Ministerpräsident Leopoldo Martinez kochte vor Wut. Er war ein kleiner, bebrillter Mann, der am ganzen Leib zitterte, während er sprach. »Diesem Jaime Miro muss das Handwerk gelegt werden!« rief er aus. Seine Stimme war hoch und schrill. »Haben Sie verstanden?« Er starrte das in seinem Amtszimmer versammelte halbe Dutzend Männer aufgebracht an. »Wir fahnden nach einem einzigen Terroristen, und die gesamte Armee und Polizei sind außerstande, ihn aufzuspüren.«
Die Besprechung fand im Palacio de la Moncloa, dem Wohn- und Amtssitz des Ministerpräsidenten, statt, der fünf Kilometer vom Zentrum Madrids entfernt an der Carretera de Galicia lag, ohne dass ein Schild auf ihn hingewiesen hätte. Der grüne Bau wies schmiedeeiserne Balkone, grüne Fensterläden und einen Wachtturm an jeder seiner vier Ecken auf.
Der Tag war heiß und trocken, und so weit das Auge reichte, stiegen vor den Fenstern säulenförmige Hitzewellen wie Bataillone schemenhafter Soldaten auf.
»Gestern hat Miro Pamplona in ein Schlachtfeld verwandelt.« Martinez schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. »Er hat zwei Gefängnisaufseher ermordet und zwei seiner Mordgesellen aus der Haft befreit. Weil er die Stiere freigelassen hat, hat er Dutzende von Toten und Verletzten auf dem Gewissen.«
Keiner der anderen äußerte sich dazu.
Bei seiner Amtsübernahme hatte der Ministerpräsident siegesgewiss erklärt: »Meine erste Amtshandlung wird darin bestehen, diesen Separatistengruppen das Handwerk zu legen. Madrid verwandelt Andalusier, Basken, Galicier und Katalanen in Spanier.«
Er war übermäßig optimistisch gewesen. Die verbissen nach Unabhängigkeit strebenden Basken hatten andere Vorstellungen, und die Woge von Bombenanschlägen, Banküberfällen und Demonstrationen durch Terroristen der Euzkadita Azkatasuna (ETA) rollte ungebrochen weiter übers Land.
»Ich spüre ihn auf«, sagte der Mann rechts neben Martinez ruhig.
Der Sprechende war Oberst Ramon Acoca, Chef der zur Bekämpfung baskischer Terroristen gegründeten Grupo de Operaciones Especiales (GOE). Acoca war eine riesenhafte Gestalt Mitte Sechzig mit narbenzerfurchtem Gesicht und kalten Obsidianaugen. Im Bürgerkrieg hatte er als junger Offizier für Francisco Franco gekämpft und war noch heute ein fanatischer Anhänger der Devise des Generals: »Rechenschaft schuldig sind wir nur Gott und der Geschichte.«
Der brillante Offizier Acoca war einer der engsten Vertrauten Francos gewesen. Der Oberst trauerte der einstmaligen eisernen Disziplin, der schnellen Bestrafung von Zweiflern und Gesetzesbrechern noch immer nach. Er hatte die Wirkung des Bürgerkriegs zwischen dem nationalistischen Bündnis aus Monarchisten, aufständischen Generalen, Grundbesitzern, der Kirche und den faschistischen Falangisten auf der einen Seite und den von Sozialisten, Kommunisten, Liberalen und baskischen und katalanischen Separatisten unterstützten Truppen der republikanischen Regierung auf der anderen miterlebt. Und jetzt kämpften und mordeten die Basken wieder.
Oberst Acoca befehligte eine schlagkräftige, rücksichtslos vorgehende Antiterroreinheit. Seine Männer arbeiteten ausgezeichnet getarnt im Untergrund und ließen sich aus Angst vor Vergeltungsschlägen weder zitieren noch fotografieren.
Wenn irgendeiner Jaime Miro das Handwerk legen kann, ist’s Oberst Acoca, dachte der Ministerpräsident. Aber die Sache hatte einen Haken: Wer soll Oberst Acoca das Handwerk legen können?
