Kapitel 42

Sonnenuntergang, und die entlegenen Inseln wurden dunkler, wandelten sich zu dunkelgrünen Flecken, umgeben von blau schimmerndem Meer und nicht enden wollender Gischt an den Korallenriffen vor den Küsten. Alles war in das durchscheinende Orange des karibischen Horizonts getaucht. Auf Tranquility Island wurden nacheinander die Lichter der letzten vier Villen über dem Strand eingeschaltet, und man konnte Gestalten sehen, die zumeist langsam zwischen den Zimmern hin und her und auf die Balkons hinausgingen, wo sich der Schein der untergehenden Sonne über die Terrassen legte. Eine milde Brise trug den Duft von Hibiskus und Poinciana über das tropische Laub herüber, während sich ein einsames Fischerboot mit seinem spätnachmittäglichen Fang für die Küche des Inn durch die Riffe schlängelte. Brendan Patrick Pierre Prefontaine trug sein Glas Perrier auf den Balkon von Villa siebzehn hinaus, wo Johnny St. Jacques am Geländer stand und einen Rum mit Tonic schlürfte.

«Was glauben Sie, wie lange es dauern wird, bis Sie wieder öffnen können?«fragte der ehemalige Richter am Bostoner Gericht und setzte sich an einen weißen, schmiedeeisernen Tisch.

«Der bauliche Schaden ist eine Sache von Wochen«, erwiderte der Besitzer des Tranquility,»aber der Schrecken der Geschehnisse wird noch viel länger nachwirken.«

«Wie lange, glauben Sie?«

«Ich werde vier bis fünf Monate warten, bevor ich die ersten Broschüren verschicke, auch wenn es dann für die Saisonbuchungen bereits zu spät ist, aber Marie stimmt mir zu. Es früher anzugehen, wäre nicht nur geschmacklos, sondern würde das alles auch nur noch einmal neu aufrühren:

Terroristen, Drogenschmuggler, korrupte Inselregierung…, das brauchen wir nicht, und wir verdienen es nicht.«

«Nun, wie ich schon sagte, ich kann meinen Teil bezahlen«, sagte Prefontaine.»Vielleicht nicht die oberste Kategorie Ihrer Hochsaisonpreise, guter Mann, aber sicherlich genug, um die Kosten für eine Villa abzudecken, und noch ein bißchen für die Küchenkasse.«

«Ich habe Ihnen doch bereits gesagt: Vergessen Sie es. Ich schulde Ihnen mehr, als ich jemals zurückzahlen könnte. Bleiben Sie, solange Sie wollen. «St. Jacques drehte sich vom Geländer weg, die Augen auf das Fischerboot gerichtet, und setzte sich Prefontaine gegenüber.»Ich mache mir Sorgen um die Leute da unten, in den Booten und am Strand. Früher hatte ich drei oder vier Boote, die Fisch hereinbrachten. Jetzt habe ich nur noch einen, der für uns fährt, und die Angestellten bekommen im Moment alle nur noch ihren halben Lohn.«

«Also brauchen Sie mein Geld.«

«Kommen Sie schon, Richter, welches Geld? Ich will ja nicht aufdringlich erscheinen, aber Washington hat mir einen ziemlich genauen Überblick gegeben. Sie leben seit Jahren auf der Straße.«

«Ah, ja, Washington«, nickte Prefontaine und hob sein Glas zum Orange und Azur des Himmels.»Wie gewöhnlich schreitet es der Realität hinterher — besonders, wenn es dabei unter anderem um die eigenen dunklen Kapitel geht.«

«Wovon reden Sie?«

«Randolph Gates, von dem rede ich.«

«Dieser Scheißkerl aus Boston? Der den Schakal auf Davids Fährte geführt hat?«

«Der auf rührende Weise geläuterte Randolph Gates, Johnny. Geläutert in jeder Hinsicht, außer der finanziellen Wiedergutmachung, wenn ich das hinzufügen darf… Dennoch zweifellos mit dem Verstand und dem Bewußtsein, das ich vor Jahren in Harvard gekannt habe. Nicht der Hellste, nicht der Beste, aber mit den nüchternen und rhetorischen Fähigkeiten, die einen sprühenden Geist vortäuschen, den es niemals gab.«

«Wovon reden Sie jetzt?«

«Ich hab ihn gerade in seinem Rehabilitationszentrum in Minnesota oder Michigan besucht — ich kann mich nicht genau erinnern, denn ich bin erster Klasse geflogen, und auf Wunsch wurden Drinks gereicht. Egal, wir haben uns getroffen, und unser Arrangement kam zu einem Abschluß. Er wechselt die Seiten, Johnny. Er will jetzt für die Menschen kämpfen, rechtlich gesehen, und nicht mehr für diese Mischkonzerne, die auf dem Papier kaufen und verkaufen. Er hat mir gesagt, er will sich über die Plünderer und Fusionierungsbroker hermachen, die Milliarden verdienen und Tausende und Abertausende um ihre Jobs bringen.«

«Wie kann er das?«

«Weil er es selbst gemacht hat, er kennt alle Tricks und ist bereit, seine beachtlichen Talente diesem Ziel zu widmen.«

