Kapitel 20

Wie betäubt starrte Marie auf den Fernseher; sie sah die von Miami per Satellit ausgestrahlten Nachrichten. Als die Kamera auf einen Gartentisch schwenkte, auf einen rot geschriebenen Namen, schrie sie auf.»Johnny!«schluchzte Marie.

St. Jacques kam hereingestürzt.»Mein Gott, was ist?«Mit tränenüberströmtem Gesicht zeigte Marie entsetzt auf den Fernseher. Ein Sprecher las mit typisch monotoner Nachrichtenstimme:»… Der international bekannte

Auftragsmörder Jason Borowski hat die Verantwortung für die Explosion übernommen, die das Leben von General James Teagarten und seiner Begleiter gefordert hat. Geheimdienst- und Polizeikreise in Washington und London sind offenbar

unterschiedlicher Ansicht, was die Person Borowskis betrifft. Quellen in Washington behaupten, daß der Mann in einer gemeinsamen britisch-amerikanischen Operation in Hongkong vor fünf Jahren gestellt und erschossen worden sei. Sprecher des britischen Außenministeriums und des britischen Geheimdienstes jedoch bestreiten jede Kenntnis von solch einer Operation. Aus dem Hauptquartier von Interpol in Paris war zu hören, daß das Interpol-Büro in Hongkong vom angeblichen Tod des Jason Borowski Kenntnis habe. Die vorhandenen Berichte und Fotos seien aber derart ungenau und

verschwommen, daß man nicht mit Sicherheit davon ausgehen könne, daß Borowski tatsächlich tot sei. Anderen Annahmen zufolge wurde Jason Borowski bei einem Auftrag in der

Volksrepublik China getötet. Was bislang einzig feststeht ist, daß in dem malerischen Städtchen Anderlecht in Belgien General James Teagarten, Oberkommandierender der NATO, ermordet wurde und jemand, der sich Jason Borowski nennt, die Verantwortung für die Ermordung des großen und populären Soldaten übernommen hat… Wir zeigen Ihnen jetzt ein

Phantom-Foto des mutmaßlichen Killers aus den Archiven von Interpol.«

Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines Mannes, ungleichmäßig und unbestimmt.

«Das ist nicht David!«sagte John St. Jacques.

«Er könnte es sein!«

«Und nun zu unseren weiteren Nachrichten. Die Dürre, die seit langem weite Teile von Äthiopien heimsucht…«

«Mach das verdammte Ding aus!«schrie Marie, schoß aus dem Stuhl und rannte zum Telefon, während ihr Bruder das Gerät ausstellte.»Wo ist die Nummer von Conklin? Ich habe sie irgendwo aufgeschrieben… Hier steht sie, auf dem Block. Der heilige Alex wird mir verdammt viel erklären müssen, dieser Mistkerl!«Sie wählte wütend, aber exakt. Sie trommelte mit der Fast auf den Tisch. Immer noch rollten Tränen über ihre Wangen. Tränen der Wut und Sorge.»Ich bin es… Du bringst ihn um! Du hast ihn gehen lassen, hast ihm geholfen zu gehen… und du bringst ihn um.«

«Ich kann jetzt nicht mit dir reden, Marie«, sagte die kalte, kontrollierte Stimme Conklins.»Ich habe Paris auf der anderen Leitung.«

«Scheiß auf Paris! Wo ist er? Hol ihn raus!«

«Glaube mir, wir versuchen, ihn zu finden. Da ist die Hölle los. Die Briten wollen Peter Hollands Arsch, weil er eine bloße Andeutung von der Fernost-Connection gemacht hat, und die Franzosen sind in Aufruhr wegen einer Sache, die sie zwar nicht wissen, aber vermuten, nämlich der Spezialladung in einem Flugzeug aus Martinique, die ursprünglich vom Deuxieme Bureau abgelehnt worden war. Ich rufe dich zurück, ich schwöre es!«

Die Leitung wurde unterbrochen, und Marie warf den Hörer auf die Gabel.»Ich fliege nach Paris, Johnny«, sagte sie. Sie holte tief Atem und wischte sich die Tränen vom Gesicht.

«Was willst du?«

«Du hast mich gehört. Bring Mrs. Cooper her, Jamie liebt sie, und sie sorgt wundervoll für Alison. Sie hat schließlich selbst sieben Kinder gehabt, alle erwachsen, die immer noch jeden Sonntag zu ihr kommen.«»Du bist verrückt! Ich lasse dich nicht gehen!«»Wahrscheinlich hast du zu David etwas Ähnliches gesagt, als er dir erzählt hat, daß er nach Paris geht. Ihn hast du nicht aufhalten können, und mich kannst du auch nicht aufhalten.«

«Aber warum willst du dorthin?«»Weil ich jeden Ort in Paris kenne, den er kennt, jedes Cafe, jede Straße, jede Gasse, von Sacre-Coeur bis zum Eiffelturm. Ich werde ihn vor dem

Deuxieme oder der Sürete finden. «Das Telefon klingelte. Marie nahm ab.

