Die Kerzen flackerten im nächtlichen Nieselregen, als die Trauergäste in zwei Reihen feierlich hinter dem weißen Sarg hergingen, der auf den Schultern von sechs Männern lag. Die Prozession wurde flankiert von vier Trommlern, zwei auf jeder Seite, deren kleine Trommeln den langsamen Rhythmus des Totenmarsches ertönen ließen, ungleichmäßig im Zusammenspiel wegen der unerwarteten Steine, die im Weg lagen, und eines immer glitschiger werdenden Untergrunds. Langsam und verwirrt schüttelte Morris Panov seinen Kopf und betrachtete den seltsamen nächtlichen Trauerzug, erleichtert, Alex Conklin auf sich zuhinken zu sehen.
«Irgendein Zeichen von ihnen?«fragte Alex.
«Keins«, erwiderte Panov.»Ich nehme an, bei dir auch nicht.«
«Schlimmer. Ich bin an einen völlig Irren geraten.«
«Wie das?«
«Im Pförtnerhaus war Licht, also bin ich rübergegangen, weil ich dachte, David oder Marie hätte uns vielleicht eine Nachricht hinterlassen. Draußen stand ein Clown, der unablässig in ein Fenster starrte und sagte, er sei der Nachtwächter und ob ich sein Telefon mieten wolle.«
«Sein Telefon?«
«Er sagte, nachts gibt es spezielle Gebühren, weil es bis zur nächsten Telefonzelle zehn Kilometer sind.«
«Ein Verrückter«, stimmte Panov zu.
«Ich hab ihm erklärt, daß ich einen Mann und eine Frau suche, die ich hier treffen wolle, und ob jemand vielleicht eine Nachricht hinterlassen hätte. Da war keine Nachricht, aber da war ein Telefon. Zweihundert Francs — verrückt.«
«Hat er zufällig ein Pärchen hier rumlaufen sehen?«
«Ich hab ihn gefragt, und er hat zustimmend genickt und gesagt, da sind Dutzende. Dann hat er auf die Kerzenparade da drüben gedeutet, bevor er wieder zu seinem gottverfluchten Fenster gegangen ist.«
«Was für eine Art Prozession ist das überhaupt?«
«Das hab ich ihn auch gefragt. Es ist ein religiöser Kult. Sie begraben ihre Toten nur bei Nacht. Er meint, es könnten Zigeuner sein. Er hat sich bekreuzigt, als er das sagte.«
«Nasse Zigeuner«, bemerkte Panov und schlug seinen Kragen hoch. Das Nieseln wurde langsam zu richtiggehendem Regen.»Himmel, warum hab ich nicht daran gedacht?«rief Conklin und blickte über seine Schulter.»Der Regen?«fragte der verwunderte Psychiater.»Nein, das große Grabmal auf halbem Weg den Hügel hinter dem Pförtnerhaus rauf. Da ist es passiert!«
«Wo du versucht hast…?«Mo beendete die Frage nicht. Das mußte er nicht.
«Wo er mich hätte umbringen können, es aber nicht getan hat«, ergänzte Alex.»Komm mit!«
Die beiden Amerikaner gingen über den Kiesweg zurück, vorbei am Pförtnerhaus und in die Dunkelheit des ansteigenden Grashügels, der von weißen Grabsteinen übersät war, die im Regen glitzerten.»Langsam«, rief Panov außer Atem.»Du hast dich an deinen nichtvorhandenen Fuß gewöhnt, aber ich hab meinen von Chemikalien vergewaltigten Körper noch nicht im Griff.«»Tut mir leid.«
«Mo!«rief die Stimme einer Frau von einem marmornen Säulengang über ihnen. Die Gestalt stand mit wedelnden Armen unter dem überhängenden Dach eines Grabes, das so groß war, daß es fast wie ein kleines Mausoleum wirkte.
«Marie?«rief Panov und lief voraus.
«Das ist ja nett!«rief Alex und hinkte mit einigen Schwierigkeiten das nasse, rutschige Gras hinauf.»Du hörst den Ruf eines Weibchens, und plötzlich bist du wieder völlig okay. Du brauchst einen Psychiater, du Heuchler!«
Die Umarmungen waren ehrlich gemeint. Eine Familie war vereint. Während Panov und Marie leise miteinander sprachen, nahm Jason Borowski Conklin beiseite und führte ihn an den Rand des kurzen Marmordaches. Der Regen war scharf geworden. Die ehemalige Kerzenprozession hatte sich zerstreut, nur einige wenige hielten noch aus.
