Kapitel 18

Steven DeSole, Hüter der größten Geheimnisse der CIA, zwängte sein Übergewicht aus dem Wagen. Er stand auf dem verlassenen Parkplatz eines kleinen Einkaufszentrums in Annapolis in Maryland. Die einzige Lichtquelle waren die Neonleuchten vor der geschlossenen Tankstelle, in deren Fenster ein großer deutscher Schäferhund schlief. DeSole rückte seine Stahlbrille zurecht und äugte auf seine Armbanduhr, von der er nur die Leuchtzeiger erkennen konnte. Es war zwischen 3.15 Uhr und 3.20 Uhr morgens. Er war zeitig, und das war gut so. Er mußte seine Gedanken ordnen. Beim Fahren war er dazu nicht in der Lage gewesen, da er stark nachtblind war und sich voll auf die Straße konzentrieren mußte. Und es war natürlich unmöglich für ihn gewesen, ein Taxi oder einen Fahrer zu nehmen.

Die Information lautete… ja, eigentlich bloß ein Name… ein ziemlich gewöhnlicher Name. Der Name sei Webb, hatte der Anrufer gesagt. Danke, hatte er geantwortet. Dann eine flüchtige Beschreibung, wie sie auf mehrere Millionen Männer paßte. Er hatte dem Anrufer nochmals gedankt und den Hörer aufgelegt. Aber dann hatte in seinem analytischen Hirn ein Warnlicht aufgeleuchtet. Webb, Webb… Amnesie?… Eine Klinik in Virginia vor vielen Jahren… ein Mann, mehr tot als lebendig, aus einem Krankenhaus in New York eingeflogen… die Krankheitsakte mit der höchsten Geheimhaltungsstufe belegt, nicht einmal das Weiße Haus durfte sie sehen… Aber Untersuchungsspezialisten können oft den Mund nicht halten, weil sie ihre Frustrationen loswerden oder einen Zuhörer beeindrucken wollen. Und so hatte DeSole von einem dickköpfigen, unbequemen Patienten mit Amnesie erfahren, der» Davey «und manchmal knapp und feindselig einfach» Webb «genannt wurde. Er sei ein ehemaliges Mitglied von Saigons schrecklicher Medusa, ein Mann, den man verdächtigte, seinen Gedächtnisverlust nur vorzutäuschen… Gedächtnisverlust? Alex Conklin hatte ihnen gesagt, daß der Medusa-Mann, den sie auf Carlos, den Schakal, angesetzt hatten, Jason Borowski genannt wurde und sein Gedächtnis verloren hatte! Sein Gedächtnis und beinahe auch sein Leben, weil seine Kontrollmänner die Sache mit der Amnesie nicht geglaubt hatten! Das war» Davey«… David. David Webb war Conklins Jason Borowski. Wie konnte es anders sein?

David Webb. Und er war in Norman Swaynes Haus in jener Nacht, als der CIA gemeldet wurde, daß der gehörnte Swayne sich das Leben genommen hatte. Ein Selbstmord, der nicht in den Papieren auftauchte, aus Gründen, die DeSole nicht richtig verstanden hatte. David Webb. Die alte Medusa. Jason Borowski. Conklin. Warum?

Zwei Scheinwerfer durchbrachen die Dunkelheit am anderen Ende des Parkplatzes, schwenkten in einem Halbkreis auf DeSole zu. Sie blendeten ihn, und er schloß die Augen. Er mußte diesen Männern klarmachen, was er herausgefunden hatte. Sie waren der Schlüssel zu einem Leben, von dem er und seine Frau immer geträumt hatten. Geld. Nicht ein Beamtengehalt, sondern wirkliches Geld. Die besten Universitäten für die Enkelkinder — nicht die lausigen staatlichen und nicht mit erbettelten Stipendien. Er fand, er hatte es verdient, denn er war besser als all die anderen um ihn herum. Sein Beamtengehalt war eine Schande. DeSole, stumm wie ein Grab. So sagte man. Aber zahlen wollten sie nicht für seine Zuverlässigkeit, für seine Erfahrung. Eines Tages würde Washington lernen, aber den Tag würde er nicht mehr erleben. Und deshalb hatten die sechs Enkelkinder ihm die Entscheidung abgenommen. Er hatte sich aus Bitterkeit der neuen Medusa angeschlossen, und sie hatte ihm großzügig unter die Arme gegriffen.

Er rechtfertigte sich damit, daß er nicht unmoralischer sei als all die Pentagon-Leute, die Arlington verließen, um sich in die korporativen Arme der Waffenindustrie zu werfen. Ein Oberst der Armee hatte das ihm gegenüber einmal so ausgedrückt:»Jetzt arbeitet man, und bezahlt wird man später. «Und Gott wußte, daß Steven DeSole verdammt hart für sein Land gearbeitet hatte. Und doch haßte er den Namen Medusa und benutzte ihn, wenn überhaupt, nur selten. Die großen Erdölgesellschaften und Eisenbahnen gingen zwar auf die Machenschaften und die Korruption einiger Räuber-Barone zurück, aber heute war ihnen ihre Herkunft nicht mehr anzusehen. Medusa mochte im kriegsgezeichneten Saigon entstanden sein, die ersten Gelder mochten aus schmutzigen Quellen geflossen sein, aber diese Medusa existierte nicht mehr. An ihre Stelle waren Dutzende verschiedener Namen und Gesellschaften getreten.

«Wir sind keine Engel, Mr. DeSole, aber das sind die amerikanisch kontrollierten multinationalen Konzerne doch alle nicht«, sagte sein Werber.»Und es stimmt, daß wir das suchen, was man einen wirtschaftlichen Vorteil durch privilegierte Informationen nennen könnte. Geheimnisse, wenn Sie so wollen. Manche sagen, das sei unfair. Aber wir müssen es einfach tun, weil unsere Konkurrenten in Europa und dem Fernen Osten mit denselben Methoden arbeiten. Der Unterschied ist nur, daß die Regierungen dort solche Anstrengungen unterstützen — unsere tut das nicht… Handel, Mr. DeSole, Handel und Profit. Das sind die gesündesten Beschäftigungen auf Erden. Chrysler mag vielleicht Toyota nicht, aber der kluge Mr. Iacocca ruft nicht nach einem Luftangriff gegen Toyota. Zumindest noch nicht. Er findet Mittel und Wege, mit den Japanern gemeinsame Sache zu machen.«

Ja, dachte DeSole, als die Limousine drei Meter vor ihm zum Halten kam. Was er für die» Korporation «leistete, wie er sie gerne nannte, konnte man sogar wohltätig nennen, im Gegensatz zu dem, was er für die CIA tat. Profite sind schließlich wünschenswerter als Bomben… und seine Enkelkinder konnten auf die besten Schulen und Universitäten des Landes gehen. Zwei Männer stiegen aus der Limousine und kamen auf ihn zu.