«Ich sagte dir ja, daß ich dich sofort zurückrufe. «Es war Alex Conklin.»Bernardine hat eine Idee, wie wir ihn finden

könnten.«

«Wer ist Bernardine?«

«Ein alter Kollege vom Deuxieme Bureau. Ein guter Freund, der David hilft.«

«Was für eine Idee?«

«Er hat Jason — David — einen Mietwagen besorgt und kennt natürlich das Nummernschild. Er könnte es an alle

Polizeifahrzeuge durchgeben… Wer ihn sieht, folgt ihm

unauffällig und benachrichtigt Bernardine.«

«Und du denkst, David — Jason — würde so etwas nicht merken? Du hast ein schlechtes Gedächtnis.«

«Es ist nur eine Möglichkeit. Es gibt mehrere.«

«Zum Beispiel?«»Nun… nun ja, er muß mich anrufen. Wenn er die Nachrichten über Teagarten hört, dann muß er mich anrufen.«

«Warum?«

«Wie du sagst: um rauszukommen.«

«Mit Carlos in Sichtweite? Gute Chance! Ich habe eine bessere Idee. Ich fliege nach Paris.«

«Das kannst du nicht!«

«Ich will das nicht mehr hören! Wirst du mir helfen, oder muß ich alles selber machen?«

«Ich könnte in Frankreich nicht mal 'ne Briefmarke kaufen, und Holland weiß gerade, wie man Eiffelturm schreibt.«

«Also allein. Offen gesagt, fühle ich mich in Anbetracht der Umstände allein sogar sicherer.«

«Was willst du tun, Marie?«

«Ich will dir das nicht alles aufzählen, aber ich werde überall dort hingehen, wo wir damals hingegangen sind, als David und ich auf der Flucht waren. Er wird die bekannten Orte wieder benutzen, irgendwie. Er muß, weil sie in eurem idiotischen Jargon sicher waren, und mit seinem idiotischen Gehirn wird er sie deswegen wieder aufsuchen.«

«Gott steh dir bei.«

«Er hat uns verlassen, Alex. Es gibt keinen Gott.«

Prefontaine verließ den Bostoner Flughafen durch den Haupteingang und winkte ein Taxi heran. Aber dann sah er sich um, senkte den Arm und stellte sich in die Warteschlange. Überall, selbst auf den Flughäfen, ging es mittlerweile zu wie in einer Cafeteria. Immerzu mußte man sich anstellen.

«Zum Ritz-Carlton«, sagte der Richter wenig später zum Fahrer.»Kein Gepäck?«fragte der Mann.»Nur kleine Tasche?«

«Nein, habe ich nicht«, antwortete Prefontaine.»Ich habe in jeder Stadt einen Koffer.«»Tutti-frutti«, sagte der Fahrer, fuhr sich mit einem großen, weißen Kamm durch's Haar und bog in den fließenden Verkehr ein.

«Haben Sie eine Reservierung, Sir?«fragte der befrackte Angestellte am Empfang im Ritz.

«Ich denke, daß es einer meiner Kanzleiangestellten für mich getan hat. Der Name ist Scofield, Richter William Scofield vom Obersten Gerichtshof. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn das Ritz die Reservierung verlegt hätte, besonders jetzt, wo…«

«Richter Scofield…? Ich bin sicher, sie ist hier irgendwo, Sir. «Der Angestellte ließ den Gast vor lauter Beflissenheit nicht mal ausreden.»Die Suite Drei-C, ich bin sicher, daß es im Computer ist.«

«Drei-C… ist belegt.«

«Was?«

«Nein, nein, ich habe mich geirrt, Herr Richter. Sie sind noch nicht da… Ich meine, es ist ein Fehler… Diese Gäste sind in einer anderen Suite. «Er klingelte heftig mit der Glocke.»Hallo, Boy!«

«Ja, Sir.«

«Ich denke, Sie haben ein paar anständige Flaschen oben, wie gewöhnlich?«

«Sollten keine oben sein, werden gleich welche gebracht, Herr Richter. Bestimmte Marken?«

«Guter Bourbon und guter Brandy. Das weiße Zeug ist für Damen, richtig?«

«Richtig, Sir. Absolut richtig, Sir!«

Zwanzig Minuten später, das Gesicht gewaschen und einen Drink in der Hand, griff Prefontaine zum Telefon und wählte die Nummer von Dr. Randolph Gates.

