«Die Frau«, sagte Alex Conklin am Telefon.»Nach allem, was du mir erzählt hast, muß es Swaynes Frau gewesen sein. Großer Gott!«
«Es nutzt alles nichts, aber es sieht so aus«, stimmte Borowski kleinlaut zu.»Sie hatte, weiß Gott, genug Gründe — obwohl, wenn sie es war, dann hat sie es Flannagan nicht erzählt, und das ergibt keinen Sinn.«
«Nein, tut es nicht…«Conklin machte eine Pause und sprach dann schnell weiter:»Laß mich mit Ivan sprechen.«
«Ivan? Dein Doktor? Er heißt Ivan?«
«Und?«
«Nichts. Er ist draußen… >seine Waren zusammenpackenc, wie er es nannte.«
«In seinem Wagen?«
«Richtig. Wir haben die Leiche…«
«Was macht ihn so sicher, daß es kein Selbstmord war?«unterbrach Alex.
«Swayne stand unter Drogen. Er sagte, er würde dich später anrufen und es dir erklären. Er möchte von hier verschwinden, und niemand soll nach uns das Zimmer betreten, bis du der Polizei Bescheid gibst.«
«Du liebe Güte, das muß aussehen da drinnen.«
«Hübsch ist es nicht. Was soll ich machen?«
«Zieh die Vorhänge vor, wenn es welche gibt, prüfe die Fenster und schließ die Tür ab. Wenn es keine Möglichkeit gibt, sie abzuschließen, sieh nach, ob…«
«Ich habe einen Schlüsselbund in Swaynes Tasche gefunden«, unterbrach Jason.»Einer paßt.«
«Gut. Wenn du gehst, wisch die Tür sauber. Nimm ein Möbelpolish oder so was.«
«Das wird aber niemanden abhalten, der hineinwill.«
«Nein, aber wenn es jemand tut, hätten wir eine Spur.«
«Wirst du…?«
«Natürlich«, sagte der ehemalige CIA-Agent.»Ich muß mir was ausdenken, wie ich das ganze Anwesen wasserdicht mache, ohne auf jemanden aus Langley zurückzugreifen, und nebenbei muß ich das Pentagon in Schach halten, falls jemand von den etwa zwanzigtausend Leuten Swayne sprechen möchte, einschließlich seines Büros und wahrscheinlich ein paar hundert Käufern und Verkäufern täglich… Mein Gott, das ist unmöglich!«
«Es ist perfekt«, widersprach Borowski, als Dr. Ivan Jax plötzlich in der Tür erschien.»Unser kleines Spiel zur Destabilisierung wird direkt hier beginnen. Hast du die Nummer von Kaktus?«
«Nicht bei mir. Ich glaube, sie ist wohl in einem Schuhkarton bei mir zu Hause.«
«Ruf Mo Panov an, er hat sie. Dann setzt du dich mit Kaktus in Verbindung und sagst ihm, er soll in eine Telefonzelle gehen und mich hier anrufen.«
«Was, zum Teufel, hast du vor? Wenn ich den Namen des alten Mannes höre, werde ich nervös.«
«Du hast mir gesagt, ich solle außer dir jemanden finden, dem ich vertraue. Hab ich gerade getan. Ruf ihn an, Alex. «Jason hängte auf.»Tut mir leid, Doktor… oder vielleicht kann ich unter diesen Umständen Ihren Namen benutzen. Hallo, Ivan.«
«Hallo, No-Name. Ich hätte es lieber weiter ohne. Besonders, weil ich Sie gerade einen anderen Namen sagen hörte.«
«Alex?… Nein, natürlich meinen Sie nicht Alex, unseren gemeinsamen Freund. «Borowski lachte leise und wissend, als er hinter dem Schreibtisch vorkam.»Kaktus, oder nicht?«
«Ich kam nur herein, um zu fragen, ob ich die Tore schließen soll«, Jax überging die Frage.