«Warum sollte er das tun?«

«Weil er Edith zurückbekommen hat.«

«Wer in Gottes Namen ist Edith?«

«Seine Frau… Eigentlich liebe ich sie immer noch, liebe sie, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Aber damals folgte ein berühmter Anwalt mit einer Frau und einem Kind solchen Sehnsüchten nicht, egal, wie widerwärtig die beiden auch zu ihm sein mochten. Randy, der Große, hat sie nie verdient. Vielleicht macht er jetzt all die verlorenen Jahre wieder gut.«

«Das ist sehr interessant, aber was hat das mit Ihrem Arrangement zu tun?«

«Habe ich erwähnt, daß Sir Randolph of Gates während dieser verlorenen, aber produktiven Jahre große Geldsummen verdient hat?«

«Mehrmals. Und?«

«Nun, in Anerkennung meiner Dienste, die zweifellos zur Beseitigung einer lebensbedrohlichen Situation beigetragen haben, in der er sich befand, eben jener besagten, von Paris ausgehenden Bedrohung, erkannte er deutlich die Angemessenheit eines Ausgleichs. Besonders unter Berücksichtigung des Wissens, über das ich verfüge… Ich denke, er wird sich nach einigem Blutvergießen bei Rechtsschlachten um einen Richterstuhl bemühen. Weit größer als meiner, glaube ich.«

«Und?«

«Und wenn ich meine Meinung für mich behalte, aus Boston verschwinde und mich im Hinblick auf eine allzu lose Zunge vom Saufen fernhalte, wird mir seine Bank für den Rest meines Lebens fünfzigtausend Dollar im Jahr überweisen.«

«Gütiger Gott!«

«Das habe ich mir auch gesagt, als er zugestimmt hatte. Ich bin sogar zum ersten Mal seit wer weiß wie vielen Jahren zur Messe gegangen.«

«Trotzdem, Sie werden nicht mehr nach Hause fahren können.«

«Nach Hause?«Prefontaine lachte leise.»War es das wirklich? Vielleicht habe ich ja ein anderes Zuhause gefunden. Durch einen Gentleman namens Peter Holland von der CIA wurde ich Ihrem Freund Sir Henry Sykes drüben in Montserrat vorgestellt, der mich wiederum einem pensionierten Londoner Anwalt namens Jonathan Lemuel vorgestellt hat, der ursprünglich ein geborener Insulaner ist. Wir werden beide nicht jünger, aber keiner von uns ist bereit, deswegen schon die Koffer zu packen. Möglicherweise eröffnen wir eine

Consulting-Firma, Spezialisten für amerikanisches und britisches Recht, was Export- und Importlizenzen betrifft. Natürlich werden wir noch etwas büffeln müssen, aber wir können es schaffen. Ich gehe davon aus, daß ich einige Jahre hiersein werde. «St. Jacques erhob sich vom Tisch, um seinen Drink nachzufüllen. Seine Augen ruhten mißtrauisch auf dem ehemaligen, amtsenthobenen Richter.

Morris Panov trat vorsichtig aus seinem Schlafzimmer und ging hinüber ins Wohnzimmer von Villa achtzehn, wo Alex Conklin in einem Rollstuhl saß. Die Bandagen über der Brust des Psychiaters waren durch den dünnen Stoff seines weißen Guayabera-Hemdes zu sehen. Sie reichten seinen entblößten linken Arm bis zum Ellbogen hinunter.»Verdammt noch mal, ich habe fast zwanzig Minuten gebraucht, um dieses nutzlose Anhängsel durch den Ärmel zu schieben!«beschwerte er sich wütend, aber ohne Selbstmitleid.

«Du hättest mich anrufen sollen«, sagte Alex und drehte sich im Rollstuhl um, weg vom Telefon.»Ich komme mit diesem Ding verflucht gut zurecht. Natürlich habe ich seit meinem Quasimodofuß schon einige Jahre Erfahrung.«

«Danke, aber ich ziehe es vor, mich selbst anzuziehen wie ich auch annehme, daß du ohne fremde Hilfe gehen wolltest, als sie dir deine Prothese angepaßt hatten.«

«Das ist die erste Lektion, Doktor. Ich nehme an, in deinen schlauen Büchern gibt es da was darüber.«

«Gibt es. Man nennt es unsinnige oder, wenn du willst, halsstarrige Dummheit.«

«Nein, ist es nicht«, konterte der pensionierte Geheimdienstoffizier, und sein Blick traf sich mit Panovs, als sich der Psychiater langsam in einen Sessel herunterließ.