«Wie sieht denn dieser Webb aus?«fragte Albert Armbruster, Vorsitzender der Bundeshandelskommission, als sie am Rand des Parkplatzes entlanggingen.

«Ich habe nur eine Beschreibung vom Gärtner, der sich hinter einem zehn Meter entfernten Zaun versteckt hielt.«

«Was hat er Ihnen gesagt?«Der Begleiter des Vorsitzenden, der sich nicht vorgestellt hatte, sah DeSole an. Er war klein und stämmig, mit durchdringenden dunklen Augen, dichten Augenbrauen und schwarzen Haaren.»Seien Sie bitte präzise«, fügte er hinzu.

«Nun mal halblang«, protestierte DeSole defensiv, aber bestimmt.»Ich bin präzise in allem, was ich tue, und offen gesagt, wer immer Sie sind, ich mag Ihren Ton nicht im geringsten.«

«Er ist einfach aufgeregt«, sagte Armbruster, als wäre sein Begleiter Luft.»Er ist ein Spaghetti-König aus New York und traut niemandem.«

«Wem kann man in New York denn trauen?«fragte der kleine, dunkle Mann, lachte und stieß Albert Armbruster seinen Ellbogen in den dicken Bauch.»Ihr seid doch die schlimmsten, ihr habt die Banken, amico!«

«Dabei soll es auch bleiben… die Beschreibung bitte. «Der Vorsitzende blickte DeSole an.

«Sie ist unvollständig, aber es gibt eine weit zurückliegende Verbindung zu Medusa, die ich Ihnen erklären werde — präzise.«

«Machen Sie schon, amico«, sagte der Mann aus New York.

«Er ist ziemlich groß, Ende Vierzig, Anfang Fünfzig und…«

«Hat er graue Schläfen?«fragte Armbruster.

«Ja, ich glaube, der Gärtner sagte so was.«

«Das ist Simon«, sagte Armbruster und sah den New Yorker an.»Wer?«DeSole blieb stehen, die beiden anderen ebenfalls.

«Er nannte sich Simon, und er wußte alles über Sie, Mr. CIA«, sagte der Vorsitzende.»Über Sie und Brüssel und die ganze Geschichte.«

«Wovon reden Sie eigentlich?«

«Über die gottverdammte Fax-Verbindung zwischen Ihnen und diesem Knallkopf in Brüssel.«

«Aber die ist top-geheim! Sie steht unter Verschluß!«

«Jemand hat den Schlüssel gefunden, Mr. Präzise«, sagte der New Yorker, ohne zu lächeln.

«Oh, mein Gott, das ist furchtbar! Was soll ich tun?«

«Das ist eine Geschichte zwischen Ihnen und Teagarten, aber rufen Sie ihn möglichst aus einer verdammten Telefonzelle an«, fuhr der Mafioso fort,»einer von euch muß sich was einfallen lassen.«

«Wissen Sie über… Brüssel Bescheid?«

«Es gibt wenig, was ich nicht weiß. «Diesmal lächelte er.

Armbruster lief wütend am Rand des Parkplatzes weiter.»Dieser verdammte Hurensohn ließ mich glauben, er sei einer von uns, und schon hatte er mich am Sack!«Die beiden anderen holten ihn ein, DeSole nur zögernd und ängstlich.»Er schien alles zu wissen, aber wenn ich es mir überlege, warf er mir nur Teile und Brocken zu, ziemlich große Teile und Brocken allerdings: Burton, Sie, Brüssel und ich habe ihm wie ein Idiot den Rest erzählt. Scheiße!«

«Moment mal!«schrie der CIA-Analytiker und zwang die anderen beiden, wieder stehenzubleiben.»Ich verstehe das nicht, ich bin Stratege, aber das verstehe ich nicht. Was hatte David

Webb — oder Jason Borowski — eigentlich letzte Nacht in Swaynes Haus zu suchen?«

«Wer, zum Teufel, ist Jason Borowski?«brüllte Armbruster.

«Der alte Verbindungsmann zu Medusa, den ich gerade erwähnte. Vor dreizehn Jahren hat die CIA David Webb den Namen Jason Borowski gegeben, der ursprüngliche Borowski war damals schon tot. Er wurde auf eine Vier-Null getarnte Mission geschickt. Die ging schief, aber er überlebte.«

«Lieber Gott, was für ein Salat!«

«Was können Sie uns über diesen Webb erzählen… oder Borowski oder Simon oder Cobra? Hört sich ja an wie die reinste Variete-Nummer?«

«Er hat offenbar schon vorher mit verschiedenen Namen und verschiedenen Erscheinungen gearbeitet. Als Borowski wurde er auf einen Mörder angesetzt, den sie Schakal nannten. Er sollte ihn provozieren, ihn hervorlocken und ausschalten.«

«Den Schakal?«fragte der capo supremo der Cosa Nostra erstaunt.»Wie im Film?«

«Nein, nicht im Film, Sie Idiot…«, bellte DeSole ihn an.

«He, langsam, amico.«

«Ilich Ramirez Sanchez, auch als Carlos oder der Schakal bekannt, ein professioneller Killer, der seit einem Vierteljahrhundert von den internationalen Behörden gejagt wird. Es geht sogar das Gerücht, daß er der wirkliche Killer von John F. Kennedy war.«

«Na ja…«, Armbruster war skeptisch.

«Wie auch immer, aus allergeheimster Quelle habe ich jedenfalls erfahren, daß Carlos nach all den Jahren den einzigen lebenden Menschen aufgespürt hat, der ihn identifizieren könnte: Jason Borowski, das heißt David Webb.«

«Woher wissen Sie das?«explodierte Armbruster.

«Oh, ja. Es kam alles ziemlich plötzlich. Es war verwirrend… Ich weiß es von einem pensionierten CIA-Agenten mit einem verkrüppelten Bein — Conklin, Alexander Conklin. Er und ein Psychiater — Panov, Morris Panov — sind enge Freunde von Webb… oder Borowski.«

«Wo sind sie?«fragte der Capo grimmig.