«Wären Sie beleidigt, wenn ich sage, daß ich erst an ihn dachte, als Sie reinkamen?«
«Manche Assoziationen sind recht vordergründig. Was ist mit den Toren?«
«Verdanken Sie Kaktus ebensoviel wie ich, Doktor?«Jason stand immer noch und schaute den Jamaikaner an.»Ich verdanke ihm so viel, daß ich mir nicht vorstellen könnte, ihn in eine Sache wie die hier hineinzuziehen. Um Himmels willen, er ist ein alter Mann, und egal, welche Ablenkungsmanöver Langley machen wird, es gab heute abend einen Mord, einen besonders brutalen Mord. Nein, ich würde ihn hier nicht reinziehen.«
«Sie sind nicht ich. Verstehen Sie, ich muß. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich es nicht täte.«
«Sie halten nicht viel von sich, oder?«
«Schließen Sie bitte die Tore, Doktor. In der Diele ist eine Alarmanlage, die ich einschalte, wenn sie geschlossen sind.«
Jax blieb stehen, als wüßte er nicht recht, was er sagen sollte.»Die meisten gesunden Leute haben Gründe«, begann er zögernd,»gewisse Dinge zu sagen — gewisse Dinge zu tun. Meine Vermutung ist, daß Sie gesund sind. Rufen Sie Alex an, wenn Sie mich brauchen — wenn der alte Kaktus mich braucht. «Der Doktor ging schnell zur Tür hinaus. Borowski sah sich das Zimmer an. Seit Flannagan und Kachel Swayne sich vor beinahe drei Stunden davongemacht hatten, hatte er jeden Quadratzentimeter hier untersucht, auch das Schlafzimmer des Generals im ersten Stock. Die Gegenstände, die er mitnehmen wollte, hatte er auf das Messingtischchen gelegt. Da waren drei braune, ledergebundene Mappen, in denen Spiralblöcke steckten, die zu einem Schreibtischset gehörten. Das erste war ein Terminkalender, das zweite ein persönliches Telefonbuch, in das Namen und Telefonnummern mit Tinte eingetragen waren, und das dritte ein kaum benutztes Ausgabenbuch. Daneben gab es elf Zettel von einem Telefonblock mit Nachrichten aus dem Büro. Die hatte Jason in Swaynes Taschen gefunden. Außerdem eine Golfklubkarte und mehrere im Pentagon geschriebene Memoranden. Und schließlich war da noch die Brieftasche des Generals mit einer Fülle von eindrucksvollen Kreditkarten und sehr wenig Geld. Borowski wollte alles an Alex weitergeben und hoffte, noch weitere Hinweise zu finden. Soweit er die Sache überblickte, hatte er nichts Erschütterndes entdeckt, nichts wesentlich Wichtiges hinsichtlich Medusa. Und das störte ihn: Da mußte etwas sein. Dies war das Heim des alten Haudegens, sein Allerheiligstes da mußte etwas sein! Er wußte es, er fühlte es, aber er konnte es nicht finden. Also begann er von vorne, nicht quadratzentimeterweise, sondern Millimeter um Millimeter. Vierzehn Minuten später, als er die Fotografien an der Wand hinter dem Schreibtisch abnahm und umdrehte, auch an der Wand rechts neben dem gepolsterten Erkerfenster, von dem man den Rasen draußen überblicken konnte, dachte er an Conklins Worte, er solle die Fenster überprüfen und die Vorhänge zuziehen, damit niemand reinkommen oder reinschauen könne.
Lieber Gott, das muß aussehen da drinnen.
Es ist nicht sehr hübsch.
