Die Nonnen kamen nur langsam voran; ihre Ordenstracht war für eine Bergwanderung schlecht geeignet. Ihre Sandalen waren zu dünn, um ihre Füße vor dem scharfkantigen Geröll zu schützen, und ihre langen Habite blieben überall hängen. Schwester Teresa musste feststellen, dass sie nicht einmal ihren Rosenkranz beten konnte. Sie brauchte beide Hände, um zu verhindern, dass ihr Zweige ins Gesicht peitschten.
Bei Tageslicht erschien ihnen die Freiheit noch erschreckender als zuvor. Gott hatte die Schwestern aus dem Garten Eden in eine fremde, schreckliche Welt hinausgetrieben, und seine Führung, der sie sich so lange anvertraut hatten, gab es nun nicht mehr. Sie fanden sich ohne Karte und Kompass in unwegsamem Gelände wieder. Die Mauern, hinter denen sie sich stets sicher gefühlt hatten, waren verschwunden, so dass sie sich nackt und schutzlos vorkamen.
Überall lauerten Gefahren, und die Schwestern hatten keinen Zufluchtsort mehr. Sie waren Fremde in einer fremden Umgebung. Die ungewohnten Anblicke und Geräusche im Freien waren verwirrend. Insekten und singende Vögel und der wolkenlos blaue Himmel wirkten auf ihre Sinne ein. Und dazu kam etwas, das noch viel verwirrender war.
Unmittelbar nach ihrer Flucht aus dem Kloster hatten Teresa, Megan und Graciela sich noch instinktiv an die Ordensregel gehalten und es sorgfältig vermieden, einander anzusehen. Aber jetzt waren sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit eifrig damit beschäftigt, die Gesichter der anderen zu betrachten. Und nach all den schweigend verbrachten Jahren fiel ihnen das Sprechen schwer: Wörter und Sätze kamen ihnen nur stockend über die Lippen, als seien sie dabei, eine ganz neue Fertigkeit zu erlernen. Ihre Stimmen klangen merkwürdig in ihren Ohren. Nur Lucia wirkte so unbefangen und selbstsicher, dass die anderen sich instinktiv ihrer Führung anvertrauten.
»Eigentlich war’s Zeit, dass wir uns miteinander bekannt machen«, meinte Lucia. »Ich bin Schwester Lucia.«
»Ich bin Schwester Graciela«, sagte Graciela nach einer verlegenen Pause schüchtern.
Die schwarzhaarige Schönheit.
»Ich bin Schwester Megan.«
Die junge Blondine mit den knallblauen Augen.
»Ich bin Schwester Teresa.«
Die Älteste der Gruppe. Fünfzig? Sechzig?
Während sie in dem Wäldchen außerhalb des Dorfes rasteten, dachte Lucia: Sie sind wie aus dem Nest gefallene frisch geschlüpfte Vögel. Auf sich allein gestellt, halten sie keine fünf Minuten durch. Na, das ist eben ihr Pech. Du bist dann schon mit dem Kruzifix in die Schweiz unterwegs.
Lucia trat an den Rand der Lichtung, auf der sie lagerten, und blickte durch die letzten Baumreihen auf das Dorf unter ihnen hinab. Auf den Straßen waren Menschen unterwegs, aber die Männer, die das Kloster überfallen hatten, waren nirgends zu sehen. Jetzt! dachte Lucia. Hier kommt deine Chance!