«Sie könnten keinen von ihnen erreichen. Sie stehen beide unter maximum security.«

«Ich habe nicht nach den Verlobungsregeln gefragt, sondern danach, wo sie sind.«

«Gut, Conklin befindet sich auf einer Enklave in Vienna, einem Grundstück, das uns gehört, wo niemand hinkommt. Und Panovs Appartement und Büro werden rund um die Uhr bewacht.«

«Sie geben mir die Adressen, ja?«

«Sicher, aber sie werden garantiert nicht mit Ihnen sprechen.«

«Oh, das wäre aber schade.«

«Aber warum, verdammt«, schrie Armbruster senkte aber sofort seine Stimme,»warum war dieser Webb oder Borowski oder wie auch immer in Swaynes Haus?«

«Das ist eine Lücke, die ich nicht füllen kann«, sagte DeSole.

«'ne was?«

«Das ist ein CIA-Ausdruck für >Weiß ich nicht!««

«Kein Wunder, daß dieses Land in der Scheiße steckt!«spottete der Mafioso.

«Das ist nicht wahr…«

Der Mann aus New York winkte bloß ab, griff in seine Tasche und zog einen kleinen Notizblock mit einem Kugelschreiber hervor.»Schreiben Sie die Adressen von diesem pensionierten Gespenst und dem Schrumpfkopf auf. Jetzt gleich.«»Man kann hier schlecht sehen«, sagte DeSole und wandte sich zum Neonlicht.»Hier. Die Nummer des Appartements könnte falsch sein, aber sein Name steht an der Tür. Aber, wie gesagt, er wird nicht mit Ihnen sprechen.«

«Na, dann entschuldigen wir uns, daß wir ihn gestört haben.«

«Wahrscheinlich! Ich glaube, er ist sehr eigen, wenn es um seine Patienten geht.«

«Oh, so wie Sie mit Ihrer Fax-Leitung?«

«Nein, ich bin nicht eigen. Aber präzise.«

«Das sind Sie immer, nicht wahr?«

«Und Sie sind sehr gereizt…«

«Wir müssen gehen«, unterbrach Armbruster. Er sah zu, wie der New Yorker Notizblock und Kugelschreiber zurücknahm.»Nur die Ruhe, DeSole«, fügte er hinzu und lief schon zum Wagen zurück.»Es gibt nichts, was wir nicht in den Griff bekommen. Wenn Sie mit Jimmy T. in Brüssel sprechen, sehen Sie zu, daß Sie eine vernünftige Erklärung für die FaxGeschichte finden, okay? Wenn nicht, dann brauchen Sie sich auch nicht ins Hemd zu machen. Dann werden wir uns höheren Orts was ausdenken.«

«Natürlich, Mr. Armbruster. Aber, wenn ich fragen darf, kann ich auf mein Konto in Bern zurückgreifen? Falls… nun, Sie verstehen… falls…«

«Natürlich, Steven. Alles, was Sie tun müssen, ist lediglich, nach Bern zu fliegen und Ihr Konto mit Ihrer eigenen Handschrift zu unterschreiben. Ihre Unterschrift, die Nummer eins auf der Liste, Sie erinnern sich?«

«Ja, ja, na klar.«

«Es müssen jetzt über zwei Millionen sein.«

«Danke. Danke… Sir.«

«Sie haben es verdient, Steven. Gute Nacht.«

Die beiden Männer setzten sich auf den Rücksitz der Limousine. Die Stimmung war gespannt. Armbruster schielte zum Mafioso hinüber und fragte, als der Chauffeur den Motor angelassen hatte:»Wo ist der zweite Wagen?«

Der Italiener schaltete die Leselampe ein und sah auf seine Uhr.

«Jetzt parkt er an der Straße gut einen Kilometer unterhalb der Tankstelle. DeSole wird dort vorbeifahren, und der Wagen wird ihm folgen, bis die Umstände günstig sind.«

«Ihr Mann weiß genau, was zu tun ist?«

«Er ist kein Anfänger. Er hat ein Suchlicht auf dem Dach, das so stark ist, daß man es in Miami sehen kann. Er fährt neben DeSole her, schaltet es ein, und Ihr Zwei-Millionen-Heini ist geblendet, die Straße ist nicht ungefährlich… Und wir verlangen für den Job nur ein Viertel von dem, was er Ihnen wert ist. Das ist Ihr Glückstag, Alby.«

Der Vorsitzende der Bundeshandelskommission lehnte sich zurück und starrte in die Dunkelheit hinaus. Hinter dem getönten Glas huschten Schatten vorbei.»Wissen Sie«, sagte er ruhig,»wenn mir vor zwanzig Jahren irgend jemand gesagt hätte, daß ich heute in diesem Wagen sitzen würde, mit jemandem wie Ihnen, und daß ich sagen würde, was ich gesagt habe, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt.«

«Oh, das ist genau das, was wir an euch feinen Herren so mögen. Ihr rümpft die Nase und rotzt uns an, bis ihr uns braucht. Dann sind wir plötzlich Verbündete. Genießen Sie Ihr Leben, Alby! Wir erledigen das kleine Problem für Sie. Gehen Sie in Ihre Handelskommission zurück und entscheiden Sie, welche Firma sauber ist und welche nicht — und auch dort wäscht eine saubere Hand die andere, nicht wahr?«

«Halt's Maul!«schrie Armbruster und schlug mit der Faust auf die Lehne.»Dieser Simon, dieser Webb! Wo kommt der her? Was hat er mit unserer Sache zu tun? Was will er?«

«Vielleicht liegt der Schlüssel beim Schakal?«

«Das ergibt keinen Sinn. Wir haben überhaupt nichts mit dem Schakal zu tun.«

«Warum sollten Sie auch?«fragte der Mafioso grinsend.»Sie haben ja uns.«

«Das ist eine sehr lose Verbindung, vergessen Sie das nicht… Aber Webb, Simon, oder wer immer das ist, wir müssen ihn finden, verdammt! Er weiß zuviel. Er könnte uns verdammt gefährlich werden.«

«Es ist ernst, hm?«

«Ja. «Der Vorsitzende trommelte nervös auf die Armlehne.

«Wollen Sie ein Angebot hören?«

«Was?«fauchte Armbruster und starrte in das ruhige sizilianische Gesicht.