War es nicht. Die Scheiben des Erkerfensters waren mit Blut und Gehirnteilen bespritzt. Und der… der schmale Messingriegel? Er war nicht nur nicht eingehakt, das Fenster selbst war offen — kaum geöffnet, aber nichtsdestoweniger offen. Borowski betrachtete den glänzenden Messingriegel und die Scheibe genauer. Die Blutspritzer waren verschmiert, grobe Abdrücke waren auf den Flecken zu sehen, deren Ränder ebenfalls unregelmäßig verwischt waren. Unten am Fensterbrett sah er dann, warum das Fenster nicht zu war. Das Ende des linken Vorhangs war hinausgezogen worden, und ein Stückchen von der Vorhangquaste war am unteren Fensterrahmen hängengeblieben. Verblüfft, aber nicht wirklich überrascht, trat Jason einen Schritt zurück. Das war es, wonach er gesucht hatte, das fehlende Teil in dem komplizierten Puzzle, das den Tod von Norman Swayne erklären würde. Jemand war aus diesem Fenster geklettert, nach dem Schuß, der den Schädel des Generals zerschmettert hatte. Jemand, der nicht gesehen werden wollte. Jemand, der das Haus und das Anwesen kannte… und die Hunde. Ein brutaler Killer von Medusa. Verdammt noch mal! Wer? Wer ist hiergewesen? Flannagan… Swaynes Frau! Sie würden es wissen, sie mußten es wissen! Borowski lief zum Telefon. Im selben Moment klingelte es.
«Alex?«
«Nein, Bruder Rabbit, hier ist nur ein alter Freund. Und ich wußte gar nicht, daß wir mit Namen so offen sind.«
«Sind wir nicht, sollten wir nicht«, sagte Jason schnell und zwang sich zu einer Kontrolle, die er kaum durchhalten konnte.»Es ist gerade etwas passiert — ich habe etwas gefunden.«
«Immer mit der Ruhe, Junge. Was kann ich für dich tun?«
«Ich brauche dich — hier, wo ich bin. Hast du Zeit?«
«Laß mal sehen. «Kaktus kicherte, als er sagte:»Na ja, außer ein paar Vorstandsrunden, wo ich dabeisein müßte, und das Weiße Haus hat mich zum Frühstück eingeladen… Wann und wo, Bruder Rabbit?«
«Nicht allein, alter Freund. Ich möchte, daß noch drei oder vier mit dir kommen. Ist das möglich?«
«Ich weiß nicht. An wen hast du gedacht?«
«An den Burschen, der mich in die Stadt gefahren hat, als ich bei dir war. Und gibt es nicht noch ein paar gleichgesinnte Bürger in der Nachbarschaft?«
«Die meisten sitzen, offen gesagt, im Knast, aber wenn ich ein wenig im Müll herumstochere, finde ich vielleicht was. Wofür?«
«Wachposten. Ziemlich einfach. Du wirst am Telefon sein, und sie werden allen sagen, daß Besucher auf dem Privatgrundstück nicht willkommen sind. Insbesondere etlichen hohen Tieren in dicken Limousinen.«
«Na, das könnte den Brüdern gefallen.«
«Ruf mich zurück, und ich gebe dir weitere Informationen. «Borowski legte auf und wählte dann Conklins Nummer in Vienna.
«Ja?«antwortete Alex.
«Der Doktor hat recht, und ich habe unsere Henker der Schlangenlady laufen lassen!«
«Swaynes Frau meinst du?«
«Nein, aber sie und ihr eifrig plappernder Sergeant wissen, wer es war — sie mußten wissen, wer hier war! Greife sie auf und halte sie fest. Sie haben mich angelogen, also gilt das Abkommen nicht mehr. Wer immer diesen Selbstmord inszeniert hat, er hatte Befehle von sehr weit oben in Medusa. Ihn brauche ich. Er ist unsere Abkürzung.«
«Aber er ist außer Reichweite.«
«Was, zum Teufel, sagst du da?«
«Weil der Sergeant und seine Geliebte außer unserer Reichweite sind. Sie sind verschwunden.«
«Ist das ein Witz? Wie ich unseren heiligen Alex kenne, und ich kenne ihn, hast du sie beschattet, seit sie hier weg sind.«
