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»Eindringling! Eindringling!«, bellte Tucker, als sie einen Transpor­ter die Zufahrt hinauffahren hörte.

Murphy, die ungemein empfindsamen Ohren nach vorn gestellt, meinte lakonisch:»Das ist Fair, du dumme Pute.«

Wie die meisten Katzen konnte Murphy Reifengeräusche aus vier­hundert Metern Entfernung erkennen. Die Menschen staunten im­mer, woher Katzen wußten, daß ihr Partner oder ihre Kinder auf dem Nachhauseweg waren - sie konnten die verschiedenen Knirschgeräu­sche auseinander halten. Menschen konnten den Unterschied zwi­schen einem schweren Laster und einem Personenwagen erkennen, aber Katzen unterschieden die Reifengeräusche aller Fahrzeuge.

Eine Minute später hielt Fair vor der Hintertür. Murphy sprang auf die Küchenfensterbank und beobachtete, wie er aus dem Transporter stieg, sich wieder hineinbeugte und nach einer roten, mit einer wei­ßen Schleife verzierten Schachtel griff.

Er sah zum Himmel hoch, ging dann zur Veranda, öffnete die Tür, blieb an der hinteren Küchentür stehen und klopfte an. Er machte die Tür auf, bevor Harry>herein< rufen konnte.

»Ich bin's.«

»Ich weiß, daß du's bist.« Sie kam aus dem Wohnzimmer. »Deine Stimme ist tiefer als Susans.«

»Alles Gute zum Valentinstag.« Er gab ihr das rote Päckchen.

Harry küßte ihn auf die Wange. »Darf ich's gleich aufmachen?«

»Das ist der Sinn der Sache.« Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn an einen Haken an der Hintertür.

»Wurmmittel! Danke.« Sie küßte ihn wieder.

Er hatte ihr einen Dreimonatsvorrat Wurmmittel für ihre Pferde ge­schenkt. Manche Frauen mochten das nicht romantisch finden, doch für Harry war es das perfekte Geschenk. »Ich hab auch was für dich.«

Sie lief ins Wohnzimmer und kam mit einem Buch zurück, das in braunes Fleischereipapier gewickelt, aber mit einem leuchtend roten Band samt Schleife versehen war. »Alles Gute auch dir zum Valen­tinstag.«

Er öffnete das Geschenk, strich das Papier glatt und rollte das Band zusammen.

Das Buch, in altes, dunkelbraun gegerbtes Leder gebunden, mit ei­nem roten Quadrat zwischen zwei erhabenen Wülsten am Rücken, verströmte einen unverkennbaren Geruch. Fair schlug die Titelseite auf. Das Erscheinungsdatum war in römischen Zahlen angegeben.

»Wow! 1792.« Er blätterte die Seiten durch. »Ist dir schon mal aufgefallen, daß die Druckfarbe in alten Büchern pechschwarz ist, weil die Buchstaben in das Blatt gedrückt wurden?«

»Ja. Das beste Verfahren.« Sie stand neben ihm und sie bewunder­ten das Buch, ein altes veterinärmedizinisches Werk, in London ge­druckt.

»Ein schönes Geschenk.« Er legte seine Arme um sie und küßte sie mit mehr als Zuneigung. »Du bist was Besonderes.«

»Aber was, das möcht ich wissen.« Pewter, die Lust auf eine Extra­portion Knusperkost hatte, war nicht in romantischer Stimmung.

»Ich hab Maisbrot von Miranda, falls du Hunger hast.«

»Ich hab Hunger!«

»Pewter, beherrsch dich«, sagte Harry zu der unterdessen sehr stimmgewaltigen Pewter, die beschlossen hatte, in hoher Stimmlage ein paar Chöre aus>Aida< zu singen.

Harry schüttete Knusperkost aus.

»Juhuu!« Die Katze machte sich sofort darüber her.

»Ich tu ja alles, um sie zum Schweigen zu bringen.« Harry lachte.

»Sie hat dich erzogen.« Er nahm zwei Teller aus dem Schrank und Harry entfernte die Alufolie von dem Maisbrot.

Während sie saßen und aßen, erzählte sie ihm, was Bruce Buxton im Postamt passiert war.

Fair hörte sich die Geschichte an, schüttelte den Kopf. »Klingt nach einem fiesen Streich.«

»Bruce gewinnt keine Freunde und beeinflußt keine Leute«, be­merkte Harry wahrheitsgemäß.