«Sie haben mich schon verstanden. Aber wir lassen nicht mit uns handeln. Entweder Sie nehmen an, oder Sie lehnen ab.«

«Ein… Vertrag? Über Webb?«

«Nein«, antwortete der Mafioso und schüttelte leicht den Kopf.»Über eine Person namens Jason Borowski. Es ist sauberer, jemanden zu töten, der bereits tot ist, nicht wahr?… Da Sie gerade anderthalb Millionen gespart haben, kostet es Sie diesmal fünf Millionen.«

«Fünf Millionen!?«

«Die Kosten zur Beseitigung von ernsten Problemen sind hoch. Fünf Millionen, Alby, die Hälfte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Vertragsabschluß.«

«Das ist unverschämt!«

«Sie können es ablehnen. Wenn Sie aber wiederkommen, sind es schon siebeneinhalb. Und danach schlicht das Doppelte, nämlich fünfzehn Millionen.«

«Welche Garantie haben wir, daß Ihre Leute ihn überhaupt finden können? Sie haben DeSole gehört. Er ist Vier-Null, das bedeutet, außer Reichweite vergraben.«

«Oh, wir graben ihn schon aus. Und dann buddeln wir ihn wieder ein.«

«Wie? Zweieinhalb Millionen sind eine Menge Geld für nichts als Ihr Wort…«

Der Mafioso holte lächelnd das kleine Notizbuch hervor.»Enge Freunde sind die besten Quellen, Alby. Fragen Sie die Schlampen, die die Klatschspalten schreiben. Ich habe zwei Adressen.«

«Sie kommen nicht in ihre Nähe.«

«Von wegen. Wir sind nicht mehr im alten Chicago; wir haben andere Methoden als Capone, der tollwütige Hund, oder Nitti, der nervöse Finger. Wir haben gebildete Leute auf unseren Gehaltslisten, Genies, Wissenschaftler,

Elektronenzauberkünstler, Doktoren. Wenn wir mit dem Gespenst und dem Schrumpfkopf fertig sind, wissen die nicht einmal, was eigentlich geschehen ist. Aber wir werden Jason Borowski haben, den Typen, der nicht existiert, weil er bereits tot ist.«

Albert Armbruster nickte kurz und blickte wieder aus dem Fenster. Er schwieg.

«Ich mache sechs Monate dicht, ändere den Namen, starte dann eine Werbekampagne und mache wieder auf«, sagte John St. Jacques, der am Fenster stand, während der Doktor sich um Jason kümmerte.»Alle sind abgereist?«fragte Borowski. Er saß im Bademantel auf einem Stuhl, der Doktor nähte ihn gerade wieder zusammen, und Jason zuckte ab und zu zusammen.

«Nein, nicht alle. Ein paar verrückte kanadische Ehepaare sind noch da, einschließlich meines alten Freundes, der in diesem Augenblick deinen Hals rettet. Stell dir vor, sie wollten sogar eine Brigade aufstellen, um das Böse zu verfolgen.«

«Das war Scottys Idee«, unterbrach der Doktor, auf die Wunde konzentriert.»Mich kannst du nicht dazuzählen, ich bin zu alt.«

«Er auch, er weiß es nur nicht. Dann wollte er eine Anzeige aufgeben mit einer Belohnung, hunderttausend Dollar. Ich konnte ihn schließlich davon überzeugen, daß es um so besser ist, je weniger darüber geredet wird.«

«Am besten gar nichts sagen«, fügte Jason hinzu.

«Etwas müssen wir schon verlauten lassen, David«, widersprach St. Jacques.»Wir befriedigen die Neugier mit einer Story von einer gewaltigen Propangasexplosion. Die meisten werden es allerdings nicht glauben. Der Außenwelt wäre natürlich selbst ein Erdbeben höchstens sechs Zeilen wert, aber hier auf den Inseln fliegen die Gerüchte nur so herum.«

«Hast du irgend etwas gehört?«

«Ja, und nicht nur Gerüchte, aber das betrifft weniger uns hier, sondern eher Montserrat, und die Nachrichten darüber werden eine ganze Spalte in der London Times bekommen…«

«Hör auf, so geheimnisvoll zu reden.«

«Sag, was du sagen willst, John«, unterbrach der Doktor,»ich höre einfach nicht zu.«

«Also gut«, sagte St. Jacques.»Es geht um den Gouverneur. Du hast recht gehabt. Zumindest gehe ich davon aus, daß du recht hattest.«

«Warum?«

«Die Nachricht kam vorhin. Das Boot des Gouverneurs wurde auf einem Riff in der Nähe von Antigua zerschmettert aufgefunden, auf halbem Weg nach Barbuda. Keine Anzeichen von Überlebenden. Plymouth nimmt an, daß es eine dieser Peitschenwellen war, die manchmal von Nevis herüberkommen, aber das glaube ich nicht. Es gibt zwar solche Wellen, aber da ist noch etwas anderes…«

«Und das wäre?«

«Die beiden Bootsleute, die er sonst immer mitnimmt, waren nicht bei ihm. Im Yachtclub hat er erzählt, daß er allein hinausfahren werde, aber zu Henry hatte er gesagt, er wollte auf große Fische gehen… «

«Was bedeutet, daß er eine Crew hätte haben müssen«, unterbrach der kanadische Arzt.»Oh, tut mir leid.«

«Ja, natürlich«, pflichtete St. Jacques bei.»Man kann keine großen Fische angeln und gleichzeitig ein Boot steuern — zumindest der Gouverneur konnte das nicht. Er hatte Angst, die Augen von der Karte zu nehmen.«

«Aber lesen konnte er sie, oder?«fragte Jason.»Die Karte?«

«Sagen wir, gut genug, um überall hinzukommen…«

«Irgendwas hat ihn veranlaßt, allein rauszufahren«, sagte Borowski.»Vielleicht hat ihn jemand zu einem Rendezvous eingeladen, zu einem Treffen in Gewässern, die ihn wirklich zwangen, die Augen nicht von der Karte zu nehmen. «Jason merkte plötzlich, daß die flinken Finger des Doktors nicht mehr an seinem Nacken beschäftigt waren. Statt dessen war sein Hals wieder bandagiert. Der Arzt stand neben ihm und sah auf ihn herab.

«Sind Sie zufrieden?«fragte Borowski, und ein anerkennendes Lächeln kräuselte seine Lippen.

«Wir sind fertig«, sagte der Kanadier.