«Nein… ist es nicht«, stimmte Mo zu und erwiderte Conklins Blick.»Die erste Lektion ist Unabhängigkeit. Schaffe dir so viel, wie du ertragen kannst, und bemüh dich um immer mehr.«

«Es gibt auch eine gute Seite«, sagte Alex, lächelte und rückte den Verband um seinen Hals zurecht.»Es wird leichter, nicht schwerer. Man lernt jeden Tag neue Tricks. Es ist überraschend, was sich unsere kleinen grauen Zellen so alles auszudenken vermögen.«

«Was du nicht sagst. Das Gebiet muß ich eines Tages mal erforschen… Ich habe gehört, daß du telefoniert hast. Wer war es?«

«Holland. Die Drähte zwischen Moskau und Washington haben auf allen Kanälen geglüht, weil man dachte, es gebe eine undichte Stelle.«

«Medusa?«

«Du hast diesen Namen nie gehört, ich habe diesen Namen nie gehört, und auch niemand, den wir kennen, hat ihn je gehört. Es hat schon genug Scherben gegeben ganz zu schweigen von den paar Eimern voll Blut —, um den Geisteszustand der regierungsamtlichen Kontrollinstitutionen anzuzweifeln — von uns und denen drüben —, die offensichtlich blind oder ganz einfach dumm waren.«

«Wie wäre es mit ganz einfach schuldig?«fragte Panov.

«Zu wenige Schuldige, die wirklich ganz oben gesessen haben — das zumindest ist das Urteil von Langley und vom Dserschinskij-Platz. Und die Chef-Nadelstreifler beim Außenministerium im Ministerrat des Kreml stimmen dem zu. Niemandem sei mit der Verfolgung und Entlarvung des ganzen Ausmaßes von Amtsvergehen gedient — wie gefällt dir das: Amtsvergehen? Mord, Totschlag, Kidnapping, Erpressung und Korruption im großen Stil werden auf beiden Seiten des Atlantik jetzt als Amtsvergehen eingestuft! Sie sagen, es ist besser, wir retten leise und zügig so viel wie möglich.«

«Das ist obszön.«

«Das ist die Realität, Doktor. Sie werden gerade Zeuge einer der größten Vertuschungsaktionen der modernen Geschichte.

Und die wahre Obszönität ist, daß sie wahrscheinlich recht haben. Wenn man Medusa völlig entlarven würde — und sie wäre völlig entlarvt, wenn man erst damit anfangen würde —, müßte man alle, die irgendwie in die Sache verstrickt sind, in rechtschaffener Entrüstung rauswerfen — viele von ihnen nur belastet durch Beihilfe. Solche Dinge produzieren Leerstellen in hohen Positionen, und jetzt ist keine Zeit für irgendwelche Leerstellen. Lieber die Teufel, die man kennt, als die, die dann kommen und die man nicht kennt.«

«Was wird also passieren?«

«Ein Kompromiß«, sagte Conklin ernst.»Die Bandbreite von Medusa ist geographisch und strukturell so weit gespannt, daß es fast unmöglich ist, sie zu entwirren. Moskau schickt Ogilvie mit einem Team von Finanzanalytikern zu uns zurück, und zusammen mit unseren eigenen Leuten werden sie die Demontage beginnen. Eventuell sieht Holland einen stillen, unangemeldeten Mini-Wirtschaftsgipfel voraus, auf dem die verschiedenen Finanzminister der NATO und der Ostblockstaaten zusammentreffen. Überall, wo Medusas Aktivposten sich selbst tragen und von ihren individuellen Wirtschaftssystemen absorbiert werden können, wird dies in zurückhaltender Form von allen Beteiligten akzeptiert. Der Punkt dabei ist, eine Panik durch massenhafte Fabrikschließungen und Zusammenbrüche großer Handelsfirmen zu vermeiden.«

«Und somit ist Medusa begraben«, erklärte Panov.»Wieder gehört sie der Geschichte an, ungeschrieben und unbestätigt, so wie es von Anfang an war… Was ist mit Männern wie Burton bei der NATO, Atkinson in London?«

«Nur Kuriere und Strohmänner. Sie scheiden aus gesundheitlichen Gründen aus, und glaube mir, sie verstehen es.«

Panov zuckte zusammen, als er seinen leidenden, verwundeten Körper im Sessel zurechtrückte.»Es kann wohl kaum seine Verbrechen wiedergutmachen, aber der Schakal hat uns tatsächlich einen Dienst erwiesen, oder? Wenn ihr ihn nicht gejagt hättet, dann wärt ihr nie auf Medusa gestoßen.«

«Die Zufälligkeit des Bösen, Mo«, sagte Conklin.»Ich habe nicht die Absicht, ihn posthum für einen Orden vorzuschlagen.«

«Ich würde sagen, es ist mehr als ein Zufall«, unterbrach Panov und schüttelte den Kopf.»In der Analyse hatte David recht. Ob erzwungen oder freiwillig, es gab tatsächlich eine Verbindung. Jemand von Medusa hat einen oder mehrere Killer unter dem Namen Jason Borowski eine im Blickpunkt stehende Zielperson auf dem Hinterhof des Schakals ermorden lassen. Dieser jemand wußte, was er tat.«

«Du meinst natürlich Teagarten.«

«Ja. Da Borowski auf Medusas Todesliste stand, mußte unser pathetischer Überläufer DeSole ihnen vom Unternehmen Treadstone erzählen, vielleicht nicht namentlich, aber das Wesentliche. Als sie erfahren haben, daß Jason David — in Paris war, haben sie das Originalszenario genutzt: Borowski gegen den Schakal. So wie Teagarten ermordet wurde, haben sie sehr richtig angenommen, daß sie den tödlichsten Partner, den sie finden konnten, rekrutiert hatten, um David zu jagen und zu töten.«

