angus McLeod hatte sein Wort gehalten. In dem riesigen, gläsernen Speisesaal saßen die noch verbliebenen Gäste, um die sich einige Angestellte kümmerten. Das bedeutete, daß das Chamäleon seine Farbe wechseln mußte. Er kannte den Schakal so gut wie sich selbst, und er wußte, daß sein Gegner genau das tun würde, was auch er unter diesen Umständen täte.
Der hungrige, geifernde Schakal würde direkt in die Höhle seiner verwirrten, angeschlagenen Beute schleichen und sich das beste Stück Fleisch herausholen. Aber auch er, Borowski, würde zu einem Raubtier werden, zu einem noch gefährlicheren — sagen wir, zu einem bengalischen Tiger —, der einen Schakal mit seinen Zähnen zerreißen konnte… Warum dachte er in solchen Bildern? Warum waren sie wichtig? Warum? Er wußte, warum, und es erfüllte ihn mit einem Gefühl der Leere, einer Sehnsucht nach dem, was er hinter sich gelassen hatte — er war nicht mehr Delta, der gefürchtete Guerillero der Medusa. Er war auch nicht mehr der Jason Borowski, der er in Paris und im Fernen Osten gewesen war. Der ältere, viel ältere David Webb drängte sich in ihm vor und versuchte, inmitten von Irrsinn und Gewalt einen Sinn zu finden.
Nein! Weg mit dir! Du bist nichts, und ich bin alles!
Laß mich, David, um Himmels willen, laß mich…
Borowski verließ den Weg und rannte über das harte tropische Gras zum Seiteneingang des großen Hauses. Blitzartig, außer Atem verlangsamte er sein Tempo zu einem Spazierengehen, als er jemanden durch die Tür herauskommen sah. Dann, als er den Mann erkannte, rannte er auf ihn zu. Er war einer der wenigen Leute unter den Angestellten, an die er sich entsann, und einer der wenigen, die er zu vergessen wünschte. Es war der unerträgliche Snob von einem stellvertretenden Manager mit Namen Pritchard, ein geschwätziger Langweiler, der zwar hart arbeitete, aber dabei niemanden die Wichtigkeit seiner Familie in Montserrat vergessen ließ — sein Onkel war der stellvertretende Direktor der Einwanderungsbehörde, für Tranquility Inn nicht ganz unwichtig.
«Pritchard!«schrie Borowski.»Haben Sie die Bandagen?«
«Wie bitte, Sir?«schrie der Vizemanager verwirrt.»Sie sind hier? Uns wurde gesagt, daß Sie heute nachmittag abgefahren sind…«
«Oh, Scheiße!«
«Sir?… Ich möchte Ihnen mein Beileid…«
«Seien Sie bitte still, Pritchard. Verstehen Sie mich?«
«Natürlich, Sir, ich war heute morgen nicht hier, um Sie zu begrüßen, oder heute nachmittag, um Ihnen Lebewohl zu sagen und meine tiefen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, denn Mr. St. Jacques bat mich, heute abend zu arbeiten, obwohl…«
«Pritchard, ich bin in Eile. Geben Sie mir die Bandagen und sagen Sie niemandem, wirklich niemandem, daß Sie mich gesehen haben. Haben Sie verstanden?«
«Oh, das ist deutlich, Sir«, sagte Pritchard und gab ihm drei Rollen elastische Binden.»Derartig privilegierte Informationen sind bei mir gut aufgehoben, so sicher wie das Wissen, daß Ihre Frau und Ihre Kinder hier waren — oh, lieber Gott, vergib mir. Vergeben Sie mir, Sir!«
«Ich werde Ihnen vergeben und er auch, wenn Sie von nun an Ihren Mund halten.«
«Versiegelt. Er ist versiegelt. Ich fühle mich geehrt.«
«Sie werden erschossen, wenn Sie die Ehre mißbrauchen. Ist das klar?«
«Sir?«
«Verstellen Sie sich nicht, Pritchard. Gehen Sie dort in die Villa und sagen Sie Mr. St. Jacques, daß ich mit ihm in Verbindung bleibe und daß er dort bleiben soll… Sie übrigens auch.«
«Vielleicht könnte ich…«
«Na los! Gehen Sie schon!«
Der beredte Manager rannte über den Rasen, und Borowski eilte durch die Tür nach drinnen. Er nahm zwei Stufen auf einmal — noch vor ein paar Jahren wären es drei gewesen — und langte außer Atem im Büro seines Schwagers an. Er ging sofort zum Schrank, wo St. Jacques, wie er wußte, verschiedene Anzüge zum Wechseln aufbewahrte. Beide Männer hatten etwa die gleiche Größe Übergröße, wie Marie behauptete —, und Johnny hatte sich schon oft Jacken und Hemden von David ausgeliehen, wenn er auf Besuch war. Jason wählte leichte graue Hosen und einen dunkelblauen Blazer aus Baumwolle. Das einzige Hemd, ebenfalls aus Baumwolle, war kurzärmelig und glücklicherweise braun. Dunkle Sachen, die kein Licht reflektierten.