Sie drehte sich nach den anderen um. »Ich gehe ins Dorf runter und versuche, uns was Essbares zu organisieren. Ihr wartet hier.« Lucia nickte Schwester Teresa zu. »Du kommst mit.«
Schwester Teresa war verwirrt. Dreißig Jahre hatte sie nur die Anordnungen der Ehrwürdigen Mutter Betina befolgt - und jetzt hatte plötzlich diese Mitschwester die Führung übernommen. Aber auch sie ist ein Werkzeug Gottes, sagte Schwester Teresa sich. Er hat sie auserwählt, uns zu helfen, deshalb spricht sie mit seiner Stimme. »Ich muss dieses Kruzifix so rasch wie möglich ins Kloster Mendavia bringen.«
»Ja, ich weiß. Unten im Dorf können wir nach dem Weg fragen.«
Die beiden machten sich auf den Weg bergab ins Dorf, das fast schon eine kleine Stadt war. Lucia hielt scharf Ausschau nach verdächtigen Gestalten, ohne jedoch welche zu sehen.
Ein Kinderspiel! dachte Lucia wieder.
Die beiden Nonnen erreichten die ersten Häuser. Auf dem Ortsschild stand Villacastin. Vor ihnen lag die Hauptstraße, von der links eine schmalere, menschenleere Seitenstraße abzweigte.
Ausgezeichnet, dachte Lucia. Dort kriegt keiner mit, wie ich ihr das Kruzifix abnehme.
Lucia bog auf die Seitenstraße ab. »Komm, wir gehen hier weiter. Da sehen uns weniger Leute.«
Schwester Teresa nickte und folgte ihr bereitwillig. Die Frage war nun, wie Lucia ihr das Kruzifix abnehmen sollte.
Du könntest es ihr wegreißen und davonlaufen, dachte Lucia, aber sie würde wahrscheinlich kreischen und die halbe Einwohnerschaft auf dich hetzen. Nein, du musst dafür sorgen, dass sie eine Zeitlang den Mund hält.
Vor ihr auf der Straße lag ein Ast von einem Baum in einem der Vorgärten. Lucia blieb stehen, hob ihn auf und knickte ihn auf einen halben Meter Länge ab. Der Rest hatte genau das richtige Gewicht. Sie wartete, bis Schwester Teresa sie eingeholt hatte.
»Schwester Teresa.«
Die Nonne blieb stehen, aber als Lucia eben den Knüppel hinter ihrem Rücken hervorholen wollte, sagte eine laute Männerstimme: »Gott sei mit euch, Schwestern.«
Lucia warf sich fluchtbereit herum. Hinter ihr stand ein großer, hagerer Mann in der braunen Kutte eines Franziskaners. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer Adlernase und dem heiligsten Ausdruck, den Lucia je bei einem Mann gesehen hatte. Seine Augen schienen von innen heraus warm zu leuchten, und seine Stimme war sanft und freundlich.
»Ich bin Frater Miguel Carrillo.«
Lucia überlegte in fieberhafter Eile. Ihr ursprünglicher Plan war gescheitert. Aber jetzt hatte sie plötzlich einen besseren. »Gott sei Dank, dass Sie uns gefunden haben!« sagte sie.
Mit Hilfe dieses Mannes würde ihr die Flucht gelingen. Er würde wissen, wie man am schnellsten aus Spanien herauskam.
»Wir sind Zisterzienserinnen und kommen aus dem Kloster Avila«, erklärte Lucia ihm. »Letzte Nacht sind wir von einer Horde von Männern überfallen worden. Unsere Mitschwestern sind festgehalten worden, aber uns ist zu viert die Flucht gelungen.«
Als der Frater antwortete, klang seine Stimme betrübt und zornig zugleich. »Ich komme aus dem Kloster Santo Generro, in dem ich zwanzig Jahre lang gelebt habe. Wir sind vorgestern Nacht überfallen worden.« Er seufzte. »Ich weiß, dass Gott für alle seine Kinder irgendeinen Plan hat, aber ich muss gestehen, dass ich im Augenblick nicht begreife, wie er aussehen könnte.«
»Diese Männer suchen uns«, stellte Lucia fest. »Wir müssen Spanien so schnell wie möglich verlassen. Wissen Sie, wie sich das machen lässt?«
Frater Miguel lächelte sanft. »Ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann, Schwester. Gott hat uns zusammengeführt. Bringen Sie mich zu den anderen.«
Lucia nahm den Franziskaner zu ihren Mitschwestern mit.
