Die dunkelgrüne KGB-Limousine nahm die letzte Kurve der abfallenden Straße, die sich durch die Landschaft schnitt. Das Gefalle war gleichmäßig. Dahinter wurde das Land flach und sommergrün, mit Feldern voll von wildwachsendem Gras, das bis an die Zufahrt des klotzigen, braunen Gebäudes des Kubinka-Arsenals reichte. Das Arsenal war eine riesige, kastenförmige Störung der ländlichen Szenerie, ein häßlicher, von Menschenhand erbauter Eindringling aus schwerem, braunem Holz, mit mickrigen Fenstern, drei Stockwerke hoch und etwa achttausend Quadratmeter groß. Wie der Bau selbst war auch der Eingang groß, quadratisch und schmucklos, abgesehen von den schwerfälligen Reliefs über der Tür, die drei sowjetische Soldaten auf ihrem Weg in die tödlichen Stürme einer Schlacht zeigten, die Gewehre im Anschlag, bereit, dem Gegner die Köpfe wegzuschießen.
Bewaffnet mit einer russischen AK-47 und fünf dreißigschüssigen Standardmagazinen, sprang Borowski aus der abgewandten Seite des leisen, im Leerlauf dahinrollenden Regierungswagens und nutzte die Masse des Fahrzeugs, um sich im Gras auf der anderen Straßenseite gegenüber des Eingangs zu verstecken. Der riesige, unbefestigte Parkplatz des Arsenals lag rechts vom Gebäude, eine einzelne Reihe ungepflegter Büsche umrandete den vorderen Rasen, in dessen Mitte ein hoher, weißer Mast stand, an dem die sowjetische Flagge schlaff in der stillen Morgenluft hing. Jason rannte über die Straße und hockte sich mit gebücktem Körper neben die Hecke. Es blieben ihm nur Augenblicke, durch die Büsche zu sehen und sich ein Bild der Sicherheitsmaßnahmen im Arsenal zu machen. Rechts neben dem Eingang, ähnlich der Abendkasse eines Theaters, gab es eine Glasscheibe. Dahinter saß eine uniformierte Wache und las in einer Illustrierten. Neben ihr, schlechter zu sehen, aber dennoch deutlich genug, saß ein anderer Mann, den Kopf auf den Tisch gelegt, und schlief. In diesem Moment traten zwei weitere Soldaten aus dem riesigen Doppeltor hervor, beide lässig, unbeteiligt, von denen einer auf seine Uhr sah und der andere sich eine Zigarette ansteckte.
Das also waren Kubinkas Sicherheitsmaßnahmen. Weder erwartete man einen plötzlichen Überfall, noch hatte einer stattgefunden, zumindest keiner, der bei der Eingangswache Alarm ausgelöst hatte. Es war unheimlich, unnatürlich, unerwartet. Der Schakal befand sich innerhalb dieser militärischen Anlage, und dennoch gab es keinerlei Anzeichen dafür, daß er dort eingedrungen war, keinen Hinweis darauf, daß er irgendwo innerhalb dieses Komplexes mindestens fünf Leute in seine Hand gebracht hatte — einen Mann, der ihn darstellte, drei andere Männer und eine Frau.
Der Parkplatz selbst? Er hatte das Gespräch zwischen Alex, Krupkin und der Stimme aus dem Funkgerät nicht verstanden, aber jetzt war ihm klar, daß sie, als sie von Leuten gesprochen hatten, die herauskamen und zu dem gestohlenen Wagen liefen, nicht den Vordereingang gemeint hatten. Es mußte noch einen Ausgang am Parkplatz geben! Herrgott noch mal, ihm blieben nur Sekunden, bevor der Fahrer des KGB-Wagens den Motor anließ und auf den riesigen Parkplatz gedonnert kam, ihn umkreisen und wieder hinausrasen würde und beide Aktionen die Ankunft des Regierungsfahrzeugs und seine eilige, panikartige Abfahrt verkündeten. Wenn Carlos einen Fluchtversuch wagen wollte, dann würde dies der Moment sein! Jeder Augenblick, den er zwischen sich und das Arsenal brachte, würde es schwieriger machen, seine Spur aufzunehmen. Und er Delta one, die leistungsfähige Mordmaschine, war an der falschen Stelle! Es war ein kleines, dummes Mißverständnis! Drei oder vier zusätzlich übersetzte Worte und ein weniger arroganter eindringlicherer Zuhörer hätten den Irrtum vermieden. Es waren immer die kleinen Dinge, die scheinbar unbedeutenden, die graue Operationen zu schwarzen verpfuschten. Gottverflucht!
Aus hundertfünfzig Metern Entfernung donnerte plötzlich die KGB-Limousine heran, schleuderte auf den Parkplatz, wirbelte Wolken von trockenem Staub auf, wobei ihre rotierenden Reifen kleine Steine in alle Richtungen sprühten. Er hatte keine Zeit nachzudenken, nur Zeit zu handeln. Borowski hielt die AK-47 gegen sein rechtes Bein und verbarg sie, so gut es ging, als er sich erhob und die rechte Hand über die Oberseite der niedrigen Hecke fahren ließ — ein Gärtner vielleicht, der sich einen bevorstehenden Auftrag ansah, oder ein träger Spaziergänger, der ziellos die Büsche am Straßenrand berührte, nichts auch nur im entferntesten Bedrohliches. Für den zufälligen Beobachter mochte er diese Straße schon seit einigen Minuten hinuntergelaufen sein, ohne daß man ihn bemerkt hatte.