«Elektronisch, nicht physisch. Denke daran, du wolltest, daß wir Langley und Peter Holland von Medusa fernhalten.«»Was hast du gemacht?«
«Ich habe ein ausführliches Suchprogramm an die zentralen Reservierungscomputer aller internationalen Flughäfen geschickt. Bis zwanzig Uhr zwanzig heute abend hatten unsere Vögel Sitze im Zweiundzwanzig-Uhr-Pan-Am-Flug nach London… «
«London?«warf Jason ein.»Sie wollten doch in die andere Richtung, in den Pazifik. Nach Hawaii!«
«Dort werden sie wahrscheinlich auch hinfliegen, weil sie sich bei der Pan Am nicht gemeldet haben. Wer weiß?«
«Verdammt! Du müßtest es wissen!«
«Wie denn? Zwei Bürger der Vereinigten Staaten, die nach Hawaii fliegen, müssen ihre Pässe nicht vorzeigen, um unser fünfzigstes Bundesland zu besuchen. Ein Führerschein oder eine Wahlkarte genügen. Du hast mir gesagt, daß sie das schon seit langem vorgehabt hätten. Wäre es wirklich schwierig für einen Sergeanten mit dreißig Jahren Berufserfahrung, ein paar Führerscheine mit anderen Namen zu bekommen?«
«Aber warum?«
«Um Leute abzuschütteln, die sie beobachten — uns, oder vielleicht auch von Medusa, von sehr weit oben.«
«Scheiße!«
«Könnten Sie sich etwas weniger vulgär ausdrücken, Herr Professor? Man sagt doch vulgär, oder?«
«Halt's Maul. Ich muß nachdenken.«
«Dann denk mal drüber nach, daß wir mit nacktem Arsch ohne Heizgerät in der Arktis sitzen. Es ist Zeit für Peter Holland. Wir brauchen ihn. Wir brauchen Langley.«
«Nein, noch nicht! Du vergißt etwas. Holland hat den Eid geschworen, und soweit wir ihn kennen, scheint er ihn ernst zu nehmen. Vielleicht verstößt er hin und wieder gegen eine Regel, aber wenn er mit Medusa konfrontiert wird, mit Hunderten von
Millionen aus Genf, die in Europa aufkaufen, was sie nur aufkaufen können, dann sagt er vielleicht: >Halt, bis hierher und nicht weiter!««
«Das Risiko müssen wir eingehen. Wir brauchen ihn, David.«
«Nicht David, verflucht! Ich bin Borowski, Jason Borowski, dein Geschöpf, und ich habe Pflichten meiner Familie gegenüber.«
«Und du bringst mich um, wenn ich mich gegen dich stelle.«
Schweigen. Keiner sagte ein Wort, bis Delta one von Medusa Saigon die Pause beendete.»Ja, Alex, ich töte dich. Nicht, weil du versucht hast, mich in Paris zu töten, sondern aus derselben blinden Annahme heraus, die du damals gemacht hast. Kannst du das verstehen?«
«Ja«, antwortete Conklin mit so leiser Stimme, daß sie kaum zu hören war.»Die Arroganz der Ignoranz, das ist dein beliebtestes Washingtoner Thema. Bei dir klingt es immer so orientalisch. Aber irgendwann auf deinem Weg wirst du selbst auch ein bißchen weniger arrogant sein müssen. Es gibt Grenzen für das, was wir allein tun können.«
«Andererseits gibt es sehr viel, was vermasselt werden kann, wenn wir nicht allein sind. Schau dir an, was wir schon erreicht haben. Von Null auf zweistellige Zahlen in welcher Zeit? Achtundvierzig, zweiundsiebzig Stunden? Gib mir die zwei Tage, Alex, bitte. Wir sind schon ganz nah dran an dem, was es mit Medusa auf sich hat. Ein Durchbruch, und wir präsentieren ihnen die perfekte Lösung, um mich loszuwerden: den Schakal.«
«Ich tue mein Bestes. Hat Kaktus dich erreicht?«
«Ja. Er ruft mich zurück und kommt dann hierher. Ich erkläre es später.«
«Ich hätte dir sagen sollen, daß er und der Doktor Freunde sind.«