Er begann sich auszuziehen, als er einen scharfen, heißen Stich im Nacken spürte. Er sah in den Schrankspiegel. Das, was er sah, beunruhigte ihn, machte ihn aber auch wütend. Die Bandage um seinen Hals war dunkelrot, und das Blut breitete sich immer weiter aus. Er griff zur breitesten der Binden. Es war zu spät, den Verband zu wechseln, er konnte ihn nur verstärken und hoffen, das Blut zum Stillstand zu bringen. Er wickelte sich die Binde um seinen Hals und befestigte das Ende mit den Klammern, die in sie eingerollt gewesen waren. Seine Bewegungsfreiheit war damit noch weiter als zuvor eingeschränkt, aber er wollte einfach nicht daran denken.
Er wechselte die Kleidung, zog den Kragen des Hemds am Hals weit hoch, steckte die Automatic in den Gürtel und die Fischerleine in die Tasche… Schritte! Die Tür ging auf. Er hatte sich an die Wand gedrückt, die Hand an der Waffe. Der alte Fontaine kam herein. Er stand einen Moment reglos, starrte Borowski an und schloß dann die Tür.
«Ich habe versucht, Sie zu finden, und wußte ehrlich nicht, ob Sie noch leben.«
«Wir benutzen die Funkgeräte nur, wenn wir müssen. «Jason löste sich von der Wand.»Ich dachte, man hätte es Ihnen gesagt.«
«Man hat es mir gesagt, aber Carlos wird inzwischen wohl auch ein Funkgerät haben. Er ist nicht allein, wissen Sie. Deswegen bin ich rumgelaufen und habe Sie gesucht. Dann fiel mir ein, daß Sie und Ihr Schwager vielleicht hier oben, im Hauptquartier, sein könnten.«
«Nicht sehr klug von Ihnen, draußen herumzulaufen.«
«Ich bin kein Idiot, Monsieur. Dann wäre ich schon viel früher zugrunde gegangen. Ich war sehr vorsichtig…«
«Was ist denn? Sie und der Richter sollten eigentlich irgendwo in einer leeren Villa sein, anstatt herumzulaufen.«
«Sind wir, waren wir. Sehen Sie, ich habe einen Plan, und ich denke, daß er Sie interessieren könnte. Ich habe ihn mit Brendan diskutiert…«
«Brendan?«
«Mit dem Richter, Monsieur. Er findet ihn brillant, sehr sagace…«
«Scharfsinnig? Kann ich mir vorstellen. Aber Brendan ist nicht in unserem Geschäft.«
«Er ist auch ein Überlebenskünstler. In dem Sinn sind wir alle gleich. Er meint, da gäbe es ein gewisses Risiko, aber welcher Plan ist unter diesen Umständen ohne Risiko?«
«Schießen Sie los.«
«Es geht darum, dem Schakal eine Falle zu stellen und dabei die anderen Leute hier möglichst wenig zu gefährden.«
«Das macht Ihnen wirklich Sorgen, wie?«
«Ich habe Ihnen bereits gesagt, warum. Ich brauche es, glaube ich, nicht zu wiederholen…«
«Machen Sie schon«, unterbrach Borowski ihn irritiert.»Was für eine Strategie haben Sie? Und ich hoffe, Sie haben begriffen, daß ich den Schakal ausschalten werde, und wenn ich die ganze Insel als Geisel nehmen muß. Ich bin nicht in Geberlaune. Ich habe schon zu viel gegeben.«
«Sie und Carlos umschleichen sich also? Zwei verrückte alte Jäger, besessen, den anderen zu töten, egal, wer sonst noch umgebracht oder verwundet oder zum Krüppel wird bei dem Handel?«
«Sie wollen Mitleid — dann gehen Sie in die Kirche und beten zu Gott. Er muß einen verschrobenen Sinn für Humor haben… Reden Sie vernünftig, oder ich haue ab.«
«Ich habe mir gedacht…«
«Reden Sie!«
«Ich kenne den Monseigneur, weiß, wie er denkt. Er plante meinen Tod und den meiner Frau. Doch sollten unser Tod und Ihrer zunächst in keinem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang stehen. Nichts sollte von seinem Triumph über Sie ablenken. Die Enthüllung, daß ich, der sogenannte Held von Frankreich, in Wirklichkeit das Instrument des Schakals war, sein Geschöpf, sollte später kommen und wäre noch ein zusätzlicher, abschließender Beweis für seinen Triumph gewesen. Verstehen Sie?«
Jason schwieg und studierte den alten Mann.»Ja, ich verstehe«, antwortete er ruhig.»Er ist größenwahnsinnig. Davon gehe ich aus. In seinem Hirn ist er der König der Hölle und möchte, daß die Welt ihn und seinen Thron anerkennt. Er denkt, er sei ein verkanntes Genie und sei böswillig auf das Niveau von Punkkillern und Mafiamördern reduziert worden. Er möchte Pauken und Trompeten, aber alles, was er kriegt, sind Polizeisirenen und schlappe Razzien.«
«C'est vrai. Er hat sich einmal bei mir beklagt, daß beinahe niemand in Amerika ihn kennen würde.«
«Stimmt, sie glauben, er sei eine Figur aus einem Roman oder einem Film, wenn sie ihn überhaupt kennen. Vor dreizehn Jahren versuchte er das wettzumachen. Er kam nach New York, um mich zu töten.«
«Korrektur, Monsieur. Sie haben ihn gezwungen, Sie zu verfolgen.«
«Das ist Geschichte. Was hat das alles mit heute nacht zu tun? Ihr Plan…«
«Ich kann den Schakal zwingen, mich zu verfolgen, sich mit mir zu treffen. Jetzt. Heute nacht.«
«Wie?«
«Wenn ich ganz offen auf dem Gelände herumlaufe, wo er oder einer seiner Leute mich sehen kann…«
«Warum sollte ihn das zwingen, Ihnen nachzugehen?«
«Weil die Krankenschwester nicht bei mir ist, die er mir zugewiesen hatte!«
Wieder sah Borowski den alten Franzosen schweigend an.»Ein Köder«, sagte er schließlich.