«Bei der Menschenmenge da unten fiel mir keine andere Stelle als diese ein«, sagte Jason.»Erinnerst du dich an das Pförtnerhaus und den breiten Weg zum Parkplatz?… Du hattest gewonnen. Ich hatte keine Munition mehr, und du hättest mir den Kopf wegpusten können.«
«Das stimmt nicht, wie oft hab ich dir das schon gesagt? Ich hätte dich nicht töten können. Es lag an deinen Augen, auch wenn ich sie nicht richtig sehen konnte, wußte ich, was da war. Wut und Verwirrung, aber vor allem Verwirrung.«
«Das war noch nie ein Grund, einen Mann, der dich aus dem Weg schaffen will, nicht auszuschalten.«
«Als ob du dich nicht erinnern könntest… Für mich sind es immer noch… pulsierende Bilder. Rein und raus, rein und raus, aber da. «Conklin sah zu Borowski auf, ein trauriges Lächeln auf seinem Gesicht.»Das mit dem Pulsieren«, sagte er.»Das war Mos Ausdruck. Den hast du geklaut.«
«Wahrscheinlich«, sagte Jason, als sich beide Männer gemeinsam zu Marie und Panov um drehten.»Sie reden über mich.«
«Warum auch nicht? Sie macht sich Sorgen, und er macht sich Sorgen.«
«Ich hasse den Gedanken daran, wieviel mehr Sorgen ich ihnen machen werde. Dir auch, nehme ich an.«
«Was versuchst du mir zu sagen, David?«
«Nur das: Vergiß David. David Webb existiert nicht, nicht hier, nicht jetzt. Er ist ein Schauspiel, das ich für seine Frau aufführe, und ich spiele es schlecht. Ich möchte, daß sie in die Staaten zurückfliegt, zu ihren Kindern.«
«Ihren Kindern? Das wird sie niemals tun. Sie ist rübergekommen, um dich zu finden, und sie hat dich gefunden. Sie wird dich hier nicht allein lassen. Ohne sie wärst du gar nicht mehr am Leben.«
«Sie behindert mich. Sie muß weg. Ich werde eine Möglichkeit finden.«
Alex sah in die kalten Augen jener Kreatur, die früher einmal als das Chamäleon bekannt gewesen war, und sagte mit so leiser wie eindringlicher Stimme:»Du bist ein fünfzig Jahre alter Mann, Jason. Das hier ist nicht das Paris von vor dreizehn Jahren oder das Saigon aus der Zeit davor. Das hier ist jetzt, und du brauchst alle Hilfe, die du kriegen kannst. Wenn sie glaubt, sie kann ihren Teil dazu beitragen, dann bin ich bereit, es ihr zu glauben.«
Borowski sah Conklin mit kaltem Blick an.»Ich bestimme, wer was glaubt.«
«Das geht ein bißchen zu weit, mein Lieber.«
«Du weißt, was ich meine«, sagte Jason und mäßigte seinen Ton.»Ich möchte nicht, daß hier passiert, was in Hongkong passiert ist. Das geht dir doch sicher genauso.«
«Vielleicht… Paß auf, laß uns hier verschwinden. Unser Fahrer kennt ein kleines Landgasthaus in Epernon, ungefähr sechs Meilen von hier, wo wir reden können. Es gibt so einige Sachen, die wir durchgehen müssen.«
«Sag mal«, sagte Borowski.»Warum Panov? Warum hast du Mo mitgebracht?«
«Weil Strychnin in meiner nächsten Grippeimpfung gewesen wäre, wenn ich es nicht getan hätte.«
«Was heißt das?«
«Genau das, was es sagt. Er gehört dazu, und das weißt du besser als Marie und ich.«
«Irgendwas ist mit ihm passiert, oder? Irgendwas ist meinetwegen mit ihm passiert.«
«Es ist vorbei, und er ist wieder da, das ist alles, was du wissen mußt.«
«Es war Medusa, oder?«
«Ja, aber ich wiederhole, er ist zurück, und abgesehen davon, daß er sich kleines bißchen müde fühlt, ist er okay.«
«Ein kleines bißchen…? Ein kleines Landgasthaus sechs Meilen von hier, hat das euer Fahrer gesagt?«
«Ja, er kennt Paris und alles drumherum sehr gut.«
«Wer ist er?«
«Ein französischer Algerier, der schon seit Jahren für die Agentur arbeitet. Charlie Casset hat ihn für uns rekrutiert. Er ist hart und gut unterrichtet und wird für beides ausgezeichnet bezahlt. Vor allem kann man ihm vertrauen.«
«Ich schätze, das reicht.«
«Schätze nicht, akzeptiere es.«
Sie saßen in einer abgeteilten Sitzecke im hinteren Teil des kleinen Ländgasthofs, komplett mit abgenutztem Vordach, gepolsterten Kiefernholzbänken und absolut akzeptablem Wein. Der Besitzer, ein mitteilsamer, ausufernd fetter Mann, verkündete, die Küche sei außerordentlich, da aber niemand Hunger hatte, zahlte Borowski vier Hauptgerichte, nur um ihn glücklich zu machen. Das tat es. Der Mann schickte zwei große Karaffen guten Landwein mit einer Flasche Mineralwasser herüber und hielt sich vom Tisch fern.
«Also gut, Mo«, sagte Jason.»Du willst mir nicht erzählen, was passiert ist oder wer dafür verantwortlich war, aber du bist immer noch der gleiche, gutfunktionierende, anmaßende, wortreiche Medizinmann, den wir vor dreizehn Jahren gekannt haben, korrekt?«
«Korrekt, du schizophrener Ausbrecher. Und für den Fall, daß du glaubst, ich wollte mich irgendwie heldenhaft benehmen, laß mich absolut klarstellen, daß ich nur hier bin, um meine nichtmedizinischen Zivilrechte wahrzunehmen. Mein vordringliches Interesse gilt unserer anbetungswürdigen Marie, von der du ja sicher bemerkt hast, daß sie neben mir sitzt und nicht neben dir. Beim Gedanken an ihren Hackbraten läuft mir das Wasser im Mund zusammen.«
«Oh, wie sehr ich dich liebe, Mo«, sagte David Webbs Frau und drückte Panovs Arm.
«Laß mich sehen, wie sehr«, erwiderte der Doktor und küßte sie auf die Wange.
«Ich bin hier«, sagte Conklin.»Mein Name ist Alex, und ich habe ein paar Dinge, über die ich reden möchte, und der Hackbraten gehört nun mal leider nicht dazu…«
«Was habt ihr nur mit meinem verdammten Hackbraten?«
«Es ist die rote Sauce«, schob Panov dazwischen.»Könnten wir zu dem kommen, weswegen wir hier sind?«sagte Jason Borowski mit monotoner Stimme.