Die Berufung Acocas an die Spitze der GOE war nicht die Idee des Ministerpräsidenten gewesen. Martinez war eines Nachts unter seiner Privatnummer angerufen worden. Er hatte die Stimme des Anrufers sofort erkannt.
»Die Aktivitäten Jaime Miros und seiner Terroristen machen uns große Sorgen. Wir schlagen vor, dass Sie Oberst Ramon Acoca mit der Führung der GOE betrauen. Haben Sie verstanden?«
»Gewiss! Ich sorge sofort dafür.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt.
Die Stimme hatte einem Mitglied der Geheimloge OPUS mundo gehört, einem Geheimbund aus Bankiers, Anwälten, Industriellen und Ministern. Angeblich verfügte er über gewaltige Geldmittel, Herkunft und Verwendung dieses Geldes blieben jedoch rätselhaft. Es galt als ungesund, sich allzu hartnäckig dafür zu interessieren.
Der Ministerpräsident hatte Oberst Acoca an die Spitze der GOE gestellt, wie ihm aufgetragen worden war, aber der Riese hatte sich als unkontrollierbarer Fanatiker erwiesen. Unter ihm hatte die GOE eine Schreckensherrschaft errichtet. Martinez dachte an die baskischen Terroristen, die Acocas Männer bei Pamplona geschnappt hatten. Sie waren zum Tode durch den Strang verurteilt worden. Oberst Acoca hatte jedoch auf ihrer Hinrichtung durch die Garrotte bestanden, das barbarische Würgeisen, dessen Eisendorn in den Nacken des Opfers eindringt und sein Rückenmark durchtrennt.
Der Kampf gegen Jaime Miro war für Oberst Acoca zu einer fixen Idee geworden.
»Ich will seinen Kopf«, sagte Oberst Acoca, »mit seinem Tod ist die baskische Untergrundbewegung erledigt.«
Eine Übertreibung, fand der Ministerpräsident, obwohl er zugeben musste, dass diese Behauptung nicht ganz unzutreffend war. Jaime Miro war ein charismatischer Führer, der die Ziele seiner Bewegung fanatisch verfolgte und deshalb so gefährlich war.
Aber auf seine Weise, dachte Martinez, ist Oberst Acoca ebenso gefährlich.
Primo Casado, der Director General de Seguridad, hatte das Wort ergriffen. »Exzellenz, was sich in Pamplona ereignet hat, ist nicht vorherzusehen gewesen. Jaime Miro ist.«
»Was er ist, weiß ich!« knurrte der Ministerpräsident. »Ich möchte wissen, wo er ist.« Er wandte sich aufgebracht an Acoca.
»Ich bin ihm auf den Fersen«, behauptete der Oberst. Seine Stimme klang eiskalt. »Ich darf Sie daran erinnern, Exzellenz, dass wir es nicht nur mit einem einzigen Mann zu tun haben. Wir kämpfen gegen die Mehrzahl der Basken. Sie versorgen Miro und seine Terroristen mit Nahrung und Waffen und gewähren ihnen Unterschlupf. Für sie ist dieser Mann ein Held. Aber seien Sie unbesorgt - er wird bald ein toter Held sein. Natürlich erst, nachdem ich ihm einen fairen Prozess gemacht habe.«
Nicht wir - ich. Martinez fragte sich, ob das den anderen auch aufgefallen war. Ja, dachte er nervös, gegen Acoca wird bald etwas unternommen werden müssen.
Der Ministerpräsident erhob sich. »Das war vorläufig alles, meine Herren.«
Die anderen standen auf, um zu gehen. Alle außer Oberst Acoca. Er blieb.