Er warf einen Blick zum Eingang des Arsenals hinüber. Die beiden Soldaten lachten leise, der Mann ohne Zigarette sah wieder auf seine Uhr. Dann kam das Objekt ihrer kleinen Verschwörung links aus einer Eingangstür, ein attraktives, dunkelhaariges Mädchen, kaum zwanzig. Sie legte zum Scherz beide Hände über die Ohren, schnitt ein groteskes Gesicht, ging eilig zu dem so sehr an der Zeit interessierten Mann in Uniform und küßte ihn auf die Lippen. Die drei hakten sich unter, die Frau in der Mitte, und gingen nach rechts, fort vom Eingang.
Ein Krachen! Metall schlug auf Metall, Glas zerschmetterte Glas. Das laute, scharfe Geräusch kam vom weit entfernten Parkplatz. Irgend etwas war dem Komitet-Wagen mit Alex und Krupkin zugestoßen. Der junge Fahrer vom Überfallkommando mußte auf dem trockenen Staub des Platzes in ein anderes Fahrzeug geschleudert sein. Mit diesem Geräusch als Vorwand, ging Jason die Straße hinunter, Conklins Bild kam ihm sofort in den Sinn, und er mimte ein Hinken, damit seine Waffe möglichst wenig zu sehen war. Er drehte seinen Kopf in der Erwartung, die beiden Soldaten und die Frau die Straße des
Arsenals hinunter zum Unfall laufen zu sehen, aber er sah nur, wie die drei in die andere Richtung liefen und sich jeder Verwicklung in die Sache entzogen. Offensichtlich wurden wertvolle Pausen im militärischen Tagesplan eifersüchtig verteidigt.
Borowski hörte auf zu hinken, brach durch die Hecke und rannte zu dem Betonweg, der sich bis zur Ecke des riesigen Gebäudes erstreckte, nahm Geschwindigkeit auf, atmete schwer und mit steigender Frequenz. Seine Waffe war jetzt offen zu sehen. Er kam an das Ende des Weges, seine Brust hob und senkte sich, die Adern an seinem Hals schienen bereit zu platzen, während ihm der Schweiß herunterlief, seinen Kragen und sein Hemd durchnäßte. Keuchend legte er die AK-47 an, den Rücken gegen die Mauer des Gebäudes gepreßt, dann wirbelte er um die Ecke auf den Parkplatz, verblüfft vom Anblick, der sich ihm bot. Seine trampelnden Füße hatten in Verbindung mit der Angst, die das Blut in seinen Schläfen hatte hämmern lassen, jedes Geräusch überdeckt. Er wußte, daß das, was er da sah, was Übelkeit in ihm aufsteigen ließ, das Ergebnis mehrerer Schüsse aus einer mit einem Schalldämpfer versehenen Waffe sein mußte. Delta one verstand. Er hatte so etwas schon vor vielen Jahren gesehen. Es gab Umstände, unter denen Morde leise geschehen mußten…
Der junge KGB-Fahrer lag neben dem Kofferraum der dunkelgrünen Limousine am Boden. Die Wunden an seinem Kopf zeigten deutlich, daß er tot war. Der Wagen war in die Seite eines Busses von der Sorte geprallt, mit denen man Arbeiter zu ihren Arbeitsplätzen und wieder zurück beförderte. Wie oder warum der Unfall geschehen war, konnte Borowski nicht verstehen. Ebensowenig wußte er, ob Alex und Krupkin überlebt hatten. Die Scheiben des Wagens waren mehrfach durchschossen, und drinnen gab es kein Zeichen von Leben, beides Umstände, die das Schlimmste befürchten ließen — wenn auch nicht mit abschließender Gewißheit. Allerdings verstand das Chamäleon, daß es das, was es da sah, nicht an sich herankommen lassen durfte — Gefühle kamen nicht in Frage! Nicht jetzt!
Denk nach! Was tun? Wie vorgehen? Krupkin hatte gesagt, im Arsenal arbeiteten» mehrere Dutzend Männer und Frauen«. Es war unmöglich! Ein Unfall war passiert, dessen ungeheures Krachen mehr als hundert Meter weit zu hören gewesen war — weit über die Länge eines Fußballfeldes hinaus —, und ein Mann war am Unfallort erschossen worden, sein lebloser Körper verblutete im Staub, aber niemand, niemand war erschienen. Mit Ausnahme von Carlos und fünf unbekannten Leuten schien das ganze Arsenal ein Raum wie ein Vakuum. Das machte alles keinen Sinn!
Und dann hörte er tief aus dem Innern des Gebäudes, gedämpft, aber deutlich, Klänge von Musik. Militärische Musik, hauptsächlich Trommeln und Trompeten schwollen zu Crescendos an, von denen sich Borowski nur vorstellen konnte, daß sie innerhalb der hallenden Wände des riesigen Baus ohrenbetäubend sein mußten. Das Bild der jungen Frau, die aus dem Vordereingang gekommen war, kehrte zurück. Sie hatte im Scherz ihre Hände an die Ohren gelegt und eine Grimasse geschnitten, und Jason hatte nicht verstanden. Jetzt tat er es. Sie war aus dem inneren Bereitstellungsraum des Arsenals gekommen, in dem der Lautstärkepegel der Musik überwältigend sein mußte. Im Kubinka gab es eine Feierlichkeit, eine passabel besuchte Veranstaltung, was den Überfluß an Autos auf dem ausgedehnten Parkplatz erklärte. Insgesamt standen vielleicht zwanzig Wagen — für die Sowjetunion tatsächlich ein Überfluß — im Halbkreis auf dem Platz geparkt, darunter kleine Transporter und Busse. Die Aktivitäten drinnen waren dem Schakal sowohl Ablenkungsmanöver als auch Schutz. Er wußte, wie man beides zu seinem Vorteil einsetzte. Das wußte auch sein Feind. Schachmatt!