«Das wissen wir. Und?«

«Verstehst du nicht, Alex? Wenn man darüber nachdenkt, dann war Brüssel der Anfang vom Ende, und am Ende hat David die falsche Anschuldigung benutzt, um Marie zu sagen, daß er noch am Leben ist, um Peter Holland zu sagen, daß er noch am Leben ist. Die Karte mit dem rot eingekreisten Anderlecht.«

«Er hat damit Hoffnung vermittelt, das war alles. Hoffnung ist nicht gerade etwas, wozu ich viel Vertrauen habe, Mo.«

«Er hat mehr getan, als nur Hoffnung zu vermitteln: Diese Nachricht hat Holland dazu gebracht, jeden Stützpunkt in Europa anzuweisen, Jason Borowski, den Attentäter, zu erwarten und jedes Mittel anzuwenden, um ihn hierher zurückzubringen.«

«Es hat funktioniert. Manchmal ist das leider nicht so.«

«Es hat funktioniert, weil ein Mann mit dem Namen Jason Borowski vor einigen Wochen wußte, daß es, wenn er Carlos fassen wollte, eine Verkettung zwischen ihm und dem Schakal geben mußte, eine lang vergessene Verbindung, die an die Oberfläche gebracht werden mußte.«

«Auf höllisch umständliche Weise«, gab Conklin zu.

«Wir haben unsere Fühler ausgestreckt, das war alles. Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Abstraktionen — das war alles, womit wir arbeiten konnten.«

«Abstraktionen?«fragte Panov vorsichtig.»Das ist so ein passiver Ausdruck. Hast du eine Vorstellung davon, was für Donnerschläge Abstraktionen im Kopf verursachen?«

«Ich weiß nicht mal, wovon du redest.«

«Diese grauen Zellen, Alex. Sie spielen verrückt, wirbeln herum wie unendlich kleine Pingpongbälle und versuchen, winzige Tunnel zu finden, durch die sie schießen können, angezogen von ihrem eigenen, ihnen innewohnenden Zwang.«

«Da komme ich nicht mehr mit.«

«Du hast es selbst gesagt, die Zufälligkeit des Bösen. Aber ich schlage einen anderen Ausdruck vor: den Magnetismus des Bösen. Den habt ihr, David und du, geschaffen, und innerhalb dieses magnetischen Feldes war Medusa.«

Conklin fuhr in seinem Stuhl herum und rollte in Richtung des vergehenden, orangefarbenen Leuchtens am Horizont jenseits der entlegenen dunkelgrünen Inseln von Montserrat.

«Ich wünschte, es wäre alles so einfach, wie du sagst, Mo«, sagte er.»Ich fürchte allerdings, daß es das nicht ist.«

«Du wirst dich klarer ausdrücken müssen.«

«Krupkin ist ein toter Mann.«

«Was?«

«Ich betrauere ihn als einen Freund und einen höllischen Feind. Er hat uns alles ermöglicht, und als alles vorbei war, hat er getan, was richtig war, nicht, was befohlen war. Er hat David das Leben gerettet, und jetzt bezahlt er dafür.«

«Was ist mit ihm?«

«Nach dem, was Holland sagt, ist er vor fünf Tagen aus dem Moskauer Krankenhaus verschwunden, er hat einfach seine Sachen genommen und ist gegangen. Niemand weiß, wie er es gemacht hat oder wohin er gegangen ist, aber eine Stunde, nachdem er weg war, kam der KGB, um ihn zu verhaften und nach Lubjanka zu bringen.«

«Dann haben sie ihn nicht gefaßt…«

«Sie werden es. Wenn der Kreml schwarzen Alarm auslöst, wird jede Straße, jeder Zug, Bahnhof, Flughafen und Grenzübergang gleichsam unter ein Mikroskop gelegt. Der Druck ist unglaublich: Wer ihn rausläßt, verbringt zehn Jahre in einem Gulag. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Man hörte ein Klopfen an der Tür, und Panov rief:»Es ist offen! Herein!«

Der tadellos gekleidete stellvertretende Manager Mr. Pritchard schob einen Serviertisch herein. Er lächelte breit und verkündete sowohl seine Anwesenheit als auch seinen Auftrag.»Buckingham Pritchard zu Ihren Diensten, Gentlemen. Ich bringe für Ihre kollegiale Zusammenkunft vor dem Abendessen ein paar Delikatessen aus dem Meer, um die ich mich an der Seite des Kochs persönlich gekümmert habe, der dafür bekannt ist, daß er zu Fehlern neigt, wenn ihm die Anleitung durch

Experten fehlt, die ich ihm nur allzugern habe zukommen lassen.«

«Kollegial?«sagte er.»Ich bin vor fast fünfunddreißig Jahren vom College abgegangen.«

«Offensichtlich hat es nichts genützt, was die Nuancen des Englischen betrifft«, murmelte Morris Panov vernehmlich.»Sagen Sie, Mr. Pritchard, ist Ihnen nicht furchtbar heiß in diesen Sachen? Ich würde schwitzen wie ein Schwein.«

«Keine Nuancen, nur ein Klischee«, brummte Conklin.