»Das ist Frater Miguel Carrillo«, stellte sie ihn den anderen vor. »Er hat zwanzig Jahre lang im Kloster Santo Generro gelebt. Er ist gekommen, um uns zu helfen.«
Ihre Reaktion auf den Mönch war unterschiedlich. Gra-ciela wagte nicht, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Megan studierte ihn mit raschen, interessierten Blicken, und für Schwester Teresa war er ein Bote Gottes, der sie zum Kloster Mendavia führen würde.
»Die Männer, die euer Kloster überfallen haben, suchen bestimmt weiter nach euch«, sagte Frater Miguel. »Aber sie haben es auf vier Nonnen abgesehen - deshalb müsst ihr euch als erstes umziehen.«
»Wir haben keine Kleider zum Wechseln«, wandte Megan ein.
Frater Miguel lächelte sanft. »Unser Herrgott besitzt eine umfangreiche Garderobe. Machen Sie sich keine Sorgen, mein Kind. Er wird Vorsorge treffen. Lassen Sie uns nach Villacastin hinuntergehen.«
Gegen vierzehn Uhr, zur Siestazeit, gingen Frater Miguel und die vier Zisterzienserinnen die Hauptstraße der kleinen Stadt entlang, wobei sie ständig Ausschau nach etwaigen Verfolgern hielten. Die Geschäfte waren geschlossen, aber die Bars und Restaurants hatten geöffnet, und aus ihnen drang fremdartige Musik, die misstönend, hart und rhythmisch klang.
Frater Miguel sah Schwester Teresas verständnislosen Gesichtsausdruck. »Das ist Rock ‘n’ Roll«, sagte er. »Bei der heutigen Jugend sehr beliebt.«
Zwei junge Frauen vor einer der Bars starrten die vorbeigehenden Schwestern neugierig an. Die Nonnen machten ihrerseits große Augen wegen der spärlichen Kleidung der beiden. Die eine trug einen so kurzen Rock, dass ihre Oberschenkel kaum bedeckt waren, und die andere hatte einen kniekurzen Rock mit langen Seitenschlitzen an. Dazu trugen beide ärmellose gehäkelte Tops.
Ganz nackt könnten sie auch nicht verworfener aussehen! dachte Schwester Teresa entsetzt.
In einem Hauseingang stand ein Mann, der zu einer kragenlosen Jacke einen Pullover mit rundem Ausschnitt und einen glitzernden Anhänger an einer Goldkette trug.
Aus einer Bodega schlugen ihnen unbekannte Gerüche entgegen: Rauch und Alkohol.
Megan starrte etwas auf der anderen Straßenseite an. Sie blieb stehen.
»Was ist los?« wollte Frater Miguel wissen. »Was gibt’s dort zu sehen?«
Megan beobachtete eine Frau mit einem Baby auf dem Arm. Wie viele Jahre war es schon her, dass sie keinen Säugling, auch kein Kleinkind mehr gesehen hatte? Seit dem Waisenhaus, seit vierzehn Jahren nicht mehr. Vierzehn Jahre!
Auch Schwester Teresa starrte das Baby an, aber sie dachte dabei an etwas anderes. Das ist Moniques Baby. Jetzt begann es zu schreien. Es schreit, weil ich es verlassen habe. Aber nein, das ist unmöglich. Das liegt schon dreißig Jahre zurück. Schwester Teresa wandte sich ab, aber das Schreien des Babys gellte ihr in den Ohren, als sie weitergingen.
Sie kamen an einem Kino vorbei. Auf einem Plakat wurde für den Film Liebe zu dritt geworben, und die Standfotos zeigten spärlich bekleidete Frauen, die einen Mann mit bloßem Oberkörper umarmten.
»Großer Gott, die. die sind ja fast nackt!« rief Schwester Teresa aus.