«Ein so schöner Lockvogel, daß er nicht eher ruhen wird, als bis er ihn hat, bis er mich befragen kann… Verstehen Sie, ich bin wichtig für ihn — genauer gesagt, mein Tod ist wichtig —, Präzision ist seine… seine diction, wie sagt man?«
«Seine Operationsmethode, nehme ich an.«
«So hat er überlebt, so hat er die meisten seiner Kills durchgeführt, das hat ihm über die Jahre seinen Ruf als assassin supreme eingebracht. Bis ein Mann mit dem Namen Jason Borowski aus dem Fernen Osten kam… Aber das wissen Sie alles…«
«Das ist mir egal«, unterbrach Jason.»Weiter.«
«Erst, wenn ich nicht mehr da bin, kann er enthüllen, wer Jean Pierre Fontaine, der Held von Frankreich, wirklich war. Ein Hochstapler, sein Hochstapler, seine Schöpfung, das Instrument des Todes, seine Schlinge für Jason Borowski. Welch ein Triumph für ihn!.. Aber erst, wenn ich tot bin! Außerdem weiß ich zuviel, kannte zu viele von denen, die in den Gullys von Paris verschwanden. Nein, ich muß tot sein, erst dann kann er siegen!«
«Dann wird er Sie töten, wenn er Sie sieht.«
«Nicht bevor ich ihm nicht ein paar Fragen beantwortet habe, Monsieur. Wo ist die Krankenschwester? Was ist mir ihr passiert? Hat le cameleon sie gefunden, umgedreht, sie beiseite geschafft? Haben die britischen Behörden sie? Ist sie auf dem Weg nach London zum MI-6 mit all ihren Chemikalien, um für Interpol zu arbeiten? So viele Fragen… Nein, er wird mich nicht töten, bevor er nicht weiß, was er wissen muß. Und vorher, hoffe ich, werden Sie dasein.«
«Die Schwester!«
«Ja. Wenn mich die Leute des Schakals aufgegabelt haben, sage ich, daß ich meine neue, teure Freundin, die sich so gut um meine Frau gekümmert hat, schon den ganzen Tag nicht gesehen hätte, frage, was mit ihr geschehen sei, wohin sie gegangen sei… Über ein verstecktes Funkgerät werden Sie alles mitbekommen. Wo immer ich hingeführt werde, werde ich, ein schwacher, alter Mann, Fragen stellen. Warum gehe ich hier? Warum sind wir hier?… Und Sie werden folgen, gut ausgerüstet, hoffe ich. Dann werden Sie den Schakal haben.«
Mit steifem Hals setzte sich Borowski auf die Tischkante.»Ihr Freund Brendan oder wie er heißt, hat ganz recht…«
«Brendan Prefontaine. Obwohl Fontaine nicht mein richtiger Name ist, haben wir beschlossen, daß wir zur selben Familie gehören. Als die ersten Elsässer mit Lafayette im achtzehnten Jahrhundert nach Amerika gingen, fügten sie das >Pre< hinzu, um sich von den Fontaines zu unterscheiden, die sich über ganz Frankreich verbreiteten.«
«Hat er Ihnen das erzählt?«
«Er ist ein brillanter Kopf, der ehemalige Richter.«»Und er hat recht. Ihr Plan ist gut, aber es gibt ein beträchtliches Risiko. Und um ehrlich zu sein, Fontaine, ich schere mich einen Dreck um das Risiko, das Sie eingehen, oder wer auch immer. Ich will den Schakal, nur das zählt für mich. Ich möchte, daß Ihnen das klar ist. «Der alte Franzose starrte Jason mit amüsiertem Gesichtsausdruck an und lachte leise in sich hinein.»Sie sind so ein durchsichtiger Widerspruch. Borowski würde das niemals gesagt haben. Er hätte den Mund gehalten, hätte den Vorschlag ohne Kommentar angenommen. Der Gatte von Mrs. Webb jedoch muß sich erklären. Innerlich hat er Einwände, die muß er laut aus dem Weg räumen. «Und plötzlich wurde sein Ton schneidend kalt.»Werden Sie ihn los, Borowski. Webb hilft mir nicht, und den Schakal tötet er auch nicht. Machen Sie sich frei von ihm.«
«Er ist weg. Ich verspreche es, er ist weg. «Das Chamäleon sprang vom Tisch.»Und jetzt los!«
Das Blasorchester machte immer noch ohrenbetäubenden Lärm, allerdings waren die Außenlautsprecher ausgeschaltet worden. Der Besitzer des Tranquility Inn, der kanadische Arzt und der unaufhörlich schwatzende Mr. Pritchard traten aus der leerstehenden Villa heraus, eskortiert von zwei schwarzen Wachen mit ihren Uzi-MPs. Sie gingen hinüber zum Büro. Der Vizemanager sollte zum Empfang zurückkehren und zu niemandem irgend etwas über das sagen, was er in den vergangenen Stunden gesehen hatte.