Warum kam Carlos nicht heraus? Warum war er nicht herausgekommen? Worauf wartete er? Die Umstände waren optimal. Sie konnten nicht besser sein. Hatten ihn seine Wunden so langsam werden lassen, daß er den Vorteil verlor, den er sich geschaffen hatte? Das war möglich, aber nicht wahrscheinlich. Nachdem er schon so weit gekommen war, würde er neue, ungeheure Energien mobilisieren. Er hatte es in sich, weiter zu gehen, viel weiter. Warum also war er noch drinnen? Die nicht umkehrbare Logik, die Überlebenslogik des Killers, verlangte, daß der Schakal sich so schnell wie möglich aus dem Staub machte. Es war seine einzige Chance! Warum war er dann noch drinnen? Warum war sein Fluchtwagen nicht vom Gelände verschwunden und raste mit ihm in die Freiheit?
Wieder hatte Jason den Rücken gegen die Mauer gelehnt, machte einen Schritt nach links und beobachtete alles, was er sehen konnte, genau. Wie die meisten Arsenale überall auf der Welt hatte auch Kubinka keine Fenster im Erdgeschoß, zumindest nicht auf den ersten fünf Metern vom Boden. Er nahm an, daß es daran lag, daß gelegentlich wild galoppierende Pferde und Glas nicht zusammenpaßten. Dort, wo er den ersten Stock vermutete, war ein Fensterrahmen zu sehen, nah genug am ermordeten Fahrer, um für eine schallgedämpfte Hochleistungswaffe die größtmögliche Genauigkeit zu sichern. Ein anderer Rahmen auf Bodenhöhe besaß einen herausragenden Griff. Es war der Hintereingang, den niemand erwähnt hatte.
Die kleinen Dinge, die unwichtigen Dinge! Gottverdammt!
Die Musik im Inneren schwoll wieder an, aber jetzt war das Anschwellen anders, die Trommeln lauter, die Trompeten getragener, durchdringender. Es war das unverkennbare Ende eines symphonischen Marsches, leidenschaftlichste Militärmusik… Das war es! Das Ende der Veranstaltung im Inneren stand bevor, und der Schakal würde die herauskommende Menge als Schutz für seine Flucht benutzen.
Er würde sich unter sie mischen, und wenn sich auf dem Parkplatz beim Anblick des toten Mannes und der zerschossenen Limousine Panik ausbreitete, würde er verschwinden — mit wem und mit welchem Fahrzeug, es würde Stunden dauern, bis man es würde feststellen können.
Borowski mußte hinein. Er mußte ihn aufhalten, ihn fassen! Krupkin hatte sich Sorgen um das Leben» mehrerer Dutzend Männer und Frauen «gemacht — und er hatte keine Ahnung, daß es in Wahrheit womöglich mehrere Hundert waren! Carlos würde alles tun, um eine Massenhysterie hervorzurufen, in der er entkommen konnte. Leben bedeuteten ihm nichts. Falls weitere Morde nötig wurden, um sein eigenes zu retten. Delta one ließ alle Vorsicht außer acht, rannte zur Tür, hielt seine AK-47 seitlich unterm Arm, die Sicherung gelöst, den Zeigefinger am Abzug. Er packte den Türgriff und drehte ihn — er wollte sich nicht bewegen lassen. Er feuerte mit seiner Waffe in die Metallplatte um das Schloß herum, dann eine zweite Salve in den sie umgebenden Rahmen, und als er nach dem qualmenden Griff langte, schien die Welt durchdrehen zu wollen!
Aus der Reihe der geparkten Fahrzeuge schoß plötzlich ein schwerer Lastwagen hervor, kam direkt auf ihn zu und beschleunigte wie wild. Gleichzeitig brachen immer wieder Feuerstöße aus einer automatischen Waffe hervor, deren Kugeln rechts neben ihm ins Holz schlugen. Er machte einen Satz nach links, rollte über den Boden, Staub und Schmutz in seinen Augen, als er immer weiterrollte, sein Körper eine Röhre, die davonwirbelte.
Und dann geschah es! Eine ungeheure Explosion zerfetzte die Tür und riß gleichzeitig ein großes Stück aus der Wand darüber heraus, und durch den schwarzen Rauch und die herabfallenden Trümmer konnte Jason eine Gestalt erkennen, die unbeholfen zu den Autos hinübertaumelte. Der Killer entkam am Ende doch noch. Aber Delta one lebte! Und der Grund dafür war offensichtlich: Der Schakal hatte einen Fehler gemacht. Nicht in der Art Falle, die er ihm gestellt hatte, sie war außergewöhnlich. Carlos wußte, daß sein Feind mit Krupkin und dem KGB zusammenarbeitete, und daher war er nach draußen gegangen und hatte auf ihn gewartet. Sein Fehler hatte in der Plazierung des Sprengstoffs bestanden. Er hatte die Bombe oder die Bomben — oben auf dem Motor des Lastwagens verdrahtet, nicht darunter. Sprengstoffe suchen sich den Weg des geringsten Widerstands. Die relativ dünne Haube eines Fahrzeugs ist weit weniger solide als das Eisen darunter. Die Bombe war Hochgegangen, im wahrsten Sinne des Wortes, und hatte so keine todbringenden Metallteile in Bodenhöhe hinter Jason herschicken können.