«Tut mir leid, Liebling.«
«Wir werden mit den Sowjets zusammenarbeiten. «Conklin sprach schnell, sein Sturm von Worten arbeitete der unmittelbaren Reaktion von Borowski und Marie entgegen.»Schon gut, ich kenne den Kontakt. Ich kenne ihn schon seit Jahren, aber Washington weiß nicht, daß ich ihn kenne. Sein Name ist Krupkin, Dimitrij Krupkin, und wie ich dir schon gesagt habe, Mo: Der Mann ist für fünf Silberlinge zu haben.«»Gib ihm einunddreißig«, unterbrach Borowski.»Um sicherzugehen, daß er auf unserer Seite ist.«
«Ich habe mir schon gedacht, daß du das sagen würdest. Hast du ein Limit?«
«Keins.«
«Nicht so schnell«, sagte Marie.»Was ist ein vernünftiger Ausgangspunkt für den Handel?«
«Unsere Volkswirtschaftlerin spricht«, verkündete Panov und nahm einen Schluck Wein.
«Wenn man seine Stellung beim Pariser KGB bedenkt, würde ich sagen, etwa fünfzigtausend amerikanische Dollar.«
«Biete ihm fünfunddreißig und geh unter Druck bis auf fünfundsiebzig. Wenn nötig, bis auf hundert.«
«Um Gottes willen«, rief Jason und hielt seine Stimme unter Kontrolle.»Wir sprechen über uns, über den Schakal. Gib ihm alles, was er will!«
«Zu leicht käuflich, zu leicht umgedreht. Bei einem Gegenangebot.«
«Hat sie recht?«fragte Borowski und starrte Conklin an.
«Normalerweise natürlich schon, aber in diesem Falle müßte es der Gegenwert einer abbaufähigen Diamantenmine sein. Niemand will Carlos lieber in den Totenakten sehen als die Sowjets, und der Mann, der seine Leiche bringt, wird der Held im Kreml sein. Denk dran, er wurde in Nowgorod ausgebildet. Das vergißt Moskau nie.«
«Dann tu, was sie gesagt hat, kaufe ihn«, sagte Jason.
«Ich verstehe. «Conklin beugte sich vor, drehte sein Glas Wasser.»Ich werde ihn heute abend noch anrufen, von Telefonzelle zu Telefonzelle, und die Sache perfekt machen. Dann arrangiere ich für morgen ein Treffen, vielleicht gegen Mittag irgendwo draußen vor Paris, in einem abgelegenen Lokal.«»Warum nicht hier?«fragte Borowski.»Kann kaum abgelegener sein, und wir kennen den Weg.«
«Warum nicht?«stimmte Alex zu.»Ich spreche mit dem Besitzer. Aber nicht alle vier, nur… Jason und ich.«
«Davon bin ich ausgegangen«, sagte Borowski kalt.»Marie darf da nicht reingezogen werden. Man darf von ihr nichts sehen und nichts hören, ist das klar?«
«David, wirklich…«
«Ja, wirklich.«
«Ich fahre rüber und bleibe bei ihr«, unterbrach Panov eilig.»Es gibt da ein nettes Restaurant mit einer hervorragenden Forelle.«
«Man muß Opfer bringen«, seufzte der Psychiater.
«Ich glaube, ihr solltet auf dem Zimmer essen. «Borowskis Stimme war unnachgiebig.
«Ich lasse keine Gefangene aus mir machen«, sagte Marie leise, den Blick auf ihren Mann geheftet.»Niemand weiß, wer wir sind oder wo wir sind, und ich gebe zu bedenken, daß eine Frau, die sich einschließt und nie zu sehen ist, weit mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als eine völlig normale Französin, die ihren üblichen Geschäften nachgeht.«
«Da hat sie recht«, bemerkte Alex.»Falls Carlos sein Netzwerk arbeiten läßt, könnte jemand, der sich unnatürlich verhält, auffallen. Abgesehen davon, rechnet keiner mit Panov — tu so, als wärst du ein Doktor oder irgend so was, Mo. Niemand wird es glauben, aber es wird dir etwas Klasse geben. Aus Gründen, die mir unverständlich sind, sind Arzte gewöhnlich über jeden Verdacht erhaben.«
«Undankbarer Psychopath«, murmelte Panov.
«Können wir zum Geschäft zurückkommen?«sagte Borowski schroff.»Du bist sehr grob, David.«
«Ich bin sehr ungeduldig, wenn es dir nichts ausmacht.«
«Okay, ganz ruhig«, sagte Conklin.»Wir sind alle gereizt, aber wir müssen ein paar Dinge klären. Sobald Krupkin an Bord ist, wird sein erster Job darin bestehen, die Nummer zurückzuverfolgen, die Gates in Boston an Prefontaine weitergegeben hat.«
«Wer hat was wem wo gegeben?«fragte der verstörte Psychiater.»Das hast du nicht mitbekommen, Mo. Prefontaine ist ein Richter, den sie seines Amtes enthoben haben und der über einen Kontakt zum Schakal gestolpert ist. Um es kurz zu machen: Der Kontakt hat unserem Richter eine Nummer hier in Paris gegeben, um dort den Schakal zu erreichen, aber sie stimmt nicht mit der Nummer überein, die Jason gekauft hat. Doch es gibt keinen Zweifel daran, daß der Kontakt, ein Anwalt namens Gates, Carlos über sie erreicht hat.«
«Randolph Gates? Bostons Geschenk an die…«
«Genau der.«
«Gütiger Gott — tut mir leid, ich sollte das nicht sagen. Ich bin kein gläubiger Christ. Zum Teufel, ich bin gar nichts, aber du mußt zugeben, daß es ein Schock ist.«
«Ein großer, und wir müssen wissen, wem diese Nummer hier in Paris gehört. Krupkin kann das für uns rausfinden.«