«Gut… dann glaube ich, daß wir uns besser später noch mal treffen, auf einen Drink, in Ordnung?«

«Schade. Wo es gerade spannend wird.«

«Es ist nicht spannend, Doktor, gar nicht, und ich wäre ein sehr undankbarer Patient, wenn ich Sie gleichsam aus Versehen Dinge hören ließe, die Sie nicht hören sollten…«

Der Kanadier sah Jason ernst an.»Sie machen sich also wirklich Sorgen und wollen mich, trotz allem, was passiert ist, tatsächlich nicht einweihen. Und dabei geht es offensichtlich nicht um melodramatische Geheimniskrämerei ein alter Trick von weniger guten Ärzten übrigens —, sondern um etwas sehr Ernstes, oder?«

«Ja.«

«In Anbetracht dessen, was Ihnen zugestoßen ist — und ich meine nicht nur die vergangenen paar Stunden, die ich miterlebt habe, sondern das, was mir die Narben auf Ihrem Körper erzählen —, ist es bemerkenswert, daß Sie sich überhaupt noch um einen anderen Menschen Sorgen machen können. Sie sind seltsam, Mr. Webb. Manchmal scheint mir, Sie haben zwei Seelen in ihrer Brust.«

«Ich bin nicht seltsam, Doktor. «Jason preßte kurz und heftig seine Augen zu, als er antwortete.»Ich möchte nicht seltsam oder anders oder irgendwie exotisch sein. Ich möchte genauso normal und gewöhnlich sein wie jeder andere. Keine Spiele, nein. Ich bin Dozent an einer Hochschule, und das ist alles, was ich sein möchte. Aber unter den gegenwärtigen Umständen muß ich ein paar Dinge erledigen, auf meine Weise.«

«Wollen Sie damit sagen, es ist nur zu meinem Besten, wenn ich jetzt gehe?«

«Genau.«

«Sie sind nicht nur seltsam, Sie sind auch noch ein guter Pädagoge.«

«Das zweite hoffe ich.«

«Ich wette, daß Sie ein verdammt guter Lehrer sind, Mr. Webb.«

«Dr. Webb«, warf St. Jacques spontan ein, als wäre diese Klärung notwendig.»Er ist auch ein Doktor. Er spricht mehrere orientalische Sprachen und ist ordentlicher Professor. Unis wie Harvard, McGill und Yale wollen ihn seit Jahren haben, aber er rührt sich nicht…«

«Sei still«, sagte Borowski freundlich und mit dem Anflug eines Lächelns.»Mein junger Unternehmerfreund ist von allen Buchstaben vor einem Namen beeindruckt, ungeachtet der Tatsache, daß ich, wäre ich auf mich allein gestellt, mir eine von diesen Villen nur ein paar Tage leisten könnte.«

«Blödsinn.«

«Ich sagte, allein auf mich gestellt.«

«Na ja, gut.«

«Ich habe eine reiche Frau… Verzeihen Sie, Doktor, das ist ein alter Familienstreit.«

«Nicht nur ein guter Lehrer«, wiederholte der Arzt,»sondern auch noch sehr engagiert. «An der Tür drehte er sich noch einmal um und fügte hinzu:»Ich komme später auf den Drink zurück, würde mir wirklich Spaß machen.«

«Danke«, sagte Jason.»Danke für alles. «Der Doktor nickte und verließ den Raum. Borowski wandte sich an seinen Schwager.»Er ist ein guter Freund, Johnny.«

«Eigentlich ist er ein kalter Fisch, aber ein verteufelt guter Arzt. So menschlich habe ich ihn noch nie erlebt. Du meinst also, daß der Schakal den Gouverneur zu einem Treffen bestellt hat und daß er ihn, als er meine Informationen hatte, umgebracht und den Haifischen vorgeworfen hat.«

«Bootsunfälle sind ja nicht selten in Riffgewässern«, vervollständigte Jason.»Eine Tragödie auf See und einer weniger, der eine Spur zu Carlos sein könnte. Das ist nicht unwichtig für ihn.«

«Da ist noch etwas, womit ich meine Schwierigkeiten habe«, sagte St. Jacques.»Ich war noch nicht dort, aber das Riffgebiet nördlich von Falmouth, wo es ihn erwischt hat, nennt man Teufelsmaul, und es ist nicht gerade ein Gebiet, für das Werbung gemacht wird. Die Fischerboote und die

Charterschiffe bleiben ihm fern. Denn keiner kennt die Zahl der Boote und Menschenleben, die es schon gefordert hat.«

«Und?«

«Also angenommen, es war der Schakal, der dem Gouverneur den Treffpunkt angegeben hat, woher, verdammt, wußte er, daß es dort so gefährlich ist?«

«Haben die beiden Wächter es dir nicht erzählt?«

«Was erzählt? Ich habe sie gleich zu Henry rübergeschickt, um ihm Nachricht zu geben, während ich mich um dich kümmerte. Es war keine Zeit, sich hinzusetzen und zu reden. Ich dachte, jeder Augenblick zählt.«

«Dann weiß es Henry jetzt. Das wird ein Schock für ihn sein. Erst verliert er innerhalb von zwei Tagen zwei Patrouillenboote, wovon ihm wohl nur eines bezahlt wird, und dann stirbt auch noch sein Boss, der ehrenwerte Gouverneur der Krone, der Lakai des Schakals, der das Außenministerium auf den Arm genommen hat, indem er einen Pariser Amateurkiller als Held von Frankreich empfing. Die Telefone zwischen dem Regierungsgebäude und Whitehall werden heute nacht heißlaufen.«

«Noch ein Boot? Was erzählst du da? Was weiß Henry jetzt? Was konnten ihm meine Wachen erzählen?«

«Deine Frage vor einer Minute war, woher der Schakal über das Teufelsmaul vor der Küste von Antigua Bescheid wußte.«

«Glaube mir, Dr. Webb, ich kann mich an meine Frage erinnern. Und, woher wußte er davon?«

«Weil er einen dritten Mann hier hatte, und das werden deine Wachen Henry jetzt erzählt haben. Einen blondgelockten Hurensohn, Chef der Drogenfahndung von Montserrat.«

«Er? Rickman? Der britische Ein-Mann-Ku-Klux-Klan? Paragraphenreiter-Rickman? Der Schrecken für jeden, der es

nicht wagte, zurückzubellen? Heilige Maria, Henry wird es nicht glauben!«

«Warum nicht? Du hast gerade den idealen Schüler des Schakals beschrieben.«

«Ja, wahrscheinlich. Aber es scheint so unwirklich. Er ist bigotter als ein Pfaffe: Gebet vor der Arbeit, am Morgen, damit Gott ihm beisteht in seiner Schlacht gegen den Satan. Kein Alkohol, keine Frauen…«