Borowski kämpfte sich auf die Beine und stolperte zur Komitet-Limousine hinüber, denn eine schreckliche Angst baute sich in ihm auf. Er sah durch die zerschossenen Scheiben, und sein Blick blieb am Vordersitz hängen, wo eine fleischige Hand erhoben wurde. Er riß die Tür auf und sah Krupkin, dessen großer Körper zwischen Sitz und Armaturenbrett eingeklemmt war, die rechte Schulter halb weggerissen, durch den Stoff seiner Jacke hindurch sah man heftig blutendes Fleisch.
«Wir sind verletzt«, sagte der KGB-Offizier schwach, aber ruhig.»Aleksej ein bißchen mehr als ich, also kümmern Sie sich erst um ihn, wenn Sie so nett wären.«
«Die Leute werden gleich aus dem Arsenal kommen…«
«Hier!«unterbrach ihn Krupkin, griff unter Schmerzen in seine Tasche und holte einen Plastikausweis hervor.»Gehen Sie zu dem diensthabenden Idioten und bringen Sie ihn her. Wir brauchen einen Arzt. Für Aleksej, Sie verdammter Dummkopf. Beeilen Sie sich!«
Die beiden verwundeten Männer lagen nebeneinander auf Untersuchungstischen im Krankenrevier des Arsenals, während Borowski auf der anderen Seite des Raumes stand, an der Wand lehnte und zusah, aber nicht verstand, was gesagt wurde. Drei
Ärzte waren per Hubschrauber vom Dach des
Volkskrankenhauses am Serowa Prospekt hergebracht worden, zwei Chirurgen und ein Anästhesist, von denen sich der letztere allerdings als überflüssig erwies. Schwere, tiefere Eingriffe waren nicht nötig. Lokale Betäubungen reichten für das Reinigen und Vernähen vollkommen aus, gefolgt von großzügigen Antibiotika-Injektionen. Die Fremdkörper hätten ihre Körper durchschlagen, erklärte der Chefarzt.
«Ich nehme an, Sie meinen Kugeln, wenn Sie so ehrfürchtig von Fremdkörpern sprechen«, sagte Krupkin.
«Er meint Kugeln«, bestätigte Alex heiser auf russisch. Conklin war wegen seines bandagierten Halses unfähig, den Kopf zu bewegen. Breite Klebestreifen reichten sein Schlüsselbein und die obere rechte Schulter hinunter.
«Sie haben beide Glück gehabt«, sagte der Chirurg,
«besonders Sie, unser amerikanischer Patient, für den wir vertrauliche medizinische Berichte verfassen müssen. Übrigens, geben Sie unseren Leuten den Namen und die Adresse Ihres Arztes in den Vereinigten Staaten. Sie werden noch einige Wochen Aufmerksamkeit brauchen.«
«Im Moment ist er in einem Krankenhaus in Paris.«
«Wie bitte?«
«Na ja, wenn irgendwas mit mir nicht stimmt, erzähle ich es ihm, und er schickt mich zu einem Arzt, den er für gut hält.«
«Ich wiederhole, Sie haben sehr viel Glück gehabt.«
«Ich war sehr schnell, Doktor, genau wie Ihr Genosse. Wir haben den Scheißkerl in unsere Richtung laufen sehen, also haben wir die Türen verriegelt, sind in Bewegung geblieben und haben auf ihn geschossen, als er versucht hat, nahe genug ranzukommen, um uns wegzupusten, was er verdammt noch mal beinahe geschafft hat… Um den Fahrer tut es mir leid. Er war ein mutiger, junger Mann.«
«Er war auch ein wütender, junger Mann, Aleksej«, unterbrach Krupkin vom anderen Tisch.»Diese ersten Schüsse aus dem Eingang haben ihn in den Bus geschickt.«
Die Tür des Krankenreviers schlug auf, was heißen soll, daß sie weniger geöffnet als vielmehr gestürmt wurde. Herein kam der erlauchte KGB-Kommissar aus der Wohnung in der Slawjankij. Der grobgesichtige Komitet-Offizier in seiner ungepflegten Uniform benutzte die groben Worte, die seinem Äußeren gerecht wurden.
«Sie«, sagte er zum Arzt.»Ich habe draußen mit Ihren Begleitern gesprochen. Sie sind hier fertig, sagen die.«
«Nicht ganz, Genosse. Es gibt noch ein paar kleinere Dinge zu tun wie therapeutische…«
«Später«, unterbrach der Kommissar.»Wir sprechen privat. Allein.«
«Das Komitet spricht?«fragte der Chirurg mit geringer, aber merklicher Unzufriedenheit.
«Es spricht.«
«Manchmal zu oft.«
«Was?«
«Sie haben mich gehört«, erwiderte der Doktor und ging zum Ausgang. Der KGB-Mann zuckte mit den Schultern und wartete darauf, daß sich die Tür hinter ihm schloß. Dann ging er zum Fuß der beiden Untersuchungstische, die blinzelnden, fleischigen Augen schössen zwischen den beiden verwundeten Männern hin und her. Schließlich stieß er ein einzelnes Wort aus: »Nowgorod!«
«Was?«
«Was…?«Die Reaktionen kamen gleichzeitig. Selbst Borowski stieß sich von der Wand ab.