«Hier bei Gates«, sagte die Frau am Telefon.

«Komm schon, Edie, ich würde deine Stimme auch unter Wasser wiedererkennen, obwohl es dreißig Jahre her ist.«

«Ich kenne Ihre auch, aber ich kann sie nicht einordnen.«

«Versuch mal, an einen großen Professor zu denken, der versucht hat, deinem Mann den Teufel auszutreiben, was aber keinen Eindruck auf ihn machte. Und dann war ich es, der im Gefängnis landete — und zu Recht — nicht er.«

«Brendan? Lieber Gott, du bist's! Ich habe niemals all die Dinge geglaubt, die man über dich erzählt hat.«

«Glaub mir, meine Süße, sie stimmen. Aber jetzt muß ich mit dem Lord of Gates sprechen. Ist er da?«

«Ich glaube schon, ich weiß es aber nicht. Er spricht mit mir nicht mehr besonders viel.«

«Geht es dir nicht gut, meine Liebe?«

«Ich würde gerne mit dir reden, Brendan. Er hat ein Problem, ein Problem, von dem ich nie was wußte.«

«Ich fürchte, das hat er, Edie, und natürlich werden wir miteinander reden. Aber im Augenblick muß ich mit ihm sprechen. Sofort.«

«Ich werde ihn über das Haustelefon anrufen.«

«Sag ihm nicht, daß ich es bin, Edie. Sag ihm, es sei ein Mann aus Blackburne, von der Karibikinsel Montserrat.«

«Was?«

«Tu, was ich dir sage, liebe Edie. Es ist zu seinem Besten, aber auch zu deinem — vielleicht mehr zu deinem, ehrlich gesagt.«

«Er ist krank, Brendan.«

«Ja, das ist er. Laß uns versuchen, ihn gesund zu machen. Hol ihn mir ans Telefon.«

«Warte einen Augenblick.«

Das Schweigen war endlos, bis die verlegene Stimme von Randolph Gates zu hören war.

«Wer sind Sie?«flüsterte der berühmte Anwalt.

«Ruhig, Randy, es ist Brendan. Edith hat meine Stimme nicht gleich erkannt, aber ich die ihre. Du bist ein glücklicher Knabe.«

«Was willst du? Was ist mit Montserrat?«

«Ja, ich komme gerade von dort…«

«Was?«

«Ich dachte, ich brauchte mal Urlaub.«

«Du hast doch nicht…?!«Gates' Flüstern wurde panisch.

«Oh, doch, ich habe. Und weil ich habe, wird sich dein ganzes Leben ändern. Verstehst du, ich traf die Frau und ihre beiden Kinder, an denen du so interessiert warst. Du erinnerst dich? Es ist eine lange Geschichte, und ich möchte sie dir in all ihren faszinierenden Details schildern… Du hast sie an den Teufel verkauft, Dandy Randy, und so was sollte man nicht tun. Nein, das sollte man nicht«, flötete Prefontaine.

«Ich weiß nicht, wovon du überhaupt redest! Ich habe nie etwas von Montserrat gehört oder von einer Frau mit zwei Kindern. Du bist ein verdammter, rotznäsiger Saufbold, und ich werde deine schwachsinnigen Unterstellungen zurückweisen als Ausgeburten eines delirierenden Alkoholikers, der dazu noch ein vorbestrafter Krimineller ist!«

«Gut gesprochen, Herr Berater. Natürlich kannst du deine Beihilfe leugnen. Aber das ist nicht dein eigentliches Problem. Nein, das liegt in Paris.«

«Paris…«

«Dein Problem ist ein gewisser Mann in Paris, jemand, von dem ich nicht dachte, daß es ihn tatsächlich gibt — aber das tut es. Es ist ein bißchen düster zugegangen in Montserrat. Man hielt mich für dich.«

«Man hielt… was?«Gates war kaum noch hörbar, seine Stimme zitterte.