«Was ist Prefontaine denn für ein Name?«fragte Panov.»Hört sich an wie ein schlechter junger Wein.«
«Er ist ein alter, sehr guter Jahrgang«, schob Marie ein.»Du würdest ihn mögen, Doc. Du könntest Monate damit verbringen, ihn zu beobachten, denn er ist intelligenter als die meisten von uns, und dieser großartige Verstand ist trotz Alkohol, Korruption, Gefängnis und des Verlusts seiner Familie immer noch intakt. Er ist ein Original, Mo, und während der Großteil von Schurken seiner Güteklasse allen anderen, nur nicht sich selbst, die Verantwortung gibt, tut er es nicht. Er hat sich einen herrlich ironischen Sinn für Humor erhalten. Wenn die amerikanische Richterschaft nur ein bißchen Verstand hätte, müßte sie ihn wieder einsetzen… Im Prinzip hat er die Leute des Schakals in erster Linie verfolgt, weil sie mich und meine Kinder umbringen wollten. Falls er dabei in der zweiten Runde einen Dollar macht, verdient er jeden Penny, und ich werde dafür sorgen, daß er ihn bekommt.«
«Könnten wir zu dem zurückkommen, weswegen wir hier sind?«sagte das Chamäleon barsch.»Die Vergangenheit interessiert mich nicht, nur die Zukunft.«
«Du bist nicht nur grob, du bist auch entsetzlich undankbar.«
«So sei es. Wo waren wir?«
«Im Augenblick bei Prefontaine«, erwiderte Alex scharf und sah Borowski an.»Aber vielleicht ist er nicht so wichtig, weil er Boston nicht überleben wird… Ich ruf dich morgen im Gasthof von Barbizon an und mach eine Zeit zum Mittagessen ab. Hier draußen. Achte auf der Rückfahrt darauf, wie lange du brauchst, damit wir hier morgen nicht wie partnerlose Schneegänse rumhängen. Außerdem, wenn dieser fette Bursche mit seiner cuisine recht hat, wird Kruppie begeistert sein und jedem erzählen, er hätte es entdeckt.«
«Kruppie?«
«Ich habe dir gesagt, wir kennen uns seit Urzeiten.«
«Und bohr da bloß nicht weiter«, fügte Panov hinzu.»Du möchtest bestimmt nichts von Istanbul und Amsterdam wissen. Er und Alex sind aus einem Holz — zwei kleine Ganoven.«
«Darüber sehen wir hinweg«, sagte Marie.»Weiter, Alex, was ist mit morgen?«
«Mo und ich werden uns ein Taxi zu eurem Hotel nehmen, und dein Mann und ich werden hierher zurückfahren. Wir rufen euch dann später an.«
«Was ist mit eurem Fahrer, den euch Casset besorgt hat?«fragte das Chamäleon, die Augen kalt und fragend.
«Was soll mit ihm sein? Er bekommt für heute abend doppelt soviel, wie er mit seinem Taxi sonst in einem Monat einfahren könnte, und nachdem er uns am Hotel abgesetzt hat, wird er verschwinden. Wir werden ihn nicht wiedersehen.«
«Wird er irgend jemand anderen sehen?«
«Nicht, wenn er leben und Geld an seine Verwandten in Algerien schicken möchte. Ich habe es dir gesagt: Casset hat ihn entlastet. Er ist eisern.«
«Dann also morgen«, sagte Borowski grimmig und sah Marie und Morris Panov über den Tisch hinweg an.»Während wir nach Paris fahren, bleibt ihr draußen in Barbizon, und ihr werdet den Gasthof nicht verlassen. Habt ihr beiden das verstanden?«
«Weißt du, David«, antwortete Marie wutschnaubend und unbeugsam.»Ich will dir was sagen: Mo und Alex gehören genauso zur Familie wie die Kinder, also werde ich es in ihrer Gegenwart sagen. Wir alle, allesamt, lassen dir deinen Willen und verhätscheln dich wegen der schrecklichen Dinge, die du durchmachen mußtest. Aber du kannst und wirst uns nicht herumkommandieren, als wären wir in deiner erlauchten Gegenwart untergeordnete Geschöpfe. Verstehst du das?«
«Laut und deutlich, Lady. Dann solltest du vielleicht besser in die Staaten zurückfliegen, damit du dich nicht mit meiner erlauchten Gegenwart abfinden mußt. «Jason Borowski erhob sich vom Tisch, schob den Stuhl zurück.»Morgen wird ein anstrengender Tag sein, ich werde also etwas Schlaf brauchen. Davon habe ich in letzter Zeit nicht viel gehabt — und ein besserer Mensch als irgendeiner von uns hat mir mal gesagt, daß die Ruhe eine Waffe ist. Ich glaube daran… Ich werde zwei Minuten im Wagen warten, überleg es dir. Ich bin sicher, Alex kann dich aus Frankreich rausbringen.«
«Mistkerl«, flüsterte Marie.
«Geh zu ihm«, sagte Panov.»Du weißt, was sonst passiert.«
«Ich kann nicht damit umgehen, Mo!«
«Geh nicht damit um, sei einfach bei ihm. Wir sind das einzige Halteseil, das er hat. Du mußt nicht mal reden, sei einfach da. Bei ihm.«
«Er ist wieder der Killer geworden.«
«Er würde dir niemals etwas antun.«
«Natürlich nicht, das weiß ich.«
«Dann halte für ihn die Verbindung zu David Webb. Sie darf nicht völlig abreißen, Marie.«
«Oh, Gott, ich liebe ihn so!«rief die Frau, stand eilig auf und rannte hinter ihrem Mann her — der im Moment jemand anders war.»War das der richtige Rat, Mo?«fragte Conklin.