Leopoldo Martinez begann auf und ab zu gehen. »Der Teufel soll die Basken holen! Weshalb sind sie nicht damit zufrieden, einfach Spanier zu sein? Was wollen sie denn noch?«
»Sie sind machthungrig«, behauptete der Oberst. »Sie fordern Autonomie, ihre eigene Sprache und ihre Flagge.«
»Nein! Nicht in meiner Amtszeit! Ich lasse nicht zu, dass sie Stücke aus Spanien herausreißen. Die Regierung teilt ihnen mit, was sie bekommen können und was ihnen verweigert werden muss. Sie sind nur ein Pöbelhaufen, der.«
Einer seiner Mitarbeiter betrat den Raum. »Entschuldigen Sie, Exzellenz«, sagte er halblaut, »aber Bischof Iba-nez ist da.«
»Schicken Sie ihn rein.«
Der Oberst kniff die Augen zusammen. »Ich garantiere Ihnen, dass die Kirche hinter dieser ganzen Sache steckt. Es wird Zeit, dass wir ihr eine Lehre erteilen.«
Die Kirche gehört zu den großen Ironien unserer Geschichte, dachte Oberst Acoca erbittert.
Zu Beginn des Bürgerkriegs hatte die katholische Kirche auf der Seite der Nationalisten gestanden. Der Papst hatte Generalissimus Franco unterstützt und ihm dadurch die Möglichkeit gegeben, sich als Streiter für die Sache Gottes zu bezeichnen. Aber als baskische Kirchen, Klöster und Geistliche angegriffen worden waren, hatte die Kirche ihre Unterstützung zurückgezogen.
»Sie müssen den Basken und Katalanen mehr Freiheit gewähren«, hatte die Kirche gefordert, »und Sie müssen aufhören, baskische Priester hinrichten zu lassen.«
Generalissimus Franco war wütend gewesen. Wie konnte die Kirche es wagen, der Regierung Vorschriften zu machen?
Danach hatte ein Abnützungskrieg begonnen. Francos Truppen überfielen weitere Kirchen und Klöster; Nonnen und Priester wurden ermordet. Bischöfe wurden unter Hausarrest gestellt, und in ganz Spanien wurden Geistliche wegen Predigten, die staatliche Stellen für aufrührerisch hielten, mit Geldstrafen belegt. Erst als die Kirche Franco mit der Exkommunikation drohte, stellte er seine Angriffe ein.
Die gottverdammte Kirche! dachte Acoca. Weil Franco tot ist, glaubt sie, sich wieder einmischen zu können.
Er wandte sich an den Ministerpräsidenten. »Allmählich wird’s Zeit, dass dem Bischof beigebracht wird, wer in Spanien das Sagen hat.«
Bischof Calvo Ibanez war ein hagerer, gebrechlich wirkender Greis mit schütterem weißem Haarkranz. Er betrachtete die beiden Männer durch einen altmodischen goldgefaßten Kneifer.
»Buenos tardes.«
Oberst Acoca spürte einen Brechreiz. Allein der Anblick eines Geistlichen rief bei ihm Übelkeit hervor. In seinen Augen waren sie Judashammel, die ihre ahnungslosen Lämmer zur Schlachtbank führten.
Der Bischof blieb stehen und wartete auf die Einladung, Platz zu nehmen. Sie blieb jedoch aus. Martinez machte ihn auch nicht mit Oberst Acoca bekannt - eine bewusste Kränkung.
Der Ministerpräsident warf Acoca einen ratsuchenden Blick zu.