Frater Miguel runzelte die Stirn. »Richtig! Wirklich abscheulich, was die Kinos heutzutage zeigen dürfen. Dieser Film ist reine Pornographie. Die privatesten und persönlichsten Dinge werden in aller Öffentlichkeit gezeigt. So werden die Kinder Gottes zu Tieren erniedrigt.«
Sie kamen an einem Geschäft für Haushaltswaren, einem Frisiersalon, einem Blumengeschäft und einem Cafe vorbei, die alle wegen Siesta geschlossen waren. Vor jedem Schaufenster blieben die Nonnen stehen und starrten in die Auslagen mit einst vertrauten Gegenständen, an die sie sich nur noch schwach erinnerten.
»Halt!« sagte Frater Miguel, als sie ein Modegeschäft erreichten.
Die Jalousien waren heruntergelassen, und an der Ladentür verkündete ein Schild: GESCHLOSSEN.
»Wartet bitte hier auf mich.«
Die vier Frauen sahen ihm nach, als er davonging und um die nächste Ecke verschwand. Sie wechselten einen ausdruckslosen Blick. Wohin ging er - und was war, wenn er nicht zurückkam?
Wenige Minuten später hörten sie, wie die Ladentür von innen aufgesperrt wurde. Dann erschien Frater Miguel strahlend lächelnd auf der Schwelle. Er winkte sie herein. »Los, beeilt euch!«
»Haben Sie.?« fragte Lucia, als sie alle eingetreten waren und hinter sich abgesperrt hatten.
»Gott hat nicht nur einen Haupteingang, sondern auch einen Hintereingang vorgesehen«, antwortete der Mönch ernst. Aber in seiner Stimme lag ein schelmischer Unterton, der Megan ein Lächeln entlockte.
Die Schwestern sahen sich ehrfürchtig staunend in dem Laden um. Die bunte Vielfalt der Kleider, Röcke, Blusen, Pullover, Hosen, Schuhe, Stiefel und Sandalen verwirrte sie. Solche Artikel hatten sie seit vielen Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und die Stile erschienen ihnen so fremdartig. In einer eigenen Vitrine waren Handtaschen, Seidentücher und Kosmetika ausgestellt. Unmöglich, das alles in sich aufzunehmen. Die Frauen standen sprachlos erstaunt da.
»Beeilt euch!« drängte Frater Miguel. »Wir müssen fort sein, bevor der Laden nach der Siesta wieder geöffnet wird. Bedient euch. Sucht euch aus, was euch gefällt.«
Gott sei Dank, dass du dich endlich wieder als Frau anziehen kannst, dachte Lucia. Sie trat an den ersten Kleiderständer und begann zu suchen. Schließlich entschied sie sich für einen beigen Rock und eine hellbraune Samtbluse. Nicht gerade Balenciaga, aber fürs erste muss es reichen. Danach suchte sie sich Slip, Büstenhalter und Stiefel aus weichem Leder zusammen. Sie trat hinter einen Kleiderständer, zog sich aus und war binnen weniger Minuten angezogen und marschbereit.
Die anderen trafen ihre Wahl zögernder.
Schwester Graciela entschied sich für ein weißes Leinenkleid, das ihr schwarzes Haar und ihren dunklen Teint unterstrich, und ein Paar Sandalen.
Schwester Megan wählte ein bedrucktes blaues Kattunkleid, das bis über die Knie reichte, und Schuhe mit niedrigen Absätzen.
Schwester Teresa fiel es am schwersten, sich für irgend etwas zu entscheiden. Die Auswahl war zu verwirrend. Es gab Seide, Flanell, Tweed und Leder; es gab Baumwolle, Leinen und Samt in verschiedensten Farben und Mustern. Alles wirkte so. so flittchenhaft. Drei Jahrzehnte lang war sie mit dem schweren Habit der Zister-zienserinnen anständig bekleidet gewesen. Und jetzt sollte sie die Ordenstracht ablegen und eines dieser unanständigen Fähnchen anziehen. Zuletzt nahm sie den längsten Rock, den sie finden konnte, und eine hochgeschlossene Batistbluse mit langen Ärmeln.