«Ich weiß nicht, Alex. Ich glaube einfach, er sollte mit seinen Albträumen nicht allein sein, niemand von uns sollte das. Das hat mit Psychiatrie nichts zu tun, das ist nichts als gesunder Menschenverstand.«
«Manchmal klingst du wie ein richtiger Arzt, weißt du das?«
Das algerische Viertel von Paris liegt zwischen dem zehnten und elften Arrondissement, kaum drei Blocks, in denen die niedrigen Gebäude pariserisch, die Klänge und Gerüche jedoch arabisch sind. Mit den Insignien der ehrwürdigen Kirche, die klein, aber goldverziert auf den Türen dargestellt waren, fuhr die lange, schwarze Limousine in diese ethnische Enklave. Sie hielt vor einem dreistöckigen Fachwerkhaus, ein alter Priester stieg aus dem Wagen und ging zur Tür. Er wählte einen Namen und drückte auf den zugehörigen Kopf, der eine Klingel im zweiten Stock in Gang setzte.
«Oui?« sagte eine metallische Stimme aus der primitiven Gegensprechanlage.
«Ich bin ein Bote von amerikanische Botschaft«, antwortete der Besucher im religiösen Gewand, sein Französisch teilweise grammatikalisch falsch, wie man es von Amerikanern nur allzu gewohnt ist.»Ich kann meinen Wagen nicht allein lassen, aber wir haben eine dringende Nachricht für Sie.«
«Ich bin gleich unten«, sagte der französisch-algerische Fahrer, den Charles Casset rekrutiert hatte. Drei Minuten später kam der Mann aus dem Gebäude und trat auf den kurzen, schmalen Bürgersteig hinaus.»Wozu haben Sie sich so verkleidet?«fragte er den Boten, der neben dem großen Wagen stand und die Insignien auf der Hintertür verdeckte.
«Ich bin der katholische Militärgeistliche, mein Sohn. Unser militärischer Diensthabender würde gern ein paar Worte mit Ihnen wechseln. «Er öffnete die Tür.
«Ich würde eine Menge für euch tun«, lachte der Fahrer, als er sich hinabbeugte, um in die Limousine zu sehen,»aber in eure Armee eingezogen zu werden, gehört nicht dazu… Ja, Sir, was kann ich für Sie tun?«
«Wohin haben Sie unsere Leute gebracht?«fragte die schattenhafte Gestalt auf dem Rücksitz, ihre Gesichtszüge im Dunkel.»Welche Leute?«sagte der Algerier mit plötzlicher Besorgnis in der Stimme.
«Die beiden, die Sie vor ein paar Stunden am Flughafen abgeholt haben. Den Krüppel und seinen Freund.«
«Wenn Sie von der Botschaft sind und die wollen, daß Sie es wissen, dann werden sie anrufen und es Ihnen sagen, oder?«
«Sie werden es mir sagen!«Ein dritter, kräftig gebauter Mann in einer Chauffeursuniform tauchte hinter dem Kofferraum des Wagens auf. Er hob seinen Arm, schmetterte einen häßlichen, schwarzen Totschläger auf den Schädel des Algeriers und schob sein Opfer ins Wageninnere. Der Geistliche kletterte hinter ihm her und zog die Tür zu, während der Chauffeur um die Haube herum zum Vordersitz lief. Die Limousine raste die Straße hinunter und verschwand.
Eine Stunde später wurde die geschundene und immer noch blutende Leiche des Algeriers auf der verlassenen Rue Houdon, einen Block weit von der Place Pigalle entfernt, aus dem großen Automobil gestoßen. Drinnen sprach eine Gestalt mit ihrem alten, persönlich geweihten Priester.
«Hol deinen Wagen und warte vor dem Hotel von diesem Krüppel. Bleib wach! Am Morgen wird man dich ablösen, und du kannst den ganzen Tag über ausruhen. Berichte mir jede Bewegung und gehe, wohin er geht. Enttäusche mich nicht.«
«Niemals, Monseigneur.«
Dimitrij Krupkin war weder ein großer Mann — auch wenn er größer wirkte, als er war —, noch war er besonders schwer, und dennoch schien er eine sehr viel fälligere Figur zu haben, als sein Äußeres vermittelte. Er hatte ein freundliches, wenn auch etwas fleischiges Gesicht und einen stolzen Kopf, den er aufrecht auf seinen Schultern hielt. Die vollen Augenbrauen und das sorgfältig gekämmte, graumelierte Haar, der Kinnbart, die wachen, blauen Augen und ein anscheinend beständiges Lächeln machten ihn zu einem attraktiven Mann, der sein Leben und seine Arbeit genoß. Im Augenblick saß er an einem Tisch mit Blick auf die hintere Wand des ansonsten leeren Landgasthauses in Epernon, und über den Tisch hinweg betrachtete er Alex Conklin, der neben dem noch unerkannten Borowski saß und gerade erklärt hatte, daß er keinen Alkohol mehr trinke.
«Die Welt ist ihrem Ende nah!«rief der Russe.»Siehst du, was mit einem guten Menschen im zügellosen Westen passiert? Schande über deine Eltern. Sie hätten bei uns bleiben sollen.«
«Ich glaube nicht, daß du die Alkoholismusrate in unseren beiden Ländern vergleichen möchtest.«
«Darauf würde ich kein Geld verwetten«, sagte Krupkin grinsend.»Da wir gerade von Geld sprechen, mein lieber, alter Feind, wie und wo soll ich gemäß unserer telefonischen Abmachung von gestern abend bezahlt werden?«
«Wie und wo möchten Sie bezahlt werden?«fragte Jason.
«Aha, Sie sind der Wohltäter, Sir?«
«Ich werde Sie bezahlen, ja.«
«Moment!«flüsterte Conklin, dessen Aufmerksamkeit auf den Eingang des Restaurant gerichtet war. Er lehnte sich zur offenen Seite der Sitzgruppe, eine Hand an der Stirn, dann zog er sich schnell zurück, als ein Pärchen an einen Tisch in der Ecke links neben der Tür geführt wurde.
«Was ist?«fragte Borowski.