«Absolut nichts, Sir. Wenn ich gefragt werde, dann war ich am Telefon, um mit den Behörden in Montserrat zu sprechen.«
«Worüber?«warf St. Jacques ein.
«Na ja, ich dachte…«
«Du sollst nicht denken. Du hast den Service der Zimmermädchen überprüft, das ist alles.«
«Ja, Sir. «sagte Pritchard geknickt. St. Jacques und der Arzt traten ins Büro, wo sie auf Jason und Fontaine trafen.
«Ich bezweifle, ob es einen Unterschied macht, was er sagt«, meinte der Arzt.»Die Leute sind sowieso völlig durch den Wind. Die Ereignisse der vergangenen Nacht, die wahnsinnige Sonne heute und der Alkohol heute abend.«
«Ich gehe besser mal rüber. Wir könnten das Fest auch in einen kleinen carnivale verwandeln. Scotty wird die zehntausend Dollar sparen, und je mehr Ablenkung wir haben, um so besser. Ich spreche mit der Kapelle und der Bar. Bin gleich wieder da.«
«Wir sind dann wahrscheinlich nicht mehr hier«, sagte Borowski.
Im nächsten Moment trat eine stramme, junge schwarze Frau in Schwesternuniform aus dem Privatbadezimmer von John St. Jacques ins Büro. Der alte Fontaine ging auf sie zu.
«Sehr gut, mein Kind, Sie sehen ausgezeichnet aus«, sagte der Franzose.»Denken Sie daran. Ich werde Ihren Arm halten, während wir gehen und reden, und wenn ich Sie kneife und meine Stimme erhebe, dann verhalten Sie sich wie besprochen.«
«Ja, Sir. Ich werde von Ihnen erbost weglaufen, weil Sie so unhöflich sind.«
«Genau. Sie brauchen keine Angst zu haben, es ist nur ein Spiel. Wir möchten mit jemandem sprechen, der sehr schüchtern ist.«»Wie geht's dem Hals?«fragte der Doktor. Er konnte den Verband unter dem Hemd nicht sehen.
«Gut«, antwortete Borowski.
«Lassen Sie mich mal sehen. «Der Kanadier kam auf ihn zu.
«Danke, nicht jetzt, Doktor. Ich schlage vor, Sie gehen hinunter und gesellen sich zu Ihrer Frau.«
«Schon gut, aber kann ich noch schnell etwas sagen?«
«Wenn Sie's kurz machen.«
«Ich bin Arzt, und ich mußte schon eine Menge Dinge tun, die mir nicht gefielen. Aber wenn ich an jenen jungen Mann denke und was mit ihm geschehen ist…«
«Bitte«, unterbrach Jason.
«Ja, ja, ich verstehe. Trotzdem bin ich hier, wenn Sie mich brauchen, ich wollte nur, daß Sie das wissen… Ich bin nicht besonders stolz auf das, was ich vorhin gesagt habe. Ich sah, was ich sah, und ich habe einen Namen, und ich bin auch durchaus bereit, vor Gericht auszusagen.«
«Es wird keinen Prozeß geben, Doktor, keine Zeugenaussage.«
«Wirklich? Aber was hier passiert, das sind Verbrechen!«
«Wir wissen, daß Sie ein Freund sind«, sagte Borowski.»Ihre Hilfe wird sehr geschätzt, aber alles andere geht Sie nichts an.«
«Ich verstehe«, sagte der Doktor.»Ich gehe also. «An der Tür drehte er sich nochmals um.»Lassen Sie mich besser später den Hals noch einmal untersuchen. Wenn Sie dann noch einen haben. «Der Doktor ging, und Borowski wandte sich Fontaine zu.
«Sind wir soweit?«
«Wir sind soweit«, antwortete der Franzose und lächelte der beeindruckenden jungen schwarzen Frau zu.»Was werden Sie mit all dem Geld tun, was Sie heute nacht verdienen werden, meine Liebe?«
Das Mädchen kicherte schüchtern, und ihr breites Lächeln enthüllte leuchtend weiße Zähne.»Ich habe einen guten Freund, und ich werde ihm ein schönes Geschenk kaufen.«
«Wie schön. Wie heißt Ihr Freund?«
«Ishmael, Sir.«
«Gehen wir«, sagte Jason entschlossen.
Der Plan war einfach, wie die meisten guten Strategien. Der Spaziergang des alten Fontaine durch das Gelände von Tranquility war präzise geplant. Es begann damit, daß Fontaine und die schöne Schwarze zu seiner Villa zurückkehrten, als wollten sie nach seiner kranken Frau sehen, bevor er seinen ärztlich verordneten Abendspaziergang begann. Ab und zu blieben sie auf dem beleuchteten Hauptweg stehen, spazierten ein wenig über den von Flutlichtern erhellten Rasen, immer sichtbar, ein gebrechlicher alter Mann, der herumspazierte, wie es ihm gerade einfiel, zum Unmut seiner Begleiterin.