«Sie«, fügte er hinzu und wechselte in sein begrenztes Englisch.»Verstehen, was ich sage?«»Wenn Sie das gesagt haben, von dem ich glaube, daß Sie es gesagt haben, dann ja, aber nur den Namen.«
«Ich erkläre gut genug. Wir verhören die neun Männer sowie Frauen, die er in Waffenlager eingesperrt. Er tötet zwei Wachen, die ihn nicht aufhalten, okay? Er nimmt Automobilschlüssel von vier Männern, benutzt aber kein Automobil, okay?«
«Ich habe gesehen, wie er zu den Wagen gegangen ist.«
«Welches? Drei andere Leute in Kubinka erschossen, Automobilpapiere weg. Welches?«
«Du meine Güte, fragen Sie Ihr Verkehrsamt, oder wie das bei Ihnen heißt.«
«Braucht Zeit. Außerdem in Moskau Automobile unter verschiedene Namen, verschiedene Nummernschilder Leningrad, Smolensk, wer weiß —, alle, damit man nicht findet Brecher von Automobilgesetz.«
«Wovon redet er?«rief Jason.
«Fahrzeugbesitz wird vom Staat geregelt«, erklärte Krupkin schwach.»Jede große Stadt hat ihre eigene Registrierung und weigert sich schon mal, mit irgendeinem anderen Zentrum zusammenzuarbeiten.«
«Warum?«
«Registrierung unter verschiedenen Familiennamen sogar Namen, die nicht aus der Familie sind. Es steht nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen zum Verkauf.«
«Und?«
«Bestechungen sind an der Tagesordnung. Niemand in Leningrad möchte, daß ein Bürokrat aus Moskau mit dem Finger auf ihn zeigt. Man wird Ihnen erklären, daß es mehrere Tage dauern könnte, um herauszufinden, welchen Wagen der Schakal fährt.«
«Das ist verrückt!«
«Das haben Sie gesagt, Mr. Borowski, nicht ich. Ich bin ein aufrechter Bürger der Sowjetunion, bitte denken Sie daran.«
«Aber was hat das alles mit Nowgorod zu tun?«
«Nowgorod. Tschto eto snatschit?« sagte Krupkin zu dem KGB-Beamten. In schnellem, abgehacktem Russisch gab der Bauern-Colonel seinem Kollegen aus Paris die relevanten Informationen. Krupkin drehte seinen Kopf und übersetzte ins Englische.
«Versuchen Sie, das zu fassen, Jason«, sagte er mit immer wieder schwächer werdender Stimme, da ihm das Atmen Schwierigkeiten bereitete.»Offensichtlich gibt es eine Galerie mit einem Rundgang über der Halle des Arsenals. Die hat er benutzt, hat Sie durch ein Fenster auf der Straße bei den Hecken gesehen, kam wieder in den Waffenraum gelaufen und hat geschrien wie der Wahnsinnige, der er ja ist. Er hat seine gefesselten Geiseln angeschrien, daß Sie ihm gehören und daß Sie schon tot sind… und daß es da nur noch eine Sache gebe, die er zu Ende bringen müsse.«
«Nowgorod«, unterbrach Conklin flüsternd, sein Kopf unbeweglich, den Blick starr an die Decke geheftet.
«Exakt«, sagte Krupkin, der jetzt zu Alex hinübersah.»Er geht zurück an den Ort seiner Geburt… wo Ilich Ramirez Sanchez zu Carlos, dem Schakal, wurde. Weil man ihn enterbt hatte, zur Hinrichtung als Wahnsinnigen freigegeben. Er hat allen seine Waffe an den Hals gehalten, wollte die besten Straßenverbindungen nach Nowgorod wissen und hat gedroht, jeden zu töten, der ihm eine falsche Antwort gibt.«
«Straßen?«schob Jason ein.
«Er weiß, daß er nur mit dem Wagen hinkommen kann — ist etwa eine Tagesfahrt. Die Eisenbahnen, die Flughäfen — selbst die kleinen Landebahnen — werden alle überwacht, das weiß er.«
«Was will er in Nowgorod?«fragte Jason schnell.»Du lieber Gott im Himmel — was es natürlich beides nicht gibt —, wer weiß das schon? Er wird die Absicht haben, seine Spuren zu hinterlassen, zweifellos ein höchst zerstörerisches Denkmal seiner selbst, als Antwort auf diejenigen, von denen er glaubt, sie hätten ihn vor dreißig Jahren oder mehr verraten, ebenso wie die acht, die ihm heute morgen in der Wawilowa zum Opfer gefallen sind… Er hat die Papiere von unserem Agenten an sich genommen, der in Nowgorod ausgebildet worden ist, und er glaubt, die helfen ihm hinein. Das werden sie aber nicht: Wir werden ihn aufhalten.«
«Versuchen Sie es gar nicht erst«, sagte Borowski.»Vielleicht benutzt er sie, vielleicht auch nicht, je nachdem, was er sieht, was er ahnt. Er braucht sie genausowenig wie ich, um da reinzukommen, und wenn er glaubt, daß etwas faul ist, und das wird er, werden eine ganze Reihe guter Männer sterben, und er wird trotzdem reinkommen.«
«Worauf wollen Sie hinaus?«fragte Krupkin müde und betrachtete Borowski, den Amerikaner mit wechselnden Identitäten und offensichtlich widersprüchlichen Lebensstilen.
