Sergeant Florian Santiago auf der Polizeistation Sala-manca hatte zittrige Hände, als er den Telefonhörer auflegte.
Jaime Miro und drei seiner Leute sind bei mir! Hättest du nicht Lust, sie zu schnappen?
Staatliche Stellen hatten eine hohe Belohnung für die Ergreifung Jaime Miros ausgesetzt - und nun war der meistgesuchte baskische Terrorist ihm in die Hände gefallen! Das Kopfgeld würde sein ganzes Leben verändern. Damit konnte er es sich leisten, seine Kinder in eine bessere Schule zu schicken, seiner Frau eine Waschmaschine zu kaufen und seiner Geliebten Schmuck zu schenken. Natürlich würde er seinem Onkel etwas von der Belohnung abgeben müssen.
Er kriegt zwanzig Prozent, dachte Santiago. Oder vielleicht tun’s auch zehn.
Er kannte Jaime Miros Ruf nur allzu gut und hatte nicht die Absicht, sein Leben zu riskieren, indem er versuchte, den Terroristen selbst festzunehmen.
Wenn ich nur die Belohnung kriege, überlasse ich den gefährlichen Teil gern anderen.
Er saß an seinem Schreibtisch und überlegte, was in dieser Situation die beste Lösung wäre. Dabei fiel ihm sofort der Name Oberst Acocas ein.
Wie jedermann wusste, bekriegten der Oberst und der Terrorist sich heftig. Außerdem stand die gesamte GOE unter Acocas Befehl. Ja, das war die einzig richtige Lösung.
Santiago griff nach dem Telefonhörer und war wenige Minuten später direkt mit Acoca verbunden.
»Oberst, hier ist Sergeant Florian Santiago vom Polizeirevier Salamanca«, meldete er sich. »Ich habe Jaime Miro aufgespürt.«
Oberst Ramon Acoca hatte Mühe, sich keine Erregung anmerken zu lassen. »Wissen Sie das ganz bestimmt?«
»Ja, Oberst. Er übernachtet im Parador Nacional Rai-mundo de Borgon etwas außerhalb der Stadt. Mein Onkel, der dort Geschäftsführer ist, hat mich selbst angerufen. Miro wird von einem Mann und zwei Frauen begleitet.«
»Ihr Onkel hat Miro einwandfrei identifiziert?«
»Ja, Oberst. Er und die anderen schlafen in den beiden rückwärtigen Zimmern im ersten Stock des Paradors.«
»Hören Sie mir jetzt gut zu, Sergeant«, verlangte Oberst Acoca. »Sie fahren sofort zum Parador hinaus, halten davor Wache und sorgen dafür, dass keiner der Terroristen ihn verlässt. Ich bin in spätestens drei Stunden dort. Sie bleiben außerhalb des Gebäudes und lassen sich nicht blicken, verstanden?«
»Ja, Oberst. Ich fahre sofort los.« Er zögerte. »Oberst, wegen der ausgesetzten Belohnung.«
»Wenn wir Miro schnappen, gehört sie Ihnen.«
»Danke, Oberst. Ich bin Ihnen sehr.«
»Beeilen Sie sich gefälligst!«
»Ja, Oberst.«
Florian Santiago legte den Hörer auf. Er überlegte, ob er seine Geliebte anrufen und ihr die aufregende Neuigkeit mitteilen sollte. Aber das hatte noch Zeit; damit würde er sie später überraschen. Zunächst hatte er seinen Auftrag auszuführen.
Er ließ einen der Dienst habenden Polizeibeamten zu sich kommen.
»Du vertrittst mich jetzt«, wies Santiago ihn an. »Ich muss dienstlich weg. In ein paar Stunden bin ich wieder da.«
Und ich komme als reicher Mann zurück, dachte er. Als erstes kaufe ich mir ein neues Auto - einen blauen Seat. Nein, vielleicht lieber einen weißen.
Oberst Acoca legte den Hörer auf, blieb unbeweglich sitzen und ließ sein Gehirn arbeiten. Diesmal durfte es keine Pannen geben. Dies war der entscheidende Zug in seiner Schachpartie mit dem Terroristen. Um sich vor einem Überfall zu schützen, würde Miro eine Wache aufstellen.
Acoca rief seinen Adjutanten herein.
»Ja, Oberst?«
»Lassen Sie zwei Dutzend unserer besten Scharfschützen antreten. Sorgen Sie dafür, dass sie mit Sturmgewehren bewaffnet sind. Wir fahren in einer Viertelstunde nach Salamanca ab.«
»Zu Befehl, Oberst.«
Diesmal würde Miro ihm nicht entkommen! Der Oberst hatte den Plan für ihren Überfall bereits im Kopf. Seine Männer würden den Parador hermetisch abriegeln und dann blitzartig stürmen. Ein Überraschungsangriff, bevor dieser Schlächter Gelegenheit hat, noch mehr meiner Leute zu ermorden. Wir erschießen sie alle im Schlaf.