«Ja. Komisch, nicht? Ich kann mir denken, daß dieser Mann in Paris dich hier in Boston erreichen wollte und daß ihm jemand sagte, daß Seine Königliche Hoheit nicht im Hause sei — und so begann die Verwechslung. Zwei brillante juristische Köpfe, beide mit einer verschwommenen Beziehung zu einer Frau mit zwei Kindern. Und unser Mann dachte, ich sei du.«

«Was ist auf der Insel passiert?«

«Laß mich ausreden, Randy. Im Moment glaubt er wahrscheinlich, du seist tot.«

«Was?«

«Er hat versucht, mich umzubringen — dich umzubringen. Wegen Ungehorsams.«

«Oh, mein Gott!«

«Und wenn er herausfindet, daß du ganz lebendig bist und in Boston, wird er einen zweiten Versuch nicht fehlschlagen lassen.«

«Herr im Himmel…!«

«Aber es gibt vielleicht einen Ausweg, Randy-Boy, und deshalb mußt du mich besuchen. Zufällig bin ich in derselben Suite im Ritz, wo du warst, als ich dich besuchte: Drei-C, nimm einfach den Fahrstuhl. Sei in dreißig Minuten hier und denk dran, daß ich wenig Geduld mit Klienten habe, die sich verspäten, denn ich bin sehr beschäftigt. Nebenbei bemerkt, mein Honorar beträgt zwanzigtausend Dollar die Stunde. Bring also Geld mit, Randy. Viel Geld, in bar.«

Ich bin soweit, dachte Borowski, als er sich im Spiegel studierte. Er war zufrieden mit dem, was er sah. Die vergangenen drei Stunden hatte er damit zugebracht, sich auf seine Fahrt nach Argenteuil vorzubereiten, zum Le Coeur du Soldat, dem Übermittlungszentrum für eine» Amsel«, für

Carlos, den Schakal. Das Chamäleon hatte sich dem Milieu angeglichen, das er zu betreten im Begriff stand. Mit der Kleidung war es einfach gewesen, mit Gesicht und Körper weniger. Als erstes war er in einige Secondhandshops am Montmartre gegangen, wo er abgetragene Hosen und ein altes französisches Armeehemd und das ebenfalls verschlissene Ordensband eines verstorbenen Veteranen gefunden hatte. Als nächstes hatte er sich die Haare färben und den Bart einen Tag wachsen lassen, darüber hinaus hatte er einen zweiten Verband angelegt, und zwar um das rechte Knie, das er so fest umwickelt hatte, daß er das Hinken nicht vergaß, was er schnell perfektioniert hatte. Haare und Augenbrauen waren jetzt mattrot, schmutzig und ungekämmt der neuen Umgebung angepaßt, das Hotel billig und in Montparnasse, wo man am Empfangstisch so wenig Kontakt wie möglich mit der Kundschaft suchte.

Sein Nacken war kein wirklich hinderlicher Faktor mehr — zum Teil hatte er sich an die steifen, begrenzten Bewegungen gewöhnt, darüber hinaus war der Heilungsprozeß ein gutes Stück weiter fortgeschritten. Bezüglich seiner gegenwärtigen Erscheinung war die leichte Steifheit eher ein Vorteil: Ein verbitterter, verwundeter Veteran, ein vergessener Sohn Frankreichs mußte heftig bedrängt werden, um seine doppelte Unbeweglichkeit zu vergessen. Jason steckte Bernardines Automatic in seine Hosentasche, überprüfte sein Geld, die Autoschlüssel und sein Jagdmesser mit Scheide, das er in einem Sportgeschäft gekauft hatte und in sein Hemd steckte. Er hinkte zur Tür des kleinen, schmutzigen, bedrückenden Zimmers. Sein nächstes Ziel war der Capucines und ein nicht klassifizierbarer Peugeot in einer Tiefgarage. Er war soweit.

Er wußte, daß er ein paar Blocks gehen mußte, bevor er einen Taxistand finden würde. Taxis wurden in diesem Viertel kaum gebraucht. Um so merkwürdiger war das Gedränge an einem Kiosk an der nächsten Straßenecke. Leute schrien, viele fuchtelten mit Papieren in den Händen herum, schrien mit wütender Stimme. Instinktiv beschleunigte er den Schritt, erreichte den Stand, warf eine Münze hin und griff sich eine Zeitung.

Ihm stockte der Atem, als er versuchte, den Schock zu unterdrücken: Teagarten ermordet! Der Mörder Jason Borowski! Jason Borowski! Wahnsinn! Was war geschehen? War es ein Wiederauferstehen von Hongkong und Macao? Entschwand ihm auch das, was von seinem Gedächtnis übriggeblieben war? Befand er sich in einem Alptraum, der Wirklichkeit wurde, reale Dimensionen annahm? Wandelten sich die Schrecken eines furchtbaren Schlafs, einer Terrorphantasie in schreckliche Wirklichkeit? Er löste sich aus der Menge, taumelte über das Pflaster und lehnte sich gegen die Steinmauer eines Gebäudes, schnappte nach Luft und versuchte verzweifelt, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Alex! Ein Telefon!

«Was ist geschehen?«schrie er in den Hörer.