«Ich weiß nicht… Ich bin nicht sicher.«
«Wer ist da reingekommen, Aleksej?«
«Das ist es gerade. Ich habe das Gefühl, ihn zu kennen, komme aber nicht drauf, woher.«
«Wo sitzt er?«
«An einem Tisch in der Ecke hinter der Bar. Er ist mit einer Frau da. «Krupkin rutschte an den Rand seines Sitzes, nahm seine Brieftasche heraus und holte einen kleinen Spiegel von der Größe und Dicke einer Kreditkarte hervor. Er legte beide Hände darum und suchte vorsichtig den richtigen Winkel.
«Du scheinst den Gesellschaftsseiten der Pariser Boulevardblätter verfallen zu sein«, sagte der Russe und lachte leise, als er den Spiegel zurücksteckte und die Brieftasche in seiner Jacke verschwinden ließ.»Er ist an der italienischen Botschaft, und das ist seine Frau. Paolo und Divina sonstwie, mit einem Hauch von Adel, glaube ich. Streng corpo diplomatico. Sie schmücken Parties ganz ungemein, und offenbar sind sie stinkreich.«
«Ich bewege mich nicht in solchen Kreisen, aber irgendwo habe ich ihn schon gesehen.«
«Natürlich hast du das. Er sieht aus wie jeder zweite italienische Leinwandstar mittleren Alters oder einer von diesen Weinbergbesitzern, die im Fernsehen die Vorzüge des Chianti Classico lobpreisen.«»Vielleicht hast du recht.«
«Hab ich. «Krupkin wandte sich wieder Borowski zu.»Ich werde Ihnen den Namen einer Bank samt Kontonummer in Genf aufschreiben. «Der Russe langte in seine Tasche, um einen Schreiber herauszuholen, während er vor sich nach einer Papierserviette griff. Plötzlich kam ein Mann, Anfang Dreißig und mit einem engen Anzug bekleidet, eilig an den Tisch gelaufen.»Was ist los, Sergej?«fragte Krupkin.»Nicht Sie, Sir«, erwiderte der sowjetische Berater.»Er«, fügte er hinzu und deutete mit einem Kopfnicken auf Borowski.
«Was ist los?«wiederholte Jason.»Jemand ist Ihnen gefolgt. Zuerst waren wir uns nicht sicher, denn es ist ein alter Mann, der Probleme mit der Blase hat. Zweimal schon hat er hastig den Wagen verlassen, um sich zu erleichtern, aber als er wieder saß, hat er das Autotelefon benutzt und durch die Windschutzscheibe geblinzelt, um den Namen des Restaurants zu lesen. Das war erst vor wenigen Minuten.«
«Woher wissen Sie, daß er mir gefolgt ist?«
«Weil er kurz nach Ihnen angekommen ist und wir eine halbe Stunde vorher hier waren, um die Gegend zu sichern.«
«Die Gegend zu sichern!«platzte Conklin heraus und sah Krupkin an.»Ich dachte, diese Besprechung sollte streng unter uns bleiben.«
«Lieber Aleksej, gütiger Aleksej, der mich vor mir selbst schützen würde. Glaubst du wirklich, ich würde mich mit dir treffen, ohne an meinen Schutz zu denken? Nicht du persönlich, alter Freund, aber deine Aggressoren in Washington. Kannst du es dir vorstellen? Ein stellvertretender Direktor der CIA verhandelt mit mir über einen Mann, von dem er zu glauben scheint, ich würde ihn nicht kennen. Der widerwärtige Trick eines Amateurs.«
«Verdammt noch mal, ich habe es ihm nicht gesagt!«
«Du meine Güte, dann liegt der Irrtum auf meiner Seite. Ich bitte um Entschuldigung, Aleksej.«
«Tun Sie es nicht«, unterbrach Jason entschlossen.»Dieser alte Mann kommt vom Schakal…«
«Carlos!«rief Krupkin mit gerötetem Gesicht, die wachen, blauen Augen leidenschaftlich, wütend.»Der Schakal ist hinter dir her, Aleksej?«
«Nein, hinter ihm«, antwortete Conklin.»Deinem Wohltäter.«
«Gütiger Gott! So fügt sich alles zusammen. Ich habe also die große Ehre, den berüchtigten Jason Borowski kennenzulernen. Welch ausgesprochenes Vergnügen, Sir! Wir haben dasselbe Ziel, was Carlos betrifft, nicht wahr?«
«Wenn Ihre Männer etwas wert sind, können wir dieses Ziel noch in der nächsten Stunde erreichen. Kommen Sie! Lassen Sie uns hier verschwinden und den Hinterausgang nehmen, durch die Küche, ein Fenster, irgendwas. Er hat mich gefunden, und Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, daß er herkommt, um mich zu holen. Aber er weiß nicht, daß wir es wissen. Also los!«
Als die drei Männer sich vom Tisch erhoben, gab Krupkin seinem Mitarbeiter ein paar Anweisungen:»Laß den Wagen zur Rückseite bringen, zum Lieferanteneingang, falls es einen gibt, aber mach es unauffällig, Sergej. Kein Grund zur Eile, verstehst du mich?«
«Wir können eine halbe Meile die Straße runterfahren und auf eine Weide abbiegen, die uns zur Rückseite des Gebäudes führt. Der alte Mann in seinem Wagen wird uns nicht sehen.«
«Sehr gut, Sergej. Und laß unsere Rückendeckung, wo sie ist, aber sie soll sich bereithalten.«
«Natürlich, Genosse.«
«Eine Rückendeckung?«explodierte Alex.»Ihr hattet eine Rückendeckung?«
«Bitte Aleksej, wozu die Wortklauberei? Schließlich ist es deine eigene Schuld. Selbst gestern abend am Telefon hast du mir nicht von deiner Verschwörung gegen deinen eigenen, stellvertretenden Direktor erzählt.«
«Um Gottes willen, das ist keine Verschwörung!«
«Aber auch nicht gerade ein besonders persönliches Verhältnis zwischen Zentrale und Außendienst, oder? Nein, Aleksej Nikolajewitsch Konsolikow, du dachtest, du könntest mich — sagen wir mal — benutzen, und du hast es versucht. Vergiß nie, mein guter, alter Gegenspieler, du bist ein Russe.«
«Würdet ihr zwei den Mund halten und hier verschwinden?«
Sie warteten in Krupkins gepanzertem Citroen am Rande eines überwucherten Feldes dreißig Meter hinter dem Wagen des alten Mannes, die Vorderseite des Restaurants gut im Blick. Zu Borowskis Arger schwelgten Conklin und der KGB-Offizier wie zwei alternde Profis darin, die Strategien vergangener Geheimdienstoperationen zu analysieren, indem sie die Schwächen des jeweils anderen hervorhoben. Die sowjetische Rückendeckung war eine unauffällige Limousine am anderen Straßenrand, schräg gegenüber vom Restaurant. Zwei bewaffnete Männer warteten darauf, herauszuspringen, die automatischen Waffen schußbereit.