«Ich transpiriere nicht, Sir«, erwiderte der stellvertretende Manager.»Ich verwette meine Pension darauf, daß Sie transpiriert haben, als Mr. St. Jacques aus Washington zurückgekommen ist«, erklärte Alex.»Allmächtiger Gott, Johnny ein Terrorist!«

«Der Vorfall ist vergessen, Sir«, sagte Pritchard.»Mr. St. Jacques und Sir Henry haben eingesehen, daß mein brillanter Onkel und ich nur die Interessen der Kinder in unseren Herzen trugen.«

«Clever, sehr clever«, bemerkte Conklin.

«Ich richte die Kanapees an, Gentlemen, und sehe nach dem Eis. Die anderen Herrschaften müßten jeden Moment hiersein.«

«Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Panov. David Webb lehnte am Bogengang zum Balkon und betrachtete seine Frau, die ihrem Sohn die letzten Seiten einer Kindergeschichte vorlas. Die außergewöhnliche Mrs. Cooper döste in einem Sessel, und ihr großartiger schwarzer Kopf nickte über ihrer fülligen Brust, als erwarte sie jeden Augenblick, Geräusche von Baby Alison hinter der halbgeschlossenen Tür zu hören. Die Betonungen in Maries leiser Stimme paßten zu den Worten der Geschichte, was Jamies große Augen und sein staunender Mund bestätigten. Hätte sie nicht so einen analytischen Verstand, für den Zahlen Musik sind, wäre sie vielleicht Schauspielerin geworden, dachte David.

«Du kannst mir morgen was vorlesen, Daddy!«Die Geschichte war vorbei, und sein Sohn sprang von der Couch.»Das hatte ich eigentlich heute abend tun wollen«, sagte Webb und stieß sich vom Bogengang ab.

«Du riechst irgendwie immer noch«, sagte der Junge mit fragender Miene.

«Dein Vater riecht nicht, Jamie«, erklärte Marie lächelnd.»Ich habe es dir gesagt. Es ist die Medizin, die der Doktor ihm gegeben hat.«

«Er riecht trotzdem. Und im übrigen ist es noch zu früh, um ins Bett zu gehen, Mommy! Ich könnte Alison aufwecken, und dann fängt sie wieder an zu weinen.«

«Ich weiß, Süßer, aber Daddy und ich müssen jetzt all deine neuen Onkel treffen… «

«Und meinen neuen Großvater!«rief das Kind überschwenglich.»Opa Brendan hat gesagt, er will mir verraten, wie ich später mal Richter werden kann.«

«Gott steh dem Jungen bei«, schob Mrs. Cooper dazwischen.»Dieser Mann kleidet sich wie ein Pfau auf Brautschau.«

«Du darfst noch ein wenig fernsehen«, ging Marie eilig darüber hinweg.»Aber nur eine halbe Stunde…«

«Ooooch!«

«Also gut, etwas länger, aber Mrs. Cooper sucht das Programm aus.«

«Danke, Mommy!«rief das Kind und rannte ins Schlafzimmer seiner Eltern, während sich Mrs. Cooper aus ihrem Sessel erhob und ihm folgte.

Marie ging zu David hinüber.

«Du hast Schmerzen, nicht wahr?«

«Ich hasse es, den Mythos der unanfechtbaren Wahrnehmung einer großen Lady zu zerstreuen, aber sie hat unrecht.«»Warum mußt du ein Dutzend Worte benutzen, wenn eins genügen würde?«

«Wir Akademiker nehmen niemals den direkten Weg, da er uns keine Seitenwege läßt, falls wir uns geirrt haben.«

David Webb nahm seine Frau in die Arme und küßte sie, ihre Lippen schmiegten sich aneinander.

«Du bist schon viel entspannter, ich kann dich spüren. Jason Borowski verläßt dich wieder, oder?«

«Mehr oder weniger. Während du bei Alison warst, hat mich Ed McAllister von der National Security Agency angerufen. Benjamins Mutter ist auf dem Rückweg nach Moskau.«

«Das ist wundervoll, David!«

«Mac und ich haben gelacht, und als wir das taten, dachte ich, daß ich noch nie gehört habe, wie McAllister lacht. Das war nett.«

«Ihm standen die Schuldgefühle ins Gesicht geschrieben — nein, überall. Er hat uns beide nach Hongkong geschickt, und das hat er sich niemals vergeben können. Jetzt bist du wieder da und lebst und bist frei. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals vergeben kann, aber wenigstens lege ich nicht mehr auf, wenn er anruft.«

«Das wird ihm gefallen. Um ehrlich zu sein, hab ich ihm gesagt, er soll anrufen. Ich hab gesagt, es könnte sein, daß du ihn eines Tages zum Abendessen einlädst.«

«So weit würde ich niemals gehen.«

«Und Benjamins Mutter? Dieser Junge hat mir das Leben gerettet.«

«Vielleicht einen schnellen Brunch.«

«Nimm deine Finger weg, Frau. In fünfzehn Sekunden werde ich Jamie und Mrs. Cooper aus unserem Schlafzimmer werfen und meine ehelichen Ansprüche einklagen.«

«Verlockend, Attila, aber ich glaube, Johnny zählt auf uns. Zwei reizbare Männer und ein übermäßig phantasiereicher amtsenthobener Richter sind mehr, als ein Ranch Boy aus Ontario bändigen kann.«

«Ich liebe sie alle.«

«Ich auch. Laß uns gehen.«

Die karibische Sonne war untergegangen. Die letzten Fetzen Orange konnten den Horizont im Westen kaum noch erhellen. Die Lichter der in Glas gefaßten Kerzen waren ruhig, spitz, und ihr Glanz legte warmes Licht und behagliche Schatten um den terrassenartigen Balkon von Villa achtzehn. Auch das Gespräch war warm und behaglich gewesen — Überlebende, die ihre Befreiung aus einem Albtraum genossen.