«Komm schon, bleib ruhig!«sagte Conklin mit monotoner Stimme.»Hör mir zu. Ich muß genau wissen, wo du bist. Bernardine wird dich abholen und wegbringen. Er wird alle Vorbereitungen treffen und dich in eine Concorde nach New York setzen.«

«Warte einen Moment, nur einen Moment! Es war der Schakal, nicht wahr?«

«Nach allem, was uns gesagt wurde, war es ein Vertrag mit einer verrückten Jihad-Fraktion aus Beirut. Sie beanspruchen diesen Kill für sich. Der eigentliche Täter ist unwichtig. Das kann stimmen oder auch nicht. Zuerst habe ich es nicht geglaubt. Nicht nach DeSole und Armbruster, aber es gibt Indizien. Teagarten hat immer getönt, er wolle NATO-Truppen in den Libanon schicken und alle verdächtigen palästinensischen Enklaven dem Erdboden gleichmachen. Er ist schon öfter bedroht worden. Nur fällt es für mich zu auffallend mit der

Medusa-Connection zusammen. Doch um deine Frage zu beantworten: Natürlich war es der Schakal.«

«Aber er hat es mir zugeschoben, Carlos hat es mir zugeschoben!«

«Er ist ein einfallsreiches Arschloch, das muß ich sagen. Du jagst ihn, und er benutzt einen Auftrag, um dich in Paris auf Eis zu legen.«

«Dann drehen wir den Spieß um!«

«Wovon sprichst du? Du mußt raus da!«

«Kommt nicht in Frage. Während er denkt, ich renne davon, verstecke ich mich und weiche aus. Ich steuere direkt in seine Höhle.«

«Du spinnst! Du kommst raus da, solange es noch geht!«

«Nein, ich bleibe. Er glaubt, daß ich nach all den Jahren in Panik gerate und dumme Züge mache — und davon habe ich, weiß Gott, schon auf Tranquility genug gemacht. So dumme, daß seine Armee alter Männer mich finden wird, wenn sie nur an den richtigen Orten sucht und weiß, wonach sie suchen muß. Mein Gott, er ist gut! Ich muß den Bastard aus der Ruhe bringen, damit er einen Fehler begeht. Ich kenne ihn, Alex, ich weiß, wie er denkt, und ich werde ihn ausstechen. Ich bleibe auf meinem Kurs, auch wenn es keine sichere Höhle mehr für mich gibt.«

«Höhle? Was für eine Höhle?«

«Nur so eine Redensart, vergiß es. Zumindest war ich schon vor den Nachrichten über Teagarten hier. Das ist gut.«

«Das ist nicht gut. Du bist eine Pflaume! Komm raus da!«

«Tut mir leid, heiliger Alex, genau hier werde ich bleiben. Ich verfolge den Schakal.«

«Gut, vielleicht wirst du vernünftig, wenn du folgendes hörst: Vor ein paar Stunden hab ich mit Marie gesprochen. Rate mal, was sie tut, du alternder Neandertaler? Sie fliegt nach Paris. Um dich zu finden.«

«Das kann sie nicht!«

«Das habe ich auch gesagt, aber sie hat nicht hören wollen. Sie sagte, sie kennt alle Orte, die du und sie benutzt haben, als ihr vor uns geflohen seid vor dreizehn Jahren. Und daß du sie wieder benutzen würdest.«

«Habe ich auch. Einige. Aber sie darf nicht herkommen!«

«Sag das ihr, nicht mir.«

«Gib mir die Nummer von Tranquility. Ich hatte Angst, sie anzurufen — um ehrlich zu sein, ich habe verteufelt versucht, sie und die Kinder aus meinem Denken zu verdrängen.«

Conklin nannte ihm die 809-Vorwahl, und schon warf Borowski den Hörer auf die Gabel.

Wie auf Kohlen durchlief Jason den Prozeß des Durchgebens von Bestimmungsort und Kreditkartennummer und das Piepen und Geklacker des Leitungsaufbaus nach Übersee. Dann endlich, nachdem er irgendeinem Idioten am Empfang von Tranquility die Meinung gesagt hatte, bekam er seinen Schwager an die Strippe.

«Hol Marie ans Telefon!«befahl er.