Die beiden schwarzen Wachen, denen St. Jacques am meisten vertraute — der eine ziemlich klein, der andere recht groß — hatten eine Reihe von Stationen festgelegt, zwischen denen der Franzose und seine» Krankenschwester «kehrtmachen und in eine andere Richtung gehen sollten. Von jedem dieser Punkte aus konnte die jeweils nächste Wegstrecke überwacht werden, und sobald einer der beiden Bewacher einen Kontrollpunkt erreicht hatte, ging der andere zum nächsten, auf dunklen, geheimen, unzugänglichen Trampelpfaden. Die Wachen bewegten sich wie riesige Spinnen im Dschungel scheinbar mühelos, über Steine, Wurzeln und Ranken, wobei sie immer mit ihren Schützlingen Schritt hielten. Borowski folgte dem zweiten Mann, sein Funkgerät auf Empfang gestellt, aus dem Fontaines Worte klangen:»Wo ist die Schwester, die sich um meine Frau gekümmert hat? Wo ist sie? Ich habe sie den ganzen Tag nicht gesehen?«
Plötzlich rutschte Jason aus. Er saß fest! Er befand sich hinter der Mauer, die das Gelände umschloß, und sein linker Fuß war in Ranken verheddert. Verdammt! Er machte eine ungestüme Bewegung und spürte sofort wieder im Nacken die heißen Pfeile des Schmerzes. Er reißt, etwas reißt!.. Seine Lungen zerplatzten fast, das Blut durchdrang jetzt sein Hemd, aber er befreite sich und kroch weiter. Plötzlich Lichter, farbige Lichter. Fontaine hatte die Kapelle erreicht, und das rote und blaue Flutlicht drangen bis dorthin, wo Jason kauerte, hinter der Mauer, die in der Nähe der Kapelle verlief. Hier war der Wendepunkt, an dem Fontaine zu seiner Villa zurückkehren sollte. Der alte Mann sollte ein wenig Atem schöpfen. St. Jacques hatte eine Wache an der Kapelle aufgestellt, damit niemand das beschädigte Gebäude betrat. Dort würde also kein Kontakt stattfinden… Doch dann hörte Borowski über Funk das Zeichen, daß der Verbindungsmann des Schakals aufgetaucht sei:»Lassen Sie mich in Ruhe!«rief Fontaine.»Ich will Sie nicht! Wo ist die andere Schwester?«
Die beiden Schwarzen hatten sich, Seite an Seite, an der Mauer niedergeduckt. Jetzt drehten sie sich um und sahen zu Jason hinüber. Ihr Ausdruck in dem geisterhaften Licht sagte ihm, was er nur zu gut wußte. Von diesem Augenblick an lagen alle Entscheidungen bei ihm. Sie hatten ihn geführt, ihn zu seinem Feind eskortiert. Der Rest war seine Sache.
Unerwartetes verwirrte Borowski selten; jetzt aber doch. Hatte Fontaine einen Fehler gemacht? Hatte er den Wächter des Hotels vergessen und irrtümlich angenommen, daß er der Mann des Schakals sei? Vielleicht hatte der Alte eine überraschte Reaktion des Wächters mißinterpretiert.
Alles war denkbar, aber bei seiner Erfahrung, bei seinem Verstand! Ein solcher Fehler war wenig wahrscheinlich.
Dann dachte Borowski an eine andere Möglichkeit, und die war ekelerregend. War der Wächter getötet oder bestochen oder durch einen anderen ersetzt worden? Carlos war ein Meister darin, Leute umzudrehen. Es wurde erzählt, daß er seinen Vertrag zur Ermordung von Anwar El Sadat erfüllt habe, ohne einen Schuß abzufeuern, indem er lediglich die Sicherheitsbeamten des ägyptischen Präsidenten durch unerfahrene Rekruten ersetzt hatte. Das in Kairo dafür ausgegebene Geld kam hundertfach von den verschiedenen antiisraelischen Bruderschaften wieder herein. Wenn das stimmte, mußte das hier auf Tranquility ein Kinderspiel für ihn sein.
Jason sprang auf, griff nach der Mauerkrone und zog sich langsam und unter Schmerzen nach oben, langte erst mit einem, dann mit dem anderen Arm hinüber zur nächsten Kante, bis er Halt fand. Was er sah, verblüffte ihn.
Die junge Schwarze war weg, Fontaine stand unbeweglich da, mit ungläubig aufgerissenen Augen, als ein anderer alter Mann in einem braunen Gabardine-Anzug auf ihn zukam und die Arme um den alten Helden von Frankreich schlang. Fontaine stieß den Mann verwirrt zurück. Die Worte kamen per Funk aus Borowskis Tasche.
«Claudel Quelle secousse! Vous etes ici!«
Der alte Freund antwortete mit melodischer Stimme auf französisch:»Ja, ich bin hier. Dank Monseigneur kann ich meine Schwester ein letztes Mal sehen und dich, meinen Freund, ihren armen Mann. Ich bin hier und bleibe bei dir!«
«Er hat dich hergebracht? Aber natürlich er!«
«Ich werde dich zu ihm bringen. Der große Mann wünscht dich zu sprechen.«
«Weißt du, was du tust? Was du getan hast?«
«Ich bin bei dir, bei ihr. Etwas anderes zählt nicht.«
«Sie ist tot! Sie hat sich in der vergangenen Nacht das Leben genommen! Er wollte uns beide umbringen.«
Stell das Funkgerät ab! schrie Borowski in Gedanken. Stell es ab! Es war zu spät. Der linke Türflügel der Kapelle öffnete sich, und der Umriß eines Menschen trat in den Flutlichtkorridor vor der Kirche. Er war jung, muskulös und blond, mit einem dummen Gesicht und steifer Haltung. Hatte der Schakal sich einen jugendlichen Nachfolger gewählt?