«Ich würde sagen, ein erstklassiges Opfer für den Schakal. Und Henry wird es glauben, wenn das Boot nicht nach Plymouth zurückkehrt und wenn die Leichen der restlichen Besatzung an die Küste gespült werden.«

«So ist Carlos davongekommen?«

«Ja. «Borowski nickte und machte eine Geste in Richtung Couch, vor der ein Tisch mit Gläsern stand.»Setz dich, Johnny, wir müssen reden.«

«Über das, was passiert ist?«

«Nein. Sondern darüber, was jetzt zu geschehen hat.«

«Und was ist das?«fragte St. Jacques und setzte sich.»Ich reise ab.«

«Nein!«schrie der Jüngere.»Du kannst nicht!«

«Ich muß. Er kennt unsere Namen, weiß, wo wir leben. Alles.«

«Wohin gehst du?«

«Nach Paris.«

«Verdammt, nein! Das kannst du Marie nicht antun! Auch nicht den Kindern, um Himmels willen. Ich laß dich nicht.«

«Du kannst mich nicht aufhalten.«

«Um Gottes willen, David, hör auf mich! Wenn Washington so knauserig ist oder auf deine Probleme scheißt, Ottawa ist da besser. Meine Schwester hat für die Regierung gearbeitet, und unsere Regierung läßt ihre Leute nicht fallen, weil es unbequem oder zu teuer ist. Ich kenne Leute — wie Scotty, den Doktor und andere. Ein paar Worte von ihnen, und sie setzen dich in Calgary in eine Festung. Niemand könnte dir dort etwas anhaben!«

«Du denkst, die US-Regierung würde nicht dasselbe tun? Ich will dir mal was erzählen, Bruder. Es gibt Leute in Washington, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Marie, die Kinder und mich zu retten. Selbstlos, ohne Nutzen für sich selbst oder die Regierung. Wenn ich ein sicheres Haus wollte, wo niemand an mich herankäme, würde ich wahrscheinlich einen Landsitz in Virginia bekommen, mit Pferden und Dienern und einem Zug Infanterie, der uns rund um die Uhr beschützen würde.«

«Das ist die Antwort. Tu es!«

«Wozu, Johnny? Um in einem privaten Gefängnis zu leben? Wo die Kinder ihre Freunde nicht besuchen können, wo sie mit Wächtern zur Schule gehen müssen, niemals allein sein dürfen, nie bei Freunden übernachten und Kissenschlachten machen können? Und Marie und ich starren uns nur an, vor den Fenstern Flutlichter, wir horchen auf die Schritte der Wachen, ihr gelegentliches Schneuzen oder Husten und — um Himmels willen auf das Klicken eines Gewehres, weil ein Kaninchen in den Garten gehoppelt ist. Das ist kein Leben, das ist lebenslängliche Haft. Deine Schwester und ich würden damit nicht fertig werden.«

«Ich auch nicht, so, wie du es beschreibst. Aber was ist Paris für eine Lösung?«

«Ich kann ihn finden. Ich kann ihn schnappen.«

«Er hat genug Leute drüben.«

«Ich habe Jason Borowski«, sagte David Webb.

«Ich bin mißtrauisch.«

«Ich auch, aber ich glaube, es funktioniert… Ich fordere jetzt deine Schulden ein, Johnny. Du mußt mich decken. Sage Marie, daß es mir gutgeht, daß ich nicht verwundet bin und daß ich eine Spur zum Schakal habe, die der alte Fontaine mir gegeben hat — was tatsächlich stimmt. Ein Cafe in Argenteuil, das Le Coeur du Soldat heißt. Sage ihr, daß ich Alex Conklin mobilisiere und alle Hilfe, die Washington mir geben kann.«

«Das machst du aber nicht, oder?«

«Nein. Der Schakal würde es erfahren. Er hat Ohren an allen Ecken des Quai d'Orsay. Die einzige Möglichkeit ist eine Solonummer.«

«Glaubst du nicht, daß sie das weiß?«

«Sie wird es vermuten, aber sicher kann sie nicht sein. Alex wird sie anrufen und ihr sagen, daß er die gesamte getarnte Kampftruppe in Paris mobilisiert hat. Aber zuerst mußt du es ihr sagen.«

«Warum die Lügen?«

«Sie hat wegen mir schon mehr als genug ausgestanden!«

«Gut, ich sage es ihr, aber sie wird es mir nicht glauben. Sie hat mich immer durchschaut. Seit ich klein war. Ihre großen, braunen Augen blicken mich an, meistens zornig, aber nicht wie die meiner Brüder, nein. Ich weiß nicht sie hatte nie diese Verachtung im Ausdruck, weil das Kind ein Taugenichts war. Kannst du das verstehen?«

«Zuneigung. Sie hat dich immer gemocht — selbst wenn du ein Taugenichts warst.«

«Ja, Marie ist okay.«

«Und ein bißchen mehr noch, denke ich. Ruf sie in ein paar Stunden an und hole sie hierher zurück. Es ist für sie der sicherste Ort.«

«Was ist mir dir? Wie wirst du nach Paris kommen? Die Verbindungen von Antigua und Martinique sind mehr als mies, meist schon Tage im voraus ausgebucht.«

«Ich kann diese Fluglinien sowieso nicht benutzen. Ich muß irgendwie anders hinkommen. Getarnt. Ein Mann in Washington soll sich was ausdenken. Irgend etwas!«

Alexander Conklin hinkte mit klitschnassem Gesicht und tropfenden Haaren aus der kleinen Küche des CIA-Appartements in Vienna. In früheren Zeiten, noch bevor die früheren Zeiten in ein Schnapsfaß gefallen waren, hatte er — wenn die Dinge zu schwierig und zu hektisch wurden in aller Ruhe sein Büro verlassen, wo immer es war, und hatte sich einem festen Ritual hingegeben. Er suchte sich das beste Steakhouse der Umgebung, bestellte zwei trockene Martinis und ein dickes, halbrohes Stück Fleisch mit Kartoffeln. Das Alleinsein, der mäßige Alkoholgenuß, das halbrohe Rindfleisch, die im Fett schwimmenden Bratkartoffeln, all das übte einen derart beruhigenden Einfluß auf ihn aus, daß alle sich überstürzenden, widersprüchlichen und komplexen Ereignisse eines hektischen Tages von ihm abfielen und das klare Denken wieder in ihn zurückkehrte. Wieder in seinem Büro — ob in dem hübschen Appartement am Belgravia Square in London oder im Hinterzimmer des Bordells in Katmandu —, hatte er dann immer eine ganze Palette von Lösungen für alle Probleme parat. Das hatte ihm den Spitznamen» heiliger Alex «eingetragen. Einmal hatte er Mo Panov von diesem» gastronomischen «Phänomen erzählt. Aber der hatte nur lakonisch erwidert:»Wenn dich dein verrückter Kopf nicht umbringt, dann wird es der Magen sein.«