»Beeilt euch, Schwestern!« drängte Frater Miguel. »Zieht euch rasch um!«
Sie wechselten verlegene Blicke.
Er lächelte. »Ich warte natürlich im Büro.«
Frater Miguel ging nach hinten und verschwand in dem kleinen Büro.
Die Schwestern begannen sich auszuziehen, wobei jede wegen der beiden anderen schrecklich verlegen war.
Im Büro hatte Frater Miguel sich einen Stuhl geholt, um durch das kleine Fenster über der Tür sehen zu können. Jetzt beobachtete er den Nonnenstrip und fragte sich: Welche nehme ich mir zuerst vor?
Miguel Carrillo hatte seine Laufbahn als Dieb schon im zarten Alter von zehn Jahren begonnen. Er war mit blonden Locken und einem Engelsgesicht zur Welt gekommen, und diese Kombination hatte sich in dem von ihm gewählten Beruf als äußerst wertvoll erwiesen. Mit Ladendieb stahl und Handtaschenraub hatte er ganz unten begonnen und sich später erfolgreich darauf spezialisiert, Betrunkene auszurauben und reichen Frauen Geld abzuknöpfen. Er hatte mehrere originelle Straftaten ersonnen, eine cleverer als die andere. Bedauerlicherweise hatte sein letztes Unternehmen ihn ins Verderben gerissen.
Carrillo hatte sich als Mönch aus einem entfernten Kloster ausgegeben und in Kirchen um ein Nachtquartier gebeten. Es wurde stets gewährt, und wenn der Geistliche am nächsten Morgen das Kirchenportal öffnete, waren alle Kostbarkeiten verschwunden -und der gute Frater mit ihnen. Leider hatte er vorgestern Nacht in Benjar, einer Kleinstadt bei Avila, Pech gehabt: der Geistliche war unerwartet zurückgekommen und hatte Miguel Carrillo dabei ertappt, wie er den Kirchenschatz plünderte. Der Geistliche, ein großer, schwergewichtiger Mann, hatte ihn niedergerungen und ihm angekündigt, er werde ihn der Polizei übergeben. Aber Carrillo hatte einen zu Boden gefallenen schweren Silberkelch zu fassen bekommen und ihn dem Geistlichen auf den Kopf geschlagen.
Der Kelch war zu schwer oder der Schädel des anderen zu dünn gewesen - jedenfalls war der Geistliche tot liegen geblieben. Miguel Carrillo war in panischer Angst geflüchtet und bemüht gewesen, sich möglichst schnell weit vom Tatort zu entfernen. Er war durch Avila gekommen und hatte dort von dem Überfall von Oberst Acocas GOE auf das Kloster gehört. Dann hatte es der Zufall gewollt, dass ihm die vier entwischten Nonnen über den Weg gelaufen waren.
Noch eine interessante Möglichkeit, dachte Carrillo, während er sie mit lüsterner Vorfreude betrachtete. Da Oberst Acoca und seine Leute nach diesen Schwestern fahnden, ist wahrscheinlich eine hübsche Belohnung für ihre Ergreifung ausgesetzt. Zuerst nehm ’ ich sie mir gründlich vor, dann übergebe ich sie Acoca.
Bis auf Lucia, die schon vollständig bekleidet war, waren die Schwestern splitternackt. Carrillo sah zu, wie sie unbeholfen in die neue Unterwäsche schlüpften. Dann kleideten sie sich rasch weiter an, zogen Reißverschlüsse zu und beeilten sich, fertig zu werden.