«Komm mit mir, bitte«, sagte der blonde Mann. Sein
Französisch war fließend, aber von eisiger Höflichkeit.»Du«, fügte er hinzu und meinte den alten Mann im braunen
Gabardine-Anzug.»Du bleibst, wo du bist. Beim leisesten Geräusch schießt du… Nimm die Pistole heraus. Behalte sie in der Hand.«
«Oui, monsieur.«
Jason beobachtete hilflos, wie Fontaine in die Kapelle eskortiert wurde. Aus seiner Tasche kam ein Durcheinander von Geräuschen, dann ein Knall. Sie hatten das Funkgerät gefunden und zerstört. Dennoch stimmte irgend etwas nicht, etwas war nicht im Gleichgewicht — oder vielleicht zu symmetrisch. Es machte keinen Sinn, den Ort einer fehlgeschlagenen Falle ein zweites Mal zu benutzen, keinerlei Sinn! Das Erscheinen von Fontaines Schwager war ein außerordentlicher Schachzug, dem Schakal angemessen, ein wirklich unerwarteter Trick in diesem verwirrenden Spiel, aber der Schauplatz war falsch, nicht noch einmal die Kapelle. Es sah zu sehr nach Ordnung, nach
Wiederholung aus, es war zu offensichtlich. Falsch.
Und deshalb richtig? erwog Borowski. War es die unlogische Logik des Mörders, der hundert Sonderabteilungen internationaler Geheimdienste beinahe dreißig Jahre lang hinters Licht geführt hatte?» Das würde er nicht tun — es ist verrückt!«-»Oh, ja, er könnte, weil er weiß, wir denken, daß es verrückt wäre. «War der Schakal in der Kapelle? Wenn nicht, wo war er? Wo hat er seine Falle gestellt?
Das tödliche Schachspiel war außerordentlich verwickelt. Tod dem Verkäufer des Todes oder Tod dem Herausforderer. Der eine wollte die Schaffung und Festigung einer Legende, der andere die Erhaltung seiner Familie und seiner selbst. Carlos war im Vorteil. Letztlich würde er alles riskieren, denn, wie Fontaine bestätigt hatte, war er ein sterbender Mann. Borowski hatte alles, wofür zu leben sich lohnte. Doch auch sein Leben war unauslöschlich gezeichnet, in zwei geteilt durch den Tod einer vage erinnerten Frau und zweier Kinder vor langer Zeit im weit entfernten Kambodscha. Nein. Es konnte nicht, durfte nicht noch einmal passieren!
Jason rutschte die Mauer wieder hinunter, kroch zu den beiden Wachen und flüsterte:»Sie haben Fontaine reingeholt.«
«Wo ist der Posten?«fragte der eine, mit Verwirrung in der Stimme.»Ich habe ihn selbst dort postiert, mit genauen Instruktionen. Niemand durfte hinein. Er sollte funken, sobald er jemanden sah.«
«Dann fürchte ich, hat er ihn nicht gesehen.«
«Wen?«
«Einen blonden Mann, der französisch spricht.«
Die beiden Schwarzen sahen sich an. Dann wandte sich einer von ihnen an Jason und sagte ruhig:»Beschreiben Sie ihn, bitte.«
«Mittlere Größe, breite Brust und Schultern…«
«Das reicht«, unterbrach der eine.»Unser Mann hat ihn gesehen, Sir. Er ist dritter Offizier der Regierungspolizei, ein Mann, der mehrere Sprachen spricht. Der Chef der Drogenfahndung.«
«Aber warum ist er hier, Mann?«fragte der andere seinen Kollegen.»Mr. St. Jacques sagte, die Polizei würde nicht eingeschaltet. Sie gehören nicht zu uns.«
«Sir Henry, Mann. Er hat sechs oder sieben Boote, die hin-und herpatrouillieren und Befehl haben, jeden aufzuhalten, der Tranquility verläßt. Es sind Drogenboote. Sir Henry nennt es eine Drogenübung, also muß natürlich der Chef der Drogenfahndung…«Das singende Geflüster des Inselbewohners erstarb mitten im Satz, als er seinen Kameraden ansah.»Warum ist er denn nicht draußen auf dem Wasser? Auf seinem Boot?«
«Mögt ihr ihn?«fragte Borowski instinktiv, von seiner eigenen Frage überrascht.»Ich meine, respektiert ihr ihn? Ich könnte mich irren, aber mir scheint, ich rieche etwas…«
«Sie irren sich nicht, Sir«, antwortete einer der Wächter.»Dieser Offizier ist ein grausamer Mensch, und er mag uns >Punjabis<, wie er uns nennt, nicht. Er ist immer schnell dabei, jemanden fertigzumachen, und viele haben wegen ihm ihren Job verloren.«
«Warum beschwert ihr euch nicht, um ihn loszuwerden? Die Briten werden auf euch hören.«
«Der Gouverneur nicht, Sir«, erklärte der andere.»Er ist parteiisch. Sie sind gute Freunde und fahren oft zusammen angeln.«
«Ich verstehe. «Jason war alarmiert, sehr alarmiert.»St. Jacques sagte mir, daß es hinter der Kapelle einen Pfad gibt. Er sagte, möglicherweise sei er zugewachsen, aber er glaubte, daß es ihn noch gibt.«
«Doch«, bestätigte der erste Wächter.»Das Personal benutzt ihn immer noch, um in der Freizeit zum Strand zu gehen.«
«Wie lang ist er?«
«Fünfunddreißig, vierzig Meter. Dann kommt eine Steilwand, in die Stufen hineingehauen sind, über die man zum Strand kommt.«
«Wer von euch ist schneller?«fragte Borowski, griff in seine Tasche und holte die Leine heraus.