Seit längerer Zeit jedoch, seit das postalkoholische Vakuum angebrochen war, seit verschiedene, mehr oder weniger harmlose Beschwerden ihn plagten, wie ein zu hoher Cholesterinspiegel und dumme kleine Triglyceriden, was immer das war, mußte er auf eine andere Lösung ausweichen. Er fand sie ganz zufällig. Eines Morgens, während der Anhörungen zur

Iran-Contra-Affäre, die er genüßlich wie ein Lustspiel im Fernsehen verfolgte, setzte sein Fernseher aus. Er war wütend und drehte sein tragbares Radio an, ein Instrument, das er seit Monaten oder Jahren nicht mehr benutzt hatte. Doch die Batterien seines Koffergerätes lagen in ihrer eigenen Soße. Sein künstlicher Fuß schmerzte, als er zum Telefon in der Küche ging. Glücklicherweise würde ein Anruf genügen, um seinen Fernsehhändler, dem er schon mehrmals gute Dienste geleistet hatte, sofort auf Trab zu bringen. Leider provozierte der Anruf nur eine Schimpfkanonade der Händlersgattin, die schrie, daß ihr Mann, der» Kundenficker«, mit einer» geilen, reichen, schwarzen Nutte aus der Embassy Row «abgehauen sei… (Aus Zaire, wie später in der Puerta-Vallarta-Zeitung stand.) Conklin, einem Schlaganfall nahe, rannte zum Waschbecken in der Küche, wo die Pillen gegen Streß und zu hohen Blutdruck auf dem Fenstersims standen, und drehte den Kaltwasserhahn auf. Der Hahn explodierte, knallte an die Decke, und ein kräftiger Wasserstrahl ergoß sich über Conklin vom Scheitel bis zur Sohle. Caramba! Der Schock beruhigte ihn, und dann erinnerte er sich, daß die Kabelprogramme die» Hearings «in voller Länge am Abend übertragen würden. Glücklich rief er den Klempner an, ging in die Stadt und kaufte einen neuen Fernseher. Seit jenem Morgen, wann immer ihn die Wut packte oder die Ereignisse der Welt — zumindest der Welt, die er kannte ihn verwirrten, hielt er den Kopf unter den Wasserhahn in der Küche. So auch heute. An diesem verdammten, beschissenen Morgen!

DeSole! Um 4.30 Uhr heute früh getötet, durch einen Unfall auf einer einsamen Landstraße in Maryland. Was hatte Steven DeSole, ein Mann, dessen Führerschein eindeutig vermerkte, daß er unter Nachtblindheit litt, um 4.30 Uhr früh auf einer abgelegenen Straße außerhalb von Annapolis zu suchen?

Und dann Charlie Casset, ein verdammt verärgerter Casset, der ihn um 6.00 Uhr anrief, ihn anbellte — er, Casset, der sonst so kühle Kopf! — , der ihm also sagte, daß er den NATO-Oberbefehlshaber auf einen verdammten Spieß stecken und eine Erklärung verlangen würde für die geheime Fax-Verbindung zwischen dem General in Brüssel und dem toten CIA-Mann, dem Chef für geheime Reports, der nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Mordes sei! Außerdem solle ein gewisser CIA-Agent a. D. mit Namen Conklin am besten auspacken und alles erzählen, was er über DeSole und Brüssel und ähnliches wisse, ansonsten wären alle Vereinbarungen, die besagten CIA-Agenten a. D. und seinen undefinierbaren Freund Jason Borowski beträfen, null und nichtig. Bis spätestens zwölf Uhr!

Und dann Ivan Jax. Der brillante schwarze Arzt aus Jamaika rief an und sagte ihm, daß er Norman Swaynes Leiche dorthin zurückbringen wolle, wo sie herkomme, weil er nicht in ein weiteres Fiasko der CIA mit hineingezogen werden wolle. Aber es war doch nicht die CIA! schrie Conklin still in sich hinein und konnte Ivan Jax nicht den wahren Grund sagen, warum er um seine Hilfe gebeten hatte. Medusa. Und Jax konnte nicht einfach die Leiche zurück nach Manassas fahren, weil die Polizei auf Bundesbeschluß — das war in diesem Fall der Beschluß eines CIA-Agenten a. D., der unerlaubt die entsprechenden Kodes verwandt hatte — und ohne Erklärung das Landgut von General Norman Swayne versiegelt hatte.

«Was soll ich mit der Leiche tun?«bellte Jax.

«Halten Sie sie eine Weile frisch, Kaktus will es so.«

«Kaktus? Ich war die ganze Nacht bei ihm im Krankenhaus. Er wird bald wieder okay sein, aber er weiß genausowenig wie ich, was, zum Teufel, eigentlich vorgeht.«

«Ich kann auch nicht immer alles erklären! Sonst wäre ich nicht beim Geheimdienst«, sagte Alex.»Ich rufe zurück.«

Danach war er in die Küche gegangen und hatte den Kopf unter den Wasserhahn gehalten. Was konnte sonst noch schiefgehen? Und natürlich klingelte das Telefon.

«Himmel, Arsch«, sagte Conklin und nahm den Hörer ab.

«Hol mich hier raus«, sagte Jason Borowski ohne eine Spur von David Webb in der Stimme.»Ich muß nach Paris!«

«Was ist passiert?«

«Er ist entkommen, das ist passiert, und ich muß getarnt nach Paris, ohne Paß und Zoll. Er hat sie alle in der Tasche, und ich darf ihm keine Chance geben, mich aufzuspüren… Alex, hörst du mir zu?«

«DeSole wurde heute nacht gekillt, bei einem Unfall, der kein Unfall war, um vier Uhr früh. Medusa ist im Anmarsch.«

«Ich scheiße auf Medusa! Das ist Geschichte für mich. Wir haben es falsch angepackt. Ich will den Schakal, und ich habe einen Anhaltspunkt. Ich kann ihn finden — und schnappen!«

«Und du läßt mich mit Medusa allein…«

«Du hast gesagt, du willst hoch in die Chefetage gehen — du hast gesagt, daß du mir nur achtundvierzig Stunden bis dahin gibst. Du kannst die Uhr vorstellen und hochgehen, bring mich nur hier raus und nach Paris.«