Eine Viertelstunde später erschien sein Adjutant wieder an der Tür.
»Wir sind abfahrtbereit, Oberst.«
Sergeant Santiago fuhr auf dem kürzesten Weg zu dem Parador hinaus. Selbst ohne Acocas Warnung hätte er keinen Versuch gemacht, die Terroristen auf eigene Faust festzunehmen. Wie der Oberst ihm befohlen hatte, stand er jedoch etwa zwanzig Meter von dem Gebäude entfernt unter einigen Bäumen und behielt die Eingangstür im Auge. Die Nachtluft war kühl, aber der Gedanke an die versprochene Belohnung erwärmte Santiago innerlich. Er fragte sich, ob die Terroristinnen hübsch waren und ob sie mit den beiden Männern im Bett lagen. Eines stand für ihn fest: In wenigen Stunden würden alle vier tot sein.
Der Militärlastwagen rollte durch die Stadt und fuhr in Richtung Parador weiter.
Oberst Acoca studierte die auf seinen Knien liegende Generalstabskarte im Licht einer Taschenlampe. »Halt!« befahl er zwei Kilometer vor dem Gasthof. »Ab hier wird marschiert - aber so leise wie möglich.«
Florian Santiago, der sie nicht hatte kommen hören, erschrak heftig, als eine Stimme ihm ins Ohr flüsterte: »Wer sind Sie?«
Er drehte sich um und sah sich Oberst Ramon Acoca gegenüber. Mein Gott, der sieht wirklich furchterregend aus! dachte Santiago.
»Sergeant Santiago, Oberst.«
»Hat irgend jemand den Gasthof verlassen?«
»Nein, Oberst. Sie sind noch alle drinnen. Wahrscheinlich schlafen sie inzwischen.«
Der Oberst wandte sich an seinen Adjutanten. »Lassen Sie die Hälfte unserer Männer einen Kordon um das Gebäude bilden. Flüchtende Terroristen sind zu erschießen. Die anderen kommen mit mir. Miro und seine Leute haben die Zimmer am Ende des Ganges im ersten Stock. Los!«
Santiago beobachtete, wie der Oberst und seine Männer mit schussbereiten Waffen auf den Eingang des Paradors zuschlichen. Er fragte sich, ob es eine wilde Schießerei geben würde. Und ob sein Onkel vielleicht ins Kreuzfeuer geraten und dabei den Tod finden würde. Das wäre bedauerlich. Andererseits musste er dann die Belohnung mit niemandem mehr teilen.
»Geht kein überflüssiges Risiko ein!« wies Oberst A-coca seine Männer auf der Treppe flüsternd an. »Schießt, sobald ihr sie seht!«
»Soll ich vorausgehen, Oberst?« fragte sein Adjutant.
»Nein.« Er wollte sich das Vergnügen, Jaime Miro zu erschießen, nicht rauben lassen.
Am Ende des Korridors erreichten sie die beiden Zimmer, in denen Miro und seine Terroristen schliefen. Oberst Acoca teilte durch Handzeichen je sechs Männer pro Tür ein und wartete, bis sie in Position waren.
»Angriff!« brüllte er dann.
Dies war der Augenblick, dem er entgegengefiebert hatte. Auf sein Zeichen hin brachen die Männer beide Türen gleichzeitig auf und stürmten mit schussbereiten Waffen in die Zimmer. Dort standen sie dann vor benützten, aber jetzt leeren Betten.
»Verteilt euch!« kreischte der Oberst. »Beeilung! Durchsucht sämtliche Zimmer!«
Die Männer befolgten seinen Befehl, schlugen abgesperrte Türen ein und zerrten erschrockene Gäste aus ihren Betten. Jaime Miro und seine Leute waren nirgends zu finden. Der Oberst polterte die Treppe hinab, um sich den Geschäftsführer vorzunehmen. Die kleine Eingangshalle war jedoch leer.
»Hallo!« rief er laut. »Hallo!« Keine Antwort. Der Feigling hatte sich offenbar verkrochen.
Einer seiner Männer, der hinter die Empfangstheke gesehen hatte, richtete sich auf. »Oberst.«
Acoca trat neben ihn und ließ sich zeigen, was der andere entdeckt hatte. Hinter der Theke lag der gefesselte und geknebelte Geschäftsführer mit einem Schild Bitte nicht stören! um den Hals.