«Ich.«
«Ich!«
«Du gehst«, sagte Jason und nickte dem kleineren Wächter zu. Er gab ihm die Leine.»Wo immer es möglich ist, spannst du die Leine quer über den Pfad. Befestige sie an Wurzeln oder starken Ästen. Du darfst nicht gesehen werden, also paß auf. Es ist dunkel.«
«Kein Problem.«
«Hast du ein Messer?«
«Habe ich Augen?«
«Gut. Gib mir deine Uzi. Beeil dich!«
Der Wächter kroch an der rankenüberwucherten Böschung entlang und verschwand im dichten Gebüsch. Der Schwarze, der bei Borowski geblieben war, sagte:»In Wahrheit bin ich schneller, weil meine Beine länger sind.«
«Deshalb habe ich ihn geschickt. Lange Beine sind hier kein Vorteil, nur ein Hindernis, das kenne ich von mir. Und weil er kleiner ist, kann man ihn auch weniger leicht entdecken.«
«Die Kleinen bekommen immer die besseren Aufträge. Uns lassen sie zu Paraden aufmarschieren, aber die Kleinen bekommen die plumbies.«
«Die besseren Jobs?«
«Ja, Sir.«
«Die gefährlichsten Jobs?«
«Ja, Mann.«
«Damit mußt du leben, Big Boy.«
«Was machen wir jetzt, Sir?«
Borowski sah hinüber zur Mauer, zum farbigen Licht.»Warten — auf das Rendezvous warten, aber ohne Blumenstrauß, nur voller Haß. Denn du willst leben, aber andere wollen dich töten. Warten und nichts tun. Das einzige, was man tun kann, ist zu überlegen, was der Feind tun oder nicht tun könnte. Und ob er an etwas gedacht hat, was du nicht erwogen hast. Wie jemand einmal gesagt hat:…ich war lieber in Philadelphia.«
«Wo, Sir?«
«Nichts. Ist schon okay.«
Plötzlich wurde die Luft von einem schrillen, durchdringenden Schreien erfüllt. Worte, unter Schmerzen hervorgestoßen. »Non, non! Vous etes monstrueux!.. Arretez, arretez, je vous supplie!«
«Jetzt!«schrie Jason, warf sich die Uzi über die Schulter, sprang zur Mauer und zog sich an der Kante hoch, während das Blut wieder aus seinem Hals drang. Er kam nicht hoch! Er kam nicht hinüber! Dann wurde er von starken Händen gezogen und fiel auf die andere Seite.
«Die Lichter!«schrie er.»Schieß sie aus!«
Die Uzi des großen Wächters ratterte, die Lampen auf beiden Seiten des Wegs zur Kapelle explodierten. Wieder wurde er von starken Händen gezogen und auf die Beine gestellt. Und dann blitzte ein einziger gelber Lichtstrahl auf, der in alle Richtungen drang. Es war eine starke Halogenlampe in der Unken Hand des Soldaten. Der alte Mann in dem braunen Gabardine-Anzug lag blutdurchtränkt, mit durchschnittener Kehle auf dem Weg.
«Stop! Im Namen des Allmächtigen, bleibt, wo ihr seid!«kam die Stimme Fontaines aus der Kapelle. Sie näherten sich dem Eingang mit ihren schußbereiten automatischen Waffen. Doch auf das, was sie durch die halboffene Tür sahen, waren sie nicht vorbereitet. Borowski schloß die Augen, der Anblick war zu schmerzhaft. Der alte Fontaine lag, genau wie der junge Ishmael, über dem Pult unter dem hinausgesprengten bunten Fenster. Sein Gesicht war von Peitschenhieben gezeichnet, blutüberströmt, und an seinem Körper waren mehrere dünne Kabel befestigt, die zu schwarzen Kästen führten.
«Geht zurück!«schrie Fontaine.»Rennt, ihr Idioten! Ich bin an Zündschnüre angeschlossen…«
«Oh, mein Gott!«
«Seien Sie nicht traurig, Monsieur le cameleon. Mit Freuden gehe ich zu meiner Frau! Diese Welt ist zu scheußlich, selbst für mich. Rennt! Die Ladung geht hoch — sie beobachten euch!«
«He, Mann! Jetzt!«schrie der Wächter, packte Jason am Arm, raste mit ihm zur Mauer und hielt Borowski immer noch fest, als sie auf der anderen Seite in das dichte Gebüsch plumpsten.
Die Explosion war ungeheuer, blendend und betäubend. Es war, als ob ein Teil der kleinen Insel von einer Rakete weggeblasen würde. Flammen schössen in den nächtlichen Himmel, aber das Feuer sank schnell zu glühender Asche zusammen.