«Ich weiß. Ivan sagte es mir… Alex, ich möchte dir einige Dinge zukommen lassen — Swaynes Telefonbuch, seine Brieftasche, Terminkalender, derlei Zeug. Ich packe es ein und laß es durch einen der Jungs von Kaktus zu dir bringen, bis ans Sicherheitstor. Steck alles in deinen Computer und sieh, was du rausfinden kannst.«
«Die Jungs von Kaktus? Was machst du?«
«Dir einen Termin abnehmen. Ich riegele das hier ab. Niemand wird hier hereinkommen, aber wir werden sehen, wer es versucht.«
«Das könnte interessant sein. Die Zwingerleute kommen morgen früh gegen sieben. Mach die Absperrung also nicht zu dicht.«
«Da fällt mir ein«, unterbrach Jason.»Sei wieder Beamter und bestell die anderen Wachen ab. Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt, aber jeder erhält einen Monatslohn.«
«Wer soll das bezahlen? Langley gibt es nicht, denkst du daran? Keinen Peter Holland, und ich bin nicht unermeßlich reich.«
«Ich aber. Ich werde meine Bank in Maine anrufen, einen Barscheck für dich ausschreiben lassen. Bitte deinen Freund Casset, ihn morgen in deinem Appartement abzuholen.«
«Komisch, nicht?«sagte Conklin langsam und nachdenklich.»Ich vergesse, daß du Geld hast. Ich denke tatsächlich nie daran. Ich glaube, ich habe es aus meinem Kopf verdrängt.«
«Das ist möglich«, Borowskis Stimme klang erleichtert, und er fügte hinzu:»Der Beamte in dir hat vielleicht die Vision, es käme irgendein Bürokrat zu Marie und sagte: >Übrigens, Mrs. Webb oder Borowski oder wer immer Sie sind, als Sie bei der kanadischen Regierung angestellt waren, sind Sie mit fünf Millionen Dollar abgehauen, die mir gehören.««
«Sie war nur klug, David, Jason. Jeder Dollar steht dir zu.«
«Lassen wir das lieber, Alex. Sie hat das Doppelte rausgeholt.«
«Sie hatte recht. Deshalb sind auch alle still gewesen… Was wirst du jetzt tun?«
«Auf den Anruf von Kaktus warten und dann einen eigenen machen.«»He?«»Meine Frau.«
Marie saß auf dem Balkon ihrer Villa im Tranquility Inn und sah auf das vom Mond erhellte Meer hinaus. Sie versuchte, all ihre Kontrollinstinkte zu aktivieren, um nicht vor Angst verrückt zu werden. Seltsamerweise, und vielleicht war es sogar dumm oder gefährlich, war es keine Angst vor physischer Gewalt, die an ihr zehrte. Sie hatte in Europa wie auch im Fernen Osten mit der Killer-Maschine Jason Borowski gelebt. Sie wußte, wozu dieser Fremde fähig war und wie effektiv er war. Nein, es war nicht Borowski, es war David. Was machte Jason Borowski mit David Webb! Sie mußte es beenden!.. Sie konnten weggehen, weit weg, an einen fernen Zufluchtsort und ein neues Leben beginnen, unter neuem Namen; sie könnten sich ihre eigene Welt schaffen, fern von Carlos. Sie hatten so viel Geld, wie sie niemals brauchen würden, sie konnten es sich leisten! Es wurde doch dauernd gemacht Hunderte, Tausende Männer, Frauen und Kinder, deren Leben bedroht war, wurden von ihren Regierungen beschützt, und wenn je eine Regierung Grund gehabt hatte, einen Mann zu schützen, dann diesen Mann, David Webb! Gedanken, die von der Angst kommen, von panischer Angst, dachte Marie, als sie von ihrem Stuhl aufstand und ans Geländer trat. Dieser Traum würde nie Wirklichkeit werden, weil David ihn nicht akzeptieren würde. Wo der Schakal im Spiel war, wurde David Webb zu Jason Borowski, und Borowski war fähig, Davids Körper zu zerstören. O du lieber Gott, was geschieht mit uns?
Das Telefon klingelte. Marie wurde steif, rannte dann ins Schlafzimmer und nahm den Hörer ab.