«Ich habe Handy Randy überschwenglich erklärt, daß die starren Doktrinen in Frage gestellt werden müssen, weil sich mit der Zeit die Wahrnehmungen ändern«, erläuterte Prefontaine.»Veränderungen lassen sich nicht aufhalten.«

«Das ist so offensichtlich, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie irgend jemand es bestreiten könnte«, sagte Alex.

«Oh, Randy hat es sich immer zunutze gemacht, hat Geschworene mit seiner Belesenheit verwirrt und Kollegen mit Bestimmungen über Bestimmungen durcheinandergebracht.«

«Schall und Rauch«, lachte Marie.»In der Wirtschaft ist es genauso. Erinnerst du dich, Johnny, wie oft ich es dir schon erzählt habe?«

«Ich verstehe kein Wort. Immer noch nicht.«

«Kein Schall und kein Rauch, was die Medizin betrifft«, sagte Panov.»Zumindest nicht da, wo die Laboratorien überwacht werden und die Pharmajungs mit dem Geld nicht zugelassen sind.«

«In vielerlei Hinsicht ist es der absichtlich unklare Kern unserer Verfassung«, fuhr der ehemalige Richter fort.»Es ist, als hätten die Gründer Nostradamus gelesen, wollten aber ihre Leichtfertigkeit nicht zugeben, oder vielleicht haben sie die Zeichnungen von da Vinci studiert, der schon die Flugzeuge vorhergesehen hat. Sie haben verstanden, daß sie die Zukunft nicht verhindern konnten, weil sie keine Ahnung hatten, was diese bringen oder was die Gesellschaft an zukünftigen Freiheiten verlangen würde. Sie haben großartige Freiräume gelassen.«

«Als solche vom großartigen Randolph Gates allerdings nicht akzeptiert, wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht täuscht«, sagte Conklin.

«Oh, er wird sich schnell ändern«, unterbrach Prefontaine kichernd.»Er war schon immer ein eingeschworener Gefährte des Windes, und er ist klug genug, seine Segel zu drehen.«

«Ich frage mich die ganze Zeit, was aus der Frau in der Raststätte geworden ist, die mit diesem Bronk verheiratet war«, sagte Mo Panov.

«Versuch dir ein kleines Haus und einen weißen Lattenzaun vorzustellen«, meinte Alex.»So ist es einfacher.«

«Welche Frau?«fragte St. Jacques.

«Rühr nicht daran, Johnny, ich möchte es lieber gar nicht wissen.«

«Oder dieser Scheißkerl von einem Militärarzt, der mich voll Amytal gepumpt hat!«sagte Panov mit Nachdruck.

«Er leitet eine Klinik in Leavenworth«, erwiderte Conklin.»Und Krupkin. Der verrückte, alte Kruppie mit all seiner Eleganz. Wir sind ihm was schuldig, aber wir können ihm nicht helfen.«

Es folgte ein Moment der Stille, in dem jeder an jemand dachte, der sich selbstlos einem monolithischen System entgegengestellt hatte, das David Webbs Tod verlangte, der am Geländer stand und auf die dunkle See hinausstarrte. Es würde einige Zeit dauern, das wußte er. Jason Borowski mußte verschwinden. Er mußte ihn verlassen. Wann? Nicht jetzt! Aus dem frühen Abend heraus begann der Wahnsinn von neuem! Das Brüllen mehrerer Motoren zerbrach die Stille aus dem Himmel herab, wie sich nähernde, scharfe Donnerschläge. Drei Militärhubschrauber stießen zu den Docks von Tranquility hinab, und Feuerstöße fraßen die Küstenlinie auf, als ein mächtiges Speedboat vom Riff her zum Strand vorstieß.

St. Jacques war an der Gegensprechanlage.

«Strandalarm!«schrie er.»Schnappt euch eure Waffen!«

«Mein Gott, der Schakal ist tot!«donnerte Conklin.

«Seine gottverfluchten Jünger nicht!«rief Jason Borowski — keine Spur mehr von David Webb —, als er Marie zu Boden stieß und eine Waffe aus seinem Gürtel zog, von der seine Frau nichts wußte.»Man hat ihnen gesagt, daß wir hier sind!«

«Es ist unglaublich!«

«Das ist Carlos!«entgegnete Jason und rannte zum Geländer des Balkons.»Er besitzt sie! Sie gehören ihm, ein Leben lang!«

«Scheiße!«brüllte Alex, als er seinen Stuhl wutentbrannt vorwärtsrollte und Panov vom Tisch mit den brennenden Kerzen wegstieß.