«Der Pfad«, stieß Borowski heiser hervor, als er wieder auf die Füße gekommen war.»Zum Pfad!«
«Sie sind in schlechter Verfassung, Mann.«
«Ich sorge für mich und du für dich!«
«Ich glaube, ich habe für uns beide gesorgt.«
«Und du kriegst 'ne verdammte Medaille und einen Haufen Geld, wenn du uns beide zum Pfad bringst.«
Keuchend und schwitzend kämpften sich die beiden Männer durchs Unterholz bis an den Rand des Pfades, zehn Meter hinter den rauchenden Trümmern der Kapelle. Sie verkrochen sich im Gras, und innerhalb weniger Sekunden war der zweite Wächter bei ihnen.»Sie sind dort drüben, bei den Fahnen«, sagte er atemlos.»Sie warten, bis sich der Rauch verzogen hat, um zu sehen, ob jemand überlebt hat, aber lange können sie nicht bleiben.«
«Du warst dort?«fragte Jason.»Mit ihnen?«
«Kein Problem, Mann. Ich habe es Ihnen gesagt, Sir.«
«Was ist passiert? Wie viele sind es?«
«Es waren vier, Sir. Ich habe einen getötet und seinen Platz eingenommen. Er war schwarz, so machte es in der Dunkelheit keinen Unterschied. Es ging schnell und leise. Die Kehle.«
«Wer ist übrig?«
«Der Drogenchef von Montserrat und zwei andere…«
«Wie sehen sie aus?«
«Ich konnte sie nicht deutlich sehen, aber noch einer von ihnen war — glaub ich — ein Schwarzer, groß und mit wenig Haaren. Den anderen konnte ich gar nicht sehen, denn er — oder sie — hatte seltsame Kleider an, mit einem Tuch über dem Kopf wie ein Sonnenhut mit einem Moskitonetz oder wie ein Damenhut mit Schleier.«
«Eine Frau?«
«Möglich, Sir.«
«Eine Frau…? Sie müssen von dort wegkommen — er muß von dort irgendwie wegkommen.«
«Sie werden diesen Pfad zum Strand benutzen und sich versteckt halten, bis ein Boot kommt und sie abholt. Sie haben keine andere Wahl. Sie können nicht ins Hotel zurück, weil sicher alle die Explosion gehört haben, auch wenn das Orchester sehr laut ist.«
«Hört zu«, Borowskis Stimme klang rauh.»Einer von den drei Leuten ist der Mann, den ich suche, und ich will ihn für mich! Ihr werdet also nicht schießen, weil ich ihn erkenne, sobald ich ihn sehe. Ich scheiße auf die anderen, die können wir uns später schnappen.«
Eine Gewehrsalve krachte durch den Tropenwald, und Schreie gellten durch die Nacht. Dann hetzten drei Gestalten durchs Gebüsch. Der erste, den es erwischte, war der blonde Polizeioffizier. Die unsichtbare Schnur brachte ihn zu Fall, wobei sie zerriß. Der zweite Mann, schlank, groß, mit dunkler Gesichtshaut, kam dicht nach dem ersten. Er half dem anderen auf die Beine. Instinktiv, oder weil er etwas gesehen hatte, durchtrennte er, sein Messer wie eine Machete vor sich hin- und herschwingend, die hinderlichen Schnüre über dem Weg. Die dritte Figur erschien. Es war keine Frau. Es war ein Mann, in einer Mönchskutte. Ein Priester. Er war es. Der Schakal!
Borowski kroch aus dem Gebüsch auf den Pfad, die Uzi in der Hand. Ihm gehörten der Sieg, die Freiheit und seine Familie. Als die Figur in der Robe an der primitiven in den Stein gehauenen Treppe ankam, drückte Jason ab. Ein Feuerstoß kam explosionsartig aus der Mündung seiner Waffe.
Die Silhouette des Mönchs stürzte kopfüber in den Steilhang, prallte weiter unten dumpf auf den Felsen, überschlug sich, rollte weiter und blieb im Sand liegen. Borowski kletterte so schnell er konnte die unregelmäßige Treppe hinunter, gefolgt von den beiden Wachen. Er kam zum Strand, stürzte zu der Leiche hin und zog das blutgetränkte Tuch weg. Voller Entsetzen blickte er in die schwarzen Gesichtszüge von Samuel, dem Prediger, dem Judas, der seine Seele dem Schakal verkauft hatte.
Plötzlich war weiter weg das Aufheulen eines starken Doppelmotors zu hören. Ein großes Rennboot schlüpfte aus einer schattigen Ecke der Bucht und raste auf einen schmalen Durchlaß im Riff zu. Ein starker Scheinwerfer suchte die Barriere ab, die aus dem schwarzen Wasser ragte. In seinem Licht konnte man auch den flatternden Wimpel der Drogenflotte der Regierung erkennen… Carlos!.. Der Schakal war zwar kein Chamäleon, aber er hatte sich verändert! Er war älter, dünner und kahlköpfig geworden — er war nicht mehr der Mann mit dem scharfgeschnittenen, breiten Gesicht und der muskulösen Figur, wie Jason ihn in Erinnerung hatte — nur die Gesichtszüge waren geblieben, der kahle Schädel von der Sonne gebräunt. Er entkam.
Unisono heulten die Motoren auf, als das Boot durch die gefährliche Öffnung im Riff jagte und das offene Wasser erreichte. Dann spuckte der ferne Lautsprecher metallische Worte aus, die in der tropischen Bucht ihr Echo fanden.»Paris, Jason Borowski! Paris, wenn du es wagst! Oder lieber eine gewisse kleine Universität in Maine, Dr. Webb?«
Borowski brach zusammen, und aus der offenen Halswunde lief sein Blut ins Meer.