Plötzlich hielt ein Renault-Kombi vor dem Gasthof. Drei Pärchen saßen darin, und bis auf den Fahrer stiegen alle aus, lachten und umarmten sich. Wie außer sich liefen sie auf den Eingang zu, während ihr Fahrer den Wagen auf dem kleinen Parkplatz abstellte.
«Haltet sie auf«, sagte Jason.»Sie könnten getötet werden.«
«Ja, das könnten sie, Mr. Borowski, aber wenn wir sie aufhalten, verlieren wir den Schakal.«
Jason starrte den Russen an, unfähig zu sprechen, Wut und Verwirrung trübten seine Gedanken. Dann war es zu spät für Worte. Ein dunkelbrauner Transporter kam die Straße heraufgeschossen, und Borowski fand seine Stimme wieder.
«Das ist der vom Boulevard Lefebvre, der entkommen ist!«
«Der von wo?«fragte Conklin.
«Vor einigen Tagen gab es Ärger am Lefebvre«, sagte Krupkin.»Ein Transporter wurde in die Luft gesprengt. Meinen Sie das?«
«Es war eine Falle… Ein Transporter, dann eine Limousine und ein Doppelgänger von Carlos — eine Falle. Er kam aus einer dunklen Seitenstraße gerast und versuchte, uns niederzuschießen.«
«Uns?«Alex beobachtete Jason. Er sah den unverhohlenen Zorn in den Augen des Chamäleons, den starren, zusammengepreßten Mund, das langsame Strecken und Spannen seiner kraftvollen Hände.
«Bernardine und mich«, flüsterte Borowski und ließ seine Stimme plötzlich lauter werden.»Ich will eine Waffe«, rief er.»Die Kanone in meiner Tasche ist keine gottverdammte Waffe!«
Der Fahrer war Krupkins kräftig gebauter, sowjetischer Mitarbeiter Sergej. Er langte über den Sitz hinweg und hob eine russische AK-47 an. Er hielt sie über seine Schulter, als Jason danach griff.
Eine dunkelbraune Limousine kam kreischend vor dem alten, ausgeblichenen Vordach zum Stehen, und wie eine ausgebildete Kommandoeinheit sprangen zwei Männer aus der Seitentür, die Gesichter unter Strumpfmasken verborgen, automatische Waffen in den Händen. Sie rannten zum Eingang, ließen ihre Körper zu beiden Seiten der Doppeltüren herumwirbeln. Ein dritter kam aus dem quadratischen Fahrzeug: ein fast kahler Mann in einer schwarzen Priesterrobe. Nach einer Geste mit seiner Waffe näherten sich die beiden Männer des Stoßtrupps den Türen, die Hände auf den dicken Messinggriffen. Der Fahrer des Transporters ließ seinen Motor aufheulen.»Los!«schrie Borowski.»Er ist es! Es ist Carlos!«
«Nein!«brüllte Krupkin.»Warten Sie. Es ist jetzt unser Hinterhalt, und er muß erst in die Falle gehen — hinein.«
«Um Gottes willen, da drinnen sind Menschen!«konterte Jason.»Alle Kriege fordern Opfer, Mr. Borowski, und falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Das hier ist ein Krieg. Ihrer und meiner. Ihrer ist übrigens weit persönlicher als meiner.«
Plötzlich hörte man den markerschütternden Racheschrei des Schakals, krachend schlugen die Doppeltüren auf, und die Terroristen stürmten ins Innere, die Waffen auf Dauerfeuer.
«Jetzt!«rief Sergej, den Motor gestartet, das Gaspedal auf dem Boden. Der Citroen kam schlingernd auf die Straße und raste auf den Transporter zu, aber innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wurde er aus der Bahn geworfen. Zu ihrer Rechten gab es eine gewaltige Explosion. Der alte Mann und der unauffällige, graue Wagen, in dem er saß, wurden in die Luft gesprengt und ließen den Citroen nach links in einen alten Lattenzaun schleudern, der den tiefer liegenden Parkplatz neben dem Gasthof begrenzte. Im gleichen Augenblick kam der dunkelbraune Transporter des Schakals ruckartig zum Stehen, und der Fahrer sprang heraus, um sich dahinter zu verstecken. Er hatte die sowjetische Rückendeckung gesehen. Als die beiden Russen zum Restaurant liefen, tötete der Fahrer des Schakals einen von ihnen mit einer Salve aus seiner Waffe. Der andere warf sich ins angrenzende, abfallende Gras und beobachtete hilflos, wie Carlos' Fahrer die Reifen und Scheiben des sowjetischen Wagens zerschoß.
«Raus hier!«schrie Sergej und zerrte Borowski von seinem Sitz in den Dreck neben dem Zaun, während sein erstaunter Vorgesetzter und Alex Conklin hinter ihm herauskrochen.