«Ja?«
«Hallo, Schwester, hier ist Johnny.«
«Ohh…«
«Was heißt, daß du noch nichts von David gehört hast.«
«Nein, und ich werde schon halb verrückt.«
«Er wird anrufen, wenn er kann, das weißt du.«
«Aber du rufst doch nicht an, um mir das zu sagen.«
«Nein. Ich wollte nur mal hören, wie's dir geht. Ich stecke hier auf der großen Insel fest, und es sieht so aus, als ob es noch eine Weile dauern könnte. Ich bin mit Henry im Regierungsgebäude und warte auf den Gouverneur, der sich persönlich bedanken möchte, daß ich dem Außenministerium behilflich gewesen bin.«
«Ich verstehe überhaupt nicht, von was du redest…«
«Tut mir leid. Henry Sykes, der Adjutant des Gouverneurs, hatte mich gebeten, mich um den alten französischen Kriegshelden zu kümmern… Und wenn der Gouverneur dir danken möchte, mußt du warten, bis er dir gedankt hat. Du weißt ja, wenn das Telefon mal wieder nicht funktioniert, sind Cowboys wie ich auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen.«
«Ich kapiere rein gar nichts, Johnny.«
«In wenigen Stunden wird ein Sturm von Basse-Terre aufziehen.«
«Von wem?«
«Egal. Ich werde vorher zurücksein. Laß das Mädchen die Couch für mich herrichten.«
«John, es ist nicht nötig, daß du hier schläfst. Gott sei Dank stehen draußen vor der Hecke und unten am Strand und was weiß ich, wo sonst noch, Männer mit Gewehren.«»Da sollen sie auch stehen. Bis später. Gib den Kindern einen Kuß von mir.«
«Sie schlafen schon«, sagte Marie, als ihr jüngerer Bruder auflegte. Sie sah auf das Telefon, als sie den Hörer aus der Hand legte und sagte, unbewußt laut:»Wie wenig weiß ich über dich, kleiner Bruder… unseren Liebling, unseren unverbesserlichen Bruder. Und wieviel mehr weiß mein Mann über dich — ihr verdammten Kerle!«
Das Telefon klingelte schon wieder, was sie verblüffte.
«Hallo?«
«Ich bin's.«
«Gott sei Dank!«
«Der ist grade nicht da, aber sonst ist alles in Ordnung. Mir geht's gut, und wir machen Fortschritte.«
«Du mußt das alles nicht machen! Wir müssen es nicht!«
«Doch, wir müssen«, sagte Jason Borowski — keine Spur von David.»Du sollst nur wissen, wie sehr ich dich liebe, er dich liebt…«
«Hör auf! Sonst passiert…«
«Tut mir leid, entschuldige — vergib mir.«
«Du bist David!«
«Natürlich bin ich David. Ich hab nur einen Spaß…«
«Nein, hast du nicht!«
«Ich sprach gerade mit Alex, das ist alles. Wir haben gestritten, das ist alles!«
«Nein, das ist nicht alles! Ich möchte dich zurückhaben, ich möchte dich hier haben!«
«Dann kann ich nicht länger mit dir sprechen. Ich liebe dich. «Die Leitung war tot. Marie St. Jacques fiel aufs Bett. Verzweifelt über ihre Ohnmacht, weinte sie in die Laken.
Alexander Conklin schrieb mit vor Anstrengung geröteten Augen auf der Tastatur seines Computers. Er sah immer wieder in die Bücher, die ihm Borowski von General Norman Swaynes Landsitz geschickt hatte. Zwei schrille Pieptöne durchbrachen plötzlich die Stille des Zimmers. Es war das seelenlose Robotersignal dafür, daß wieder einmal ein Name doppelt aufgetaucht war. Er überprüfte die Eingabe.
R. G. Was bedeutete das? Er blätterte zurück und fand nichts. Er drückte die Vorwärtsknöpfe wie ein geistloser Automat. Drei Pieptöne. Er drückte wieder und wieder, schneller, immer schneller. Vier Pieptöne… fünf… sechs. Zurück — stop — vorwärts. R. G. R. G. R. G. Was, zum Teufel, war R. G.?
Er verglich verschiedene Eingaben aus den drei ledergebundenen Mappen. Eine gemeinsame Nummer erschien in grünen Buchstaben auf dem Monitor. 617-2020011. Eine Telefonnummer. Conklin griff zum Langley-Telefon, rief den Nachtdienst an und bat den CIA-Mann, die Nummer zu überprüfen.