«Sie wollen mit dir reden.«

«Wer?«

«Peter Holland, Casset und wen sie sonst noch anschleppen… den Generalstaatsanwalt, ja, und den Präsidenten.«

«Worüber?«

«Du warst es doch, der sich mit Armbruster, mit Swaynes Frau und Sergeant Flannagan unterhalten hat. Nicht ich. Ich habe nur ein paar Stichworte hingeworfen, die bei Armbruster und bei Atkinson, dem Botschafter in London, Antworten ausgelöst haben. Ich weiß nichts Wesentliches. Du hast den Überblick. Ich kann zu leicht widerlegt werden. Sie müssen mit dir sprechen.«

«Und den Schakal soll ich mir solange warmhalten?«

«Nur für einen Tag, höchstens zwei.«

«Verdammt, nein! Weil es so nicht funktioniert, und das weißt du! Wenn ich erst einmal dort bin, dann bin ich ihr einziger wichtiger Zeuge und werde von einem geschlossenen Verhör zum anderen geschleppt. Und wenn ich mich weigere, mit ihnen zusammenzuarbeiten, dann werde ich verhaftet. Nichts da, Alex. Ich habe nur eine Priorität: Paris!«

«Hör mal«, sagte Conklin.»Es gibt ein paar Sachen, die kann ich kontrollieren, andere nicht. Wir haben Charlie Casset gebraucht, und er hat uns geholfen. Aber er ist nicht jemand, den man betrügen kann, und das will ich auch nicht. Er weiß, daß DeSoles Tod kein Unfall war, und er weiß auch, daß wir eine Menge mehr über DeSole und Brüssel wissen, als wir ihm erzählen. Wenn wir alle Hilfe der CIA wollen, und wir brauchen sie, zum Beispiel, um dich auf einem Militär- oder Diplomatenflug nach Frankreich zu bringen, dann können wir Casset nicht ignorieren. Dann würde er uns einen Tritt in den Arsch geben und, aus seiner Sicht, mit Recht.«

Borowski schwieg. Nur sein Atem war zu hören.»In Ordnung«, sagte er dann.»Wie geht's weiter? Du sagst Casset, wenn er uns jetzt alles gibt, was wir wollen, dann geben wir ihm, nein, dann gebe ich ihm alles, was er will. Du mußt dich da möglichst raushalten. Ich liefere dem Justizminister genug Informationen, um die dicksten Fische in der Regierung anzuklagen. Allerdings unter der Voraussetzung, daß das Justizministerium nicht bereits Teil der Schlangenlady ist… Du kannst noch sagen, daß ich ihnen einen Friedhof verraten werde, der sehr aufschlußreich sein dürfte.«

Nun war Conklin an der Reihe, einen Moment zu schweigen.»Er wird mehr als das wollen, er wird wissen wollen, was mit dir und dem Schakal ist.«

«Ich verstehe. Für den Fall, daß ich verliere. Okay, dann sag ihm noch, daß ich, sobald ich in Paris bin, alles, was ich weiß, diktiere und abschreiben lasse und daß ich es an dich schicke. Vielleicht jeweils ein oder zwei Seiten, damit sie kooperativ bleiben.«

«In Ordnung… Jetzt zu Paris. Wenn ich mich recht erinnere, liegt Montserrat in der Nähe von Dominica und Martinique, oder?«

«Jeweils weniger als eine Stunde entfernt, und Johnny kennt jeden Piloten auf den großen Inseln.«

«Martinique ist französisch, nehmen wir die. Ich kenne Leute im Deuxieme Bureau. Fliege also nach Martinique und ruf mich vom Flughafen aus an. Bis dahin habe ich alles fertig.«

«Wird gemacht… Da ist noch eine letzte Sache, Alex: Marie. Sie und die Kinder werden heute nachmittag wieder hiersein. Rufe sie an, bitte, und sage ihr, daß ich in Paris alle CIA-Unterstützung habe.«

«Du verdammter, verlogener Hurensohn…«

«Bitte!«

«Also gut, ist gemacht. Apropos lügen — wenn ich den Tag überlebe, bin ich heute abend bei Mo Panov zum Essen eingeladen. Er ist allerdings ein schrecklicher Koch, auch wenn er glaubt, er sei der größte. Und ich würde ihm gern von den jüngsten Ereignissen berichten. Er flippt aus, wenn ich mich weigere!«

«Dann tu's. Ohne ihn würden wir schließlich beide in einer Gummizelle sitzen und auf rohem Leder kauen.«

«Bis später. Viel Glück.«

Am nächsten Tag um 10.25 Uhr morgens, Ortszeit Washington, kam Dr. Morris Panov in Begleitung eines Wächters aus dem Walter-Reed-Hospital. Er hatte eine therapeutische Sitzung mit einem ausgeschiedenen Armeeoffizier hinter sich, der unter einem traumatischen Erlebnis litt. Bei einer Übung, acht Wochen zuvor, waren mehr als zwanzig Rekruten, die unter seinem Kommando standen, ums Leben gekommen. Der Mann hatte sich schuldig gemacht, weil er seine Leute eindeutig überfordert hatte, nur um sie zu drillen. Nun mußte er lernen, mit seiner Schuld fertig zu werden. Panov murmelte versunken ein paar Gedanken vor sich hin, als er plötzlich erschrocken den Wächter ansah.»Sie sind neu, nicht wahr? Ich dachte, ich kenne euch alle.«

«Ja, Sir. Wir werden oft kurzfristig versetzt, das hält alle auf Zack.«

«Richtig, Gewohnheit lullt ein. «Der Psychiater ging weiter bis zu dem Platz, wo normalerweise sein gepanzerter Wagen auf ihn wartete. Heute stand dort ein anderes Fahrzeug.»Das ist nicht mein Wagen«, sagte er verwirrt.

«Steigen Sie ein«, befahl der Wächter und öffnete den Wagenschlag.»Was?«Ein paar Hände griffen nach ihm, ein uniformierter Mann zog ihn auf den Rücksitz. Der Wächter stieg ebenfalls ein. Sie hielten den Psychiater fest; der eine, der im Wagen gesessen hatte, riß Mos Leinenjackett herunter, schob den kurzen Ärmel seines Hemdes zurück und jagte ihm eine Spritze in den Oberarm.

«Gute Nacht, Doktor«, flötete der Soldat mit den Abzeichen des Medizinerkorps auf seinen Epauletten.»Ruf New York an«, war das letzte, was Mo Panov hörte.

Загрузка...