Plötzlich ließ ein Lautsprecher vom führenden Hubschrauber ein ohrenbetäubend lautes, statisches Knistern hören, worauf Worte des Piloten folgten.»Sie haben gesehen, was wir mit dem Strand gemacht haben! Wir schneiden Sie in zwei Teile, wenn Sie nicht Ihren Motor abstellen!.. So ist es besser. Treiben Sie an den Strand — treiben, nicht mit dem Motor, und kommen Sie beide nach oben, die Hände am Schandeck, nach vorn gebeugt! Sofort!«

Die Suchscheinwerfer der beiden Hubschrauber konzentrierten sich auf das Boot, während die führende Maschine am Strand landete, wo die Rotoren den Sand aufwirbelten. Vier Männer sprangen heraus, die Waffen auf das herantreibende Speedboat gerichtet, während die Bewohner von Villa achtzehn am Geländer standen und erstaunt auf die unglaubliche Szenerie unter sich hinabstarrten.

«Pritchard!«schrie St. Jacques.»Bringen Sie mir ein Fernglas!«

«Ich habe es bereits hier, Mr. St. Jacques. «Der stellvertretende Manager eilte mit dem Glas hinaus und reichte es seinem Arbeitgeber.»Ich habe extra die Linsen gereinigt, Sir!«

«Was siehst du?«fragte Borowski scharf.

«Ich weiß nicht. Zwei Männer.«

«Tolle Armee!«sagte Conklin.

«Gib es mir«, befahl Jason und entriß seinem Schwager das Fernglas.»Was ist, David?«rief Marie, als sie den Schock auf dem Gesicht ihres Mannes sah.

«Es ist Krupkin«, sagte er.

Dimitrij Krupkin saß mit blassem Gesicht an dem weißen, schmiedeeisernen Tisch und weigerte sich, mit irgend jemandem zu sprechen, bevor er nicht seinen dritten Brandy geleert hatte. Wie Panov, Conklin und David Webb war auch er ein verletzter Mann, ein verwundeter Mann, ein Mann mit erheblichen Schmerzen, der wie die anderen aber nicht näher darauf eingehen wollte, weil das, was vor ihm lag, so unendlich viel besser war als das, was er hinter sich gelassen hatte. Er hatte sich seinen Bart abrasiert, und seine bewußt minderwertige Kleidung schien ihn jedesmal zu stören, wenn er an sich herabsah. Seine ersten Worte waren an den alten Brendan Prefontaine gerichtet, da er den fein gestreiften, pfirsichfarbenen Guayabera über den königsblauen Hosen des ehemaligen Richters schätzte.»Ich mag diesen Aufzug«, sagte er bewundernd.»Sehr tropisch und geschmacklich gut dem Klima angepaßt.«

«Danke.«

Man stellte sich vor, und als die Begrüßungen vorbei waren, wurde der Russe mit Fragen geradezu überschüttet. Wie ein Papst von seinem Balkon am Petersplatz hob er beide Hände und sprach:»Ich werde Sie nicht mit den langweiligen Details meines Fluges aus Mütterchen Rußland langweilen oder belästigen, nur daß mich die Preise bestürzen, die man mittlerweile zu zahlen hat, will man unorthodox reisen. Die scheußliche Unterbringung, die ich für die exorbitante Geldsumme auf mich zu nehmen gezwungen war, werde ich niemals vergessen… Dabei lassen Sie mich Gott für die Credit Suisse und diese wunderbaren grünen Coupons danken, die sie ausgeben.«

«Erzählen Sie uns einfach, was passiert ist«, sagte Marie.

«Sie, verehrte Dame, sind sogar noch schöner, als ich Sie mir vorgestellt hatte. Hätten wir uns in Paris getroffen, hätte ich Sie Ihrem Mann, diesem zerlumpten Gassenjungen aus einem Dickens-Roman, schleunigst entrissen. Mein Gott, sehen Sie sich Ihre Haare an — prächtig.«

«Jetzt erzählen Sie uns endlich, was passiert ist«, sagte Mo Panov.

«Was passiert ist? Sie haben mich durchschaut, das ist passiert! Sie haben mein wunderhübsches Haus in Genf konfisziert! Es gehört jetzt zur sowjetischen Botschaft. Der Verlust bricht mir das Herz!«

«Sie waren in Moskau im Krankenhaus«, sagte Webb,»und haben herausgefunden, daß jemand etwas für mich vorgesehen hatte — um genau zu sein: meine Hinrichtung. Dann haben Sie Benjamin befohlen, mich aus Nowgorod rauszubringen.«

«Ich habe meine Quellen, Jason, und auch auf hohen Posten werden Fehler gemacht. Ich werde niemanden bezichtigen, indem ich Namen nenne. Es war einfach falsch. Wenn Nürnberg uns nichts anderes gelehrt hat, dann doch, daß man unmoralische Befehle nicht ausführen darf. Wir in Rußland haben viel gelitten, weit mehr als irgend jemand in Amerika im letzten Krieg. Einige von uns erinnern sich daran, und wir werden diesem Feind nicht nacheifern.«

«Gut gesagt«, bemerkte Prefontaine und hob sein Glas Perrier auf den Russen.»Letztlich sind wir alle Teil derselben denkenden, menschlichen Spezies, oder?«