«David?«

«Ja… David. Hol Marie.«

«Kann ich nicht. Sie ist vor einer Stunde weg.«

«Wohin?«

«Hat sie mir nicht gesagt. Sie hat in Blackburne ein Flugzeug gechartert, aber sie hat mir nicht gesagt, zu welchem Flughafen sie wollte. Hier in der Nähe gibt es nur Antigua oder Martinique, aber sie könnte auch nach Saint Martin oder Puerto Rico geflogen sein. Sie ist auf dem Weg nach Paris.«

«Hättest du sie nicht aufhalten können?«»Himmel, glaubst du, ich hätte es nicht versucht, David?!«

«Hast du nicht daran gedacht, sie einzusperren?«

«Marie?«

«Ich verstehe, was du meinst… Sie kann nicht vor morgen früh hier sein, allerfrühestens.«

«Hast du die Nachrichten gehört?«schrie St. Jacques.»General Teagarten wurde ermordet, und sie sagen, es war Jason… «

«Oh, halt die Schnauze«, sagte Borowski, legte auf und verließ die Telefonzelle. Er ging die Straße hinunter und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

Peter Holland, Direktor der CIA, erhob sich hinter seinem Schreibtisch und schrie den Mann an, der vor ihm auf dem Stuhl saß.»Nichts tun? Hast du deinen verdammten Verstand verloren?«

«Und du deinen, als du das Statement über die britischamerikanische Operation in Hongkong herausgegeben hast?«

«Es war die verdammte Wahrheit!«

«Es gibt auch andere Wahrheiten, wie etwa die Wahrheit zu leugnen, wenn es dem Geheimdienst nichts nutzt.«

«Scheiße! Die blöden Politiker!«

«Das würde ich nicht sagen, Dschingis-Khan. Ich habe von Männern gehört, die sich lieber an die Wand stellen lassen und ihre Hinrichtung akzeptierten, als der Wahrheit, der sie sich verpflichtet fühlten, abzuschwören… Du hebst ab, Peter.«

Erschöpft sank Peter Holland zurück in seinen Sessel.»Vielleicht gehöre ich wirklich nicht hierher.«

«Vielleicht nicht, aber gib dir noch ein wenig Zeit. Vielleicht wirst du dir genauso schmutzige Hände holen wie wir anderen auch. Das kann passieren, du weißt es.«

Der Direktor lehnte sich zurück. Er sprach mit Unterbrechungen.»Da draußen habe ich mir die Hände schmutziger gemacht als irgendeiner von euch, Alex. Ich wache immer noch manchmal in der Nacht auf und sehe die Gesichter junger Männer vor mir, wie sie mich anstarren, während ich ihnen mein Messer in die Brust stoße und weiß, daß sie keine Ahnung haben… «

«Entweder sie oder du. Sie hätten dir eine Kugel in den Kopf gejagt, wenn sie gekonnt hätten.«

«Ja, das nehme ich an. «Der DCI beugte sich vor, und seine Augen bohrten sich in die Conklins.»Aber darüber reden wir nicht, oder?«

«Du könntest sagen, es sei eine Variation des Themas.«

«Laß den Scheiß.«

«Es ist ein Musikerausdruck. Ich liebe Musik.«

«Dann komm auf das Hauptthema unserer Symphonie zurück, Alex.«

«Na gut. Borowski ist verschwunden. Er sagte mir, daß er glaubt, eine Höhle gefunden zu haben — seine Worte, nicht meine —, wo er überzeugt ist, den Schakal stellen zu können. Nähere Erläuterungen hat er nicht gegeben. Und nur Gott weiß, wann er mich wieder anruft.«

«Ich habe unseren Mann von der Botschaft zum Pont-Royal geschickt und ihn nach Simon fragen lassen. Was du mir gesagt hast, stimmt. Simon hat ein Zimmer genommen, ist weggegangen und nicht zurückgekommen. Wo ist er?«

«Außer Sichtweite. Bernardine hatte eine Idee: Er dachte, er könnte Borowski über das Nummernschild des Mietwagens auf die Spur kommen. Aber der Wagen wurde nicht abgeholt, und wir sind beide der Meinung, daß das auch nicht mehr geschehen wird. Jason traut niemandem, nicht einmal mir, und in Anbetracht seiner Geschichte hat er auch allen Grund dazu.«

Hollands Augen waren kalt und wütend.»Du lügst mich doch nicht an, Conklin?«

«Warum sollte ich in so einem Moment lügen, über einen Freund wie ihn?«

«Das ist keine Antwort, sondern eine Frage.«

«Nein, ich lüge nicht. Ich weiß nicht, wo er ist. «Alex wußte es wirklich nicht.