«Los!«rief Jason, packte die AK-47 und kam wieder auf die Beine.»Der Scheißkerl hat den Wagen über Funk in die Luft gesprengt.«
«Ich geh zuerst!«sagte der Russe.
«Warum?«
«Ehrlich gesagt, bin ich jünger…«
«Halt's Maul!«Borowski rannte voraus, lief im Zickzack, während er schoß, ließ sich zu Boden fallen, als Carlos' Fahrer das Feuer erwiderte. Der Mann des Schakals hob sich aus dem Gras, sicher, daß seine Salve getroffen hatte. Sein Kopf tauchte auf, und Jason drückte ab.
Als der zweite Mann der russischen Rückendeckung den Todesschrei hinter dem Transporter hörte, erhob er sich aus dem abfallenden Gras und näherte sich dem Eingang des Restaurants. Von drinnen hörte man unregelmäßige Schüsse, plötzlich Salven, begleitet von panischen Schreien, gefolgt von weiteren Salven. Innerhalb der Mauern des idyllischen Landgasthauses entspann sich ein Alptraum von Entsetzen und Blut. Borowski kam auf die Füße, Sergej neben sich. Im Laufen schlössen sie sich dem vorausgelaufenen Russen an. Auf Jasons Nicken hin zogen die Russen die Türen auf, und sie stürmten wie ein Mann hinein.
Die nächsten sechzig Sekunden waren so entsetzlich wie die schreiende Hölle, dargestellt von Munch. Ein Kellner und zwei der Männer, die unter den drei Pärchen gewesen waren, waren tot — der Kellner und einer der Männer lagen am Boden, die Schädel zerschmettert, was von ihren Gesichtern übrig war, schwamm im Blut. Der dritte Mann lag rückwärts über die gepolsterte Bank gebreitet, die Augen weit aufgerissen und glasig tot, seine Kleider vollkommen durchlöchert, Rinnsale von Blut liefen über den Stoff. Die Frauen standen unter schwerem Schock, stöhnten und schrien abwechselnd, während sie versuchten, über die Kiefernholzwände der Sitzgruppe zu kriechen. Der gutgekleidete Mann und seine Frau von der italienischen Botschaft waren nirgends zu sehen.
Sergej machte plötzlich einen Satz nach vorn, die Waffe auf Dauerfeuer. In einer der hinteren Ecken des Raumes hatte er eine Gestalt entdeckt, die Borowski nicht gesehen hatte. Der Killer mit der Strumpfmaske sprang aus dem Schatten hervor, seine Maschinenpistole schwang in Position, aber bevor er sich seinen Vorteil zunutze machen konnte, schoß der Russe ihn nieder… Ein Mensch taumelte hinter den kurzen Tresen, der als Bar diente. War es der Schakal? Jason drehte sich um die eigene Achse gegen die schräge Wand, hockte sich hin, seine Augen durchbohrten jeden Winkel in der Nähe der Weinregale. Er machte einen Satz zum Fuß der Bar, als der zweite Russe die Situation abschätzte und zu den hysterischen Frauen hinüberlief, herumfuhr und seine Waffe hin und her schwenkte, um sie zu schützen. Der strumpfgesichtige Kopf schoß hinter dem Tresen hervor, die Waffe schwankte über dem Holz. Borowski sprang auf die Füße, packte den heißen Lauf mit der linken Hand, seine Rechte hatte die AK-47 im Griff. Er feuerte aus kürzester Entfernung in das hinter der Seide verzerrte Gesicht des Terroristen. Es war nicht Carlos. Wo war der Schakal?
«Da drinnen!«rief Sergej, als hätte er Jasons wütende Frage gehört.
«Wo?«
«Die Türen!«
Es war die Küche des Landgasthofes. Die beiden Männer näherten sich den Schwingtüren. Wieder nickte Borowski, das Signal hineinzustürmen, aber bevor sie sich noch bewegen konnten, wurden beide von einer Explosion aus dem Inneren zurückgeworfen. Eine Granate war gezündet worden, Bruchstücke von Metall und Glas hatten sich in die Türen gebohrt. Rauch wogte auf, wehte in den Speisesaal hinaus. Der Geruch beißend, ekelhaft.
Stille.
Jason und Sergej näherten sich erneut dem Eingang zur Küche, und wieder wurden sie von einer zweiten, plötzlichen Explosion gebremst, der abgehacktes Gewehrfeuer folgte, dessen Kugeln die dünne, jalousienartige Verkleidung der Schwingtüren durchbohrten.
Stille.
Warten.
Stille.
Das war zuviel für das wütende, aufgebrachte Chamäleon. Er lud seine AK-47 durch, drückte den Wahlhebel und dann den Abzug für Dauerfeuer. Er ließ die Tür aufkrachen und warf sich auf den Boden.
Stille.
Die nächste Szene aus der nächsten Hölle. Ein Teil der Außenwand war weggesprengt worden, der fettleibige Besitzer und sein Koch, der immer noch seine Mütze trug, waren tot, die Leichen gegen die unteren Borde der Küche gedrückt, Blut strömte über das Holz und daran herunter.
Borowski erhob sich langsam, jeder Nerv in seinem Körper überreizt, der Rand der Hysterie nicht weit entfernt. Wie in Trance sah er sich im Rauch und in den Trümmern um, die Augen blieben schließlich an einem großen, unheilvollen Stück braunem Schlachterpapier hängen, das mit einem schweren Hackmesser an die Wand genagelt war, lasen die Worte, die mit einem schwarzen Schlachterbleistift darauf geschrieben standen:
«Die Tannenbäume werden brennen, und Kinder werden zu Fackeln werden. Schlaf gut, Jason Borowski. «Der Spiegel seines Lebens zersprang in tausend Stücke. Ihm blieb nichts, als zu schreien.