«Bringen Sie mich vor ihm rein, mit einer detaillierten Karte der ganzen Anlage und irgendeinem Dokument, das mir überall freien Zugang verschafft.«
«Sie haben den Verstand verloren!«heulte Dimitrij.»Ein nicht übergelaufener Amerikaner, ein Attentäter, der von jedem NATO-Land in Europa gesucht wird, in Nowgorod?«»Njet, njet, njet!« brüllte der Kommissar vom Komitet.»Ich verstehe gut, okay? Sie sind Irrer, okay?«»Wollen Sie den Schakal?«»Natürlich, aber es gibt Grenzen für den Preis.«»Ich habe nicht das geringste Interesse an Nowgorod oder irgendeiner der Anlagen — das sollten Sie inzwischen wissen. Ihre kleinen, infiltrierenden Operationen und unsere kleinen, infiltrierenden Operationen können immer weiter und weitergehen, ohne daß es irgendeinen Unterschied macht, weil nichts davon auf lange Sicht irgend etwas bedeutet. Das ist nichts als ein Spiel für Erwachsene. Entweder leben wir auf Dauer auf diesem Planeten zusammen, oder es wird keinen Planeten mehr geben… Meine einzige Sorge ist Carlos. Ich will, daß er tot ist, damit ich weiterleben kann.«
«Natürlich stimme ich persönlich mit dem überein, was Sie sagen, wenn auch diese Erwachsenen-Spiele einige von uns einigermaßen in Würde ernähren. Dennoch gibt es keine Möglichkeit, meine starrköpfigen Vorgesetzten zu überreden, angefangen bei dem, der über mir steht.«
«Also gut«, sagte Conklin von seinem Tisch, die Augen immer noch an die Decke gerichtet.»Also gut, wenn es nicht anders geht: Wir machen einen Deal. Ihr bringt ihn nach Nowgorod, und dafür könnt Ihr Ogilvie behalten.«
«Wir haben ihn schon, Aleksej.«
«Nicht so ganz. Washington weiß, daß er hier ist.«
«Und das heißt?«
«Und das heißt, ich könnte sagen, daß ihr ihn verloren habt, und sie würden mir glauben. Sie würden mein Wort dafür nehmen, daß er euch aus dem Nest geflogen ist und ihr höllisch wütend seid, ihn aber nicht zu euch zurückholen könnt. Er operiert von unbekannten und nicht erreichbaren Orten aus, und zwar offensichtlich unter dem unumschränkten Schutz eines Staates der Vereinten Nationen. Als reine Vermutung würde ich mal annehmen, daß ihr ihn so überhaupt erst hierhergeholt habt.«
«Du bist mir ein Rätsel, mein guter, alter Feind. Aus welchem Grund sollte ich deinen Vorschlag überdenken?«
«Keine peinliche Situation vor der Welt, keine Vorwürfe, einem Amerikaner Zuflucht zu gewähren, der internationaler Verbrechen beschuldigt wird… Ihr gewinnt den Einsatz in Europa. Ihr übernehmt die Operation Medusa ohne Komplikationen — in der Person eines gewissen Dimitrij Krupkin, eines erprobten Mannes von Welt. Wer könnte das Unternehmen besser leiten?… Der neueste Held der
Sowjetunion, Mitglied des inneren Wirtschaftsrates des Präsidiums. Vergiß das mickrige Haus in Genf, Kruppie, wie war's mit einem Anwesen am Schwarzen Meer?«
«Das ist ein höchst intelligentes und attraktives Angebot, das muß ich zugeben. Ich kenne zwei oder drei Männer aus dem Zentralkomitee, die ich innerhalb weniger Minuten erreichen kann, vertraulich natürlich.«
«Njet, njet!« rief der KGB-Kommissar und schlug mit der Faust auf Dimitrijs Tisch.»Ich verstehe zwar nur etwas, weil Sie reden sehr schnell. Ist aber alles Irrsinn!«
«Oh, du meine Güte, halten Sie den Mund!«polterte Krupkin.»Wir sprechen über Dinge, die weit über Ihren Horizont gehen!«
«Tschto?« Wie ein kleines Kind, das von einem Erwachsenen gemaßregelt wurde, war der Komitet-Offizier, die geschwollenen Augen weit aufgerissen, von dem unverständlichen Verweis seines Untergebenen sowohl verblüfft als auch eingeschüchtert.
«Gib meinem Freund eine Chance, Kruppie«, sagte Alex.»Er ist der Beste, den es gibt, und er könnte euch den Schakal bringen.«
«Er könnte auch den Tod finden, Alexej.«
«Er hat das schon erlebt. Ich glaube an ihn.«
«Glaube«, flüsterte Krupkin, auch sein Blick war jetzt an die Decke geheftet.»Was für ein Luxus… Also gut, es wird ein Geheimbefehl ergehen, sein Ursprung darf natürlich nicht zurückzuverfolgen sein. Sie werden in ein Ihnen bekanntes Umfeld geschickt, das amerikanische Lager. Es ist zudem das am wenigsten bekannte.«
«Wie schnell kann ich da sein?«fragte Borowski.»Es gibt eine Menge Sachen vorzubereiten.«
«Wir haben einen Flughafen in Wnukowo unter unserer Kontrolle, nicht weiter als eine Stunde entfernt. Aber erst muß ich die Arrangements treffen. Geben Sie mir ein Telefon… Sie, mein trotteliger Kommissar! Ich will von Ihnen nichts mehr hören! Eine telefone!« Der ehemals mächtige, jetzt untergebene Vorgesetzte, der eigentlich nur Worte wie» Präsidium «und» Zentralkomitee «verstanden hatte, kam voller Eifer in Bewegung und brachte einen Apparat an Krupkins Tisch.