«Steht nicht im Telefonbuch, Sir. Es ist eine von drei Nummern für ein und dieselbe Wohnung in Boston, Massachusetts.«
«Den Namen, bitte.«
«Gates, Randolph. Die Wohnung liegt in…«
«Schon gut«, unterbrach Alex. Er wußte, er hatte die entscheidende Information. Randolph Gates, Jurist, Anwalt für die Privilegierten, Verteidiger der Je-größer-je-besser-, der Am-größten-am-besten-Fanatiker. Eigentlich logisch, daß dieser Gates seine Finger da drin hat, bei den Milliarden von Dollar, die in Europa von amerikanischen Interessen kontrolliert werden… Nein, warte einen Moment. Es war überhaupt nicht richtig, es war falsch! Es war eigentlich undenkbar für einen Anwalt mit Lehrauftrag, irgendwelche wie auch immer gearteten Beziehungen zu einer höchst fragwürdigen, sogar illegalen
Organisation wie Medusa zu unterhalten. Das machte keinen Sinn! Auch wenn er den gefeierten, mächtigen Rechtsverdreher alles andere als bewunderte, mußte er ihm doch zugestehen, daß keiner in der gesamten Anwaltskammer eine reinere Weste hatte. Er war ein berüchtigter Pedant, der oft kleinste juristische Details ausnutzte, um seine Ziele zu erreichen. Aber niemals hatte jemand gewagt, seine Integrität in Frage zu stellen. Seine rechtlichen und philosophischen Auffassungen waren derart unpopulär bei den glänzendsten Anwälten des liberalen Establishment, daß er beim leisesten Hinweis auf Unregelmäßigkeiten mit Wonne diskreditiert worden wäre.
Dennoch tauchte hier sein Name gleich sechsmal im Terminkalender eines Medusa-Mannes auf, der die Verantwortung für unzählige Millionen Dollar aus dem Verteidigungshaushalt getragen hatte. Ein Mann, dessen angeblicher Selbstmord in Wirklichkeit Mord war.
Conklin blickte auf den Bildschirm, auf das Datum von Swaynes letzter Eintragung bezüglich R.G. Der zweite August, das war vor knapp einer Woche gewesen. Er nahm den ledergebundenen Kalender zur Hand und schlug den Tag auf. Er hatte sich auf die Namen konzentriert, nicht auf die Kommentare, es sei denn, die Informationen erschienen ihm relevant — er vertraute da auf seinen Instinkt.
Wenn er von vornherein gewußt hätte, wer R.G. war, wäre ihm die abgekürzte, handgeschriebene Notiz neben der letzten Eintragung gleich ins Auge gefallen.
R. G. ist geg. Erng. v. Maj. Crft. Brauchen Crft. in s. Stab. Schi. Paris — vor 7 Jhr. 2 Akte raus und in Gewhrs.
Das Paris hätte ihn stutzig machen sollen, dachte Alex, aber alle Notizen Swaynes waren voll mit fremdländischen und exotischen Namen und Orten, als ob der General versucht hätte, dem Leser seiner persönlichen Notizen, wer immer das auch sein mochte, zu imponieren. Conklin war, wie er mit Bedauern feststellte, furchtbar müde. Wäre sein Computer nicht gewesen, wäre er sicher nie auf Dr. Randolph Gates, den Olympier des Rechts, gestoßen.
Paris — vor 7 Jhr. 2 Akte raus und in Gewhrs.