«Na ja«, hustete Krupkin und stürzte seinen vierten Brandy.»Jenseits dieser äußerst reizvollen, wenn auch etwas abgegriffenen Beobachtung gibt es Unterschiede in den Verpflichtungen, Richter. Obwohl zum Beispiel mein Haus am Genfer See nicht mehr mir gehört, bleiben mir ohne Frage meine Konten auf den Cayman-Inseln. Übrigens, wie weit sind diese Inseln von hier entfernt?«

«Knapp zwölfhundert Meilen westlich«, entgegnete St. Jacques.»Eine Maschine von Antigua aus bringt Sie in etwas über drei Stunden hin.«

«Das habe ich mir gedacht«, sagte Krupkin.»Als wir in Moskau im Krankenhaus lagen, hat Alex immer wieder von Tranquility Island und Montserrat gesprochen, deshalb habe ich in der Krankenhausbücherei auf der Karte nachgesehen. Es scheint alles auf einem Kurs zu liegen… Übrigens, der Mann mit dem Boot, man wird doch nicht allzu hart mit ihm umspringen, oder? Meine schändlich teuren Ersatzpapiere sind unbedingt in Ordnung.«

«Sein Vergehen bestand in seinem Auftreten, nicht darin, daß er Sie hergebracht hat«, antwortete St. Jacques.

«Ich war in Eile, das kommt davon, wenn man um sein Leben rennt.«

«Ich habe dem Gouverneur bereits erklärt, daß Sie ein alter Freund meines Schwagers sind.«

«Gut. Sehr gut.«

«Was wollen Sie jetzt tun, Dimitrij?«fragte Marie.

«Ich fürchte, meine Möglichkeiten sind begrenzt. Unser russischer Bär hat nicht nur mehr Klauen als ein Tausendfüßler Beine, er ist außerdem mit einem weltweiten, computerisierten Nachrichtennetz ausgestattet. Ich werde eine ganze Zeit im Verborgenen bleiben und mir eine neue Existenz aufbauen müssen. Von Geburt an natürlich. «Krupkin wandte sich dem Besitzer des Tranquility Inn zu.»Wäre es wohl möglich, eines dieser hübschen Landhäuschen zu mieten, Mr. St. Jacques?«

«Nach allem, was Sie für David und meine Schwester getan haben, brauchen Sie kein zweites Mal darüber nachzudenken. Dieses Haus ist Ihr Haus, Mr. Krupkin. Alles, was Sie wollen.«

«Wie liebenswürdig. Zuerst muß ich natürlich eine Reise auf die Cayman-Inseln machen, wo es, wie man mir gesagt hat, ausgezeichnete Schneider gibt. Dann vielleicht eine praktische kleine Yacht und ein bescheidenes Chartergeschäft, mit dem man vorgeben kann, es von Tierra del Fuego oder den Malediven geholt zu haben, irgendeinem gottverlassenen Ort, an dem einem ein bißchen Geld eine neue Identität und eine höchst glaubhafte, wenn auch undurchsichtige Vergangenheit verschaffen kann. Wenn das alles einmal in Bewegung ist, dann gibt es einen Arzt in Buenos Aires, der mit Fingerabdrücken Wunder vollbringt, ziemlich schmerzlos, wie man mir sagte, und dann ein paar kleinere kosmetische Operationen — Rio hat die besten Möglichkeiten, wissen Sie, weit besser als New York —, gerade genug, um das Profil zu ändern und die Jahre vielleicht ein wenig zurückzudrehen… Die letzten fünf Tage und Nächte hatte ich nichts anderes zu tun, als nachzudenken und zu planen, da ich Sie, Mrs. Webb, noch nicht kannte.«

«Das haben Sie allerdings getan«, stimmte Davids Frau beeindruckt zu.»Und bitte nennen Sie mich Marie.«

«Ah, die entzückende Marie!«

«Was ist mit deinen entzückenden Plänen?«fragte Conklin gezielt.»Wie lange wird es dauern, sie auszuführen?«

«Ausgerechnet du mußt diese Frage stellen?«Krupkins Augen sahen ihn ungläubig an.

«Ich denke, das sollte ich«, erwiderte Alex.

«Du, der du zum Aufbau des größten Darstellers beigetragen hat, den die Welt des Terrorismus jemals gesehen hat? Des unvergleichlichen Jason Borowski?«

«Wie lange, Kruppie?«

«Um Himmels willen, Mann, du hast einen Rekruten für einen Auftrag ausgebildet, eine einzige Mission, ich verändere ein Leben.«

«Wie lange?«

«Sag du es mir, Alex. Wir sprechen von meinem Leben, und so wertlos es auch sein mag, es ist immer noch mein Leben…«

«Er bleibt, solange er will«, unterbrach ihn David Webb, und die unsichtbare Gestalt von Jason Borowski blickte über seine verletzte Schulter.

«Zwei Jahre, um es gut, drei Jahre, um es besser zu machen«, sagte Dimitrij Krupkin.

«Die sollen Sie haben«, sagte Marie.

«Pritchard«, sagte St. Jacques mit abgewandtem Kopf.»Machen Sie mir bitte einen Drink.«

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