«Noch eine Sache«, sagte Borowski.»Lassen Sie Tass eine Eil-Meldung herausgeben, daß der Attentäter, den man unter dem Namen Jason Borowski kennt, in Moskau seinen Verletzungen erlegen ist. Umreißen Sie die Einzelheiten nur grob, aber schaffen Sie eine Parallele zu dem, was heute morgen hier passiert ist. Und sorgen Sie dafür, daß es in allen Medien erscheint.«
«Das ist nicht schwer. Tass ist ein gehorsames Instrument unseres Staates.«
«Ich bin noch nicht fertig«, fuhr Jason fort.»Ich möchte, daß Sie in diese grob umrissenen Einzelheiten einfügen, daß sich unter den persönlichen Dingen, die man bei Börowski gefunden hat, eine Straßenkarte von Brüssel und Umgebung fand. Die Stadt Anderlecht war rot eingekreist — das muß dabei auftauchen.«
«Die Ermordung des obersten Kommandeurs der NATO — sehr gut, sehr überzeugend. Allerdings, Mr. Borowski oder Webb oder wie Ihr Name auch sein mag, Sie sollten wissen, daß sich diese Geschichte auf der ganzen Welt wie eine gewaltige Flutwelle ausbreiten wird.«
«Das weiß ich.«
«Sind Sie darauf vorbereitet?«
«Ja, das bin ich.«
«Was ist mit Ihrer Frau? Meinen Sie nicht, Sie sollten sie erst anrufen, bevor die zivilisierte Welt erfährt, daß Jason Borowski tot ist?«
«Nein. Ich will auch nicht das kleinste Risiko eingehen.«
«Gütiger Gott!«explodierte Alex hustend.»Das ist Marie, von der du redest. Sie wird zusammenbrechen!«
«Das ist ein Risiko, das ich eingehe«, sagte Delta kalt.
«Scheißkerl!«
«Das trifft es«, stimmte das Chamäleon zu.
John St. Jacques trat mit Tränen in den Augen in den hellen, sonnigen Raum des Hauses von Maryland. In der Hand hielt er eine Seite von einem Computerausdruck. Seine Schwester saß auf dem Boden vor der Couch und spielte mit dem ausgelassenen Jamie, nachdem sie Baby Alison wieder nach oben in die Wiege gebracht hatte. Sie sah müde und abgespannt aus, das Gesicht blaß, mit dunklen Rändern unter den Augen. Sie war noch vollkommen erschöpft von der Anspannung des idiotisch umständlichen Flugs von Paris nach Washington. Obwohl sie gestern erst spätabends angekommen war, wollte sie in aller Frühe mit den Kindern aufstehen. Ihr Bruder hätte Jahre seines Lebens geopfert, wenn er nicht hätte tun müssen, was in diesem Moment getan werden mußte. Aber es gab keine Alternative. Er mußte bei ihr sein, wenn sie es erfuhr.
«Jamie«, sagte St. Jacques sanft.»Geh und such Mrs. Cooper, ja? Ich glaube, sie ist in der Küche.«
«Warum, Onkel John?«
«Ich möchte ein paar Minuten mit deiner Mutter sprechen.«
«Johnny, bitte«, protestierte Marie.»Es muß sein.«»Was…?«
Das Kind ging, und wie es bei Kindern so oft der Fall ist, ahnte es etwas Ernstes, etwas, das über seinen Verstand hinausging.
Marie stand auf, Tränen liefen ihr über die Wangen. Die furchtbare Botschaft war übermittelt.»Nein…!«flüsterte sie, und ihr bleiches Gesicht wurde noch blasser.»Lieber Gott, nein«, weinte sie. Ihre Hände zitterten, dann ihre Schultern.»Nein… nein!« brüllte sie.
«Er ist tot, Marie. Ich wollte, daß du es von mir hörst, nicht aus dem Radio oder einem Fernseher. Ich wollte bei dir sein.«
«Das stimmt nicht, stimmt nicht!« schrie Marie, lief zu ihm und verkrallte sich in sein Hemd.»Er steht unter Schutz!.. Er hat mir versprochen, daß er unter Schutz steht!«
«Das hier ist gerade aus Langley gekommen«, sagte ihr Bruder und hielt die Seite von dem Computerausdruck hoch.»Holland hat mich vor ein paar Minuten angerufen und gesagt, daß es auf dem Weg hierher wäre. Er wußte, daß du es sehen mußt. Es wurde gestern nacht von Radio Moskau aufgefangen und wird in allen Sendungen und Morgenzeitungen sein.«
«Gib es mir!«rief sie trotzig. Er tat es und hielt sie sanft an den Schultern, bereit, sie in die Arme zu nehmen und ihr allen Trost zu geben, den er geben konnte. Sie las die Kopie schnell, dann schüttelte sie seine Hände von sich, legte die Stirn in Falten, ging zur Couch zurück und setzte sich. Sie war absolut konzentriert. Sie legte das Blatt auf den Kaffeetisch und untersuchte es, als wäre es ein archäologischer Fund, eine Schriftrolle vielleicht.