»Wir haben beunruhigende Meldungen erhalten«, sagte der Oberst knapp. »Baskische Aufständische sollen in katholischen Klöstern Versammlungen abhalten. Außerdem ist uns gemeldet worden, dass die Kirche Mönchsund Nonnenklöstern gestattet, Waffen für die Aufständischen zu lagern.« In seiner Stimme lag Stahl. »Wer den Feinden Spaniens hilft, wird selbst zum Feind Spaniens.«
Bischof Ibanez starrte ihn kurz an, bevor er sich an Leopoldo Martinez wandte. »Exzellenz, gestatten Sie mir die Bemerkung, dass wir alle Kinder Spaniens sind. Die Basken sind nicht Ihre Feinde. Sie erbitten lediglich die Freiheit, ihren.«
»Sie erbitten nichts!« brüllte Acoca los. »Sie fordern! Sie ziehen plündernd durchs Land, überfallen Banken und ermorden Polizisten - und da wagen Sie zu behaupten, sie seien keine Feinde?«
»Ich gebe zu, dass es unentschuldbare Ausschreitungen gegeben hat. Aber im Kampf für Überzeugungen kann es vorkommen, dass man.«
»Sie sind nur von sich selbst überzeugt. Spanien ist ihnen gleichgültig. Es ist, wie einer unserer großen Schriftsteller gesagt hat: Niemand in Spanien hat das Gemeinwohl im Auge. Jede Gruppierung kümmert sich nur um sich selbst. Die Kirche, die Basken, die Katalanen. Jede sagt, die anderen solle der Teufel holen.«
Der Bischof wusste, dass Oberst Acoca den Schriftsteller Ortega y Gasset verkürzt zitiert hatte; im Original wurden auch Armee und Regierung erwähnt. Aber er schwieg wohlweislich und wandte sich in der Hoffnung auf eine vernünftigere Diskussion erneut an Martinez.
»Exzellenz, die katholische Kirche.«
Der Ministerpräsident fand, Acoca sei weit genug gegangen. »Sie dürfen uns nicht mißverstehen, Eminenz. Im Prinzip steht die Regierung natürlich hundertprozentig hinter der katholischen Kirche.«
Oberst Acoca ergriff erneut das Wort. »Aber wir können nicht zulassen, dass Ihre Kirchen und Klöster als Stützpunkte unserer Feinde dienen. Falls Sie weiter gestatten, dass die Basken dort Waffen lagern und Versammlungen abhalten, müssen Sie die Konsequenzen tragen.«
»Ich bin mir ganz sicher, dass die Meldungen, die Sie erhalten haben, auf Irrtümern basieren«, sagte der Bischof gewandt. »Aber ich werde selbstverständlich sofort Ermittlungen anstellen lassen.«
»Danke, Eminenz«, murmelte der Ministerpräsident, »das war’s, was ich mit Ihnen besprechen wollte.«
Ministerpräsident Martinez und Oberst Acoca blickten dem Hinausgehenden nach.
»Na, was denken Sie?« fragte Martinez.
»Er weiß genau, was im Baskenland vorgeht.«
Der Ministerpräsident seufzte. Ich habe schon genügend Probleme am Hals, ohne mir neue durch Auseinandersetzungen mit der Kirche aufladen zu müssen.
»Wenn die Kirche für die Basken ist, ist sie gegen uns.« Acocas Stimme wurde härter. »Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich dem Bischof eine Lektion erteilen.«
Der fanatische Blick des anderen machte den Ministerpräsidenten stutzig. Er wurde vorsichtig. »Sind bei Ihnen wirklich Berichte eingegangen, dass die Kirche die Aufständischen unterstützt?«
»Selbstverständlich, Exzellenz.«
Martinez konnte nicht nachprüfen, ob der andere ihm die Wahrheit sagte. Er wusste natürlich, wie sehr Acoca die Kirche hasste. Aber vielleicht war es ganz nützlich, sie einmal die Peitsche spüren zu lassen, solange Oberst Acoca nicht zu weit ging. Der Ministerpräsident runzelte nachdenklich die Stirn.
Der Oberst brach schließlich das Schweigen. »Wenn die Kirche Terroristen Unterschlupf gewährt, muss sie bestraft werden.«
Martinez nickte widerstrebend. »Wo wollen Sie anfangen?«
»Jaime Miro und seine Männer sind gestern in Avila gesehen worden. Wahrscheinlich halten sie sich im dortigen Nonnenkloster versteckt.«
Der Ministerpräsident traf seine Entscheidung. »Durchsuchen!« befahl er Acoca.
Diese Entscheidung setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die ganz Spanien erschüttern und die Welt erschrecken sollte.