Der erste Teil war klar, der zweite dunkel, aber nicht allzusehr. Die»2«bezog sich auf den Geheimdienst der Armee, G-2, und die» Akte «war eben dies, ein Ereignis oder eine Enthüllung, die von Geheimdienstlern in Paris vor 7 Jhr. entdeckt und aus der Datenbank entfernt worden war. Es war der Versuch eines Amateurs, das Kauderwelsch des Geheimdienstes zu gebrauchen…»Schl. «bedeutete» Schlüssel«- Jesusmaria, war Swayne ein Idiot! Alex schrieb die Notiz, wie sie richtig lauten sollte, in sein Notizbuch:
«Randolph Gates zieht die Ernennung von einem Major Craft oder Croft oder sogar Christopher nicht in Betracht, denn das f könnte auch ein s sein. (Aber) wir brauchen Croft in seinem Stab. Der Schlüssel ist, die Informationen in unserer G-2-Akte über Gates in Paris vor sieben Jahren zu benutzen; besagte Akte ist entfernt und in unserem Besitz.«
Wenn dies auch nicht die exakte Übersetzung von Swaynes Eintrag ist, so ist sie sicher so dicht am eigentlichen Inhalt, daß man damit operieren kann, dachte Conklin. Er drehte seinen Arm und sah auf die Uhr. Es war zwanzig nach drei Uhr früh, eine Zeit, zu der selbst die disziplinierteste Person durch schrilles Telefonklingeln ins Schlottern käme. Warum nicht? David — Jason — hatte recht. Jede Stunde zählte jetzt. Alex griff zum Hörer und wählte die Nummer von Boston, Massachusetts.
Dauernd klingelt das Telefon, und die Schlampe nimmt nicht ab! Dann sah Gates auf das erleuchtete Display, und das Blut gefror in seinen Adern. Jemand hatte die Geheimnummer angewählt, eine Nummer, die nur sehr wenigen vorbehalten war. Mit weit aufgerissenen Augen warf er sich wild im Bett herum. Der seltsame Anruf regte ihn auf, je mehr er daran dachte. Das betraf Montserrat, das wußte er. Die Information, die er weitergegeben hatte, war falsch… Prefontaine hatte ihn angelogen, und jetzt forderte Paris Rechenschaft! Mein Gott, sie würden ihn verfolgen, ihn bloßstellen!.. Nein, es gab einen Ausweg, eine vollständig akzeptable Erklärung: die Wahrheit. Er würde Paris die Lügner ausliefern, dem Pariser Mann hier in Boston. Er würde den versoffenen Prefontaine in die Falle locken und diesen blöden Detektiv und würde sie zwingen, ihre Lügen der einzigen Person zu erzählen, die ihn freisprechen konnte… Das Telefon! Er mußte antworten. Er durfte auf keinen Fall den Anschein erwecken, er habe etwas zu verbergen! Er griff nach dem pausenlos läutenden Gerät und zog es zu sich heran.
«Ja?«
«Vor sieben Jahren, Herr Rechtsanwalt«, begann die ruhige Stimme in der Leitung.»Muß ich Sie daran erinnern, daß wir Ihre komplette Akte haben? Das Deuxieme Bureau war sehr kooperativ, weit mehr, als Sie es waren.«
«Um Himmels willen, ich wurde angelogen!«schrie Gates. Er schwang seine Beine aus dem Bett, und seine Stimme war rauh.»Sie dürfen nicht glauben, daß ich wissentlich falsche Informationen liefern würde. Ich wäre ja verrückt!«
«Wir wissen, daß Sie renitent sein können. Wir haben eine einfache Forderung gestellt…«
«Ich habe sie erfüllt, ich schwöre es! Guter Gott, ich habe fünfzehntausend Dollar bezahlt, um sicherzugehen, daß alles verschwiegen, absolut unbeweisbar bleibt — nicht, daß das Geld zählt, natürlich… «
«Sie bezahlten…?«unterbrach die ruhige Stimme.
«Ich kann Ihnen die Bankauszüge zeigen!«
«Wofür?«
«Die Information natürlich. Ich habe einen ehemaligen Richter angeheuert, der Kontakte hat…«
«Für die Information über Croft?«
«Was?«
«Craft… Christopher.«
«Wer?«
«Unser Major, Herr Rechtsanwalt. Der Major.«
«Wenn das ihr Kodename ist, dann ja, ja, habe ich!«
«Ein Kodename?«
«Von der Frau. Die Frau. Die beiden Kinder. Sie sind nach Montserrat geflogen. Ich schwöre, daß mir das gesagt wurde!«
Da war plötzlich ein Klicken, und die Leitung war tot.