«Er ist tot, Marie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll… Du weißt, wie ich zu ihm gestanden habe.«
«Ja, ich weiß, Johnny. «Und dann, zu St. Jacques' Erstaunen, sah seine Schwester zu ihm auf, und auf ihren Lippen formte sich ein schmales, mattes Lächeln.»Aber es ist ein bißchen früh für Tränen, John. Er lebt. Jason Borowski lebt und macht wieder seine Mätzchen, und das bedeutet, daß auch David lebt.«
Mein Gott, sie kann es nicht akzeptieren, dachte der Bruder, ging zur Couch hinüber, kniete sich neben dem Kaffeetisch vor Marie hin und nahm ihre Hände.»Marie, Liebes. Ich glaube, du verstehst nicht. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen, aber du mußt verstehen.«
«Du bist wirklich süß, aber du hast das hier nicht genau gelesen, wirklich genau. Die heftige Wirkung der Meldung lenkt von dem darunterstehenden Text ab. In der Wirtschaft nennen wir das Vernebelung.«
«Was?«St. Jacques ließ ihre Hände los.»Wovon redest du?«
Marie nahm das Kommunique und überflog es.»Nach mehreren, sogar widersprüchlichen Darstellungen von dem, was passiert ist«, sagte sie,»nach Beschreibungen der Leute, die in diesem Arsenal, oder was es auch sein mag, dabei waren, findet sich folgendes im letzten Absatz versteckt: >Unter den persönlichen Dingen, die man bei der Leiche des ermordeten Attentäters sicherstellte, befand sich eine Karte von Brüssel und Umgebung, wobei die Stadt Anderlecht rot eingekreist war.< Dann geht es weiter und zieht die offensichtliche Verbindung zu Teagartens Ermordung. Das ist getürkt, Johnny, aus zwei Gründen… Erstens würde David niemals so eine Karte bei sich tragen. Zweitens und weit aufschlußreicher scheint mir die Tatsache, daß es unglaubwürdig genug ist, wenn die sowjetischen Medien der Geschichte solche Bedeutung beimessen, aber daß sie die Ermordung von General Teagarten einbeziehen, ist einfach zuviel.«
«Was meinst du? Warum?«
«Weil der angebliche Attentäter in Rußland war und Moskau keine erkennbare Verbindung zu dem Mord an einem NATO-Kommandeur möchte… Nein, Johnny, irgend jemand hat die Regeln zu seinen Gunsten verändert und Tass überredet, die Story zu bringen, und ich nehme an, daß da Köpfe rollen werden. Ich weiß nicht, wo Jason Borowski ist, aber ich weiß, er ist nicht tot. David hat dafür gesorgt, daß ich es weiß.«
Peter Holland nahm den Hörer ab und drückte die Knöpfe seiner Konsole, um Charlie Cassets Privatnummer zu erreichen.
«Ja?«
«Charlie, hier ist Peter.«
«Ich bin froh, das zu hören.«
«Warum?«
«Weil alles, was sonst durch dieses Telefon kommt, Ärger und Verwirrung bringt. Ich habe gerade mit unserer Quelle am Dserschinskij-Platz gesprochen, und er hat mir gesagt, der KGB will Blut sehen.«
«Die Tass-Meldung über Borowski?«
«Genau. Tass und Radio Moskau sind davon ausgegangen, daß die Geschichte offiziell gebilligt war, weil sie ihnen vom Informationsministerium mit den entsprechenden Kodes für die sofortige Veröffentlichung übermittelt wurde. Als die Scheiße dann zu stinken anfing, wollte es niemand zugeben, und wer die Kodes programmiert hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen.«
«Was hältst du davon?«
«Ich bin nicht sicher. Aber nach allem, was ich über Dimitrij Krupkin erfahren habe, könnte das sein Stil sein. Er arbeitet mit Alex, und wenn das nicht aus Conklins Lehrbuch ist, dann kenne ich den heiligen Alex nicht. Und ich kenne ihn.«
«Das paßt zu dem, was Marie glaubt.«
«Marie?«
«Borowskis Frau. Ich habe gerade mit ihr gesprochen, und ihre Argumentation ist ziemlich gut. Sie sagt, der Bericht aus Moskau ist getürkt. Ihr Mann lebt.«
«Das glaube ich auch. Hast du mich deswegen angerufen?«
«Nein«, antwortete der Direktor und holte tief Luft.»Ich möchte etwas zu deinem Ärger und deiner Verwirrung beitragen.«
«Ich bin nicht gerade beruhigt, das zu hören. Was ist?«
«Die Pariser Telefonnummer, die Verbindung zum Schakal, die wir von Henry Sykes in Montserrat bekommen haben und die zu einem Cafe in Paris gehört.«
«Wo jemand den Ruf nach einem schwarzen Vogel beantworten sollte. Ich erinnere mich.«
«Jemand hat es getan, und wir sind ihm gefolgt. Das wird dir gar nicht gefallen…«
«Alex Conklin ist dabei, sich den Preis für das Arschloch des Jahres zu verdienen. Er hat uns mit Sykes in Verbindung gebracht, oder?«
«Ja.«
«Erzähl.«
«Die Nachricht wurde im Haus des Direktors vom Deuxieme Bureau abgegeben.«
«Mein Gott! Das lassen wir besser den SED-Zweig im französischen Geheimdienst wissen, aber mit geheimer Zeitabfolge.«
«Ich lasse niemanden irgendwas über irgend jemanden wissen, bis wir nicht von Conklin gehört haben. Das sind wir ihm schuldig, finde ich.«
«Was, zum Teufel, machen die da?«rief der frustrierte Casset durchs Telefon.»Falsche Todesmeldungen auszugeben — von Moskau, immerhin! Wozu?«
«Jason Borowski ist auf die Jagd gegangen«, sagte Peter Holland.»Und wenn die Jagd vorbei ist — falls sie jemals vorbei ist und falls die Tötung gelingt —, wird er aus dem Wald verschwinden müssen, bevor sich jemand über ihn hermacht… Ich will, daß jeder Stützpunkt und Horchposten an der Grenze zur Sowjetunion in voller Alarmbereitschaft ist. Kodename: Attentäter. Holt ihn zurück.«