»Arrogant. Viele Ärzte sind so, das denke ich zumindest. Aber vie­le Tierärzte sind genauso. Ich weiß nicht, was am medizinischen Wissen dran ist, das einen Mann sich wie Gott vorkommen läßt, aber Bruce fühlt sich wirklich wie einer.« »Du hast auch ein dickes Ego, aber du hältst es in Schach. Viel­leicht bist du deswegen so ein guter Pferdedoktor. Nein, nicht nur ein guter, sondern der beste, ehrlich.« Sie lächelte ihn an.

»Hey, sprich weiter.« Er strahlte.

»Wenn ich es recht bedenke, ich kenne niemanden, der Bruce wirk­lich mag. Zu schade, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnten, als er den braunen Umschlag aufmachte. Wer immer ihn geschickt hat, wäre von dem Erfolg begeistert gewesen. Klar, wenn sie ihn auf der Jagd sehen könnten, hätten sie auch was zu kichern.«

Bruce liebte die Aufregungen der Jagd, die Gefahr, aber in Wahr­heit war er ein ziemlich schlechter Reiter, genauso wie Sam Maha­nes. Dies war ein weiteres Feld, wo sie sich gegenseitig in die Quere kommen konnten.

»Fragst du dich nicht, was Hank Brevard getan hat, was zu seiner Ermordung führte? Ich meine, auch er hat sich schließlich nicht ge­rade bei jedermann beliebt gemacht.« Fair schnitt ein größeres Stück Maisbrot ab. »Aber deswegen muß man ihn doch nicht umbringen. Ich könnte mir schon vorstellen, daß jemand Bruce abmurkst. Mit ihm zusammen sein, das ist, als würde einem jemand Salz in die Wunde reiben. Mord ist - unabänderlich.«

»Für das Opfer.« Harry machte sich lustig.

»Du weißt, was ich sagen will. Es stellt alles, was man weiß, in Frage. Was treibt einen dazu, einen anderen Menschen zu töten?«

»Ja, darüber haben wir beim Volleyball gesprochen.« Sie preßte die Lippen zusammen und hob die Augenbrauen, machte ein fragendes Gesicht. »Wer weiß?«

»Denkst du, Hank Brevard war klug?«, fragte Fair Harry. Er ver­traute ihrer Menschenkenntnis.

»Hm, hm, er verstand es jedenfalls, Vorteile für sich rauszuschla­gen. Ich würde ihn vielleicht nicht unbedingt klug nennen. Sicher war er gescheit in technischen Dingen, sonst wäre er nicht techni­scher Leiter des Krankenhauses geworden. Und ich nehme an, er war sehr tüchtig, gut in der Planung von Gerätekontrollen und Wartung und dergleichen.«

»Ja«, stimmte Fair zu.

»Kein Sinn für Kultur, Kunst, Geselligkeit.«

»Uninteressant. Ich glaube, die Einzigen, die sein Tod wirklich mitnimmt, sind seine Frau und seine Familie.« Fair stand auf und ging zum Fenster. »Verdammt, so ein Mistwetter. Heute Nachmittag ist das Quecksilber auf zehn Grad gestiegen und jetzt kriegen wir Schnee.«

»Was sagt mein Thermometer?« Sie hatte ein Außenthermometer am Küchenfenster, dessen Digitalanzeige auf der Innenseite des Fen­sters abgelesen werden konnte.

»Minus 1,6.«

»Hoffentlich schneit es weiter. Ich hab das Eis satt.«

»Ich auch. Die Farmstraßen sind nicht immer geräumt, und die Pferde kriegen im Winter öfter Koliken. Klar, wenn die Leute ihnen weniger zu fressen und ihnen ausreichend warmes Wasser zu trinken geben würden, dann hätte ich weniger Krankheitsfälle und sie keine hohen Tierarztrechnungen. Manchmal verstehe ich die Leute einfach nicht.«

»Fair, es dauert Jahre, um ein Pferdekenner zu werden. Für die meisten Leute ist ein Pferd wie ein lebendiger Toyota. Gott helfe dem armen Pferd.«

Er sah sie an, seine Augen blitzten. »Manche Pferde verstehen sich zu rächen.«

»Manche Menschen auch.«

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