Wird Zeit, dass ich eingreife, dachte Carrillo zufrieden. Er stieg von seinem Stuhl und trat wieder in den Laden hinaus. Dort baute er sich vor den Frauen auf, begutachtete sie und nickte anerkennend. »Ausgezeichnet!« sagte er. »So würde euch kein Mensch für Nonnen halten. Ich schlage euch allerdings vor, Kopftücher zu tragen.« Er war ihnen bei der Auswahl behilflich und beobachtete, wie sie sie anlegten.
Miguel Carrillos Entschluss stand fest. Als erste würde er sich Graciela vornehmen. Sie war bestimmt eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Und dieser Körper! Wie kann sie ihn an Gott verschwendet haben? Ich werde ihr zeigen, was man damit tut.
»Ihr müsst alle hungrig sein«, sagte er zu Lucia, Teresa und Megan. »Ich möchte, dass ihr in das Cafe geht, an dem wir vorbeigekommen sind, und dort auf uns wartet. Ich gehe in die Kirche und leihe mir vom Pfarrer etwas Geld, damit wir essen können.« Er wandte sich an Graciela. »Ich möchte, dass Sie mitkommen, Schwester, und dem Pfarrer erklären, was in Avila vorgefallen ist.«
»Ich. gut, ich komme mit.«
»Wir kommen bald nach«, erklärte Carrillo den drei anderen. »Ich schlage vor, dass ihr den Hinterausgang benützt.«
Er beobachtete, wie Lucia, Teresa und Megan gingen. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, drehte er sich nach Graciela um. Sie ist phantastisch! dachte er. Vielleicht behalte ich sie bei mir und bringe ihr ein paar Tricks bei. Sie könnte mir viel helfen.
Graciela erwiderte seinen Blick. »Ich bin fertig.« »Noch nicht.« Carrillo gab vor, sie mit prüfendem Blick zu mustern. »Nein, so geht’s nicht, fürchte ich. Dieses Kleid steht Ihnen überhaupt nicht. Ziehen Sie’s wieder aus!«
»Aber weshalb denn?«
»Es sitzt nicht richtig«, behauptete Carrillo gewandt. »Darin fallen Sie auf - und das wollten Sie doch vermeiden, nicht wahr? Hier, ziehen Sie das hier an!«
Sie zögerte noch, trat dann aber hinter einen Kleiderständer.
»Beeilen Sie sich! Wir haben nicht mehr viel Zeit!«
Graciela zog sich unbeholfen das Kleid über den Kopf. Sie stand in Slip und Büstenhalter da, als Carrillo plötzlich vor ihr auftauchte.
»Zieh dich ganz aus.« Seine Stimme klang heiser.
Graciela starrte ihn an. »Was? Nein!« rief sie aus. »Ich. ich kann nicht! Bitte, ich.«
Carrillo trat auf sie zu. »Ich helfe dir, Schwester.«
Er griff nach ihr, riss ihr den Büstenhalter vom Leib und zerrte an ihrem Slip.
»Nein!« kreischte sie. »Das dürfen Sie nicht! Aufhören!«
Carrillo grinste nur. »Wir fangen gerade erst an, Carita. Ich verspreche dir, dass es dir gefallen wird.«
Seine starken Arme hielten sie fest. Er drückte Graciela zu Boden, begrub sie unter sich.
Sie hatte das Gefühl, als falle irgendwo in ihrem Verstand ein Vorhang. Das war der Maure, der in sie einzudringen, ihren Leib zu verwüsten versuchte, während ihre Mutter mit schriller Stimme kreischte. Nein, nicht wieder! dachte Graciela entsetzt. Nein, bitte... nicht wieder...
Sie setzte sich jetzt energisch zur Wehr, stieß Carrillo von sich weg und versuchte aufzustehen.
»Teufelsweib!« rief er wütend aus.
Seine Faust krachte in ihr Gesicht, und Graciela sank benommen und schwindlig zurück.
Sie hatte das Gefühl, durch die Zeit zurückzuwirbeln. Zurück. zurück.