«Deine Idee ist also, nichts zu tun.«

«Es gibt nichts, was wir tun könnten. Früher oder später wird er mich anrufen.«

«Kannst du dir vorstellen, was ein Untersuchungskomitee des Senats in ein paar Wochen oder Monaten, wenn alles hochgeht — und es wird hochgehen —, sagen wird? Wir schicken einen Mann, bekannt als Jason Borowski, nach Paris, das von Brüssel genausoweit entfernt ist wie New York von Chicago…«

«Ich glaube näher.«

«Danke, das hilft mir unglaublich… Der Oberbefehlshaber der NATO wird ermordet, wofür besagter Jason Borowski die Verantwortung übernimmt, und wir sagen: Verdammt noch mal! Nicht ein Wort zu irgend jemandem! Mein Gott, auf irgendeinem Schleppkahn werde ich Latrinen scheuern!«

«Aber er hat ihn nicht umgebracht.«

«Du weißt das, und ich weiß das, aber da gibt es die kleine Geschichte seiner Geistesverwirrung — was unweigerlich herauskommen wird in dem Augenblick, wo die Akten dem Gericht vorgelegt werden müssen.«

«Es handelt sich um eine Amnesie. Das hat mit Gewalt nichts zu tun.«

«Zum Teufel, es ist viel schlimmer. Er kann sich nicht erinnern, was er getan hat.«

Conklin packte seinen Stock, sein unruhiger Blick wurde angespannt.»Ich scheiße drauf, welchen Anschein das alles

erweckt! Mein verbliebener Instinkt sagt mit, daß Teagartens Ermordung mit Medusa zusammenhängt. Irgendwie, irgendwo haben sich die Drähte gekreuzt. Eine Botschaft wurde abgefangen, und ein gewaltiges Ablenkungsmanöver wurde in Szene gesetzt.«

«Ich glaube, ich verstehe unsere Sprache genausogut wie du«, sagte Holland,»aber jetzt kann ich dir nicht folgen.«

«Da gibt es auch noch keine Logik, keine Arithmetik, keine aufsteigende Linie. Ich weiß einfach noch nicht… Aber Medusa ist es.«

«Mit dem, was du weißt, könnte ich immerhin Burton vom Vereinigten Generalstab und ganz sicher auch Atkinson in London aus dem Verkehr ziehen.«

«Nein, laß sie in Ruhe. Beobachte sie, aber versenke ihre Schiffe noch nicht, Admiral.«

«Was schlägst du also vor?«

«Was ich von Anfang an gesagt habe: nichts tun. Es ist die Zeit des Wartens. «Alex schlug plötzlich mit dem Stock auf den Tisch.»Verdammte Scheiße, es ist Medusa. Es kann nicht anders sein.«

Ein glatzköpfiger alter Mann mit verrunzeltem Gesicht stand mühsam von einer Kirchenbank in der Kirche zum Heiligen Sakrament in Neuilly-sur-Seine auf, einem Vorort von Paris. Mühsam ging er Schritt um Schritt zum zweiten Beichtstuhl auf der linken Seite. Er zog den Vorhang zurück und kniete vor dem Gitter nieder, das mit einem schwarzen Tuch verhängt war, wobei ihn seine Beine schmerzten.

«Angelus domini, Kind Gottes«, sagte die Stimme hinter dem Gitter.»Geht es dir gut?«

«Viel besser durch Eure Großzügigkeit, Monseigneur.«

«Das freut mich, aber zu meiner Freude fehlt noch etwas, wie du weißt… Was ist in Anderlecht geschehen? Was hat mir meine geliebte und gut ausgerüstete Armee zu berichten? Wer hat es gewagt?«

«Wir haben uns überall verteilt und die vergangenen acht Stunden aufmerksam alles beobachtet, Monseigneur. Soweit wir bis jetzt wissen, sind zwei Leute aus den Vereinigten Staaten eingeflogen — sie sprachen amerikanisches Englisch — und nahmen ein Zimmer in einer Familienpension gegenüber dem Restaurant. Sie verließen es nur wenige Minuten nach dem Anschlag.«

«Eine ferngezündete Explosion!«

«Offensichtlich, Monseigneur. Mehr haben wir nicht erfahren.«

«Aber warum? Warum?«

«Wir können noch nicht in die Köpfe der Menschen schauen, Monseigneur.«

Jenseits des Atlantik, in einem teuren Appartement in Brooklyn Heights, mit den Lichtern des East River und der Brooklyn Bridge vor dem Fenster, rekelte sich ein capo supremo auf einer üppig gepolsterten Couch mit einem Glas Perrier in der Hand. Er sprach mit seinem Freund, der ihm gegenüber in einem Sessel saß und einen Gin-Tonic trank. Der junge Mann war schlank, dunkelhaarig und eindrucksvoll.»Du weißt, Frankie, ich bin nicht nur gut, ich bin brillant. Verstehst du, was ich meine? Ich lege Wert auf Nuancen — unterscheiden, was wichtig ist und was nicht —, und ich habe ein untrügliches Gespür. Ich höre einen armen Clown über etwas reden, und ich zähle vier und vier zusammen, und statt acht gibt es zwölf. Bingo! Das ist die Antwort. Da ist diese Katze, die sich Borowski nennt, ein Wurm, der tut, als sei er ein großer Killer, ist er aber nicht — er ist ein lausiger esca, ein Köder, um jemand anderes einzufangen, aber trotzdem ist er der, den wir wollen, verstehst du? Dann dieser miese Psychiater, sobald er Wind und Wetter ausgesetzt wird, spuckt er alles aus, was ich brauche. Unser

Mann hat nur ein halbes Hirn, eine testa balzana. Die meiste Zeit weiß er gar nicht, wer er ist oder was er tut, stimmt's?«

«Richtig, Lou.«

«Und dann ist Borowski in Paris, Frankreich, ein paar Ecken entfernt von einem wirklichen Hindernis, einem spinnerten General, den unsere Freunde auf der anderen Seite vom Fluß aus dem Verkehr haben wollen, genau wie die beiden Fettsäcke, die's schon erwischt hat. Capisci?«

«Ich verstehe, Lou«, sagte der gutfrisierte junge Mann in seinem Sessel.»Du bist wirklich intelligent.«

«Du hast keinen blassen Dunst, wovon ich rede, du zabaglione. Ich könnte auch mit mir selbst reden, warum auch nicht?… Also habe ich meine zwölf, und ich denke mir, jetzt wirfst du den gepfefferten Würfel auf den Filz, klar?«

«Klar, Lou.«

«Wir müssen dieses Arschloch von General eliminieren, weil er ein Hindernis für die verrückte Sippschaft ist, die uns braucht. Richtig?«

«Genau, Lou. Ein Hind… ein Hinter…«

«Laß nur, zabaglione. Ich sage mir also, wir pusten ihn weg und sagen, der Hebe Borowski hat es gemacht, kapiert?«

«Oh, jaa, Lou. Du bist wirklich intelligent.«

«So werden wir unser Hindernis los und machen diesen Jason Borowski, der gar nicht da war, zur Zielscheibe für alle, richtig? Wenn wir ihn nicht kriegen und der Schakal ihn auch nicht kriegt, dann kriegen ihn die FBI-ler, richtig?«

«He, das ist wahnsinnig, Lou. Ich muß schon sagen, ich bewundere dich richtig.«

«Vergiß die Bewunderung, bello ragazzo. In diesem Haus herrschen andere Regeln. Komm jetzt her und besorg's mir richtig.«

Marie saß hinten im Flugzeug und trank Kaffee. Sie versuchte verzweifelt, sich an alles zu erinnern — an alle Verstecke und Zufluchtsorte für Ruhepausen, die sie und David vor dreizehn Jahren benutzt hatten. Da waren die Kellercafes am Montparnasse, die billigen Hotels und ein Motel — wo nur genau war es gewesen? — rund zwölf Kilometer außerhalb von Paris und ein Gasthaus mit einem Balkon in Argenteuil, wo David — Jason — zum erstenmal zu ihr gesagt hatte, daß er sie liebe, aber nicht bei ihr bleiben könne, weil er sie liebe… Und da war Sacre-Cceur, ganz oben auf der Treppe, wo Jason — David — den Mann in einer dunklen Gasse traf, der ihnen die Information gab, die sie brauchten…

«Mesdames et messieurs«, kam die Stimme über den Lautsprecher an der Decke. »Je suis votre capitaine. Bienvenu.«Der Kapitän sprach französisch, ein Besatzungsmitglied wiederholte die Meldung dann auf englisch, deutsch und italienisch, und eine weibliche Stimme brachte schließlich auch noch die japanische Übersetzung.»Wir hoffen auf einen angenehmen Flug nach Marseilles. Die geschätzte Flugdauer beträgt sieben Stunden und vierzehn Minuten, und die voraussichtliche Landezeit wird sechs Uhr früh sein, Pariser Zeit. Angenehmen Flug.«

Als Marie St. Jacques zum Fenster hinausschaute, war der Ozean in Mondlicht getaucht. Sie war nach San Juan in Puerto Rico geflogen, um dort den Nachtflug nach Marseilles zu nehmen, wo die Kontrollformalitäten ein heilloses Durcheinander oder absichtlich lax waren. So war es zumindest vor dreizehn Jahren gewesen — eine Zeit, in die sie nun zurückkehrte. Dann wollte sie nach Paris fliegen, und sie würde ihn finden. Wie schon vor dreizehn Jahren, so würde sie ihn auch jetzt wieder finden. Sie mußte es ganz einfach! Sonst würde der Mann, den sie liebte, ein toter Mann sein.

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